Leben und lernen - Die Celebi-High

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

Zu der Infoseite von „Die Mo-Mo-Manie“
  • Heyho Eagle,
    auf Empfelung von AiguL 92 hab ich mir gestern und heute deine Fs mal angeschaut - ich bin ja eh Fan von Campusgeschichten (kennt einer PBA auf Pokefans?) - deine ist mit Abstand die beste, die mir untergekommen ist ;)
    Fangen wir mal an: Das du ein Scheinux-Freak bist, wissen wir alle - ich bin auch iwo im 2ten Pflicht und Ehre-Teil verschollen und bin bei der Zeitkriese in Kap 18 - sehr schön, Scheinux everywhere. Jedoch lernt man das Flackerpokemon auf eine ganz andere Art kennen: Wärend in Pflicht und Ehre Scheinux rumschuhut, Mülltonnen jagt und mit Ehrenkodex pralt, ist Raven (hießer so?) in der Zeitkriese naja... ein etwas gechillterer Typ, kommt aber nicht an Stan ran, den ich mit Sonnja vergleichen würde xD - die Beschreibung des Scheinux aus Pflicht und Ehre trifft hier eher auf Ray zu - ists 'n Zufall, das Ray Ray heißt oder hat das mit dem englischen Namen für die Endstufe deines Lieblings, Luxray, zu tun? Hey - das hört sich zu schlau für mich an - also zu dir eagle ne? ;D - find Eagle ganz ok, der extreme Außenseiter, aber auf seine Art gut. Fand die Aufgabe gegen das Meditalis sehr gut, aber was hällt so ein Staralili öhm - Heuler? ;D dafür kann man im Dreck liegen, hätte Meditalis ablenken können und Eagle etwas naja erfahrener wirken lassen und er hätte ja das Vogelfiech vor dem eventuell kommenden Eishieb retten können xD - der Adler und der Star xD
    Sora ist da so 'ne Person, die ich mal als cool, gechillt und doch ungechillt empfinde - auf ihre Art schafft sie's, Sonnja zu animieren xD
    chillen - mir fehlt so'n extremer Hochleistungschiller - Ray ist ja in der oberen Mittelstufe, da die große Klappe das Chillen doch einschrenken, weil das die Gehirnaktivität doch stark steigert und das in meinem Fall immer etwas ist, was ich gar nich mag xD spaß bei seite
    so, jetz kommt der schlüssel des kommis:
    a) ich hätte gern 'ne Pn-Benachrichtigung, wenns no prob ist und
    b) bin ich egelt sehr kommentarfaul, ich bin eher der stille leser (Sonnja xD) - und
    c) wie gehste egelt auf andere Kommis ein? Hab in dem Topic einmal nur gesehn, dasste auf'n Kommi eingegangen bist, weil einer glaube Ray angegangen hat ;D - konkret heißt das, dasset nett wäre, iwie auf mein Kommi einzugehen, weil da der Anreiz, das zu erwidern und nebenher zu kommentieren doch stark steigert ;)
    d) wollt ich dich auf deine hohe Aktivität ansprechen: find ich einfach genial - so regelmäßig - in einem Abschnitt von 7 Tagen 3 Parts - respekt!
    so, der Vollprospammer hat geendet ;)
    Lg, Almarik

    Warum wollen Männer keine Osterhasen sein?


    Rechtschreibfehler sind rein zur Belustigung da. Ihr müsst mich auch nicht darauf hinweisen, wie toll ihr sie fandet.

  • Part 2: Was das Schicksal bereithält ...


    „Da lässt man euch einmal aus den Augen und schon geht alles den Bach runter. Was denkst du dir eigentlich, sie dabei teilnehmen zu lassen?“
    „Was willst du jetzt von mir hören? Du hättest ja mitkommen und es ihr im Vorfeld ausreden können, hast aber darauf verzichtet ...“
    Noch am selben Abend berichtete Ray seinem daheimgebliebenen Zimmerkameraden über die kürzlich abgespielten Ereignisse. Die Reaktion von Eagle, der sich tatsächlich in der letzten Zeit sehr um Sonjas Wohl gesorgt hatte, war alles andere als von Verständnis geprägt, was er an den dazu passenden Stellen mit erregtem Kopfschütteln und wütendem Schnauben während Rays Ausfertigungen klar gemacht hatte.
    „Das ist so ’ne alte und billige Masche. Die haben genau gewusst, wo sie bei Sonja bohren mussten“, schnaubte Eagle verächtlich. „Diese komische Sora ist auch keinen Deut besser.“
    Ray zuckte die Schultern. „Wir haben es versucht ihr auszureden, aber ohne Erfolg. Versuch du es morgen, vielleicht hast du mehr Glück. Vielleicht sollten wir sie einfach unterstützen und Mut zureden, statt sie dauernd zu verhätscheln?“
    „Und am Schluss wandert sie glatt ins Finale und steigt zum Jahrgangschampion auf. Von was träumst du eigentlich nachts?“, höhnte Eagle.
    „Von dir, wie du in Ballettschuhen und in ein knallrotes, enges Tutu gezwängt über die Bühne tänzelst und mit Gänseblümchen um dich wirfst.“
    „Warum gebe ich mich eigentlich immer wieder mit dir ab? Gute Nacht!“



    * * *



    Noch sehr lange lag Sonja im matten Schein ihrer Bettbeleuchtung bäuchlings auf der Matratze. Der erste Blick trog, denn obwohl Sonja den Bleistift in der Hand hielt und vor sich Lesestoff befand, ging sie nicht ihrem üblichen Werk nach, mit dem sie sich so manchen Abend befasste. Auch war durch eine vierpfötige, kastanienbraune und flauschige Zeitgenossin das übliche Bild merkwürdig entfremdet – Evoli leistete ihrer Freundin Gesellschaft, obgleich sie offenbar nicht wusste, was ihre menschliche Gefährtin von ihr wollte, und deshalb ihr Treiben skeptisch aus ihren fast ebenso braunen Augen heraus beobachtete. Doch das seltsame Ding unter ihren Pfoten war weich und einladend und so kringelte sich Evoli nach kurzer Zeit auf Sonjas Kopfkissen ein und döste leise vor sich hin.
    Die Blicke von Mensch und Pokémon kreuzten sich immer wieder und jedes Mal endete das Schauspiel auf dieselbe Art und Weise: Evoli verschränkte fragend den Kopf, maunzte dem Mädchen ein leises „Eeeh?“ entgegen, woraufhin Sonja Evoli kurz aber zutraulich am Nacken kraulte und sich leise seufzend wieder abwechselnd dem Prospekt, welches sie am selben Tag wie auch Evolis Freundschaft erhalten hatte, wie auch ihrem Lehrbuch für Pokémon-Training widmete.
    Der Zeiger von Sonjas Analoguhr wanderte unaufhaltsam der Einuhr-Marke entgegen, als sie zum gefühlten hundertsten Mal die Tabelle mit den Typvorteilen und –schwächen schweifte. Evoli gehörte laut ihrer Broschüre zum Normaltyp. Normal-Pokémon gab es, wie sie es von Professor Cenra vor einigen Wochen flüchtig gehört hatte, in rauen Mengen. Sie waren nicht so speziell wie beispielsweise die Typen Elektro oder Feuer und hatten auch keine nennenswerten Stärken, dafür aber auch keine sonderlichen Schwächen. Sie konnten sich schnell an jedes erdenkliche Terrain anpassen. Ihre Angriffsfähigkeiten beruhten meist auf sture körperliche Kraft. Besonders hervorzuheben war die Tatsache, dass sie durch das richtige Training nahezu jede Attacke meistern konnten, selbst wenn sie zu einem fremden Typ gehörten. Das war aber auch schon alles, was das Trainings-Lehrbuch für Sonja bereit hielt – zumindest, was sie heute, an diesem Abend, noch auf die Schnelle in ihren Kopf bekam. Ihre Augenlider lasteten Tonnen und doch verkniff sie sich ein Gähnen, schob das Buch beiseite und widmete sich wieder der Broschüre, einer „Evoli-Gebrauchsanweisung“, wie man sie bezeichnen konnte, wenn man entweder Pokémon keinerlei Respekt entgegen brachte oder aber ein totaler und hoffnungsloser Nichtskönner war, zu letzterem sich Sonja selbst zählte.
    „Also gerade gut genug für mich“, seufzte Sonja leise und blätterte eine Seite um.
    Sie las und las, über Evolis Eigenschaft, sich einer jeder Situation perfekt anzupassen; über ihre Flexibilität bei der Entwicklung; herausragende Defensive, dafür aber unterdurchschnittliches Angriffspotenzial; spezielle Fähigkeiten, die drohende Gefahr bereits vorzeitig erkennen und durch alarmierendes Aufbäumen des Schwanzes signalisieren ... Ein letztes Mal piepste Evoli ihrer Trainerin ihren unverständlichen Pokémon-Jargon entgegen. Sonjas Hand zitterte heftig, als sie sich Evoli für eine weitere Streicheleinheit näherte, doch erreichte sie an diesem Abend nicht mehr ihr Ziel. Schlagartig erschlafften Sonjas Gelenke, der Kopf sank kraftlos auf die Matratze hinab, schwere, dunkle Rollläden gingen vor die Augen herunter. Mit dem schrecklichen Gedanken, in welche prekäre Situation sie sich abermals wieder hineingeritten hatte, kapitulierte Sonja endlich vor ihrer Müdigkeit und betrat eine Welt, in der noch alles in Ordnung war – die heile und wohlbehütete Welt ihrer Träume.



    * * *



    Wolkenverhangen, dafür aber trocken brach der schicksalhafte Samstag an – der Tag des großen Turniers. Ebenso trüb wie das unbeständige Wetter, präsentierte auch Sonja an besagtem Tage ihren Klassenkameraden die auffällig getrübten Züge ihres Gesichts. Die Nachricht, dass nun auch die strebsame, dafür aber stark gehemmte Sonja ihr Haus repräsentieren wollte, machte einem Lauffeuer gleich seine Runde, stieß allerdings selbst bei gleichfarbigen Schülern auf Unverständnis, gar Skepsis. Auf seinen Favoriten zu wetten, war ein Ritual, so traditionell wie die Schule selbst, doch in Sachen Sonja Lynn zischelten böse Zungen lediglich auf die Minute, in der sie wohl die Nerven verlieren und Hals über Kopf vom Feld türmen würde. Den Rücken gestärkt bekam die von Sticheleien und Flüsterkonzerten verfolgte Sonja lediglich von ihren gleichaltrigen Hauskameraden wie auch von so manch einem freundlich gesonnenen Raikou der zweiten oder dritten Klassenstufe. Auch Eagle hatte sein Bestmöglichstes versucht, um seine Freundin wieder auf den „rechten Pfad“ zu führen – ohne Erfolg. Am Ende hatte er resigniert das Handtuch geworfen, aus lauter Frust aber einen zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort böse tuschelnden Suicune-Schüler eine gescheuert; dummerweise alles unter den wachsamen Augen Professor Finchs, der seinem aufmüpfigen Schüler daraufhin gnadenlos zu einer Woche Hausmeister-Frondienst verdonnerte.
    „Das hättest du nicht tun brauchen ...“
    „Wenn du nicht so verdammt stur wärst ...!“
    „Meinen Traum muss ich wohl umschreiben. Nix mehr Gänseblümchen – ab sofort regnet es blaue Veilchen.“
    „Kannst auch gleich eines haben!“
    Eagle hob drohend die Faust, scheiterte aber an Rays abwinkender Handbewegung und seinem üblichen Grinsen. Beide Jungen marschierten rechts und links zu Sonja. Die letzte Stärkung in Form eines zünftigen Mittagessens war eingenommen, und die Uhr tickte; es waren nur noch wenige Stunden, bis der Startschuss zum Turnier fallen sollte. Wer nicht an selbigen teilnehmen wollte, der verweilte in der Mensa, scherzte mit seinen Kollegen und verwettete vielleicht sein letztes Hemd für ein Päckchen Kaugummi. Die wenigen Anderen dagegen, die Auserwählten sozusagen, warteten bereits in Saal 001 oder aber waren gerade just auf dem Weg dorthin, wie beispielsweise die drei Raikous.
    „Noch kannst du einen Rückzieher machen“, sagte Eagle. Seine Stimme wie auch die Schritte der drei echoten durch den gewundenen ausgestorbenen Korridor; einen Gang, in den bislang keiner von ihnen soweit vorgedrungen war. Neben den Klassenzimmern rechts und links für die Wahlpflichtfächer, die erst im weiteren Verlauf des Schuljahrs auf sie warten würden, gab es noch eine weitere Sehenswürdigkeit: Meisterte man diesen schier endlosen Weg und wurde nicht dummerweise durch seine eigene Nervosität Opfer einer unerwarteten Herzattacke, erreichte man die Schularena, einen Schauplatz ganz besonderer, spektakulärer Kämpfe, wie sie unter anderem von dem Turnier versprochen wurde.
    Sonjas Schritte wurden langsamer. Ray glaubte tatsächlich, sie würde jeden Moment in ihren gewohnten Trott verfallen und kehrt machen, doch schloss sie schnell wieder zu ihren Kameraden auf, wobei ein jäher Anflug des Entsetzens über ihr Gesicht huschte, als sie bemerkte, sie könnte plötzlich mutterseelenallein in diesem für sie völlig fremden Teil der Schule zurückbleiben. „I-ich kann nicht“, antwortete sie kopfschüttelnd. Ihre Stimme bebte, doch verneinte sie es so, wie schon sooft an diesem Tag. „Die machen mich fertig, wenn ich kneife ...“
    „Und wenn du mitmachst, machen sie dich nicht fertig?“ Es war weniger eine Frage, vielmehr eine Feststellung von Eagle. Sonja antwortete nicht, sah man von ihrem leichten Wimmern ab.
    Der Gang wurde zunehmend steiler und endete nach einer weiteren geschlagenen Sekunde an einer großen, blauen, Doppelflügeltür, der Eingang zur Arena, in der man sich bereits in wenigen Stunden inmitten von grölenden Fans und Auge in Auge mit einem siegeswilligen Widersachers wiederfinden würde. Doch noch war es nicht soweit. Links machte der Korridor eine jähe Wende. Es ging eine schmale Treppe hinab, welche wiederum in einen weiteren Korridor mündete.
    „Noch kannst du zurück.“ Dieses Mal ergriff Ray das Wort.
    „Und dann?“, herrschte Sonjas bebende Stimme ihn an. „Was bleibt mir dann? Du hast sie doch gehört, Ray. Du weißt, was passierend wird ... Die drei Suicunes und Sora ... Hast du vielleicht bessere Ideen, siehst du andere Alternativen?“
    „Stell ihnen ein Bein“, schlug Eagle schulterzuckend vor.
    „Stell ihnen zwei!“, ergänzte Ray.
    „Bombardier sie mit Spuckbällchen.“
    „Bombardier ihr Haus mit matschigem Rosenkohl.“
    „Hetz ihnen Evoli auf den Hals.“
    „Hetz ihnen Eagle hier auf den Hals!“
    Diesmal verfehlte Eagles Faust sein Ziel nur ganz knapp, Ray aber tauchte nach seinem Ausweichmanöver gut gelaunt wie eh und je wieder auf.
    Anders als in dem Stockwerk über ihren Köpfen gab es hier, unten im Gewölbe, weitaus weniger Türen – und wenn es welche gab, dann nicht zu Lernzwecken, soviel machten Türnamen wie „Heizraum“ oder „Serverzimmer“ – letzter ließ Rays Finger gierig zucken – unmissverständlich klar. Auch war es etwas frischer und nur spärlich beleuchtet. Die Reise lohnte aber, denn am Ende dann – Raum 001.
    Eagle öffnete den Mund, wurde jedoch von Sonja kurzerhand unterbrochen.
    „Erspar es mir, okay? Ihr geht vor ...“
    Selbst Eagles Hand wurde von bangender Skepsis geleitet, als er nach der silbernen Türklinke langte und sie langsam, sogar leicht zittrig, hinunterdrückte.
    Raum 001 machte nicht viel weniger als ein üblicher Klassensaal her. Tische, Stühle, Bänke, röhrenförmige Deckenbeleuchtung, eine Tafel – nichts Besonderes. Doch Eagles Blick perlte von all diesen Dingen einfach ab. Stattdessen fixierte er einen blauuniformierten Schüler, der gleich an der ersten Bank in unmittelbarer Reichweite zur Tür saß: Groß, schlank, stacheliges schwarzes Haar und eine Hakennase – die Einschlaftablette oder aber Suicunes Geheimwaffe, wie man es nun bezeichnen wollte: Logan Sokol. Für Eagle gab es nur einen Begriff, der dieses Abbild von Selbstherrlichkeit und Arroganz am besten beschrieb: Kotzbrocken. Weiterhin waren bereits Rico Tarik mit Gefolge vertreten, die sofort in ein böses Hassgeflüster bei der Ankunft der Neuankömmlinge verfielen; weniger feindselig wurden sie dagegen von Miles Cambell, einem Suicune-Schüler, mit kurzem Nicken gegrüßt.
    „Ah, Malcom, Ray und Sonja – kommen Sie herein, nur keine falsche Scheu!“ Raikous Hauslehrer, Professor Armadis schritt strahlend auf sie zu. Auch für diesen besonderen Anlass hatte sich der Fachlehrer für Überleben in der Wildnis nicht sonderlich herausgeputzt, gar seinen Stoppelbart gestutzt. Bescheiden, wie man es von ihm kannte, lud er seine drei Hausschüler dazu ein, an einem der leeren Tische Platz zu nehmen.


    Die Minuten zogen sich schleppend dahin. Nicht weniger einladend begrüßte Professor Armadis die weiteren Schüler – trugen sie auch eine andere Farbe oder waren gar in zivil unterwegs -, deren Irrfahrt im Saal 001 endete. Weiterhin gesellten sich auch seine beiden Kollegen, die Professoren Finch und Cenra, ihres Zeichen Hauslehrer von Entei und Suicune, zu den sich langsam füllenden Reihen von Schülern. Nur kurze Zeit später war bereits ein Großteil der freien Tische vergeben. Die Ankunft der letzten Besucher brachte die Stimmung im Raum schlagartig zum Erbeben: Ein starker parfümierter Geruch stieg einem jeden in die Nase, als Fabien, Marina und Julia vom Hause Suicune mit ihrem üblichen falschen Grinsen über die Türschwelle stolzierten. Ihre Blicke fixierten schlagartig Sonja, die ebenso schlagartig zu einem Schatten ihrer Selbst auf dem Stuhl zwischen Ray und Eagle zusammenschrumpfte. Hohl auflachend nahmen sie – zu Sonjas Erleichterung – am anderen Ende des Raumes Platz, wo sie sofort in ihre üblichen Tuscheleien verfielen. Sora Townsend wurde diesmal lediglich von ihrem Schatten begleitet, denn ihre beste Freundin, die sonst stets diese Rolle einnahm, war nicht in Sichtweite – ein seltener Anblick. Ray lief ein kalter Schauer über den Rücken und die Haare an Armen und Beinen wanderten steil zu Berge, als Sora an ihm vorbeischritt. Beinahe fanatisch sog er den Duft ihres Parfums ein – es roch nach Kirschen (Eagle schnaubte abfällig).
    Die drei Professoren waren intensiv in ein Gespräch vertieft. Wie es aber auch für Ray der Fall war, schaute Professor Finch fast genauso oft auf seine Armbanduhr, wie Ray auf das Display seines MP3-Players. Die Anmeldefrist war glücklicherweise fast vorbei. Ohnehin hätte er es nicht viel länger aushalten können, so sehr waren seine Nerven gespannt.
    Ein weiteres Mal öffnete sich die Tür, wenn man es so nennen wollte: regelrecht aufgebrochen wurde sie. Eine stattliche Entei mit breiten Schultern und unglaublich großem Schuhwerk trampelte keuchend in den Raum. Ray kannte sie nur flüchtig. Kurz hatte er mit ihr an jenem schicksalhaften Tag „Freundschaft“ geschlossen, als der Grundstufe ihr Pokémon zugeteilt worden war. Sie waren seit diesem Moment alles andere als gut auf sich zu sprechen.
    „Bin ich ...“, krächzte sie mit krampfhaft an der Brust gedrückter Hand.
    „Nicht doch, meine Liebe“, strahlte Professor Armadis. „Gerade im richtigen Moment will ich meinen.“
    „Jetzt weiß ich endlich, was man meint, wenn man von ,mit der Tür ins Haus fallen’ spricht“, gluckste Ray leise; dummerweise aber offenbar nicht leise genug, denn schlagartig wurde er von zwei äußerst grantigen Augen fixiert. Weder hatte sie ihn vergessen, noch überhört.
    „Pass bloß auf, du Gartenzwerg“, fauchte die Entei-Schülerin ihn leise beim Vorbeigehen an und nahm an einem freien Tisch Platz.
    Professor Finch flüsterte der Suicune-Hauslehrerin etwas zu, die daraufhin nickte und eine Notiz auf ihr Klemmbrett kritzelte. Endlich war es soweit.


    „Willkommen, willkommen!“, wiederholte Professor Armadis und blickte freudig in die Runde. „Es ist immer wieder ein Vergnügen, diesem alljährigen Spektakel beiwohnen zu dürfen und in die fröhlichen Gesichter der Turnierteilnehmer zu blicken.“
    Ray spähte kurz über die Schulter. Fröhlich war wahrscheinlich der wohl unpassendste Begriff, den man für die Atmosphäre im Raum überhaupt aufgreifen konnte. Angespannt, nervös, gierig – das waren eindeutig die Schlagwörter, die Ray in den Sinn kamen. Offenbar bemerkte dies auch Professor Armadis, denn wechselte die Tonlage seiner Stimme mit dem nächsten Satz.
    „Ihr wisst, warum wir hier zusammen gekommen sind: Wie jedes Jahr, wird auch in diesem ein großes Aufeinandertreffen unserer drei Schulhäuser zelebriert. Im Kampf vor euren Mitschülern, vor euren Lehrern, vor den Augen der Welt, teilt ihr, ihr alle, das gleiche Schicksal. Ihr repräsentiert euer Haus und auch euch selbst. Siegreich möchtet ihr alle aus den bevorstehenden Kämpfen hervorgehen; beweisen, was ihr in all den Wochen gelernt habt; euch im Glanze des Ruhmes aalen; vielleicht sogar mit euren Taten vor euren Freunden oder gar eurer heimlichen Liebe prahlen; doch nur einem einzigen von euch wird diese Ehre am Ende des Turniers zuteil. Dennoch aber wollen wir den Spaß an der Freude und den Lerneffekt bei eurer vielleicht ersten großen Herausforderung in den Vordergrund stellen und uns nicht in Hass und Missgunst voneinander trennen. Wir hoffen, ihr seht dies ebenso wie auch wir.“
    Abermals schweifte Rays Blick kurz über den Raum hinweg, wo nur wenige nickten, dafür aber umso mehr einfach nur dasaßen und das Ende der eintönigen Rede abwarteten, so beispielsweise Eagle, der gelangweilt mit seinen Fingern auf die Tischkante trommelte.
    Professor Cenra und Finch gesellten sich nun an die Seite ihres Lehrerkollegen. Besonders auffällig war dabei eine handliche, weiße Karton-Box, die von Enteis Hauslehrer streng bewacht wurde. Ray spähte gierig und mit rapide schneller werdendem Herzschlag über den Tischrand hinaus, ein Ritual, welches von vielen weiteren der Anwesenden geteilt wurde.
    „Dieses Jahr haben wir stolze sechzehn Teilnehmer – ein wahrhaft glücklicher Zufall“, verkündete Professor Armadis. „Vielleicht möchte uns aber unser lieber Professor Finch aufklären, was an dieser Zahl so magisch ist. Zarin, würden Sie uns die Ehre erweisen?“
    Professor Finch machte anfangs alles andere als einen erfreuten Eindruck. Tatsächlich musste man fast davon ausgehen, dass er durch diese Frage regelrecht beleidigt wurde. Hinter seiner kreisförmigen Brille rollten die Augen in entnervte Bahnen. „Sechzehn“, begann er mit seiner üblichen monotonen Stimme, die schlagartig bei Ray eine herannahende Müdigkeit provozierte, „ist deshalb ... magisch, da sie bereits im Vorfeld einen reibungslos linear verlaufenden Turnierfluss verspricht. Wenn Sie die letzten Wochen nicht meinen Unterricht damit verbracht haben, das, was Sie des Nachts wohlmöglich versäumt haben, nachzuholen, dann können Sie mir sicherlich schnell folgen. Adriana, wären Sie so freundlich?“
    Professor Cenra machte ihrem Ruf als Kunstlehrerin alle Ehre und zeichnete binnen weniger Sekunden ein komplettes Schaubild an die Tafel, das den von Professor Finch erwähnten Turnierverlauf kennzeichnete.
    „Die Kämpfe finden im KO-System statt“, erläuterte Professor Cenra anschließend. „Es werden insgesamt acht Begegnungen in der Vorrunde stattfinden. Jeder, der aus seinem Kampf siegreich hervor geht, rückt in die nächste Runde vor.“ Sie deutete auf das untere Mittelfeld, das nur noch hälftige Größe zu dem tiefer gelegenen Bereich hatte. „Im Viertelfinale werden die Sieger aus der Vorrunde gegeneinander antreten. Die aus diesen Kämpfen resultierenden Sieger rücken ins Halbfinale vor, wo von stolzen sechzehn Schüler lediglich noch vier übrig sein werden. Die Gewinner dieser beiden Kämpfe treffen im Finale aufeinander. Noch Fragen?“
    Keine Fragen, dafür aber teils gieriges, teils begeistertes Lippenlecken.
    „Schön“, klatschte Professor Armadis in die Hände. „Wir werden nun Ihre Namen aufrufen und Sie bitten, hier einen beherzten Griff in diese geheimnisvolle Schatulle zu riskieren – keine Angst, es wird sie niemand beißen“, lachte er; eine Geste, die dummerweise von niemandem erwidert wurde. Ein wenig traurig nahm er das Klemmbrett von Professor Cenra entgegen und rief daraufhin den ersten Namen auf. „Brown Julia.“
    Julia Brown löste sich von ihren beiden Hauskameraden und stolzierte nach vorne. Ihre lackierten Finger umklammerten nach kurzer Suche ein weißes Stück Papier. Sie faltete es auseinander und las laut vor: „Sechzehn.“
    „Sechzehn also. Sie bestreiten den letzten Kampf der Vorrunde“, verkündete Professor Armadis. Seine Kollegin füllte eine der vielen Lücken an dem Schaubild an der Tafel mit Julias Namen. Selbige nahm wieder den leeren Platz an der Seite ihrer Freundinnen ein.
    „Cambell Miles.“
    Miles Cambell, ebenfalls Suicune, dafür allerdings nicht ganz so beherzt wie seine Hauskameradin, schritt langsam vor. Es raschelte kurz und auch er brachte einen weißen Notizzettel ans Tageslicht. „Zwölf.“
    „Miles, Sie werden in Runde sechs antreten.“ Professor Cenra vermerkte dies augenblicklich in Ihrem Tafelbild. „Als Nächstes bitte ich Dinas Fabien nach vorne.“
    „Vierzehn.“
    „Siebter Kampf also“, sagte Professor Armadis.
    Inzwischen hatte auch Ray das Prinzip verstanden; ebenfalls, dass es nach dem üblichen Alphabet-Verfahren stattfand. Folglich war er mal wieder einer der Letzten; verflucht sei sein Nachname ...
    „Finch Billy.“
    Billy verabschiedete sich kurz vor seinen Freunden. Seine füllige Hand wanderte in die Box hinab, wo sie gierig wütete, bis auch er das Los seiner Wahl fand. „Zehn.“
    „Fünfter Kampf. Finnley Pam bitte als Nächstes.“
    Ein Stuhl kratzte wütend über den Boden und schwere Plattfüße polterten in Richtung der drei Lehrer. „Eins“, sagte sie.
    „Erster Kampf“, antwortete Professor Armadis. „Hoffe, Sie sind nicht allzu nervös.“ Professor Armadis’ Frage blieb unbeantwortet. Stattdessen stampfte die breitschultrige Entei-Schülerin wieder zu ihrem Tisch, nicht aber ohne Ray bei Vorbeigehen einen vernichtenden Blick zuzuwerfen.
    „Foley Jake.“
    „Ich habe Nummer dreizehn.“
    „Hervorragend! Damit steht unsere erste Paarung fest. Jake, Sie treffen in Runde sieben auf Fabien. Viel Erfolg wünsche ich Ihnen beiden.“ Professor Cenra malte Jakes Namen direkt in das Kästchen neben Fabien. „Granger Malcom.“
    „Wurde auch Zeit!“, flüsterte Eagle und trat ebenfalls die Wanderung nach vorne an. „Fünf.“
    „Dritter Kampf.“
    Eagle warf noch einmal einen flüchtigen Blick an die Tafel. Noch war sein Gegner offen.
    „Lynn Sonja.“
    Sonja kippte beim Klang ihres Namens fast vom Stuhl und es war nur dem rettenden Einsatz von Ray und Eagle zu verdanken, dass sie nicht rücklings auf dem Boden landete. Deutlich langsamer als es bei allen anderen der Fall war, stolperte Sonja nach vorne. Selbst aus der Distanz konnte Ray deutlich ihre Hände zittern sehen, bis die Box sie schließlich verschluckte. Langsam, ganz langsam zog sie schließlich einen Zettel heraus, musste aber beim Entfalten Professor Armadis’ Hilfe in Anspruch nehmen. „Nur nicht so nervös“, lächelte er. „Miss Lynn hat die Nummer fünfzehn und trifft somit in der letzten Runde auf Julia Brown. Sie dürfen sich setzen.“
    Sonjas Züge waren bleicher als ein Liter Milch. Ray half ihr, wieder Platz zu nehmen. Ihre Hände waren eiskalt und schienen völlig taub.
    „Mc Cullen Linsey.“
    „Sechs.“
    „Womit auch für Mr. Granger ein Gegner gefunden wäre. Linsey, Sie treffen in der dritten Runde auf ihren Hauskameraden.“
    Damit hatte Ray nicht gerechnet. Irgendwie musste er sich tatsächlich selbst schämen. Natürlich war es auch möglich, dass sie untereinander Kämpfe austragen mussten. Sein Blick wanderte an die Tafel. Glücklicherweise war Sonjas Gegner bereits ausgewählt, wie er sich nochmals vergewisserte. Linsey schien mit der Wahl sehr zufrieden zu sein, ganz im Gegensatz zu ihrem Gegner, der völlig gelangweilt seine Fingernägel säuberte, was Linsey nur noch mehr auf die Palme brachte.
    „Parker Marina.“
    Die letzte des Suicune-Mädchen-Gespanns zog Nummer vier, was ihr den zweiten Kampf sicherte.
    „Seel Daniel.“
    Ein blasser Suicune-Junge, mit dem Ray bislang noch keinen einzigen Takt gesprochen hatte, schritt nach vorne. „Acht“, verkündete er.
    „Vierter Kampf. - Sokol Logan.“
    Verfolgt von Eagles verächtlichem Blick tat es Logan seinem Hauskameraden gleich. „Elf.“
    „Sechster Kampf. Logan, Sie treffen auf Ihren Hauskameraden Miles.“
    Viele waren nicht mehr übrig. Noch vier offene Plätze zierten das Grundgerüst von Professor Cenras Schaubildes. Es konnte nicht mehr lange dauern ...
    „Tarik Rico.“
    Rico stolzierte vorbei an den Suicune-Mädchen und vorbei an dem Tisch, wo Ray, Eagle und Sonja saßen, wobei er zwei Mal in Folge die Zähne bleckte. „Sieben.“
    „Damit haben wir unsere nächste Paarung: Rico gegen Daniel in Runde vier.“
    Rico schnaubte gelangweilt, fast so, als ob der Suicune-Schüler, gegen den er antreten sollte, seiner gar nicht wert war. Doch was half es?
    „Wir nähern uns dem Ende. Als Nächstes bitte Townsend Sora.“
    Verfolgt von Rays hängendem Kiefer und einer weiteren Sabbersinnflut barg Sora ihre Nummer ans Tageslicht. „Drei.“
    „Zweiter Kampf: Marina gegen Sora. Nun hätten wir noch Valentine Ray.“
    Ray sprang lässig von seinem Stuhl und steuerte seinen Hauslehrer an. Seine Hand fuhr in die Box. Nur noch zwei Zettel waren übrig. Welchen sollte er nehmen? Sie fühlten sich beide vielversprechend an ... „Da haben wir den Schlingel!“ Ray entfaltete sein Blatt, las die Zahl und schaute erst an die Tafel, dann erst verkündete er seinen Fund. „Zwei.“
    „Sie treffen auf Mrs. Finnley in der ersten Runde.“
    Als ob er es geahnt hätte. Ray schaute in die Runde, wo ihn bereits zwei wütende Augen gierig musterten. Aber das hieße ja auch ...
    „Seien Sie uns nicht böse, Nicholas, aber ich denke, wir können uns ihren Griff sparen. Sie treffen in der fünften Begegnung auf Ihren Hauskameraden Billy.“
    Ausnahmslos sämtliche Blicke wanderten zu dem Entei-Tisch, wo die völlig versteinerten Billy und Finch sich gegenseitig anstarrten. Eagle gluckste hämisch auf und auch Ray konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen. Das war es also ...




  • erster!;D
    Heyho,
    pff - um 00:00 Uhr noch on - gar nich gut ;D
    so, Alma will nicht spamen nich spamen nich spam...... btt
    Inhalt: Ich muss ja sagen - viel passiert ist jetz nicht. Sonnja wie immer: "ichlesemiralleswissenanobwohlichdochkeinechancehab" - sie scheint mir so wie diese Streberin bei Potters - Hermine oder so? Im Gegensatz zur genannten Person unterscheidet sie die Haarfarbe genausostark, wie das Gelesene praktisch umzusetzen, wie Hermine, Sonnja aber nicht. Trotzdem glaub ich, dass sie gegen ihre Gegnerin (Julia?) gewinnen wird
    Weiter die Vergabe: Ray gegen diesen Plattfuß - mir fällt hier nic viel ein - würd gern die Schuhgröße wissen, 'ne gute Gelegenheit für Ray, sie damit aufzuziehen - 'ne Freundin von mir beklakt sich gern, dass es bei großen Füßen keine gescheiten Schuhe mehr gibt - daraus könnt ich 'n sehr tollen Spruch entwickeln ;)
    naja, Rechtschreibung sowie Gramatik denke mal soweit richtig ;)
    Lg, Almarik

    Warum wollen Männer keine Osterhasen sein?


    Rechtschreibfehler sind rein zur Belustigung da. Ihr müsst mich auch nicht darauf hinweisen, wie toll ihr sie fandet.

