Die Fremde in mir
Skulduggery wohnte in der Nähe des Friedhofs von Dublin. Seine Wohnung lag in einem der unzähligen Hochhäuser, die in jeder Stadt wie Pilze aus dem Boden schossen. Das Haus, vor dem wir nun hielten, wirkte farblos und nichts sagend auf mich, doch die Gegend war im Allgemeinen recht trostlos. Ich erblickte, so sehr ich mich auch umschaute, keinerlei Menschen auf dem grauen Asphalt der Bürgersteige. Nur gefiederte, pechschwarze Raben hockten in Scharen auf der hohen Backsteinmauer, die sich rund um den Friedhof zog und ein paar wenige hüpften auf den schmalen Grünstreifen herum, der vor dem Friedhofstor lag.
Einer der Vögel hob den Kopf und sah mich mit seinen schwarzen Knopfaugen neugierig an, als ich aus dem Wagen stieg und kam auf mich zu. Ich ging in die Hocke, streckte vorsichtig meinen Arm in seine Richtung aus und der Vogel erklomm ihn. Die ganze Zeit über sah er mir in die Augen, als habe er so etwas wie mich noch nie zuvor erblickt.
Lächelnd stand ich auf, meinen Arm weit von mir haltend, um das Tier nicht zu verschrecken. Der Rabe krächzte und schlug warnend mit seinen Flügeln, als Skulduggery auf mich zutrat und so blieb er einige Schritte von mir Abstand haltend stehen. Misstrauisch beäugte der Vogel den Fremden, entspannte sich jedoch schnell wieder, als ich ihm behutsam über sein weiches Gefieder strich. Er gab Laute von sich, die entfernt an das zufriedene Gurren einer Taube erinnerten.
„Ist alles in Ordnung mit dem Tier?“, fragte Skulduggery. Es waren die ersten Worte, die er an mich richtete seit unserer kleinen Auseinandersetzung im Sanktuarium. Erstaunt stellte ich fest, dass sie sogar recht freundlich klangen - jedenfalls freundlicher als seine vorherigen.
Ich nickte.
„Er ist zufrieden, dass ich ihm Aufmerksamkeit schenke. Daher dieses Geräusch.“
Während ich sprach, streichelte ich unablässig die Rabenfedern. Es vermittelte mir ein Gefühl von Sicherheit - und einen guten Grund, dem Detektiv nicht in die Augen blicken zu müssen.
Skulduggery lachte. Ich zuckte zusammen; es klang genauso wie früher. Lebensfroh und mitreißend, so dass man unwillkürlich mitlachen musste. Es war mir gleichzeitig vertraut und doch so vollkommen fremd, dass ich kaum benennen konnte, wie ich mich in diesem Augenblick fühlte. Verwirrt passte wohl noch am ehesten.
„Warum lachst du?“, fragte ich unsicher nach, während Skulduggery meine Reisetasche aus dem Kofferraum hievte. Er stellte sie zu seinen Füßen ab, dann sah er mich wieder an. Ich spürte seinen Blick mehr, als das ich ihn sah. Obwohl von Sehen wohl keine Rede sein konnte, da er keine Augen besaß.
„Du hast dich kaum verändert“, meinte er ruhig.
„Wenn ich dich so betrachte, mit dem schwarzen Vogel auf dem Arm, erinnerst du mich wieder an das junge, ungestüme Mädchen von früher. Damals kamst du dauernd mit aufgesammelten Raben und anderen heimatlosen Tieren an, die du dann notfalls mit der Flasche aufgezogen hast.“
Jetzt war ich es, die lachen musste.
„Ja, ich erinnere mich. Jedes Mal, wenn ich wieder mit einem Tier ankam, hast du laut aufgestöhnt und es wäre dir wohl am liebsten gewesen, ich hätte sie zurückgebracht. Aber trotzdem hast du mich immer unterstützt, wenn ich wieder einmal den Tränen nah zu dir kam und dich bat, mir zu helfen bei der Fütterung. Ich konnte dich wohl zu allem bewegen.“, setzte ich verschmitzt hinzu, und es kam mir vor, als sei ich wieder dort, wo ich hingehörte. Wieder Zuhause - ein Wort, das für mich schon seit langer Zeit keinerlei Bedeutung mehr gehabt hatte.
