Gone for all time- Auferstehende Erinnerungen

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  • Ein neues Kapitel. Es wird spannend, denn jetzt taucht einer der Gegenspieler auf. Mal schaun, was passiert...


    Zwei Welten


    Ich stand also auf dem Bürgersteig, unschlüssig, ob ich jetzt klingeln sollte oder doch lieber im Wagen auf Skulduggery warten sollte.
    „So trifft man also aufeinander“, sagte eine Stimme hinter mir. Ich fuhr schnell und erschrocken herum, ballte die Schatten um mich herum, jederzeit bereit, mich zu verteidigen. Doch ich rechnete nicht mit dem schwarzhaarigen Mädchen.
    Sie stand hinter mir, die Arme vor der Brust verschränkt und blickte mich an. Ihre Augen waren von einem warmen Braunton, doch die Kälte, die ihr Blick aussandte, war beängstigend. Unwillkürlich zuckte ich zurück, als sie einen Schritt vorwärts tat. Als sie es bemerkte, lächelte sie kurz.
    „Die Schatten kannst du beruhigt zurückrufen“, mit einer Kopfbewegung deutete sie auf die geballte Finsternis in meinen Händen. Statt auf sie zuhören, zog ich die Magie enger an mich. Wieder trat ich einen Schritt zurück. Das Mädchen ließ mich nicht aus den Augen. Ihr Alter war schwer zu schätzen. Vielleicht war sie neunzehn, doch irgendetwas sagte mir, dass sie genauso alt war wie ich. Jedenfalls im menschlichen Sinne.
    Sie lachte. „Warum hast du Angst vor mir? Ich bin nicht hier, um dir wehzutun.“ Ihre offene Miene ließ mich für einen Moment aufatmen. Wäre da nicht diese Kälte gewesen. Ich spürte, dass sie log.
    „Was willst du von mir? Und wer bist du überhaupt?“, verlangte ich zu wissen, doch sie lächelte nur. Langsam ging mir das auf die Nerven.
    „Wer du bist, will ich wissen!“ Als sie mir immer noch nicht antwortete, klickte in mir eine Sicherung durch. Normalerweise greife ich nicht fremde, scheinbar ungefährliche Leute an, wirklich nicht. Und eigentlich besitze ich eine relativ lange Zündschnur. Aber dieses Mädchen war – bedrohlich.
    Ich ballte die Schatten, dann warf ich sie mit einem gezielten Wurf auf die Fremde. Doch statt zurückgeworfen zu werden von der Kraft, hob sie nur die Hand und die Schatten wurden zurückgeworfen. Wie bei einem Spiegel, der das Licht reflektiert. Es schien sie keinerlei Kraft zu kosten. Ich konnte nicht rechtzeitig ausweichen; meine eigene Magie traf mich und ich brach zusammen.
    „Vielleicht begreifst du jetzt, dass es besser ist, mir zu zuhören.“ Sie betrachtete mich gelangweilt, wie ich da keuchend auf dem Asphalt lag. Blut lief mir übers Gesicht. Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte ihr nichts anhaben können. Erst jetzt spürte ich, wie die Luft um sie herum flirrte. Auch die Präsenz von Schattenmagie war mir entgangen. Hatte sie ein Tarnschild darum gelegt?
    Sie kniete sich neben mich. „Warum hat er dich hierher geschickt?“ Ich wusste sofort, von wem sie da sprach. Doch woher kannte sie Skulduggery? Ich stellte mich dumm.
    „Ich weiß nicht, von wem du sprichst“, meinte ich kaum hörbar. Sie schlug mir auf den Rücken, so dass mir für kurze Zeit die Luft wegblieb.
    „Warum?“ Ihre Stimme klang gefährlich ruhig, doch ich antwortete ihr nicht. Sie war gewiss keine Freundin von dem Detektiv. Und dass sie ihm nicht persönlich gegenüber trat hatte vermutlich seine Gründe.
    Plötzlich, ich konnte ihren schnellen Bewegungen kaum folgen, hatte sie eine Flamme in der Hand und drückte mir diese auf meine Schulter. Das Feuer fraß sich gierig seinen Weg durch meine Kleidung, traf auf meine nackte Haut. Ich schrie auf, als es ich verbrannte.
    Sie behielt die Hand auf meiner Haut. „Wenn du dich weiterhin so dämlich anstellst, werde ich nicht mehr so zögerlich mit dir umgehen.“ Sie drohte mir. Und ich konnte nichts dagegen tun.
    „…frag ihn doch selbst“, flüsterte ich wütend. Das Mädchen lächelte.
    „Oh, dass würde ich nur zu gern. Nur leider würde er keine fünf Minuten überleben“, entgegnete sie grimmig. Ich musste lachen; alles schmerzte, jede Bewegung.
    „Glaubst du denn, ich würde dir etwas Neues berichten können… Walküre Unruh?“ Ihr Name kam mir einfach über die Lippen. Und als sie mich fassungslos und hasserfüllt anstarrte, wurde mir klar, dass ich genau ins Schwarze getroffen hatte. Erneut loderte die Flamme auf, verbrannte mir nun auch den Rest meiner Haut. Ich schrie wie von Sinnen. Es fühlte sich nicht wie eine normale Verbrennung an.
    Als Walküre mich schließlich losließ, sackte ich zusammen. Ich konnte nur mit Mühe den Kopf heben. Sie starrte mich hasserfüllt an.
    „Glaub bloß nicht, dass ihr mir entkommen könnt. Ihr alle seid dem Untergang geweiht, Kitty. Was Skulduggery und die anderen mir angetan haben, ist unverzeihlich.“ Sie wollte weitersprechen, doch da ertönte ein Aufschrei. Walküre ruckte herum und auch ich drehte mühevoll meinen Kopf.
    Auf der Auffahrt stand ein Mann mit Glatze und Anzug. Er starrte mit aufgerissenen Augen zu uns herüber. Nein, ich korrigiere mich: Er starrte Walküre an. Die blickte ihn nur an; in ihren Augen spiegelten sich die unterschiedlichsten Emotionen. Der Mann trat ein paar Schritte auf sie zu.
    „Stephanie…“ Dann wiederholte er den Namen, lauter diesmal. „Stephanie! Steph!“ Das Mädchen reagierte nicht. Stattdessen wandte sie sich ein letztes Mal zu mir um.
    „Wir sehen uns wieder – verlass dich drauf“, zischte sie, dann begannen schwarze Schatten um sie herum zu wirbeln und als diese schließlich verschwanden, war Walküre Unruh verschwunden.


    Der Mann rannte auf mich zu. Er kniete sich neben mich und fasste mich behutsam unter den Schultern. Ich wimmerte, als er an die Wunde stieß. „Was ist mit Ihnen, Mädchen?“ Da entdeckte er die Verbrennung; scharf zog er die Luft ein. Dann hob er den Kopf und rief: „Melissa!“
    Eine Minute später kam hinten aus dem Garten eine schwarzhaarige Frau. Sie sah Walküre sehr ähnlich, nur waren ihre Augen einen Ton heller als die des Mädchens. Als sie mich sah, schlug sie die Hände vor den Mund. „Mein Gott! Desmond, was ist mit dem Mädchen?“
    „Sie ist verletzt worden… von…“, der Mann, den Melissa Desmond genannt hatte, schloss die Augen. Dann erst sprach er weiter.
    „Stephanie hat sie verletzt. Sie war gerade eben hier.“
    Eine Weile herrschte fassungsloses Schweigen. Doch bevor Melissa noch Fragen stellen konnte, unterbrach sie Desmond. „Komm, wir müssen sie ins Haus schaffen.“
    Er hob mich ächzend hoch, doch obwohl er sehr vorsichtig vorging, tat es weh. Ich unterdrückte einen Schrei. Mit wackligen Schritten brachte er mich ins Haus.
    Es war gemütlich eingerichtet. Das Wohnzimmer, in das man mich brachte, war hell, groß und überall auf dem Fußboden lagen Spielsachen verstreut. Behutsam legte der Mann mich auf der dunkelbraunen Couch ab.
    Ich zitterte, mein gesamtes Gesicht war mit Blut beschmiert und ich spürte, dass auch meine Schulter blutete. Ich musste ein wahrhaft jämmerliches Bild abgeben. Desmond und Melissa betrachteten mich, unschlüssig, was sie jetzt tun sollten.
    „Wir müssen die Verbrennung behandeln“, meinte Melissa schließlich und huschte in die angrenzende Küche. Ich hörte sie herum kramen. Desmond strich sich müde übers Gesicht; auch er sah nicht sonderlich fit aus.
    „Fragen Sie, was Sie fragen wollen“, flüsterte ich kraftlos. Ich bemerkte sehr wohl, dass er diese Fragen unterdrückte. Aber auch ich wollte wissen, woher er meine Peinigerin kannte. Er sah mich an.
    „Woher kennen Sie meine Tochter?“
    „Ihre Tochter?“ Verblüfft wollte ich meinen Kopf heben, doch mit einem unterdrückten Fluch ließ ich es. Desmond nickte. „Stephanie Edgley - oder Walküre Unruh, wie ihr sie nennt -, ist meine und Melissas Tochter.“ Ich lächelte.
    „Ich kenne sie nicht, jedenfalls nicht persönlich. Ich stamme aus L.A. und bin wegen eines Auftrags hier.“
    Er nickte. „Also gehören auch Sie zum Sanktuarium.“ Es war eine Feststellung. Jetzt war ich erst recht verblüfft. Der Mann wusste Bescheid über meine Welt? Über Magie?
    „Ja, ich weiß seit zwei Jahren Bescheid. Mr. Pleasant hatte uns aufgeklärt. Er stand eines Tages vor unserer Tür, damals, als Stephanie nicht mehr auftauchte und wir begriffen, dass irgendetwas passiert sein musste. Wir waren völlig verzweifelt, befürchteten das Schlimmste. Als Mr. Pleasant uns dann berichtete, dass unsere Tochter seit Jahren als seine Partnerin arbeitete, in einer magischen und gefährlichen Welt, da waren wir geschockt. Nie hatten wir etwas bemerkt, nicht mal kurz vor ihrem Verschwinden. Und dann die Erkenntnis: Sie hatte uns jahrelang belogen.“ Er vergrub das Gesicht in seinen Händen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Es war auch für mich eine vollkommen neue Situation.
    „Ich verstehe“, antwortete ich also nur. Und das stimmte: Ich verstand die Eltern. Lügen waren nichts Neues für mich.
    Melissa tauchte wieder auf. In den Händen hatte sie eine Salbe, Verbandszeug und ein Glas Wasser. Das hielt sie mir nun hin. „Sie brauchen Flüssigkeit“, meinte sie lächelnd. Dankbar nahm ich es und trank. Die Kühle tat gut.
    Nachdem ich das Glas abgesetzt hatte, nahm Desmond es mir aus der Hand und Melissa kniete sich vor die Couch. „Ich werde Ihnen jetzt die Bluse zerstören müssen. Anders komme ich nicht an die Wunde ran.“
    Desmond machte Anstalten aufzustehen, doch ich schüttelte den Kopf. Ich war erschöpft und kraftlos; meine gesamten Magiereserven waren aufgebraucht worden mit dem Schlag gegen Walküre. Ich nickte Melissa wortlos zu.
    Sie riss mit geübten Gesten den Stoff kaputt, darunter kam mein schwarzer BH zum Vorschein. Es war mir etwas unangenehm, aber der Schmerz lenkte mich sofort wieder ab. Melissa schraubte den Deckel von der Salbe, doch bevor sie sie auftrug, gab sie mir zu verstehen, dass das jetzt wehtun würde. Obwohl ich darauf vorbereitet war, stöhnte ich auf, als der Schmerz kurz aufflammte und dann wieder abebbte.
    Ich behielt die Augen geschlossen, als Melissa mir den Verband anlegte. Es ziepte, doch es war ein erträglicher Schmerz. Als sie fertig war, öffnete ich die Augen und sie erhob sich. Etwas unschlüssig wartete sie ab.
    „Sie sollten ins Krankenhaus, Miss…“
    „Raven“, meinte ich leise. „Ich heiße Kitty Raven und nein, im Krankenhaus wird man mir nicht helfen können. Das ist eine magische Wunde; es ist völlig normal, dass sie seltsam aussieht und so weh tut.“
    Desmond stand auf und griff nach dem Telefon. Dann wandte er sich zu seiner Frau. „Liebes, in der Küche liegt die Nummer von Mr. Pleasant. Ich denke, wir sollten ihn informieren.“ Der Meinung war ich zwar überhaupt nicht, aber es erschien mir sinnlos zu protestieren. Skulduggery würde eh hier aufkreuzen.
    Melissa gehorchte und Desmond wählte die Nummer. Ich bedeutete ihm, auf Laut zustellen. Nach wenigen Minuten nahm Skulduggery ab.
    „Ja?“ Im Hintergrund waren leise Stimmen zuhören. Desmond räusperte sich etwas nervös.
    „Mr. Pleasant? Hier spricht Desmond Edgley. Es geht um… Stephanie“, sagte er dann. Ich hörte, wie Skulduggery den Rednern im Hintergrund befahl, kurz still zu sein. Dann war er wieder da.
    „Was ist mit ihr?“
    „Sie ist hier aufgetaucht, vor wenigen Minuten.“ Skulduggery schwieg; als er wieder sprach, hörte ich deutlich seine Anspannung. „Was wollte sie?“
    Melissa hielt mir erneut ein Glas Wasser hin und eine kleine weiße Tablette. Als ich sie fragend ansah, lächelte sie. Auch sie sah unendlich erschöpft aus. „Eine Schmerztablette“, meinte sie leise, um ihren Mann nicht zu stören. „Damit Sie ruhig schlafen können.“
    Während ich die Tablette schluckte, sprach Desmond weiter.
    „Wir wissen es nicht. Ich hörte einen Schrei vorm Haus und als ich hinrannte, sah ich, wie Stephanie ein Mädchen attackierte, das vor ihr auf dem Boden lag. Als sie mich bemerkte, verschwand sie.“
    „Wer war das andere Mädchen?“ Jetzt klang er wirklich angespannt.
    „Eine junge Frau mit kurzen schwarzen Haaren; sie meint, sie heißt Kitty Raven. Ist sie eine Freundin von Ihnen?“
    „Sie ist meine Partnerin und… ja, auch meine Freundin.“ Erstaunt registrierte ich, dass seine Stimme bei dem letzten Wort irgendwie sehnsüchtig geklungen hatte. „Wie geht es ihr? Ist sie schwer verletzt?“
    „Meine Frau hat sie gerade versorgt. Wir können nicht einschätzen, wie schlimm die Verletzung ist. Miss Raven meint, es sei in Ordnung, aber… wir denken, dass es besser wäre, wenn sich jemand das nochmal anguckt, der sich auskennt.“
    „Geben Sie mir eine Stunde; ich beeile mich.“ Mit diesen Worten legte er auf. Desmond lächelte seiner Frau zu, doch was er sagte, bekam ich nicht mehr mit. Völlig erschöpft sank ich in einen traumlosen Schlaf.

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • So Cassia.^^ Etwas später als gedacht kommt nun mein Kommentar. Davor will ich aber noch sagen, dass mein dummes Word Programm spinnt, weswegen mein Kommi etwas... merkwürdig ausfallen könnte (was dir aber sicherlich nichts neues ist xD)


    Inhalt
    Die Szene, wo Kitty die fremde angreift - muss ich gestechen, ist etwas was es nicht gerade selten ist bzw. ist es einfach etwas mir nichts unbekanntes. Das sie es wie mit einem Spiegel macht und Kittys eigene Magie sie selber trifft, ist etwas was ich oft in Animes gesehen habe. Verstehe mich nicht falsch, es war nur etwas sehr vorhersebares. Jedenfalls fand ich es gut das du beschrieben hast, dass sie nun vor der Haustür war. So konnte man sich, wieder einfinden, anstatt das du gleich auf sas Geschehen zurückgreifst. Mir persönloch ging es in dem Kapitel sehr schnell, aber du kennst mich ja. <3 Ich liebe lange Beschreibungen, weshalb ich es manchmal schade finde dass, die Handlung in deinen Kapitel oft die Oberhand gewinnt. Aber kommen wir etwas mehr zum Inhalt. Die Idee das sie auf Walküre trifft, war gut, schließlich spielt sie in deiner Geschichte - was ich mal annehme - eine wichtige Rolle. Weshalb ich es gut fand, dass sie nun auch einen Auftritt aus der Sicht von Kitty hatte. Nur mir kam es etwas... schnell? Mir fällt leider gerade kein besseres Wort ein, mit dem ich es besser beschreiben könnte, aber so schnell sie aufgetaucht war - genauso so schnell war sie wieder weg, was ich etwas schade fand. Auf der anderen Seite - ihre Absichten sind deswegen noch sehr verschleiert, was gut ist, so bleibt uns Lesern immer noch einige Fragen offen, anstatt das wir es schon wissen. Auch den Titel fand ich gut, ich denke damit meinst du dass sozusagen zwei Welten aufeinander prallen, und zwar zum einen die ehemalige Assistentin von Skul und die trifft auf seine Nachfolgerin. Nur komisch fad ich es, dass sie sie bereits kannte... Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals etwas erwähnt wurde, dass Walküre, wusste wie sie aussieht. Und beide sind sehr unterschiedlich. Aber auch könntest du damit auch die unterschiedliche Magie, mt der sie gegeneinander kmofen. Was du aber besser machen könntest, wäre das du vielleicht mehrer Gedankengänge miteingebaut hättest. Welchen Gedanken hatte sie bzw. was kam ihr als erstes in den Sinn, als sie sie sah? Vielleicht hat ja Skul von seiner Kollegin erzählt? Dazu hättest du noch einen Gedankengang bauen können, wieso sie es weiß. Aber wieso kannte Walküre sie? Ebenfalls eine Frage, die du mit einem Gedankengang bauen könntest, aber da es von Kittys Sicht war - nur es infrage käme, ob Kitty sich erinnern konnte, woher sie es weiß. Zum Schluss wollte ich noch sagen, dass ich ein etwas ungutes Gefühl gegenüber der Familie von Walkre verspühre. Ich kann es mir selbst nicht erklären, aber die letzte Szene, als sie bewusstlos wurde... Jedoch ist es nur meine Meinung, ich mache mir einfach nur sorgen um Kitty (ich fiebere immer mit :>).



    ~deine Julia

  • Ist es möglich…?