  • Part 3: Ausgekrämt


    Nur langsam leerte sich die Räumlichkeit, in der erst kürzlich das Los über die kommenden Stunden entschieden hatte. Wie viele andere auch, verharrte Rays Blick an dem mit weißer Kreide aufgestellten Tafelbild. Sein erster Gegner lautete auf den Namen „Pam Finnley“, eine breitschultrige, hochgewachsene Entei, auf deren Konto sicherlich so manch eine räuberische Pausenbrot-Erpressung und das ein oder andere blaue Auge in vergangenen Schulzeiten gegangen war. Wie es der Zufall wollte, waren er und Pam bereits bestens miteinander bekannt und zumindest die Entei fieberte sicherlich schon den Augenblick entgegen, in dem sie ihren Gegner in der Luft zerreisen und im Beifall ihrer Hauskameraden baden würde; ein herber Schlag für die Hausehre Raikous und eine Genugtuung, die Ray seiner plattfüßigen Gegnerin unter keinen Umständen gewähren würde, soviel war klar.
    „Also ich für meinen Teil bin zufrieden.“ Lässig schlang Ray seine Arme um seinen Hinterkopf und wippte auf seinem Stuhl auf und ab. „Wie steht es bei euch?“
    „Langweilig ...“, gähnte Eagle. Im selben Augenblick stolzierte Linsey, seine Gegnerin in der dritten Runde, an ihm vorbei. Sie schenkte ihm die hasserfüllteste Grimasse, die sie jemals für einen ihrer Mitschüler übrig gehabt hatte, was ihr vermeintliches Opfer jedoch kein Bisschen aus der Fassung brachte. „Du hast mehr Glück als Verstand, wobei gerade du das wohl am besten weißt. Gleich in der ersten Runde ... Versau es ja nicht! Du und ich“, Eagle deutete auf das Tafelbild, „sehen uns im Halbfinale! Dort wirst du dann deiner Nummer gerecht.“
    „Und du bist dann die Nummer fünf, passend zu deiner letzten Kunstnote?“, feixte Ray.
    Eagle protestierte zornig, doch Ray hatte sich mittlerweile bereits Sonja zugewandt. „Und?“, fragte er vorsichtig.
    „G-gut!“ Sonjas Stimme war hell, gerade zu schrill, was ihr „gut“ nicht gerade untermauerte.
    „Hey, mach mir doch nichts vor, du bist unzufrieden, habe ich Recht?“
    „Was für ein Schnellchecker du doch bist, Ray Valentine!“
    Ein kräftiger Parfüm-Geruch kratzte Ray unangenehm in der Nase. Zur Quelle dieses infernalen Gestanks führte die Stimme oder die eigene Nase, sollte sie nicht unlängst gelähmt oder sämtliche Geruchsknospen ausgewandert sein. Fabien, Marina und Julia liefen im Einheitsverbund an ihren drei andersfarbigen Mitschülern vorbei und bauten sich dann vor ihrem Tisch auf. „Natürlich ist sie nicht zufrieden, wie könnte sie auch?“, machte sich Julia über die Raikous lustig. „Klein-Sonja hat wohl nicht damit gerechnet, dass die Karten so ungünstig für sie gemischt werden würden. Tja, falsch gedacht, meine Liebe!“
    „Provozier sie besser nicht – auf einmal bringt sie uns noch Mathe bei oder wie man seine Klamotten aus der Mülltonne angelt “, warnte Fabien und brach gemeinsam mit ihren Freundinnen in hohles Gelächter aus.
    In Sonjas Augen blitzten die ersten Tränen auf, auch hatte sie bereits die Tür fixiert und stand in den Startlöchern für die wohl spektakulärste Flucht, die diese Schule jemals gesehen hatte und wohl die Titelseite der kommenden Schülerzeitung, noch vor dem Ergebnis des Schulturniers, zieren würde. Eagle aber zerrte sie ruckartig zurück auf ihren Stuhl. Statt ihrer erhob er sich, und so auch Ray.
    „Oh, ja, sie wird euch etwas beibringen: Hochmut kommt vor dem Fall“, drohte Eagle.
    Eagles Warnung erreichte leider nicht den gewünschten Effekt, stattdessen verfielen die drei abermals in schallendes Gelächter.
    „Alle Achtung, Lynn, du hast ja bereits einen Eindruck auf deinen Freund hinterlassen. Er labert ja fast schon so einen geschwollenen Müll zusammen, wie du“, höhnte Fabien und wischte sich eine Träne aus ihren Augen.
    Sonja mied die Blicke und verharrte regungslos auf den Boden unter ihrem Tisch starrend.
    Eagle stierte dagegen zu seinem Nachbar hinüber. „Ray, du hast nicht zufällig matschigen Rosenkohl in deiner Jacke versteckt?“ Ihre Blicke trafen sich. Ray verzog das Gesicht zu einem boshaften Grinsen.
    „Nein, ich bin gerade nicht auf ’nem Öko-Trip. Dafür mampfe ich aber in letzter Zeit Papier in rauen Mengen.“ Ray wagte einen beherzten Griff in seine Hosentasche und offenbarte – ein Spuckrohr. Gleichzeitig stopfte er sich ein Stück Papier in den Mund – eine Geste, die schlagartig jegliches Grinsen auf den roten Lippen der Suicune-Mädchen wegwischte und ihre Züge versteinern ließ.
    „D-das würdest du nicht wagen ...!“
    Eagle und Ray tauschten Blicke. Ray hatte bereits das Blasrohr angesetzt.
    „Ach, würde er nicht?“, wiederholte Eagle mit buttrigem Unterton. „Keine Lehrer, Ray“, stellte Eagle fest. „Tu, was du nicht lassen kannst.“
    Ein letzter skeptischer Austausch von panischen Blicken - ein letzter wankender Schritt zurück - ein letzter Sekundenschlag: Augenblicklich brach die nackte Panik aus, als das erste feuchte Papierkügelchen Marina mitten auf die geschminkte Wange pfefferte. Stühle hämmerten auf den Boden, Tische wurden in heller Aufregung beiseite gestoßen und kratzten über den Boden. Die schrillen Stimmen von Fabien, Marina und Julia waren noch zu hören, als Ray sie längst, unter einer weiteren feuchtfröhlichen Papiersalve, aus dem Zimmer gejagt hatte. Er war ihnen noch ein Stückchen gefolgt, hatte die Jagd dann aber, sichtlich mit seiner Tat zufrieden, abgebrochen. Ebenso lautstark, wie die Tür aufgestoßen worden war, schlug sie Ray wieder zu, ließ seine „rechtsprechende Klinge der Vergeltung“ durch die Luft kreiseln, und klatschte, nachdem er selbiges wieder sicher verstaut hatte, zufrieden in die Hände. „Ich liebe den Geruch von nassen Papierkügelchen am Mittag. Riecht nach Genugtuung.“
    Von den restlichen Wettbewerbsteilnehmern waren nicht viele übrig geblieben: Jake Foley, Daniel Seel und Miles Cambell - doch allesamt brachen sie in Beifall aus, obwohl letztere von beiden sogar zu dem Suicune-Hause gehörten.
    „Sauber“, lobte Jake.
    „Keine schlechte Nummer, muss man euch einfach lassen“, grinste Daniel Seel.
    „Wer hätte gedacht, dass man mit den Schuhen so rennen kann ...“, stellte Miles verblüfft fest.
    Ray baute sich vor dem Tisch auf, wo noch vor wenigen Augenblicken die Suicune-Mädchen auf Sonja eingehackt hatten. Seitdem hatte sich nicht viel verändert. Sonja stierte nach wie vor Löcher in den Boden, obwohl die anklagenden Blicke und Sticheleien längst überfällig waren.
    „Du machst sie platt, hörst du, platt!“, sagte Eagle an Sonja gewandt. „Verlier einfach nicht die Nerven und feg sie dann von der Bildfläche, kapiert?“
    Sonja antwortete nicht. Ray und Eagle tauschten ratlose Blicke.
    „Gehen wir spazieren, das bringt dich vielleicht auf andere Gedanken. Ich will endlich die Arena sehen!“, sagte Ray, klemmte seinen Arm unter Sonjas Achsel und hievte sie gemeinsam mit Eagle auf ihre brüchigen Beine.


    Raum 001 bot Flüchtlingen gleich zwei Ausgänge: Einer führte durch unterirdische Gänge direkt zu der darüber gelegenen Arena – den Pfad, den man als einer der Turnierteilnehmer antreten konnte, wollte man ungesehen das Kampffeld betreten. Die andere Möglichkeit war natürlich jene, den Weg, den man genommen hatte, vorbei an fest verschlossen Türen zu Lager- und Heizkesselräumen, die Treppe in das Erdgeschoss zu nehmen. Ray, Eagle und Sonja entschieden sich für die letzte Wahl, bot schließlich die Zuschauertribüne den wohl weitreichesten Überblick über den Austragungsort der bevorstehenden Kämpfe, oder wie Sonja es nannte: „Gemetzel“.
    Gleichgültig wie man es nun aber sah oder mit welcher Einstellung man die Arena betrat, konnte man gar nicht anders als buchstäblich Bauklötze angesichts dieses ehrfürchtigen Ortes staunen: Ein Großteil des fast dreißig Meter hohen Nebengebäudes der Schule wurde von der langläufigen Zuschauertribüne an der Peripherie des Kampfplatzes in Anspruch genommen. Mit Stufen über Stufen von kleinen Stockwerken boten die stationären Kunststoffstühle eine formidable Sicht und somit die beste Voraussetzung, um dem Spektakel beiwohnen zu können. Weit überschattet und dorthin gerückt, wo es nun mal hingehörte, nämlich an den Rand, wurde die Zuschauertribüne von dem, was hinter dem fünf Meter tiefen Abgrund lag: Das Kampffeld hatte die Proportionen eines halben Fußballstadions, doch suchte man vergebens in dem makellos ebenen Feld nach lästigen Stolperstellen, wie sie einem beispielsweise nach der sorgfältig vorbereiteten Flanke den entscheidenden Schuss verdarben, doch war der grüne, turnhallengleiche Boden ähnlich markiert wie eben ein Fußballplatz. Weiße Linien markierten unmissverständlich die Grenze der Kampffläche und genau im Zentrum bildeten die Farben weiß, rot und schwarz die Umrisse eines gigantischen Pokéballs auf dem Boden. Von der Decke hingen je rechts und links zu beiden Seiten des Feldes zwei stumme Beobachter in Form von Flutlichtscheinwerfern. War man dennoch immer noch nicht zufrieden oder wurde einem gar die Sicht auf das Kampffeld durch den lästigen Affro seines Vordermanns versperrt, konnte man stattdessen auch über den gewaltigen Bildschirm, der fast parallel zu der Zuschauertribüne in der Luft hing, sämtliche Ereignisse mitverfolgen.
    Ray sog den teils anregenden, teils motivierenden Duft, der dieses gelobte Land umgab, erwartungsfroh ein. Er konnte sich schon fast selbst sehen, wie er von nun an jeden seiner Kämpfe hier, im blendenden Schein des Rampenlichts und umgeben von grölenden Groupies, zum Besten gab, und wie er die Herzen der Damen – insbesondere Soras - angesichts seiner unerschrockenen Courage im Auge eines furchteinflößenden Gegners zum Schmelzen brachte. Dummerweise kam ihm dann aber wieder in den Sinn, dass dieser Ort nur für die wichtigsten Begegnungen im Schuljahr vorbehalten war – eine Gemeinheit!
    „An was denkst du?“, fragte Ray an Eagle gewandt. Beide tauschten Blicke.
    Eagles Lippen kräuselten sich in Sekundenbruchteilen zu einem verschlagenen Grinsen. So unterschiedlich sie beide auch waren – in diesem Augenblick schwebten er und Ray auf derselben Wellenlänge. „Worauf warten wir noch? Gehen wir uns die Köpfe einschlagen!“, offenbarte Eagle als erstes seine Gedanken.
    Auch Rays Grinsen wuchs noch weiter in die Breite. „Na auf!“
    „Ungestüm wie eh und je, aber so kennen und lieben wir dich ja.“ Andy samt Freundin marschierte amüsiert lächelnd auf das Gespann zu. „Denkst du eigentlich nie nach, wenn du etwas tust? Und du“, er sah in Eagles Richtung, „gerade von dir hätte ich eigentlich erwartet, dass du mit deinen Kräften schonend umgehst.“ Er hatte nun seine beiden jüngeren Hausbewohner erreicht und schaute sie abwechselnd an. „Ihr müsstet doch wissen, was euch für harte Kämpfe bevorstehen werden.“
    Sarahs rechte Augenwimper wanderte in die Höhe. „Das war doch dieselbe Moralpredigt, die ich dir vor einem Jahr erteilt habe ...“, sagte sie zu Andy.
    „Ups, erwischt!“
    „Spielverderber ...“, maulte Ray, doch Eagle kratzte sich nachdenklich am Kinn.
    „Wenn ihr scharf auf den Sieg seid und groß abräumen wollt, müsst ihr eben euren inneren Schweinehund besiegen und das will ich euch geraten haben! Denkt an die Ehre, die ihr verteidigen müsst“, sagte Sarah ernst.
    „Ganz zu schweigen von dem großen Preis“, ergänzte Andy nickend.
    „Von dem wir übrigens noch immer nicht wissen, was es ist“, sagte Ray. Sacht aber dennoch bestimmend schob er den sofort protestierenden Andy von seiner Freundin weg und schmiegte sich so an Sarahs Schultern, wie es normalerweise ihr Freund tat. „Sarah ...?“, feixte Ray aalglatt.
    „Vergiss es!“, erwiderte Sarah und schubste Ray weg. „Wir haben euch doch nicht ganze fünf Wochen hingehalten um jetzt“, sie warf einen Blick auf die Uhr, „eine anderthalbe Stunde vor dem Startschuss alles zu verraten. Ne, ne, Leute.“
    „Warum seid ihr dann hier?“, herrschte sie Eagle bissig an.
    Andy zuckte die Schultern. „Die besten Plätze natürlich sichern, was denkst du denn? Das wird hier propenvoll, auch wenn ein Teil der Schülerschaft in die Herbstferien ausgewandert ist.“ Andy hielt einen kurzen Moment inne und fragte dann: „Sagt mal, ihr müsstet doch inzwischen über die Kämpfe Bescheid wissen. Gegen wen habt ihr es in der Vorrunde zu tun?“
    Ray und Eagle klärten die beiden darüber auf, welche „plattfüßigen Gegner“, beziehungsweiße welche „Waschlappen“ auf sie warteten und welche Kämpfe sonst noch anstanden. Zufrieden stellte Eagle fest, dass auch Andy und Sarah sich köstlich darüber amüsierten, dass Billy und Nicholas gegeneinander antreten mussten.
    „Und Sonja?“, hakte Sarah am Ende nach.
    „Frag sie doch selbst ... Äh, Sonja ...?“ Keinem, nicht einmal Ray oder Eagle, war aufgefallen, dass Sonja während ihrer kleinen Unterhaltung von ihrer Seite gewichen war. Hektisch wurden Köpfe in alle Himmelsrichtungen gedreht und die Umgebung sorgfältig inspiziert, bis man ihre verschollene Hauskameraden nicht unweit von ihnen auf einem der noch vielen freien Tribünenplätze sitzen saß. Sie war in eines ihrer Bücher vertieft.
    „Sie hält uns Plätze frei, ein richtiges Goldstück, unsere Sonja“, freute sich Andy.


    Als er erwähnt hatte, die besten Plätze würden schnell vergeben sein, hatte Andy durchaus nicht gelogen: Sonja hatte kaum ihre plötzlich auftauchenden Freunde begrüßt, als schon weitere Schüler aller Hausfarben in die Schularena strömten. Kurze Zeit später war es auch schon vorbei mit der Stille und die Luft war erfüllt von den Klängen hunderter Stimmen und munterem Fußgetrabbel. Die Ekstase, die nun die Arena in vollem Umfang erfüllte, war ansteckend; ihr auszuweichen oder gar den Rücken zuzukehren, war gänzlich unmöglich, ganz zu schweigen davon, auf das irrsinnige Recht bestehen zu wollen, eine komplette Sitzreihe nur für sich allein zu beanspruchen, wie es Eagle forderte und lautstark einem fast einen ganzen Kopf größeren Entei-Schüler verklickern wollte. Mit dem Erscheinen weiterer Entei-Oberstufler kam seine Szene endgültig zum Erliegen und er nahm - wenn auch ununterbrochen fluchend - den Platz zwischen Andy und Jake Foley ein.
    Zwischen sämtlichen Warteten brach schon bald der insgeheime Konkurrenzkampf aus, wer wohl am häufigsten in der Minute auf die scheinbar stillstehende Uhr schaute. Anderswo entdeckte man ebenfalls nur angespannte und erwartungsfrohe Gesichter, die – sollten auch sie nicht ihre Uhr beschatten - verlangend hinunter in die Arena oder aber in die Lehrerloge blickten, die sich genau in der Mitte der Tribüne befand und somit natürlich den umfangreichesten Blick über das Kampffeld bot. „Letztes Jahr war ich dort unten ...“, seufzte Andy verträumt. Er suchte Rays Blick. „Glaub’ mir, ich würde alles dafür geben, mit dir zu tauschen.“
    „Kaufe ich dir gerne ab, aber daraus wird nichts!“, gluckste Ray.
    „Hey, ich glaube, es geht los!“, rief Jake.
    Sämtliche Blicke in Hörweite folgten Jakes Finger, der direkt auf die Lehrerloge gerichtet war. Professor Liva hatte sich erhoben, gleichzeitig wurden die Gesichtszüge der jungen und ehrgeizigen Schulleiterin auf dem gigantischen Monitor projiziert – sie lächelte.
    „Willkommen!“ Von allen Decken und Wänden hallte die tausendfach verstärkte fröhliche Stimme der Schulleiterin wider. Das muntere Geschnatter, das just vor wenigen Augenblicken noch den Raum erfüllt hatte, erstarb jäh. Eine Stecknadel zu hören, wäre ein Leichtes gewesen. Rays Muskeln verkrampften sich fieberhaft und seine spärliche Armbehaarung wanderte in steile Höhen. „Willkommen“, wiederholte Professor Liva. „Alle Jahre wieder ... Nein, keine langen Reden, keine Sorge.“ Ihr Augenzwinkern und ihr makelloses Lächeln, das sie jedem im Raum schenkte, war durch den übergroßen Bildschirm gut zu sehen. „Es bedarf keiner großen Worte, schließlich wisst ihr alle, warum ihr hier seid, hättet ihr sonst schließlich nicht diesen Weg auf euch genommen. Ich komme also direkt zur Sache: Dieses Jahr haben sich sechzehn Schüler der Grundstufe bei dem Turnier angemeldet. Es wird acht Vorrundenkämpfe geben, das Viertelfinale umfasst vier und das Halbfinale zwei Kämpfe. Dann natürlich - der große Augenblick, in dem sich die beiden herausragendsten Schüler im Kampf gegenüberstehen werden. Wer wird es sein? Wer wird dieses Jahr die Nase vorn haben? Wird es Entei sein?“ Augenblicklich brach der Jubel in den Reihen sämtlicher Entei-Schüler aus. „Oder aber Raikou?“ In Rays unmittelbarem Umfeld dröhnten die Stimmen durch die Luft und Füße polterten in einem Trommelwirbel auf die Tribüne ein. Sämtliche Raikous, und auch er, taten es ihren rotfarbigen Kollegen gleich. „Vielleicht aber doch Suicune?“ Nicht weniger triumphal stimmte das suicunegehörige Stimmenmeer in jauchzendes Gegröle ein. „Nun, wir werden sehen.“ Inzwischen war ihr Bild auf dem Monitor verschwunden und stattdessen wurden nun die namentlichen Begegnungen der Vorrundenkämpfe gezeigt. Ungeachtet dessen fuhr die Schulleiterin fort. „Auch dieses Jahr wird dem Sieger neben Ruhm und Ehre für sich und sein Haus ein ganz besonderes Privileg zuteil werden – die Rede ist natürlich von einer Trophäe, die dem Helden am Ende seiner langen und erschwerlichen Siegesserie überreicht werden wird.“ Nicht nur Ray, sondern auch die meisten anderen in seinem Umfeld beugten sich mit brennender Neugierde in Richtung des Monitors, der nun wieder Professor Liva zeigte. Sie hielt etwas in der Hand, doch war es kein Geldbündel, wie man sich gerne erzählte, aber auch nicht der vor Wochen von Diana geflüsterte Pokéball, in dem ein Drachen-Pokémon schlummerte und auf seinen neuen Freund wartete. Es war so klein und unscheinbar, dass Ray es anfangs für einen Witz hielt.
    „Ein Handy?“, dachte er laut.
    „Was soll das sein?“, ergänzte Jake Rays Gedanken. Selbst Sonja, bis zu diesem Moment noch mit der Nase völlig in ihrer Evoli-Broschüre vertieft, raffte sich auf und schaute skeptisch auf den Monitor.
    „Wartet es ab“, sagte Sarah.
    „Wie in den letzten Jahren auch, ist der Pokédex ein großzügiges Geschenk des anerkannten Pokémon-Professors Samuel Eich, in dessen Fußstapfen ihr vielleicht irgendwann eintreten werdet, und nur den besten ihres Fachs vorbehalten. Dieses nützliche, hochtechnisierte Gerät enthält mehr Lernstoff, als wir euch in den Rollen eurer Lehrer wohl jemals vermitteln können.“
    „Das soll es echt sein?“, fragte Ray skeptisch an Sarah gewandt, während die Direktorin weiter redete. Irgendwie war er enttäuscht. Die große Überraschung hatte er sich wesentlich spektakulärer vorgestellt, auch wenn er natürlich primär an dem Turnier teilnahm, um Spaß zu haben und seine Fähigkeiten zur Schau zu stellen. „Soll das ein Witz sein?“ Alle Augen der Grundstüfler waren auf Sarah gerichtet.
    „Ein Witz?“ Fragend runzelte Sarah die Stirn. „ Ein Witz? Keineswegs, Ray.“ Sie kramte in ihrer Hosentasche und barg dasselbe Gerät – wenn auch durch den Gebrauch etwas zerkratzt -, welches Professor Liva in den Händen hielt. „Das hier hat alles auf Lager: Sämtliche Infos über alle bekannten Pokémon auf dem gesamten Globus, Lebensräume, Fangtipps, Angriffs- und Verteidigungsstrategien, es zeigt dir an, welche Attacken Pokémon beherrschen, welche Fähigkeiten in ihnen schlummern, ... Der Pokédex ist sozusagen eine griffbereite Enzyklopädie über Pokémon und stets auf dem neusten Stand. Das perfekte Spielzeug für einen pokémonverrückten Technikfreak wie dich, Ray.“
    „Das alles kann das Ding?“ Ray war nun sichtlich beeindruckt, was nicht minder von allen anderen seiner Klassenstufe geteilt wurde; ja selbst Sonja starrte mit einem selten bei ihr zu sehenden gierigen Funkeln in den Augen auf das unscheinbare Gerät in Sarahs Hand. Jetzt hatte auch Ray endgültig das Pokédex-Fieber gepackt und reihte sich nicht weniger lautstark in die Jubelrufe und das Klatschorchester nach der Beendigung von Professor Livas Rede ein.
    Ein letztes Mal lächelte sie noch in den Monitor. „Es ist soweit: Die Vorrunde beginnt. Ich bitte nun Pam Finnley des Entei-Hauses und Ray Valentine von Raikou hinunter auf das Turnierfeld.“

  • Hey,
    interessant interessant ;D
    okay, der Reihenfolge nach:
    Die Nummer mit unseren Suicune-girls war doch mal gut, Ray mit dem Blasrohr war so genial ;D auch gut find ich, dass deren Hauskameraden zu den Raikous halten ;D die 3 scheinen echt unbeliebt zu sein ;D
    Die Beschreibung des Stadions war ebenfalls gelungen - ich kanns mir bildlich vorstellen - Fußballfeld ohne Tore mit Pokeball im Mittelkreis ;D
    Die rede von liva war dann hmja - geht - der Preis hingegen hats in sich - ich hab sowas von garnix damit gerechnet, dass der altbekannte Dex der Preis wird ;)
    wie immer war der Spaßfaktor sehr hoch ;D
    okay - dann warten wir mal auf den nächsten Part!
    Lg, Almarik

    Warum wollen Männer keine Osterhasen sein?


    Rechtschreibfehler sind rein zur Belustigung da. Ihr müsst mich auch nicht darauf hinweisen, wie toll ihr sie fandet.

  • Part 4: Rays Feuerprobe



    Ein hässliches Grinsen umspielte Pam Finnleys kräftige Wangenknochen, als ihr Gegner seinen Platz am anderen Ende des Kampffeldes eingenommen hatte. Ray hatte sich auf seinem Weg recht viel Zeit gelassen. Das Gefühl, wie er die Treppe hinunter in die Arena geschritten war, verfolgt von ausnahmslos allen Augen und begleitet von Orchestern aus fortwährendem Wiederholen seines Namens, war einmalig und mit nichts auf dieser Welt zu vergleichen gewesen. Ein letztes Mal hatte er noch der Kurve, auf der seine Freunde ihn anfeuerten und mit ihm mitfieberten, einen zuversichtlichen Handgruß zugeworfen, der mit lauten Jubelklängen beantwortet worden war. Gerne hätte er sich auch innerlich so gefühlt, wie er sich nach außen hin präsentierte, denn hier, hier unten, ganz allein, belastet von Blicken, die ihn entweder blindes Vertrauen oder aber nichts als Verachtung entgegen brachten, fühlte er sich merkwürdig allein.
    „Lampenfieber“, schoss es ihm durch den Kopf. Eine völlig normale Reaktion, bestand auch er schließlich nur aus Fleisch und Blut. Es wäre wohl unnatürlich gewesen, würden sich nicht Puls und Herzschlag ein Wettrennen geben, dass am Ende mit einer Adrenalindusche auf dem Siegerpodest beendet werden würde – und sicherlich würde es durchweg allen Teilnehmern bei dem Turnier so ergehen.
    „Hast wohl Muffensausen?“, stellte Pam fest. Ihre Stimme musste sich durch das unverständliche Gesumme des Publikums hindurchkämpfen und doch hatte Ray ihren bissigen Kommentar problemlos aufgenommen.
    Ray beantwortete es, indem er Sheinux’ Pokéball zückte und seiner Gegnerin wie einen Revolver vor dem erlösenden Schuss entgegenhielt. „Muffensausen? I wo! Ich frage mich nur die ganze Zeit, wo um alles in der Welt man solche übergroßen Latschen wie die deinen herbekommt.“
    „Du mieser, kleiner ...“
    „Trainer, es ist soweit. Das Turnier ist eröffnet – Ring frei!“
    Ob nun Professor Livas Stimme oder aber Rays letzte Kommentar als Startsignal für das Turnier stand, war fraglich. Wichtig war lediglich, dass beide Schüler in der Arena die Botschaft richtig zu deuten vermochten. Ihre Stunde war endlich geschlagen, die Zeit zum Plaudern war vorbei, der Kampf konnte beginnen.


    Wie auch sein Trainer hatte Sheinux ebenfalls sein Debüt in den geweihten Hallen der Campus-Arena, wo schon so manch eine glorreiche Schlacht für Ruhm, Ehre und natürlich für das Gefühl, besser als der Gegenüber zu sein, geschlagen worden war. Nach einem weitläufigen Blick über den in den Augen des kleinen Elektro-Pokémons natürlich noch wesentlich eindrucksvolleren, von Menschenhand geschaffenen Schauplatz unvergessener Siege und niederschmetternder Niederlagen trafen sich seine Augen mit denen Rays.
    „Hey, Sheinux! Bereit, Geschichte zu schreiben und ein paar Enteis nach Strich und Faden zu vermöbeln?“ Siegessicher ballte Ray die Faust. Sheinux erwiderte diese Geste mit einem zustimmenden Kampfesbrüllen, das sicherlich jedem Drachen-Pokémon Konkurrenz hätte machen können.
    Auch die Reihen von Rays Gegnerin hatten zwischenzeitlich Zuwachs bekommen. Pams Kampfgefährtin wurde von einer pausbäckigen und stark korpulenten Kampfzwergin repräsentiert. Die fetten Fäuste wurden nur noch von dem fülligen, schon clownsähnlichen Gesicht übertroffen. Die fast von Kopf bis Fuß maisgelbe Gestalt tänzelte auf der Stelle hin und her und schlug ihre beiden Fäuste in Boxermanier aufeinander. Die Farbe Gelb verkörperte in der Pokémon-Welt oft Elektrizität, wie es Ray mal flüchtig während seiner sporadischen Wachphasen im Unterricht aufgeschnappt hatte. Doch war er sich sehr sicher, dass durch die Venen von Pams Repräsentantin nicht derselbe elektronische Fluss floss, wie es bei Sheinux der Fall war. Wenn er sich nur noch daran erinnern könnte, was es noch für Typen gab ... Elektro, Feuer, Flug, Drache, ...
    „Sei’s drum! Wir greifen an!“, verlautete Ray seinen Willen. „Leg los, Sheinux!“
    „Und du tust es ihm gleich, Makuhita!“, feuerte Pam ihre Partnerin an.
    Knisternde Leidenschaft prallte auf gestählte Muskeln. Sheinux war regelrecht losgaloppiert, während Makuhita mit langsamen Schritten ihm entgegen gekommen war. Sheinux’ Trommelfeuer seiner kleinen Pfoten war es zu verdanken gewesen, dass beide Kontrahenten noch auf Pams Kampffeldseite brachial zusammengekracht waren. Funken lösten sich aus dem Fell des kleinen Elektro-Pokémons, prasselten auf den Boden in unmittelbarer Nähe und schwärzten ihn stellenweise, während sich Sheinux Schulter an Schulter mit seiner ihm deutlich überragenden Gegner ein Kräftemessen lieferte. Makuhitas Blick war durch ihre fast verschlossenen Augen nur schwer zu deuten, doch schien es fast so, als hätte sie mit keinerlei Schwierigkeiten zu kämpfen, ganz im Gegensatz zu ihrem kleinen, vierbeinigen Gegner: Sie tat einen kleinen Schritt – Sheinux wurde wie ein störendes Hindernis von ihr weggeschoben. Abermals machte sie einen Schritt – ihr Gegner wurde einem Möbelstück gleich verrückt. Und noch einen Schritt ... Sheinux stand bereits heißer Schweiß vor Anstrengung im Gesicht, er schlug seine Klauen in den seltsamen Belag unter seinen Pfoten, versuchte seine Stellung zu verankern – vergebens. Seine Gegnerin übertraf ihn in Sachen körperlicher Stärke bei weitem.
    Ray jagte ein kalter Schauer über den Rücken, und doch behielt er die Nerven. „Das wird nichts“, brüllte er über das Kampffeld. „Mach, dass du da wegkommst.“
    Die Worte verfehlten ihr Ziel nicht. Sheinux reagierte sofort, seine Beine stießen sich kraftvoll vom Boden ab und er selbst landete fast zwei Meter von seiner vorherigen Position entfernt. Makuhita, die nicht mit diesem schnellen Rückzieher gerechnet hatte, verlor das Gleichgewicht, geriet ins Taumeln und wankte ungewollt auf ihren pfiffigen Gegner zu. Zum zweiten Mal in nur kurzer Folge stieß sich Sheinux kraftvoll von dem Boden ab, hüpfte einfach über das Haupt seiner stolpernden Widersacherin hinweg und fand sich nun vor ihrem entblößten Rücken wider – die Gelegenheit. Er rammte seine Schulter einem Speer gleich in Makuhitas Rücken. Pam fluchte laut auf, doch nun hatte ihre Gefährtin endgültig die Beherrschung über ihren Körper verloren und stürzte mit einem kurzen verbalen Schmerzensschrei auf den Boden.
    Die Menge auf der Tribüne war in Sekundenbruchteilen auf den Beinen und brach in Jubelchören und Schmähschreien aus. Ray wandte sich zu ihnen um, stieß seine Faust siegessicher in die Luft und brüllte triumphierend – ein Fehler. Wo noch vor Wimpernschlägen Jubel und Gejohle regiert hatten, nahm urplötzlich eine stöhnende Hymne deren Platz ein. Mit flauem Gefühl im Magen wirbelte Ray herum. Makuhita war bereits wieder auf den Beinen und hatte die Unachtsamkeit von Trainer und Pokémon optimal ausgekostet, um ihren tückischen Feind mit nur einem einzigen Hieb regelrecht zu fällen.
    Sheinux Körper purzelte zurück, schlug mehrmals auf den Boden auf und wurde jedes Mal von einem klagenden Ausdruck von Leid begleitet. In aller Seelenruhe und regungslos betrachtete Makuhita ihr Werk, bis das kleine Fellbündel vor ihren Augen endlich zum Stillstand kam und bäuchlings auf dem Boden liegen blieb.



    * * *



    „Verdammt!“
    „Sheinux!“
    „Dieser Idiot! Was denkt der sich nur dabei?“ Eagle war auf den Beinen. Seine Finger umklammerten wütend das Geländer, das die Zuschauertribüne vor dem metertiefen Abgrund der Arena trennte.
    „Konnte es sich wohl nicht nehmen lassen, etwas zu prahlen“, brummte Andy. „So kennen wir ihn halt ... Lasst nie euren Feind aus den Augen – so etwas lernt ihr bei Finch nicht. Da muss man erst einmal dort unten gestanden haben, um das zu begreifen.“
    „Und jetzt ist es aus ...“, schnaubte Eagle. „Was für eine Blamage ...!“
    „Denk doch da nicht dran“, sagte Jake und übertönte Eagles malmende Kiefer. „Nicht Ray, so würde er niemals untergehen.“
    „Sheinux kommt wieder hoch!“



    * * *



    Zähneknirschend raffte sich Sheinux wieder auf seine vier Beine. Zorn regierte in seinen Augen, seine kleinen, spitzen Zähne blitzen auf und hatten nichts anderes als Vergeltung für seine schwerfällige Gegnerin übrig. Dennoch hatte er sofort auf das Geheiß seines Trainers regiert und mit weiten Sprüngen Abstand zwischen sich und Makuhita eingebracht. Rays Herzschlag war durch dieses Schlüsselerlebnis noch immer überdurchschnittlich hoch, sogar noch höher, als zu Beginn des Kampfes. Mit dem letzten Sprung war Sheinux wieder auf die verbündete Kampffeldfläche zurückgekehrt und stand rücklings nur wenige Meter von seinem Freund und Trainer entfernt.
    „Alles klar bei dir, kannst du weitermachen?“, rief Ray. Sein Blick fixierte dabei besorgt die schnell größer werdenden blauen Flecke und Abschürfungen, die seine Unachtsamkeit zu verantworten hatte.
    Sheinux warf einen Blick über die Schulter. Ein kampfeslustiges Lächeln umspielte seine Lefzen – er nickte. „Brrw!“
    „Stark! Dann auf zu Runde zwei! Bring diesem wandelnden Sandsack mal etwas Naturwissenschaft bei!“
    „Was verstehst du Schrumpfhirn schon von Naturwissenschaft?“, höhnte Pam über das Kampffeld hinweg und erteilte gleichzeitig Makuhita den Angriffsbefehl.
    „Genug, um zu wissen, dass, wenn man an einen Elektrozaun greift, eine gescheuert bekommt!“, erwiderte Ray.
    Jeder von Sheinux’ aufgepeitschten Schritten wurde von elektronischen Entladungen aus Fell und Schwanz begleitet, die durch die Luft sausten oder aber den Boden vernarbten. Unaufhaltsam und rasend schnell näherte er sich seiner ihm gemächlich entgegenkommenden Widersacherin, denn war die Reichweite seiner Elektro-Attacken stark begrenzt. Die Distanz zwischen den beiden Pokémon schrumpfte unaufhörlich: Zwölf Meter, zehn Meter, sieben Meter ... Dann - der Augenblick. Sheinux bremste ruckartig ab, verankerte seine Krallen in den Boden. Den Schweif bedrohlich aufgerichtet und der Pelz steil zu Berge stehend entlud sich aus seinem Körper pausenlos eine geballte Energieladung. Kurze Augenblicke später standen er und Makuhita ein einem flackernden, gelben Flammenmeer gefangen. Unaufhörlich entwich Sheinux’ Körper der knisternde Stromfluss, der einerseits die Luft zum Erbeben brachte, andererseits eine Verbindung zwischen sich und seinem pausbäckigen Gegenüber herstellte. Der Körper des Elektro-Pokémons zitterte und auch Ray, als stummer Beobachter, teilte das Schicksal seines Freundes. Pams Partnerin verharrte regungslos auf einem Fleck, ließ den Funkenstrom, in dem sie gefangen war, einfach über sich ergehen. Plötzlich aber – sie wagte einen vorsichtigen Schritt. Der reißende Stromfluss ließ nicht ab und hatte Makuhita nach wie vor gänzlich in seinem Besitz. Doch die sture Gefangene leistete Widerstand, setzte einen Fuß vor den anderen, rückte immer näher. Ihre verschlossenen, molligen Züge vermochten es ausgezeichnet, jegliche Form von Gefühlen zu verbergen. Man konnte nur mutmaßen, ob sie überhaupt etwas spürte. Etwas aber war klar: Von Sekunde zu Sekunde kam sie immer näher ... Ray erschauderte und so auch Sheinux, doch weigerte sich letzterer, die Verbindung zu kappen. Er brüllte zornig auf; ein besonders kräftiger Stromschlag jagte durch das grelle Energiekabel hindurch, erfasste seine nur noch wenige Schritte entfernte Gegnerin. Eine Faust wurde geballt – erhoben – ausgefahren.
    Wamm!
    Die Zuschauer stöhnten auf. Rays Magen hatte sich umgestülpt, krampfhaft verzog er das Gesicht, so sehr hatte ihn dieser Schlag auf seinen Freund mitgenommen. Makuhitas Faust hatte direkt auf die Stirn seines Gegners gezielt und Sheinux somit bereits zum zweiten Mal von den Beinen gefegt und meterweit zurückgeworfen. Mit diesem Schlag war die Quelle des Stromflusses versiegt und beide, Sheinux und Makuhita, waren wieder frei voneinander.
    Rays Muskeln zuckten stoßweise auf. Er wollte etwas sagen, seine Kehle war aber wie zugeschnürt. Er musste etwas tun, wusste aber nicht, was ... Sheinux krümmte sich vor Schmerzen, seine Glieder hingen schlaff übereinander und der Kopf leblos am Boden. Dagegen stand Makuhita wie ein sturer Fels in der Brandung und verzog noch immer keine Miene.
    „Shei-Sheinux!“, würgte Ray heraus. Er wollte etwas tun, doch was? Auf das Kampffeld rennen und seinen Freund aus den drohenden Fängen dieses gemeingefährlichen Ungetüms retten? Das wäre die Disqualifikation, doch gleichzeitig auch die sichere Rettung seines besten Freundes. Es zerriss ihn innerlich. Er konnte nicht nur so dastehen – er musste handeln.
    Plötzlich – Leben regte sich wenn auch nur langsam in jedem einzelnen der vor Sekunden noch erschlafften Beine. Sheinux’ Zähneknirschen war selbst noch aus meterweiter Distanz zu seinem Trainer gut zu hören. Mühsam zog er seinen zermalmten Körper in die Höhe, bis er wieder auf allen Vieren stand; er schwankte arg, hielt aber sein Gleichgewicht.
    Ray zwang den Klos in seinem Hals in die Knie. Er schluckte und atmete erleichtert aus. Doch die Gefahr war akut, der Kampf schließlich noch längst nicht vorbei.
    „Du musst nicht mehr weitermachen, hörst du?“, rief er Sheinux zu.
    Sein Freund aber schaute nur über die Schulter. Ein dunkelblauer Fleck klaffte ihm an der Stirn. Der Anblick des nunmehr völlig struppigen und verwüsteten Fells hätte sicherlich die drei Suicune-Mädchen schneller ins Boxhorn gejagt, als fünf prallgefüllte Spukrohre. Ein militantes Grinsen huschte ihm über das Gesicht. Er atmete schwer, wollte sich nicht geschlagen geben. Nicht so ...
    „Okay ...“, murmelte Ray leise, sodass nur Sheinux ihn hören konnte. „Aber riskier nicht so viel, verstanden?“
    Sheinux nickte und wandte sich wieder seiner regungslosen Gegnerin zu.