„Das hast du tatsächlich“, bestätigte das Skelett und ich hörte das Lächeln aus seiner weichen Stimme.
„Aber du hast es nie geschafft, mich dazu zu bewegen, eines der Tiere zu behalten, obwohl du es immer aufs Neue versucht hast. Dort konnte ich dann doch noch meine Autorität durchsetzen.“
„Aber nur wegen Jenna!“, lenkte ich ein und erstarrte dann, als ich begriff, was ich da gesagt hatte.
Skulduggery sagte für einige Augenblicke lang nichts, dann drehte er sich abrupt um und stiefelte, die Reisetasche in der Hand, zu seiner Wohnung. Ich sah ihm stumm nach, während ich langsam meine Hand sinken ließ. Der Rabe krächzte protestierend.
Ich hätte mich ohrfeigen können für mein Losplappern, ohne vorher einmal nachzudenken. Jetzt war es vermutlich schon zu spät, um noch etwas an meinen Worten zu ändern.
Skulduggery wandte sich zu mir um - er stand bereits vor der Haustür.
„Kitty!“, rief er und ich nickte, immer noch beschämt über meine unüberlegten Worte. Ich streckte den Arm nach oben und der Rabe sah mich an. Ich musste lächeln, auch, wenn ich mich innerlich nicht glücklich fühlte. Eher einsam.
„Flieg los, Schwarzer“, flüsterte ich und nach einigen verstreichenden Sekunden, in denen mich der Vogel weiterhin wissend anblickte, streckte er seine Flügel aus und erhob sich krächzend in die Luft. Immer höher stieg er, bis er bald nicht mehr zu sehen war. Ich sah ihm lange nach. Zum wiederholten Mal wünschte ich mir sehnsüchtig, auch ich wäre mit gefiederten Schwingen geboren worden und nicht mit nackten Armen.
Seufzend ging ich zu Skulduggery, der auf mich wartete. Wortlos schloss er die Haustür auf und ich trat neben ihm in das Treppenhaus.
Ich saß auf dem dunkelblauen Sofa, stierte ins Leere und wusste nicht, wie ich mich davon abhalten konnte, nicht nervös wie ein gefangenes Tier im Käfig ruhelos auf- und abzugehen. Skulduggery war noch einmal losgefahren, um für mich etwas zu Essen und zu Trinken zu holen, was ich sehr aufmerksam von ihm fand. Er hatte mir versichert, es würde nicht länger als eine halbe Stunde dauern, doch nun war er schon seit einer knappen Stunde weg und ich stand kurz davor, über Dinge nachzudenken, die mich heillos überforderten.
Leider gab es keinen Fernseher, noch einen Computer oder ein Radio; anscheinend hielt Skulduggery sich nicht oft hier auf. Auch ein Bett oder überhaupt ein Schlafzimmer existieren nicht und ein Badezimmer fehlte ebenfalls. Dafür gab es insgesamt drei Räume, die alle wie ein Wohnzimmer eingerichtet waren, sprich: Sofa, ein bequemer Lehnsessel und Bücherregale. Davon gab es genügend und so beschloss ich kurzerhand, mir ein Buch zu nehmen und mit Lesen die Zeit totzuschlagen.
Neugierig und aufmerksam studierte ich die Titel und stellte verblüfft fest, dass hier überwiegend Romane und Biografien berühmter Menschen standen. Natürlich auch Bände, die über Zauberei handelten, doch die Romane waren deutlich in der Überzahl. Klassiker wie Alice im Wunderland, Dracula oder auch das Parfum erkannte ich. Immer wieder zog ich Bücher hervor, die ich schon einmal gesehen oder auch selbst gelesen hatte.