    Als ich aufwachte, fühlte ich mich wie erschlagen. Meine Schulter pochte aggressiv und als ich versuchte, mich aufzusetzen, protestieren sämtliche Muskeln. Aber es gelang mir dennoch. Mein Blick jagte durch den Raum, mir fehlte für einen Moment die Orientierung. Dann fiel mir wieder ein, wo ich mich befand und warum mir alles wehtat. Stöhnend wollte ich mich wieder hinlegen, doch da spürte ich, dass ich beobachtet wurde.
    Ich drehte angespannt meinen Kopf. Da sah ich sie. Das kleine Mädchen mit den blauen Augen und den dunkelblonden Haaren starrte mich fasziniert an. Sie war vielleicht vier Jahre alt. In der Hand hielt sie einen zerknitterten Stoffhasen, den sie fest an sich gedrückt hatte. Erleichtert lächelte ich ihr zu.
    Anscheinend hatte die Kleine nur darauf gewartet; sie lächelte breit und hopste auf mich zu. Direkt vor mir blieb sie stehen. „Wer bist du?“, fragte sie mit heller Stimme. Obwohl mir eigentlich nicht nach guter Laune zumute war, musste ich lächeln. Ich hatte ganz vergessen, wie niedlich Kleinkinder waren.
    „Ich bin Kitty“, erwiderte ich freundlich. „Und wie heißt du?“
    „Alice“, meinte die Kleine, griff neugierig nach meiner Hand und musterte das dunkelblaue Muster, das sich um mein Handgelenk wand wie eine Schlange. Sie betrachtete es ausführlich. „Das ist schön.“
    „Danke.“ Ich streichelte ihr übers Haar und Alice lachte mich offen an. Irgendwie tat es ungeheuer gut, ohne Zurückhaltung und Vorsicht behandelt zu werden. Das war mir bis zu diesem Moment gar nicht bewusst gewesen. Sie erinnerte mich an Sophie, die Tochter von Skulduggery; sie sah ihr sogar ein bisschen ähnlich. Oder bildete ich mir das nur ein?
    „Wo ist denn deine Mama, Alice?“, fragte ich, denn meine Wunde schmerzte und ich wollte außerdem wissen, wann Skulduggery kommen würde. Ich saß immer noch im BH herum. Wenigstens ein Shirt wollte ich mir überziehen.
    Alices Gesicht verzog sich. „Die sitzt mit Papa in der Küche. Die reden mit Onkel Skulduggery über was ganz Kompliziertes. Ich darf nicht rein, hat Mama gesagt.“
    Verblüfft blickte ich in Richtung Küche. Tatsächlich: Jetzt, wo Alice mich drauf aufmerksam gemacht hatte, hörte ich die Stimmen. Sie klangen ernst und zeitweise auch besorgt. Aber was genau gesprochen wurde, verstand ich nicht.
    „Aber Onkel Skulduggery meint, wenn er fertig ist, dann krieg ich mein Geschenk. Ich bin heute nämlich vier!“ Sie klang ganz stolz. Ich lachte. „Dann herzlichen Glückwunsch, Alice. Leider hab ich nur kein Geschenk für dich…“ Alice zog einen Schlund, aber mir kam eine Idee. „Aber wenn du magst, gehen wir morgen einkaufen und du darfst dir was Schönes aussuchen. Einverstanden?“
    „Au ja!“ Alice jubelte und schon war die Traurigkeit vergessen. Plötzlich krabbelte sie zu mir aufs Sofa, kuschelte sich an mich und sah bewundern zu mir hoch. Ich war völlig verblüfft, nahm sie dann jedoch vorsichtig, um nicht noch mehr Schmerzen zu entfachen, in den Arm.
    „Du bist lieb…“, meinte Alice. „Ich wünschte, ich hätte eine große Schwester wie dich.“
    Sie hatte eine Schwester, nur war die nicht gerade nett. Das brachte mich wieder zurück: Warum war Walküre damals verschwunden? Aus welchem Grund? Warum ließ sie ihre Familie im Stich? Und warum hasste sie Skulduggery so?
    Plötzlich ging die Küchentür auf, Melissa kam heraus und entdeckte Alice und mich auf dem Sofa. Sofort stürzte sie auf uns zu. „Alice, Liebes! Du kannst doch nicht einfach Miss Raven belästigen! Komm da sofort runter!“, befahl sie, doch ich winkte ab. „Nein, lassen Sie sie ruhig; mir macht das nichts aus. Sie belästigt mich nicht.“
    „Aber… Sie sind doch verletzt“, Melissa zögerte weiterhin, doch Alice maulte. „Ich will aber bei Kitty bleiben. Sie ist total nett, hübsch und jetzt meine neue große Schwester! Sie muss jetzt immer bei mir bleiben!“
    Ein Lachen erklang von der Küche.
    „Ich glaube, da musst du Kitty auch nochmal fragen, Alice. Und außerdem hab ich Kitty auch sehr gern und weiß, dass du nicht gerne teilst.“
    Als ich den Fremden, der am Rahmen lehnte, anblickte, stieß ich einen Schrei aus. Er war groß, schlank und außerordentlich hübsch. Seine schwarzen Locken schimmerten im Licht, waren unordentlich und sahen trotz allem gut aus. Er trug einen maßgeschneiderten dunkelblauen Anzug, dazu schwarze Lederschuhe und in der Hand hielt er den breitkrempigen Hut. Seine grünen Augen leuchteten auf, als sie mich ansahen und der schmale Mund verzog sich zu einem hinreißenden Lächeln. Die Hände in den Hosentaschen, kam Skulduggery auf mich zugeschlendert.
    Ich war völlig schockiert, brachte keinen Ton heraus. Das konnte nicht Skulduggery sein! Skulduggery hatte kein Gesicht, keine Haut, keine Haare – verflucht, er hatte nicht mal ein Herz! Was war das für ein Typ?
    Als er sich neben mich setzten wollte, wollte ich von ihm wegrücken. Ich war mir hundertprozentig sicher, dass das ein Trick war. Vielleicht Walküre, die sich einen Tarnzauber angeeignet hatte. Nur leider war ich immer noch außerstande, meine magischen Kräfte einzusetzen. Ich war völlig kraftlos. Doch der Typ griff nach meinem Handgelenk. Sein Griff war stark, jedoch auch sehr behutsam. Er wollte mir nicht wehtun… noch nicht.
    Während der falsche Skulduggery und ich uns anstarrten, räusperte sich Melissa und hob Alice hoch, die lautstark protestierte. „Ich will aber bei Kitty bleiben!“
    „Das kannst du auch gleich wieder. Aber Skulduggery möchte erstmal mit Kitty allein sein, verstehst du? Dann darfst du wieder zu ihr.“
    „Krieg ich dann auch mein Geschenk?“
    „Natürlich. Aber jetzt gehen wir erstmal raus; du kannst mir helfen, den Kuchen rauszubringen.“ Damit verschwanden Mutter und Tochter.
    Der Typ, der sich als Skulduggery ausgab, stieß einen leisen Seufzer aus. „War einfacher als gedacht“, murmelte er und lächelte mir zu. Ich erwiderte das Lächeln nicht, sondern blickte ihn wütend an. Ich versuchte, das heftige Herzklopfen zu ignorieren.
    „Was willst du?“
    „Nach dir sehen, natürlich. Weiß du, wie besorgt ich war, als ich hörte, dass Walküre dich verletzt hat?“ Ich lachte hämisch auf. „Klar, und ich bin die Kaiserin von China. Du bist nicht Skulduggery.“
    Er war verblüfft, doch dann legte er in einer typischen Geste den Kopf schief. Er sah wirklich täuschend echt aus. „Wer bin ich denn dann?“
    „Was weiß ich; jedenfalls nicht der echte Skulduggery. Der ist nämlich ein Skelett.“
    „Warum sollte ich mich denn verkleiden?“
    „Bestimmt hat diese Walküre dich geschickt! Genau – du bist einer ihrer Handlanger, stimmt`s? Und du bist hier, um mich auszuspionieren!“
    Er blickte mich mit diesem warmen Blick an, der mich damals schon immer dazu gebracht hatte, zu kapitulieren. Gott, er war noch genauso hübsch wie früher. Das machte die ganze Angelegenheit nicht einfacher – eher schwerer.
    Doch als ich ihn zornig anblitzte, hob er die Hand und strich mir übers Gesicht. Ich erstarrte unter seiner beinah zärtlichen Berührung. Etwas in mir schrie, dass er aufhören sollte, aber ich verlor die Kontrolle. Mein Instinkt flehte ihn an, niemals mehr damit aufzuhören.
    Während er mich liebkostete, sprach er zu mir, mit sanfter Stimme. Sie klang wie Samt.
    „Ich sage dir jetzt etwas, was nur du und ich wissen können. Was ich dir heute Morgen in der Wohnung sagte; dass ich dabei bin, etwas herauszufinden. Das, was ich dir verschwiegen habe, ist, dass ich beinah Angst davor habe, die Wahrheit zu entdecken. Weil es dich unglücklich machen wird.“
    „Woher willst du das wissen?“, wisperte ich. Ich war stolz darauf, meine Stimme wieder gefunden zu haben. Er schüttelte bloß traurig den Kopf. „Weil es so ist.“ Dann nahm er seine Hand fort, sehr zu meinem Leidwesen. Doch, ohne darüber nachzudenken, griff ich nach seiner Hand. Erstaunt, jedoch auch anscheinend erfreut, sah er mich an.
    „Du hast es bereits herausgefunden, nicht wahr?“, fragte ich leise und unterbrach ihn, als er etwas erwidern wollte. Mir war klar, dass ich nicht belogen werden wollte. Nicht jetzt. Nicht in diesem Augenblick. „Sag mir die Wahrheit, Skulduggery.“
    Er zögerte einen Moment. „Ja“, meinte er dann leise. Ich lächelte, dann ließ ich abrupt seine Hand los. Mir war unklar, woher ich den Mut genommen hatte, ihm so nahe zu treten. Ich wechselte schnell das Thema.
    „Wie hast du das bewerkstelligt?“
    „Mein unglaubliches Äußeres?“ Er grinste. Es war ungewohnt, wieder in seinem Gesicht lesen zu können. „Hartes Training – aber eher meine Gene.“ Ich schlug ihm spielerisch auf die Finger, musste aber auch grinsen. Seine Fröhlichkeit war ansteckend. „Ernsthaft, Skul.“
    „China hat vor Jahren bei Grässlich mal ein neues Symbol ausprobiert. Es nennt sich Fassadentattoo. Es ist, wie der Name bereits sagt, eine Fassade, um die Wahrheit zu verschleiern. Als es bei Grässlich geklappt hatte, bat ich China, es auch bei mir zu versuchen. Es war wesentlich schwerer, schließlich benötigte Grässlich nur ein wenig Haut, um seine Narben zu überdecken, während bei mir ein kompletter Körper vonnöten war. Aber schließlich funktioniert es auch bei mir.“
    Fasziniert betrachtete ich sein neues und altes Gesicht. Es sah aus wie früher. „Genial“, murmelte ich und er nickte. Dann runzelte ich die Stirn. „Wie lange hält es denn? Bestimmt nur für ein paar Stunden?“
    Er lachte. „Zu Beginn schon. Aber als ich es immer öfter brauchte, hat China die Dauer Stück für Stück verlängert. Jetzt hält es insgesamt eine Woche; dafür kann ich es dann aber auch eine Woche lang nicht verwenden.“
    „Das erleichtert deine Arbeit ungemein.“
    „Manchmal.“ Ich grinste ihn an. „Du meinst, wenn du mit deinem Charme einmal nicht weiterkommst?“
    „Manche Leute sind halt einfach gegen meine umwerfende Persönlichkeit immun. Du zum Beispiel. Aber das ist jetzt unwichtig.“ Er blickte mich besorgt an. „Wie geht es dir?“
    Ich seufzte und strich nachdenklich über die gepunktete Decke, damit Skulduggery nicht sah, dass ich log. „Es geht so, hätte jedoch auch schlimmer kommen können. Ich hatte nur… ich meine…“ Ich stockte, suchte nach einem Wort, dass die gesamte Situation nicht allzu schlimm darstellte. Doch Skulduggery hatte es nicht verlernt, in mir zu lesen.
    „Du hattest Angst“, meinte er und ich schluckte. „Ja… es war so schrecklich. Sie hat mich mit einem einzigen Schlag völlig wehrlos gemacht, ich war außerstande, meine Kräfte einzusetzen. Und sie – sie ist mächtig, Skulduggery. Mächtiger als Mevolent, denke ich.“
    “Sie ist zwanzig, Kitty. Sie ist jung, talentiert, ja – aber mächtiger als der gefürchteste Zauberer der Geschichte?“ Er klang skeptisch, was ich auch verstand. Aber ich wusste, was ich gesehen hatte. Und die Panik, die mich bei Walküres Anblick ergriffen hatte, war mir nur allzu gut bewusst. Doch ich hatte keine Lust, mit ihm darüber zu diskutieren. Ich war erschöpft.
    Bevor ich mir etwas einfallen lassen konnte, um erneut das Thema zu umgehen, rannte Alice wieder auf mich zu. Skulduggery hob sie zu mir hoch. Er beobachtete vergnügt, wie Alice sich an mich kuschelte und ich lächelte. Es war ein schönes Gefühl, dieses Mädchen im Arm zu halten. Es war ein mir vertrautes Gefühl.
    Sie blickte zu Skulduggery. „Krieg ich jetzt mein Geschenk?“ Ihre quenglige Stimme ließ mich kichern. Skulduggery lächelte, dann zog er ein schmales Päckchen aus der Innentasche seines Anzugs. Begeistert riss Alice es ihm aus der Hand und begann, das Geschenkpapier zu zerstören. Darunter kam eine bunte Schachtel mit Buntstiften in zwanzig verschiedenen Farben zum Vorschein. Alice quietschte fröhlich, dann umarmte sie Skulduggery und hielt mir das Geschenk unter die Nase.
    „Guck mal, Kitty!“ Ich betrachtete die Buntstifte neugierig. „Ja, die sind wirklich toll, Alice. Damit kannst du bestimmt ganz tolle Bilder malen.“
    „Ich mal ganz viel! Willst du meine Bilder sehen?“ Ohne eine Antwort abzuwarten, hangelte sie sich vom Sofa und rannte ein Stockwerk höher, die Buntstifte blieben zurück. Ich sah Skulduggery an.
    „Warum…?“ Er blickte mich an, dann deutete er mit einem Kopfnicken auf Melissa, die gerade hereinkam. In der Hand hielt sie einen kleinen Kuchenteller, auf dem ein Stück Schokokuchen lag. Sie reichte ihn mir.
    „Hier. Ich dachte mir, dass Sie bestimmt Hunger haben. Mr Pleasant, möchten Sie auch etwas?“ Skulduggery bedankte sich, verneinte jedoch. Melissa wollte gerade wieder gehen, da bat Skulduggery sie, sich zu uns zusetzen. Erstaunt folgte sie ihm.
    Während ich hungrig über den Kuchen herfiel, gesellte sich auch Desmond zu uns und die Erwachsenen begannen ein Gespräch. Ich hörte nicht zu; erst, als der Name Stephanie fiel, horchte ich auf.
    „Steph ist hier nie aufgetaucht, jedenfalls haben wir sie nie dabei gesehen“, meinte Desmond gerade. Er starrte nachdenklich auf seine großen Hände. „Und wir haben es kaum glauben können, als sie dort draußen stand.“
    „Aber hat Walküre nicht irgendetwas gesagt? Etwas, was erklärt, warum sie plötzlich hier aufgetaucht ist?“ Bei Skulduggerys Worten zuckte ich leicht zusammen, hoffte jedoch, dass Skulduggery es nicht bemerkt hatte. Es schien so, jedenfalls sprach er mich nicht darauf an.
    Melissa, die die Hand ihres Mannes hielt, schüttelte den Kopf. „Sie hat nie etwas davon erzählt. In all den Jahren war sie auch nie hier, um Alice zu besuchen.“
    „Aber – sie weiß, dass Alice existiert?“ Fassungslos sah ich, wie Melissa den Kopf schüttelte. Walküre wusste nicht einmal, dass sie eine kleine Schwester hatte? Sie war nicht bei der Geburt dabei gewesen? Skulduggery bemerkte meine Erschrockenheit.
    „Walküre ist vor der Geburt von Alice verschwunden. Heute war es das erste Mal seitdem, dass sie wieder gesehen wurde.“ Er runzelte die Stirn. „Ich frage mich nur, warum sie uns dann in dem Glauben ließ, sie sei tot… und warum hat sie sich nie bei mir gemeldet?“ Wieder zuckte ich zusammen und diesmal bemerkte er es. Doch bevor er fragen konnte, meinte Desmond besorgt: „Vielleicht ist sie in Schwierigkeiten.“
    Zu der Verblüffung aller sagte ich tonlos: „Ich denke, sie ist die Schwierigkeit selbst.“ Erst, als ich es ausgesprochen hatte, wurde mir bewusst, was ich da gerade von mir gegeben hatte. Erschrocken presste ich mir die Hände vor den Mund. Doch es war bereits zu spät; alle starrten mich an.
    Skulduggery war der Erste, der sich fing. „Worauf spielst du an?“ Ich schüttelte eilig den Kopf und setzte eine neutrale Miene auf. Doch der Detektiv ließ sich nicht davon täuschen. „Kitty!“, hakte er ungeduldig nach, doch ich schüttelte den Kopf. Ich weigerte mich standhaft, noch mehr zu verraten.
    Vielleicht fragt ihr euch, warum ich dies tat. Weil ich Angst um Skulduggery hatte; mir war klar, dass Walküre hinter ihm her war. In ihrem Blick hatte tiefer Hass gelegen, und ich wusste nicht, was schlimmer war: Der Gedanke, was Walküre ihm antun würde oder was Skulduggery ihr angetan haben musste, um solch einen Hass in ihr heraufzubeschwören.
    Um weiteren Fragen aus dem Weg zu gehen, wechselte ich das Thema. „Wo soll ich mich umziehen?“ Melissa deutete nach oben und ich hatte mich schon halb erhoben, als Skulduggery widersprach.
    „Nein. Du bleibst erstmal eine Weile hier, Kitty.“
    Jetzt war ich es, die ihn verständnislos anblickte. Auch Melissa und Desmond blickten den Detektiv etwas verwirrt an, der sich jetzt doch dazu herabließ, es genauer zu erläutern. „Es war kein Zufall, dass Walküre ausgerechnet dann hier auftaucht, wo Kitty sich hier aufhält. Sie weiß entweder, wer Kitty ist oder warum sie hier ist. Ich muss herausfinden, welcher der beiden Gründe es ist. Außerdem ist Kitty momentan, so schwer es mir auch fällt, das zu zugeben, bei mir nicht sicher. Viele Leute sind hinter ihr her und ich will, dass sie in Sicherheit ist. Mrs Edgley, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn meine Partnerin für ungewisse Zeit hier bei Ihnen bleibt? Ich weiß, dass sie hier sicher ist.“
    Melissa blickte ihren Mann an, der lächelnd nickte. „Natürlich. Wir haben sowieso ein Zimmer übrig und Miss Raven ist hier gerne willkommen.“ Skulduggery nickte. „Dann ist das ja geklärt.“ Damit wollte er gehen.
    Ich jedoch kochte vor Wut. Warum tat er so, als wäre ich nicht da? Konnte er mich nicht erstmal nach meiner Meinung fragen? Egoistisch. Ich beschloss, ihn zur Rede zustellen. Gerade, als er zur Tür hinaus war, lief ich ihm, so schnell es meine Verletzung zuließ, hinterher.
    Ich erreichte ihn, gerade als er ins Auto steigen wollte. Er blickte mich erstaunt an, als ich mich vor ihm aufbaute. „Sag mal“, begann ich gespielt ruhig. „Was sollte das gerade?“
    „Was sollte was?“
    „Das weißt du sehr genau, Skulduggery!“ Jetzt wurde ich wütend. „Warum entscheidest du einfach über meinen Kopf hinweg, fragst mich nicht nach meiner Meinung? Bin ich deine Partnerin oder nur das hübsche Anhängsel?“ Ich verschränkte meine Arme vor der Brust, denn mir wurde kalt. Das ich immer noch nur einen BH trug, fiel mir nicht ein.
    Er legte den Kopf schief. „Ich habe mich nur so verhalten, wie du es mit mir tust.“ Er klang völlig ruhig und angesichts seiner Antwort war ich verblüfft. „Wovon redest du?“, ich begriff nicht, was er meinte.
    „Du weigerst dich doch auch, mir zu erzählen, was Walküre von dir wollte. Glaube nicht, dass ich dämlich bin. Was auch immer passiert ist, es macht dir Angst. Und solang du mir nicht reinen Wein einschenkst, tue ich es auch nicht. Da kannst du noch so bockig sein“, fügte er hinzu, als er sah, wie ich schmollte.
    Ich seufzte, stutzte jedoch, als ich Skulduggerys Grinsen sah. Ich runzelte die Stirn und sein Blick ging hinunter zu meiner Brust. Als ich an mir heruntersah, stockte mir der Atem. Ich stand, bekleidet mit einer schwarzen Hose, Stiefeln und einem halbwegs freien Oberkörper vor dem Kerl, in den ich verliebt war. Ging es noch peinlicher?!
    Ich wurde feuerrot und wäre am liebsten im Erdboden versunken. Mit hochrotem Kopf stotterte ich eine unverständliche Antwort, doch Skulduggery schüttelte lediglich den Kopf. Er zog seinen Mantel aus und legte ihn mir vorsichtig um die Schultern. Dankbar blickte ich ihn an. Er war so aufmerksam… und bevor ich noch richtig wusste, was ich tat, plapperte ich los.
    „Walküre hat mich bedroht; sie wollte, dass ich ihr verriet, was ich mit dir zu schaffen habe. Und als ich mich weigerte, verletzte sie mich. Sie…“ Ich stockte. Skulduggery sah mich ruhig an. Ich schluckte. „Sie will dich töten, Skul“, flüsterte ich. „Deshalb habe ich Angst, aber nicht um mich. Sondern um dich.“
    Und mit diesen Worten drehte ich mich um und lief zum Haus zurück.
    „Kitty!“
    Ich drehte mich um. Skulduggery blickte mir hinterher und rief über die Straße: „Heute Abend gegen neun in meiner Wohnung.“ Dann stieg er ins Auto, startete den Motor und fuhr los. Lächelnd blickte ich ihm nach und fragte mich, wie viele Ersatzautoschlüssel er wohl noch in Reserve hatte. Und, eine etwas dringlichere Frage: Was sollte ich heute Abend anziehen?
    Aber mir war seltsam leicht ums Herz.