    * * *



    „Ich glaube, das wird nichts mehr ...“, murmelte Andy, was sofort zu Aufständen in seiner Unmittelbaren Umgebung führte.
    „Laber nicht!“, fauchte Eagle.
    „Es ist noch nicht vorbei, es kann noch nicht vorbei sein ...“, murmelte Jake immer wieder.
    Sonja und Sarah tauschten skeptische Blicke. „Was meinst du?“, fragte Sonja schließlich. „Hat er noch eine Chance?“
    Sarahs Blick wanderte hinunter in die Arena, wo Sheinux wieder etwas Abstand zwischen sich und seiner Gegnerin gebracht und sich für den kommenden Angriff aufgebaut hatte. „Ich würde ihn noch nicht abschreiben, so viel ist sicher ...“




    * * *



    „Alle Achtung, Gartenzwerg. Du und dein wandelnder Flohzirkus habt ganz schön Mumm in den Knochen“, sagte Pam, nicht aber ohne dass ein hässliches Grinsen ihr Gesicht entstellte. Sie leckte sich amüsiert die Lippen. „Gib auf!“, sagte sie schließlich. „Es ist vorbei.“
    Jetzt grinste Ray, wenn auch nicht ganz so feist. „Man soll den Tag nicht vor dem Elternabend loben!“
    „Angeber. Die Grimasse steht dir gut. Pass aber nur auf, dass sie dir nicht irgendwann festfriert und du ewig so dämlich grinsend durch die Welt wandern musst“, höhnte Pam.
    „Angeber?“ Nun wuchs Rays Grinsen auf die Ausmaße seiner Gegnerin. „Das ist das Stichwort. Sheinux, zeig ihnen mal, was wir Angeber alles drauf haben, wenn wir in die Enge getrieben werden!“
    Ein riskantes Spiel, das wusste Ray, aber die vielleicht einzige Chance, Sheinux heil herauszubringen, bevor ihm das Fell über die Ohren gezogen werden würde. Sheinux nickte seinem Freund noch kurz zu, bevor er sich wieder Makuhita zuwandte. Ein Großteil der gut beleuchteten Arena verdunkelte sich schlagartig. Gleichzeitig stand Sheinux’ Körper scheinbar in ein feurig glühendes Flammenmeer gehüllt.
    „Greif an, Makuhita! Mach ihn fertig!“, brüllte Pam über das Kampffeld hinweg.
    Makuhita setzte sich wieder in Bewegung und näherte sich seinem trotzigen Gegner. Sheinux rührte sich, doch nicht so, wie man es eigentlich erwartet hätte. Anstatt dass er seine Muskeln für den nächsten Angriff seiner Gegnerin bereits stählte oder aber sich für einen Konterangriff bereit machte, setzte er sich lediglich auf den Hintern, schloss die Augen und leckte scheinbar gelangweilt und in aller Seelenruhe seine rechte Forderpfote. Das Glühen, das ihn die ganze Zeit über umgeben hatte, ging plötzlich auf Makuhita über. Nun stand sie in Flammen und ihre Bewegungen wurden in Bruchteilen immer langsamer, bis sie gänzlich zum Erliegen kam.
    „Was soll das?“, herrschte Pam ihr Pokémon an. „Feg ihn vom Feld!“ Doch ihr Befehl blieb unbeantwortet, sah man von dem wütenden Kampfschrei ab, der urplötzlich Makuhitas Kehle entwich.
    Angeberei war ein riskanter Angriff: Provokationen brachten den Gegner zur Weißglut, womit natürlich seine Stärke in drastische Höhen gesteigert wurden, die Überdosis von Adrenalin allerdings, die Makuhitas wonniges Gemüt nun erstmals in eine widerliche Fratze verwandelte, hatte erheblich Einfluss auf die Körperbeherrschung und Verstand des Gegners. Das feurige Rot verließ nun Makuhita und das alte Licht kehrte wieder in die Arena zurück. Pams Partnerin taumelte schwer. Ihre dicken Fäuste zerpflügten die Luft, ohne dass sie auch nur ansatzweise irgendein Ziel erreichten.
    „Jetzt oder nie - schnapp sie dir!“, brüllte Ray.
    Blitzschnell stand Sheinux wieder auf seinen Beinen. In halsbrecherischer Geschwindigkeit stürmte er auf die kontinuierlich Löcher in die Luft schlagende Makuhita zu. Sie schwankte, eine Faust kam geflogen, Sheinux tauchte darunter hinweg, seine Pfoten stießen sich vom Boden ab, er fuhr Krallen und Zähne aus und jagte sie direkt in die Brust und den Hals seiner Gegnerin. Die Wucht von Sheinux’ Sturmangriff fegte Makuhita von den Beinen. Rücklings und mit Sheinux, der mit seinem ganzen Körpergewicht seine Gegnerin hinunterdrückte, fiel Makuhita um. Noch immer wirbelten die Fäuste hin und her und Füße strampelten durch die Luft – ohne auch nur ansatzweise etwas Haariges zu ergattern. Einmal wieder entfesselte Sheinux die Elemente und jagte Volt für Volt durch den Körper, den er unter seinen Pfoten begraben hielt, bis ...
    Makuhitas Extremitäten erschlafften. Ein letzter schwacher Fausthieb brach durch die Luft, bevor die Faust leblos auf den Boden klatschte.
    „Aus und vorbei! Makuhita ist unfähig, diesen Kampf weiterzuführen, und somit geschlagen!“
    Professor Livas tausendfach verstärkte Stimme jagte durch die Halle und wurde nur von dem Stimmungsausbruch auf der Tribüne überschattet. Pam Finnley schimpfte laut auf und sackte auf die Knie. Ihre Fäuste droschen einmal wütend auf den Arenaboden ein, was ihr Schicksal jedoch in keinster Weise änderte. Ray und Sheinux hatten gesiegt.



  • Hey,
    du ;D - ich glaub, dass ich ab jetz zu jedem 2ten Part kommien werde,doch extrem geil wie schnell die Parts kommen, aber der Kommentierer wird dann nie müde zu ... kommentieren ;D
    okay - wo warn wir stehn geblieben?
    Zu Rech und Gram sag ich nix, was mitlerweile bekannt sein sollte - waren aber kaum Fehler da
    Stil: Naja, ein Kampf - ich bin sie von dir anders gewohnt, entweder mit Scheinux Gespotte bzw mit einem Panflam dabei ;D - so, mal ohne die Pflicht und Ehre-Kommentare beim Kampf ist er anders, ich persönlich find den Pflicht und Ehre-Style besser, ist aber Geschmackssache ;D
    Aber trotzdem war der Kampf eine Wucht, war die Attacke, die Makuhita benutzt hat, als Scheinux sie geschockt hat (der lange Stromfluss) vlt Ausdauer bzw Gedult? Wär das nur 'n Reversaler mit Salac Berry - Okay ein Haryama mit Salac ist der Tod, vlt aber Resttalker mit Adrenalin oder so - das Ding macht scho übelst Damage - Moment, wir sind bei einer Fanfiction, nich bei der Teambewertung 4ter Klasse^^, da Haryama in Gen5 noch'n paar sichere Counter bekommen hat (Tornadus, Gliscor mit Toxic orb)...
    Aber das ist unnötig, könntest aber btw echt mal in die nächsten Parte (wie ist der Plural von Part? Parte is falsch) - du könntest da mal 'n paar krasse Moveseds (Attackensets) einringen, würd mir vom Suicune-Streber ein klasse Set erwarten, da er schlau genug ist, sein Porygon 'n Evolid zu geben, es zu Porygon 2 zu entwickeln etc ;D
    naja - ich hör mal auf, da ich zusehr ablenke ;), deine Parts sind zwar nich so kurz aber auch nich in Akiras Länge, sodass 'n Killakommi von mir kommen könnte ;)
    Okay - dann Lg, Almarik
    E: Hab 'n bisschen vergessen: ich fands gut, dasset zuerst so ausgeschaut hat, als ob Ray ernsthaft verlieren würde, so haste richtig Spannung aufgebaut! Das war der sinnvollste Teil des Kommis^^

    Warum wollen Männer keine Osterhasen sein?


    Rechtschreibfehler sind rein zur Belustigung da. Ihr müsst mich auch nicht darauf hinweisen, wie toll ihr sie fandet.

  • Part 5: Der Nächste bitte!



    Der Nervenkitzel hatte seinen Preis gefordert und diese Nacht würden Ray wohl die Bilder des Kampfes verfolgen oder er sich gar in seinen Träumen seiner wütenden Gegnerin immer und immer wieder aufs Neue stellen müssen. Sein Zittern vermochte er daher nicht zu leugnen, doch war es ihm auch völlig gleichgültig. Warum sollte er seine Gefühle verbergen? Sheinux und er hatten ihren Mann gestanden, allen Gefahren, Widrigkeiten, Fäusten und Plattfüßen getrotzt und waren schließlich siegreich aus dieser Schlacht hervorgegangen. Sollte doch die ganze Welt davon erfahren, wie sehr er während des ganzen Kampfes gebangt hatte; wie kurz er davor gewesen war, das Handtuch zu werfen; und wie stolz er nun auf seinen kleinen Freund war. Offenarmig empfing Ray seinen besten Freund und drückte ihn mit stolzgeschwelter Brust an seinen Leib. Er wischte Sheinux das überflüssige Haar aus dem Gesicht und den perlenden Schweiß vom Kinn und strahlte ihm entgegen. Die Menge johlte. Ausnahmslos jede gelbe Uniform war auf den Beinen und ließ ihr warmes Antlitz auf ihn und seinen Kameraden herableuchten.
    „Du warst umwerfend, echt!“
    Eben noch über beide seiner großen Ohren grinsend, zuckte Sheinux jäh zusammen und ein knapper Anflug von Schmerz jagte ihm über das schweißgebadete Gesicht. Besorgt musterte Ray das pulsierende Ding auf der Stirn seines Freundes, das er gerade versehentlich berührt hatte. „Alles klar?“
    Ray entging nicht, dass Sheinux sich arg die Zähne zusammenbiss. Der Tribut des Sieges vermochte leider nicht sein Leid zu lindern. Mit zusammengekniffenen Kiefern kam ein knappes „Shruw ...“ über seine Lefzen, wohl ein Ausdruck, dass sich Ray keine Sorgen zu machen brauchte. Das Mindeste, was Ray tun konnte, war, seine ganze Aufmerksamkeit nun seinem kleinen, pelzigen Freund zu widmen. Er schenkte Pam, die noch immer auf ihren Knien saß und ihnen zornig entgegenfunkelte, ein letztes Lächeln, bevor er, mit Sheinux an seine Brust geschmiegt, die Treppe zur Tribüne hinauf marschierte.


    „Sauber, Ray!“
    „Gute Arbeit!“
    „Der hast du es ordentlich gezeigt!“
    „Zumindest hast du es nicht versaut ...“
    Der Beifall der Zuschauer hatte Ray noch eine ganze Weile verfolgt und war erst mit seiner Ankunft bei seinen Raikou-Gefährten verebbt. Ersetzt wurde dies nun durch kameradschaftliches Schulterklopfen und Komplimente, die wie Blumen bei einer Hochzeit verteilt wurden.
    „Wie geht uns unserem kleinen Helden?“, ergriff Sonja das Wort.
    Ausnahmslos alle Blicke, selbst in den hinteren Raikou-Reihen, fixierten das kleine Fellbündel in Rays Armen.
    Ray graulte ihm sanft den Nacken, da sein Gesicht, aufgrund seiner Beschwerden, ein Tabuthema war. „Dem geht es blendend! Ein paar Schrammen, blaue Flecken und, was noch am schlimmsten ist, ein knurrender Magen. Ich bring ihn in den Krankenflügel. Professor Joy soll ihn sich mal anschauen.“ Rays Blick überflog die Lehrerloge. Er vergewisserte sich, dass seine Lehrerin für Pokémon-Pflege und gleichzeitig die Krankenschwester der Schule nicht anwesend war.“
    „Brauchst gar nicht zu schauen – sie ist nicht da“, sagte Sarah kopfschüttelnd. „Sie hält nicht sonderlich viel von solchen Veranstaltungen. Das wirst du auch gleich von ihr zu hören bekommen, denke ich ...“
    Ray runzelte fragend die Stirn.
    „Sie hält solche Schauspiele – wie hat sie es erst neulich erwähnt ... ach, ja – für ,Gemetzel’“, meinte Andy.
    „Kann ich nur allzu gut nachvollziehen ...“, ergänzte Sonja tonlos.
    Professor Livas Stimme erwachte plötzlich zu neuem Leben und gebot die Aufmerksamkeit für die nächsten nervenaufreibenden Minuten. Kampf zwei, in dem Sora Townsend auf Marina Parker traf, stand in den Startlöchern. Ein wenig wehmütig schaute Ray in die Richtung vieler rotuniformierter Schüler, wo sich zeitgleich Sora grazil wie ein Engel erhob. Synchron zu dem flauen Gefühl in seiner Brust wälzte sich Sheinux in seinen Armen und stabilisierte seine etwas unbequeme Position, womit er – beabsichtigt oder nicht - das Interesse seines Freundes wieder weckte. Gerne hätte Ray Soras Kampf beigewohnt, ihr zugejubelt und angefeuert, doch ...
    „Sheinux geht vor“, sagte Ray laut, mehr aber zu sich selbst, als zu den anderen, um sich sein eigenes Gelübde wieder aufzurufen.
    „Gute Einstellung“, bekräftigte Sonja Rays Entscheidung.
    „Dann mach, dass du wegkommst!“, unterstützte Eagle auf seine ganz besondere Art seinen Hauskameraden. „Aber sieh zu, dass du zeitig wieder da bist. Ich bin im dritten Kampf dran – und vergiss ja nicht, ein paar Fotos zu machen. Ich will meine Siegesserie dokumentiert haben und gefälligst bei der nächsten Ausgabe auf der Titelseite stehen!“
    „Der Bankrott für die Schülerzeitung“, lachte Ray und trottete los. Eagle war sekundenschnell auf den Beinen und protestierte lautstark, doch Ray war bereits außer Hörweite gerückt.


    „Ach, ist es wieder soweit? Das Blutbad hat also angefangen? Worauf warten Sie noch – legen Sie Sheinux auf das Bett, aber dalli!“
    Noch nicht allzu oft hatte Ray den weiß marmorierten und mit frisch überzogenen Betten bepflasterten Krankenflügel aufsuchen müssen. Bislang waren er und Sheinux aus den meisten ihrer Begegnungen mit heiler Haut, beziehungsweise Fell, hervorgegangen. Professor Mary Joy war ihrem jungen Schüler bisher auch immer recht freundlich gesonnen gewesen, auch wenn es in ihrem Pokémon-Pflege Unterricht nur für das untere Mittelmaß genügte. Man sah aber deutlich, dass Andy und Sarah nicht damit untertrieben hatten, als sie behaupteten, die Professorin und Schulärztin wäre nicht sehr über das laufende Turnier angetan. Ihr sonst so sanfter und verständnisvoller Ton hatte einem noch nie zuvor von Ray wahrgenommenen schroffen und unwirschen Temperamentsausbruch Platz gemacht, den ihr Schüler nun deutlich zu spüren bekam.
    „Sie haben sich hoffentlich sehr mit Ruhm bekleckert, ja? Muss sich ja schließlich auch gelohnt haben, ihren Freund zur Schlachtbank geführt zu haben. Und wer darf am Schluss wieder die Scherben zusammenfegen? Ersparen Sie mir die Antwort. Ja, ja. Das werden wieder ein paar ruhelosen Stunden für mich und den armen Mr. Figo geben ...“
    „Wir haben gewonnen, und wie wir das haben!“, trat Ray ihre Ruhmestat feist grinsend breit. Er hatte sich kurzerhand dazu entschieden, seiner Lehrerin keinen Spielraum für ihre zielgerechten Seitenhiebe zu überlassen. Was erwartete sie schließlich? Pokémon liebten Kämpfe, waren es nun Auseinandersetzungen um ihre territorialen Ansprüche einzufordern oder aber zu Kräftemessen in Arenen. Es gehörte einfach dazu.
    Professor Joy beugte sich währenddessen mit papierdünnen Lippen über Sheinux, der auf dem Bett die Untersuchung der Menschen seelenruhig über sich ergehen ließ.
    „Fassen Sie ihm nicht dort hin!“, warnte Ray seine Lehrerin plötzlich, doch war es bereits zu spät. Ihre dünnen und sehr geschmeidigen Finger hatten die Stirn ihres Patienten berührt. Sheinux zuckte erschrocken zusammen. Sekundenschnell blitzte es aus seinem Mund hervor. Er fuhr seine kleinen Zähne aus und schnappte nach menschlichem Fleisch. Schon fast gelangweilt und doch gleichzeitig wie ein Blitz zog Professor Joy ihre Finger wieder aus der Reichweite von den gefährlichen Beißern.
    „Alle Achtung ...“, murmelte Ray leise und empfand rege Bewunderung gegenüber seiner Professorin.
    „Keine Sorge“, beruhigte Professor Joy ihren Schüler. „Ich mache das nicht zum ersten Mal.“
    Zielgerecht steuerte sie ein kleines Rollwägelchen an, auf dem sich allerlei farbenbunte Fläschchen und medizinische Gerätschaften in allen Größenordnungen tummelten, von denen Ray ihre Verwendungszwecke nur mutmaßen konnte. Beherzigt griff sie mit der einen Hand eine rote Flasche, mit der anderen eine kleine Zange mit einem bereits fest eingeklemmten Wattebausch. Professor Joy benetzte die weiße Watte großzügig mit der leicht bitter riechenden Flüssigkeit aus der Flasche und betupfte ganz sachte Sheinux’ Stirn – er ließ es über sich ergehen.
    „Das machst du toll!“, lobte Ray strahlend die gute Kinderstube seines Freundes und griff in seine Tasche. „Da, für dich. Verschluck dich aber nicht.“
    „Ich sehe wohl nicht recht!“ Professor Joy hatte ihr Werkzeug gesenkt und schaute nun vorwurfsvoll und mit geschürzten Lippen auf ihren jungen Schüler. „Sie werden doch ihrem Pokémon keine Schokolade geben wollen?!“
    „Warum nicht?“, entgegnete Ray lächelnd und schob seinem vierbeinigen Freund das Schokoladenbonbon in den Mund. Er kaute und schmatzte vergnügt.
    „Sie können doch nicht, Sie dürfen ...“, stammelte Professor Joy völlig perplex.
    „Warum nicht?“, wiederholte Ray.
    „So etwas ist nicht gut für ihn, geschweige denn, dass es ihm schmeckt ...“
    „Sie sehen doch, dass es ihm schmeckt“, antwortete Ray, was von dem zufriedenen Schmatzen und Lefzenlecken seines Freundes nur untermauert wurde. „Da ist noch eine Stelle, da, an der rechten Schulter, sehen Sie?“
    Noch deutlich von dieser Erfahrung geschockt, nahm Professor Joy ihr Handwerk wieder auf, auch wenn ihre Bewegungen nicht mehr ganz so geschickt und zielgerecht wie vor einigen Sekunden noch waren.
    „Ich hoffe doch“, begann sie vorsichtig, „Sie geben ihm nicht öfters solche Dinge?“
    „Zählen Sandwiches und Törtchen auch dazu?“, fragte Ray grinsend.
    „M-mein lieber Junge ...!“ Professor Joy hatte vor lauter Schreck ihre Zange fallen gelassen.
    „Dauert es noch lange? Eag..., Malcom, mein Kumpel kämpft auch gleich, und der ist nicht besonders angetan, wenn ich ihn warten lasse.
    Nun war es mit der Ruhe der Ärztin völlig aus. Plötzlich kreidebleich und mit zitternder Unterlippe starrte sie Ray an. „Doch nicht Malcom Granger?“, fragte sie bestürzt.
    „Doch, genau der“, antwortete Ray.
    Professor Joy schlug die Hände über den Kopf zusammen. „Um Himmels Willen! Der hat mir letzte Woche noch mindestens zwei Patienten täglich geschickt. Geknickte Schwänze, Kontusionen, Frakturen, Hämatome und weiß der Deibel was noch ... Was auf dessen Kappe noch alles gehen wird – Sie und er sind beide in der Grundstufe?“
    Ray nickte.
    „Großer Gott! Drei Jahre, wenn es hoch kommt ...“ Mit zitternden Händen tupfte Sie Sheinux noch in aller Eile ab. „Sie können gehen“, sagte sie nach einer knappen Minute. „Gönnen Sie Sheinux für heute eine Pause. Ich muss Vorbereitungen treffen – großer Gott ...“ Leise vor sich hinbrabbelnd und noch sichtlich von Rays Besuch geschockt schob Professor Joy ihren Rollwagen zur Seite und eilte in ihr Ärztezimmer. Das alles kümmerte Ray allerdings nicht im Geringsten – Hauptsache, Sheinux ging es wieder blendend.
    „Wollen wir?“, strahlte Ray seinen Partner an.
    „Shuww!“, antwortete er, hüpfte erst ein paar Mal auf dem weichen Krankenbett auf der Stelle, bevor er direkt in Rays Arme sprang.
    Noch im Vorbeigehen wünschte er der gerade eintreffenden und ihn missgelaunt anfunkelnden Pam Finnley ein freundliches „Hi und bye!“ und ließ die Krankenstation hinter sich.



    * * *



    „Ich wusste, dass er es verpeilt, aber was kann man von dem schon erwarten ...?“
    Eagle erhob sich. Sein Blick ruhte auf dem Kampffeld, wo gerade die Entei-Schülerin Sora ihren Sieg gegen die Suicune Marina Parker feierte und sich in dem Jubel ihrer Hauskameraden aalte. Anders, als es bei Ray der Fall gewesen war, hatte sie Schwalbini, ihre befiederte Pokémon-Partnerin, bereits Augenblicke nach der Gewinnerbekanntgabe zurück in ihren Pokéball gesperrt, als ob ihr das Freiheitsgefühl der Flug-Pokémon - gerade nach so einem Kampf - überhaupt nichts bedeutete. Eagle hasste es und verspürte nichts als Abneigung gegen dieses Verhalten – und somit auch für Sora.
    „Gut Ding will Weile haben“, unterbrach Andy ungewollt Eagles Gedanken.
    „Verschon mich mit deinen Binsenweisheiten. Davon habe ich dank Ray schon mehr als genug“, schnaubte Eagle. Er blickte in die Runde. „Ich bin jetzt dran.“
    „Du meinst, wir sind jetzt dran!“ Linsey Mac Cullen, seine Gegnerin, die einige wenige Sitzreihen hinter ihnen gesessen hatte, hatte sich erhoben. Ihre Blicke trafen sich. „Wir sehen uns da unten, Granger. Setz schon mal dein Testament auf“, höhnte sie und stolzierte davon.“
    „Wir werden sehen ...“, feixte Eagle boshaft grinsend. Noch einmal blickte er in die Reihen seiner Verbündeten. „Ich nehme den langen Weg. Ich betrete das Kampffeld mit Stil.“ Nicht weniger hochtrabend marschierte er davon.


    Statt dass auch er eine der drei Treppen auf der Zuschauertribüne herunterschritt, verließ Eagle den Schauplatz der Kämpfe. Der Lärm, Jubel und der Geruch von Sieg und Niederlage verebbten fast gänzlich, als er die große, blaue Flügeltür zuschlug und sich in dem langen Schulkorridor wiederfand. Sofort nahm er die Treppe, die er just vor wenigen Stunden mit Ray und Sonja in Richtung des Raumes 001 genommen hatte. Diesmal aber war er allein und so mochte er es am liebsten. Niemand, der ihn behindern konnte, niemand, der ihn mit sinnlosem Gelaber ablenkte, niemand, auf den er Rücksicht nehmen musste.
    Seine Schritte und so auch die Erregung in seiner Brust beschleunigten sich. Er öffnete die Tür. Raum 001 lag völlig ausgestorben vor ihm. Tische und Stühle waren noch ebenso achtlos zur Seite geschoben, wie zu dem Augenblick, als Ray die drei Suicunes mit seiner Blaßrohr-Attacke in die Flucht gejagt hatte. Desinteressiert durchquerte der einsame Raikou-Schüler den Raum und steuerte zielsicher die gegenüberliegende Tür an. Ein weiterer Gang erstreckte sich vor ihm, ähnlich wie jener, der auch wieder zurückführte. Doch gab es hier keine Türen, die einen ablenkten, oder gar auf dumme Gedanken brachten. Nur ein langer, schwach beleuchteter Gang. Keine Minute musste er laufen, als er an eine Abzweigung kam. Inzwischen drangen dumpfe Klänge an sein Ohr. Der gedämpfte Lärm der Arena – er war nicht mehr weit entfernt. Kurz hob er die Augenbraue und schlug den linken Pfad ein. Mit jedem seiner sich instinktiv beschleunigenden Schritte wuchs der Lärm. Er bog um die Ecke – Sackgasse. Ihm rutschte das Herz in die Hose. Hier gab es nichts. War das ein Witz? Dann aber – er schaute sich um. Eine sich in Handhöhe befindende Druckvorrichtung mit einem nach oben und einem nach unten zeigenden Pfeil: wohl eine Art von Fahrtstuhl ...



    * * *



    „Hab - hab ich was verpasst?“
    „Ray! Endlich!“
    „Wurde auch Zeit!“
    „Mit Sheinux alles klar?“
    Mit fest an die Brust gepresster Hand und mit der anderen noch immer Sheinux umklammernd erreichte Ray die vordere Bankreihe, wo seine Freunde bereits auf ihn warteten und seinen Platz warmhielten. Atemlos und mit leichtem Seitenstechen, doch zufrieden grinsend sah er in die Runde. „Alles klar. Sheinux ist topfit!“ Er schwenkte um und suchte mit seinem Blick die Arena ab. Seine Klassenkameradin Linsey stand bereits an Ort und Stelle, nur ihr Gegner fehlte ...“
    „Wo ist Eagle?“, fragte Ray.
    Sarah schnaubte. „Konnte sich wohl einen dramatischen Auftritt nicht verkneifen. Passt zu ihm.“
    „Da kommt er schon“, sagte Andy plötzlich.
    „Wo?“ Nicht nur Ray, auch alle anderen Grundstüfler durchforsteten mit ihren Augen die Arena. Doch von ihrem Mitschüler fehlte jede Spur. Stattdessen aber ...
    „Was ist da los? Der Boden ... er ist weg?“



    * * *



    Mit jedem Zentimeter, den Eagle auf der brummenden Plattform nach oben fuhr, bohrte sich der Lärm immer kräftiger in sein Trommelfell. Die dumpfe Beleuchtung des Untergrunds wurde schnell von einem erdrückenden Lichtschwall gänzlich überschattet. Langsam, ganz langsam bewegte sich der Fahrtstuhl nach oben. Er stellte sich auf die Zehenspitzen. Nur noch wenige Zentimeter trennten ihn von dem Auftritt, der seiner selbst auch gebührte.
    Ein leichter Stoß bei Fahrtesende brachte den einzigen Passagier an Bord leicht ins Taumeln, doch hielt er grazil das Gleichgewicht – er hatte die Arena betreten. Sofort vervielfältigte sich der Lärm, der ununterbrochen von der Zuschauertribüne ausging. Sie begrüßten ihn, ihn ganz allein. Schon jetzt siegesgewiss stieß er seine Faust triumphierend in die Höhe, was einen weiteren Stimmungsausbruch, insbesondere aus der Richtung seiner gelbuniformierten Mitschüler, zur Folge hatte. Sein eigenes Herz hämmerte, wie er es noch nie zuvor erlebt hatte.
    „Du gehörst auf eine Bühne. Ganz großes Kino, echt ...“
    Eagle wandte sich seiner Gegnerin zu, die ihm eine hässliche Grimasse zuwarf.
    „Du hast dir ja jede Menge Zeit gelassen, du Held“, stellte Linsey fest. „Angst?“
    Eagle lachte hohl. „Angst? Tut mir ja wahnsinnig Leid, dass du warten musstest“, höhnte er. „Dafür geht es jetzt schnell bergab.“ Sein Daumen ging auf steile Talfahrt. Eine unmissverständliche Geste.
    „Wer es glaubt ...“
    „Schüler, Runde drei kann beginnen. Ring frei!“


    Zwei Pokébälle segelten fast zeitgleich durch die Luft. Die Art aber, wie sie von ihren Besitzern geworfen wurden, konnte verschiedener nicht sein. Linseys Partnerin Marill hatte längst ihre ganzen Formen angenommen, ja selbst das Weiße in ihren Knopfaugen funkelte bereits in dem Glanz der Scheinwerfer, während Eagles Pokéball noch in höchsten Höhen flog. Höher, immer höher, fast erreichte er die Decke, bis ...
    Mit dem markanten Plopp-Geräusch öffnete sich die Tür zu Staralilis Nest. In dem grellen Lichtschein materialisierten sich zwei kräftige Flügel, zwei tückische krallenbesetzten Beine und ein unheilbringender Schnabel. Staralilis charakteristischer Kampfesschrei übertönte selbst das Publikum. Pfeilschnell schoss sie durch die Luft, umkreiste einmal die komplette Kampffläche, bevor sie etwa in Kopfhöhe zu Eagle hinunterschwebte.
    „Alle Achtung, dein kleiner Piepmatz ist ja genauso aufgeblasen wie du“, lachte Linsey, nachdem Staralili ihren Höhenflug beendet hatte.
    „Und deine kleine Wasserratte hat fast so große Löffel wie du, aber eben nur fast“, spottete Eagle boshaft grinsend.
    Sekundenschnell lief Linsey rot an. Sie stampfte einen vielsagenden Schritt weit in die Richtung ihres Gegners und so auch Marill, die offenbar die Ungeduld und die Wut ihrer Trainerin teilte. „Ich mach dich so was von nieder, verlass dich drauf!“, bellte sie. „Wir legen los, Marill! Wisch diesem eingebildeten Fatzke sein blödes Grinsen aus dem Gesicht! Aquaknarre!“
    „Für lustige Wasserspielchen fehlt mir die Lust!“, brüllte Eagle. Sämtliche seiner fünf ausgestreckten Finger deuteten auf Marill und signalisierten seinen Angriffsbefehl. „Beende dieses Trauerspiel! Wirbelwind!“
    Ein letztes Mal noch zerpflügte Staralilis Schrei vor ihrer Attacke den Kampschauplatz. Mit einem kräftigen Flügelschlag stieß sie sich ab und erreichte binnen Wimpernschlägen luftige Höhen. Im selben Moment schoss bereits die Attacke ihrer Gegnerin ihr entgegen, doch war sie noch weit davon entfernt, irgendwelchen Schaden zu verursachen: Marill hatte nur einmal tief Luft geholt und ein kalten ozeanblauen Wasserstrahl, der direkt aus ihrem Rachen zu kommen schien, entfesselt. Staralilis Flügel peitschten währenddessen wie ein Trommelwirbel aufeinander. Wind kam auf, dann – ein Sturm. Direkt vor Staralili entfesselte sich eine Urgewalt der Natur in Form eines wütenden Wirbelsturms. Immer schneller prallten die kleinen, zierlichen Flügel aufeinander. Das rotierende Unheil wuchs und nahm immer größere Proportionen an.
    „Mach sie alle! Jetzt!“, brüllte Eagle durch das Tosen des Sturms hindurch.
    Ein letzter Flügelschlag und der Zyklon schnellte direkt auf das kleine, blaue Geschöpf auf dem Erdboden zu. Doch noch befand sich der Gegenangriff wie ein schützendes Schild direkt zwischen den beiden Kontrahenten. Eiskaltes Wasser stieß auf tobende Winde. Der Wasserstrahl prallte wie eine müde Erbse an der Windhose ab und ließ einen schwachen Regenschauer auf das Kampffeld niederprasseln. Der Sturm aber hatte kein bisschen seiner Stärke verloren.
    „Weich aus!“
    „Vergiss es!“
    Für Marill kam jede Hilfe zu spät. Ihre kleinen Stummelbeine hatten den Boden verlassen und ehe sie es sich versah, kreiselte sie inmitten des Orkans – sie war gefangen. Nur schwächlich drangen die piepsenden und um Gnade flehenden Hilfeschreie aus dem Getöse heraus. Immer schneller wirbelte sie herum, immer schwächer wurden die vergeblichen Versuche, der aufgebäumten Wut der Natur zu entkommen.
    „Beende es!“, donnerte Eagle.
    Staralili brüllte. Mit einen letzten, vernichtenden Zusammenschlagen ihrer Flügel entfesselte sich eine Schockwelle aus ihrem Federkleid, die rasend schnell auf das rotierende Ungetüm zufegte. Die noch vor wenigen Augenblicken so unerschütterliche Macht des Sturms war binnen weniger Augenblicke gebrochen. Die Gefangene wurde preisgegeben, doch nicht so, wie sich es Trainerin und Pokémon erwünscht hatten. Marill wurde buchstäblich aus der Luft gerissen und mit einem Schlag rücklings gegen die hinter ihrer Trainerin gelegene Balustrade geschmettert. Regungslos lag Marill mit dem Rücken zu der Wand, Schaum quoll ihr aus dem Mund, der zackige Schweif, dessen Ende eine blaue Kugel zierte, hing leblos hinab.
    In Linseys Gesicht fehlte jegliche Farbe des Lebens. Der nun mehr gebrochene Sturm gab endlich wieder die Laute in der Arena frei, wenn es welche gegeben hätte – Sterbensstille, sah man von den leisen Flügelschlägen ab, mit denen Staralili gemächlich gen Boden schwebte.
    „Klarer Sieg durch eindrucksvolles KO durch Malcom Granger“, brach Professor Livas Stimme nach langer Pause den erdrückenden Frieden und erlaubte somit ungewollt, die Jubelrufe endlich wieder einläuten zu lassen.