Mit einem Mal erstarrte ich. Vor mir, in einem dunklen, recht neu aussehenden Umschlag, blickte mich ein mir allzu vertrautes Buch an.
War es das…?
Ich zog es vorsichtig heraus, und blickte mit gemischten Gefühlen auf das wunderschöne Buchcover, das ein junges Mädchen im weißen Kleid vor dem wellenschlagendem Meer darstellte. Das Buch trug den Titel Unendlichkeit und ich kannte es besser als jedes andere Buch, welches hier in den Regalen stand.
Denn Unendlichkeit hatte ich, vor genau zehn Jahren, selbst geschrieben und auch veröffentlicht. Natürlich unter einem anderen Namen, denn es wäre wirklich zu auffällig gewesen, es mit meinem richtigen Namen unter die Öffentlichkeit zu bringen.
Hatte Skulduggery es etwa gelesen?
„Natürlich hat er das“, sagte ich zu mir selbst. „Er hat es bestimmt nicht nur zur Deko hier stehen.“
„Ich habe es tatsächlich gelesen, auch, wenn es für dich anscheinend völlig irrsinnig erscheint.“
Die Stimme erklang hinter meinem Rücken, und schuldbewusst drehte ich mich zu ihm um, in der Hand das Buch. Skulduggery stand mitten im Raum; seine Verkleidung trug er immer noch und erst jetzt nahm er die riesige, schwarze Sonnenbrille ab. In der Hand trug er eine Einkaufstüte, aus der ein Netz mit Pfirsichen hervorlugte. Er ging langsam auf das Sofa zu, stellte die Tüte ab und warf den Schal, den er um seine untere Gesichtshälfte gewickelt hatte, hinterher. Die Sonnenbrille legte er auf den Couchtisch.
Stotternd versuchte ich, ihm eine glaubwürdige Erklärung zu geben.
„Ich…hab…ich wollte nur gucken, ob du irgendetwas Interessantes zu lesen da hast.“
„Anscheinend bist du fündig geworden“, meinte er und deutete mit einem Nicken auf das Buch, welches ich nun zurück ins Regal stellen wollte. Doch Skulduggery kam auf mich und nahm es mir aus der Hand. Er setzte sich aufs Sofa, und ich setzte mich ebenfalls hin, nur in den Sessel, der ihm gegenüber stand. So nah wollte ich ihm nicht kommen, schon aus Prinzip.
Er schlug das Buch auf, blätterte eine Weile nachdenklich darin herum und schaute dann auf, mir direkt ins Gesicht. Nervös rutschte ich auf dem Leder herum.
„Du kannst sehr gut schreiben, Kitty.“
Verblüfft schaute ich auf.
Er wusste, dass ich dieses Buch geschrieben hatte? Woher?
Skulduggery schien meine Fragen zu erkennen, denn er sprach weiter.„Als das Buch erschienen ist, war ich gerade zu Besuch bei einem alten Freund, der selbst Autor war.“
„War?“, hakte ich misstrauisch nach und Skulduggery nickte knapp.
„Er ist tot; schon seit acht Jahren. Gordon Edgley - vielleicht sagt dir der Name etwas?“
Ich musste nicht lange überlegen.
„Natürlich. Sein Buch Und Dunkelheit brach über sie herein habe ich oft gelesen. Bestimmt zehn Mal. Er hatte einen unvergleichbaren Humor und seine Bücher waren recht berühmt.“
„Das stimmt. Nun, wie gesagt, ich war bei ihm und Gordon hatte mir das Buch unter die Nase gehalten, schon direkt, als ich eintrat. Er meinte, dass Buch erinnere ihn sehr an die Zauberei der Elemente und als ich fragte, wer es geschrieben habe, sagte mir der Autorname nichts. Trotzdem habe ich es gelesen, und da mir vieles sehr bekannt vorkam, habe ich mich ein wenig umgehört. Dann habe ich bei dem Verlag angerufen, der das Buch und die Autorin unter Vertrag hatte. Die plauderte dann ein wenig zu viel und erzählte mir brühwarm, dass der Name der Autorin nicht ihr richtiger sei. Ihr Name, unter dem sie lebe, war Kitty Raven. Vermutlich ist er der Frau deshalb noch so genau im Gedächtnis geblieben, weil der Name sehr ungewöhnlich ist.“
Er strich vorsichtig über den Einband, während er selbstversunken weitersprach. Ich hörte, völlig gebannt von seiner Stimme, atemlos zu.