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • So liebes, fange ich mal ohne große Umschweife an.^^


    Das Kapitel war zugegebenermaßen nicht wirklich mein Geschmack. Ich weiß nicht, ich denke es fehlte dieses, fantastische. Sorry das ich es nicht wirklich beschreiben kann, aber es war ziemlich an der Realen Welt gebunden bzw. (da du es von Kittys Sicht aus geschrieben hast), wirkte Kitty mehr ... wie ein Mensch.Was auf der einen Seite du wunderbar rüber gebracht hast, weil langsam ihre Fassade bröckeklte; dieser Schutzschild, das sie stark ist und keine Gefühle zulässt, hat ja vor einigen Kapiteln bereits gebröckelt und nun ist sie - denke ich - vollkommen weg. Bis auf einen kleinen Fleck, welcher immer noch standhaft ist. Jedoch war es ein bisschen langweilig und was ich erstaunte ist, das Kitty, Skul nicht nachgefragt hat, was die drei besprochen haben, während sie schlief. Normalerweise ist sie bei solchen Dingen neugierig, schließlich geht es doch um sie, oder? Jedenfalls ist das aber nur meine Interpretation über Kitty. ;3 Die Stelle mit Alice fand ich aber sehr süß, ich wusste ja gar nicht das du auch solche Szenen schreibst.^^ Ich dachte immer du seist der düstere Typ bzw. der Typ, welcher mehr Emotionale, traurige Szenen schreibt, die einem länger ins Gedächtnis bleiben. Jedoch verstrich sie auch sehr schnell wieder. Du hättest mehr Gedankengänge mit rein schreibe können, was sie in diesem Moment empfunden hat, stattdessen hat sie sich sofort darauf eingelassen. Ebenfalls war auch Alice sehr vertrauenswürdig. Zwar ist sie ein vierjähriges Kind, welche typisch neugierig sind, aber das sie sich sofort an sie rankuschelt, hört sich ein bisschen übertreiben an. Ich hoffe du verstehst was ich meine.
    Wenn ich ehrlich bin, habe ich auch gedacht diese Typ wäre nicht der echte Skulduggery, sondern jemand der die Eltern hinter das Licht führen will. Aber wenn ich so recht darüber nachdenke, käme das auch sehr eindeutig, weil er ein Skelet ist, und Kitty ist schließlich nicht dumm.


    Zum Schluss muss ich mich wieder enschuldigen, das dieser Kommentar so kurz und knapp ist, und mich wie gewohnt wiederhole, das du einfach eine wunderbare Autorin ist, bei der kaum etwas zu kritisieren ist. Nur sind in meinen Augen, solche Szenen wie die mit Alice noch ausbaufähig und verbesserungswürdig, weil du wahrscheinlich mehr angespannte und geheimnisvollere Momente, gewohnt ist.

  • Ja, ich bin wieder da.



    Ungeplantes Ablenkungsmanöver


    Es war kurz nach neun, als ich keuchend und leicht verschwitzt an Skulduggerys Wohnung ankam. Es war schon dunkel, eine mondlose Nacht. Und ich fluchte, weil ich mein Deo vergessen hatte und zum wiederholten Male mit meinen Schürstiefeln gestolpert wäre. Das Kleid war sturmgrau, ausnahmsweise einmal nicht schwarz und ging mir bis zu den Knien. Für meine Verhältnisse also recht kurz, was mir unangenehm war – immer wieder zupfte ich daran herum. Melissa, wie ich Mrs Edgley jetzt nennen durfte, hatte mir zwar versichert, dass ich umwerfend aussah, aber ich fühlte mich alles andere als umwerfend.
    Der Absatz meiner schneeweißen Stiefel klackte auf dem Asphalt, beinah im selben schnellen Takt meines Herzens. Ich schwitzte, obwohl ich mich schon mehr verausgabt hatte als bei dem fünfminütigen Sprint von Melissas Auto zu Skulduggerys Haustür. Aber ich war zu spät.
    Das Aussuchen eines passenden Outfits hatte mehr Zeit in Anspruch genommen als eigentlich geplant. Dann noch das Make-up und die Schuhe, ein Blick auf die Uhr und ein entsetzter Aufschrei, als ich feststellte, dass es bereits kurz vor neun gewesen war. Melissa hatte sich daraufhin bereiterklärt, mich zu fahren. Aber direkt vor der Tür war kein Parkplatz gewesen, also war ich drei Straßen davor ausgestiegen. Zurück würde mich hoffentlich Skulduggery fahren.
    Jetzt stand ich vor der Tür, in deren Glas ich mich spiegelte. Schnell überprüfte ich mein Aussehen; genauso hübsch wie zuvor. Nur mein linker Fuß pochte; versucht einmal, mit acht Zentimeter Absätzen zu rennen. Daraus sollte man eine Olimpyaaufgabe machen…
    Ich klingelte, rubbelte mir die schwitzigen Handflächen an der braunen Lederjacke ab und als der Türsummer erklang, drückte ich aufgeregt die Tür auf. Bedächtig nahm ich die Stufen, jede einzeln und versuchte, mich irgendwie zu beruhigen. Oben an der Tür angekommen, blieb ich stehen, atmete kurz durch und trat dann in die Wohnung, da die Tür nur angelehnt gewesen war.
    Die Lampe flackerte, bevor sie schließlich gänzlich verlosch und ich im Dunkeln stand. Angst und Panik machten sich in mir breit. Doch ich entzündete mit purer Willenskraft eine kleine Flamme auf meiner Handfläche, eine der wenigen Dinge, die mir von Skulduggerys Ausbildung der Elementemagie geblieben waren. Im Schein der Flamme inspizierte ich meine Umgebung genauer.
    Auf dem Flur herrschte das Chaos. Der Beistelltisch lag, mit zertrümmerten Beinen, mitten auf dem Teppichboden, der mit Glassplittern übersäht war. Skulduggerys Bücher, die sich in der ganzen Wohnung befunden hatten, lagen ramponiert auf dem Boden. Einzelne Seiten flogen herum, denn von irgendwoher kam ein starker Wind. Als ich ein paar Schritte in den Raum hineintrat, erstarb der Wind urplötzlich und die Buchseiten fielen lautlos zu Boden. Die Flamme beschien auch die Wände, die von seltsamen Rissen durchzogen waren, einige feiner, bei anderen bröckelte schon der Putz. An einigen Stellen befanden sich sogar Löcher.
    Mein Tattoo wurde kalt. Die Kälte war unerwartet, doch die Angst nahm mich viel mehr mit. Es bedeutete, dass der Tod in dieser Wohnung war. Alle Spuren deuteten auf einen Kampf hin, vielleicht mit mehreren Personen. Und einen hatte es das Leben gekostet.
    „Skulduggery“, wisperte ich kaum hörbar und schluckte. Ich traute mich kaum, nach ihm zu rufen – was, wenn die Angreifer noch da waren? Oder Skulduggery… ich schüttelte den Kopf. Nein, diesen Gedanken würde ich nicht zu Ende führen. Und ich musste wissen, ob es ihm gut ging. Aber anstatt nach ihm zu rufen, trat ich weiter in die zerstörte Wohnung und gelangte in eines der Wohnzimmer.
    Hier bot sich mir dasselbe Bild. Wohin ich auch blickte, überall lagen Glasscherben, zerrissene Buchseiten und noch heile Bücher, dazwischen zerborstene Regalbretter. Der Sessel war nicht mehr als solcher zu erkennen, jemand hatte die Füllung herausgezerrt und die Federn waren verbogen. Der Stoff war schmutzig, ob von Blut oder Dreck konnte ich nicht sagen.
    Plötzlich ertönte ein Schuss. Erschrocken drehte ich mich um, in die Richtung des zweiten Wohnzimmers, denn von dort war der Schuss gekommen. Ein schmerzvoller Aufschrei, wenige Sekunden später, doch es war nicht Skulduggerys Stimme. Erleichtert stürmte ich in den Raum.
    Skulduggery drehte sich zu mir um, als ich eintrat. Seine Fassade war aktiviert, doch sein Erscheinungsbild, sonst tadellos, hatte sichtbar gelitten. In seinen Locken steckten Holzsplitter, der Hut lag, mit Staub bedeckt zwischen Buchseiten und Wandputz und auch sein Anzug sah zerknittert aus. Seine Augen wurden dunkler, als er mich sah.
    „Bleib, wo du bist!“, befahl er mir und erschrocken verharrte ich auf der Türschwelle. Erst, als Skulduggery sich abwandte, entdeckte ich die beiden anderen Männer. Einer hielt ein Messer in der Hand, der andere wartete, in einer katzenartigen Angriffsstellung. Bei genauerer Betrachtung des Messers kam ich zu der Erkenntnis, dass es ein Rasiermesser war.
    Der Fremde mit dem Messer hatte blondes Haar und trug einen braunen Anzug, ein weißes Hemd und eine dunkle Sonnenbrille. Seine Cowboystiefel waren alt und zerschrammt, doch er grinste mich spöttisch an. „Hallo, da haben wir ja die, die wir suchen.“ Er sprach mit einem starken Südstaatenakzent.
    Der andere Mann trat ihm in den Weg, mit einer natürlichen Eleganz, bei der es mir kalt den Rücken runterlief. So anmutig und völlig lautlos konnte sich nur ein Vampir bewegen. Ich hasse Vampire; OK, hassen ist etwas untertrieben – ich habe eine Heidenangst vor den Kreaturen.
    Dieser hier war von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet. Er war blass und auf eine ungewöhnliche Art schön, mir jedoch etwas entschieden zu gelassen. Mit einer ruhigen Geste strich er sich das schulterlange, schwarze Haar zurück. Dann sah ich seine Augen, die lange Narbe, die sich über sein Gesicht zog und keuchte auf. Ich war wie gelähmt. Dieser Vampir war kein anderer als Dusk; lange Zeit war er im russischen Sanktuariumsgefängnis eingesperrt gewesen, war dann jedoch entkommen. Er war mir kurz über den Weg gelaufen, damals, während meiner Zeit in St. Petersburg. Er hatte gedacht, ich wäre eine Normalsterbliche, zu meinem Glück. Mir war es geglückt, ihn K.O. zu prügeln und zu verschwinden; nicht viele Zauberer konnten es mit einem Vampir aufnehmen. Dazu noch einer von Dusks Kaliber.
    Der Blonde sah zu Dusk, der mich betrachtete. Erst jetzt fiel mir der rote Fleck auf dem Hemd des Fremden auf. Skulduggery hatte also getroffen. Aber woher stammte die Kälte, die mir mein Tattoo zeigte? Ich sah mich unauffällig um. Mein Blick blieb an einer Gestalt hängen, die am Boden lag und unter der sich eine Blutlache ausbreitete. Das Gesicht war zu Boden gerichtet, ich konnte nichts erkennen. Von der Statur würde ich jedoch behaupten, es handele sich um einen Mann.
    „Warte, Sanguin“, meinte Dusk und sah mich an. „Wir wollen doch sicher gehen, dass wir diesmal die Richtige erwischen.“ Und mit diesen Worten trat er ein paar Schritte auf mich zu, doch im Sekundenbruchteil war Skulduggery neben mir und zielte auf Dusks Brust.
    „Fass sie nicht an“, knurrte Skulduggery, doch Sanguin lachte nur. „Du richtest eine Pistole auf uns? Hey, ist die Rollenverteilung nicht anders? Waren nicht gerade wir es, die dich bedroht haben?“
    „Die Lange hat sich geändert.“
    „OK, Deal: Du gibst uns jetzt ohne Mätzchen zu veranstalten das Mädchen und im Gegenzug verschwinden wir. Was sagst du dazu?“
    „Ganz schlecht.“
    „Schade“, entgegnete Sanguin und unter seinen Füßen bildeten sich Risse. Fassungslos beobachtete ich, wie er im Boden verschwand. Dusk hingegen stand da und sah reichlich genervt aus. Skulduggery feuerte einen Schuss ab, doch Dusk wich aus und der Schuss ging in die Wand. Dusk lächelte kalt. „Sechs Schüsse“, meinte er. „ich habe mitgezählt. Dein Magazin ist leer.“
    „Du gehst davon aus, dass ich in der Hektik nicht nachgeladen habe.“
    „Und – hast du?“ Skulduggery zögerte. „Nein“, gab er dann zu und steckte die Pistole weg. Stattdessen hob er die Hände und bewegte die Finger, woraufhin Dusk in die Wand hinter sich krachte. Jeder normale Mensch wäre außer Gefecht gewesen, doch Dusk schüttelte sich leicht und stand dann wieder. Ein Lächeln spielte um seine blutleeren Lippen.
    Plötzlich knirschte der Boden unter meinen Füßen. Ich sprang mit einem Satz zurück und beobachtete, wie eine Hand sich aus dem Boden streckte, herumtastete und, als sie nichts zum Packen fand, wieder zurückgezogen wurde. Sanguin tauchte Sekunden später wieder auf, diesmal neben Dusk. Er klopfte sich imaginären Staub vom Hemd. Ich hob eine Augenbraue.
    „Was bist du?“, fragte ich. „Ein Tunnelgräber oder ein Durch-die-Wand-Geher?“ Sanguin grinste. Statt einer Antwort verschwand er erneut in der Wand, und obwohl ich dieses Mal vorbereitet war, schaffte er es, mich am Handgelenk zu packen.
    Ich wirbelte herum, zog die Schatten um mich herum enger, doch augenblicklich traf mich ein gut platzierter Kinnhaken und mein Kopf flog zur Seite. Warmes Blut lief mir über meine Unterlippe und ich schmeckte Eisen. Doch bevor ich zurückschlagen konnte, hatte Sanguin mich schon an sich gepresst. Eine kalte Klinge legte sich an meinen Hals. Ich erstarrte.
    „Und schon wird aus der anfangs so bissigen Katze ein Schmusekätzchen“, gurrte Sanguin beinah.
    Skulduggery knurrte und wollte sich auf ihn stürzen, doch im Sekundenbruchteil stand Dusk neben ihm und warf ihn beinah gleichgültig gegen die Couch. Diese fiel mit hörbaren Lärm um. „Skul!“, brüllte ich ängstlich, doch die Klinge, die jetzt umso kräftiger an meine Kehle gepresst wurde, ließ mich schnell wieder verstummen. Ich traute mich nicht einmal, Luft zu holen.
    Skulduggery erhob sich wieder; seine Augen funkelten vor Zorn. „Lass sie auf der Stelle los“, befahl er, doch Sanguin lachte nur. „Und warum sollte ich das tun, Detektiv? Nenn mir einen Grund.“
    „Weil dieses Ding hier ansonsten auf den Boden knallt und in tausend Splitter zerfällt.“ Er zog eine seltsam scheinende Kugel aus seiner Manteltasche und hielt sie hoch über seinen Kopf. Ein triumphierendes Lächeln lag auf seinem Gesicht. Tatsächlich spürte ich, wie Sanguin sich anspannte und fluchte. Dusk starrte auf die Kugel, die bedrohlich hoch über dem Boden schwebte.
    „Ich sagte dir doch, dass du darauf aufpassen solltest“, fauchte der Vampir, doch Sanguin ließ sich diese Worte nicht gefallen. „Und gleichzeitig das Mädchen festnehmen? Ich bin nicht multitasking fähig!“
    „Du bist ein Profikiller!“
    „Aber meine Bezahlung ist nicht die eines Profikillers!“
    Ich spürte, wie Sanguins Griff sich lockerte. Umgehend drehte ich mich und bevor er noch wusste, wie ihm geschah, landete mein Fuß in seinem Magen. Er schrie auf und krümmte sich. Im selben Moment warf Skulduggery einen Feuerball auf Sanguin, dessen Kleidung daraufhin in Flammen aufging. Er warf sich auf den Boden und rollte hin und her, um die Flammen zu löschen. Als er merkte, dass dies nichts nützte, sprang er mit Anlauf aus dem Fenster. Das Glas zersplitterte, dann war Dusk fort.
    Skulduggery trat auf den am Boden liegenden Amerikaner zu, die Kugel weiterhin sicher in der Hand. „Was wollt ihr von meiner Partnerin?“, wollte er wissen, doch Sanguin gab keinen Laut von sich. Skulduggery holte aus und trat ihm ins Gesicht; Blut floss über Sanguins Stirn. „Was?“
    „Unsere Auftraggeberin will sie“, keuchte der Amerikaner. Schweiß lief ihm übers Gesicht. „Ich weiß nicht, wozu oder weshalb. Ich schwöre!“
    Statt einer Antwort blickte Skulduggery ihn nur an. Doch er bemerkte zu spät, wie der Boden unter Sanguin bröckelte. Und noch bevor ich einen Warnschrei ausstoßen konnte, war dieser schon verschwunden.