  • Part 6: Glorreiche Siege und bittere Niederlagen



    „Musst du es eigentlich immer gleich übertreiben?“
    „Was soll ich sagen? Ich bin einfach gut.“
    Noch eine ganze Weile hatte Eagle nach seinem Triumph auf dem Kampffeld verweilt. Er hatte sich es einfach nicht nehmen lassen können, den Sieg gegen seine Klassenkameradin gebührend zu feiern und in den verlockenden Jubelstürmen den überflüssigen Schweiß auf seiner Stirn fortzuspülen. Das aufgeregte Pochen seines Herzens kam dem triumphierenden Brüllen einer wilden Bestie gleich, die gerade ihre Beute zur Strecke gebracht hatte und sich nun darauf vorbereitete, die Fangzähne in das frische Fleisch zu schlagen und dem zappelnden Opfer den wirklich allerletzten Funken seines Lebenswillens auszuhauchen. Staralili hatte ihren Stammplatz auf der Schulter ihres menschlichen Gefährten eingenommen. Wichtigtuerisch plusterte sie sich im Angesicht der vielen Menschen am laufenden Band auf, was angesichts des nur beschränkten Platzes ihres Throns nur reichlich wenig Spielraum für die sonst so üblichen angeberischen Posen bot. Sie beließ es daher ausnahmslos bei diesen Gesten und dem fast identischen zufriedenen Gesichtsausdruck ihres Trainers.
    „Wie lange?“, fragte Eagle.
    „Das mussten ... etwa zwei Minuten gewesen sein“, antwortete Ray. Sheinux, der auf dem Schoß seines Freundes saß, begrüßte seine gefiederte Freundin fröhlich, was allerdings von ihr, abgesehen von einer kurzen, schnippischen Kopfbewegung ihrerseits, unbeantwortet blieb.
    „Sauber, aber noch ausreifungsfähig. Nächstes Mal wird es besser.“ Eagle nahm seinen nur kurz verlassenen Sitzplatz wieder ein; er war noch warm.
    „Die arme Linsey ...“, murmelte Sonja und lugte zusammen mit vielen ihrer Kameraden über das Geländer herab. Die soeben erlittene Niederlage hatte die Verliererin unzweifelhaft schwer getroffen und ihrem sonst so willensstarkes Selbstbewusstsein einen herben Schlag in die Magengegend verpasst. Mit demselben zutiefst erschütterten Gesichtsausdruck wie zu dem Zeitpunkt ihrer Niederlage stand sie noch immer wie angewurzelt vor Ort und Fleck, bewegte keinen Muskel, starrte in die Leere. Inzwischen eilten bereits die ersten Helfer vor Ort zum Schauplatz hinab, um das, was noch von der völlig verstörten Raikou-Schülerin und dem regelrecht niedergemachten Wasser-Pokémon übrig war, zusammenzukratzen.
    „Erfrischend und labend wie ein Schluck Wasser“, grinste Eagle. Das triumphale Brüllen in seiner Brust wie auch Staralilis zufriedenes Gurren in seinen Ohren vermochten beide das Mitleid, das ein anderer wohl nun seiner Mitschülerin entgegen gebracht hätte, gut zu übertönen. Er wandte sich an Ray. „Hoffe, dir sind ein paar Schnappschüsse gelungen?“
    „Schnappschüsse? Öhm ...“ Ray kratzte sich entschuldigend am Kopf. Er grinste. „Sorry, verpennt.“
    „Du bist doch auch zu nichts ...!“ Eagles wüste Worte erstickten schlagartig an ein paar Federn. Staralili auf seiner Schulter teilte den Frust seines Trainers, hatte nicht weniger aufgebracht wie auch er selbst reagiert. Sofort war sie in ein an Ray gerichtetes Schimpfgezwitschern verfallen und hatte wütend ihre beiden schwarzgrauen Flügel gespreizt - einer davon landete direkt in das Gesicht ihres Trainers.
    „Kriegst den Mund wieder nicht voll genug, kann ich verstehen“, lachte Ray und fast alle mit ihm mit. „Keine Sorge“, versuchte er Eagle milde zustimmen, nachdem dieser endlich sämtliche Federn aus seinem Gesicht geschoben hatte, „ich hol’ es nach.“ Er griff tief in die Tasche und zückte seine Digitalkamera.
    „Jetzt ist auch zu spät“, fauchte Eagle missgestimmt. Bedrohlich richtete er seinen Zeigefinger auf den noch immer grinsenden Ray. „Wag dich bloß nicht, Bilder von Rico zu machen!“
    Knips!
    „Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass du richtig niedlich rüber kommst, wenn du dich so aufregst“, gluckste Ray mit seinem Auge am Objektiv und den Finger am Abzug. „Wer ist ein böser Junge, ja wer ist ein böser Junge?“
    „Du ...!“
    „Es geht weiter!“
    Jake Foleys Stimme lenkte das Interesse seiner sich in Hörweite befindenden Kollegen wieder hinab in die Arena. Unter dem moralischen Schutz der Professoren Armadis und Cenra tapste Linsey, noch immer mit dem ihr merkwürdig fremd stehenden, ausdruckslosen Gesichtsausdruck, die Treppe hinauf und wurde – unter vielen ihr folgenden Blicken - aus der Arena und wohl direkt in die Krankenstation der Schule geleitet. Analog dazu marschierten zwei Schüler in die entgegengesetzte Richtung, nämlich hinab aufs Kampffeld: Rico Tarik traf in dem vierten Kampf der Vorrunde auf den Suicune Daniel Seel. Man konnte Rico nicht unbedingt als Favoriten des Turniers bezeichnen, doch war zumindest sein Name im Gegensatz zu Daniels bereits Wochen zuvor im Umlauf gewesen. Auf welche Karte die Enteis und Suicunes setzen, war natürlich offensichtlich. Nur, wem sollten die Raikous ihr Vertrauen schenken? Zumindest in diesem Fall waren sich alle einig.
    „Mir sind die Suicunes wesentlich sympathischer“, meinte Jake. „Soll Daniel doch mit Rico den Boden aufwischen. Kann mir nur Recht sein.“
    Es gab zustimmendes Kopfnicken von allen Seiten.
    Eagle lehnte sich etwas über das Geländer hinweg. „Schauen wir mal, wie er sich schlägt ...“
    Auf dem großen Monitor tauchten abwechselnd die Gesichter der beiden Schüler auf. Rico grinste seinen Kontrahenten hämisch an; ein Grinsen, das jedoch nicht erwidert wurde. Daniel ließ die Fratze ruhig und gelassen auf sich wirken. Auch, als Rico seine Lippen bewegte – wobei man aufgrund der enormen Distanz nur Mutmaßungen erstellen konnte, welche Form der Beleidigung er seinem Gegner entgegen schleuderte -, blieb Daniel völlig unbeeindruckt.
    „Kampf vier ist eröffnet“, schallte Professor Livas Stimme durch die Halle. „Arena frei!“


    Wie man es bereits gut von Rico kannte, rief er Glumanda, seine mit scharfen Klauen bespickte Feuerechse, auf den Plan. Es waren bereits ein paar Tage ins Land gezogen, als Ray das letzte Mal einen Blick auf Ricos Partner erhaschte. Vom Aussehen her hatte sich Glumanda kein bisschen verändert, doch konnte er schwören, dass die Schwanzspitze, an dessen Ende eine kleine Flamme flackerte, wesentlich intensiver leuchtete. Keine Frage – sie beide, Mensch und Trainer, hatten Fortschritte gemacht.
    Daniels Partner löste dagegen eine Welle – insbesondere bei den Damen – von verliebt klingenden Seufzern aus. Sein Partner stellte sich als eine kugelrunde Robbe mit einem gar liebenswerten Blick heraus, der offensichtlich fast ein jedes Frauenherz zum Schmelzen brachte. Er hatte nur zwei kleine Stummelbeine; Gleichgewicht, dass er nicht gleich wie ein Ball ins Rollen geriet, verschaffte ihm seine dreifächrige Schwanzflosse.
    „Was soll das sein?“, fragte Eagle und kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Ein Wasser-Pokémon?“
    Allgemeines Schulterzucken ging durch die Runde, endete allerdings bei Sarah. „Gar nicht so verkehrt, aber nur die halbe Punktzahl. Seemops ist sowohl ein Wasser- als auch ein Eis-Pokémon.“
    „Zwei Typen? Aber sonst geht es dir noch gut, ja?“, spottete Eagle. Die Hälfte der Punkte schien ihm nicht sehr gut zu bekommen.
    „Na und?“, entgegnete Sarah. „Keine Seltenheit. Du weißt hoffentlich, dass auch Staralili hier“, sie nickte Eagles Gefährtin auf seiner Schulter zu, „auch zwei Typen hat: Flug und Normal.“
    „Natürlich weiß ich das! Bin ja nicht von gestern ...“, brummte Eagle.
    „Aber wenn du mir nicht glauben willst – hier.“ Sarah griff sich in die Hosentasche und brachte ihren Preis des letzten Turniers ans Tageslicht. Obwohl der Kampf bereits tobte und die ersten Attacken flogen, schwenkten viele Blicke interessiert auf den kleinen Minicomputer.
    „Dann lass mal hören, was er zu sagen hat“, sagte Ray, nicht weniger interessiert als seine Kameraden.
    „Moment eben ...“ Sarah drückte einige wohl überlegte Knöpfe, zielte dann mit der blanken Rückseite direkt auf Daniels Partner-Pokémon.
    „Seemops, auch bekannt als Applaus-Pokémon ...“
    „Er spricht?“, stellte Ray verblüfft fest. Tatsächlich hallte aus Sarahs handyförmiger Pokédex eine deutliche, wohl artikulierte Männerstimme entgegen.
    „Was dachtest du denn – dass er singt?“, gluckste Sarah.
    „Irgendwie schon“, erwiderte Ray grinsend.
    Sarah drückte auf einen weiteren Knopf, was die elektronische Stimme wieder zu neuem Leben erweckte. „Seemops’ kleine, flossenähnliche Beine sind nur bedingt zum Laufen oder Schwimmen geeignet, weswegen sie sich in der Regel rollend fortbewegen. Ihr Lebensraum umfasst Gebiete weit unter dem Gefrierpunkt, sie sind daher meist auf Eisschollen anzutreffen. Ihr flaumiger Pelz schützt sie auch vor arktischen Temperaturen bis zu -55 Grad Celsius. Ihre Sympathie für etwas wird durch ihr markantes Flossenschlagen unter ihren Artgenossen ausgetauscht. Sie sind meist sehr verspielt, sind aber dafür bekannt, Brut und Revier durch den Einsatz sowohl von Wasser- als auch Eis-Attacken zu verteidigen.“
    „Na?“, sagte Sarah kurz angebunden. Sie packte ihren Pokédex wieder in ihre für Augen unerreichbare Hosentasche.
    „Starkes Teil!“, nickte Eagle fasziniert.
    „Will haben ...“, maulte Ray.
    „Gibt’s die auch zu kaufen? Meine Fahrkarte für die bestandene Prüfung“, fragte Jake hoffend.
    „Ja, ja ... Die typischen Reaktionen“, lachte Andy und legte zufrieden seinen Arm um die Schulter seiner Freundin.
    „Was – was kann das Ding noch?“, fragte Sonja vorsichtig. Die Hand, mit der sie ihre Evoli-Broschüre umklammerte, zitterte etwas.
    „Sagte ich doch vorhin, erinnerst du dich? Kannst noch weitere Infos abrufen wie Lebensräume, übliche Gewichts- und Größenangaben, eine dreidimensionale Ansicht, besondere Fähigkeiten, Attacken, was du auch willst – dieses kleine Teil macht alles möglich.“
    „Okay ...“, murmelte Sonja mit matter Stimme. „Danke ...“
    Ein lautes Krachen erschütterte die Halle und lenkte seit zwei Minuten die Aufmerksamkeit der Raikous wieder hinunter in die Arena, wo der Kampf tobte.


    Nur langsam besserte sich die Sicht auf Daniels Seite des Kampffeldes, über dem ein dichter, trüber Rauschleier lag. Ray schnüffelte aus dem fast undurchdringlichen, widerlich in der Nase kratzenden Nebel deutlich Glumandas Handschrift heraus. Seine letzte Begegnung mit Ricos wildgewordener Feuerechse hatte er noch gut in Erinnerung. Selbst wenn er die Wahl gehabt hätte, Daniels Platz einzunehmen und somit den Zuschauern eine Zugabe seines Könnens zu präsentieren – er hätte sie nicht angenommen.
    Der graue Rauchvorhang lichtete sich zunehmend und gab endlich die Geheimnisse seines Inneren preis: Der immergrüne Hallenboden hatte schwer unter dem bisherigen Kampf – den offenbar Glumanda dominiert hatte – gelitten und war an vielen Stellen stark vernarbt oder zumindest rußgeschwärzt, doch Seemops schien völlig unverletzt. Die Feuergeschosse seines Gegners mussten wohl ihn als sein Ziel verfehlt haben, denn das teils saphirblaue, teils cremefarbene, wasserabweisende Fell von Seemops wies nicht die Spur eines Makels. Auf dem Monitor tauchten abwechselnd Ricos wutverzerrtes sowie Daniels gefasstes, dafür aber leicht verschwitztes Gesicht auf. Noch war wirklich alles offen.
    Die Partner-Pokémon beider Kontrahenten gierten nach Luft. Glumandas Nüstern blähten sich kurz, bevor seinem Rachen ein glühender Feuerstrahl entwich; Seemops tat es ihm gleich, doch beschwor er die Macht des Wassers herauf. Beide Attacken, Glumandas Flammenstrahl und Seemops’ Wasserfontäne, trafen fast genau in der Mitte aufeinander. Es zischte, als Wasser auf Feuer traf. Weißer Dampf legte sich Sekundenschnell über das ganze Kampffeld und erschwerte allen Beteiligten die Sicht. Das Kräftemessen beider Pokémon wurde aber unbeirrt fortgesetzt. Ihr unaufhörliches Brüllen, das Speien ihrer unterschiedlichen Attacken, das Zischen und Rauschen von verdampfenden Wasser und das kampfeslustige Funkeln in ihren Augen durchschnitten den Nebelvorhang und doch hüllten sie das Kampffeld immer mehr unter der weißen Dunstdecke ein, bis niemandes Blick, so geschärft er auch war, mehr hindurchreichte. Ohren mussten deren Dienste einnehmen und wurden gespitzt. Ray und Nachbarn lehnten sich alle über die Brüstung hinaus, in der Hoffnung, doch noch irgendetwas zu erhaschen. Unverhofft ließ eine weitere Erschütterung die Erde leicht beben, ein klagender Schrei durchbohrte die weißen Wolken, alle anderen Geräusche erstarben.
    „Was ist da los?“
    Gemurmel brach unter den Zuschauern aus, fragende Blicke wurde ausgetauscht und mit ebenso ahnungslosem Schulterzucken beantwortet.
    „Da!“ Jake Foleys Aufruf und sein Zeigefinger lenkten die Blicke hinab, wo noch vor wenigen Augenblicken Seemops seine Kräfte mit Glumanda gemessen hatte. Der Nebel war etwas aufgeklart. Seemops’ Umrisse nahmen Gestalt an, doch zeichneten bei genauerem Hinsehen erstmals schwarze Brandflecken den bislang so makellosen Pelz und entblößten kahle Stellen unter selbigem. Er atmete schwer. Auch auf der gegenüberliegenden Seite lichtete sich der Dunstschleier. Einem sturen Fels in der Brandung gleich, stand Glumanda an Ort und Fleck. Angesichts des gesättigten Gesichtsausdrucks und seinen zufrieden verschränkten Armen war davon auszugehen, dass er das Duell gewonnen hatte.
    „Sieht nicht gut aus“, brummte Andy.
    Daniels und somit auch Seemops’ Kampfeswillen schienen allerdings noch nicht gebrochen zu sein. Daniel feuerte seinem Pokémon den nächsten Angriffsbefehl entgegen. Selbst aus der Distanz konnte Ray das plötzliche Zittern in der Stimme des Suicunes gut heraushören. Er hatte seine Gelassenheit verloren. Seemops wurde seinem Ruf aus dem Pokédex gerecht: Sein ohnehin kugelförmiger Körperbau hatte sich nun vollständig in einen blauweißen Ball verwandelt. Seemops rollte los, ohne Rücksicht auf Verluste. Er ließ Trainer und die Brandflecken auf der Kampffläche hinter sich und steuerte - wild um die eigene Achse rotierend - genau seinen Gegner für ein waghalsiges Rammmanöver an, das das Blatt zu seinen Gunsten wenden sollte. Glühende Feuerbälle jagten ihm entgegen. Die ziellosen Geschosse und deren Explosionen zwangen Seemops auf seiner zirkusreifen Fahrt immer wieder, seine Richtung abrupt zu ändern, doch kam er seinem unbeweglichen Ziel immer näher. Das Publikum tobte erregt und war fast ausnahmslos auf den Beinen. Nur noch wenige Wimpernschläge trennten Seemops von seinem Ziel. Glumanda hatte zwischenzeitlich seine Angriffswelle eingestellt und bereitete sich nun offenbar auf den Aufprall vor.
    Ein Stöhnen, bei dem Ray vor Fassungslosigkeit der Kiefer herunterklappte, jagte durch die Arena. Seemops rollte noch immer, doch bewegte er sich keinen Millimeter mehr fort. Seine beiden kleinen Hände ausgestreckt, hielt Glumanda seinen langsam ausrollenden Gegner fest im Griff. Glumanda tat sich schwer, die noch arg Widerstand leistende Kugel von sich wegzudrücken, doch es gelang ihm. Seemops’ rotierende Bewegungen wurden zunehmend langsamer und seine Formen wurden mit jeder weiteren Sekunde, in der er sich durch den Griff seines Gegners nicht mehr von der Stelle rühren konnte, immer klarer. Glumandas Klauen blitzen auf. Er hatte seine Krallen nun fest in den Körper seines Gegners gebohrt und ihn kurzerhand wie ein übergroßes Geschenkpaket in die Luft gehievt. Einmal kurz tauschten er und sein Trainer Blicke, dann schien das Schicksal für Daniels hilflos in der Luft hängenden Freund besiegelt. Für beide ging es nun im Kreis rundherum: Glumandas Klauen hatten die Rückenflosse seines Gegners gnadenlos gepackt. Die schwere Last in seinen Krallen wurde im Uhrzeigersinn wie ein Hammer beim Hammerwerfen herumgewirbelt. Schneller, immer schneller tänzelte Glumanda auf der Stelle. Fast schon holte er seinen eigenen feurigen Schweif ein, den er mit sich her zog. Ein letztes Brüllen von Ricos Partner kündigte das Ende dieses Kampfes an. Ricos Partner hatte seine Bewegungen abrupt gestoppt. Die Klauen verloren den Halt, Seemops schleuderte mit rasender Geschwindigkeit knapp über dem Boden hinweg durch die Luft. Seine nur kurze Höhenreise endete an demselben Fleck, wo auch Staralili im Kampf zuvor ihren Gegner abserviert hatte – mit dem Kopf voraus an der massiven Steinwand, rücklings zu Rico. Seemops klatschte Augenblicke später mit dem Rücken voraus auf den Boden. Keine Bewegungen, kein schmerzhaftes Krümmen, noch nicht einmal mehr ein Muskelzucken durchjagten seinen Körper. Dieser Kampf war vorbei.
    „Kampf vier der Vorrunde endet somit für Mr. Rico Tarik. Er zieht ins Viertelfinale ein“, verkündete Professor Liva.
    Parallel zu sämtlichen plötzlich auf den Beinen stehenden und grölenden Enteis ließen sich sämtliche Suicunes enttäuscht auf ihre Sitze zurückfallen. Auch stimmten nur wenige Raikous den Jubelchören ihrer roten Brüder und Schwestern ein, was deren bombige Stimmung allerdings kein bisschen zu drücken vermochte. Vier Kämpfe waren nun glorreich geschlagen worden. Sowohl von Raikou als auch von Entei waren je zwei Kämpfer in die nächste Runde gerückt. Nur Suicune blieb leer aus.
    Die pausenlosen Jubelchöre zu Ehren Ricos Leistungen wollten nicht verebben. Erst als sich Professor Liva erhob und die leicht fernöstlichen Züge ihren Schülern zum ersten Mal seit Beginn des Turniers sanft entgegenlächelten, flaute das enteidominierende Orchester langsam ab.
    „Halbzeit!“, verkündigte sie strahlend in die Runde. „Wie legen eine einstündige Pause ein und setzen das Turnier pünktlich um 16:30 Uhr fort. Verpasst unter keinen Umständen die nächsten vier, hoffentlich nicht weniger spektakulären Aufeinandertreffen.“
    Es gab höflichen Applaus für den kurzen, aber aussagekräftigen Auftritt der Schulleiterin. Längst reichte er nicht an den an Rico gerichteten Beifall oder Lobgesang heran, der genügsamen Dame schien es aber mehr als ausreichend. Begleitet von dem Vize-Direktor, Professor Novák, der ununterbrochen auf seine über dreißig Jahre jüngere Kollegin einredete, durchquerte sie den über der Zuschauertribüne liegenden Weg und verließ als erstes die Halle.
    Noch etwas vorsichtig wurden Blicke mit dem unmittelbaren Umfeld ausgetauscht, darauf gewartet, dass vielleicht der Nachbar den ersten Schritt wagen würde. Als dann allerdings die ersten Mutigen die Bresche geschlagen hatten, war das Eis schnell gebrochen. Scharenweise strömte man hinaus oder war noch einer der Unglücklichen, der sich hinter einer schier endlosen Schlange einreihte.; allen voran zogen viele Suicune-Schüler mit gesenkten Häuptern aus der Halle, als müssten sie jeden Moment in die allertiefste Schlucht der Schande versinken
    „Was meinst du, Sheinux, wollen wir auf einen kleinen Happen?“ – „Shuww!“
    „Der Versager Rico soll es also im Viertelfinale sein? Keine große Herausforderung. Drei Minuten höchstens.“ – „Irrr Stra!“
    Ray und auch Eagle mitsamt Pokémon hatten sich erhoben und schlossen zu ihren Vorgängern auf. Jake eilte ihnen nach und reihte sich ebenfalls hinter ihnen ein. Übrig blieben ...
    „Sarah? Könnte ich dich ... nur mal ganz kurz?“, rief Sonja ihre um ein Jahr ältere Hauskameradin zu sich zurück. „Keine Angst – du bekommst sie gleich wieder, versprochen“, beschwichtigte sie gleichzeitig Andy, der bereits fragend die Augenbraue in die Höhe gezogen hatte. Sarah gebot ihrem Freund, auf sie zu warten, und blieb mit Sonja allein zurück.
    „Es geht darum ... Hör zu, ich ...“



    * * *



    „Schaut euch die beiden Flaschen an – zum Schießen komisch.“ – „Stararara!“
    „Sag mal, hast du mir eigentlich zugehört?“
    Nur sehr widerwillig gewährte Eagle seinem nervenden Nachbarn und Zimmerkameraden ein Ohr und somit einen Funken seiner Aufmerksamkeit. Die fünfte Runde hatte begonnen und schon im Voraus hatte festgestanden, dass diese Auseinandersetzung der wohl skurrilste Kampf der ganzen Vorrunde sein würde. Nicholas Vance traf auf seinen Kumpel Billy Finch. Bislang hatten sie einen Großteil ihres Kampfes nur damit verschwendet, sich gegenseitig anzubrüllen.
    „Meinst du, ich hätte nichts Besseres zu tun, als dir zuzuhören?“, schnaubte Eagle. „Da, da unten spielt die Musik!“ Er deutete vielsagend hinab, wo gerade Nicholas Habitak regelrecht dazu überreden musste, einen Angriff auf Frizelbliz zu wagen.“
    „Sonja ist weg, oder hast du das noch nicht bemerkt?“ Ray deutete auf den Platz neben Andy, der die ganze Zeit über von Sonja warm gehalten worden war und nun von Diana Rawkes und ihrer nimmermüden Zunge besetzt wurde.
    „Ist mir schon aufgefallen“, sagte Eagle und warf Sonjas Ersatzperson einen äußerst geringschätzigen Blick zu. Genervt zuckte er die Schultern. „Sie wird schon wieder auftauchen. Außerdem: Hast ja gesehen, dass sie die ganze Zeit über gelesen hat. Die wird sich wahrscheinlich ein ruhiges Fleckchen gesucht haben ...“
    Ein wüstes Raunen ging durch die Runde. Eagle und auch die Nervensäge nächst zu ihm wandten ihr Interesse wieder dem Turnier zu: Was auch immer passiert war – Habitak hatte es voll erwischt. Vor Schmerzen krümmend lag er auf dem Rücken, die Krallen leblos in die Höhe gerichtet. Leichte Stromladungen durchfluteten noch immer sporadisch sein nun noch mehr zerzaustes, bronzefarbenes und zartrotes Federkleid. Frizelbliz, sein Gegner, hatte sich zähnefletschend vor ihm aufgebaut.
    „Super, das Beste verpasst ...“, knurrte Eagle und lehnte sich gelangweilt in seinen Stuhl zurück. Dieser Kampf war vorbei ...



  • Part 7: Aufholjagd im Suicune-Stil



    „Kommen wir nun zum bereits sechsten Kampf der Vorrunde, in dem von dem Hause Suicune Logan Sokohl auf Miles Cambell, ebenfalls Suicune, trifft.“
    „Zumindest jetzt muss ein Suicune ins Viertelfinale einziehen“, murmelte Andy und beobachtete die beiden gleichfarbigen Kontrahenten die Treppe in die Arena hinuntersteigend.
    „Wenn es zu keinem Unentschieden kommt“, entgegnete Diana. „Ich habe gehört, Pattsituationen hat es schon früher in solchen Turnieren gegeben. Vor fünf Jahren ging der große Endpreis sogar an beide Finalisten. Wobei es meiner Meinung nach keine allzu großen Überraschungen mehr geben wird. Der Meinung sind übrigens auch viele. Man redet eigentlich nur noch, dass Billy Finch das Turnier spielend gewinnen wird, wobei ich ja insgeheim doch hoffe, dass wir da noch ein Wörtchen mitzureden haben. Ray und Malcom haben ja beide einen guten Start hingelegt und außerdem ...“
    „Stopft doch einer mal ihr das Maul ...“, brummte Eagle leise.
    „Tja, jetzt wünschst du dir wohl doch Sonja zurück“, entgegnete Ray leise in Eagles Richtung. „Kannst dich glücklich schätzen, dass Andy hier gezwungenermaßen Kugelfang spielt.“
    Auch Sarah, die nicht sonderlich weniger von Dianas niemals versiegenden Redefluss als ihr Freund abbekam, litt offenbar schwer unter Sonjas Absenz. Missmutig tauschten sie und Andy Blicke – Diana redete ungebremst weiter, ohne zu bemerken, dass ihr inzwischen niemand mehr zuhörte.
    „Das ist doch sonst nicht ihre Art ...“, meinte Ray.
    „Vielleicht habe ich ja auf sie abgefärbt“, sagte Eagle mit zufriedener Grimasse im Gesicht.
    „Ob da was Gutes dabei rauskommen kann ...“, murmelte Jake.
    Im Bruchteil einer Sekunde peitschte Eagles Kopf zu Jake. „Was soll das den heißen? Suchst du Streit?“, knurrte er.
    Bevor Jake, der plötzlich wesentlich blässer um die Nase war, antworten konnte, beugte sich Sarah nach vorne und ergriff das Wort. „Hört mal: Sonja hat gemeint, sie wollte sich ... noch um etwas kümmern. Das ist alles.“
    „Warum hast du das nicht gleich gesagt? Siehst doch, dass sich Ray hier fast in die Hosen gemacht hätte“, sagte Eagle stirnrunzelnd.
    „Sie wollte keinen großen Wind darum machen; eigentlich hätte ich gar nichts sagen sollen ...“, antwortete Sarah.
    „Was soll die Geheimniskrämerei?“, fragte Eagle.
    „Frauensache. Muss dich ja nicht alles angehen, Kleiner“, antwortete Sarah verstohlen grinsend und wandte sich wieder ab.
    „Ich geb’ dir gleich ...!“
    „Ring frei für die sechste Runde!“


    Eine ungeheure Erwartung lag bezüglich dieses Kampfes in der Luft. Viele, so auch Ray, hatten dieser Auseinandersetzung fieberhaft entgegengeblickt. Der schüchterne Miles Cambell traf auf seinen geheimnisumwobenen Hauskameraden Logan Sokohl. Zumindest was den Unterricht betraf, war Logan seinem gleichfarbigen Freund weit überlegen. Jeder aber schwor darauf, Logan noch nie gemeinsam mit dessen Pokémon-Partner gesehen zu haben, geschweige denn, einen Kampf mit eigenen Augen miterlebt zu haben. Hinter dem Rücken des einzelgängerischen Suicunes brodelte die Gerüchteküche heißer als das Feuer der Hölle persönlich. So manch einer behauptete sogar – allen voran Diana natürlich -, Logan hätte niemals ein Pokémon bekommen, warum auch immer. Tatsächlich konnte ihn sich Ray sehr gut als Nachfolgerin seiner Schulleiterin vorstellen: Niemals ohne ein schweres Buch in der Hand anzutreffen, niemals in dem Schülertreff, stets auf jede noch so knifflige Frage eine absolut plausible Antwort parat, wortkarg, einzelgängerisch und stets einen Berg voll Arbeit im Hinterkopf, wenn man ihn mal auf ein kurzes Wort erwischte. Doch wie schlug sich der – wie ihn man gern nannte – unsympathische Schleimer, von Eagle auch gerne als Kotzbrocken bezeichnet, in der Welt eines Pokémon-Kampfes? Frei von Büchern, frei von Formeln, frei von den Regeln und Gesetzen der Physik? War er bereit für das raue Pflaster der Straße und glänzte er gar mit einem überraschenden Sieg und brachte seinen Hauskameraden so neue Hoffnung oder behielten die Enteis, die bereits provokant mit ihren Kopfkissen zu den Suicunes herüberwedelten, am Ende Recht? Schlaftablette oder doch Geheimwaffe – dieser Kampf würde es entscheiden.
    Miles, dem dank der Gunst seines Namens als erster von allen Jungen die Ehre zuteil worden war, sich mit seinem Partner-Pokémon anzufreunden, schickte auch selbigen in den Kampf. Chelast hatte sich seit jenem Tag, als Ray ihn das allererste Mal erblickt hatte, kaum verändert. Die Blätter des kleinen Spross’ auf seinem Kopf baumelten fröhlich zu jeder seiner Bewegungen, doch wirkte er gleichzeitig etwas gehemmt. Ihm schien die Aufmerksamkeit nicht sonderlich zu liegen, eine Eigenschaft, die er wohl mit Miles, seinem Trainer, teilte.
    Wider so manch einer Erwartung (Diana fluchte leise) warf auch Logan nun seinen Pokéball in die Arena. Man konnte seinen Wurf nicht unbedingt als stilvoll bezeichnen, aber zumindest war dieses Gerücht nun ausgemerzt.
    Der charakteristische Lichtblitz erhellte die Umgebung. Der Pokéball schnellte wieder in die Hand seines Besitzers zurück. Nicht nur Ray allein, sondern sogar ein Großteil seiner Mitschüler beugte sich erwartungsvoll voraus, vielleicht sogar als erster einen Blick auf Logans Partner zu erhaschen. Die Züge eines kleinen Vogels nahmen langsam Gestalt an. Größentechnisch nicht mehr, aber auch nicht weniger Konkurrenz zu Staralili. Der Körper allerdings wurde größtenteils von aschegrauem Gefieder geschmückt, auch besaßen Augen und Schnabel nicht die gleiche Schärfe, wie man sie von Eagles Partnerin kannte. Es war auch Eagle, der als erstes Logans Wahl kommentierte, wenn auch für fremde Ohren nicht gerade aussagekräftig. Sein Mund formte deutlich die Worte „Flug“ und „Anfänger“, untermauert wurde es von einem wütenden Schnauben, das seine Nase verließ.
    „Dusselgurr, wenn es mich nicht täuscht“, beantwortete Sarah so manchen stummen, dafür aber fragenden Blick in ihre Richtung.
    Ray kannte diese Pokémon bereits aus seiner Heimatstadt. Sie bevölkerten gerne scharenweise die Dächer der größten Gebäude. Sie waren sehr zutraulich und nahmen sogar die ein oder andere mildtätige, menschliche Gabe an. Ihr Gurren hatte etwas sehr Friedvolles an sich.


    Logan und Dusselgurr starteten den Kampf: Wie man es von einem Flug-Pokémon kannte, gewann Dusselgurr mit jedem weiteren seiner kraftvollen Flügelschlägen immer mehr Abstand zum Boden, bis er für konventionelle Angriffe außer Reichweite war.
    „Amateur! Staralili ist zehnmal schneller!“, schnaubte Eagle. Die grünen Smaragde in seinen Augen fixierten den stetig höher steigenden Vogel verächtlich. Staralili auf seiner Schulter teilte die Missgunst seines Freundes – ihr Blick hatte nichts als Verachtung für ihren gefiederten Konkurrenten übrig.
    Nichtsahnend über die Abneigung, die ihm einer seiner Artgenossen und ein kleines Menschlein tief unter seinen Krallen und Schwingen entgegenbrachten, machte sich Dusselgurr nun für den ersten Angriff bereit. Mit bahnbrechender Geschwindigkeit stürzte er seinem Gegner entgegen, der kurze Schnabel wie ein Pfeil auf eine bewegliche Zielscheibe gerichtet. Die aufgepeitschte Luft heulte hinter den gespreizten Flügen auf, und doch schien der Luftwiderstand an der lebenden Rakete förmlich abzuprallen. Der Gegenangriff von Dusselgurrs Gegner ließ nicht lange auf sich warten: Auf jeder seiner peitschenden Kopfbewegungen beschwor Chelast rassiermesserscharfe Geschosse in blättriger Form aus dem Spross auf seinem Kopf herbei, die seinem sich rasch nähernden Gegner entgegenschossen. Dusselgurr änderte rasant seine Flugbahn, wich mit spiralförmigen Zickzack-Bewegungen den gefährlichen Begrüßungsgeschenken mit spielender Leichtigkeit aus, und mit kurzem Anlehnen seiner Flügel war er augenblicklich wieder auf direktem Kollisionskurs. Auch das nächste Sperrfeuer ließ Dusselgurr mühelos hinter sich – nichts stand ihm mehr im Weg oder trennte in mehr von dem Augenblick, nach dem es seinen gewetzten Schnabel verlangte.
    Ein gequältes Ächzen und Stöhnen raunte durch die Halle. Trotz verzweifelten Ausweichversuchen hatte Dusselgurr sein Ziel erreicht und Chelast wie einen maroden Baum gefällt. Das Opfer dieses halsbrecherischen Manövers überschlug sich rücklings und klatschte mit einem qualvollen Aufheulen, das sogar den entlegensten Winkel der Zuschauertribüne erreichte, mit von sich abstehenden Beinen auf dem Bauch.
    Dusselgurr schien durch den Zusammenprall keinerlei Schäden davon getragen zu haben und befand sich noch immer in der Luft. In einem steilen und weiten Looping überschlug sich der frisch gekürte Höhenflieger, bis seine rasante Achterbahnfahrt in Kopfhöhe zu seinem Trainer endete und er mit schwachen Flügelschlägen landete. Lediglich einen traurigen Aufstehversuch ging noch auf Chelasts Konto, bis er schließlich diesem wuchtigen Angriff erlag, seine wackeligen Knie einknickten und er kapitulierte. In der gesamten Halle herrschte Totenstille. Niemand hatte wirklich realisiert, dass der Kampf schon vorbei war.
    „Das war ... Das sah jetzt irgendwie ...“, murmelte Ray. Er sah in Eagles Richtung. „Hatte sehr viel Ähnlichkeit mit deinem Stil, kann das sein?“
    „Wie lange?“, knurrte Eagle. Es war ein Wunder, dass er durch das Geräusch seiner malmenden Kiefer überhaupt einen anderen Ton heraus bekommen hatte. Die Hände zu Fäusten geballt, bohrten sich seine Fingernägel wütend in seinen Hosenstoff.
    Ray warf einen Blick auf die Uhr. „Kaum über eine Minute.“
    „Bekloppt? Sieh noch einmal nach!“
    „Beängstigend ...“, murmelte Andy.
    Selbst Diana hatte es erstmalig die Sprache verschlagen; vielleicht hatte sie sich aber auch einfach nur an ihrer eigenen Zunge verschluckt. Ihr bestürzter Gesichtsausdruck ließ freie Interpretationsmöglichkeit.
    „Ich würde es sogar als furchterregend bezeichnen“, sagte Sarah. Sie biss sich tatsächlich auf die Lippe. „Ich will nicht behaupten“, begann sie vorsichtig, „dass Chelast dafür bekannt ist, unglaublich viel einstecken zu können, aber seine Verteidigung fällt gegenüber vielen seiner Mitpokémon doch etwas höher aus.“
    „Was willst du damit sagen?“, fragte Ray.
    „Soll heißen“, antwortete Sarah noch immer sehr auf ihre weiteren Worte bedacht, „trotz Typennachteil hätte Chelast diesen Angriff wegstecken müssen. Aber wenn ich mir dieses Trauerspiel so anschaue ...“ Mit Sarah wanderten auch wieder alle anderen Blicke in die Arena hinab, wo Miles beklommen sich vor Chelast kniete und seinen Partner umsorgte. „Ihr habt einen neuen Konkurrenten. Passt bloß auf, dass er euch die Show nicht stiehlt.“
    „Wenn ich mit dem fertig bin ... Wartet es nur ab ...“, knurrte Eagle.


    Das Kampffeld wurde geräumt und für die nächste Konfrontation freigegeben. Jake Foley traf in der nächsten Runde auf Suicunes Favoritin: Fabien Dinas. Der siebte Kampf – und, wie Ray feststellen musste - fehlte von Sonja noch immer jede Spur.
    „Und du bist dir sicher, dass sie kommt?“, fragte Ray in Sarahs Richtung.
    Sarah zuckte die Schultern. „Hat sie zumindest gesagt, mehr weiß ich auch nicht. – Hey, Jake! Ich dachte, du bist jetzt dran? Du wurdest eben aufgerufen.“
    „Oh ja, richtig ...“, schreckte Jake auf und war mit einem Schlag auf den Beinen.
    „Blamier uns nicht!“, keifte Eagle ihn an.
    Jake antwortete nicht, sein nicht gerade von Dankbarkeit erfüllter Gesichtsausdruck sagte aber mehr als alles, was man zu wissen brauchte.



    * * *



    Fern von den stimulierenden Jubelchören, der Ort, wo niemals endender Ruhm und schmachvoller Ruin so dicht beieinander lagen, dass ein einziger Wimpernschlag der Unachtsamkeit genug war, um sein Gesicht für den Rest seiner Schulzeit nicht mehr der Öffentlichkeit preisgeben zu dürfen, herrschte menschenleere Einsamkeit. Die sonst so belebten Gänge lagen ausgestorben vor, von Schülern gern beäugte Uhren tickten müde und gelangweilt dem Augenblick ihrer leeren Batterie entgegen und große Schultafeln sehnten bereits den Zeitpunkt herbei, in der feuchte Schwämme die längst aus der Mode geratenen Kleider von ihrer blanken Oberfläche wischten und sie wieder mit neuen Mustern eingekleidet werden würden. Doch die vermeintliche Stille trog, denn wo man erst gestern eines der Klassenzimmers unter dem Schwur, so schnell keinen Fuß mehr freiwillig in diesen Raum zu setzen, zurückgelassen hatte, beglückte ein Mensch und ein Pokémon das alleingelassene Mobiliar mit ihrer Anwesenheit. Das Gefühl eines von Gott und der Welt verlassenen Klassensaals, mutterseelenallein zurückgelassen worden zu sein, war für Sonja Lynn keine neue Erfahrung – sie war mit diesem Zustand sogar nur allzu gut vertraut. Der Umstand einer solch einzigartigen Atmosphäre hatte sogar einen gewissen Reiz an sich: Stille, eins mit seinen Gedanken, der Muse und Inspiration einfach seinen freuen Lauf lassen. In längst vergessenen Tagen war sie sogar nicht allzu selten freiwillig hinter dem Rest ihrer Klasse zurückgeblieben und noch über Stunden hatte sie in dem leeren Schulsaal verweilt, um ihrem literarischen oder künstlerischen Hobby zu frönen.
    „Nicht aber heute ...“, dachte Sonja laut. Ihre stark verschwitzten Finger bearbeiteten das kleine Instrument, das sie sich von Sarah geliehen hatte. Wie es sich herausstellte, war die Bedienung längst nicht so einfach, wie die Besitzerin ursprünglich glaubhaft hatte machen wollen. Über fünf Minuten Verzweiflung und Haare raufen waren von Nöten gewesen, bis Sonja es überhaupt geschafft hatte, den Pokédex in Gang zu bringen, geschweige denn hinter die Geheimnisse seiner Bedienung zu kommen. Das übergroße Handy in der Hand, auf das sie so viel Hoffnung setzte, um diesem Debakel doch noch irgendwie ein Schnippchen schlagen zu können, huschten ihre freien Finger über einzelnen Seiten von „Pokémon-Training für Anfänger“ oder dem Ratgeber, der sich intensiv mit ihrer Partnerin auseinandersetzte, in dem bangenden Glauben, vielleicht etwas Hilfreiches übersehen zu haben. Auf Knopfdruck gab der Pokédex ein piepsendes Geräusch wieder. Eine Seite in seinem enzyklopädischen Register wurde umgeblättert. Der Bildschirm listete nun tabellarisch sämtliche Fähigkeiten auf, deren Einsatz Evoli bereits vermochte. Resignierend schüttelte Sonja immer wieder den Kopf, während ihre Augen über den Display huschten. Nichts davon schien ihr brauchbar zu sein. Sie scrollte weiter hinab – auch nichts. Dann plötzlich ... Sonjas Augen weiteten sich in heller Aufregung. Schnell legte sie Sarahs Leihgabe auf den Tisch. Ihr Blick wanderte dagegen eiligst in eines ihrer Bücher – dann wieder zur Kontrolle in den Pokédex – wieder in das Buch – und dann erstmalig seit einigen Minuten wieder zu ihrer Partnerin. Sonjas Augen leuchteten.
    Evoli, die auf dem Tisch das ganze Schauspiel beobachtete, verrenkte fragend den Kopf.



