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Dieses Bild beschreibt meinen nun folgenden Exkurs wohl sehr genau:
Seit jeher war es der Traum der Menschen, zu fliegen. Mit neidischen Blicken sahen sie zu den Vögeln auf und bauten sich die abenteuerlichsten Flügel-Konstruktionen, nur um letzten Endes trotzdem abzustürzen. Erst als man die physikalischen Hintergründe des Fliegens, wie Auftrieb, verstanden hatte, war die Menschheit im Stande, Fluggeräte jeder Art und Größe zu bauen.
Was lernen wir daraus? Wenn man etwas für sich nutzen will, muss man zunächst die Theorie dahinter verstehen. Wer stattdessen nur versucht, sich die Technik von anderen abzuschauen und zu imitieren, der wird vielleicht schneller abstürzen, als ihm lieb ist...
Als Anlass kann ich es mir in etwa folgendes - rein fitkives - Szenario vorstellen:
Jahresversammlung der Sony Aktionäre
Aktionär: "Wir werfen der Unternehmensführung von Sony Computer Entertainment schwere Verfehlungen vor. Nintendo verdient mit einer technisch schwächeren Konsole Unmengen an Geld, während die High-Tech Playstation 3 nur Verluste einfährt!"
Vorstand: "Nintendo spricht mit der Wii Casual-Spieler an, eine Marktentwicklung, die wir vor 5 Jahren noch nicht vorhersehen konnten!"
Aktionär: "Dann macht etwas und versucht Casuals für die Playstation 3 zu gewinnen!"
Tage später in der Research and Development Abteilung von SCEI
Vorstand: "Nintendo erzielt riesige Erfolge mit der Wii und der Bewegungssteuerung. Wir brauchen etwas das die Casual-Spieler ähnlich anspricht wie Bewegungssteuerung. Am Ende der Woche möchte ich erste Vorschläge sehen!" (Verlässt den Raum und schlägt die Türe zu)
Abteilungsleiter: "Wer findet Bewegungssteuerung eine gute Idee?"
(Allgemeine Zustimmung unter den Ingenieuren)
"Dann ist das beschlossene Sache! Wir machen einen Controller, der auf Bewegung reagiert!"
Das Resultat sehen wir hier:
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Ladies and Gentlemen, may I introduce: Playstation Move
Wie viele Irrtümer dahinter stecken, soll nun im Folgenden erläutert werden. Wie Sony selber diese Irrtümer erkannt hätte, können sie und auch ihr in diesem Buch nachlesen:
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12,95€, die sicherlich nicht falsch investiert gewesen wären...
Aber ganz langsam: Wie schon beim Fliegen und den Vögeln muss man zunächst mal die Theorie kenne, bevor man zur Praxis übergehen kann. In diesem Fall heißt das, dass man zunächst analysieren muss, wieso Nintendo mit der Wii so erfolgreich ist (also sprichwörtlich davonfliegt), während Sony und Microsoft nur sehnsüchtig hinaufblicken.
Die zwei großen Schlagworte, die immer wieder auftauchen sind "Casual" und "Blue Ocean". "Casual" verwendet jeder, der die Begeisterung für einfache, kurzweilige Spiele nicht versteht. "Blue Ocean" wird dagegen von Leuten verwendet, die meinen Wirtschaftswissen zu besitzen und tatsächlich glauben, die Lösung für Nintendos Erfolg zu kennen.
Ganz so einfach ist es dann aber auch wieder nicht.
Das tatsächliche Schlüsselwort lautet "disruption" was man in etwa mit "Unterbrechung" oder "Unstetigkeit" übersetzen kann.
Jede Technologie basiert darauf, dass sie im Laufe der Zeit immer besser, schneller und effizienter wird. Disruption beschreibt nun eine Unterbrechung dieser Aufwärts-(Upstream)-Bewegung. Technologien, die nach dieser Philosophie entwickelt wurden, sind oft schon bei ihrer Markteinführung technologisch veraltet, weisen jedoch ein besonderes Merkmal oder Feature auf, das für Benutzer einen Vorteil bringt, der den technologischen Rückstand mehr als nur ausgleicht.
Der beste Moment für die Einführung einer solchen disruptiven Technologie ist der Moment, bei dem die traditionelle Technologie die Anforderungen des Marktes übertrifft und die Kundschaft nicht bereit ist, die teuren Kosten für die unnötig starke Technologie zu bezahlen.
In folgender Grafik ist dies gut zu erkennen:
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Die beiden roten Linien sind hierbei die verschiedenen Anforderungen des Marktes. Die untere Linie ist hierbei die Mindestanforderung, die der Markt stellt, die obere Grenze stellt die höchste Anforderung an, die der Markt stellen kann. Alles, was darüber legt, ist unnötig teuer.
Beide Technologien - fortschreitende, als auch disruptive - entwickeln sich mit der Zeit weiter, was an der Steigung der beiden Geraden zu erkennen ist.