    „Feigling“, murrte ich, wischte mir notdürftig mit dem Handrücken das Blut von der Lippe und warf einen Blick auf mein Kleid. Unten am Saum war es leicht eingerissen, was mich aufstöhnen ließ. Skulduggery wandte sich blitzartig zu mir um. „Was ist los?“, besorgt kam er auf mich zu. „Bist du verletzt?“
    „Nein, nur mein Kleid ist ruiniert. Und mein Styling“, fügte ich mit einem Blick in den Wohnzimmerspiegel hinzu. Meine sorgsam geglätteten Haare waren verwuschelt und auch mein Lippenstift war fast vollständig verschwunden. Vermutlich hatte ich ihn zusammen mit dem Blut abgewischt. Seufzend sah ich ihn an. „Ich seh aus wie dreimal durch den Fleischwolf gedreht.“
    Urplötzlich stand er direkt vor mir. Er hob die Hand, blickte mir tief und fest in die Augen und strich mit den Fingern behutsam über mein Gesicht. Ich keuchte, als ich die Berührung seiner Haut spürte. Es fühlte sich an, als ginge mein Gesicht in Flammen auf. Unwillkürlich schloss ich die Augen, damit ich dieses Gefühl noch heftiger empfand. Ich schmiegte das Gesicht in seine Hand, dann öffnete ich die Augen. Er war mir so nah… Sein Atem strich heiß über meine Haut und in seinen Augen lag ein wilder Glanz, der mich gefangen nahm. Was geschah mit mir?
    „Du siehst bezaubernd aus“, flüsterte er. „Du siehst noch hinreißender aus als sonst.“
    Dann, ohne mich vorzuwarnen, packte Skulduggery mich an den Hüften und zog mich dichter an sich heran. Plötzlich fand ich mich sich keine fünf Zentimeter von seinem Körper entfernt, was mein Herz hektisch schlagen ließ. Doch mein Verstand war noch nicht gänzlich abgeschaltete.
    „Was redest du da…?“ Verwirrt forschte ich in seinem Gesicht nach einer Antwort. Doch ich fand keine. Und langsam aber sicher verabschiedete sich mein Gehirn. Skulduggery lächelte. „Dass du in meinen Augen die schönste Frau bist, die ich je gesehen habe.“
    „Dann bist du wohl noch nicht vielen begegnet“, entgegnete ich heftig keuchend, da seine Hand sich langsam nach oben bewegte. Er blieb mir eine Antwort schuldig, denn kommentarlos drückte er seine Lippen auf meine.
    Eine Flut von Empfindungen brach über mich herein. Erst war da Verwunderung, dass er tatsächlich so weit ging. Dann jedoch spürte ich Zufriedenheit; zögerlich erwiderte ich seinen Kuss, der, sobald Skulduggery merkte, dass ich scheinbar nichts dagegen hatte, den Druck verstärkte. Der Kuss wurde nun ungestümer, leidenschaftlicher und ich nahm nichts mehr war, außer den Druck seiner Lippen und die Wärme seines Körpers. Ich schmiegte sich enger an ihn. Meine Hände fanden wie von selbst den Weg zu seinem Nacken, wo sie schließlich innehielten und sich in seinen Haaren festklammerten. Seine Zunge stieß gegen meine Zähne, bat um Einlass und schließlich öffnete ich den Mund. Eine ungeahnte Süße, süßer als Honig, fand meine Geschmacksnerven und ich stöhnte.
    Dann jedoch machte er sich los von mir, noch bevor ich protestieren konnte. Grob stieß er mich von sich, wandte sich ab von mir. Erschrocken streckte ich die Hand nach ihm aus. „Skulduggery?“ Ich schmeckte noch die Süße seiner Lippen. Als er mich jedoch ansah, sank mir das Herz in die Hose. Eine solche Ablehnung stand in seinen Augen, dass ich unwillkürlich einen Schritt zurück trat.
    Dann verstand ich. Er hatte mich nicht küssen wollen – es war ein Unfall gewesen. In meinen Kopf machte es hörbar Klick und ich lief zur Haustür, beachtete nicht, ob er mir folgte oder hinterherschrie.
    Im Treppenhaus jedoch endete meine Flucht.
    Am Geländer lehnte, überaus lässig und mit einer dunkelbraunen Lederjacke, Mick St. John und sah mir entgegen. Erschrocken blieb ich stehn. In meinem Kopf herrschte Leere, ich wusste nicht, wie ich mich verteidigen sollte und noch bevor ich überhaupt eine Möglichkeit hatte, mir einen Fluchtweg zu suchen, war er schon hinter mir. Verflucht sei die Vampirschnelligkeit.
    „Guter Zeitpunkt“, hörte ich ihn noch sagen. Dann spürte ich einen harten Schlag auf meinen Hinterkopf und ich wurde ohnmächtig.

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • So, nach gefühlten Jahren, die ich hier abwesend war, wollen wir doch mal wieder reinhauen! *Ärmel hochkrempel*
    Schade nur, dass ich bisher kein Kommi erhalten habe. Leute, erbarmt euch doch mal eines armen Autorenherzens!



    Lügen


    Ich wusste nicht, wo ich mich befand, doch als ich endlich meine Augen öffnen konnte, war ich auf alles gefasst. Das Letzte, woran ich mich noch erinnern konnte, war das feixende Gesicht von Mick St. John. Und dass war nicht gerade das Schönste. Vor allem nicht, wenn man davon ausging, dass er mich von hinten niedergeschlagen hatte. Ich hatte den Kerl nie gemocht, aber wenn mein Verdacht sich bestätigen würde, würde er sich wünschen, sterblich zu sein. Zwar besaß ich kein Feuerzeug und Weihwasser gehörte jetzt auch nicht unbedingt zu meiner Grundausrüstung, aber irgendwo liegt immer Holz und wo Holz ist, ist auch ein pflockähnlicher Gegenstand nicht weit. Ein Tischbein ist völlig ausreichend.
    Meine Augenlider flatterten. Das gedämpfte Licht, welches auf mich herab schien, war angenehm. Doch mein Kopf dröhnte, und dort, wo ich meinen Nacken vermutete, zog und zerrte etwas an meinen Muskeln. Aber vielleicht war es auch gar nicht mein Nacken, sondern ein Stück Knete, denn momentan fühlte es sich so an.
    „Ohhh…“, stöhnte ich. Langsam versuchte ich mich aufzurichten, was zur Folge hatte, dass mein Körper protestierte und als ich an mir herunterblickte, stöhnte ich wieder. Ich hatte nicht das Kleid an, sondern einen hellblauen Pyjama. Und das war definitiv nicht meiner.
    Doch mehr konnte ich nicht wahrnehmen, denn in diesem Moment schmeckte ich etwas; ich schmatzte prüfend. Es hatte den Geschmack von faulen Eiern, einer verrosteten Münze und intensiven Zimt. Kurzrum: Alles widerliche Dinge, was dazu führte, dass ich mich prompt an Ort und Stelle übergab. Doch es kam nichts außer Magensäure heraus, was meinen Magen jedoch nicht davon abhielt, sich weiter zusammenzukrampfen.
    Nur entfernt nahm ich die eiligen Schritte wahr und dann eine entsetzte Frauenstimme. „Gott, Mick! Sie übergibt sich!“ Ich kannte diese Stimme, konnte sie in meinem derzeitigen Zustand jedoch nicht zuordnen.
    Den Namen Mick schon.
    Weitere Schritte näherten sich, diesmal jedoch erheblich langsamer und bedächtig. „Fass sie erstmal nicht an“, sagte Mick ruhig, dennoch angespannt. Womit rechnete er? Dass ich mich auf ihn stürzen würde? Ganz ehrlich, ich wusste zwar nicht, wie ich gerade aussah, aber es gibt wohl gefährlichere Posen als die „Ich-kotz-mir-die-Seele-aus-dem-Leib-Pose“.
    Endlich kam nichts mehr raus. Ich richtete mich auf, fuhr mir mit dem Handrücken über den Mund und hätte mich am liebsten direkt wieder übergeben, als ich in Micks triumphierende Visage sah. Aber diesmal genau auf seine makelloses, dunkelgrünes Designerhemd. Seine dunkelbraunen Augen glitzerten amüsiert, als ob er meine Gedanken gelesen hätte. Hatte er vielleicht auch – wer kann schon mit Gewissheit sagen, über was für Fähigkeiten Vampire verfügen?
    Die Frau hatte sich besorgt über mich gebeugt, eine Strähne ihres blonden Haares kitzelte meine Wange. Ich musterte sie misstrauisch, kam dann jedoch zu dem Beschluss, dass sie ein Mensch war. Dennoch blieb ich vorsichtig. „Geht es dir gut? Möchtest… möchtest du etwas trinken?“
    „Solange es kein Blut ist“, erwiderte ich trocken. Mick lachte und die blonde Frau warf ihm einen auffordernden Blick zu.
    „Zwar bin ich ein Vampir, aber zufälligerweise besitze auch ich eine Wasserleitung“, und damit entfernte er sich aus dem Raum. Die Frau blieb, sehr zu meinem Verdruss; wenn auch sie sich entfernen würde, hätte ich mich nach einem Fluchtweg umschauen können. So jedoch blieb mir nichts anderes übrig, als mich unauffällig umzugucken.
    Ich befand mich in einem großen, hell gestrichenen Raum, deren Fenster mit dunkelgrünen Gardinen verhängt worden waren. Ich lag in einem schmalen, neutralen Bett mit weichen weißen Laken und einer kuscheligen Decke sowie Kissen. Weitere Möbel in dem Raum waren ein weißer Kleiderschrank mit ein paar kleinen Verzierungen wie Ranken und Blüten, eine alt aussehende Kommode mit zerkratztem Holz und zwei, nein, drei Bilder mit gedeckten Farben. Neben meinem Bett stand ein kleiner Nachttisch, ausnahmsweise mal in Braun, vermutlich also Holz. Darauf lag nur eine Packung Taschentücher. Gerne hätte ich einen Blick in die unteren Schubladen gewagt, aber da die Frau mich beobachtete, unterdrückte ich diesen Impuls.
    Nun nahm ich mich etwas genauer in Augenschein. Der Pyjama, hellblau und angenehm weich auf meiner Haut, war mir etwas zu groß. An meinen Füßen… „Oh Gott!“, entfuhr es mir. An meinen Füßen steckten knallbunte, total flauschige Ringelsocken. Solche, die einem Handschuh nicht unähnlich waren, für jeden Zeh ein eigenes Fach in einer fröhlichen Farbe wie Gelb oder Orange. Ich wurde schon blind, wenn ich die Dinger nur ansah.
    Entsetzt starrte ich sie an und wackelte probehalber mit einem Zeh, dem in Sonnenblumengelb. Es sah aus, als ob eine überdimensoniale Ameise in einen Farbeimer gefallen wäre. Wenn es mir nicht so beschissen gehen würde, hätte ich bei dem Vergleich gelacht. Ich blickte auf und traf auf den Blick von der Frau, die mich verwirrt ansah. Ich deutete auf die Socken.
    „Was ist das?“
    „Du meinst meine Socken?“ Ich starrte sie nur an. Sie lächelte entschuldigend, während Mick das Zimmer betrat. Er reichte mir ein Glas Wasser, dass ich ihm schnell abnahm, sorgsam darum bemüht, ihn nicht zu berühren. „Du hattest nur diese Strumpfhose an, und da ich dachte, dass du bestimmt nicht möchtest, dass deine Klamotten knittrig werden, hab ich dir was von mir geliehen.“
    Aha. Deshalb war mir der Pyjama also zu groß. Ich seufzte, schnupperte probehalber einmal an dem Wasser und nahm dann vorsichtig einen Schluck. Es schmeckte wie stinknormales Leitungswasser. Was nichts zu bedeuten hatte, aber meine Kehle fühlte sich so ausgedörrt an, weshalb ich das Glas in großen Schlucken leerte. Der seltsame Geschmack jedoch blieb.
    Ich stellte das leere Glas auf dem Nachttisch ab, bevor ich mich wieder Mick und seiner Begleitung zuwandte. Ich musterte ihre hübschen blauen Augen, dann endlich wusste ich, woher ich sie kannte. Sie war damals in dem Cafe mit Mick gewesen. Ihr Name… es war irgendwas mit B…
    „Beth“, fiel mir schließlich wieder ein. „Ihr Name ist Beth.“ Beth nickte, doch ihre höflich ausgestreckte Hand überging ich. Also ließ sie sie sinken. „Beth Turner; ich bin Reporterin. Aber wir haben ja bereits Bekanntschaft gemacht.“
    Sie war ausgesprochen höflich. Aber das war mir herzlich gleichgültig. Viel wichtiger war: Wo war ich? Und wie, zum Teufel, kam ich hier wieder weg? Probehalber bewegte ich meine Hände, ich spürte keinerlei Schmerzen, von meinem pochenden Kopf und dem überspannten Nacken mal abgesehen. Auch meine Beine schienen nicht gelitten zu haben. Gut. Wenn ich mich auf etwas verlassen konnte, dann war es mein trainierter Körper. Nicht umsonst hatte ich mein Training nicht einen Tag lang schleifen lassen.
    Einer Flucht stand also nichts im Weg. Aber befand sich noch jemand hier, abgesehen von Mick und Beth? Ein weiterer Vampir, vielleicht sogar mehrere? Bisher hatte nichts darauf schließen lassen, aber Mick sah vielleicht gar keinen Grund, mich von jemanden bewachen zulassen. Oder er vertraute nur der menschlichen Frau.
    Ich räusperte mich vernehmlich und sofort sahen mich die beiden an. Zeit für ein Ablenkungsmanöver. „Dürfte ich noch etwas Wasser haben?“, fragte ich, bemüht, in meine Stimme ein wenig Unsicherheit zulegen. Mick runzelte die Stirn, regte sich aber nicht. Angestrengt hielt ich seinem Blick stand, in der Hoffnung, dass er hoffentlich nicht voraussah, was ich vorhatte.
    Er erhob sich, zögerte kurz, doch dann griff er nach dem Wasserglas und befahl Beth: „Lass sie nicht aus den Augen.“ Damit verließ er das Zimmer, vermutlich Richtung Küche. Die hoffentlich nicht in Nähe der Haustür lag.
    Umgehend erhob ich mich, kniete mich auf das Laken und sah Beth an. Es tat mir beinahe schon Leid, bei dem Gedanken, dass ich ihr jetzt wehtun musste, aber es ließ sich nun mal nicht vermeiden. Sie runzelte die Stirn. „Was hast du vor?“
    Ich spreizte meine Finger, dann drückte ich mit aller Gewalt gegen die Luft. Zu meinem bodenlosen Erstaunen geschah – nichts. Beth saß immer noch am Rand des Bettes und hatte sich keinen mickrigen Zentimeter gerührt. Sie starrte mich an, ich starrte auf meine Hände. Ein erneuter Versuch. Wieder nichts.
    Das durfte doch nicht wahr sein!
    Mir blieb keinerlei Zeit, um zu überlegen, warum meine Magie nicht funktionierte. Stattdessen schubste ich Beth vom Bett, sprang auf, sobald sie auf dem Boden landete und hechtete zur Tür. Dann stand ich in einem Flur und einem offenen Wohnzimmer, doch ich suchte verzweifelt nach dem Ausgang. Denn ich hörte bereits, wie Mick auf mich zukam. Und tatsächlich stand er plötzlich neben mir.
    Er packte mich, doch ich drehte mich zur Seite weg und hackte dann meinen Fuß unter sein Bein. Als ich es wegzog, machte er einen Salto Richtung Fußboden. Anscheinend hatte er mit magischen Kräften gerechnet, aber nicht mit körperlichem Widerstand. Ein klarer Vorteil für mich. Ich raste weiter und dann entdeckte ich die Tür. Völlig erleichtert hechtete ich darauf zu und sah mich schon in Freiheit, so dass ich für eine Minute unaufmerksam war.
    Das war mein entscheidender Fehler.
    Denn dadurch entging mir, dass noch jemand in der Wohnung war. Erst, als ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahrnahm, begriff ich. Aber es war bereits zu spät.
    Vor mir stand ein Mann, in einem tadellosen schwarzen Anzug samt Fliege und polierten Lederschuhen. Seine dunkelblonden Haare waren auffallend kurz. Doch was mich sofort innehalten ließ, war seine Aura. Es war dieselbe wie bei Mick, jedoch noch um einiges älter und stärker. Der Kerl, der mir da den Fluchtweg versperrte, war ein Vampir. Er war weitaus mächtiger als alle, die ich kannte.
    Unentschlossen blickte ich von ihm zu Mick, der sich wieder erhob und dann zur Tür. Sollte ich es wagen, dorthin durchzudringen? Aber dieser Mann machte mir definitiv Angst. Und er sah auch nicht so aus, als würde er mich durchlassen, wenn ich höflich nachfragte. Obwohl es einen Versuch wert war.
    „Entschuldigen Sie“, sprach ich den älteren Vampir höflich an. Er verzog keine Miene. „Wären Sie wohl so gütig, mich durchzulassen?“
    Jetzt umspielte ein spöttisches Lächeln seine schmalen Lippen. Statt einer Antwort schüttelte er nur mit dem Kopf. Ich überlegte einige Sekunden hin und her, kam jedoch nur zu drei Entschlüssen.
    Erstens: Ich musste umgehend hier raus.
    Zweitens: Ohne Magie war ich haushoch unterlegen, was bedeutete, die Kerle würden Hackfleisch aus mir machen.
    Drittens, und dass war der wichtigste Entschluss: Ich musste trotzdem kämpfen. Auch wenn man meine spärlichen Überreste anschließend von der Decke und vom Parkettboden kratzen würde.
    Also zuckte ich nur mit den Schultern. „Schade.“ Dann warf ich mich auf den Blonden. Der war so überrumpelt von meinem Angriff, dass er zu Boden ging. Ich hingegen rollte mich ab, stand sofort wieder und hechtete erneut zur Tür. Doch Mick rannte mir nach und platzierte einen gut gezielten Schlag auf meinen Rücken. Ich schrie, taumelte, lief jedoch unbeirrt weiter. Mich trennten nur noch wenige Schritte vom ersehnten Fluchtweg, da stellte sich mir jemand in den Weg. Es war Beth. Sie hatte die Arme ausgebreitet und fixierte mich mit fest zusammen gekniffenen Augen.
    Ich stoppte, direkt vor ihr. Wütend stierte ich sie an und stemmte die Hände in die Hüften. Doch sie ließ sich davon nicht beeindrucken; aus den Augenwinkeln sah ich, wie Mick dem Blonden auf die Beine half. Mir blieb nicht mehr viel Zeit.
    „Lass mich durch“, knurrte ich. Beth schüttelte nur stur den Kopf. Ich ballte meine Hände zu Fäusten. „Lass mich durch, Beth!“ Doch sie beachtete mich gar nicht. Stattdessen sah sie über meine Schulter und vermied es tunlichst, mir direkt in die Augen zublicken. Verwundert überlegte ich, was man ihr wohl über mich erzählt haben musste.
    „Ich kann weder deine Gedanken lesen noch dich in irgendeiner Art und Weise beeinflussen. Ich bin keine Alchemistin, sondern Elementemagierin und Totenbeschwörerin. Deshalb bringt es absolut nichts, wenn du mich ignorierst. Außerdem hasse ich es, wenn man mich wie eine Topfpflanze in die Ecke stellt.“
    Beth zögerte. Ihre Haltung wirkte verkrampft, obwohl sie versuchte, sich nichts anmerken zulassen. „Du kannst mich aber dennoch umbringen, nicht wahr?“, entgegnete sie auf meinen Vortrag. Ich seufzte.
    „Ich könnte, wenn ich wollte. Aber da ihr mich irgendwie meiner magischen Kräfte beraubt habt, bin ich etwas eingeschränkt. Zudem versuche ich eigentlich, menschliche Zivilisten nicht umzubringen.“ Ich ließ die Arme wieder sinken. „Deshalb werde ich dich nicht töten… oder verletzten“, fügte ich eilig hinzu, als Beths Gesicht versteinerte. „Obwohl es wohl mehr als nur gerecht wäre, schließlich werdet ihr mich umbringen.“
    Hinter mir ertönte ein lautes Fluchen. Ich fügte mich in mein Schicksal, zumal ich noch recht kraftlos von dem Schlag ins Genick war. Als ich mich umdrehte, entdeckte ich den Blonden, der brüsk Micks dargebotenen Arm wegschlug. Seine dunklen Augen fixierten mich und ich schauderte. Er fletschte die Zähne.
    „Du kleine beschränkte Zauberin, ohne Achtung vor dem Alter und der Macht… ich werde dich…“
    „Ja, was wirst du?“, hakte ich frech nach. Wenn ich schon sterben musste, dann würde ich wie eine Heldin untergehen: Mit hocherhobenen Kopf, frechen Antworten und – ebenfalls erhobenen – Mittelfinger.
    Beth bedeutete mir, schleunigst die Klappe zuhalten, aber seit wann scherte ich mich um die Anweisungen anderer Leute? Eben. Selbst wenn Skulduggery mir etwas befahl, tat ich meist genau das, was ich nicht tun sollte. Damit hatte ich ihn immer wieder erfolgreich zur Weißglut getrieben. Doch der Gedanke an meinen skelettartigen Freund schmerzte, deshalb verbannte ich ihn schleunigst aus meinem Kopf.
    Zumal es jetzt anscheinend interessant wurde.
    „Josef“, beschwörte Mick den Vampir. Der kam jetzt drohend auf mich zu. „Lass es gut sein, ja? Wir brauchen sie. Das weißt du ebenso wie Beth und ich.“
    Einen Augenblick lang sah es so aus, als würde Josef nicht auf ihn hören. Doch dann stieß er ein Schnauben aus und klopfte sich den Staub vom Anzug. Dabei warf er mir einen angewiderten Blick zu. Ich erwiderte ihn, innerlich hingegen war ich erleichtert. Ich würde nicht sterben. Noch nicht.
    Beth verließ die Tür und trat vorsichtig auf mich zu. Sie blickte mir ins Gesicht. „Alles in Ordnung?“, fragte sie besorgt und ich nickte lediglich. Dann wandte ich mich Josef und Mick zu, die gerade auf der weißen Designercouch Platz nahmen. Beth hielt auf den freien Platz neben dem Detektiv zu.
    Ich hingegen zögerte. Mick schien es zu bemerken, denn er deutete mit einer Hand auf den Sessel gegenüber. „Setz dich. Du hast Fragen an uns und wir sind bereit, sie dir zu beantworten.“
    „Wenn du uns im Gegenzug einige beantwortest“, fügte Josef hinzu. Er wirkte noch etwas angesäuert, was mich beinah kichern ließ. Ich hatte gar nicht gewusst, dass Vampire so nachtragend sein konnten. Trotzdem wollte ich ihn nicht noch einmal verärgern, deshalb setzte ich mich auf den mir zugewiesenen Platz. Doch ich saß sprungbereit auf der Kante. Mick sah es, seufzte jedoch nur.
    Ich verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum verfolgt ihr mich?“ Ich kam umgehend zur Sache. „Und warum seid ihr jetzt sogar so weit gegangen, mich zu entführen? Wenn Skulduggery das mitkriegt…“
    „Dieser Skelettdetektiv kann mich mal“, unterbrach mich Josef grob. Er stand auf, öffnete einen Kühlschrank und entnahm dem zwei durchsichtige Beutel. Im Inneren befand sich eine rote dickflüssige Substanz, die sich als nach Metal riechendes Blut herausstellte. Als Josef sie in zwei schlanke Rotweingläser füllte, verzog ich unwillkürlich das Gesicht. Irgendwie faszinierte es mich, wie zivilisiert die beiden sich verhielten, im Gegensatz zu anderen Blutsaugern. Ich warf einen kurzen Blick auf Beth. Zumal sie hier Frischblut anzapfen konnten.
    Josef reichte eines der Gläser Mick, der es dankend entgegennahm. Verwundert beobachtete ich, wie Beth völlig gleichgültig einen Blick auf ihr Handy warf und sich dann wieder dem Gespräch zuwandte, als sei dies alles völlig normal. Entweder war sie solche Aktionen schon gewohnt oder aber besaß ein unglaubliches Schauspieltalent; irgendwie tippte ich auf Ersteres.
    Jetzt widmete ich mich wieder Josef. Der nahm einen kleinen Schluck. „Das Skelett weiß nicht einmal, von wem du entführt wurdest. In diesen Zeiten gibt es eine Handvoll Leute, die dafür in Frage kommen. Er wird einige Zeit brauchen, um alle Möglichkeiten durchzugehen – und bis dahin sind wir schon längst wieder weg.“
    Jetzt runzelte ich die Stirn. „Was heißt hier wieder weg?“, hakte ich misstrauisch nach. „Ich gehe ganz bestimmt nirgendwo mit euch hin.“
    „Das wissen wir.“ Beschwichtigend hob Mick die Hand. Seine arrogante Art war von ihm abgefallen, stattdessen wirkte er sogar etwas einfühlsam. Ich hütete mich, diesen Gedanken laut auszusprechen. Nicht unter Todesfolter hätte ich zugegeben, dass mir der Kerl langsam sympathisch wurde. „Deshalb – lass uns das Thema wechseln.“
    „Gut“, erwiderte ich. Etwas anderes blieb mir nicht übrig. Erst einmal das Spiel mitspielen. „Was wollt ihr wissen?“
    Sofort wurden ihre Gesichter ernst. Josef beugte sich gespannt vor. „Warum hat dich das irische Sanktuarium hierher geholt?“
    Ich hob eine Augenbraue. „Woher wisst ihr davon?“, stellte ich eine Gegenfrage und erntete genervtes Gestöhne. Das Grinsen musste ich mir verbeißen.
    Mick fing sich wieder. „Du zuerst.“
    Ich seufzte. „Also gut. Man hat jemanden, vermutlich einen Zauberer, mit einem Brief in meine Wohnung in L.A. geschickt. Dort stand drin, ich solle umgehend nach Dublin kommen, um ihrem Privatdetektiv Skulduggery Pleasant bei einem schwierigen Fall behilflich zu sein. Mehr weiß ich bisher auch nicht.“ Ich blickte Mick an.
    „Wir haben unsere Spione, auch im Sanktuarium“, entgegnete der nur knapp. Ich nickte. Mehr würde ich ohnehin nicht aus ihm rauskriegen – außerdem plante ich, bei der sich nächst bietenden Möglichkeit zu verduften. Skulduggery würde sicherlich gesprächiger sein.
    Jetzt sprach Beth. „Was weißt du über diesen Auftrag?“
    Ich zuckte mit den Schultern. „Nichts, im Prinzip. Bis auf die Tatsache, dass es wohl irgendetwas mit Walküre Unruh zutun hat.“
    Plötzlich wirkten Mick, Josef und sogar Beth sehr angespannt. Mick warf Josef einen ungläubigen Blick zu, der bloß den Kopf schüttelte. Beth hingegen sprach weiterhin mit mir.
    „Sie haben dir nichts erzählt?“ Sie klang erschrocken, ja, sogar ein kleines bisschen wütend.
    „Was sollten sie mir denn erzählen? Wovon redet ihr?“ Jetzt runzelte ich die Stirn. Ich kam mir ein wenig veräppelt vor.
    Mick blickte mich nachdenklich an. Dann wandte er sich wieder Josef zu. „Sie weiß wirklich von nichts“, stellte er erschüttert fest.
    Josef trank einen Schluck, bevor er aufstand und sich nachfüllte. „Wundert dich das?“, meinte er nur. „Sie ist zwar deren Geheimwaffe, stellt jedoch trotzdem eine potenzielle Gefahr für die Gemeinschaft der Zauberer da. Es ist nur logisch, dass man sie nicht eingeweiht hat.“
    „Aber Skulduggery hätte es tun müssen“, widersprach Mick zornig. Ich horchte auf, als sein Name fiel. Was hatte Skulduggery mit all dem zutun? „Schließlich sind sie befreundet und er sagte mir, er würde sie beschützen. Wie will er das tun, wenn sie nichts weiß?“
    „Vielleicht hat er es absichtlich getan, Mick.“ Beths Stimme klang beruhigend. Sie versuchte scheinbar, Micks Wut einzudämmen. Er schnaubte jedoch nur.
    Ich hingegen war nun wirklich wütend. Was bildeten die sich eigentlich ein, mich einfach hier so im Dunkeln rumtappen zulassen? Ich wollte sofort wissen, worum es hier ging, was ich ja anscheinend nicht wissen durfte.
    “Könntet ihr vielleicht so freundlich sein und mich aufklären?“, erwiderte ich schnippisch. „Denn anscheinend geht es ja um Meinewenigkeit.“
    Alle Köpfe wandten sich mir zu. Mick spielte mit seinem Glas, Beth presste ihre Lippen aufeinander und blickte hilflos zu den Männern. Einzig Josef schien sich köstlich zu amüsieren. Er trank sein Glas in einem Zug leer, dann stellte er es mit einem leisen Geräusch auf die Küchenzeile. Eine Weile betrachtete er scheinbar versonnen sein Spiegelbild in der Glasplatte, dann wandte er sich mir zu. Lässig lehnte er sich gegen den Türrahmen. Ich hingegen wippte ungeduldig mit dem Fuß.
    Mick blickte seinen Freund unsicher an. Zum ersten Mal glaubte ich, so etwas wie Angst in seinem Gesicht zu sehen. Doch als Josef ihm nur ein Lächeln zuwarf, verschwand es. Stattdessen drückte er leicht Beths Hand, was mich nur zu einem Augenbrauenheben brachte.