    * * *



    „Warum wusste ich nur, dass er es vergeigt?“
    „Er konnte noch nie gut Geige spielen. Er hätte doch besser Akkordeon lernen sollen.“
    Eine peinliche Pause trat zwischen ein, bei der Ray tatsächlich glaubte, Eagle würde ihm jeden Moment an den Hals springen. Dann. „Ja, das hätte er besser sollen“, grollte Eagle grimmig.
    Fabien und ihre Pokémon-Partnerin, Phanpy, hatten mit Jake sauber den Boden aufgewischt, anders konnte man das Schauspiel, mit dem die Favoritin der Suicunes ein jedes Herz ihrer Fans hatte höher schlagen lassen, nicht beschreiben. Mit gesenktem Haupt ließ Jake den nicht für ihn bestimmten Jubel über sich ergehen, gleichzeitig verkündete Professor Liva Fabien zur Siegerin und ihn folglich für aus dem Turnier ausgeschieden.
    Ray musste sich für diesen Akt nicht unbedingt zwingen, denn die traurigen Überreste von Jake und Samurzel unten in der Arena luden nicht unbedingt zu einer frohen Stimmung ein, doch warf er trotzdem einen kurzen Blick zur Seite und danach über die Schulter: Noch immer fehlte von Sonja jede Spur – und ihr Kampf nahte ...
    „Sarah?“, fragte Ray vorsichtig, doch die winkte nur ab.
    „Ich weiß, aber ich hab’ euch alles gesagt, was ich weiß, ehrlich.“
    „Wirklich alles?“, fügte sich Eagle in die Unterhaltung ein und bohrte Blicke in Sarahs Brust.
    „Hey! Wenn sie sagt, sie weiß nichts, dann ist es auch so, klar?“, nahm Andy nun seine Freundin in Schutz.
    Sarah krümmte sich wie einem Sträfling, dem man gerade den Strick um den Hals gezogen hatte. Dann schüttelte sie den Kopf und mied die Blicke der Grundstüfler.
    „Da ist was faul ...“, knurrte Eagle.
    Im selben Moment kündigte Professor Liva den achten und letzten Kampf der Vorrunde an: Sonja Lynn sollte auf Julia Brown treffen. Es war allerhöchste Eisenbahn. Dort wo ihre Freundin Marina und nach der glorreichen Rückkehr aus der Arena auch Fabien saßen, erhob sich Julia aus der Menge. Sie sagte etwas in Marinas Richtung und stolzierte in die Arena hinab.
    „Ich gehe sie suchen!“, sagte Ray laut und stand auf.
    „Lass mal, ich mache das schon“, entgegnete Sarah und erhob sich ebenfalls. Ihre Blicke trafen sich. Ray zuckte die Schultern.
    „Wenn du meinst“, sagte er und nahm wieder Platz.
    „Jetzt erst recht ...“, murmelte Eagle.



    * * *



    „Das scheint ganz gut zu funktionieren. Hoffentlich reicht es ... Versuch es aber gleich ... Ieek!“
    Die einzige Tür wurde so ruckartig aufgeschlagen, dass sich Sonja vor Schreck beinahe an ihrer eigenen Zunge verschluckt hätte. Die daraufhin von Evoli misslungene Attacke, die nicht weniger erschrocken als ihre Freundin reagiert hatte, kam dem Geräusch eines zersplitternden Spiegelkabinetts gleich.
    „Hab’ ich dich! Wo zur Hölle bleibst du?“, fauchte Sarah. Ihr Gesicht glühte feurig rot auf. „Du bist als Nächste dran!“
    „W-was schon?“
    „Mach schon!“
    Evoli wurde kurzerhand in ihren Pokéball einquartiert. Sonja nickte bangend, aber sie nickte.


    Angefeuert von ihrem sekündlich schneller werdenden Herzschlag hechteten die beiden Raikou-Mädchen durch den Gang.
    „Deine beiden Kumpels sind lästig, weißt du das? Hätte nicht viel gefehlt ... Ich kann bald meine eigene Pokédex-Leihfirma aufmachen, wenn das erst publik wird.“
    „Sorry, echt ...“, keuchte Sonja, während ihr der aufgewühlte Wind ins Gesicht peitschte.
    „Egal! Sieh nur zu, dass du dort unten reinen Tisch machst. Dir hat das Teil hoffentlich etwas geholfen?“
    „Etwas ... Ich denke, ja ...“
    „Etwas?“ Sarah schaute Sonja neben sich rennend scharf an. „Da sind die besten Strategien drin. Wenn du so nicht gewinnst, dann gar nicht!“
    „Ist ja gut ...“
    Die blaue Tür, das Portal in die Arena, kam schnell näher und viel zu schnell in Sonjas Augen hatten sie sie erreicht.
    „Mach sie alle, hörst du?“
    „I-ich versuch es ...“
    Mit diesen Worten drückte Sonjas zitternde Hand die Türklinke und betrat die Arena.




  • Part 8: Zitterpartie mit Sonja



    „... entschuldigen wir die Verzögerung und sind umso stolzer, euch nun den letzten Kampf der Vorrunde präsentieren zu können.“
    „Wenn du mich fragst“, sagte Eagle in Rays Richtung und übertönte dabei den höflichen Beifall des Publikums, „war das viel zu knapp. Das wäre eine Blamage gewesen. Fast noch schlimmer als deine erbärmliche Vorstellung da unten.“ Er fixierte nun Jake Foley, der seit seiner Rückkehr keinen Ton herausgebracht hatte und auch auf diese Äußerung lediglich mit dem beschämten Ausweichen von Eagles Blick reagierte.
    „Ist ja noch einmal gut gegangen“, meinte Ray. „Sonja wird das Ding schon schaukeln.“
    „Und wenn ihr mich fragt“, begann Diana Rawkes und ignorierte oder überhörte Eagles „dich fragt aber keiner“, „dann tut sie da unten niemandem einen Gefallen, am allerwenigsten sich selbst. Ihr hättet mal hören sollen, was man auf den Gängen so alles munkelt. Böse, böse, könnt ihr mir glauben. Die Umfragen sehen Julia als klaren Favoriten. Wobei es natürlich sehr interessant wäre, sie im Halbfinale ausgerechnet gegen ihre Busenfreundin Fabien zu sehen. Käme fast dem Kampf von Nicholas gegen Billy gleich. Aber um noch einmal auf Sonja zurückzukommen: Keiner glaubt wirklich, dass sie eine Runde weiter kommt. Wer natürlich auf sie wettet, kann bei den Quoten natürlich fett absahnen. Ich habe gehört, René Bonnet – dieser große Typ mit den langen Haaren, ihr wisst schon - aus dem zweiten Jahrgang hat tatsächlich fünf Päckchen Kaugummi auf ihren Sieg gesetzt. Wenn er gewinnt, hat er einen Jahresvorrat und könnte ...“
    „Stopft ihr doch endlich jemand das Maul!“



    * * *



    Der Applaus verebbte und obwohl der Beifall nicht ihr, sondern ihrer Schulleiterin gewidmet war, wünschte sich Sonja nichts mehr, als dass die Ovationen niemand geendet hätten. So war das Abklingen nichts weiter als der Startschuss ihres eigenen Endes. Das Herz wollte einfach nicht mehr zur Ruhe kommen. Schon durch den Wettlauf mit der Zeit - den sie auch gerne verloren hätte - bis zum absoluten Anschlag aufgeheizt, schrie das kleine Ding in ihrer Brust nun Höllenqualen und jeder einzelne Aufschrei kam einem Dolch gleich, den man ihr in den Körper rammte. Jetzt war sie alleine, ganz alleine. Obwohl alle sie dabei beobachteten, sie alle so nah bei ihr waren, konnte niemand ihr helfen oder ihr Trost schenken.
    „Hallo, Sonja“, flötete Julia hämisch in Sonjas Richtung.
    Sonja erwiderte den Gruß nicht, zumindest nicht verbal. Stattdessen stolperte sie vor Schreck beinahe über ihre eigenen Füße.
    Julia lachte schrill auf. „Oh ja, so habe ich mir das vorgestellt. Setz dich auf den Boden, der ist Dreck gewöhnt.“ Julia nutzte die kurze Pause für eine weitere Darbietung ihres durchbohrenden Gelächters. „Fangen wir an. Das Publikum wartet bereits darauf, dich und deine schäbige Frisur eingestampft zu sehen. Die Niederlage wird dir erstaunlich gut stehen.“
    Insgeheim hätte Sonja eine Fortsetzung der Unterhaltung deutlich dem, was sich ihr nun näherte, bevorzugt. Doch die Zeit für weitere Seitenhiebe war vorbei. Ein von Julia geworfener Pokéball nahm den Platz ihrer Worte ein.


    Für einen kurzen Augenblick glaubte Sonja tatsächlich, ihre Gegnerin hätte einen kleinen Baum heraufbeschworen. Der schlanke Oberkörper mit dem kleinen Bäumchen auf dem Kopf mündete allerdings nicht in einem Gewirre aus Wurzeln, sondern in zwei standfeste Beine. Auch hatten Bäume natürlich nicht so etwas wie einen länglichen Schweif, wobei die beiden laubgrünen Blätter an dessen Ende Sonjas erste Vermutung wieder untermauerten.
    „Sei zart mit unserer Spielgefährtin, ja, Vegimak?“, kicherte Julia.
    Vegimaks sensible, untertellergroße Ohren zuckten auf. Pokémon und Trainerin tauschten Blicke. Die großen Kulleraugen des Pokémons fixierten Sonja und sofort nahm auch Vegimak denselben amüsierten Blick wie Julia an.
    „Was ist los, Klein-Sonja? Wir warten. Das ist keine Unterrichtsstunde. Hier stellt dir niemand Fragen“, lachte Julia auf.
    Sonja schluckte. Natürlich war das kein Unterricht – zu dumm. Hier hatte eine falsche Entscheidung keinen Tadel vom Lehrer zur Folge, sondern wurde rigoros mit einer verheerenden Ohrfeige beantwortet. Und doch wurden hier Lektionen erteilt; Lektionen, an die man sich vielleicht sein ganzes Leben lang erinnern würde.
    „Aufwachen!“
    „I-ist ja gut ...“, schreckte Sonja auf. Die sonst so erwartungsvollen Klänge des Publikums hatten in der Zwischenzeit ein bedrohliches Summen angenommen. Sie wollten nicht länger warten, und noch länger konnte sie es nicht mehr hinauszögern. So sehr sie sich auch dagegen sträubte – ihr blieb keine andere Wahl.
    Evolis jäher Auftritt wurde sogleich mit einem freudigen Aufruf der Zuschauer beantwortet, was jeden anderen, der wohl an Sonjas Stelle gewesen wäre, in seiner Entscheidung bestärkt hätte. Nicht aber Sonja und auch nicht ihre vierbeinige Partnerin. Als ob man ihr gerade einen Eimer eiskaltes Wasser übergegossen hätte, schweifte Evolis verängstigter Blick über die weite Halle, blieb kurz an Julia und Vegimak hängen, prallte an den Heerscharen von Menschen im Publikum ab, bis sich ihre und Sonjas Augen kreuzten. Evoli piepste klagend auf.
    „Ich weiß ...“, murmelte Sonja leise. „Es hilft nichts ... Wir müssen da durch.“
    „Hast schon dein Testament aufgesetzt? Gut. Dann bringen wir den Stein doch gleich ins Rollen!“


    Sonja blieb kaum Zeit zu reagieren. Wie Julia die Worte des Angriffsbefehls aus dem Munde kamen, so verließen Vegimaks Lippen urplötzlich ein halbes Dutzend hellgrüne, glühende Geschosse, die sich rasch Evolis Position näherten.
    „Weich aus!“, brüllte Sonja.
    Evolis Pfoten lösten sich vom Boden. Mit einem weiten Sprung hob sie ab und landete einige Meter entfernt. Dort, wo sie vor wenigen Augenblicken noch gestanden hatte, prasselte das von Vegimak entfesselte Kreuzfeuer wie faustdicke Regentropfen auf den Boden.
    „Alle Achtung, gar nicht mal so schlecht“, sagte Julia mit anerkennenden Unterton. „Mal schauen, wie lange noch.“
    Jede neue heraufbeschworene Samen-Salve blieb von Evoli auf eben dieselbe Art und Weise beantwortet. Erneut zischten die saatgutgleichen Geschosse durch die Luft – Evoli rollte sich zur Seite ab. Das nächste Projektil verfehlte Evolis rechtes Ohr nach einem rettenden Hechtsprung nur haarscharf. Ihre Pfoten berührten kaum den Boden, als schon die nächste Kugel sie zu einem rettenden Ausweichmanöver zwang. Hals über Kopf hechtete sie in Zickzackbahnen über das Kampffeld, während eine dicht aufeinanderfolgende Reihe von Schrapnellen sie auf Schritt und Tritt verfolgte. Und immer wieder zuckte ihr kleiner Kopf bei jeder Erschütterung hinter ihrem vor Furcht eingeklemmten Schwanz, deren sie nur haarscharf entkommen war, ängstlich zusammen.
    So wie der Kugelhagel endete, so brach auch Evoli erschöpft zusammen. Sonja atmete auf. Evoli war noch einmal unbeschadet davon gekommen. Doch für wie lange noch?
    „Wir spielen hier nicht verstecken oder fangen, falls du das noch immer nicht in deinen Kopf bekommen hast.“
    Das aufgebrachte Summen des Publikums über Evolis und ihre eigene Feigheit sowie Julias Worte zwangen Sonjas Blick in die Knie. Natürlich hatte Julia Recht, auch wenn sie eine merkwürdige Art hatte, dies in Worte zu fassen. Sonja starrte auf ihre Hände - sie zitterten. Ihre Kehle war staubtrocken, die Lippen spröde, dass nur ein einziges unachtsames Wort von Nöten war, um sie bersten zu lassen.
    „Statten wir der Kleinen doch einen Besuch ab, oder was meinst du?“
    „Mak!“
    Sonja hob schlagartig den Kopf. Ihre Hände, noch vor Augenblicken zittrig und flach, wurden geballt.



    * * *



    „Das wird kein gutes Ende nehmen“, murmelte Andy.
    Ray und Eagle waren beide längst auf den Beinen. Ihre Hände hatten das kalte Stahlgerüst in Bauchnabelhöhe umschlossen. Die Rufe, insbesondere die der Suicunes, hatten zwischenzeitlich die Klänge von Schmähgesängen angenommen. Immer wieder wiederholte man im Chor gehässig Sonjas Namen.
    Eagles rechte Faust donnerte zornig auf das Gelände. Es polterte dumpf. Es befriedigte ihn keineswegs, denn pochte nun seine Hand wütend auf. „Jetzt mach schon ...“, knirschte er und unterdrückte dabei den Schmerz in seiner Faust.
    „Wenn ich ’ne Runde pennen möchte“, ein Entei hatte sich mitten in einer Traube weiterer Enteis erhoben. Er grinste breit in die Runde, dann sah er direkt zu Ray und Eagle herüber, „dann lasse ich mich von Finch in Mathe unterrichten.“ Gellendes Gelächter brach unter den Reihen der Enteis aus, animierte auch einige Suicunes, sich anzuschließen, und pfefferte vielen Raikous, so auch Ray und Eagle, wie ein Satz gepfefferter Ohrfeigen an die Backe.
    „Komm schon, Sonja ...“, murmelte Ray.



    * * *



    Vegimaks kurze Beine trugen ihre Besitzerin schnell in die verlangte Richtung. Die Erde bebte schon jetzt unter den schnellen Schritten und wurde durch Evolis zittrige Knie noch weiter angestachelt.
    „Kein weitere Versteckspiele mehr!“, brüllte Julia. Vegimak war nicht mehr und nicht weniger als fünf Meter von Evoli entfernt und hob ihren rechten Arm zum Angriff. Das Ende ihrer fäustlingsgleichen Hand blitzte auf.
    „Reflektor! Jetzt!“
    Kaum waren die Worte Sonjas spröden Lippen entrungen, kniff sie instinktiv die Augen fest zusammen, bis sie die Flüssigkeit wie Saft aus einer Traube freigaben. Die schrillen Töne eines ganzen Xylophon-Orchesters, das auf völlig zu Eis erstarrten Tasten die grellste Tonleiter rauf und runter jagte, vibrierten in Sonjas Trommelfell. Dann – Stille. Doch war sie nur von kurzer Dauer – Jubel brach aus, lauter, als Sonja es jemals in ihrem ganzen Leben gehört hatte. Vorsichtig linste sie aus ihrem rechten Auge hervor, bevor sie auch ihr linkes weit aufriss. Evoli stand wie ein sturer Fels in der Brandung; hatte sie zwar den Kopf beängstigt eingezogen, doch sie stand. Vor ihr hatte sich Vegimak aufgebaut. Der völlig perplexe Blick des Pflanzen-Pokémons, das abwechselnd ratlos seine noch immer hoch erhobene Hand und dann wieder Evoli beäugte, ließ zu schlussfolgern, dass der von Evoli beschworene Reflektor sein Ziel erfüllte – genauso wie der Pokédex es versprochen hatte.
    „Worauf wartest du?!“, kreischte Julia wütend über das Kampffeld hinweg. „Mach sie fertig!“
    Diesmal widerstand Sonja dem erbitterten Drang, ihre Augen vor dem zu schließen, was sich nun vor selbigen abspielte: Vegimak hatte nun beide ihrer Fäuste erhoben und bearbeitete abwechselnd das widerspenstige, kastanienbraune Fellbündel vor ihr. Die Luft bettelte um Gnade. Wie eine wildgewordene Furie sausten Vegimaks Hände auf ihr Opfer hinab. Evoli zuckte bei jeder Berührung in sich zusammen, ihre Augen waren fest verschlossen, doch rührte sie sich keinen Zentimeter vom Fleck. Eine transparente Wand, deren Fragmente aus einzelnen, hellblauen bis weißen Spiegel zu bestehen schien, leuchtete jedes Mal wenige Millimeter über Evolis Fell auf und wurde stets mit den xylophonähnlichen Klängen begleitet, bevor sie sich wieder in Luft auflöste und sich erst mit der nächsten von Vegimaks Angriffen aufs Neue manifestierte. Julia raufte sich die Haare und brüllte sich bei ihren unaufhörlichen Befehlen die Stimme heißer, die Angriffe nicht einzustellen. Die Zeit für den zweiten Akt dieses Kapitels war angebrochen.
    „Jetzt Geduld, Evoli!“
    Noch immer zuckte Evoli bei jedem gedämpften Kontakt mit Vegimak, die ihr durch die kratzenden Handbewegungen arg das Fell verstrubbelte, leicht auf. Ganz langsam öffnete Evoli die Augen und schaute bangend über ihren Rücken zu Sonja. Evoli nickte und wandte sich dann wieder ihrer aufgebrachten Gegnerin zu. Ein purpurroter Schein, der von Evolis spitzen Ohren bis zu ihrem vor Furch eingeklemmten Schwanz plötzlich aufleuchtete, bildete gemeinsam mit dem wild aufblitzenden blauweißen Reflektor einen eigentümlichen Kontrast. Doch ebenso schnell wie die fremde Farbe erschienen war, so schnell war sie auch wieder verschwunden. Sonja, die noch vor wenigen Augenblicken schwache Hoffnung geschöpft hatte, rutschte das Herz in die Hose. War es fehlgeschlagen? Sie wollte es sich gar nicht ausmalen, was geschehen würde, würde der sorgfältig in aller Eile aufgestellte Plan scheitern. Die Konsequenzen, nicht auszudenken ...
    Eiligst fuhr ihre plötzlich wieder heftig bebende Hand in ihre Hosentasche. Ein Taubheitsgefühl machte sich sekundenschnell bemerkbar, als ob sie gerade in einen Eiswassereimer gegriffen hätte. Erst jetzt, jetzt in dieser Sekunde, kam es ihr wieder, dass sie ihr Nachschlagwerk, den Pokédex, unlängst ihrer ursprünglichen Besitzerin zurückgegeben hatte, womit ihre Informationsquelle versiegt war.
    Analog zu Evoli, die zwischenzeitlich bei jedem gedämpften Hieb ihrer Gegnerin immer heftiger zusammenzuckte, klang das von ihr heraufbeschworene Schutzschild mittlerweile dumpf und leicht kränklich, fast so, als würde man den Kampf mit dem Kopf unter Wasser mitverfolgen.
    Das Glück schien Sonja nun völlig verlassen zu haben: Das ohrenbetäubende Zerspringen einer Fensterscheibe erfüllte plötzlich die Luft und war schlagartig wieder verebbt. Evolis Schutz war gebrochen. Nun völlig ungebremst bearbeiteten die wilden Fäuste von Vegimak ihre mit dieser Sekunde schutzlos ausgelieferte Kontrahentin. Auf Gesicht und Stirn des Pflanzen-Pokémons zeichneten sich die Spuren der Anstrengung ab. Der Schweiß glitzerte im Rampenlicht der Arena und doch hatte Vegimaks entfesselte Wut kein Stück ihrer ursprünglichen Kraft verloren. Evoli konnte der ungebremsten Wucht der wirbelnden Fäuste nicht lange standhalten. Ihre Knie klappten ein und so auch der gebrechliche Körper. Die flehenden Klagelaute nahmen den Platz ihres sich in Luft aufgelösten Reflektors ein. Abermals sauste Vegimaks blitzende Rechte auf ihr Opfer herab und hinterließ einen klaffenden, roten Striemen in Evolis Gesicht. Immer wieder, und immer wieder ...
    Sonja konnte nicht mehr. Sie konnte es nicht mehr ertragen, es nicht mehr sehen, es nicht mehr hören ...
    „Aufhören! Es reicht!“
    Dieser Aufruf hätte so viel sein sollen: Eine Kapitulation, die Erkenntnis der Niederlage, der Ende des Albtraums, der Schlusspunkt dieses Kapitels, Evolis Erlösung, ... Und doch kam es völlig anders. Ein allerletztes Mal blitzten noch Vegimaks Fäuste auf, ohrfeigten Evoli für ihre Torheit und wollten ihr den letzten Funken Widerstand wie einen bösen Geist austreiben.
    Alles, Sonjas vergebliches Kapitulationsbekenntnis, Julias anfeuernde Rufe, Vegimaks erschöpftes Aufstöhnen und das Dröhnen des Publikums – sie alle gingen in Evolis urplötzlichen Aufschrei unter. Sie schrie sich die Seele aus dem Leib, beschwor ihre letzten Kraftreserven herauf. Die sonst so liebevollen braunen Augen nahmen sekundenschnell ein feuriges Rot an. Es dürstete sie nach dem Einen: nach Vergeltung. Kaum hatte Evolis Vergeltungsschrei ihre Kehle verlassen, wurde das ganze Ausmaß ihrer aufgestauten Wut ersichtlich. Eine scharlachrote Kuppel baute sich direkt um Evoli auf und wurde binnen Sekunden größer und größer. Sie wuchs weiter, immer weiter. Sie hatte nun bereits das dreifache Ausmaß ihrer Besitzerin angenommen. Explosionsartig dehnte sich das Gebilde mit einem Schlag aus und erfasste alles, was sich ihm entgegenstellte. Es riss Sonja rücklings von den Beinen. Ihr leises Aufstöhnen ging allerdings gänzlich in dem Aufheulen von Evolis Attacke unter. Vegimak riss es ebenfalls von den Beinen. Wie sprödes Laub und loses Geäst in einem Orkan wurde das Pflanzen-Pokémon von der Woge mitgerissen, wirbelte schreiend quer durch die ganze Arena und schmetterte frontal gegen die unter der Zuschauertribüne gelegene Wand, wo seine Bettelrufe endgültig erstickten.


    So schnell der Sturm gekommen war, so schnell legte er sich wieder. In Sonjas Ohren klingelten sämtliche Schulglocken der Insel, ihre Hände, mit denen sie ihren Sturz abgefangen hatten, ziepten schmerzend auf und ihre ungebändigte Frisur hing ihr kreuz und quer über das Gesicht. Doch ihr fehlte nichts. Mühsam rappelte sie sich auf und beäugte atemlos das Ausmaß der Verwüstung vor ihren Augen. Evoli stand zitternd auf ihren Beinen. Ihr Fell stand ihr wild zu Berge und der sonst so ängstlich eingeklemmte Schwanz schien den Himmel berühren zu wollen. Das Rot aber hatte Augen und Körper verlassen. Julia kauerte eingeschüchtert auf ihren Knien. Den Kopf unter ihren Händen vergraben ging ein leises Wimmern von der traurigen Gestalt aus, die sich vor wenigen Augenblicken noch als sicherer Sieger gesehen hatte. Ein vager Abdruck zierte noch den Fleck, wo es Vegimak an die Betonmauer geworfen hatte. Die Besitzerin lag krümmend darunter. Speichel sickerte ihr aus dem Mund und die plattgedrückte Nase gab etwas Blut preis.
    „Sie-Sieger des achten und letzten Kampfes der Vorrunde durch ein beeindruckendes KO – Sonja Lynn!“ Selbst Professor Livas Stimme zitterte etwas. Doch der Name der Siegerin verließ ihre Lippen so, wie sie bereits sieben Mal in Folge den Triumph eines Schülers gewürdigt hatte.


    Benommen und noch völlig durch den Wind taumelte Sonja nach vorne. Ihre Beine klappten nach wenigen Metern wieder ein. Abermals federte sie ihren Sturz mit ihren Händen und Knien auf und landete unsanft unmittelbar an der Seite ihrer Pokémon-Partnerin. Stöhnend hob sie ihre rechte Hand. Sie zitterte heftig und obwohl sie durch den bereits zweiten Sturz in Folge heftig pochten, aufgerissen waren und sogar an manchen Stellen leicht bluteten linderte die Berührung mit Evolis Kopf die Schmerzen, als wären sie nichts weiter als pure Einbildung.



  • Part 9: Immer das alte Lied ...



    Der Abend brach ebenso trist und düster an, wie er es schon die Tage zuvor getan hatte. Wolken beklagten und beweinten den sterbenden Samstag und somit das Ende der Vorrundenkämpfe. So wie die schweren Regentropfen ununterbrochen gegen die Fensterscheiben des weitläufigen Krankenflügels klatschten, so ununterbrochen tänzelten, schlitterten, kratzten, eilten oder aber schritten dutzende besohlte Beine oder blanke Füße, Pfoten oder Krallen über den weißmarmorierten Fußboden. Die aufgestaute Aufregung des Tages hatte noch mehr Schüler dazu veranlasst, sich mit ihren Freunden oder eingefleischten Rivalen einen hitzigen Zweikampf zu bieten; sehr zum Leidwesen der praktizierenden Ärztin, die nun im Dauerlauf zwischen Turnierteilnehmer und Hallodris hin und her wandern musste.
    Sonja Lynn hatte die Behandlung ihrer aufgerissenen Hände und Knie beinahe teilnahmslos über die ergehen lassen und ließ nun den medizinischen Eingriff ihrer vierbeinigen Partnerin auf sich wirken. Obwohl Professor Mary Joys missbilligendes Naserümpfen und ihre flüchtigen Wutausbrüche, wenn ein unwissentlicher Schüler ihr versehentlich die Arbeit behinderte, ihre Stellung zu dem aktuell zelebrierenden Turnier überdeutlich ausdrückte, so machte sie keinen Hehl daraus, jedem Opfer des Tages ihre ganze Liebe und Fürsorge zukommen zu lassen. Evolis stumme Leiden schienen sich aber im Vergleich zu manch anderem ihrer Patienten glücklicherweise im Rahmen zu halten. Auf einen Griff zu einem desinfizierenden Wässerchen (Evoli zuckte leise klagend zusammen) folgte ein weiteres Präparat, das sie sorgfältig auf sämtliche rotglühenden Schrammen im Gesicht und auf dem Leib verteilte.
    „Das, was Evoli jetzt am dringendsten nötig hat“, erklärte Professor Joy, während sie ihrer vierbeinigen Patientin direkt einen nach Kamille riechenden Trunk in die Kehle einflößte, „ist Ruhe, Ruhe und nochmals Ruhe. Sie sollte die Nacht hier verbringen.“
    „G-gut, danke“, stammelte Sonja und versuchte dabei, ihrer Professorin Glücklichkeit und Entspanntheit vorzuheucheln, wovon sie aber weit davon entfernt war, es tatsächlich zu sein. Evoli hatte einen hohen Preis dafür zahlen müssen, in die zweite Runde dieses albernen Turniers vorzurücken, während ihre Freundin und Trainerin noch einmal – im wahrsten Sinne des Wortes – mit abgeschürften Knien davon gekommen war. Und für was das alles? Damit sie denselben Albtraum am nächsten Tag aufs Neue durchleben durfte.
    „Sie dagegen, Miss Lynn, sind soweit in Ordnung und können gehen. – Miss Lynn?“
    Erst durch das vorsichtige Wiederholen ihres Namens sowie einen sanften, aber bestimmenden Ellenbogenstoß von Ray schreckte Sonja aus den Untiefen ihrer Gedanken.
    „Ich bleibe noch etwas, wenn es Sie nicht stört.“
    Wirklich Recht schien der Professorin und Ärztin der Aufenthalt weiterer Störenfriede, die den reibungslosen Ablauf der weiteren, sicherlich arbeitsreichen Stunden behindern würden, nicht zu sein, doch akzeptierte sie den Wunsch und erduldete somit die weitere Präsenz ihrer drei Schüler.


    Erschöpft nahm Sonja auf dem Mittelteil des menschengroßen Bettes Platz. Evoli war bis zum Anschlag zugedeckt und nur der Kopf und ihre zwei niedlichen Vorderpfoten, die den Saum der Decke berührten, lugten hervor. Ihre Augen waren geschlossen – sie war eingeschlafen.
    „Sauber. Ein Schläfchen am Abend - erquickend und labend“, gluckste Ray. „Morgen geht’s weiter.“
    Sonjas Blick war auf Evoli gerichtet, wie sie so unschuldig und einem Engel gleich in ihren Träumen versunken war und wohmöglich gerade die schönsten Momente ihres Lebens erneut durchlebte. Leise seufzte Sonja auf. „Ich hätte nichts dagegen“, begann sie vorsichtig, „wenn es bereits vorbei wäre ...“
    „Du machst wohl Witze?“, fuhr Eagle leicht empört auf. „Nach der Nummer von heute? Du hättest mal die anderen oben hören sollen. Die waren alle außer Rand und Band. Den Suicunes hat deine Vorstellung natürlich ganz und gar nicht geschmeckt, aber lassen wir das. Und Sarah ...“
    „W-was ist mit Sarah?“, unterbrach Sonja ruckartig Eagles Ausführungen.
    Statt aber gleich aus der Haut zu fahren, wie man es sonst so von ihm kannte, blieb er, auch wenn er leicht zusammenzuckte, völlig gelassen. „Sie spricht in den höchsten Tönen von dir“, antwortete er.
    Sonja verzog zweifelnd das Gesicht und mied dabei Eagles anerkennenden Blick.
    „Hier, sieh mal. Ich habe das Beste auf die Linse gekriegt.“ Ray reichte Sonja seine Digitalkamera.
    Ihr Klassenkamerad schien tatsächlich die größten Höhepunkte des Kampfes eingefangen zu haben. Evoli wich gekonnt Vegimaks Kugelsaat-Salve aus, der Reflektor wurde heraufbeschworen, Vegimak schaute völlig baff in die Richtung ihrer Trainerin, Evolis plötzlicher Ausbruch, Vegimak am Boden. Von vielen Szenen gab es gleich mehrere Aufnahmen und eine schien besser als die nächste zu sein.
    „Ich hatte es schon sein lassen wollen“, meinte Ray. „Bei deinem Auftakt waren wir uns erst ... unsicher. Als du dann aber losgelegt hast – echt klasse!“
    „Wenn ich so klasse war“, murmelte Sonja leise. Sie gab ihrem Freund die Kamera zurück, „warum musste dann Evoli“, jetzt schaute sie wieder in die Richtung ihrer Partnerin, die seelenruhig schlummerte und wohl nichts von dem Gespräch mitbekam, „so viel ertragen? Es ist so falsch ...“ Sonjas Satz endete mit einem resignierenden Kopfschütteln.
    „Du hast alles, aber auch wirklich alles richtig gemacht, wenn auch auf deine ganz eigene Weise“, erwiderte Eagle. „Du kommst zwar nicht an mich ran, aber ...“
    „Was der gute Eagle sagen will“, schloss sich Ray in die Unterhaltung ein und schubste Eagle (er protestierte sofort) ein gutes Stück zur Seite, sodass sich nun er und Sonja in direktem Augenkontakt befanden. Selbst über Sonjas Gesicht huschte ein schwacher Schatten eines Lächelns, „ist, dass du die beste Show der ganzen Vorrunde abgeliefert hast. Die haben jetzt alle ’ne ordentliche Portion Respekt vor dir, kannst du mir glauben.“
    „Wo hast du überhaupt so kämpfen gelernt? Das war ...“ – „Valentine!“
    Eagles Satz ging in zwei wütend über den Boden stampfenden Plattfüßen unter, deren Besitzerin Ray nur zu gut kannte und die sich schnell näherten. Pam Finnley trampelte auf die drei Raikous zu. Ihr destruktiver Blick aber perlte sowohl an Eagle wie auch an Sonja ab und fixierte einzig und allein Ray. Der aber lachte nur.
    „Ah, Pam! Wo drückt denn der Schuh? Ach ne, ich weiß schon.“ Ray musste sich arg zusammenreisen, um nicht vor Lachen fast umzukippen.
    Zu dem Schaum, der der Entei-Schülerin vor dem Munde stand, gesellte sich nun sekundenschnell ein knallroter Kopf hinzu.
    „Dir wird dein dreckiges Lachen noch vergehen, wenn ich erst einmal mit dir fertig bin!“ Pam knackste bedrohlich mit den Fingern und ballte die pulsierende Faust.
    „Du wirst doch hier keine Schlägerei anfangen?“, hauchte Sonja.
    Wie ein Blitz schnellte Pams aufgepeitschter Blick zu der auf dem Bett sitzenden Sonja herüber. Sonja schluckte und doch ließ sie ihren anklagenden Blick nicht fallen.
    „Misch dich da nicht ein, Goldlöckchen!“, fuhr Pam Sonja bissig an. „Das geht nur mich und diesen Clown da an.“ Sie wandte sich wieder Ray zu. „Du, mieser, kleiner ... Mich derart zu verarschen, mich vor aller Welt bloßzustellen ...“
    „Bist so schlecht, dass es dich in der Vorrunde zerlegt, und willst jetzt mit deinen Muskeln spielen? Wenn du in meinem Haus wärst, würde ich mich freiwillig auf ’ne andere Schule versetzen lassen.“
    Abermals zuckte Pams Kopf blitzschnell herum. Diesmal war es Eagle, der ihrem Blick standhalten musste und ihrem ganzen Zorn ausgeliefert war. Obwohl auch Eagle gut und gern über einen halben Kopf kleiner als die aufgebrachte Enteiianerin war und sie sich nun direkt gegenüberstanden, hielt er seine provokante Position demonstrativ ein.
    „Hinten anstellen, Würstchen, dich nehme ich mir später vor. Zuerst aber er ...“
    „Diese ganzen Enteis sind alle so rückständig. Ein Haufen Primitivlinge.“
    Auch Sonjas leises Aufklagen konnte nicht verhindern, dass sich Fabien, Julia und Marina mitsamt ihrer hochhakigen Schuhe und ihrem fiesen Grinsen Evolis Nachtlager näherten.
    „Ihr wollt auch etwas?“, bellte Pam zornig in die Richtung der drei Neuankömmlinge.
    Amüsiert tauschte Fabien mit ihren beiden Freundinnen Blicke. „Von dir was wollen?“, höhnte sie. „Was kann man von dir schon wollen, außer vielleicht, dass du einem aus der Sonne gehen solltest?“
    Auch wenn Sonjas die Verachtung, die Fabien ihr entgegenbrachte, nicht weniger teilte, musste sie der kleinen Suicune-Schülerin in diesem Moment einfach Respekt für den Mut, den sie aufbrachte, zollen. Pam aber, die von zwei Seiten belagert wurde, schien völlig von der Übermacht unbeeindruckt zu sein und schüttelte ihre wuchtige Faust nun in Fabiens Richtung. Bevor sie aber einige Veilchen verteilen konnte, erfuhr sie unerwartet Verstärkung aus ihren eigenen Reihen.
    „Sie stinken zum Himmel, sind abgrundtief hässlich, keiner will sie haben und doch tanzen sie auf jeder Party. Na, wer ist es?“
    Keiner erwartete auf Ricos Frage eine ernstgemeinte Antwort, schon gar nicht Billy und Nicholas, beide sich ins Fäustchen lachend. Die drei Enteis bauten sich nun hinter Fabien, Julia und Marina auf. „Vielleicht aber auch Granger. Er und sein hässliches Federvieh stinken ja auch zehn Meilen gegen den Wind“, fügte Rico abschließend und mit hässlichem Grinsen hinzu.
    „Was ist dein Problem, Tarik?“, bellte Eagle über die Köpfe Pams und die der drei Suicunes hinweg. „’nen Vorgeschmack auf Morgen kannst du auch gleich haben, wenn du so ’ne Todessehnsucht hast!“
    „Dann schnappt euch doch Granger, wenn ihr so auf ihn steht, und nehmt gleich noch euer Hackfressen-Maskottchen mit!“, fauchte Julia. Sie schaute vorbei an der bulligen Entei-Schülerin, die zwischen ihr und ihrem Zielobjekt stand. „Sonja, Liebes: Denk ja nicht, dass wir schon miteinander fertig sind!“
    Insgeheim hatte Sonja natürlich gewusst, dass die Suicunes nicht auf Kaffee und Kuchen da waren und ihr Besuch schon gar nicht freundschaftlicher Natur sein konnte. Natürlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, bis schlussendlich ihr Name fallen musste. Was sie sich aber niemals erträumt hatte, war, dass ausgerechnet ihr Name die ganze Situation eskalieren lassen sollte. Kaum hatte Julia ihren Satz beendet, da brach auch schon das heillose Durcheinander unter den Schülern aus: Pam machte den Anfang und stieß Julia mit dem ganzen Ausmaß ihrer körperlichen Kraft von sich weg. Die schrill kreischende Suicune-Schülerin stieß rücklings mit Nicholas zusammen, den sie kurzerhand mit sich riss. Eagle nutzte die Gelegenheit von Pams Abgelenktheit, stieß sie kurzerhand beiseite, schnellte zwischen Fabien und Marina hindurch und warf sich direkt auf Rico. Doch damit sollte der Aufstand auch schon niedergeschlagen sein ...
    „Schlagen Sie sich doch alle die Köpfe ein, aber nicht in meiner Krankenstation! Raus hier, alle! ALLE, SAGE ICH!“
    So groß der Tumult auch war, so laut die Schreie dreier verschiedener Häuser doch sein wollten – nichts kam der durchdringenden Stimme Professor Joys entgegen. Das Gesicht knallrot und in noch nie zuvor dagewesenen Zornesfalten gelegt, zerrte sie mit einem Ruck Eagle von Rico herunter und baute sich in ihrer gesamten Größe vor allen Beteiligten auf. In nur Sekundenbruchteilen war Mucksmäuschenstille in Professor Joys geweihten Hallen eingekehrt. Ihr heftig bebender Zeigefinger gab die Richtung vor: Ausgang. Sie scherte sich noch nicht einmal mehr um die Platzwunde an Ricos Kopf, aus der ein feines Rinnsal Blut sickerte. Für heute hatte der Spaß ein Ende.
    Rico, Billy und Nicholas waren die ersten, die das Feld schlurfenden Schrittes räumten, nicht aber ohne noch einmal einen gehässigen Blick über die Schulter zu werfen.
    „Wir sehen uns, Sonja. Morgen gilt es!“, sagte Fabien. Weder Hohn noch die üblichen Hänseleien lagen in Fabiens Worten. Es war vielmehr als eine Drohung aufzufassen. Sie und ihre beiden Freundinnen taten es den Enteis gleich und bildeten deren Nachhut.
    „Glaubt aber ja nicht, dass wir euch heut Abend auf unsere Siegesfeier einladen“, rief Ray ihnen nach.
    „Sie auch, Valentine, Granger! RAUS!“



    * * *



    „Saubere Leistung, echt!“, lachte Ray sich die Seele aus dem Leib. Er und Eagle hatten den Krankenflügel verlassen, hingegen Sonja bei Evoli zurückgeblieben war. Von den Enteis und Suicunes fehlte jede Spur – der nur schwach beleuchtete Korridor war menschenleer. „Schade, dass ich die Kamera nicht parat hatte. Rico wird dich morgen meucheln.“
    „Soll er es doch probieren.“ Über Eagles aufgesprungene Lippen huschte ein hässliches, aber zufriedenes Grinsen. „Im zweiten Kampf mach ich mit dem endlich reinen Tisch – und dann bist du dran!“ Noch im Weitergehen bohrte er seinen Blick in Rays Schulter. „Ich hab dich nicht vergessen!“
    „Immer wieder gerne“, gluckste Ray. „Muss nur noch die nächste Runde erreichen. Wer ist eigentlich mein Gegner?“
    Eagle stoppte abrupt. Völlig fassungslos verzog er das Gesicht. „Willst du mich verarschen? Hast du die ganze Zeit gepennt oder was?“
    Ray zuckte amüsiert die Schultern. „Immer!“
    Eagle stöhnte auf. „Und gegen so jemanden wie dich hab’ ich verloren – echt peinlich. Du musst morgen gegen diese Entei ran, die, auf die du so stehst. Sora oder so ähnlich ...“
    „S-Sora?“

  • Hiho Eagle,
    erstmal ein fettes sorry, dass so lange nix von mir kam. Hatte in der Vorweihnachtszeitne Menge zu tun und dann hast du zeitweise auch noch fast täglich was neues gepostet. Da musste ich ne ganze Menge aufholen, doch jetzt bin ich ja wieder auf dem aktuellsten Stand der Dinge.