„Ich war so überrascht, als ich deinen Namen erfuhr. Ich habe das Buch daraufhin mehrmals hintereinander gelesen, und merkte, dass ich es schon hätte vorher bemerken müssen. Denn du hattest einige Hinweise verborgen. Doch selbst, wenn ich diese nicht erkannt hätte - die Widmung hätte mir schließlich alles sagen müssen.“ Er schlug die allererste Seite in dem Roman auf.
„Für einen Menschen, der mir das Leben geschenkt und mir gezeigt hat, was es bedeutet, aus tiefstem Herzen und aufrichtig zu lieben. Ohne Dich, mein innigster Freund und Lehrmeister in allen Lebenslagen, wäre ich nun nicht die Frau, die mit Recht sagen kann: Ich weiß, was es bedeutet, zu sterben. Danke für alles, und die Zukunft wird zeigen, ob unsere Zeit noch nicht beendet ist.“, las er mit leiser Stimme die Worte vor, die ich vor zehn Jahren mit Tränen in den Augen auf das Papier gebannt hatte. Auch jetzt spürte ich wieder das schmerzende Glück und die Verzweiflung, die damals in mir gewütet hatte. Dieses Buch hatte mich viel Überwindung gekostet, die ich heute niemals mehr hätte aufbringen können. Meine Vergangenheit steckte zwischen diesen Buchdeckeln.
Skulduggery schlug das Buch zu, lehnte sich zurück und sah mich unverwandt an. Ich holte tief Luft, um mich unter Kontrolle bringen zu können und sprach erst dann. Meine Stimme war kaum hörbar.
„Ich träume jede, wirklich jede verdammte Nacht von dir - und von Jenna und Sophie. Die Schreie sind in mir eingebrannt, wie Tattoos auf der Haut. Unauslöschbar. Immer wieder sehe ich sie da liegen, auf dem blutigen Boden des Schlachtfeldes und sehe die Angst in ihren Gesichtern. Die Erinnerungen an glücklichere Tage steigen in mir auf, zerplatzen jedoch wieder wie Seifenblasen, denen man nicht genügend Zeit lässt, damit der Wind sie davonträgt.“
Jetzt weinte ich doch. Heiße Tränen tropften auf meine hilflos zitternden Hände, hinterließen ihre unsichtbaren Spuren und schnitten mir blutige, nicht sichtbare Schnitte in die Haut. Ich versuchte nicht mehr, sie zurückzudrängen. Wozu? Es nützte mir nichts. Ich war enttarnt worden.
„Manchmal frage ich mich, warum ich denn nicht schneller war. Warum ich Serpine nicht hatte aufhalten können, damit er mir nicht auch noch das Letzte nimmt, was mir noch geblieben war. Schuldgefühle wüten seit unserer damaligen Begegnung in mir.“
Ich sah ihn an. Die Tränen verschleierten meine Sicht, doch ich wusste, dass er mich trotzdem erkannte. Vielleicht zum ersten Mal seit zweihundert Jahren mit offenen Augen und mit dem Herzen.
„Du hast mir damals Dinge vorgeworfen, von denen ich zu Anfang gedacht hatte, sie seien falsch und nicht berechtigt. Doch später, als ich allein war, begriff ich, dass dem nicht der Fall war. Vielleicht war es besser, dass du gegangen bist. Denn ich war schuld an all dem Unheil, das geschehen war. Dass Jenna und Sophie nicht mehr am Leben sind - alles mein Verdienst. Und ich verstand endlich, warum dein Hass auf mich so unendlich groß war. Weil ich dir alles genommen hatte, was dir wichtig war: Deine Familie und dein Leben.“
Die letzten Worte flüsterte ich nur.