    Josef räusperte sich.
    „Vor fünf Jahren hatten einige Sensitive die Vision von einem schwarzhaarigen Mädchen, das die Welt vernichten würde. Niemand konnte ihre wahre Identität herausfinden, doch was gefunden wurde, war der Name dieses Mädchens. Er lautet Darquise.“
    „Darquise…“, wiederholte ich leise. Josef nickte.
    „Niemand wusste, wann sie auftauchen würde, noch warum sie die Welt zerstören würde. Was jedoch klar war, war, dass sie eine Gefahr für die magische Gesellschaft darstellte. Denn diese Darquise ist eine Zauberin.
    Das Sanktuarium verweigerte uns Vampiren weitere Information, obwohl wir genauso von Darquise betroffen sind wie alle anderen. Doch dann gelangten wir durch Zufall an wichtige Informationen.“ Er sah mich nachdenklich an. „Mick erhielt sie von einem Privatdetektiv des irischen Sanktuariums.“
    „Skulduggery.“ Es war eine Feststellung, keine Frage. Mick nickte bloß.
    „Skulduggery erzählte ihm“, sprach Josef weiter. „von seinem Besuch bei einer Sensitiven namens Cassandra. Warum er dies tat, ist unwichtig. Sie lebt auf dem Land, in der Nähe von Dublin. Er besuchte sie in Begleitung seiner Partnerin Unruh und einem Freund namens Finbar Wrong. Demnach habe Cassandra eine andere Vision gehabt. In dieser seinen Skulduggery selbst, sowie seine ältere Partnerin Unruh gewesen, im Kampf gegen Darquise. Sie tötete die Eltern von Unruh.“
    Er machte eine Pause. „Jedenfalls glaubte man, dass dieses Mädchen in der Vision tatsächlich Walküre Unruh war.“
    Jetzt sprach Mick. „Denn in Wahrheit war es jemand anders; jemand, der Walküre zum Verwechseln ähnlich sieht.“ Er sah mich bedeutungsvoll an. Ich schluckte, dann sprach ich. Meine Stimme zitterte.
    „Ich? Aber… ich seh Walküre nicht mal im Ansatz ähnlich!“
    Beth schüttelte den Kopf, dann nahm sie aus ihrer Tasche einen kleinen Handspiegel. Sie hielt ihn mir direkt vors Gesicht. Mein eigenes, blasses Gesicht mit den blauen Augen blickte mich an, das kurze schwarze Haar leicht zerzaust.
    „Verstehst du jetzt?“, meinte Mick leise. „Wenn man deine Augen nicht sieht, kann man denken, du seist Walküre. Zumal diese in der Vision ein Tattoo trug sowie kürzere Haare, und auch älter wirkte.“
    „Dann… war ich in der Vision?“
    „Genau“, bekräftigte Josef. „Das wurde uns jedoch erst bewusst, als es auch Skulduggery klar wurde. Denn er suchte, kurz nach Walküres Verschwinden, Cassandra erneut auf. Als sie die Vision heraufbeschwor, bemerkte er die Unterschiede.“
    Er seufzte. „Leider war danach so verwirrt, dass er sofort das Sanktuarium unterrichtete. Die betrieben ein paar Nachforschungen und stießen auf die Informationen aus deiner Vergangenheit. Kurzerhand ließen sie dich beschatten, wodurch sie herausbekamen, dass du Elementemagiern und Totenbeschwörerin zugleich bist.“
    „Aber das ist doch nichts Besonderes… oder?“
    „Eben doch. Denn zugleich erschien eine neue Vision. Die Vision von Ligquise.“
    Ich schluckte. Dieser Name kam mir bekannt vor, beinah so, als habe ich ihn schon oft gehört. Doch ich kannte niemanden mit diesem Namen. Warum also, verdammt, wirkte dieser Name so vertraut?
    „Wer ist sie?“, fragte ich, obwohl sich tausend andere Fragen in mir drängten. Aber ich traute mich nicht, sie auszusprechen. Mick betrachtete seine Hände, als sähe er sie zum ersten Mal.
    „Wenn Darquise die Welt zerstören will, will Ligquise sie retten. Manche nennen die Beiden „Zwillingsschwestern“. Sie sehen sich vom Äußeren sehr ähnlich, doch vom Wesen her sind sie unterschiedlich wie Tag und Nacht. Wenn die eine Böses tun will, erscheint die andere, um es zu verhindern. Man kann auch sagen, Darquise sei das Böse und Ligquise das Gute. Sie sind ein Gleichgewicht, denn ohne die eine könnte auch nicht die andere leben. Sie sind wie die Seiten einer Münze, voneinander abhängig.“
    „Sie besitzen dieselben Fähigkeiten“, machte Josef weiter. „Totenbeschwörung und Elementemagie. In der Vision sah man die beiden gegeneinander kämpfen. Und damit begann die Zauberergesellschaft zu glauben, wenn sie Ligquise finden, würde sie Darquise aufhalten. Und dann stießen sie auf dich, Kitty Raven. Das Ebenbild zu Walküre Unruh, mit denselben Fähigkeiten und reinem Herzen.“
    Langsam begann ich zu begreifen. Mein Herz begann gegen meine Brust zu hämmern. Noch bevor ich etwas sagen konnte, hatte Beth mir bereits ein Glas Wasser in die Hand gedrückt. Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu und trank es in einem Zug leer. Erst dann blickte ich auf.
    „Dann glauben sie, ich sei Ligquise?“
    „Sie glauben es nicht“, erwiderte Mick ernst. „Sie wissen es. Sie wollen dich in den Krieg gegen Darquise schicken, damit du ihnen das Leben rettest.“
    „Aber sie sagten, ich solle nur Skulduggery unterstützen, damit…“ Ich verstummte. Eine schreckliche Vorahnung beschlich mich. Mit zitterndem Körper sah ich Mick und Josef an. Es kostete mich meine ganze Kraft, diese entscheidende Frage zustellen.
    „Er weiß davon, nicht? Er weiß, dass ich Ligquise bin.“
    „Ja, er weiß es. Er wusste es vermutlich sogar früher als alle anderen. Und er weiß auch, dass Walküre Unruh Darquise ist. Ebenso, wie es die Sanktuarium auf der ganzen Welt wissen und es dennoch nicht offen aussprechen. Einfach der dummen Hoffnung halber, es sei weniger real, wenn es niemand offen ausspricht.“ Josef stieß ein hämisches Lachen aus.
    Ich hingegen war wie betäubt. Nur langsam und zäh erreichte mich die Erkenntnis. Die Wahrheit. Skulduggery hatte mich belogen, mich angeschwiegen und mich einfach nur ausgenutzt. Man hatte die ganze Zeit versucht, mich auf ihre Seite zuziehen und genau dafür hatte man Skulduggery benutzt. Deshalb der Kuss. Deshalb all seine schnulzigen Bekenntnisse…
    Und ich hatte geglaubt, er empfinde tatsächlich etwas für mich. Wie blind war ich bloß gewesen? Es hatte nie in seinem Interesse gelegen, meine Liebe zu erwidern; stattdessen hatte er mir Gefühle vorgegaukelt, mir seine aufrichtigen Entschuldigungen aufgesagt und so getan, als läge ihm alles an meinem Wohl. Seine Aufgabe war es gewesen, mich dazu zubringen, gegen Darquise zu kämpfen, um all den Zauberern den Arsch zu retten.
    Ich hatte ihm vertraut. Und war wieder verraten worden.
    Ich sprang auf, wobei das Wasserglas zu Boden fiel und in Scherben zersplitterte. Beth starrte mich erschrocken an, doch ich rannte an ihr vorbei ins Schlafzimmer. Ich warf die Tür hinter mir ins Schloss. Ich sank zu Boden und erst jetzt, wo ich alleine war, begann ich zu weinen.

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • Immer noch kein Kommi... *seufz*


    Ein Herz – kann man das reparieren?


    Ich blieb die gesamte Zeit in dem Schlafzimmer und verließ es nicht einmal, um auf Toilette zugehen. Beth brachte mir etwas zu essen, flehte mich durch die geschlossene Tür an, zu essen und zu trinken. Doch ich weigerte mich, antwortete nicht auf ihre Stimme und blieb dort, wo ich war. In meiner ganz persönlichen Hölle.
    Hunger und Durst verspürte ich nicht, nicht mal den Drang, mich mit jemandem zu streiten. Das gänzlich Präsente war der tiefe Schmerz in mir. Ich war weder wütend noch frustriert, nur unermesslich traurig. Zwar wusste ich, dass Skulduggery mich nur benutzt hatte, dennoch wünschte sich der naive Teil in mir, dass alles nur ein böser Traum war oder eine Lüge. Ich wollte darüber stehen. Aber jedes Mal, wenn ich versuchte, mich aufzuraffen, stiegen erneut Tränen in mir hoch.
    Wie viele Tage vergingen oder ob es sich vielleicht doch schon um Wochen handelte, wusste ich nicht. Das Tageslicht hatte ich ausgesperrt, die Fenster mit den Vorhängen bedeckt. Zwar lief die Zeit weiter, alles ging seinen gewohnten Gang, doch hier, in diesem Vakuum von Trauer und Verlust, herrschte das Gefühl, die Zeit sei stehen geblieben.
    Irgendwann hörte ich, wie ein Schlüssel im Schloss herum gedreht wurde. Mit einem leisen Knarren öffnete sich die Tür, doch ich hob nicht den Kopf. Teilnahmslos blieb ich auf dem Bett liegen, das Gesicht in die Kissen vergraben. Der Bezug war bereits klitschnass von meinen Tränen. Eine Weile blieb es still. Dann näherten sich Schritte und Sekunden darauf spürte ich, wie mir eine warme Hand vorsichtig übers Haar strich.
    Ich rührte mich nicht, selbst, als die Hand zu meiner Schulter wanderte. Ich roch selbst durch den Stoff Beths Parfüm, blumig und erfrischend. „Armes Kleines“, flüsterte Beth und streichelte mich. Doch ich gab keine Antwort, denn ich hatte Mühe, die Tränen erneut zu unterdrücken.
    „Kitty?“
    Ich schniefte. „Was?“ Es war das erste Wort seit Tagen. Beth schwieg einen Moment, dann fragte sie zögernd: „Liebst du… Skulduggery?“
    Diese Frage war das Ausschlaggebende. Ich begann zu weinen, noch verzweifelter, noch verlassener als all die Tage zuvor. Die Tränen liefen wie Sturzbäche. Ich wollte aufhören, aber es ging nicht; es war, als wolle die Traurigkeit endlich aus mir hinaus.
    Beth schien geschockt, doch nur für einen Moment. Dann nahm sie mich in ihre Arme. Weinend schmiegte ich mich an ihre Brust, lauschte auf ihren regelmäßigen Herzschlag und spürte, wie ihre Bluse langsam durchgeweicht wurde. Sie achtete nicht darauf.
    „Pscht…“, wisperte sie und wiegte mich wie ein Kind. „Ich bin hier, ich lass dich nicht allein damit… Pscht… es geht vorbei…“
    Ich schwieg, was sie scheinbar als Zustimmung hielt.
    In Wahrheit wollte ich gar nicht, dass irgendetwas vorbei ging. Denn das würde bedeuten, dass ich die Erinnerungen an Skulduggery verlor. Und sie waren das Letzte, was mir von ihm geblieben war.