    Zunächst einmal fand ich es richtig klasse, wie du bereits im Vorfeld das inzwschen laufende Turnier in den Vordergrund gestellt hast. Man hat richtig gespürt, wie sehr alle Beteiligten diesem Ereignis entgegenfiebern und es nicht mehr erwarten konnten, sich gegenseitig zu zerfetzen. Die Rivalität unter den drei Häusern ist ja nur allzu verständlich und weitestgehend auch nur logisch, aber viel packender sind da die persönlichen Feindschaften. Schon die Szene, in der dir drei Enteis Rico, Nicholas und Billy das Beisammensein der Raikous gestört und somit zur vebalen Auseinandersetzung geblasen haben, war echt geil. Man hat ein wenig das Gefühl, als würden sich zwei rivalisierene Fangruppen zweier Sportmannschaften gegenüberstehen. Da tief in mir schon ein kleiner Hooligan steckt (nicht wörtlich nehmen, ich übertreibe halt gerne^^) sagt mir das sehr zu. Die Emotionen kochen hoch, je näher das Turnier rückt und so muss es auch sein. Immer nur faires Händeschütteln wie im Anime ist stinklangweilig.


    Als es dann endlich los ging, hab ich es eigentlich noch gar nicht richtig begreifen können. Es wurde bereits viele Wochen zuvor von nichts anderem mehr geredet und so sehr entgegengefiebert - und dann war es auf einmal soweit. Ich will damit nicht sagen, dass es mir zu schnell ging, im Gegenteil. Wenn man so lange im Voraus solch eine Vorfreude erzeugt, wirkt die Wartezeit rückblickend einfach so kurz, obwohl sie zuvor noch so quälend lang erschien. Wenn man es schafft, mich so sehr zu begeistern und an den PC zu fesseln, kann man dvor nurden Hut ziehen. Du erzeugst reale und spannende Emotionen, lässt den Leser selbst total mitfiebern. Ganz großes Lob dafür.
    DieAuslosung selbst war ja bereits ein regelrechter Höhepunkt. Einige sehr schöne und interessante Paarungen hast du uns da geboten, welche den Rivalisiereden Pernonen sehr gut nachgekommen sind. Ray geen die ihn so hassende Pam, Eagle legt sich mit dem Entei-Trio an und Sonja muss sich den Suicune-Girlies entgegenstellen. Jeder hat hier seine eigenen, persönliche Kämpfe auszutragen, was de Turnier eine Extraportion Spannung verleiht.


    Was die Kämpfe angeht, finde ich es sehr bemerkenswehrt, wie du es schaffst, mit Pokémon der untesten Entwicklungsstufe und dem fast vollständigen Verzicht auf Attackennamen dennoch schaffst, die Matches spannend zu gestalten. Auch die Idee, dass keiner eine wirkliche Ahnung von dem Pokédex ode einigen Pokémontypen hat, ist sehr interessant. Wir sehen das alle völlig selbstverständlich, damit vertaut zu sein, aber die lernen all dies ja gerade erst. Das wirkt rundum sehr durchdacht und authentisch. Auf jeden Kampf möchte ich jetzt nicht einzeln eingehen, aber ich denke es ist des Lobes bereits genug, wenn ich sage, dass die Beschreibungen der Kampfsituationen echt gelungen sind und wie Pokémon der untersten Entwicklungsstufe wie gesagt sehr packend. Man kann ja nicht gerade sagen, dass es leicht ist, auf diese Weise Kämpfe einzubauen.


    Nach der ersten Runde haben wir ja auch wieder einige geile Begegnungen. Ray gegen Sora... meine Fresse, das kann was werden. Eagle gegen Rico... hab ja den persönlichen Zwist bereits angesprochen, da wirds scheppern. Sonja gegen Fabien... vom Underdog zum Favoriten, wenn man etwas übertreiben will, aber wer hat es denn nicht kommen sehen, dass Sonja ein Wörtchen mitreden wird. Wie aufgefühlt sie dabei ist, passt zu ihrem Chrakter und geht se mir immer weiter auf die Nerven, wie ich es in einem früheren Kommi schonmal erwähnt habe. Diese Mimose soll endlich mal aus sich rauskommen!
    Spätestens im Halbfinale wird dann einer dr drei Raikous ausscheiden, aber mich würde es ehrlich gesagt auch nicht wundern, wenn schon in der nächsten runde jemand rausfliegt. Du hast in dieser FF schon für so manche Überraschung gesorgt, da wäre so etwas gut möglich. Aber d hilft wohl alle Spekulation nicht.
    Nebenbei bemerkt finde ich es gut, dass du die zuvor von mir ewähnte Atmosphäre von Fangruppen in Form der drei Häuser während des Turniers aufrecht erhälst.


    Dafür, dass ich so lange nix von mir hab hören lassen, ist das Kommi noch recht kurz geraten, aber das wird sich ändern. Nun muss ich ja kein halbes Dutzend Kapis mehr aufholen, also wist du nun wohl wieder öfter von mir lesen und dann werdeich auch genauerauf den Text eingehen. Bis dahin lasse ich dir Grüße da und wünsche frohe Weihnachten


    aiguL 29

  • Part 10: Liebe ist ...



    Natürlich blieb die Eskapade im Krankenflügel nicht lange hinter deren verschlossenen Türen, machte wie ein Lauffeuer die Runde durch die Schule und bescherte allen, bis auf Ray und Sonja, eine nachsitzreiche Ferienzeit. Obwohl Ray und Sonja nicht aktiv an der Schlägerei beteiligt waren und Ray sogar insgeheim seinem Titel als Nachsitzkönig, den er nun an Eagle abtreten musste, bitterlich nachtrauerte, galten alle drei Raikous bei der abendlichen Fete in ihrem Schulhaus als die Helden des Tages. Stolz wurde auf ihre Namen immer wieder aufs Neue angestoßen, die Geschichten ihrer Ruhmesleistungen des Tages stets wiederholt und völlig neue Aspekte einfach nach Belieben hinzugereimt. Eagle hatte bereits nach kürzester Zeit die Nase gestrichen voll von Jubel, Trubel, Heiterkeit, und spätestens, als ein Jahrgangsälterer ihm versehentlich Limonade auf die Hose gekippt hatte, war für ihn der Zeitpunkt zum Abschied gekommen. So musste das Fest ohne ihn weitergehen, was die Stimmung allerdings keineswegs drückte.
    „An was denkst du?“, fragte Ray, nachdem auch er bereits zum gefühlten zehnten Mal seine Erlebnisse auf dem Kampffeld haargenau geschildert hatte. Er und Sonja hatten es sich klammheimlich in zwei gemütlichen Sesseln in einer etwas abgeschiedenen Ecke des weitläufigen Raikou-Wohnzimmers bequem gemacht. Nicht unweit von ihnen tobte noch Stimmung pur, obwohl sich die Zeiger von Sonjas Armbanduhr bereits bedrohlich nahe der 0:00 Uhr-Marke näherten. Sonjas Hände umklammerten beide ihr halbvolles Glas. Nachdenklich stierte sie auf den Grund hinab. „An Evoli?“, hakte Ray vorsichtig nach.
    Sonja nickte. „Zum Teil ...“
    „Dacht ich’s mir doch“, gähnte Ray und lehnte sich schläfrig zurück.
    „Ihr geht es gut“, sagte Sonja kopfschüttelnd.
    „Wirst du weitermachen?“
    Sonja gluckste, als ob Ray gerade einen seiner bekannten Späße zum Besten gegeben hätte. „Habe ich eine Wahl?“
    „Wenn du nicht willst – wer soll dich daran hindern?“, meinte Ray schulterzuckend.
    „Ich denke“, begann Sonja langsam, doch Ray schnitt ihr das Wort ab.
    „Du hast dich gut geschlagen. Keiner wird es dir krumm nehmen, wenn du jetzt – wie soll ich sagen? – dich auf deinen Lorbeeren ausruhst.“
    „Eagle meinte, ich hätte genau das Richtige gemacht, wenn auch auf eine ganz besondere Art und Weise ...“, murmelte Sonja.
    „Ich sag’s nicht gerne, aber da hat der gute Eagle sogar ausnahmsweise mal Recht“, schmunzelte Ray. „Die haben alle Bauklötze gestaunt, als du Julia auf die Bretter gelegt hast, kannst du mir glauben. Ach, was rede ich da – du hörst sie ja.“ In genau diesem Moment grölte Andy noch einmal besonders laut Rays Namen in die Menge. Er hob seinen Humpen und schwenkte ihn in die Richtung des beim Namen genannten. Ray musste über beide Ohren grinsen.
    „Wenn das so ist ...“, Sonja stoppte einen Augenblick, sie nahm einen großzügigen Schluck aus ihrem Glas und leerte es in nur einem Zug, als wollte sie sich Mut antrinken, „dann mache ich ... weiter!“


    Ungeachtet der Feierlichkeiten im Raikou-Schulhaus, deren Teilnehmer jeder für sich bereits ihren persönlichen Favoriten als Sieger des Turniers gekürt hatten, musste der Wettbewerb um Ruhm, Ehre und den Pokédex am Folgetag erst noch überhaupt in die zweite Runde gehen. Auch am Sonntag brodelte die Gerüchteküche noch immer nicht weniger feurig. Wie es mittlerweile jedes Ohr eines Raikou-Schülers erreicht hatte, so gab es ebenfalls an den Tischen der Suicunes und Enteis nur das Thema über die gestrige Schlägerei. Wer das Glück hatte, gute Beziehungen zu seinen andersfarbigen Kollegen zu haben, der erfragte, ob die umhergeisternden Gerüchte tatsächlich der Wahrheit entsprächen. Ricos Platzwunde am Kopf allerdings sowie ein blauer Fleck an Julias Arm sprachen auch ohne Sympathien zu seinen Mitschülern deutliche Sprachen für sich. Lenkte man einmal vom Thema der Schlägerei ab, gab es nur eine andere Sache, die eines Tischgesprächs würdig war.
    „Drei Raikous, drei Enteis und zwei Suicunes: Ray, Sora, Malcom, Rico, Billy, Logan, Fabien und Sonja.“ Linsey – sie und Marill mittlerweile wieder genesen – zählte die übrigen Turnierteilnehmer an den Händen ab. „Das sieht gut aus für uns.“ Die meisten Anwesenden nickten. Sie selbst aber schien nicht ganz mit der Entwicklung der Dinge zufrieden zu sein. „Wenn mich doch nur nicht dieser Schleimbeutel dort drüben rausgeworfen hätte ...!“ Ihr zutiefst angewiderter Blick galt Eagle, der, wie eh und je, an seinem Einzeltisch saß und es sich ungeachtet von Linsey Komplimenten schmecken ließ.
    „Er war eben besser“, schulterzuckte Serina King. „Find dich damit ab!“
    „Deutlich besser. – Er ist so süß ...“, nickte Nea Banner zustimmend. Ihr verträumter Seufzer ging in einer von Linsey verursachten Flutwelle von Beleidigungen unter. Ray verstand nur die Hälfte von dem missmutigen Gebrumme seiner Klassenkameradin, aber er konnte sich das Notwendige auch denken.
    „Und ihr beide“, sagte Serina. Ihr Blick schweifte abwechselnd zwischen Sonja und Ray hin und her, „müsst heute wieder ran? Fabien Dinas hat gestern mit Jake ordentlich den Boden aufgewischt. Schaffst du das, Sonja?“ Sonja verschluckte sich leicht panisch an ihrem Brötchen und verfiel in einen heftigen Hustkrampf. Serina wartete aber gar nicht auf eine Antwort, sondern widmete sich gleich Ray. „Und du bestreitest gleich den ersten Kampf, richtig? Gegen Sora Townsend. Auch keine leichte Gegnerin. Wie fühlst du dich, schaffst du sie?“
    „G-gut“, nuschelte Ray.
    Ausnahmslos sämtliche Köpfe in Hörweite drehten sich nun perplex in Rays Richtung. Selbst Linsey schluckte die letzte nur halb ausgesprochene Beleidigung gegen Eagle herunter. Hatte man sich etwa verhört? Ray Valentine, der Schüler mit Letztwortgarantie, Favorit des Turniers, Schrecken eines jeden Notendurchschnitts, ... Hatte er etwa Bammel oder hatte er sich womöglich einfach nur gerade an einem Happen verschluckt? Serina und Nea tauschten nervös Blicke, keiner der beiden traute sich aber, etwas zu sagen. Linsey dagegen machte gleich Nägel mit Köpfen.
    „Warum bist du plötzlich so verklemmt?“
    „Ver-verklemmt?“
    „Hast du etwa Schiss?“
    „Ähm ...“
    „Mach hier keinen auf Sonja und spucks aus!“
    Ray war mittlerweile knallrot angelaufen. Wie sollte er es erklären oder es in verständliche Worte fassen? Er verstand es ja noch nicht einmal selbst. Jedes Mal, wenn er sich Sora Townsend vor seinem inneren Auge vorstellte, machte sich in ihm ein flaues Gefühl breit, als ob sein Magen sich kopfüber stülpen würde. Gleichzeitig flatterte sein Herz und in den Kopf wurde eine Überdosis Blut gepumpt, das scheinbar aus beiden Armen und Beinen gewaltsam herausgezogen wurde und deshalb in ein Taubheitsgefühl in sämtlichen Gelenken mündete. Sie war einfach ... Sie war ...
    „Von aufs Brot sabbern wird’s auch nicht besser!“, fauchte Linsey.
    Beinahe phlegmatisch wischte sich Ray den überflüssigen Speichel vom Kinn. „Wunderschön ...“, würgte er schließlich mit letzter Kraft hervor.
    „Was? Was soll das heißen? Übersetzt das hirnlose Gestammel mal bitte jemand für mich!“
    „Der Knallkopf ist verschossen. So blind kannst nicht einmal du sein“, schnaubte Eagle. Mit leeren Tellern und Tablett stand er nächst zu dem langen Tisch, an dem seine Hauskameraden saßen. Zweifellos war er fertig. Er schenkte Ray einen teils bemitleidenswerten, teils angewiderten Gesichtsausdruck, bevor er aus der Mensa hinausstolzierte.
    „Tatsache? Du bist verknallt?“, hauchte Sonja.
    „Wie süß“, kicherten Nea und Serina im Chor.
    Ray blähte seine Backen wie eine fette Kröte auf und schnitt eine Grimasse nach der anderen, nur um keine Antwort geben zu müssen. Selbst seine Ohren hatten mittlerweile einen dunklen Magenta-Farbton angenommen.
    „Du kannst hoffentlich kämpfen?“, fragte Linsey mit gebieterischem Unterton.
    Rays Adamsapfel bebte. Endlich versuchte er, den Mund zu öffnen, doch entfloh ihm statt der Worte lediglich ein Schwall Speichel.
    „Na, das kann ja heiter werden ...“, stöhnte Linsey.



    * * *


    Mit dem Ablauf des Mittags rückte der Zeitpunkt des Viertelfinales näher und näher. Niemand abseits Linsey, Nea, Serina, Sonja und Eagle hegte einen ernsthaften Zweifel daran, dass Ray auch dieses Mal eines seiner bekannten Asse locker aus dem Handgelenk schütteln und auch aus diesem Kampf siegreich hervorgehen würde, weswegen man schließlich um 15:00 Uhr froh gestimmt in die Arena einzog und dort seine Plätze einnahm.
    „Wie? Was soll das heißen ,belegt’?“, fauchte Eagle ungeduldig.
    „Soll heißen“, erklärte ein bulliger Raikou in aller Sachlichkeit seinem ihm an Größe und Gewicht deutlich unterlegenen Mitschüler, „dass diese Plätze bereits reserviert sind. Hast du etwa ein Problem damit?“
    „Und ob ich das habe! Mach dich dünn oder ich ...!“
    „Oder was?“ Der Raikou-Schüler der dritten Jahrgangsstufe hatte sich erhoben. Während er auf Eagle leicht belustigt hinabblicke, verschränkte er seine beiden wuchtigen Arme.
    „Oder ich ...!“
    „Hey, bleib locker.“ Eagle wandte sich um. Jake Miller hatte ihm auf die Schulter geklopft und gestikulierte auf den letzten freien Platz in der zweiten Reihe. „Die sind nicht viel schlechter“, schulterzuckte Miller. Links und rechts von ihm hatten sich bereits Sonja, Ray, Andy, Sarah und Marco niedergelassen.
    „Greif besser zu – gegen mich siehst du ja doch kein Land“, sagte der Drittklässler mit einem leichten Schmunzeln im Gesicht.
    Eagle machte keinen Hehl daraus, sich besonders lautstark auf den letzten freien Platz der zweiten Reihe niederzulassen oder sein Gefluche in keiner Weise in Zaum zu halten, nichts wirklich Neues für alle, die schon einmal das Vergnügen mit dem exzentrischen Schüler der Grundstufe hatten.


    Die besten Sitzplätze waren schnell vergeben und auch der letzte freie Zentimeter Plastik füllte nach nur kurzer Zeit einen Schülerhintern. Beinahe pausenlos spürte Ray deutlich die Blicke seiner Hauskameraden auf sich haften, was er normalerweise wie eine erfrischende Dusche an einem heißen Sommertag über sich ergehen ließ; nicht aber heute. Die Aussicht, ausgerechnet auf Sora im Viertelfinale zu treffen, beflügelte ihn keineswegs zu seinen üblichen Schandtaten. Überhaupt hatte er sich so seinen ersten „Tanz“ mit der hübschen Entei-Schülerin ganz und gar nicht ausgemalt. Irgendwie war das alles nicht richtig - so sollte es einfach nicht sein und schon gar nicht hier, ausgerechnet an diesem Turnier. Ray kam sich neben ihr und ihrem wallenden Haar, ihrem makellosen Gesicht und dem scheinbar aus dem edelsten Holz geschnitzten Lächeln klein und völlig unbedeutend vor. War es überhaupt noch wichtig, wer dieses Turnier gewann? War es nicht vielmehr wichtiger, dass Sora nun endlich wusste, dass Ray überhaupt existierte? Hatte er somit vielleicht sogar schon gewonnen?
    „Sitzt du auf den Ohren? Du bist aufgerufen worden!“
    „W-was?“
    Einmal mehr hatte sich die Zeit als ein arglistiger Halunke herausgestellt. Kam es Ray zwar vor, als hätte er gerade erst Platz genommen, so hatte ihn stattdessen eine jede Uhr um seine letzten freien Minuten, die ihm noch geblieben waren, betrogen. Sie hatten ihn eingeholt wie eine wilde Bestie seine Beute vor dem zerfetzenden Sprung; und eben so kam sich Ray gerade in diesem Augenblick vor: Ausgelaugt, gerädert, nicht wirklich Herr seiner Kräfte – ein merkwürdiges Gefühl, auf dessen Erfahrung er auch gut und gerne hätte verzichten können. Sämtliche Blicke seine Hauskollegen und somit auch deren Hoffnungen ruhten auf ihm. Der Zeitpunkt war, so sehr er sich doch auch plötzlich dagegen sträubte, gekommen ...
    Belastet von den unzähligen erdrückenden Augenpaaren erhob er sich. Erst Sora Townsends Kopf und dann ihr ganzer zierlicher Körper tauchte ebenfalls aus einer gewaltigen Traube von Entei-Schülern auf. Die Wege beider Schüler kreuzten sich etwa in der Mitte der Zuschauertribüne, wo eine Treppe sie in die Arena führen sollte. Ray hielt etwas Abstand zwischen sich und seiner Gegnerin ein, doch schien das von Sora aufgetragene Kirschparfüm ihn wie eine hungrige Maus zum herzhaften Käse ziehen. Er war gänzlich in ihrem unsichtbaren Bann gefangen. Konnte er es wagen, sie vorab anzusprechen, sie gar anzufassen? Noch während er die Treppe hinuntertorkelte, wollte er seinen Arm heben. Er war völlig taub und schien Tonnen zu wiegen, doch war Ray nun nur noch wenige Zentimeter von Soras braunen Haarspitzen entfernt. Er musste sich beeilen. Das Ende der Treppe war bereits in nahe Entfernung gerückt. Nur noch wenige Zentimeter ...
    „Bevor wir nun die zweite Runde feierlich eröffnen, möchten wir noch einen Augenblick eurer Geduld in Anspruch nehmen.“
    Ray schreckte auf. Die wie ein Vulkan vor dem unmittelbaren Ausbruch bebende Hand, die er vor sich ausgesteckt hielt, sackte ihm kraftlos und leer hinab. Seine letzte ihm noch verbliebene Kraft musste er aufwenden, um seine Aufmerksamkeit von Soras Hinterkopf zu lösen und dem großen Monitor zu schenken, auf dem just in diesem Augenblick wieder die Schulleiterin ihm entgegenlächelte. Er und seine Vorgängerin stoppten ihren Marsch gen Arena augenblicklich.
    „Ihr, die ihr euch bereits als die besten eures Fachs präsentiert habt, sollt nun mit einer weiteren Tradition unseres alljährigen Turniers vertraut gemacht werden.“ Professor Livas Lächeln wanderte noch mehr in die Breite. „Ab der zweiten Runde“, verkündigte sie, „wird euer Geschick und euer Reaktionsvermögen noch weiter auf die Probe gestellt.“ Das Abbild der Schulleiterin verschwand auf dem Monitor. Stattdessen nahmen nun an deren Stelle etwa ein halbes Dutzend verschiedenfarbene Bildchen ein. „Der Wink des Schicksals wird für die nächsten Kämpfe entscheiden, auf welchem Terrain ihr euch mit eurem Gegner messen werdet. Auf euch warten die unterschiedlichsten Bedingungen, die euren Kampf möglicherweise entscheidend beeinflussen werden. Genug aber der Worte – ihr werdet es sicherlich schnell herausfinden. Nun lasst das Los entscheiden!“



    * * *



    „Unterschiedliche Terrains? Was soll das bringen?“, runzelte Eagle die Stirn. Auf dem großen Monitor blinkten mittlerweile die einzelnen Symbole – sie reichten von dem dunkelsten Blau bis zu dem grellsten Rot – wie ein wildes Roulette.
    „Du würdest dich wundern“, sagte Andy. „Wie würdest du dich beispielsweise als Nichtschwimmer fühlen, wenn du plötzlich von Wassermassen umgeben wärst? Eine feuchtfröhliche Angelegenheit, will ich meinen“
    „Das geht dich nichts an!“, schnaubte Eagle aufgebracht. „Komm auf den Punkt!“
    „Soll heißen“, fuhr Andy in aller Sachlichkeit fort, „dass gewisse Terrains entscheidende Einflüsse auf deinen Pokémon-Typ haben können. Wie soll ich es dir verständlich machen ...? Staralili fliegt ja auch lieber mit dem Wind und nicht dagegen an, oder?“
    „Die ändern einfach die Arena ab?“ fragte Sonja. Wie soll das gehen?“
    Die Frage war Sonja kaum aus ihrem Mund entfleucht, als das wildblinkende Karussell auf dem Monitor zum Erliegen kam. Ein flaschengrünes, kreisrundes Symbol beanspruchte nun den kompletten Bildschirm. Der Kern der Kugel füllte ein Zeichen, das unverkennbare Ähnlichkeit mit einem Buchenblatt hatte.
    Die ganze Arena begann noch im selben Augenblick zu beben. Der von den gestrigen Kämpfen schwer vernarbte grüne Boden sank unter lautem Gebrumme langsam herab, als ob ihn jemand verschlucken würde, bis nur noch ein großes, schwarzes Loch dessen Platz einnahm. Nicht aber lange musste das Kampffeld so entblößt zurückbleiben: Neues Leben regte sich bereits nach wenigen Sekunden in der Schwärze. Schwere Maschinen ächzten, während sie das neue Kampffeld in die Höhe hievten. Ein metallisches Geräusch kündigte das Ende des Kraftakts an. Die Stelle, wo bis vor wenigen Augenblicken noch die immergrüne, spiegelglatte Kampffläche den Kontrahenten zur Verfügung gestanden hatte, wurde nun von einer kleinen Graslandschaft eingenommen. Sie war leicht unförmig und vier Felsbrocken mit bis zu einem halben Meter Höhe wachten über das idyllische Landschaftsbild.
    Sonja blähte anerkennend die Backen auf, Eagle dagegen rollte nur die Augen.
    „Viel Wind um nichts“, sagte Eagle gelangweilt.
    „Tatsächlich ist das Grasfeld sehr neutral gehalten, was aber nicht heißt, dass es keinen Einfluss auf den Kampf nehmen kann“, betonte Sarah.
    Beide Kontrahenten hatten mittlerweile die neugeborene Landschaft mit ihren Füßen entjungfert und sich in alter Pokémon-Kampf-Manier gegenüber aufgebaut. Noch bevor Professor Liva den Kampf offiziell eröffnet hatte, rief Sora ihr Partner-Pokémon, Schwalbini, auf den Plan. Ray hingegen zögerte noch und erst, als die Schulleiterin den Ring offiziell frei gegeben hatte, präsentierte er Zuschauern und Gegnerin einen recht dürftigen Pokéballwurf.
    Zögerlich tauschten Eagle und Sonja Blicke. Beiden schwante nichts Gutes bei der Sache.



    * * *



    Ray versuchte, Sheinux’ freudiges Lächeln zu erwidern – vergeblich. Die Augen seines Partners sprühten voller Glanz und Tatendrang, wie sie es seit jeher getan hatten. Für Sheinux war dieser Kampf wohl im Vergleich zu den unzähligen anderen, die er an der Seite seines Trainers erfolgreich bestritten hatte, nichts anderes; Schwalbini als seine farbenprächtig gefiederte Gegnerin vergleichbar mit seinem allerersten Kampf gegen Staralili. Ganz anders aber in Rays Augen: Sora war einzigartig, eine Begegnung mit ihr konnte mit keinem Erlebnis in seinem Erinnerungsvermögen konkurrieren und war mit nichts auf der Welt vergleichbar. Jedes Szenario, das sich Ray in seinem Kopf zusammensponn, drohte seine bröckelige Welt wie einen maroden Turm zusammenstürzen zu lassen. Besiegte er sie, sprach sie aus Frustration womöglich kein einziges Wörtchen mehr mit ihm. Verlor er, könnte sie ihn womöglich für schwach und ihrer nicht würdig erachten. Was also: Ein gleichgestellter Gegner oder ein kränklicher Schwächling? Ray riskierte einen kurzen Blick in die Richtung seiner Angebeteten, konnte aber ihrem Antlitz kaum standhalten und musste sich unter rapide erhöhenden Herzschlag schnell wieder abwenden. Auf seiner Kopfhaut und seinen Armen und Beinen schien sich mittlerweile eine ganze Siedlung steppschuhtanzender Flöhe niedergelassen zu haben, doch vermochte das verlockende Kratzen den Juckreiz auf seiner geröteten Haut nicht zu lindern.
    „Fangen wir an!“
    Sora schien ihre Geduld verloren zu haben. Ihre Stimme kam Ray einer Ohrfeige gleich, denn ihre nicht vorhandene Zurückhaltung bewies einmal mehr, dass sie die Gefühle ihres Gegenübers wohl nicht teilte. Schwalbinis traubenblaue Flügel hatten ihre Besitzerin in luftige Höhen geleitet. Ihr Körperbau war deutlich hagerer, weswegen schon das leichteste Windchen, das ihre Schwingen erfasste, ihr binnen weniger Sekunden den nötigen Auftrieb gab. Sheinux’ Blick galt seiner rasch kleiner werdenden Gegnerin, die langsam in für seine Zähne und Klauen unerreichbare Höhen entschwebte und dennoch blieb sein kleiner Kopf unerbittlich an ihr haften. Ray war in sämtlichen seiner Rollen machtlos, war er nun angehender Pokémon-Trainer oder wenn es darum ging, Sora irgendwie den Hof zu machen.
    „Leg los!“, brüllte Sora über das Kampffeld hinweg.
    Anders als Sheinux, der vergeblich auf Anweisungen seitens seines Trainers wartete, wandelte Schwalbini den Wunsch ihrer menschlichen Partnerin sofort in Taten um und ging augenblicklich in den Sturzflug über. Die zarten Flügel bis zum absoluten Anschlag gespreizt und die Krallen wie tödliche Klingen vor sich ausgestreckt, näherte sie sich mit rasender Geschwindigkeit ihrem auf den Boden zur Untätigkeit verdammten Gegner. Sheinux warf einen flüchtigen und gar flehentlichen Blick über die Schulter. Warum auch immer – sein zweibeiniger Freund reagierte nicht und starrte ausdruckslos in die Leere. Sheinux’ gefiederte Gegnerin hatte bereits über die Hälfte ihres Sturzfluges gemeistert und näherte sich nach wie vor unerbittlich. Schnabel und Krallen blitzten auf. Bereit, den Lebenswillen ihres wehrlosen Opfers auszuhauchen. Sheinux mobilisierte seine Kräfte. Die kräftigen Beine stießen sich vom Boden ab und er schwebte förmlich über seine nur noch einen schwachen Meter über den Boden befindende Gegnerin hinweg. Schwalbini brüllte schrill auf, doch konnte dies nicht verhindern, dass ihr Angriffsmanöver gescheitert war. Ihre Flügel schlugen kräftig, das künstlich angelegte Gras, das sich nur weniger Zentimeter unter ihren Fängen befand, zitterte und beugte sich unter den erbarmungslosen Windstößen, mit denen sie ihren freien Fall erfolgreich bremste. Sheinux’ Pfoten berührten indessen gut zwei Meter seiner früheren Position wieder den Boden. Sein kleiner Kopf schwenkte herum, suchte vergeblich nach Rays Anweisungen – nichts geschah. Sheinux wendete den Blick ab und sich somit wieder Schwalbini zu. Sie war noch immer in unmittelbarer Nähe zum Boden und gewann langsam aber sicher wieder Auftrieb. Strom und kein Blut schien in den Beinen des Elektro-Pokémons zu fließen, als Sheinux’ Pfoten über den Boden trommelten. Erneut hob sein Körper nach einem kräftigen Stoß vom Boden ab. Noch im Flug fuhr er die blitzenden Krallen aus, richtete sie direkt auf Schwalbinis rechten Flügel ...
    „Und hoch!“
    Mit einem besonders kraftvollen Flügelschlag schlug Schwalbini im wahrsten Sinne des Wortes zwei Fliegen mit einer Klappe: Zwar eher unbeabsichtigt, entschwebte sie nicht nur wieder in luftige Höhen davon, sondern pfefferte gleichzeitig auch ihren sich im Sprung nähernden Gegner ihren geladenen Flügel gegen das Gesicht und schmetterte diesen somit zu Boden.
    War dieses riskante Manöver auch nur ein Glücksfall, tobte und jauchzte die Menge. Mehr aber, als Sheinux etwas aus der Fassung zu bringen, hatte die Klatsche mit dem Flügel und der Sturz aus einem Meter Höhe auf den Rücken ihn offenbar nicht, denn schon war er wieder auf den Beinen. Hinter seinem Rücken ertönte ein würgender Ruf. Sheinux warf einen Blick über die Schulter, doch vermochte er absolut nichts mit dem hängenden Kiefer und dem Sabbern seines Trainers anzufangen.
    Schwalbini hatte sich indessen in einen weiteren und offenbar nicht weniger gefährlichen Sturzflug begeben. Wieder fixierte Sheinux’ die bunte Rakete, die ihn in Stücke zu zerreisen drohte, und wieder stieß er sich vom Boden ab. Sein Fell streifte die von Schwalbini kühle, aufgepeitschte Luft, während das Vögelchen unter seinen Pfoten hinwegtauchte. Doch kam es diesmal anders, als erwartet: Schwalbini hatte offenbar mit diesem Ausweichmanöver gerechnet. Mit gespreizten Schwingen legte sie ihr Gewicht in die andere Richtung und konnte, ohne auch nur ansatzweise Geschwindigkeit oder Wucht einzubüßen, ihren Flug fortsetzen. Noch während Sheinux sich wieder dem Boden näherte, sauste Schwalbini mit einer messerscharfen Rechtskurve durch die halbe Arena, bis sie einen Halbkreis absolviert hatte und sich nun wieder auf direktem Kollisionskurs zu ihrem Gegner befand. Sheinux war nur noch wenige Zentimeter vom rettenden Boden entfernt und doch schwebte er noch hilflos in der Luft. Seine Augen weiteten sich, die Muskeln verkrampften, seine Gegnerin kam näher ...
    Wamm!
    Die Menge stöhnte auf. Sheinux hatte sich noch immer in der Luft befunden, als Schwalbini ihren Schnabel speergleich ihrem Gegner in die Hüfte gerammt hatte. Durch die Wucht des Aufpralls getroffen, schmetterte Sheinux mit der linken Schulter voran auf dem Boden auf, überschlug sich einige Male, bis er schließlich bäuchlings liegen blieb.