„Es tut mir Leid, Skulduggery. So unendlich Leid…“
Schluchzend blickte ich zu Boden, damit ich nicht den Hass spürte, den er immer noch gegen mich hegte. Seit Jahren hatte ich diesen Tag gefürchtete und dennoch herbeigesehnt - denn ich wollte das Letzte tun, was mir noch möglich war: Ihm sagen, dass ich ihn endlich verstand. Nun war auch diese - für mich - endgültige Tat besiegelt. Ich erwartete, dass Skulduggery aufstehen und mich brüllend aus der Wohnung jagen würde. Genauso hatte er es auch damals, an diesem dunklen Novembertag vor zweihundert Jahren, getan.
Doch er überraschte mich.
Eine Weile tat er nichts, dann stand er auf, setzte sich zu mir und legte mir behutsam und beinah zögerlich eine Hand auf den Arm. Sie war kühl, doch dass war mir durchaus bewusst gewesen; doch was er nun, nach meinem Geständnis, tat… darauf war ich nicht vorbereitet gewesen.
„Schau mich an, Kitty“, bat er leise und ich hob zögernd und schniefend meinen Kopf. Meine rotgeränderten Augen trafen auf seine leeren Augenhöhlen, doch ich spürte seinen Blick dennoch. Wir sagten kein Wort, saßen nur da. Dann, unerwartete und plötzlich, hob er die Hand und legte sie langsam an meine Wange. Ich wollte zurückweichen, doch ich fühlte mich wie festgewachsen. Und ich ließ es schließlich zu.
„Es muss dir nicht im geringsten Leid tun.“, meinte er ernst. „Du hast nichts getan, was nicht richtig gewesen war. Du hast versucht, diejenigen zu beschützen, die du als deine Familie ansahst und bist zu Boden gestoßen worden bei dem Versuch, dich gegen den Mörder zu stellen. Es muss mir Leid tun, das ich meine Wut nicht in Zaum halten konnte und sie gegen dich richtete, obwohl du unschuldig warst. Ich hätte wissen müssen, wie sehr dich meine Worte treffen würden. Und was ich mit meinem unbedachten Verhalten angerichtet habe…“
Traurig klang seine Stimme, als er weitersprach.
„Schon damals, als ich dir vorwarf, du allein wärest schuld an dem Tod von meiner Familie, hätte ich mich ohrfeigen können. Doch diese Wut, die mit mir zurückkehrte, war so unbeschreiblich intensiv und der Schmerz war noch zu frisch. Ich konnte sie nicht kontrollieren, sie fraß mich auf! Als du mich ansahst, am Boden zerstört und mit der reinen Verzweiflung in deinen Zügen, wünschte ich, ich hätte dich festgehalten. Doch ich ließ dich los, fallen in den dunkelsten Abgrund und dann hörte ich, wie dein Herz brach.
Als du fort warst, bin auch ich gegangen, denn ich wollte mich nicht verlieren in der Wut, die mich bedrohte. Und irgendwie glaubte ich, wenn ich es schaffen würde, sie zu bekämpfen, würdest auch du zurückkommen. Doch du bliebst fort.“
„Warum hast du nie versucht, mich widerzufinden? All die Jahre und kein Lebenszeichen.“
„Weil ich nicht konnte, Kitty! Ich habe mich geschämt, und schwor mir, dir nicht noch mehr wehzutun, als ich es schon vollbracht hatte. Außerdem - außerdem bringe ich die Menschen, die mir etwas bedeuten, in Gefahr. Und das habe ich schon oft genug getan.“
„Warum bist du dann noch hier? Warum verschwindest du nicht wieder, so wie du es auch schon früher getan hast?“, fragte ich nun zornig. Ich blitzte ihn an und erhob mich.
„Geh doch einfach, schließlich ist nun jegliche Schuld beglichen! Warum bleibst du noch hier?“
Eine Weile zögerte er, dann gab er mir die Antwort.