    Leise schloss Beth die Tür hinter sich.
    Sie hatte den Abend an Kittys Bett zugebracht, hatte sie weinen lassen und hatte sie, soweit es ihr möglich gewesen war, getröstet. Sie kannte sich mit Liebeskummer aus, mit dem Gefühl des Verlustes, der unweigerlich damit auftrat. Sie hatte es vor Jahren selbst erlebt; damals, als ihr Verlobter getötet worden war und sie ihm zusehen musste, wie er seinen letzten Atemzug tat. Noch heute erinnerte sie sich daran.
    Der feine, alles in den Schatten stellende Schmerz, die tiefe Hoffnungslosigkeit und auch die Angst, was morgen geschehen würde – Beth hatte zwei Tage in ihrer Wohnung zugebracht.
    Im Gegensatz zu Beth hingegen hatte Kitty jedoch niemanden, der sie wieder aufbauen konnte. Beth hatte damals Mick gehabt, seine Liebe hatte ihr die Kraft zum Weitermachen gegeben. Kitty würde von selbst auf die Beine kommen müssen.
    „Beth?“ Micks sanfte Stimme schreckte die Blonde aus ihren Gedanken. Lächelnd ging sie auf ihn zu. Er saß auf dem Sofa und sah ihr entgegen. In seinen Augen lag ein Strahlen, dass wie das Sternenlicht schien. Er streckte die Arme nach ihr aus, während sie sich an ihn kuschelte.
    „Wie geht es ihr?“
    Beth seufzte. „Schlecht, Mick. Sie weint und trauert, weigert sich zu essen oder gar aufzustehen. Manchmal liegt sie da wie tot, dann wieder schreit und tobt sie.“ Sie blickte zu ihrem Freund auf. „Ich habe das Gefühl, als würde sie es nicht überstehen.“
    Mich runzelte die Stirn, während er begann, Beths Nacken zu kraulen.
    „So schlimm?“, hakte er nach. Beth nickte deprimiert. Der Vampir wirkte bestürzt und ehrlich betroffen. Zwar tat er so, als interessiere ihn das Mädchen nicht, doch in Wahrheit machte er sich genauso viele Sorgen um sie wie Beth.
    „Meinst du…“, Beth zögerte. „Meinst du, es wäre vielleicht nicht doch das Beste, ihn zu informieren? Kitty leidet“, fügte sie eilig hinzu, als Micks Gesicht sich verfinsterte. „Wenn das so weitergeht, wird sie ein leichtes Opfer für Darquise.“
    „Dir geht es nicht um Darquise, Beth. Dir geht es allein um das Mädchen.“
    „Ist das denn so falsch? Du siehst es nicht, aber ich sehe ihre Tränen, ihre Verzweiflung und den Schmerz.“
    „Sie war nur seine Partnerin!“
    Beth schnaubte. „Glaubst du? In Wahrheit, Mick, liebt sie ihn. Die beiden verbindet ein Gefühl, wie es tiefer nicht sein kann. Die Liebe ist so ein Gefühl.“
    Mick schwieg. Er hatte es bereits vermutet, denn während all seiner Beobachtungen hatte er gesehen, wie vertraut die beiden Zauberer miteinander umgegangen waren und auch die sehnsüchtigen Blicke von Kittys Seite waren ihm nicht entgangen.
    Und er erinnerte sich auch an Skulduggerys Schmerz, als er ihm von Kitty erzählt hatte. Damals. An dem regnerischen Tag vor dem Sanktuarium.
    Ich wollte sie beschützen. Ich wollte, dass sie fern ab von all dem Tod und dem Schmerz aufwächst und nie das erleben muss, was ich erlebt habe und weiterhin erlebe. Sie sollte ein normales Leben haben.
    Diese Sehsucht. Dieser Schmerz. Diese Angst.
    Mick hatte sie in allen von Skulduggerys Worten gelesen, hatte sie in seiner Stimme gehört und gewusst, was dies bedeutete. Er hatte niemandem davon erzählt, nicht einmal Beth. Es war ihm zu irreal erschien, unmöglich – er glaubte, sich getäuscht zu haben.
    Nun jedoch schien es ihm wie Kittys Rettung.
    Er ließ Beth los, ging in die Küche und griff nach seinem Handy. Für einen Moment zögerte er, dann jedoch wählte er die Nummer, die er niemals hatte wählen wollen.


    Skulduggery saß in dem Atelier von Grässlich Schneider. Neben ihm auf den Boden lagen seine Sonnenbrille sowie sein Mantel, unachtsam zusammen geknüllt. Vor ihm auf dem niedrigen Wohnzimmertisch stand eine dampfende Tasse Tee, die der Detektiv jedoch nicht anrührte. Stattdessen beobachtete er Grässlich dabei, wie er an einem Stück Stoff nähte, das entfernt an einen Mantel erinnerte.
    Besorgt schaute sein Freund immer wieder von seiner Arbeit hoch. Skulduggery hatte seine Fassade erstmal aufgehoben, schließlich sah ihn hier niemand. Demnach konnte man keine Regung auf seinem Totenschädel lesen, doch Grässlich kannte ihn zu gut. Er brauchte kein Gesicht.
    „Es geht ihr bestimmt gut, Skulduggery.“
    Das Skelett blickte auf. Seine linke Hand spielte mit seinem breitkrempigen Hut, was Grässlich nervös machte. Er antwortete jedoch nicht.
    „Es geht ihr gut“, versuchte Grässlich es erneut und diesmal drang er bis zu seinem Freund durch. Skulduggery schnaubte. „Woher weißt du, dass ich mir Sorgen mache? Und woher willst du wissen, dass es Kitty gut geht?“
    „Zum Ersten, weil ich dich nun schon eine lange Zeit kenne und daher in dir lesen kann wie in einem offenen Buch. Zum Zweiten kann ich nur sagen, dass ich es im Gefühl habe.“
    „Im Gefühl. Großartig“, murmelte Skulduggery grimmig. „Sie wurde entführt, Grässlich. Entführt.“
    „Das sagst du nun schon bereits zum zehnten Mal. In einer Viertelstunde, angemerkt. Ich sehe zwar nicht so aus, bin aber durchaus in der Lage, deine Sprache zu verstehen.“ Er lachte, doch Skulduggery tat es nicht. Grässlich zuckte mit den Achseln und wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Wenn er nicht über den Witz lachen konnte, sollte er ruhig weiterhin Trübsal blasen.
    Ein Handy klingelte. Eilig kramte Skulduggery in seiner Manteltasche, bis er das piepsende Ding endlich geborgen hatte. Aufgeregt nahm er den Anruf entgegen. „Hallo?“ Vor lauter Aufregung hatte er seine Fassade aktiviert.
    Sein Gesicht verfinsterte sich, wurde dann jedoch von reiner Erleichterung abgelöst. Er stieß die Luft aus. „Ich danke dir, ich komm sofort und….“ Er verstummte. Und sagte eine lange Zeit nichts.
    Grässlich blickte auf. Skulduggery sagte nichts mehr, dann jedoch sprach er wieder. Seine Stimme klang angespannt, besorgt und gleichseitig so, als würde er dem Anrufer am liebsten den Hals umdrehen. „Wir sind in fünf Minuten da“, sagte er. „Ich bring dich um, wenn sie irgendwie anders ist.“
    Er legte auf. Dann schlüpfte er in seinen Mantel, griff nach Hut und Sonnenbrille und stiefelte Richtung Ausgang. Grässlich sprang auf und versperrte ihm den Weg.
    Skulduggery sah ihn nur an.
    „Kitty.“ Seine Stimme war vollkommen ausdruckslos. „Mick und Josef haben sie, in einem Hotel abseits von Dublin. Mick hat mich gerade angerufen.“
    „Aber… warum sollten sie dich… sie brauchen sie…“, Grässlich war sichtlich verwirrt. Skulduggery unterbrach ihn.
    „Sie haben Kitty alles erzählt.“
    Grässlich schluckte. „Alles?“
    „Alles“, bestätigte das Skelett. Er wandte sich zum Gehen. „Sie glaubt, ich habe sie verraten. Sie ist, laut Mick, vollkommen durch den Wind. Er hat Angst, sie könne sich etwas antun.“
    Mit diesen Worten lief er zum Bentley. Grässlich schnappte sich seinen Mantel, dann stieg er an der Beifahrerseite ein. Sie fuhren mit Vollgas los.


    Ich hörte, wie es an der Tür klingelte, dennoch interessierte es mich nicht. Vermutlich bloß der Pizzaservice. Schritte erklangen, verstummten jedoch wieder. Ich spitze unwillkürlich die Ohren, ob ich Beths Stimme hörte, aber die Eingangstür befand sich zu weit entfernt.
    Außerdem hatte ich mir geschworen, mich ruhig zu verhalten, so lange, bis Beth oder Mick mich aus dem Zimmer werfen würden. Es war jetzt wenige Stunden her, dass ich mich von meinem Anfall wieder beruhigt hatte. Ich schämte mich. Normalerweise hatte ich meine Gefühle besser unter Kontrolle, aber mir war es so dreckig gegangen…
    Mittlerweile ging es mir besser. Wesentlich besser. Redete ich mir jedenfalls ein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es ganz gut geklappt, aber nun, wo ich unwillkürlich wieder an Skulduggery denken musste, tat es wieder weh.
    Auf der Suche nach Ablenkung blickte ich mich im Zimmer um. Auf dem Holztisch beim Fenster stand ein Laptop. Ich kniete mich vor ihn, startete ihn und klickte auf den Internetbutton. Die Startseite, Google, erschien und ich spielte nachdenklich die Auswahlmöglichkeiten durch. Schließlich entschied ich mich und rief Youtube auf.
    Auf Grund von mangelnden Ideen klickte ich mich durch das Angebot von Musikvideos. Bis ich schließlich bei einem deutschen Titel hängen blieb.
    „Ein Herz kann man nicht reparieren“. Der Song stammte von Udo Lindenberg, ein deutscher und sehr erfolgreicher Musiker, den ich vom Hörensagen kannte. Der Titel passte zu meiner momentanen Situation, also klickte ich ihn an.
    „Hör mir jetzt mal zu, du lässt mich jetzt in Ruh`. Und ruf mich nie mehr an. Ich hab keine Zeit, nicht gestern und nicht heut`, nicht morgen und nicht irgendwann…“, begann der Sänger zu singen, mit seiner angenehm rauchigen Stimme. Ich legte mich aufs Bett, rollte mich auf den Bauch und stützte meinen Kopf auf meinen verschränkten Armen ab. Ich lauschte, versuchte, alles um mich herum zu vergessen. Ich hörte einfach nur dem Lied zu.
    „Mach dir endlich klar – es ist nicht mehr, es war“, stieg eine weiche Frauenstimme ein. Mein Herz saugte diesen Text dankbar aus; die beiden Musiker schienen mir direkt aus der Seele zusprechen. „Du musst es kapier`n, eins wird nicht passier`n: Mich kriegst du nicht zurück. Zieh doch einfach los, das Angebot ist groß und greif dir ne` neues Glück. Jeglichen Verkehr will ich mit dir nicht mehr.“
    Und dann kam der Refrain.
    „Ein Herz kann man nicht reparieren; ist es einmal entzwei, dann ist alles vorbei. Ein Herz kann man nicht reparieren; wenn jemand weiß wie das geht, ist es meistens zu spät. Ein Herz kann man nicht reparieren; da hilft keine Kur, da helfen Tränen nur. Ein Herz kann man nicht reparieren; alles bleibt leer und auch der Arzt hilft nicht mehr…“
    Wenn ich es auch zuvor schon geahnt hatte, wusste ich es jetzt mit Klarheit: Dies war mein Lied. Es sagte mir: “Hey, warum trauerst du eigentlich? Es ist so, wie es ist. Mach eben das Beste draus.“
    Und ich hatte genau das vor. Ich würde ein neues Leben anfangen, weit weg von Dublin und dem irischen Sanktuarium. Weit weg von Skulduggery. Weit weg von meiner Vergangenheit.
    Die Idioten wollten, dass ich in den Krieg zog? Nun gut, ich würde es nicht tun. Sollten sie sich doch jemand anderen suchen, der ihnen ihre Ärsche rettete. Ich würde es nicht machen.
    Es klopfte an meiner Tür. Ohne meine Antwort abzuwarten, ging sie auf. Das Licht blendete mich, so dass ich blinzelnd einige Sekunden lang nicht mehr sah.
    Doch als sich meine Augen daran gewöhnt hatten, erschrak ich zutiefst. Mein Herz begann wie wild zu pochen. Ich starrte die Gestalt in dem Türrahmen an.
    „Skul- Skulduggery?!“


    Er war es.
    Stumm blickte er mich an, seine Fassade war aktiv. Ich war fassungslos, denn niemals hätte ich mit ihm gerechnet. Wie hatte er mich gefunden?
    Er verhaarte auf der Schwelle, blickte mich nur an. Ich bemühte mich, ihn nicht allzu erfreut anzusehen. Wo, verdammt noch mal, blieb meine Wut? Warum nur freute mein Herz sich, ihn wiederzusehen?
    „Kitty“, flüsterte er und trat einige Schritte in das dunkle Zimmer. Die Tür schloss er hinter sich. Trotz der unerwarteten Dunkelheit konnte ich ihn ganz genau sehen, er ebenso. „Kitty…“ Ich musste schlucken.
    Und dann war da etwas. Nicht die Freude, sondern tiefe Gleichgültigkeit. Ich empfing sie freudig, begrüßte sie wie einen alten Freund und lud sie herzlich ein, noch ein Weilchen zu bleiben.
    Stumm blickte ich ihm entgegen. Mein Blick sprach Bände.
    Die Stimme der Sängerin ertönte wieder; ich hatte sie ganz vergessen. Und es war, als vermischten sich Lied und Realität.
    Er verhaarte. Dann ging er, direkt zu meinen Füßen, auf die Knie. Ich war erstaunt, behielt mein Pokerface jedoch bei.
    „Du kniest dich vor mich hin, das hat doch keinen Sinn.“
    Wir blickten uns in die Augen.
    „Mich kriegst du nicht mehr rum.“
    Skulduggery griff nach seinem Hut und legte ihn neben sich auf den Fußboden. Sein schwarzer, eleganter Mantel folgte.
    „Zieh dich wieder an, ich lass dich nicht mehr ran…“
    „Warum?“, fragte Skulduggery leise. Ich sah ihn nur stumm an, ein kleines Lächeln spielte um meine Lippen. Es war traurig.
    „… und frag nicht immer wieder warum.“
    Wir sahen uns in die Augen, und ich spürte, wie die Traurigkeit wieder von mir Besitz ergriff. Ich versuchte, sie zu verdrängen, aber es klappte nur halb. Als ich seinem verzweifelten Blick begegnete, fuhr mir ein leiser Stich durchs Herz. Es tat ungemein weh.
    „Wenn ich dich so seh`… aua, dass tut weh.“
    „Du willst die Antwort wissen, Skulduggery?“ Es war das erste Mal, dass ich mit ihm sprach, seit er diesen Raum betreten hatte. „Du weißt es doch.“
    „Ein Herz kann man nicht reparieren; ist es einmal entzwei, dann ist alles vorbei. Ein Herz kann man nicht reparieren; wenn jemand weiß wie das geht, ist es meistens zu spät. Ein Herz kann man nicht reparieren; da hilft keine Kur, da helfen Tränen nur. Ein Herz kann man nicht reparieren; alles bleibt leer und auch der Arzt hilft nicht mehr…“
    Jetzt richtete er sich wieder auf, blieb jedoch auf Augenhöhe mit mir. Seine grünen Augen fesselten mich, als wollten sie mir beweisen, dass es sich lohnt, sie weiter anzublicken.
    „Das ist nicht wahr“, widersprach er mir leise, aber heftig. „Es gibt immer eine Möglichkeit.“
    Ich konnte nicht anders; ich musste spöttisch lachen.
    „Unverbesserlicher Optimist. Aber sag mir: Wie willst du ein Herz reparieren?“
    „Doch irgendwann wird sie vor mir stehen: Die Frau mit der Zaubermedizin. Und sie sagt: Kleiner Ede, lass mich mal sehn. Ich glaub, dass kriegen wir wieder hin.“
    Er lächelte.
    „Ein Herz, dass kann man reparieren; geht’s mal entzwei, ist es längst nicht vorbei. Ein Herz, dass kann man reparieren; ich weiß wie das geht, es ist niemals zu spät. Ein Herz, dass kann man reparieren; ich kenn da ne` Kur, da hilft Küssen nur. Ein Herz, dass kann man reparieren; ist doch gar nicht schwer und ne` Arzt brauchen wir nicht mehr!“


    Das Lied war zu Ende.
    Und ich hatte mittlerweile Zweifel an dem, was ich mir eigentlich so fest vorgenommen hatte. War es tatsächlich das Richtige?

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • Bis zum Ende



    Skulduggery und ich blickten uns schweigend an. Aus der Wohnung tönten die lachenden Stimmen von Beth und Mick, gleich darauf ein genervtes Brüllen, vermutlich Josef. Etwas klirrte. Die Geräusche schienen seltsam hohl, drangen nicht wirklich bis zu mir durch. Es war, als würde die Wirklichkeit draußen vor der Tür warten, um mich in dem Glauben zu lassen, diese Situation sei nur meiner Fantasie entsprungen.
    Ein leises Pipen riss mich aus meiner Starre. Der Laptop hatte sich in den Standbymodus verabschiedet. Ich sah, wie Skulduggery sich aufrichtete und zu ihm hinüber schlenderte. Er betrachtete meinen Verlauf.
    „Seltsamen Musikgeschmack hast du“, meinte er. Ich war verwirrt. Waren wir nicht gerade noch bei gebrochenen Herzen gewesen; und jetzt wurde das Thema urplötzlich zu meinem Musikgeschmack gewechselt? Ich hatte zwar schon immer gewusst, dass Skulduggery seltsam war, aber so seltsam nun auch wieder nicht.
    Dennoch versuchte ich nicht, ihn wieder aufs alte Thema zurückzulenken.
    „Was ist daran seltsam?“, fragte ich, immer noch leicht angesäuert. Obwohl er mit dem Rücken zu mir stand, hörte ich das Lächeln aus seinem Tonfall.
    „Hören Frauen nicht eigentlich kitschige Liebeslieder oder dergleichen?“
    „Mir war grad nicht nach kitschigen Liebesliedern.“ Er zuckte leicht zusammen. „Dafür ist meine momentane Stimmung nicht geeignet.“
    Er drehte sich zu mir um; seine Augen leuchteten. „Darf ich dir einmal mein Lieblingslied vorspielen?“
    „Wovon handelt es?“, ich blickte ihn, ohne mit der Wimper zu zucken, an. Es fiel mir seltsam leicht. „Von dem erneuten Verrat an der besten Freundin?“
    Diesmal zuckte er nicht zusammen, sondern seufzte nur. „Darf ich?“, wiederholte er. Ich nickte nach kurzem Zögern.
    Er bewegte die Maus, tippte eine Weile auf der Tastatur herum und klickte dann ein Video an. Obwohl ich den Hals reckte, um einen kurzen Blick auf den Titel erhaschen zu können, sagte mir dieser nichts. Ich kannte weder den Titel, noch den Interpret.
    Eine sanfte, verführerische Männerstimme erklang. Sie vermischte sich mit dem leisen Klavier und bescherte mir eine Gänsehaut. Obwohl sich alles in mir sträubte, dieser Gehirnwäsche Aufmerksamkeit zu schenken, lauschte ich unwillkürlich auf den Text. Und zog scharf die Luft ein.