    * * *



    „Was macht dieser Idiot da?“, tobte Eagle. Er war auf den Beinen. Seine Hände umklammerten wütend die Rückenlehne seines Vordermanns. „Warum greift er nicht an?“ Hinter seinem Rücken gab es erbitterte Proteste, da er die Sicht seiner Hintermänner versperrte, doch es war ihm gleich.
    „Das würde ich aber auch gerne mal wissen“, stimmte Andy seinem aufgebrausten Hauskameraden zu. „Das sieht gar nicht nach Ray aus. Was ist da los?“
    Eagle lenkte seinen Blick von dem Elektro-Pokémon ab, das sich ächzend und stöhnend aufrichtete und nur langsam wieder Halt unter dessen zittrigen Beinen fand, und sah nun direkt zu Ray. Er hatte sich, seit er Sheinux in den Kampf geschickt hatte, keinen Millimeter bewegt oder ihm auch nur einen einzigen Befehl gegeben.
    „Nur ausweichen ist tatsächlich sehr ungewöhnlich für Ray ...“, murmelte Sarah. „Hast du ihm etwa Tipps gegeben?“ Sie schaute nun direkt Sonja an.
    „I-ich - ihm Tipps?“ Sonja wusste am Anfang nicht, ob sie sich nun geschmeichelt oder eher angegriffen fühlen sollte. „Hab’ ich natürlich nicht“, sagte sie schließlich unter leicht geröteten Wangen.
    „Was ist dann in ihn gefahren, dass er plötzlich so eine Show abzieht?“, hakte Andy nach.
    Sonja starrte leicht beschämt auf ihre Schuhe. „Er ist ... wie soll ich sagen ...? Er und Sora, sie sind ...“
    „Moment, Auszeit!“, schloss sich Marco Martini in die Unterhaltung ein. „Sag jetzt nicht, der hat sich in diese Entei da unten verschossen?“
    Sonja schluckte kurz und zwang sich dann zu einem gequälten Lächeln. „Dann sag ich jetzt besser nichts mehr.“
    „Nicht dein Ernst?!“, rief Andy teils bestürzt, halb belustigt. Er und seine Freundin tauschten Blicke.
    Eagle dagegen schnaubte nur verächtlich. „Ein Witz ist das ...“
    „Habt ihr beide euch nicht auch erst durch das Turnier richtig kennen gelernt?“, fragte Marco in Andys Richtung.
    „Es hat gewissermaßen gefunkt, ja“, grinste Andy.
    „Sie hat dich im Viertelfinale rausgeworfen, oder wie war das? Du hast am Ende auch nur hirnlos vor dich hingesabbert. Liebe auf den ersten Blick, nicht?“, klagte Marco mit hämischen Lächeln seinen Klassenkameraden an.
    „Bist du mit deinem hirnlosen Mist bald fertig, Panini, oder muss ich hier nachhelfen?“, bellte Eagle.
    „Was ist dein verdammtes Problem, Granger? Und der Name ist Martini, merk’s dir!“
    „Dein Name interessiert mich einen feuchten Dreck!“
    Das Raunen, welches sich just im selben Augenblick als sich Marco erhoben hatte durch das Publikum fraß, veranlasste selbst die beiden Fehdenführer, sich wieder den Geschehnissen in der Arena zu widmen. Eagle zog sich laut aufstöhnend mit seinen Händen die Augen in die Tiefe. Das war zu peinlich: Schwalbini hatte sich auf dem Rücken ihres Gegner festgekrallt und hackte mit ihrem Schnabel wie ein zum Leben erwachter Presslufthammer immer wieder auf den Kopf ihres Gegners ein. Sheinux schlug wiederholt mit seinen kräftigen Hinterläufen aus und rannte oder sprang völlig aufgelöst durch die ganze Arena, während seine ihn reitende Gegnerin unaufhörlich auf ihn einhämmerte. Schwalbini hatte sich scheinbar fest in dem Fell ihres Gegners verhakt, denn ließ sie kein Bisschen von ihrem Opfer ab. Die wimmernden Wehlaute des Elektro-Pokémons, wie es immer wieder durch ruckartige Bewegungen oder mit den Haxen ausschlagend seine sattellose Reiterin abzuschütteln versuchte, drangen selbst in die Ohren der Zuschauer hinauf – und sein Trainer blieb weiterhin völlig regungslos.
    Eagle ließ sich kraftlos und leer auf seinen Sitz zurückfallen. „Weckt mich bitte auf, wenn es zu Ende ist. So eine Blamage ...“


    Allzu viel Zeit musste glücklicherweise nicht ins Land ziehen, um Eagles Wunsch zu erfüllen. Am Endergebnis änderte sich jedoch auch nichts.
    „Der erste Kampf des Viertelfinales ist entschieden! Siegerin durch überlegenes KO: Sora Townsend und Schwalbini!“
    „Als ob ich es geahnt hätte ...“, stöhnte Eagle und öffnete seit einer geschlagenen Minute wieder die Augen. Keiner in seiner Nähe ging auf seinen Kommentar ein oder reihte sich in den für Sora gewidmeten Applaus ein.
    „Ich fass es nicht – er hat verloren ...“, wiederholte Sonja ungläubig ihre Worte bereits zum dritten Mal in Folge.
    Andy verzog krampfhaft das Gesicht und zwinkerte etwas wehmütig seiner Freundin zu. „Wie bei uns damals.“ Er schaute in die Arena hinab, wo Ray nach wie vor in die Leere gaffte und sich nicht vom Fleck rührte. „Tja, Ray: Game over ...“



  • Part 11: Treffen der Elemente



    Mit einem Mal riss Ray die Augen auf. Heißer Schweiß stand ihm auf der Stirn, Herz und Puls waren noch immer rapide erhöht. Instinktiv schnappte er gierig nach Luft.
    Einige Sekunden mussten dahin ziehen, bis er überhaupt realisierte, wo er sich befand. Kopf, Körper, Arme und Beine waren auf einem weichen Kopfkissen und einer Matratze gebettet. Jemand hatte ihm die Schuhe ausgezogen. Er blickte direkt auf eine schneeweiße Zimmerdecke. Ein vertrauter pharmazeutischer Geruch stieg ihm in die Nase. Er war in der Krankenstation. Ein bitterliches Stöhnen entwich seiner Kehle – sie war völlig ausgetrocknet, jedes Schlucken schmerzte.
    „Er ist wach!“
    Ray zuckte erschrocken zusammen, wandte sich aber daraufhin sofort der vertrauten Stimme zu seiner Rechten zu. „S-Sonja?“
    Er unternahm verzweifelte Aufstehversuche, doch Sonja presste ihm bestimmend ihre Hand auf seine Brust und zwang ihn mit Leichtigkeit nieder. Sie schüttelte den Kopf. „Bleib liegen!“
    Ray wollte den Mund aufmachen und widersprechen, seine keuchenden und völlig unverständlichen Worte gingen jedoch in dem Geräusch von Gummisohlen, die sich rasch nähernden, unter. Professor Joy tauchte über seinem Bett auf. Ihre Miene war unergründlich. Abermals öffnete Ray den Mund, was seine Professorin allerdings nur ausnutzte, um ihm ein Thermometer grob in den Mund zu schieben; gleichzeitig fühlte sie ihm den Puls.
    „38,3 Grad – immer noch erhöhte Temperatur“, stellte sie fest. „Puls nimmt aber langsam ab.“
    Ray röchelte. Sein Versuch, lediglich den Kopf etwas anzuheben, scheiterte bereits an seiner nicht vorhandenen Kraft. Völlig ausgepumpt ließ er sich einfach wieder auf das Kopfkissen fallen. „Wie fühlen Sie sich, Ray?“
    „Als ob ...“, würgte Ray hervor, „als ob mir jemand die Zunge rausgerissen, man sie fünf Tage lang in feuriges Chili eingelegt und sie mir danach wieder eingesetzt hätte – folglich ging es mir noch nie besser.“
    Ein wenig ratlos suchte Professor Joy Sonjas Blick, die grinste erleichtert. „Er ist wieder da.“
    „Nun ja“, sagte Professor Joy und auch sie legte wieder ihr bekanntes sanftes Lächeln auf, „Sie scheinen tatsächlich wieder auf dem Weg der Besserung zu sein. Sie bleiben aber liegen und nehmen reichlich Flüssigkeit zu sich!“, gebot sie mit ihrem letzten Satz, als Ray bereits wieder flüchtige Aufstehversuche unternommen hatte.
    Ray stöhnte, beherzigte aber letztendlich dann doch die Anweisung der praktizierenden Ärztin.
    „Sie brauchen mich dann nicht mehr, Professor?“
    Diese Stimme kannte Ray nur flüchtig, doch durchschaute er dessen Urheber schnell. Mr. Figo, der Hausmeister, hielt sich etwas abseits des Bettes auf, auf dem Ray lag. Waren für die Schüler zwar unlängst die Ferien angebrochen, so war für ihn ein Arbeitstag wie jeder anderer, weswegen er auch heute seinen bekannten grauen Arbeitsoverall trug.
    „Samuel – Sie, ich meine ...“, stammelte Professor Joy zusammen, während man richtig sehen konnte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg – warum auch immer. „Also, ähm ... Nein, Sie – Sie könnten mir da noch bei einem kleinen Problem helfen ... Ich habe eine Schraube locker – äh, ich meine, an meinem Arbeitsstuhl natürlich. Wenn Sie so freundlich wären ...?“
    Mr. Figo lächelte und rückte sich seine flache Arbeitskappe zurecht. „Natürlich, Professor.“
    Professor Joys perlweiße Zähne blitzten zufrieden auf. „Kommen Sie, bitte kommen Sie doch“, führte Professor Joy schließlich Mr. Figo in ihr Büro.


    „Junge, Junge – die hat es aber auch erwischt ...“, gluckste Sonja. Mittlerweile hatte sie sich einen Stuhl geschnappt und sich neben Ray niedergelassen.
    „Wie meinst du das?“, fragte Ray.
    „Die ist auch nicht besser dran als du und Sora“, antwortete Sonja. „Auch über beide Ohren verschossen und einer steht völlig auf dem Schlauch.“
    „Ver-verschossen ... S-Sora ...?“ Rays Augen kullerten in ihren Höhlen herum. Seine Zunge wollte ihm plötzlich nicht mehr gehorchen und hing ihm schlaff aus dem Mund. Er keuchte einmal laut auf und ließ dann seinen Blick einfach nur an der weißen Zimmerdecke kleben.
    „Wath ith’n überhaupt paththiert?“, biss sich Ray auf die Zunge.
    Sonja runzelte anfangs noch fragend die Stirn, sagte dann aber nach kurzer Überlegung: „Du bist umgekippt. Hast gerade so den Kampf durchgehalten, erinnerst du dich? Der gute Samuel hat dich hergebracht.“
    „Kampf? Irgendwie ...“, murmelte Ray und geriet ins Stocken. „Mir muss da etwas abhanden gekommen sein ...“
    „Wie viel?“, fragte Sonja vorsichtig.
    Ray drehte seiner Freundin den Kopf zu. Er lächelte gequält. „Ähm, der ganze Kampf ...“
    Sonja zog beide Wimpern in die Höhe. „Hilfe, die hat dich ja echt erwischt.“
    „Sora, sie ist so, so ... M-moment!“ Ray wurde plötzlich kreidebleich. „Der Kampf, wie ...“
    Sonjas Kopfschütteln aber verriet ihm fast mehr, als der Worte notwendig waren. Nur eines kam ihm noch in den Sinn, was ihm sofort die Brust zuschnürte. „Sh-Sheinux?“, rief er bestürzt.
    „Etwas mitgenommen, aber sonst ... Oh! Auch schon wieder auf den Beinen!“
    Vier Pfoten hatten plötzlich Rays Bett erklommen. Wie ein Magnet hatte es Sheinux, nachdem der Ruf seines Freundes seine sensiblen Ohren erreicht hatten, zu Ray geführt. Ray betrachtete seinen Freund. Er war stark verstrubbelt und an manchen Stellen sah es beinahe so aus, als ob man mit einem stumpfen Messer versucht hätte, ihm büschelweise die Haare auszustechen, doch schien er in Ordnung.
    „Sh-Ei?“, fragte er. Besorgnis ummantelte seine Stimme, während er seinem Freund mit hängenden Ohren und Schwanz in die Augen blickte. Doch ging etwas Warmes von ihm aus; etwas, was scheinbar direkt in Ray überging und ihm die notwendige Kraft für die nächsten Worte gab.
    „Oh, hi ...“, sagte Ray. Er hob den Arm etwas, für die gewohnten Streicheleinheiten hinter den Ohren reichte es allerdings nicht. Stattdessen schaffte er es gerade so, Sheinux unterm Kinn zu graulen. „Sorry, ich hab es wohl vermasselt. Ich ...“
    Sheinux aber leckte nur einmal kurz mit seiner Zunge über Rays Zeige- und Ringfinger und ließ sich daraufhin schnurrend auf Rays Kopfkissen nieder. Sie beide sahen sich an – und beide mussten sogleich lächeln.
    „Ein Freund, ein guter Freund ...“, sagte Ray überglücklich. Einmal wieder hatte es Sheinux auf eine ganz einfach gestrickte Art geschafft, die Dinge für seinen besten Freund wieder gerade zu rücken, und ein Gefühl der Geborgenheit in Ray auszulösen, das mit nichts auf der Welt vergleichbar war. Er fühlte sich schlagartig für jede Schandtat bestärkt, für die größten Sprünge beflügelt, einfach wie neu geboren.
    Sonja ließ das liebenswerte Schauspiel noch eine Zeit auf sich wirken. Mensch und Pokémon vereint – eines Portraits mehr als würdig, auch wenn die Umstände doch etwas widrig waren.
    „Apropos Freund“, musste sie sich förmlich dazu zwingen, diesem friedvollen Stillleben ihren überflüssigen Keimling einzupflanzen. „Falls es dich interessiert: Eagle ist wohl gerade dabei, von der Hausehre zu retten, was zu retten ist.“
    „Na, auf was warten wir dann noch?“
    „Oh, Ray, du sollst doch ... Du warst doch eben noch ...“, seufzte Sonja, doch hatte sich Ray zwischenzeitlich wieder auf die Beine gekämpft und sein Wasserglas in nur einem Zug geleert. „Hoffnungslos, ich sehe es ja schon ...“



    * * *



    Für einen völlig Weltfremden war es äußerst schwer zu urteilen, wer von den beiden Jugendlichen, die dort auf der absonderlichen Kampffläche voreinander aufgebaut waren und sich die gepfeffertesten Beleidigungen um die Ohren warfen, mehr von seinem Gegenüber angewidert war. Noch mehr Aversion aber - auch wenn es keiner der beiden Schüler öffentlich breittreten oder gar dem anderen preisgeben würde - wurde von ihnen direkt auf die Umgebung reflektiert, in der sie ihren Zwist austragen sollten. Für den zweiten Kampf des Viertelfinales hatte der Wink des Schicksals eine besonders interessante Fügung ins Leben gerufen: Statt einem soliden Untergrund, bestand die Arena nun nur noch aus fünf kleinen, künstlich angelegten, kreisrunden Betoninseln, die an der Oberfläche einer Art von Swimmingpool schwammen. Beide Trainer hatten sich am äußeren Rand aufgebaut, ihre jeweiligen Pokémongefährten, zu Ricos Seite die Feuerechse Glumanda und Eagles Wingman die zänkische Staralili, standen beziehungsweise schwebten über der ersten kleinen Insel, nur einen Katzensprung von dem rettenden Ufer und ihren Trainern entfernt. Glumandas missgestimmtes Lefzenfletschen spiegelte deutlich seinen Standpunkt bezüglich seinem Gegner, aber auch gegen das kühle Nass wider, das ihn umgab und nach seiner züngelnden Schwanzspitze dürstete. Das Wasser unter Staralilis Flügel zitterte im Gleichtakt ihres Flügelschlagens. Ungeachtete ihrer etwas gewöhnungsbedürftigen Jagdgründe, war ihr markanter spitzer Schrei jedoch so furchteinflößend wie seit jeher, der Kampfeswille in ihrer gefiederten Brust ungebrochen. Staralilis Hintermann dagegen hatte das zirka drei Meter tiefe Becken anfangs doch sehr misstrauisch beäugt und sogar heftig dagegen protestiert, seinen Kampf auf diesem „Stück Dreck“, wie er es genannt hatte, auszufechten. Irgendwann aber war ihm schließlich dann doch die Lust vergangen und so hatte er sich dann doch seinem Schicksal ergeben und widmete nun wieder seine ganze Aufmerksamkeit seinem gleichaltrigen Rivalen.
    „Ganz ehrlich, Granger: Dein Gesicht auf einer Briefmarke, und die Post geht Pleite“, stachelte Rico seinen Gegner nun bereits zum fünften Mal hintereinander an, was sein vermeintliches Opfer aber wie die anderen Male zuvor nicht ungeschoren auf sich sitzen lassen ließ.
    „Uhh, wie schlagfertig. Du ungefähr so hart wie ein tagealtes Stück Butter in der prallen Sonne, Tarik“, höhnte Eagle.
    „Haben deine Eltern dich eigentlich nie gebeten, einfach von zu Hause wegzulaufen?“
    „Woran stirbt der intelligente Gedanken in deinem Gehirn? An Einsamkeit!“
    „Mach ihn alle und sein Federvieh alle! Glut!“
    „Feg diesen Luftverpester vom Feld! Windstoß!“
    Mit den ersten Angriffsbefehlen war das Eis endlich gebrochen und die Zeit für weitere Komplimente endgültig vorüber. Wo vor Sekunden noch Worte die Luft regierten, nahmen nun Glumandas Feuerbälle und Staralilis aufgepeitschte Winde deren Plätze ein. Die aus der Kehle des Feuer-Pokémons entrungenen Geschosse prallten gegen den durch unaufhörliches Flügelschlagen zum Leben erwachten Sturm und wurden wie Tennisbälle wieder zurückgeschleudert. Einem Meteoritenregen gleich klatschten Glumandas glühende Felsbrocken auf die kleinen Inseln; größtenteils aber direkt ins kühle Nass. Das klare Wasser zischte und knackte sofort beim Kontakt mit den feurigen Kugeln wütend auf, weißer Dunst legte sich sekundenschnell über Ricos Kampffeldseite. Ein letzter abgewehrter Glutbrocken klatschte unmittelbar zu seinem Besitzer auf die Wasseroberfläche auf. Eine kleine Flutwelle, kaum höher als dass sie zum Wadenbein reichte, schwappte über Glumands Untergrund hinweg. Der einzige Bewohner der kleinen Insel reagierte völlig aufgelöst über den unerwarteten Einbruch des nassen Elements, das seine Füße streifte, und suchte mit angsterfüllten Quieken und einem weiten Sprung auf der nächsten Insel Obdach.
    Eagle konnte sich ein hämisches Lachen nicht verkneifen, womit sich auch Staralilis Sturm wieder beruhigte. „Na, wie find ich denn mal das? Ist dein weinerliches Baby etwa wasserscheu? Wascht sich anscheinend genau so selten wie sein Trainer.“
    Glumanda bleckte die Zähne und funkelte mit wütendem Aufschrei böse in Eagles Richtung. Der Zorn über die Beleidigung seines Gegners schien die Fackel auf seiner Schwanzspitze mit Kraft zu speisen, denn leuchtete sie plötzlich mit doppelter Intensität und flammte immer bedrohlicher auf.
    „Schnauze, Granger!“, brüllte Rico über das Kampffeld hinweg. Sein Kopf hatte bereits unverkennbare Ähnlichkeit mit Glumandas Schuppenfarbe angenommen. Auch er fletschte die Zähne, wenn auch vielleicht nicht ganz so bedrohlich, wie es sein Partner vermochte.
    „Lichter, die doppelt so hell leuchten, brennen nur halb so lange! Zeig es ihm, Staralili!“
    Durch Staralilis Flügelschlagen erwachte das feuchte Element unter ihren Krallen zu neuem Leben. Das ruhige Gewässer verformte sich durch die plötzlich wieder aufkommenden Winde zunehmend. Nur wenige Sekunden verstrichen, bis bereits die ersten Wellen wütend auf die kleinen Betoninseln einbrachen und überschwemmten. Hals über Kopf tänzelte Glumanda von einer Insel zur nächsten und winselte jedes Mal laut auf, wenn seine Füße auch nur ansatzweise mit Feuchtigkeit benetzt wurden. Eine besonders große Woge brach über die Plattform herein, auf der er just geflohen war und nach Luft rang. Das aufgewühlte Wasser reichte ihm bis an die Knie. Er keuchte laut auf, seinen ganzen Körper schüttelte es. Nach kurzer Dauer tänzelte er fast nur noch auf einer Stelle hin und her, umklammerte seinen Schwanz und hielt dessen Spitze in die Höhe und somit ansatzweise auf Distanz vor der gefährlichen Flut. Die Flamme an seiner Schwanzspitze war zwischenzeitlich stark geschrumpft und erinnerte nur noch an eine schwächliche Kerze. Begleitet wurden die Fluchtversuche stets von Eagles Gelächter sowie Staralilis unaufhörliches Fächern ihrer Flügel wie auch von Ricos Flüchen gegen seinen Gegner. Rico rief seinen Partner beim Namen und befahl ihm, eine neue Salve Feuergeschosse gegen seine sich in der Luft befindende Gegnerin zu schleudern, doch auch diese prallten wie Erbsen an den Böen ab und landeten mit lautem Platschen im Wasser und belegten sein Kampffeld erneut mit einem zarten Dunstschleier. Auch der züngelnde Flammenstrahl, den Glumanda unter einem hellen Aufschrei direkt aus seiner Kehle spie, zeigte gegen die kühlen Winde keinen Erfolg, teilte sich schließlich und verpuffte noch in der Luft.




    * * *




    „Wow! Die haben die Arena geflutet?“
    Ray (mit Sheinux auf dem Arm) und Sonja erreichten ihre erst kürzlich verlassenen Plätze in der zweiten Reihe und nahmen selbige wieder ein. Ihre Hauskameraden begrüßten sie freundlich.
    „Oh, Ray! Tickt das Oberstübchen wieder normal?“ Andy grinste besonders breit. „Hat dich wohl schwer erwischt?“
    Ray kratzte sich teils leicht beschämt, teils sogar über sich selbst amüsiert am Nacken. „Was soll ich sagen? Bleibender Eindruck, würde ich sagen.“
    „Den hast du auf jeden Fall hinterlassen“, lachte Andy. „Du warst ...“
    „Woah! Was geht denn da unten ab?“



    * * *



    Unaufhörlich zische und knackte es. Weißer Dampf stieg auf und sekundenschnell hüllte ein dicker Nebelschleier das ganze Kampffeld ein. Die Feuchtigkeit kratzte unangenehm in Eagles Lunge, während er sein Gesicht schützend mit den Händen abschirmte. Glumandas letzte Attacke hatte sein eigentliches Ziel, jedoch auf direkter Anordnung seines Trainers, weit verfehlt. Statt sich einmal mehr Staralili in der Luft zu widmen, war sein Flammenstrahl direkt auf das Wasser gerichtet worden, was durch die enorme Hitze sofort verdampfte. Das transformierte Wasser hatte alles und jeden unter seinem verworrenen Schleier eingebettet. Ein jedes noch so kleine Geräusch schien verschluckt zu werden. Eagle hustete. Der plötzliche Hitzeausbruch war unerträglich. Noch unerträglicher war aber die Ungewissheit. Von jeglicher Sicht beraubt, suchte Eagle die Umgebung ab. Seine Sicht reichte aber noch nicht einmal einen schwachen Meter weit. Nur noch Staralilis leises Flügelschlagen, um sich lediglich in der Luft zu halten, drang noch leise an das Ohr ihres Freundes.
    „Was soll das? Verstecken oder was?“, rief Eagle aufgebracht. Sein Gegner konnte aber ebenso gut verschluckt worden sein. Er konnte ihn nicht sehen – und auch Glumanda nicht, was ihn zum ersten Mal deutlich besorgt stimmte. Doch niemand konnte es glücklicherweise sehen.
    „Was du kannst, das kann ich schon lange“, durchdrang Ricos gehässiges Lachen den Dunstschleier.
    Eagles Ohren waren geschärfter denn je, denn seiner Sehkraft plötzlich schändlicherweise beraubt, musste er sich nun notgedrungen auf seine ihm noch verbliebenen Sinne verlassen; ein schwacher Trost, wie er schnell feststellen musste. Der Nebel wollte und wollte sich nicht lichten. Doch endlich wollte es ihm in den Sinn kommen.
    „Feg die Suppe weg, Staralili!“
    Der unsichtbare Schrei von Staralili hallte über das Kampffeld hinweg und auch wenn Eagle der Blick auf seine gefiederte Partnerin noch verwährt war, so ließ das markante Aufklingen von Staralilis schrillen Stimme ihren Trainer endlich wieder erleichtert aufatmen.
    So wie er es geplant hatte, so wurde es auch in die Tat umgesetzt: Aufkommende Winde lockerten den Dunstschleier und die Farben hielten schnell ihren feierlichen Einzug in die grauweiße Umgebung. Eagles Kleidung klebte seinem Besitzer am Leib und er wischte sich den heißen Schweiß von der Stirn. Sein Arm aber erschlaffte noch in der Bewegung. Sein Herz fiel ihm in die Hose. Glumanda stand nur wenige Meter mit dem Rücken zu Eagle. Ricos Pokémon hatte sich hinterrücks unter seine etwa fünf Meter in der Luft schwebenden Gegnerin herangestohlen. Sein weit geöffnetes Maul zielte direkt auf Staralilis entblößten Rücken.
    „Weg!“, schrie Eagle - zu langsam aber.
    Staralilis grauweißer Kopf drehte über den Rücken und nur kurz entrann ihrer Kehle ein letzter panischer Schrei, als drei glühende Feuerbälle, nur wenig kleiner als das eigentliche Ziel, hintereinander auf ihren Rücken einhämmerten. Getroffen von der feigen Attacke geriet Staralili ins Trudeln und stürzte der größten Insel in der Mitte des Beckens entgegen.
    „Komm zurück! Komm schon!“, brüllte Eagle in heller Panik. „Hoch!“
    Mit einem weiteren, nicht ganz so kräftigen Schrei schaffte es Staralili noch im freien Fall, ihre Flügel vor dem hässlichen Kontakt mit dem Boden zu spreizen. Die Lüfte erfassten ihr ramponiertes Gefieder und mit drei besonders kräftigen Flügelschlägen hatte sie dem scheinbar unausweichlichen Schicksal doch noch einmal ein Schnippchen schlagen können: Sie war wieder da. Binnen Sekunden hob sie wieder ab und befand sich schnell wieder in luftigen Höhen. Das Publikum tobte, während Staralili ihre kreisförmigen Bahnen um das Kampffeld zog und ihren heimtückisch grinsenden Gegner weit unter ihren Krallen fixierte.
    Eagle atmete erleichtert aus, diesmal aber war er es, der schließlich die Zähne fletschte. „Was war das für eine linke Nummer?!“, brüllte er Rico mit fast schon vor Wahnsinn funkelnden Augen entgegen, der mit verschränkten Armen erstmals mit der Welt im Reinen zu sein schien. „Hast du keinen Funken Ehre?!“
    „Erzähl du mir doch nichts von Ehre!“, entgegnete Rico scharf und nicht weniger aufgebracht. Er ballte die Faust. „Meinst du, deine Nummer von vorhin war auch nur einen Funken besser? Wie du mir, so ich dir.“
    „Erspar mir dein Gesülze!“, schrie Eagle. „Lange genug gespielt, Staralili! Ramm den Zwerg ungespitzt in den Boden, hörst du?! Keine Gnade!“
    „Spiel dich nicht so ... Was zum?! Weich aus!“
    Staralili schien nur so auf den Befehl ihres Trainers gewartet zu haben. Dieser ihrer Kampfesschreie hatte etwas Vernichtendes - er dürstete nach Vergeltung. Die Spitzen ihres Gefieders blitzten auf. Im steilen Sturzflug visierte sie ihren Gegner an. Auf jedem Millimeter ihres waghalsigen Manövers ließ Staralili einen grellen Schleier ihrer Selbst zurück, der ihren Körper wie Treibstoff aus einem Düsenjäger zu verlassen schien, und sich nach wenigen Sekunden wieder auflöste. Die Luft schrie vor Schmerz. Staralili gierte nach der Schallmauer und war nur kurz davor, sie zu brechen. Vorher aber ...
    Glumanda hatte noch nicht einmal die Zeit für einen panischen Aufschrei gefunden, geschweige denn, um sich zu ducken. Staralili hatte ihren Körper mit aller Wucht ihrem schuppigen Gegner in die Brust gerammt. Das Gesicht der Feuerechse verzog sich sekundenschnell vor Schmerz und er heulte laut auf. Glumanda taumelte rücklings weg. Sein letzter Schritt führte ihn bedrohlich nächst zu einem Ausflug ins kühle Nass. Mit hektisch rudernden Armen lechzte er nach Halt. Er verlor das Gleichgewicht - und stürzte.
    Platsch!
    Glumandas vergebliche Schwimmversuche erstickten noch im Keim. Panisch schlug und strampelte er einige Sekunden lang mit seinen kurzen Armen und Beinen, bis das kalte Wasser ihm die Kraft regelrecht aus den Gliedern zog und er kurze Zeit später regungslos an der Oberfläche trieb.
    „Aus! Glumanda ist nicht mehr fähig, diesen Kampf weiterzuführen und somit ist Malc... Jungs! Bitte!“
    War Eagle zwar gerade zum Sieger dieses Pokémon-Kampfes erklärt worden und somit berechtigt, in das Halbfinale einzuziehen, musste er nun einen ganz anderen Kampf notgedrungen austragen: Mit schweren Schritten hatte Rico Tarik die fünf kleinen Inseln, auf denen noch vor wenigen Augenblicken Glumanda und Staralili so bitter um das Recht des Stärkeren gekämpft hatten, hinter sich gelassen und sich im Anschluss auf Eagle gestürzt.
    Die Fäuste flogen und Staralili weit über den Köpfen der beiden Jungen brüllte immer wieder schrill auf. Eagle schaffte es im letzten Moment, unter Ricos knallharten Rechten hindurchzutauchen, und wollte bereits zum Gegenangriff ansetzen, als er sich einen Kinnhaken fing. Eagle Kiefer erweckte seinem Besitzer den Eindruck, als ob jemand ihn gerade zertrümmert hätte. Ein Speichel-Blut-Gemisch trat ihm aus dem Mund hervor, bevor auch er, wie Glumanda vor ihm, den Halt unter seinen Beinen verlor. Panisch klammerte er sich an dem Einzigen fest, was er finden konnte – Ricos Jacke.
    Platsch!
    „Holt sie da raus!“



  • Heyho Eagle,


    so, die letzten beiden Kapitel waren ja mehr als interessant und die Überraschung, die du mir angekündigt hast, hat ihre Wirkung nicht verfehlt. Ray ist raus... tja, was soll man sagen? Dass er irgendwann verlieren könnte, hab ich selbstverständlich nicht ausgeschlossen, aber ausgerechnet gegen Sora und dann noch auf diese Weise? Auch kam sein Ausscheiden früher, als ich erwartet hätte. Gerade mal einen Kampf hatte er gewinnen können. Nicht unbedingt die beste Quote. Aber okay, dann ist´s jetzt halt so und sowohl ich als auch die Raikous müssen diese Pille schlucken. Mann, ihr Unmut (besonders der von Eagle) war ja deutlich herauszulesen. Ebenso gut kam Rays verzwickte Lage rüber. Ist ja nicht so, dass er nicht handeln wollte, wie bei einer wirklichen großen Liebe, er konnte es einfach nicht. Ich bin mir zwar ehrlich gesagt nicht ganz sicher, ob das so von dir beabsichtigt war, aber hier erkennt man den Unterschied zwischen verliebt und verschossen sein (hoffe du weißt, wie ich´s meine). Schließlich kennt er Sora´s Charakter kaum, er kennt nur ihr äußeres und das ist nun mal so unglaublich, dass er völlig den Verstand verliert. Jetzt wo ich da so drüber nachdenke, fällt mir auf, dass du dies bislang nur nebensächlich erwähnt hast und man kaum weiß, wie Sora eigentlich zu Ray steht. Wäre sicher eininteressantes Thma für die Zukunft,aber ich bin sicher, dass du da auch schon drauf gekommen bist.


    Der Kampf zwischen Eagle und Rico war genau so giftig und hässlich, wie ich es erwartet hatte. Hatte ja schon einmal erwähnt, dass ich auf bittere Rivalitäten total abfahre und hier ist richtig schön viel Hass drinne. Jedenfalls kamen Emotionen und Gefühle in diesen beiden Kapis echt stark rüber, sind in diesem Punkt vielleicht sogar deine beste Leistung. Dass Eagle die Hausehre nun noch hat retten können, hatte eine wesentlich kleiner Überraschung dargestellt, als der vorherige Kampf. Dass Rico Eagle jetzt rausschmeißen soll, konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Vor allem, da vom Haus Raikou dann nur noch Sonja übrig gewesen wäre. Ein Finale zwischen ihr und Eagle wäre nebenbei bemerkt nicht uninteressant, aber ich hoffe dennoch so ein bisschen, dass sich im Finale zwei verschiedene Häuser gegenüberstehen werden, um die Rivalität aufrecht zu erhalten, denn im Finale sollte so etwas seinen Höhepunkt haben. Aber man wird sehen.


    Spannung ist jedenfalls genug drinne und der Ausgang der folgenden Kämpfe ist völlig offen. Lediglich die gewisse Würze ist mit Rays Ausscheiden wohl dahin. Einen wie ihnen braucht eigentlich jedes Turnier, aber du hast dich eben dagegen entschieden. Dennoch freue ich mich auf die nächsten Runden.