„Weil es mir wehtut, dich so zu sehen“, antwortete er leise.
„Weil ich es nicht länger ertragen kann, zuschauen zu müssen, wie die Kitty, die ich, seit sie fünfzehn Jahre alt ist, kenne, immer mehr verschwindet. Du stirbst, und ich will dich nicht ein zweites Mal verlieren. Ich will nicht länger mitansehen, wie du wegen meiner Dummheit leidest.“
Jetzt war ich an der Reihe, ihn ausdruckslos zu betrachten. Meine Kehle fühlte sich trocken an, doch dennoch konnte ich ein einzelnes Wort herauspressen.
„Warum?“
„Weil…“ Skulduggery zögerte sichtlich. Dann stand auch er auf, so dass wir uns nun gegenüber standen.
„Weil es da eine Sache gibt, bei der ich mir nicht sicher bin. Und ich glaube, dass, wenn ich sie herausfinde, du vielleicht dabei sein möchtest, wenn ich sie dir mitteile. Doch ich kann auch gehen, wenn du das willst. Ein einziges Geh reicht aus. Es ist deine Entscheidung.“
Damit trat er ein paar Schritte von mir zurück. Ich wusste, dass er eine Antwort erwartete. Vor Jahren hätte ich ihm die Antwort postwendend gegeben, doch nun wusste ich nicht mehr, was richtig war. Wollte ich ihn denn erneut verlieren? Ihn noch einmal verlassen? Diesmal, dessen war ich mir bewusst, würde es kein Wiedersehen geben. Wenn ich jetzt entschied, wieder allein sein zu wollen, würde ich das bis zu meinem letzten Atemzug auch bleiben. Deshalb zögerte ich.
„Was möchtest du denn?“, fragte ich schließlich und ich wusste, hätte Skulduggery lächeln können, er hätte es jetzt getan.
„Du kennst die Antwort doch bereits, Kitty. Niemand kennt mich besser als du.“
Da hatte er Recht.
Was sagt dir dein Herz, flüsterte eine leise Stimme in meinem Kopf. Mein Herz wollte, dass er blieb. Egal, was vorgefallen war, nichts konnte schlimmer sein als das Zweifeln und die Leere in meiner Seele, die nur er allein ausfüllen konnte. Auch, wenn mein Verstand mich beschimpfte, wusste ich doch schon, wie meine Antwort lauten würde.
Bestimmte Momente, so klein und unbedeutend sie auch scheinen mögen, können unser Leben auf den Kopf stellen. Ob es sich bei diesem um einen handelte? Ein klares Ja.
Ich musste hart schlucken, bevor ich ihm antworten konnte.
„Bleib, Skulduggery“, flüsterte ich. Er kam auf mich zu, blieb vor mir stehen.
„Bist du dir sicher?“ Er fragte aus berechtigten Gründen. War ich mir sicher?
„Ja. Ja, ich bin mir absolut sicher. Nicht eine Sekunde länger könnte ich diesen Albtraum, den ich mein bisheriges Leben nannte, ertragen. Hier ist mein Zuhause.“
Ich musste lächeln. Skulduggery trat zu mir, streckte eine Hand nach mir aus und umarmte mich fest. Ich erwiderte sie. Eine Weile blieben wir so stehen, ich atmete und wusste, dass sich nun alles verändern würde.
Seine Worte hatten ernst und bedeutungsvoll geklungen und ich merkte bereits, wie mich wieder dieses Gefühl ergriff, dass sich auch schon vor Jahren mein Herz angeeignet hatte. Und ich wusste, ganz gleich, wie seine Entscheidung aussehen würde - ich würde bleiben, solange es mir möglich war.
Doch diesmal fühlte ich mich mir selbst fremd; dies war die Kitty, die seit Jahren unter Steinen der Angst und Verlorenheit verschüttet gewesen war. Und nun zum ersten Mal wieder das Licht erblickte.
Das Licht war er.
Sorry, das Bonuskapitel braucht noch eine Weile. Ich hoffe, dieses Kapitel gefällt euch^^ Cass