    When I am gone I hope that you’ll stay
    Keep me close in memory
    You can move on
    With your promise of new
    I’ll be right here waiting for you


    Ich starrte Skulduggery an, der, völlig unbeweglich, am Laptop verhaarte. „Wie… warum…“, stotterte ich. Er sah mich nur an, dann lächelte er.
    „Wenn ich gehe, hoffe ich, du wirst bleiben. Wirst mich in deinen Erinnerungen bewahren. Du wirst weitergehen, mit deinem Versprechen von neuem und ich werde genau hier auf dich warten.“
    Für einen Moment verstand ich nicht, was er da tat, doch dann begriff ich, dass er den Text übersetzte.


    Don’t forget me
    My love
    I won’t forget you
    My love
    My love


    “Vergiss mich nicht, meine Liebe. Ich werde dich nicht vergessen, meine Liebe. Meine Liebe…“,sprach Skulduggery weiter, mit eben diesem sehnsüchtigen Tonfall, der mein Herz zum Weiterschlagen antrieb. Ich spürte, wie meine Augen sich mit Tränen füllten. Wie lange noch würde ich sie zurückhalten können?


    To the end of the world
    And back
    Until the end of time
    No one can stop me
    If they tried
    The darkest days
    The darkest nights
    I won’t stop until the
    Day I died
    Until the end of the world
    My love
    To the end of time…


    Ich wollte meine Augen schließen; ich wollte nicht länger in Skulduggerys Gesicht blicken müssen. Ich wollte nicht hören, wie mein mühsam geflicktes Herz erneut zerbrach.
    Ich wollte nicht wieder lieben.
    Doch Skulduggery stand auf. Er ging zu mir, kniete sich vor mich und sah mich an. Ich schlug meine Hände vors Gesicht. Doch hören tat ich seine Samtstimme dennoch.
    „Bis zum Ende der Welt und zurück; bis zum Ende der Zeit, kann niemand mich aufhalten, sollten sie es versuchen. Die dunkelsten Tage, die dunkelsten Nächte – ich werde nicht stoppen, bis zu dem Tag, an dem ich sterben werde. Bis zum Ende der Welt, meine Liebe. Bis zum Ende der Zeit…“
    „Hör auf“, wisperte ich kaum hörbar. Ich wollte auf ihn einschlagen, auf seinen Mund, aus dem diese verlogenen Worte von Liebe und Unsterblichkeit drangen. Er sollte für immer aus meinem Leben verschwinden.
    Mein Herz sagte jedoch etwas Anderes.


    Eternity is so beautiful cold
    I wonder if angels ever feel old
    I’m lost in your eyes
    I’m stranded at sea
    You know you’re everything to me


    Jetzt weinte ich doch. Ich fühlte die Tränen, noch bevor sie meine Wangen hinunterliefen und in meinen Schoß tropften. Ich weinte lautlos, ohne jedes Geräusch.
    Dann spürte ich, wie Skulduggerys warme Hände nach meinen griffen und sie sanft, aber entschlossen umfassten. Ich sträubte mich, doch er zog sie von meinem Gesicht.
    „Unsterblichkeit ist so wunderschön kühl. Ich frage mich, ob Engel sich jemals alt fühlen. Ich verliere mich in deinen Augen“, er strich mir zärtlich über die Wange. „Ich bin gestrandet am Meer.“ Jetzt blickte er mir fest in die Augen.
    „Du weißt, dass du alles für mich bist.“


    To the end of the world
    And back
    Until the end of time
    No one can stop me
    If they tried
    The darkest days
    The darkest nights
    I won’t stop until the
    Day I died
    Until the end of the world
    My love
    To the end of time…

    „Bis zum Ende der Welt und zurück; bis zum Ende der Zeit, kann niemand mich aufhalten, sollten sie es versuchen. Die dunkelsten Tage, die dunkelsten Nächte – ich werde nicht stoppen, bis zu dem Tag, an dem ich sterben werde. Bis zum Ende der Welt, meine Liebe. Bis zum Ende der Zeit…“
    Mir fehlten die Worte. Ich war fassungslos; fassungslos verblüfft und fassungslos verwirrt. Meinte er seine Worte tatsächlich so, wie er sie gerade eben ausgedrückt hatte? Und… waren diese Worte tatsächlich an mich gerichtet?
    Er hob meine zitternden Hände an seine Lippen und berührte sie; es fühlte sich an, als würde eine Feder meine Haut streifen. Nur unendlich schöner…


    Don’t be afraid when
    Everything fades to gray
    No, don’t be afraid
    I need all you’re love
    I need all of your pain…


    “Hab keine Angst, wenn alles zu grau verschwimmt. Nein, hab keine Angst. Ich brauche all deine Liebe – ich brauche all deinen Schmerz…“
    Ich schluckte.
    Er hatte das Wort gesagt. Das Wort, welches nun schon seit unserem Wiedersehen in mir schlief und nur darauf wartete, dass er es endlich aussprach. Jetzt erwachte es, reckte sich – und verlor sich, ebenso wie ich, in diesen grünen Seelenspiegeln.
    Zum ersten Mal in meinem Leben erkannte ich, wer Skulduggery war. Ich entdeckte Schmerz, Angst, Sehnsucht. Und ich glaubte, auch die Liebe zu erkennen.


    Don’t forget me
    My love
    I won’t forget you
    My love
    My love


    To the end of the world
    And back
    Until the end of time
    No one can stop me
    If they tried
    The darkest days
    The darkest nights
    I won’t stop until the
    Day I died
    Until the end of the world
    My love
    To the end of time…


    Das Lied ging langsam dem Ende zu. Ich spürte, wie Skulduggery sich zurückziehen wollte, doch ich umfasste seine Hände fester. Er sah mich erstaunt an.
    Die Tränen tropften auf unsere ineinander verschränkten Hände.
    „Ich wollte dich nicht belügen, Kitty“, meinte er.
    „Warum hast du es dann getan?“, wisperte ich. Meine Stimme kippte an manchen Stellen, war jedoch erstaunlich sicher. „Warum hast du mir nicht einfach die Wahrheit gesagt?“
    Er holte tief Luft. Dann erst sprach er, sah mich dabei jedoch nicht an. Er wich meinem Blick kontinuierlich aus.
    „Zuerst dachte ich, dass ich mich getäuscht habe. Jede Vision entspricht nicht unbedingt der Realität, dem, was wirklich eintreten wird. Ich redete mir erfolgreich ein, dass die Sensitiven sich täuschen mussten und sagte dies auch dem Sanktuarium. Die hingegen glaubten nicht an einen Irrtum; sie beschlossen, dich nach Irland zu holen.
    Gleichzeitig begriff ich, dass Walküre tatsächlich Darquise war. Und als ich dich dann sah, damals, im Sanktuarium, ängstlich und dennoch selbstbewusst wie früher…“
    Er stockte.
    „Ja?“, hakte ich beinah atemlos nach. Mein Herz hämmerte wie verrückt, meine Atmung beschleunigte sich auf ein Vielfaches.
    „Ich hatte… Angst um dich“, Skulduggery blickte mir in die Augen. Es lag Schmerz darin. Und Angst. „Ich befürchtete, dich in etwas hineingezogen zu haben, was du womöglich mit deinem Tod bezahlen würden müsstest. Ich glaubte, dich nicht mehr rechtzeitig rausholen zu können, wenn du erstmal in Darquises Blickfeld geraten würdest.“
    Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er in diesem Moment ebenfalls angefangen zu weinen. Ich bedrängte ihn nicht, ließ ihm Zeit.
    „Ich versuchte, dich aus der Gefahr rauszuhalten, indem ich dir nichts von der Rolle erzählte, die man dir zugewiesen hatte. Ich glaubte, damit alles richtig zumachen.“
    „Skulduggery…“, flüsterte ich, doch er unterbrach mich sofort.
    „Verdammt, ich wollte dich doch bloß beschützen!“
    „Aber ich bin kein kleines Mädchen mehr, Skul. Ich bin erwachsen, muss jetzt für mich selbst einstehen. Du bist nicht länger mein Lehrer.“
    „Darum geht es nicht“, flüsterte er. Er sah mich mit diesem merkwürdigen Ausdruck im Gesicht an, seine Augen schimmerten und ich ahnte, dass etwas denkbar Unglaubliches auf mich zukam.
    Ich drückte seine Hände. „Worum geht es dann?“ Ich hielt ihn mit meinem Blick fest. „Skulduggery?“
    Er schwieg. Eine ganze Weile lang.
    „Weißt du noch, in meiner Wohnung?“, begann er schließlich. „Wo ich meinte, ich sei dabei, etwas zu entdecken, was dich und mich betrifft?“
    Ich nickte, sichtlich verwirrt und beunruhigt.
    „Nun, ich weiß es jetzt. Kitty, ich… ich empfinde etwas für dich. Seit du damals gingst, spürte ich immer zu dieses Gefühl von Verlust. Du warst mein letztes Familienmitglied, ich dachte, es müsse daran liegen. Doch dann, als ich die erste Vision sah, da wusste ich, es hatte nichts damit zutun. Ich empfinde nicht wie ein Vater für seine Tochter. Ich will nicht meine Schülerin beschützen.“ Er lächelte. „Ich liebe dich, wie nur ein Mann seine Frau lieben kann und ich beschütze dich, weil ich lieber sterben würde als dich zu verlieren.“
    Ich war erschüttert. Doch er ließ mich nicht zu Wort kommen.
    „Ich weiß – was bin ich schon? Ein lebendes Skelett, das zufälligerweise noch ein mordender Psychopath ist. Ich besitze kein Herz, kein Gesicht, keine Augen und dennoch liebe ich dich. Ich kann dir nichts bieten. Es tut mir Leid.“
    Er senkte den Kopf.
    Ich zögerte keine Sekunde, sondern löste meine Hände aus seinem Griff und hob sie an sein Gesicht. Als ich mit den Fingerspitzen sacht seine Stirn berührte, blickte er erstaunt auf. Er wollte etwas sagen, doch ich legte ihm lediglich einen Finger auf die Lippen. Unendlich sanft strich ich über seine Wangen, über seine Augenlider und über seine weichen Lippen. Dabei wendete ich kein einziges Mal den Blick von ihm. Ich entdeckte ihn neu, jedes einzelne Detail, auf welches meine suchenden Hände stießen, prägte ich mir ein.
    Dann glitten meine Finger zu seinem Hals. Ich verharrte, kurz vor seinem Schlüsselbein. Ich sah es in seinen Augen flackern, sah, wie er schon seine Hände erhoben hatte, um mich davon abzuhalten. Aber dann ließ er sie wieder sinken. Ein Lächeln umspielte meine Lippen.
    „Das hier“, ich strich mit meiner linken Hand durch sein lockiges Haar. „ist vielleicht das Gesicht, was ich kenne. Es ist menschlich, aus Fleisch und Blut, überzogen von weicher Haut. Ich habe es seit Jahren nicht mehr gesehen, und, ja, früher hat es auf mich wie ein Magnet gewirkt. Aber das ist Vergangenheit“, fügte ich hinzu.
    Er runzelte die Stirn. Mein Lächeln vertiefe sich, als meine Finger auf die Symbole an seinem Schlüsselbein zum Erliegen kamen. Sacht übte ich leichten Druck aus. Die Haut zog sich zurück, wurde von den Symbolen eingezogen und ich blickte auf weiße Knochen. Skulduggery wollte sich abwenden, als schämte er sich für das, was er war. Ich legte meine Hände sacht um sein Gesicht, um ihn daran zu hindern. Kein Anblick war schöner.
    „Skulduggery, das hier, das ist dein einzig wahres Ich. Vielleicht kein besonders attraktives, keines, bei dem junge Frauen reihenweise auf die Knie fallen. Aber es geht nicht um das, was äußerlich sichtbar ist – sondern um das, was sich den Blicken entzieht.“
    „Du sprichst von innerer Schönheit.“ Er klang tatsächlich beschämt und schüttelte leicht den Kopf. „Wie weise. Aber hier geht es nicht um Narben oder eine schiefe Nase. Ich bin ein Skelett, Kitty.“
    „Na und? Ich sage dir jetzt etwas, was dir anscheinend noch nicht bewusst ist: Wenn mich dein Anblick so verstören würde, wäre ich längst nicht mehr hier. Wenn ich mich vor dir ekeln oder gar ängstigen würde, hätte ich Mick gebeten, dich rauszuwerfen. Aber das habe ich nicht. Und weißt du, warum?“ Ich holte tief Luft. Jetzt kam es darauf an, aber was sollte jetzt noch schief laufen? Dies hier war der Augenblick, auf den ich seit Jahren wartete.
    „Weil du das Wichtigste in meinem Leben bist, Skulduggery. Weil ich ohne dich nicht lebe, wie ich es all die Jahre ohne dich tat. Es ist mir egal, ob du ein Skelett bist oder ein Mensch; du bleibst immer noch mein Lehrer, mein Lebensretter und mein bester Freund. Du bist witzig, charmant, öfters mal durchgeknallt und zu allem bereit. Manchmal bist du anders, dann erkenne ich dich kaum wieder, aber du bleibst doch immer du.“
    Meine Hand wanderte in seinen Nacken. Liebevoll streichelte ich die kühlen Knochen dort. Ich spürte, wie er erschauderte.
    „Dann… dann macht es dir nichts aus?“ Seine Stimme klang ängstlich, als befürchtete er, ich könne ihn womöglich doch noch abweisen.
    „Skulduggery, Skulduggery“, ich musste leise lachen. „Ich finde, diese, echte Gestalt passt beinah besser zu dir als die Fassade. Sie zeigt dich.“ Ich blickte ihn an. „Und ist es nicht das, worauf es ankommt?“
    Wir sahen uns an.
    Plötzlich, ich weiß nicht, was mich dazu trieb, beugte ich mich langsam und bedächtig vor. Ich rutschte vom Bett, so dass ich nun direkt vor ihm kniete. Meine Hände legte ich an seine knochige Brust, löste jedoch in keiner Sekunde den Blickkontakt zu ihm. Er beobachtete mich stumm. Dann senkte ich meinen Kopf zu ihm hinunter und legte sacht meine Stirn gegen seine. Die Kälte raubte mir für einen Augenblick den Atem, dann hatte ich mich daran gewöhnt. Ich atmete seinen Geruch tief ein; es war eine Mischung aus teurem Stoff, teuren Autos und dem unverwechselbaren Geruch von frisch gefallenem Schnee. Wie so etwas riecht?
    Rein und frisch. Unschuldig.
    Ich schloss meine Augen. Wie lange wir so dasaßen, wusste ich nicht. Irgendwann spürte ich, wie sich eine Hand um meine Hüfte legte und die andere nach meinem Kinn griff. Er hob es hoch, bis es auf einer Höhe mit seinem Gesicht war. Ich öffnete meine Augen wieder, wenn auch etwas widerwillig. Er bemerkte es und lachte; es war dieses mitreißende Lachen.
    Er berührte sein Schlüsselbein, sofort überzog sich sein Schädel mit Haut und diesen grünen Augen. Gott, er sah so verdammt gut aus. Ich war wie hypnotisiert.
    Demnach merkte ich erst, was er vorhatte, als es bereits passierte. Er legte, unendlich zärtlich, seine Lippen auf meine. Mir blieb fast die Luft weg. Dann entspannte ich mich und erwiderte seinen Kuss ebenso liebevoll. Ich spürte, wie sich seine Finger in meine Seite krallten und meine Hand sich in seine Haare. Es war unglaublich. Noch nie hatte ich dergleichen gefühlt, etwas so Wundervolles und gleichzeitig wusste ich, dass ich nach diesen Küssen süchtig werden würde.
    Wir lösten uns schließlich, reichlich zerzaust und ich recht atemlos. Das Lächeln auf meinen Lippen würde ich nie wieder ablegen können. Ihm ging es anscheinend genauso.
    Ich wollte etwas sagen, aber er verschloss meinen Mund erneut. Es war mir nicht unangenehm. Als er mich wieder freigab, merkte ich, dass ich praktisch auf seinem Schoß saß. Ich wurde rot und wollte mich wieder aufs Bett setzen, doch er hielt mich davon ab. Stattdessen hob er mich hoch und trug mich auf seinen Armen zum Bett, wo er mich bedächtig ablegte. Doch als er sich zurückziehen wollte, hielt ich ihn an der Hand fest. Bittend blickte ich ihn an. „Bitte, bleib“; flehte ich.
    Er lächelte, doch dann lehnte er sich mit dem Rücken gegen das Kopfkissen, welches einigermaßen getrocknet war. Er streckte die Beine aus, dann streckte er den Arm aus.
    „Komm her.“
    Ich ließ mir das nicht zweimal sagen und robbte eilig zu ihm hinüber. Zufrieden kuschelte ich mich an seinen Körper und bettete meinen Kopf an seine Brust. Er legte sacht einen Arm um mich, mit dem anderen machte er eine Bewegung. Der Laptop flog aufs Bett, direkt vor mich. Erstaunt hob ich eine Augenbraue.
    „Ich dachte, es wäre vielleicht ganz angenehm, wenn wir einen Film gucken.“
    Ich konnte nicht anders, ich musste lachen. „Du meinst, ein richtig kitschiger DVD-Abend?“
    „Genau. Obwohl ich nicht weiß, was an einem DVD-Abend kitschig sein soll.“ Ich kicherte, was er gekonnt überging. „Du darfst auch den Film aussuchen.“
    „Wow, womit habe ich bloß diese Ehre verdient?“
    Ich beugte mich vor, um einen Film auszusuchen. Viel war nicht drauf, also machte ich mich daran, einen passenden herunterzuladen. Er streichelte indes meine Schulter.
    „Weil ich mir wünsche, dass wir einfach mal vergessen, in was für einer gefährlichen Mission wir momentan stecken und wir uns eigentlich tausend andere Gedanken machen sollten. Einfach mal ein Abend, den wir verbringen wie jedes andere stinknormale Pärchen.“ Er hauchte mir einen Kuss auf die Schläfe.
    Währenddessen hatte ich endlich den passenden Film gefunden. Ich klickte ihn an und lehnte mich zurück. Skulduggery starrte den Bildschirm an.
    „Pretty women?“, fragte er mit einer Stimme, von der man hätte glauben können, sein Besitzer würde in diesem Augenblick gefoltert werden.
    Ich kicherte und kuschelte mich enger an ihn. „Du hast gesagt, ich darf aussuchen. Und da du etwas von Kitschig meintest…“, ich ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen. Er seufzte, dann jedoch legte er wieder den Arm um mich und fügte sich in sein Schicksal.
    Obwohl ich den Film bereits zehntausend Mal geguckt hatte, verfolgte ich jede einzelne Sekunde wie gebannt. Ich lachte, wenn es lustig wurde, weinte, wenn es traurig wurde und seufzte verliebt auf, wenn es romantisch wurde. Dennoch spürte ich, wie Skulduggery zärtlich meine Haare streichelte.
    Irgendwann, als der erste Film zu Ende war und der Neue gerade angefangen hatte (es war Sherlock Holmes, den ich nur eingelegt hatte, weil Skulduggery darauf bestanden hatte), fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf. Während das Intro noch lief, meinte ich: „Skulduggery?“
    „Mhm?“ Er schien höchst interessiert an dem Film, obwohl es die Neuverfilmung war. Er kannte nur die Alten. Ich musste lächeln.
    „Ich liebe dich, Skulduggery Pleasant.“
    Eine Weile kam keine Antwort, doch dann spürte ich, wie er mich zu sich drehte. Seine Fassade war noch aktiv und ich sah das glückliche Lächeln. Er küsste mich zärtlich.
    „Und ich liebe dich, Kitty Raven.“
    Zufrieden kuschelte ich mich enger an ihn; er vergrub für einen Augenblick sein Gesicht in meinem Haar, dann verfolgte er wieder den Film.
    Irgendwann war ich so müde, dass ich nur noch ganz am Rande mitbekam, wie Skulduggery laut auflachte. Ich schlief ein.