Das Problem der traditionellen Technologie ist hierbei, dass Technologie sich schneller entwickelt, als die Anforderungen des Marktes. Dies ist der Vorteil disruptiver Technologien. Sie starten technologisch unterlegen, können aber bald die Anforderungen des Marktes erreichen. Als günstiges Einstiegsprodukt können sie den Markt praktisch von hinten her aufräumen.
Im Falle der aktuellen Konsolengeneration ist diese Entwicklung nicht nur anhand der Technologie zu sehen, sondern auch anhand des Gameplays. So sind viele Wii-Spiele sehr simpel und von der Qualität weit unter den High-End-Games, die Hardcore-Gamer haben. Aber dies repräsentiert eben die beiden roten Linien der Grafik von oben.
Dass Nachfrage nach einem Produkt wie der Wii vorhanden ist, haben die Verkaufszahlen - sowohl von Hardware, als auch von Software - bewiesen.
Das Problem, dass kontinuierliche Technologien irgendwann die Anforderungen des Marktes übersteigen wird zusätzlich dadurch verstärkt, dass disruptive Technologie ebenfalls kontinuierliche Performance-Steigerungen sehen wird. Da auch hier die technologische Entwicklung schneller von Statten geht, als die Kunden-Anforderungen, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem die Anforderungen des traditionellen Marktes durch disruptive Technologien erfüllt werden, zu sehen in folgender Grafik:
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Der Schnittpunkt der dunkelgrünen mit der braunen Linie ist eben jener Punkt, an denen disruptive Technologien den Marktanforderungen entsprechen. Traditionelle Technologie ist hierbei über die Marktanforderungen hinausgeschossen und nur noch unnötig teuer. Hinzu kommt, dass ihr das spezielle Feature der disruptiven Technologie fehlt.
Auch diese Entwicklung lässt sich im speziellen Fall der aktuellen Konsolengeneration nicht nur auf technologischer Basis betrachten, sondern ebenfalls wieder auch hinsichtlich des Gameplays. Aber auch dies soll später genauer konkretisiert werden.
Fakt ist, dass Entwickler solcher disruptiver Technologien einen sehr großen Vorteil haben und dies bringt uns zum Schlagwort "Blue Ocean".
Der Markt für disruptive Technologien ist wie ein weiter, blauer Ozean: Weit, groß und - vor allem - unerforscht. Wie zu Zeiten der großen Entdecker ist eine Reise hinaus in den blauen Ozean eine Fahrt ins Ungewisse. Ob ein Unternehmen Schiffbruch erleidet oder eine große Entdeckung landet, ist oft ungewiss.
Das Risiko wird allerdings auch groß belohnt. Sollte im weiten Ozean tatsächlich ein potentieller Markt liegen, der erschlossen werden kann, so hat man im Vergleich zu Mitstreitern meist einen immensen Zeitvorteil.
Ein letzter wichtiger Punkt, der noch explizit erläutert werden muss, ist die stetig steigende Marktanforderung an ein Produkt, die in den kontinuierlich steigenden Geraden in den Grafiken von oben zu erkennen ist. Damit verbunden ist, dass ein Kunde, der gewisse Standards gewöhnt ist, niemals technologische Rückschritte akzeptieren wird, für technologische Fortschritte aber durchaus offen ist. Konkret heißt das, dass jemand, der High-End Anforderungen hat, seine Anforderungen nicht zurückschrauben wird. Jemand, der nur Low-End Anforderungen hat, aber durchaus seine Anforderungen steigern kann und für technologisch höher entwickelte Produkte zugänglich ist. Dies ist durchaus eine Upstreambewegung im Markt. Ein Downstream ist nicht möglich.
Konkret: Jemand der einen Full-HD-Fernseher besitzt, wird sich keinesfalls mehr mit einem Röhrenfernseher zufrieden geben. Jemand, der aber noch einen Röhrenfernseher besitzt, kann sehr wohl Interesse an einem HD-Fernseher finden. Beide Kunden können aber noch weitere upstream-Bewegungen vollziehen und so z.B. Interesse an High-Definition Beamern oder Fernsehern mit 3D-Technologie entwickeln.
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Genug damit! Ich bin Gamer, kein Marktanalyst!!!!!!
Jetzt, da wir das Grundverständnis haben, können wir uns daran machen zu fliegen oder zu sehen, warum Sony und Microsoft nicht fliegen werden ;)
Der erste Fehler von Sony und Microsoft war es, durch kontinuierliche Technologien die Anforderungen des Marktes zu übersteigen oder so hoch anzusetzen, dass nur noch die dünne Schicht der High-End-User Interesse zeigt. Zu einem Zeitpunkt, als High-Definition Television noch in seinen Kinderschuhen steckte und nur die wenigsten Haushalte einen HD-Fernseher hatten, setzten beide jdoch auf Technologien, die man nur mit modernen Fernsehern voll ausschöpfen konnte. Auch der Preis - insbesondere der der PS3 - war deutlich zu hoch. Der Markt brauchte diese Technologie nicht und war noch weniger bereit den Preis dafür zu zahlen.