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • Hey^^ Wie ich sehe hast du für so viele Kapitel keinen einzigen Kommentar erhalten... Welch eine Schande wenn man bedenkt, was für eine tolle Autorin du bist. Ich habe dir selber lange Zeit keinen hinterlassen, was mir furchtbar leidtut und ich das auf jeden Fall hier nachholen werde.
    Ich werde auf jedes einzelne deiner Kapitel eingehen und hoffe, das dir mein Kommentar hilft. (:



    Ungeplantes Ablenkungsmanöver
    Ehrlich gesagt war das Kapitel nicht so meins. Es war ein wenig vorhersehbar, dass sich in der Wohnung etwas gefährliche aufsammelt und war daher auch nicht überrascht, was Kitty vielleicht erwarten könnte. Dennoch war es nicht langweilig es zu lesen. Vor allem was sich noch mysteriöses abspielt und jemand nach Kitty sucht bzw. sie entführen will macht mich stutzig. Was mich aber erstaunt hat war, das diese Typen, die sie gefangen nehmen wollten, keine Scheu hatten ein Mädchen zu schlagen. Das war mal was ganz neues (wobei Kitty natürlich auch nicht ohne ist und auch zuschlagen kann,wenn es darauf ankommt^^).
    Das Skulduggery (der Name ist nach wie vor ein Zungenbrecher und ich werde ihn mir wohl nie merken können!) seinen Emotionen gegen Ende so freien Lauf lässt war hingegen überraschend. Aber wahrscheinlich lag es vor allem daran, das Kittys Leben auf dem Spiel stand und er mit einem weiteren Verlust nicht klar kommen würde, weshalb seine Gefühle für einige Augenblicke, die Oberhand gewonnen haben. Was ich noch anmerken wollte war, das ich es irgendwie ganz lustig fand, das Kitty nach dem Angriff sich eher um ihr Aussehen gekümmert hat, als über das Erlebte nachzudenken.^^


    Schönheitsfehler


    „Die Lange hat sich geändert.“ -Lage


    Lügen
    Zu Beginn dachte ich, das Dusk und der Killer sie gefangen genommen haben, umso mehr war ich erstaunt das es doch nicht der Fall war. Irgendwie wird mir Kitty von Kapitel zu Kapitel viel sympathischer. Ich mag sie, ist nicht eines dieser super-braven Mädchen, welche meistens im Vordergrund stehen, sondern gibt ihre Meinung und ihre Gefühle offen preis was ich sehr schätze. Beth scheint eine ruhige und gleichzeitig nette Persönlichkeit zu sein, die auch eine sehr fürsorgliche Seit hat, dennoch bin ich beim Lesen misstrauisch geworden. Ich weiß nicht, sie hat eine Art die mich mahnt, auf der Hut zu sein. Ich denke das Kitty das genauso sieht. Und sich dementsprechend verhält. Der Verlauf, den diese Geschichte nimmt, lässt mich immer neugieriger werden. Das Magier sehr selbstsüchtig sind und auch in deiner Story so dargestellt werden, kann ich nur zustimmen. Derzeit lese ich ein ähnliches Buch, indem auch die Magier keinen allzu guten ruf haben, dennoch die Macht bereits an sich gerissen haben und sich als Hüter des Guten präsentieren. Dich die meisten vermuten sicherlich, das sich hinter dieser Fassade, etwas ganz anderes befindet. Diese Walküre... war sie es vielleicht, welche die beiden geschickt hat, um Kitty zu entführen? Das gäbe an sich eine Erklärung schon einmal dafür, aber auf meine Vermutung werde ich mich mal nicht verlassen, ich weiß ja nicht was du als nächstes geplant hast.
    Das Skulduggery (Ha! Ich habe den Namen aus dem Kopf heraus geschrieben) sie ausgenutzt hat, glaube ich eher weniger. Für Kitty war es bestimmt nur eine Erklärung - wenn auch eine derzeitige – warum er sie abgewiesen hat. Ihre Gefühle sind verletzt, aber ihn als solchen darzustellen, welcher nur zum Schein etwas auf ihr Wohl gibt, wäre zu einfach. Das er für sie das gleiche empfindet, aber aus irgendeinem Grund unterdrückt, liegt bereits auf der Hand.

    Ein Herz – kann man das reparieren?

    Der Titel hat mich sehr angesprochen und keimte in mir wieder Fragen auf, die ich mir eins selber gestellt habe. Jedenfalls weißt du hoffentlich das du ein Talent hast, selbst langweilige Sachen, wie die Stelle wo Mich das Skelett endlich anrief, interessant darzustellen. Oder natürlich, wie wenn Vampire etwas völlig normales seien. Das ist eine (weitere) Sache die dir perfekt gelingt und ich mich nur wiederholen kann, wie sehr ich deinen Schreibstil liebe. Mick scheint doch nicht so ein arroganter Mistkerl zu sein, wie ich dachte. Das er mit Beth eine Beziehung führt, darüber habe ich auch schon nachgedacht, jedoch dachte ich viel eher, das die beiden Partner seien, als Geliebte. Süß fand ich es wie sie Kitty getröstet, selbst wenn die einzige Person (oder vielmehr Skelett), welch ihr ernsthaft helfen kann, nicht da ist. Was ich aber ein wenig schade fand war, das man wenig von Skulduggery erfahren hat bzw. was er in der Zeit gemacht hat. Er erschien mir eher gleichgültig, wenn auch mürrisch aber dennoch wäre es schön, wenn dur ihn auch mehr erwähnt hättest. Vor allem über seine (chaotische) Gefühlswelt hätte ich gerne mehr gelesen, zwar kann ich mir schon einiges denken, aber es wäre auch eine nützliche Info, was in seinem Kopf sich so vor sich geht.
    Nun ja, Udo Lindenberg ist nicht so mein Fall, was ich komisch finde ist allerdings, das sie den Text verstehen konnte (auch wenn man merkt, das es deine eigene Handschrift trägt und das Lied vielleicht auch das Kapitel prägt), war es doch etwas eigenartig.^^'' Aber wie dem auch sei.


    Bis zum Ende
    Ich finde es im allgemeinen etwas schwierig Songtexte in einer Geschichte mit einzuflechten, aber deine Version hat mir sehr gut gefallen. Wenn ich dich auch darauf hinweisen muss, das du die Sprachen nicht durcheinander bringen sollst. Deine Geschichte spielt ja bekanntlich in Amerika bzw. in Dublin und da musst du aufpassen, das du Deutsch nicht so viel miteinbeziehst, weil es sonst für andere verwirrend wirken kann. Vor allem wenn Skulduggery auch noch alles übersetzt hat. Dennoch ein schöner Einstieg, der einem das Herz erweichen lässt. :3
    Deine Konversationen sind einfach göttlich! Anders kann man es nicht beschreiben. Selbst wenn gerade die Action etwas ruht, wird mir auch bei etwas romantischeren Szenen nicht langweilig (ich habe zugegebenermaßen eine Schwäche für so was^^). Du schaffst es alles zu erwähnen und nichts auszulassen. Die Idee zuerst ein bisschen das Gelaber über Gott und die Welt (naja über Musik) und dann über das Eigentliche, kam gut bei mir an. Es wirkte realistisch und nicht aufgesetzt. Das Kitty auch so weich sein kann zeigt auch ganz andere Facetten von ihr. Besonders das Geständnis von Skulduggery war schön und hat auch perfekt ins Bild gepasst.



    So ich hoffe das dir der Kommi ein bisschen weiterhilft.


    Liebe Grüße
    Black (ehemals Arisa)

  • Kommi wird privat beantwortet...


    Zeit


    Sanguin und Dusk waren mit leeren Händen zurückgekehrt. Es grenzte an ein Wunder, dass sie noch am Leben waren. Obwohl Darquise es nicht interessierte, ob zwei ihrer Handlanger lebten oder starben. Was zählte, war einzig und allein ihr Versagen. Sie hatten den Auftrag erhalten, das Mädchen zu entführen und zu ihr, Darquise, zubringen. Dabei sollten sie dafür sorgen, dass der Skelettdetektiv ihnen nicht in die Quere kam; erst, wenn das Mädchen in ihren Händen wäre, hätte sie ihn davon unterrichtet.
    „Aber ihr seid wie zwei Zombies in seine Wohnung eingebrochen, während er sich dort drin aufhielt, und habt ihn in einen Kampf verwickelt. Dabei habt ihr beinahe den Seelenfänger verloren und dem Detektiv auch noch einen Anhaltspunkt geliefert.“ Darquises Stimme war ruhig, gefährlich ruhig. Tanith, die neben ihr stand und mit der flachen Hand einen unruhigen Rhythmus auf ihren Oberschenkel schlug, ahnte bereits, was gleich passieren würde. Ihre Freundin schlug diesen besonderen Ton nur selten an. „Ihr habt auf ganzer Linie versagt.“
    Dusk sagte nichts, sondern starrte das schwarzhaarige Mädchen nur finster an. Sein Hass ihr gegenüber war mit den Händen greifbar. Vielleicht hätte es Darquise milder gestimmt, wenn er ihr seine aufrichtige Reue dargestellt und geschworen hätte, es wieder gutzumachen.
    Doch Sanguin war noch dümmer. „Woher sollten wir wissen, dass er bei der Kleinen ist?“, verteidigte sich der Texaner. Seine dunkelgetönte Sonnenbrille saß schief auf seiner Nase; sie schien gebrochen. „Schließlich wurde uns gesagt, dass sie sich in Haggard aufhält! Wir sollten sie vor seiner Wohnung abpassen!“
    Tanith machte ihm mit einer Handbewegung klar, dass er besser den Mund halten sollte, aber es war bereits zu spät. Darquises schwarze, puppillenlose Augen richteten sich auf den Killer. Unter ihrem kalten Blick schrumpfte er ein ganzes Stück zusammen.
    „Woher?“, wiederholte das Mädchen leise. Tanith bemerkte, dass ihre linke Hand leicht zitterte. „Wenn ihr nicht wie blinde Sterbliche direkt in die Wohnung gestolpert wärt, sondern Taniths Anrufe beantwortet hättet, dann hättet ihr es gewusst.“
    Dusk knurrte. Doch er war klug genug, seiner Gebieterin nicht zu widersprechen. Sanguin hielt, da Tanith es ihm deutlich machte, ebenfalls den Mund.
    Darquise wandte sich von ihnen ab. Ihr schwarzes Haar war finster wie die Nacht, in der sie am liebsten agierte. Alles an ihr war schwarz, selbst ihre Gedanken. Doch dass war nichts, was sie jemals bereuen würde.
    Sie spürte, wie das Mädchen von innen leicht gegen ihren Kopf klopfte. Ihre Stimme war dünn, so dünn. Niemals würde sie sich durchsetzten können, was sie auch beim Aufeinandertreffen mit dieser Raven bewiesen hatte. Darquise bereute es zutiefst, sie damals herausgelassen zu haben. Aber irgendwie hoffte sie, dass Walküre irgendwann begreifen würde, dass sie ohne sie nicht überleben konnte.
    „Herrin?“, rief Tanith ihr nach, doch Darquise ignorierte sie. Sie wollte sich nicht mit lächerlichen Wortfloskeln aufhalten. Dafür war es bereits zu ernst. Denn in diesem Moment konnte Raven erfahren, wer sie war und hatte Zeit, ihre gesamten Kräfte zu entfalten.
    Darquise glaubte nicht, dass diese Ligquise sie würde aufhalten können. Aber ihre Kräfte waren enorm; im Kampf mit Walküre hatte sie es bewiesen. Und je mehr Zeit verstrich, desto mehr Möglichkeiten hatte sie, diese zu verbessern.
    Und Zeit war etwas, worüber Darquise nicht länger verfügte.
    „Tanith“, sagte sie kühl. Die Angesprochene trat einige Schritte vor und legte ihre Hand an den Schwertknauf. „Ich denke, dass es an der Zeit ist, dass du dich um diese Raven kümmerst.“
    Tanith lächelte. „Wie Ihr wünscht.“ Während sie mit der Frau sprach, drehte sich diese nicht zu ihr um. Aber sie wusste, dass Darquise ihr wohlwollend lauschte. Sie hatte bisher niemanden enttäuscht. Und dies würde auch nicht geschehen. „Aber was ist mit… dem Skelett? Soll ich ihn töten?“
    Darquise schüttelte den Kopf. Eine Kerzenflamme flackerte. „Nein, nicht so, wie du es denkst. Ich möchte, dass du zu Tenebrae gehst. Noch heute Nacht. Ich kann nicht länger zusehen, wie dieser Bastard all meine Pläne zerstört.“
    Für einen Augenblick herrschte angespannte Stille. Bis Sanguin einen kurzen, überraschten Aufschrei hören ließ und Taniths Lächeln breiter und grausamer wurde. Jeder im Raum wusste, was diese Worte besagten.
    „Also willst du nun endlich den Zauber auflösen?“
    Darquise lächelte. Ein kaltes, hämisches Lächeln, welches ihr hübsches Gesicht zu einer Fratze entstellte.
    „Ja. Die Zeit, sein Leben endgültig in Schatten zu stürzen, ist gekommen.“


    Der Tempel der Nekromanten war in der Dunkelheit der Nacht kaum zu erkennen. Tanith vermutete, dass die Priester wohl öfters einmal nachhalfen, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Doch sie hatte keine Angst davor, den heiligen Kultort zu betreten.
    Am Fuß der Treppe wartete bereits der Hohepriester Tenebrae auf sie. Gekleidet in seine, für alle Nekromanten verpflichtetende, schwarze Robe, stand er da und blickte ihr entgegen. Die blonde Schwertkämpferin verharrte, nur wenige Schritte vor ihm und wartete.
    Nach einigen verstrichenen Augenblicken eröffnete der Hohepriester das Gespräch.
    „Tanith, ich grüße dich. Wie kann ich dir diesmal behilflich sein?“
    Tanith lächelte ihm zu. Sie mochte den Mann nicht sonderlich; für ihren Geschmack hatte er ein viel zu freundliches Gesicht und viel zu hinterlistige Gedanken. Sie konnte ihn nie durchschauen. Aber er hatte ihrer Sache immer treu gedient – außerdem hatte Darquise etwas gegen ihn in der Hand.
    „Ich komme mit einem Auftrag von Darquise. Sie verlangt, dass du den Totenbeschwörerzauber von Skulduggery Pleasant aufhebst.“
    Tanith weidete sich an dem entsetzten Gesicht von Tenebrae. Er war sichtlich erschrocken.
    „Was… warum… warum wollt Ihr das?!“
    „Weil das Skelett all unsere Pläne zunichte macht und zudem in engem Kontakt zu Raven steht. Wir brauchen sie, nicht ihn. Es gibt keinen Grund, ihn länger am Leben zulassen.“
    Der Hohepriester schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände. „Nein, nein, dass geht nicht. Der Zauber ist kompliziert. Wenn ich ihn jetzt löse, ohne dass ich Pleasant darauf körperlich wie mental vorbereite, wird es womöglich schief gehen. Es wird ernste Konsequenzen mit sich…“
    Tanith schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. Sein Kopf flog zur Seite, Blut spritzte aus seiner Nase. „Du wirst es tun, Nekromant“, zischte die Frau. „Ansonst…“
    Sie ließ den Satz unbeendet, doch Tenebrae wusste, was gemeint war. Und somit schwieg er.
    Tanith grinste und tätschelte ihm, wie einem Hund, den Kopf. „Brav!“, sagte sie, und verschwand damit.
    Tenebrae hingegen blieb noch einen Augenblick draußen stehen, bevor er ein leises Seufzen ausstieß und dann wieder in den Tempel ging.
    Im Stillen bat er Skulduggery um Vergebung.

    So this is me
    In dieser Rüstung, viel zu schwer
    Ihr wollt einen Helden, doch
    Meine Stärke überschätzt ihr

  • Zeit


    Ein Diesmal eher kurzes Kapitel, aber bei deiner ansonsten üppigen Länge, mal etwas anderes und mal zwischendurch ein kurzes hinein zu ergänzen, kann es für einen auch ganz erfrischend sein. Auch dieses trotzdem nur so von Stärke, im Bezug auf deinen Schreibstil. Ich frage mich sowieso wie du deine Charaktere so aussagekräftig darstellen kannst, das man meinen könnte, dieses zu sehen und deren Stimme zu hören. Wie ein Film, der sich allerdings im Kopf abspielt. Vor allem was ich auch mal sagen wollte, das du alles so schön schreibst, so gar nicht ungezwungen, sondern genau richtig und das es selber so flüssig zu lesen ist. Man merkt dir an, das dir selber das Schreiben eine Freude macht und vor allem Spaß und das ist es, was ich besonders an die schätze, das du mit jeder Geschichte die du niederschreibst, dir wirklich Mühe gibst.
    Aber genug, gehen wir mal auf den Inhalt ein. Hier kommen auch einige neue Charaktere vor, Tanith, das Abbild einer loyalen und treuen Dienerin. Irgendwie hege ich eine Sympathie für solche Charas, ich weiß selber nicht, aber solche gibt es ja des öfteren in Serien oder in Filmen (ein Beispiel wäre hier „Legend of the Seeker“, was ich ab und zu gerne angucke), wo es auch solche gibt, die „gerne“ jemanden dienen. Wobei ich am Anfang mir nicht sicher war, ob sie eine Frau oder ein Mann ist und ich musste noch einmal lesen, damit ist es auch begreife, aber umso mehr hat es mich auch gefreut, das eben Darquise (du wählst echt komplizierte Namen für deine Charaktere) „stärkster“ Gefolgsmann ist (zumindest scheint es mir so). Ansonsten bringst du mit diesem Kapitel auch sehr viele Fragen ein und ich hoffe auch, das einige zumindest in den nächsten, aufgeklärt werden. Ein großer Nachteil meinerseits ist besonders, das ich eben die Bücher zu dem Skelettdeteketiv, nie gelesen habe. Irgendwann (wenn ich mal wieder mehr Geld habe...) werde ich sicherlich einige lesen. Wenn diese Bücher nur halb so gut ist, wie deine FF, werde ich sicherlich großen gefallen daran finden.^^ Aber zu meinem eigentlichen Punkt: Eben da ich keines dieser Bücher gelesen hat, auf die deine Geschichte basiert. Aber dennoch kann ich mir einiges schon denken und vorstellen. Vor allem zu Walküre würde ich gerne mehr erfahren, bzw. auch zu dieser Widersacherin, die Kitty entführen will. Und vor allem wie es mit ihr und Skulduggery weitergeht und was noch passieren wird. Dieses Kapitel war auch für mich ein Zeichen der Warnung, das es zu einem baldigen Drama kommen wird und ich gehe innerlich schon einmal alles durch (nur bitte mach es nicht allzu traurig, ja? ;_;) und wappne mich schon.


    Ich bin gespannt wie es weitergeht, zwar kann ich mir einiges denken, aber ich habe das Gefühl, das du mit deinem nächsten Kapitel, vieles unvorhersehbares mit einfließen lassen wirst.


    Liebe Grüße ;*