Wie weiter oben erwähnt, ist dies ein guter Zeitpunkt für die Veröffentlichung disruptiver Produkte. Nintendo hatte dies erkannt und gekonnt umgesetzt.
Nun sahen sich Sony und Microsoft unter Zugzwang, aber Druck begünstigt nicht gerade sinnvolle Entscheidungen...
Das Gespräch zwischen dem Vorstand und dem Chef der Produktentwicklungsabteilung von oben zeigt: Sony hat das Prinzip, das hinter disruptiver Technologie steckt nicht verstanden. Stattdessen glauben sie - und auch Microsoft - dass eine einfache Implementierung von Bewegungssteuerung ausreicht.
Der oben erwähnte Zeitvorteil Nintendos ist hierbei die erste Hürde, die schwer zu meistern ist. Nintendo hat immerhin eine Hardwarebasis von geschätzten 68,5 Millionen Wii-Konsolen.
Viel Interessanter als diese bloße Zahl ist aber der oben entwickelte Zusammenhang, dass für Kunden eine upstream-, aber keine downstream-Bewegung möglich ist. Ein Gamer, der sich - aus Überzeugung - eine PS3 oder X-Box 360 gekauft hat und auf hier Next-Gen-Spiele genießt, wird sich nicht plötzlich für simple Casual-Games mit Bewegungssteuerung begeistern. Bleibt also nur noch das Gewinnen weiterer Casualspieler. Hier fällt eben der zeitliche Vorteil Nintendos wieder auf. Nicht nur die Hardwarebasis, sondern auch die Imageentwicklung während all der Zeit, die die Wii auf dem Markt ist, ist ein sehr großer Vorteil. Viele Leute bringen familien- und einsteigerfreundliches Gaming mit dem Namen Wii in Verbindung. Playstation Move und Microsofts Natal werden es schwer haben, sich ein ähnliches Image zu erkämpfen. Zusätzlich kommt aber noch der preisliche Vorteil. Eine Wii mit Wiimote+Nunchuk und Wii Sports ist günstiger als eine Playstation 3. Angaben bezüglich der Verkaufspreise von Playstation Move bzw. Natal haben Sony und Microsoft aber auch noch nicht gemacht.
Während nun Sony und Microsoft viel Geld und Zeit investiert haben, um eine Technologie zu entwickeln, deren Einführung mit erheblichen Marktnachteilen verknüpft ist und ein finanzieller Erfolg mehr als ungewiss ist, hat Nintendo eine deutlich einfachere Ausgangsposition:
Nintendo muss lediglich eine kontinuierliche Technologiesteigerung anstreben. Eine technisch stärkere Wii ist günstiger in der Entwicklung und zudem auch sehr viel einfacher.
Aber wie mehrmals erwähnt, muss die upstream Bewegung nicht nur auf technologischer Basis stattfinden, sondern auch in Sachen Gameplay und da war Nintendo in den letzten Jahren ebenfalls nicht untätig:
Neben immer neueren Low-End spielen wie Wii Sports, Wii Fit etc. war ein klarer Trend zu sogenannten Bridge-Games zu erkennen. Spiele wie Mario Kart und Super Smash Bros. Brawl waren ideale Spiele, um ehemalige Casual-Spieler zu einer upsream-Bewegung zu "zwingen". Das letzte Game, das einen upstream erzwang war New Super Mario Bros., welches bereits auf dem DS wichtige Erfolge in dieser Entwicklung brachte.
Eine sehr interessante Entwicklung wird sich nun auf der kommenden E3 zeigen:
Während Sony und Microsoft nun mit Move bzw. Natal dort Produkte entwickeln, die einen unmöglichen Downstream erzwingen sollen, kann Nintendo mit Games wie Zelda, Super Mario Galaxy 2 und Metroid: Other M sowohl die kontinuierliche Upstream-Bewegung vorantreiben, aber auch Core-Gamer begesitern.
Zwar werden etliche Analysten Microsoft und Sony mit ihren neuen Produkten zu den Siegern der E3 küren, aber das wäre nicht das erste Mal, dass sie sich irren...
Letztendlich bleibt für einen passionierten Gamer wie mich, der auch eine High-End-Konsole besitzt, der fade Beigeschmack, dass Microsoft und Sony Geld in Technologien investiert haben, die von der Stammkundschaft nicht gewünscht waren und deren Erfolg fraglich ist - Geld und Bemühungen, die man in tatsächlich innovative Technologien, Blockbuster-Games oder Verbesserung bestehender oder Schaffung neuer Dienste hätte investieren können.
Als ich mir meine PS3 gekauft habe, hatte ich nicht vor, irgendwann eine Wii HD zu besitzen...
Referenzen:
-Malstrom's Articles: http://malstrom.50webs.com/
-The Innovators Dilemma - The Revolutionary Book that Will Change the Way You Do Business, Clayton M. Christensen, Collins Business Essentials, 1997 Harvard Business School Press