    LG

  • Part 12: Stur wie ein Fels



    Eagle war noch nicht richtig Herr der Lage, als er, auf einer weichen Matratze gebettet, mit einem gewaltigen Ruck aus dem Koma fuhr. Kleine Punkte tanzten vor seinen Augen eine fröhliche Polka und die Musik dazu kam offenbar direkt aus seinem Kopf – und ebenso fühlte er sich auch. Ein leises Stöhnen entfuhr seiner Kehle. Das Genick war völlig verkrampft und noch immer übte restliches Wasser in seinen Ohren ein widerliches Druck- und Taubheitsgefühl aus. Er war in der Krankenstation. Viele seiner Mitschüler hatten dem Schein nach nur darauf gewartet, bis er endlich aufwachte. Sie alle, Ray, Sonja, Andy, Sarah, Nea, Serina und Miller hatten sich um sein Bett geschart und starrten ihn an – Eagle hasste es.
    „Na, weilst endlich wieder bei uns Lebenden?“
    Einmal wieder war Rays Kommentar mehr als überflüssig. Eagle wollte ihm bereits heftig widersprechen und hatte auch schon den Mund weit für eine gepfefferte Antwort geöffnet, als ein grässlicher Schmerz seinen Kiefer durchfuhr und er daraufhin heftig zusammenzuckte, was man ihm wohl auch ansah. Er stöhnte auf und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht sein Kinn.
    „Immer langsam. Du hast ordentlich was abbekommen“, meinte Miller ernst. „Das war das erste Mal, dass ich einen Unterwasserboxkampf gesehen habe.“
    Nur wenige reihten sich in Millers Lachen ein. Allen voran er selbst, Ray und Andy.
    Eagle fuhr sich krampfhaft über die Stirn. Er erinnerte sich vage daran, wie er ins Wasser gefallen war – der Rest aber, abgesehen von den lächerlichen Fluchtversuchen aus dem Becken, fehlte ihm. Da es ihm mangels kräftiger Stimme verwährt blieb, seine ihm zustehende Ruhe einzufordern, biss er stattdessen in den sauren Apfel und stellte die erstbeste Frage, die ihm in den Sinn kam.
    „Was ist passiert?“, nuschelte er.
    „Hast keine allzu gute Figur dort gemacht, als ich dich rausgefischt habe. Und Rico musste man mit drei Leuten zurückhalten. Der wollte noch auf dich einprügeln, als du schon völlig weg warst“, sagte Ray.
    „Du, mich rausgefischt?“ Eagles letztes Aufstöhnen klang in seinen eigenen Ohren wie ein erstickendes Würgen, doch war es ihm egal. Allein die Vorstellung, dass er wie eine Wasserleiche hilflos an der Wasseroberfläche getrieben war und ihn jemand – und dann noch ausgerechnet Ray - herausgeholfen hatte, widerte ihn regelrecht an.
    „Samuel, ich und Professor Armadis. Wir waren als erstes vor Ort“, sagte Ray.
    „Das hätte ich auch allein geschafft!“, fluchte er in Rays Richtung.
    Nea und Serina tauschten leicht verwirrte Blicke, sagten aber nichts.
    „Sollen wir dich wieder reinwerfen? “, lachte Ray.
    „Klappe, verd...! Autsch!“ Eagle fuhr sich zähneknirschend an den Kiefer. Sein letzter Satz war ihm vor Schmerz im Halse stecken geblieben. „Ich hatte dich nicht drum gebeten, klar?“, knurrte er schließlich.
    „Wie denn auch, mit dem Mund voller Wasser?“, lachte Ray.
    „Idiot!“, brummte Eagle und ließ sich wieder auf sein Kopfkissen zurückfallen.
    „Weißt du: Andere würden jetzt vor einem auf die Knie fallen und zumindest etwas Dankbarkeit zeigen; vielleicht sogar darauf bestehen, die Schuld mit einer gleichwertigen Tat reinzuwaschen, ihn von diesem Augenblick an auf Schritt und Tritt zu begleiten und gemeinsam die wahnwitzigsten Abenteuer bestreiten“, seufzte Ray.
    „Klingt eher nach einem schlechten Buch ...“, meinte Eagle.
    „Vielleicht heitert dich ja das etwas auf, warte ...“ Ray zückte seine Digitalkamera. Einige Male piepste das Gerät leise auf, bis Ray endlich das fand, was er gesucht hatte. Er reichte sie seinem Klassenkameraden, der sofort ein zufriedenes Grinsen auflegte. Ray war ein hervorragender Schnappschuss gelungen. Er hatte zielgenau den Moment eingefangen, in dem Staralili Glumanda mit ihrem waghalsigen Rammmanöver von der Plattform gestoßen hatte. Sogar das ängstliche Funkeln in Glumandas Augen war deutlich abgelichtet worden.
    „Sauber! Endlich mal halbwegs ordentliche Arbeit, wenn du es auch bei deinem Kampf vermasselt hast“, sagte Eagle, während er über die Kamera hinwegspähte.
    Der Drops ist gelutscht“, winkte Ray grinsend ab.
    Professor Joy näherte sich mit schnellen Schritten ihrem Patienten. Ihre Augen erfassten nur kurz Ray, der unerlaubt sein Bett verlassen hatte, widmete sich dann aber wieder ganz ihrem jüngsten Zugang. Auf ihrer Schulter thronte Staralili, die sogleich besorgt ihren gefallenen Trainer inspizierte. „Lasst ihm doch etwas Luft! Zurück sage ich!“, gebot Professor Joy Diskretion zwischen sich, ihrem Patienten und der Raikou-Meute. Sie schürzte missbilligend die Lippen und schüttelte ihren Kopf. „Malcom, Malcom ... Warum bereiten Sie mir nur immer wieder solche Sorgen?“
    „Ein richtiger Problemfall“, gluckste Ray aus der Distanz.
    Eagle wollte bereits einmal mehr aus der Haut fahren, die Ärztin aber drückte ihn wieder bestimmend auf sein Bett zurück. „Sie brauchen Ruhe! Keine weiteren Aufregungen mehr! – Oh, bevor ich es vergesse ...“ Professor Joy schaute über die Schulter. „Miss Lynn, ich erhielt eben von der Schulleiterin die Nachricht, dass sie umgehend zu ,Sie wissen schon wohin’ kommen sollen. Sie seien als Nächste dran.“
    Alle Blicke wanderten zu Sonja, die sekundenschnell käsebleich wurde und heftig schluckte.
    „Komm schon, Sonja!“, sagte Sarah und legte die Hand zuversichtlich auf Sonjas Schulter.
    „Du machst das schon“, meinte Ray.
    „Zeig diesem Versager, dass du besser als er bist“, brummte Eagle und machte mit seinem Kopf eine Geste in Rays Richtung.
    Sonjas Lächeln war mehr verkrampft als wagemutig. „I-ich versuche es.“



    * * *



    Nichts erinnerte mehr an das Schwimmvergnügen vor etwa einer Stunde, als Eagle mit Rico reinen Tisch gemacht hatte: Das ganze Kampffeld war plötzlich mit einem lederbraunen Farbton bepinselt worden. Wo vorher noch Wassermassen einen Großteil der Arena in Anspruch genommen hatten, klaffte nun ein unförmiger, steiniger Untergrund - das reinste Stolperparadies für einen jeden wagemutigen Wanderer. An allen vier Eckpunkten der Arena überblickten besonders große Felsexemplare das formlose Stein-Trümmerfeld.
    Evoli nahm zu Sonjas Seite Stellung ein. Wie schon den Kampf zuvor, beäugte sie skeptisch die sie umgebenden Menschenmassen und ließ ein besorgtes Piepsen in Sonjas Richtung verlauten, das aber völlig von dem Getöse des Publikums verschluckt wurde. Sonja biss sich auf die Lippen. Auch sie fühlte sich nicht sonderlich wohl bei dem Gedanken, sich erneut auf ihre und Evolis Kosten auf ein solches Massaker einzulassen. In einer Sache war sie sich aber sicher: Sollte dann doch der unverhoffte Fall der Fälle eintreten, auch diesen Kampf mit heiler Haut zu überstehen, so würde sie hoffentlich ein für alle Mal ihre Kritiker zum Schweigen bringen, denn ausgerechnet das größte Lästermaul galt es in diesem Kampf zu bezwingen.
    Fabien Dinas wurde ebenfalls von einer Vierbeinerin vertreten, doch hatte das Pokémon, das auf den Namen „Phanpy“ hörte, mit Evoli nichts gemein. Der ganze Körper des Minielefanten war von lichtblauer Farbe überzogen, lediglich der kleine Rüssel wie auch beide Ohren hatten an manchen Stellen einen Klecks Rot abbekommen, als ob man sie für eine Sekunde in einen Eimer Farbe hineingetaucht hätte. Betrachtete man Phanpy so aus der Distanz, ging man sicherlich in der Annahme, dass die Dame wohl kein Wässerchen trüben konnte. Es war kaum vorstellbar, geradezu absurd, dass sich hinter dieser Facette der Niedlichkeit eine gnadenlose Kampfmaschine verstecken könnte. Der Schein aber, und in dieser Hinsicht war sich Sonja sicher, trügt, schließlich galt Fabien nicht umsonst als Suicunes Favoritin und hatte es sicherlich nicht dank ihrer falschen Wimpern so weit gebracht.
    „Hätte nicht gedacht, dass du tatsächlich den Mut aufbringst, alle Achtung!“
    Wären die Worte aus einem anderen Mund gekommen, so hätte Sonja sie wohl als Kompliment aufgenommen. So aber, wie Fabien auf ihre andersfarbige Schulkameradin einredete, war es nichts anderes als eine ihrer üblichen Sticheleien, für die sie berühmt und berüchtigt war – eine verbale Ohrfeige.
    „Was ist los, Sonja-Schatzi?“, antwortete Fabien auf Sonjas Schweigen hin. Ihre auf Hochglanz polierten Zähne ließen sogar noch das Scheinwerferlicht von Neid verblassen. „Julia meinte, du würdest auf lustige Spiele stehen, und du wirst ihr doch nicht unterstellen wollen, dass sie lügt, oder?“
    „Lustig ist etwas anderes ...“, murmelte Sonja leise.
    Fabien verzog amüsiert das Gesicht. „Was war das? Ein wahres Prachtexemplar, die kann ja sogar reden! Wer hätte das gedacht?“
    Phanpy stimmte sofort mit trompetenden Lauten in das Gekicher ihrer zweibeinigen Partnerin überein, Evoli dagegen teilte Sonjas Gesichtsausdruck und schaute sie trübsinnig über die Schulter hinweg an.
    „Was – was willst du und deine Anhängsel eigentlich von mir? Warum ausgerechnet ich?“, redete Sonja mit brüchiger Stimme gegen das erwartungsvolle Gesumme an, das sie von der Tribüne her beschallte.
    „Warum ausgerechnet ich?“, äffte Fabien ihren Gegenüber mit schriller Stimme nach. „Schaut mich an, ich bin Sonja Lynn, niemand mag mich, niemand hat mich lieb, buh, buh!“ Jetzt imitierte Fabien ein quengelndes Kleinkind und rieb sich passend dazu über ihre geschminkten Augen. „Glaubst du etwa, nur weil du Sonja heißt, wärst du etwas ganz Besonderes?“, höhnte Fabien. „Tut mir ja Leid für dich, dass du vielleicht falsche Hoffnungen von dir hast, aber da ist einfach nichts dabei. Natürlich nehmen wir auch andere Leute auf die Schippe, die unseren Ansprüchen nicht gerecht werden. Nur bei dir und deinem Blondschopf macht es eben immer ganz besonders großen Spaß.“
    „Sp-Spaß?“, stotterte Sonja.
    „Allein dich schon so hirnblöd umhergaffen zu sehen, war die ganze Schoße schon wert“, höhnte Fabien.
    „Wisst ihr mit eurer Zeit verflucht noch mal nichts Besseres anzufangen?“
    „Was denn zum Beispiel?“
    „Etwas Nützliches ...“ Sonja stockte und grübelte kurz. Was würde wohl Ray in einer solchen Situation sagen? Dann: „V-vielleicht deinen Schädel der Allgemeinheit zur Vakuumforschung zur Verfügung stellen. Wobei: Bei dem Schrumpfkopf ...“
    „Walz sie und ihre dreckige Pelzkugel platt!“
    Binnen eines Wimpernschlags der Zeit standen der Sirene Fabien sämtliche Haare zu Berge; einmal mehr der Beweis, dass auch die schönste Rose Dornen besaß. Phanpy tat dem direkten Befehl ihrer Trainerin genüge und hatte sich augenblicklich zu einem übergroßen Fußball von lichtblauer Farbe eingerollt. Phanpys ganzer Körper war sekundenschnell zu einer besessenen Kugel geworden und trachtete nun danach, Evoli bei lebendigem Leibe zu asphaltieren. Sonja glaubte, deutlich die Sorte Angriff herauszuerkennen, die bereits Daniel Seel bei seinem Kampf gegen Rico erfolglos angewendet hatte. Die Wucht aber von dieser Attacke konnte mit der von Seemops in keinster Weise konkurrieren. Phanpy hinterließ auf ihrer halsbrecherischen Fahrt in Evolis Richtung eine zentimetertiefe Schneise und brandmarkte regelrecht den Boden. Kleinere Felsen zerbarsten durch die bloße Gewalt von der wild um die eigene Achse drehenden Phanpy. Staub und die zersplitternden Gesteinsfragmente tanzten durch die Luft oder wurden zu messerscharfen Geschossen für jeden, der so tollkühn war, Phanpys Bahn auch nur ansatzweise zu kreuzen.
    „Bau den Reflektor auf und danach Geduld! Mach schnell!“
    Sonjas Herz raste. Wie es Evoli bereits im Kampf zuvor getan hatte, bildeten sich abermals die transparenten Spiegel um sie herum; unsichtbare Wachen, die ihre Herrin vor allem Übel dieser Welt zu beschützen schienen. Doch konnten sie es tatsächlich mit der Gewalt dieser zerstörerischen Wut aufnehmen, ihr gar trotzen? Sonja fixierte bangend die rasende Kugel. Sie war nur noch wenige Atemzüge von ihrer sturen Gegnerin entfernt. War es ein törichtes Unterfangen? Der von Phanpy ausgehende Lärm war inzwischen unerträglich – sie näherte sich. Sonja schluckte. Evoli bewegte sich nicht und hielt die Augen fest verschlossen.
    Phanpys walzende Bewegungen wurden zunehmend langsamer und unkontrollierter. Sie geriet plötzlich ins Trudeln. Der unförmige, steinige Untergrund schien sich bemerkbar zu machen und ihr Schwierigkeiten zu bereiten. Ein zu spät entdecktes Schlagloch bremste Phanpys Bewegung ab und brachte sie völlig aus dem Konzept: Statt ihres geplanten Aufeinandertreffens mit Evoli, scherte Phanpy nun gezwungenermaßen aus, legte eine scharfe Rechtskurve hin und befand sich nun auf direktem Kollisionskurs mit einem der großen Felsen auf der Außenlinie.
    „Nicht!“, schrie Fabien.
    Sonja und Evoli kniffen Augen und Ohren fest zusammen. Das laute Aufstöhnen von Phanpy nach ihrem heftigen Zusammenstoß mit dem stummen Felsbrocken wie auch das darauffolgende krampfhafte Aufstöhnen des Publikums konnten sie aber nicht gänzlich aus ihren Gehörgängen verbannen.



    * * *



    „Au! Das muss wehgetan haben ...“, stöhnte Ray mit zusammengepressten Zähnen auf. Sein Blick weilte auf dem äußeren Rand von Sonjas Kampffeldseite. Sonja wie auch Evoli starrten auf den Fuß des zirka zweieinhalb Meter hohen Felsgiganten, mit dem Phanpy gerade zusammengekracht war. Fabien fluchte. Ihr Bild tauchte auf dem großen Monitor auf. Ihre vor Wut verzerrten Gesichtszüge ließen sie plötzlich mehr wie eine Furie aus Geschichtsmythen als eine Diva wirken. Phanpy rappelte sich derweil wieder auf. Das kleine Pokémon schwankte bedrohlich. Dieser fehlgeleitete Angriff hatte Phanpy nicht nur durchgeschüttelt, sondern auch deutlich seine Spuren hinterlassen.
    „Walzer ist eine gefährliche Attacke – wenn sie gelingt. Dieser Untergrund aber macht das fast unmöglich“, sagte Sarah. Sie schaute in Rays Richtung. „Zu schade, dass Malcom das nicht gesehen hat. Vielleicht würde er es dann endlich begreifen.“
    „Och, nach der Schwimmnummer von vorhin, denke ich, dass er das zukünftig beherzt“, gluckste Ray.
    „Augen nach vorne! Uhh ...“, brüllte Andy und so auch urplötzlich das gesamte Publikum.



    * * *



    Sonja presste sich panisch die Hände auf den Mund, der Magen stülpte sich um. Völlig hilflos musste sie das Schauspiel vor ihren Augen betrachten. Fabien hatte keine Zeit verschwendet und ihrer vervielfachten Wut freien Lauf gelassen. Ihr missglückter Angriff hatte Phanpy offenbar doch nicht so mitgenommen, wie es sich mancher wohl anfangs gedacht hatte. Wenn auch von minderer Größe, war Phanpys Rüssel kräftiger, als das bloße Auge den Schein machen wollte. Eines von Evolis Beinen und somit auch den Rest ihres gebrechlichen Körpers fest in der Zange, wurde Sonjas Partnerin immer wieder aufs Neue von ihrer Gegnerin ruckartig in die Höhe gehievt, nur um Augenblicke später mit geballter Gewalt auf den Boden geschmettert zu werden. Musikalisch begleitet wurde dieses sadistische Bühnenbild roher Gewalt von Evolis klagenden Schreien, der munteren Xylophon-Tonleiter ihres immer wieder wild aufleuchtenden Reflektors und den immerwährenden „Zermalm sie!“-Rufen seitens Fabien. Die von Evoli heraufbeschworene, immer wieder grell aufblitzende Schutzbarriere war sichtbar intensiver als es im Vorkampf der Fall gewesen war und blendete schon fast; ihr Ton schrill und aufdringlich. Im Vergleich zum letzten Einsatz gegen Vegimaks stumpfe Klauen musste die Beschwörerin des Reflektors deutlich mehr einstecken. Evolis gebrechlicher Körper schabte immer wieder über den kantigen Boden, scharfe Steinsplitter bohrten sich in ihr Fell und verunstalteten das zierliche Gesicht. Es war gar nicht auszudenken, welche Qualen Evoli ohne ihren Reflektor erdulden müsste. Erneut donnerte sie stöhnend und mit dem Kinn voran auf die harte Erde. Flehentlich öffnete sie ihre kastanienbraune Augen einen Spalt und starrte direkt in Sonjas Richtung, bevor sie wieder unerbittlich in die Höhe gerissen wurde und aufs Neue als Phanpys Spielball herhalten musste. Tränen blitzten durch die Reflektor-Lichtwände hindurch. Das Publikum röhrte und tobte unaufhörlich. Sonja schüttelte völlig phlegmatisch den Kopf: Dieser Kampf hatte die Grenzen eines jeden Geschmacks weit überschritten.


    Die Welt hatte sich schlagartig zu drehen aufgehört. Alles schien plötzlich still zu stehen. Doch nur für einen winzigen Augenblick. Evoli hatte es erneut in die Luft gerissen und schon näherte sie sich wieder dem unerbittlichen Boden. Noch bevor sie allerdings erneut gezwungenermaßen mit ihm Bekanntschaft machen musste, glühte ihr Körper auf einmal in scharlachroter Farbe auf. Kopf, Augen, Beine und Schwanz – sie alle standen regelrecht in Flammen. Evolis Geduld hatte wortwörtlich ihr Ende gefunden. Diesmal reagierte Sonja schneller: Der zornestrunkene Schlachtruf ihrer Partnerin hatte noch nicht richtig die Kehle des Pokémons verlassen, als sich Sonja bereits schützend auf den Boden geworfen und die Hände über ihren Kopf zusammengeschlagen hatte. Die Erde zitterte. Sonjas Wimmern blieb ungehört in ging völlig in dem Getöse von Evolis fuchtiger Schockwelle unter. Kleidung wie auch Sonjas Haarschopf beugten sich der Urgewalt von Evolis Attacke und flatterten wie Segel im Wind. Loses Gestein verbröselte, wirbelte durch die Luft, verstreute sich in der ganzen Arena oder kam als ungebetener Regenschauer über die Zuschauer herab.


    Auch diesmal endete das Spektakel so schnell, wie es aufgekommen war. Totenstille hielt ihren Siegeszug durch die weiten Hallen. Selbst das nimmermüde Publikum war verstummt. Feiner Sand und eine millimeterdicke Staubschicht rieselten von Sonjas Handrücken herab, mit denen sie ihr Haupt bedeckt hatte. Unter leisem Aufstöhnen öffnete sie ihre Augen einen Spalt weit. Gräulicher Rauch trübte etwas die Sicht, die Spuren von Evolis Attacke konnten sich aber darin nicht verborgen halten: Links und rechts zu Sonja hatten die großen Felsgiganten auf der Außenlinie schwere Schäden davon getragen. Ein gigantischer Riss klaffte in dem linken Felsen, den rechten hatte es gänzlich zertrümmert. Die meisten kleineren Geröllklumpen, die sich der Wut des kleinen Pokémons so fahrlässig entgegengestellt hatten, waren schlichtweg zu Staub zermahlen worden. Evolis Schockwelle hatte in einem weiten Umfeld kreisförmig den Boden versengt - und inmitten des einen Meter tiefen Kraters kniete Evoli schwer atmend, mit eingeklemmten Schwanz, angelegten Ohren, völlig zerzausten Fell und krampfhaft zitternden Leib. Doch sie schien in Ordnung. Sonja fiel ein Stein vom Herzen. Es war überstanden, die Gefahr endgültig gebannt. Es war ...
    „Wir - wir sind noch nicht fertig!“
    Die Augen der Raikou-Schülerin weiteten sich verängstigt. Fabiens Formen nahmen hinter dem sich langsam lichtenden Rauchschleier Gestalt an. Dreck und Staub lagen auf den strohblonden Haaren, Lippen und überdeckten auch das für diesen Auftakt fein geschminkte Gesicht – eine Mode, die der Suicune nur sehr schlecht auf den Leib geschneidert war. Etwas regte sich in dem Trümmerfeld. Aus der Asche des verbrannten Landes stemmten vier zittrige Beine ihrer Besitzerin in die Höhe – Phanpy hatte sich erhoben. Rußbedeckt, übel zerkratzt oder verschrammt, der Rüssel saft- und kraftlos gen Boden baumelnd und die Augen trüb und leer, machte auch sie einen arg bemitleidenswerten Eindruck, doch sie stand und der Kampfeswille schien noch nicht gänzlich erloschen.
    „Du – du kannst nicht ...!“, stammelte Sonja verängstigt.
    „Und ob ich das kann!“, schrie sich Fabien ihre Stimme heißer. „Nicht von dir, von dir nicht ...! Mach dieses Mistvieh nieder!“
    Phanpys trompetender Schlachtruf war schwach, doch reichte er allemal aus, um es Sonja eisig kalt über den Rücken schaudern zu lassen. Unheilvoll stampfte Fabiens Partnerin mit ihren beiden Vorderbeinen auf den vernarbten Boden auf und zermalmte Kies zu Staub, bevor sie auch schon den Krater hinabgallopierte und sich mit loderndem Zorn Evoli näherte. Phanpy stolperte über den unebenen Untergrund und rutschte ein gutes Stück hinab, schaffte es allerdings, auf ihrem vernichtenden Streifzug das Gleichgewicht zu halten.
    Sonja würgte, brachte fast keinen Ton über die bebenden Lippen. Dann aber: „Ausdauer! Mach schon!“
    Evoli piepste schwach auf. Im selben Moment rammte Phanpy ihre Schulter wie ein spitzes Messer in Evolis entblößte Brust. Ein letztes Mal leuchtete noch der schwächliche Reflektor auf, als dann auch die transparenten Spiegel unter lauten Gedonnere zersprangen.


    Schreckensmomente: Abermals schien die Zeit wie festgefroren. Phanpy stand noch mit ausgefahrener Schulter direkt vor Evoli. Fabiens Partnerin hatte ihr Ziel gefunden und offenbar auch getroffen. Nur – es passierte nichts. Evoli schrie vor Schmerz laut auf, doch hielt sie sich noch immer auf ihren zitternden Knie. Durch den Einsatz von Ausdauer hatte sie noch einmal ihre letzten Kraftreserven mobilisieren und sich verbissen an ihrem störrischen Widerstand festklammern können. Anders Phanpy: Ihre vier Beine konnten ihr Gewicht nicht mehr länger tragen. Die Erschöpfung forderte endgültig ihren Preis. Ein letztes schwaches Trompeten entfleuchte noch ihrem Rüssel, als sie schließlich vor den Pfoten ihrer Gegnerin zusammenklappte. Es war vorbei ...


  • Part 13: ... ein zweischneidiges Schwert



    „Wie? Du wirfst das Handtuch?!“
    „Mr. Granger, ich sagte doch, Sie sollen sich schonen und sich nicht so aufregen!“
    „Mir doch Wurst!“
    „Hör zu“, versuchte Sonja sanft ihren noch immer im Bett liegenden Klassenkameraden zu beschwichtigen. „Die Sache ist für mich jetzt endgültig gelaufen. Ohnehin, mit Evoli ...“ Sie warf einen Blick über die Schulter zu der Wand, die die Barriere zwischen Menschen und Pokémon in der geteilten Krankenstation bildete und hinter der sich gerade Evoli langsam von ihren Strapazen erholte. „So oder so würde Evoli nicht mehr rechtzeitig auf die Beine kommen. Das kann und will ich ihr nicht antun ... Außerdem wirst du ja wohl nicht behaupten, ich hätte eine Chance gegen dich?“ Sonja wusste genau, wo sie bei Eagle dran war, als dieser bereits gesättigt grinste. „Na also!“, sagte sie.
    „Trotzdem ...“, murrte Eagle. „Du hast ganz schön was auf dem Kasten. So eine Chance kriegst du vielleicht nicht mehr wieder.“
    „Sie hat ihre Wahl getroffen. Richtige Entscheidung, Sonja“, sagte Ray und zauberte somit ein freundliches Lächeln auf Sonjas Lippen. „Würdest den guten Eagle nur verärgern, wenn du ihn ausgerechnet im Finale bloßstellen würdest.“
    „Was soll das wieder heißen, du ...?! Autsch!“ Er rieb sich zähneknirschend seinen Kiefer. „Tarik, ich bring dich ...“
    „Mr. Granger, bitte!“ Noch im Vorbeigehen schürzte Professor Joy missbilligend die Lippen. „Sie sollen sich schonen!“, betonte sie erregt.
    „Würde mir schon weiterhelfen, wenn ich hier raus dürfte“, erwiderte Eagle. Staralili, die auf dem Bettgerüst ihres Trainers thronte und den ganzen Saal überblickte, stimmte mit schrillem Gezwitscher zu.
    Professor Joy blieb stehen. Sie schaute über die Schulter und somit direkt in die Augen ihres Patienten. „Wenn ich Sie gehen lasse, würden sie dann auch sofort und ohne Widerworte in ihr Haus zurückkehren?“
    „Das würde ich“, übertönte Eagle Rays „Das würde er garantiert nicht“ und schaute finster in seine Richtung.
    „Nun, wenn das so ist“, sagte Professor Joy, dann plötzlich schürzte sie erneut die Lippen und stemmte die Hände in ihre dünnen Hüften, „ist es mir Wurst – Sie bleiben hier! Mein letztes Wort!“, sagte sie streng.
    Ray kringelte sich vor Lachen, Sonja seufzte schulterzuckend und Eagle ließ sich fluchend wieder in sein Bett zurücksinken.
    „Naja“, sagte Eagle schließlich, „das gibt morgen dann ein kurzer Tag, wenn du passt. Nur ein Kampf ...“
    „Sieh es von der positiven Seite“, erwiderte Ray grinsend. „Dann bleibt mehr Rampenlicht für dich.“



    * * *



    Niemand aus ihrem eigenen Hause fasste Sonjas Entschluss böse auf, doch waren natürlich mitunter einige dabei, die Sonja zur Umkehr bewegen wollten; waren schließlich zwei Raikous besser als nur einer. Sonja aber blieb eisern und die meisten ihrer Mitbewohner respektierten schließlich dann doch ihre Entscheidung. Die Reihen der Enteis und Suicunes fassten es dagegen eher mit gemischten Gefühlen auf. Durch ihre beiden Kämpfe hatte sich die strebsame Schülerin einiges Ansehen bei ihren andersfarbigen Mitschülern einheimsen können und standen die Wetten anfangs noch gegen sie, so war Sonja sogar zur geheimen Favoritin des Turniers aufgestiegen. Es war daher kaum verwunderlich, dass die Botschaft über ihr unerwartetes Abdanken von vielen sogar gewissermaßen erleichtert aufgefasst wurde. So manch ein Grüppchen fasste aber den Entschluss der Raikouianerin als „bodenlose Frechheit“ oder sogar „Feigheit“ auf und so waren binnen weniger Stunden die wahnwitzigsten im Umlauf, Sonja Lynn hätte nur an dem Turnier teilgenommen, um für ihre anderen Hauskameraden den Weg freizuräumen und den anderen Teilnehmern das Leben so schwer wie nur irgendwie möglich zu machen. Sonja reagierte recht abgestumpft auf die frisch aufgesetzte Gerüchteküche – war sie Sticheleien schließlich gewohnt und im Vergleich zu den üblichen Spötteleien war dies fast so erfrischend wie ein warmer Regenschauer im Juli.
    Das Ausscheiden der Raikou-Schülerin ebnete ihrem Gegner den direkten Weg ins Finale. Entgegen jeglicher Erwartung hatte Billy Finch den Kampf gegen den Suicune Logan Sokol haushoch verloren, wobei chancenlos Billys Desaster wohl am ehesten beschrieb. Kotzbrocken, Schlaftablette, Geheimwaffe – unter welchem Pseudonym man Logan nun auch kannte, er war nun im Finale und somit Suicunes Hoffnung auf den verlockenden Ruhm und die Ehre. Es war daher nicht besonders verwunderlich oder gar selten, dass man so manch einem blauuinformierten Schüler mit scheinbar festgetackerten Grinsen auf den Fluren oder dem Schulgelände begegnete. Das Wetteifern der beiden verbliebenen Häuser spitzte sich währenddessen immer weiter zu. Pünktlich mit dem ersten Dodri-Krähen eskaliert es auf dem Schulgelände: Eine deftige Rangelei zwischen den Enteis und Raikous bescherte Professor Joy nicht zur eine Lawine Neuzugänge, sondern auch einen ihrer bekannten Nervenzusammenbrüchen - und das bereits am frühen Morgen. Eagle nutzte diese unerwartete Gunst der Stunde und stahl sich klammheimlich zwischen Kind und Kegel hindurch und ließ seine völlig aufgelöste Pflegerin sich ganz ihrer Arbeit hingeben.


    „Was meint ihr? Wird er es packen?“ Miller legte sich geheimnisvoll in die Runde. Immer wieder spähte er zu Eagles angestammten Einzelplatz in der Cafeteria.
    „Sora Townsend ist nicht ohne, aber ich denke, er bekommt das hin“, meinte Nea.
    „Natürlich schafft er es, keine Frage!“, stimmte Serina ihrer besten Freundin zu.
    „Aber sie hat Ray hier“, begann Diana und schaute leicht schmunzelnd in Rays Richtung, „ganz schön alt aussehen lassen. Die hat es faustdick hinter den Ohren, sag ich euch. Macht keine Kompromisse, vor nichts und niemandem. Hart wie Grobstahl.“
    „Sie ist wie ein Fluglotse“, seufzte Ray schwermütig, während er seinen Kakao umrührte. „Wenn sie nicht will, kann keiner landen.“
    Alle in Hörweite lachten und sogar Ray musste über seinen eigenen Witz grinsen.
    „Na, so wie du es versucht hast, schon einmal gar nicht“, gluckste Miller.
    „Ich muss mir einfach ein paar ordentliche Anmachsprüche einfallen lassen. Was haltet ihr von dem: Wir beide sind wie eine Sternschnuppe. Sie ist der Stern und ich bin ihr Schnuppe.“
    Selbst Sonja schoss der morgendliche Orangensaft aus der Nase. Miller hatte bereits einen roten Kopf vor lauter Lachen, Diana keuchte nur noch und bekam schon gar keine Luft mehr. „Wenn man vom Teufel spricht ... Was will denn die hier?“, unterbrach Nea schnaubend die gemütliche Runde am Frühstückstisch.
    Alle Blicke folgten ihrem Fingerzeig. Rays Herz machte sofort einen Hüpfer, sein Magen allerdings schien sein Frühstück wieder auf direktem Weg die Speiseröhre hinauf pumpen zu wollen. Sora Townsend mitsamt ihrer besten Freundin hatte sich gefährlich nächst zu dem Raikou-Tisch eingefunden. Ray konnte schon fast das Kirsch-Aroma ihres Parfüms lechzen. Doch galt die Aufmerksamkeit der Entei nicht ihm oder gar seinem Tisch, sondern ...
    „Was macht die?“ Miller runzelte die Stirn; eine Geste, die nicht ungeteilt blieb.
    Nahezu nichts erinnerte mehr an die kompromisslose Entei-Schülerin, wie man sie bereits aus zahlreichen Aufeinandertreffen und den beiden Kämpfen her kannte. Ihre Fingerkuppen zuckten, die Schuhe schleiften im Stand unruhig über den Boden hin und her, der Kiefer schien die Zunge zermahlen zu wollen und ihre haselnussbraunen Augen waren unentwegt in die Richtung der Einzeltische gerichtet, an denen auch Eagle saß. Jenny Anderson, Soras beste Freundin, war anscheinend nicht weniger ratlos, als es die Beobachter vom Raikou-Tisch waren, und schaute unruhig umher. Sora wagte einen halbherzigen Schritt nach vorne. Ihre Kiefer malmten. Wieder ein Schritt. Jetzt fixierte sie genau den einzelgängerischen Raikou an seinem Einzeltisch. Plötzlich machte Sora kehrt, ihr Anhängsel folgte ihr auf dem Fuße. Eagle blickte kurz auf, schob eine Wimper fragend in die Höhe und wandte sich dann wieder von den Rücken der enteilenden Enteis ab.
    „Die ist doch nicht ...?“, lachte Miller.
    „Doch, ist sie“, antwortete Sonja knapp und seufzte: „Wo die Liebe hinfällt. ...“
    Nea und Serina tauschten grimmig Blicke und funkelten böse in Soras Richtung.
    Ray stocherte missmutig auf seine gebratenen Eier ein und murrte: „Die Liebe ist wie eine Kuh, sie läuft dem größten Ochsen zu ...“



    * * *



    Mit Professor Livas Ansprache zu dem bevorstehenden Aufeinandertreffen wurde auch dem letzten Spätzünder endlich gewiss, dass bereits die Hälfte des Halbfinales gelaufen war und somit Logan Sokol im Finale stand. Umso euphorischer fieberte man der einzigen Begegnung des Tages entgegen: Der exzentrische, flugbesessene Raikou Malcom Granger traf auf die unerbittliche, gefühlskalte Entei-Verfechterin Sora Townsend. Nach Nennung seines Namens verabschiedete sich Eagle mit üblichen siegesgewissen Ausdruck im Gesicht von seinen Hauskameraden und marschierte die Treppe zur Arena hinab; Sora Townsend war ihm ein kleines Stück voraus. Immer wieder warf sie ihm hastige Blicke über die Schulter zu, wandte sich dann aber schnell wieder von ihm ab.
    „Was glotzt du so blöd?“, blaffte Eagle seine Vorgängerin an, nachdem sich die ihre Augen mit seinen bereits zum wiederholten Male gekreuzt hatten.
    Sora zuckte schreckhaft zusammen. „N-nichts ...“
    Eagle schnaubte und konnte nur den Kopf schütteln.
    Das Los hatte für diesen Kampf das Landschaftsbild einer Wüste angeglichen. Tonnen über Tonnen schwefelgelber Sand kleidete die Kampffläche ein, kleinere, schroffe Felsen lagen ziellos verteilt und selbst die Überreste von versengten Pflanzen und Wurzeln vegetierten an manch einer kleinen Düne vor sich hin. Für ein Luftscharmützel allerdings völlig bedeutungslos. Einmal in den lockenden Höhen wird man einen Teufel tun, sich die Fußsohlen in dieser sengenden Einöde zu verbrennen.
    Beide Trainer nahmen Stellung an der äußeren Randlinie ihres Kampffeldes ein. Die Hände des Raikouianers waren kalt, doch zitterten sie nicht. Er atmete einmal kräftig aus. Der Weg ins Finale und somit der Ruhm war greifbar nahe. Nur sie – er schaute über den grellen Sand zu seiner Kontrahentin – wagte es, ihm noch zu trotzen, sie allein ... Warum glotzte sie nur so hirnblöd?



    * * *



    „Ich glaube“, trotz der hervorragenden Sicht, die die erste Reihe seinen Eroberern bereithielt, beugte sich Andy etwas nach vorne, „unser guter Eagle hat die Lage völlig unter Kontrolle.“
    „Anders als Townsend, wie mir scheint“, fügte Sarah nickend hinzu.
    Die Zuversicht von Eagles Hauskameraden wurde von deren rotfarbigen Mitschülern kaum geteilt. Das nervös dreinblickende Gesicht ihrer Favoritin flimmerte immer wieder über den übergroßen Monitor, auf dem man sogar, bei näherer Betrachtung, den kalten Schweiß auf ihrer Stirn verräterisch glitzern sehen konnte. Ganz anders Raikous Repräsentant: Kühl, gelassen, siegessicher. Staralili schwebte bereits majestätisch dem Boden entgegen, Soras gefiederte Partnerin dagegen hatte noch nicht die Bühne betreten.
    „Müsste dir irgendwie bekannt vorkommen, oder, Ray?“, fragte Andy breit grinsend. „Äh, Ray?“
    Ray starrte auf den großen Monitor und zuckte jedes Mal, wenn Sora über die Mattscheibe huschte, kurz auf seinem Stuhl zusammen. „Sogar total verschwitzt ist sie noch hinreisend ...“
    „Der ist wieder völlig durch den Wind“, seufzte Sonja.
    Nur sehr halbherzig und dem Schein nach gar nicht richtig bei der Sache schickte nun auch Sora ihr Partner-Pokémon auf das Kampffeld. Beide Flug-Pokémon waren auf gleicher Höhe und beäugten sich misstrauisch. Im Duell der Farbenpracht konnte Staralili mit Schwalbini nicht Schritt halten. Das traubenblaue Federkleid Schwalbinis ließ die ohnehin spätherbstlichen Regenwetterfarben ihrer Konkurrentin noch deutlich blässer wirken. Als Antwort auf Schwalbinis arrogantes Aufplustern stieß Staralili ihren durchdringenden Kampfesschrei aus; ihre Gegnerin erwiderte dagegen mit neckischem Schnabelgeklapper.
    Gelächter hielt seinen Einzug durch die Zuschauertribüne. Beide Flug-Pokémon hatten damit begonnen, mit akrobatischen Kunststücken in der Luft voreinander zu imponieren. Staralili beeindruckte mit einem schraubenartigen Sturzflug, der in einen doppelten Rückwärtssalto mündete, Schwalbini dagegen mit scharfen Wendemanövern und einer Darbietung von waghalsigen Luftrollen, bei denen sich einem bereits vom Zusehen der Magen umstülpte.
    „Die beiden sind aus demselben Holz geschnitzt“, lachte Sonja. „Irgendwie niedlich.“
    „Fragt sich nur noch, für wie lange ...“, murmelte Sarah.
    Die Antwort kam auf dem Fuße: Professor Liva hatte den Kampf kaum freigegeben, als Staralili sich auch bereits mit blitzenden Krallen und gewetzten Schnabel auf ihre pirouettendrehende Gegnerin stürzte und sie noch in der Luft rammte.
    „Au! Der gute Eagle geht aber ran. Los, hau rein!“, feuerte Andy mitsamt sämtlicher ihn umgebenden Raikous Staralili und ihren Trainer an.



    * * *



    „Ihr nach!“
    Die zwei gefiederten Raketen jagten durch die Luft. Das wilde Schlagen ihrer Flügel, das Aufheulen der Luft, die wüsten Schreie aus ihren Kehlen, Eagles Anfeuerungsrufe und das Aufstöhnen des Publikums bei jedem einzelnen ihrer Manöver verfolgten sie Meter für Meter, die sie durch den aufgewühlten Arenahimmel peitschten. Staralili hatte die Verfolgung ihrer türmenden Gegnerin aufgenommen und hing ihr dicht an den gabelförmigen Schwanzfedern. Schwalbini brüllte gereizt aus ganzer Kehle, doch weder ließ sich ihre hartnäckige Verfolgerin davon beirren, noch wurde sie langsamer. Beide, Flüchtling wie auch Jägerin, näherten sich dem Zuschauerblock. Schwalbini legte sich scharf nach rechts und schnellte herum – Staralili tat es ihr gleich und war noch immer dicht auf den Fersen. Soras Partnerin rollte sich in der Luft um die eigene Achse und ging in einen halsbrecherischen Sturzflug über. Beide näherten sich der sandigen Einöde zu ihren Krallen. Das Publikum stöhnte auf, doch völlig umsonst. Erst Schwalbini, dann nur einen Wimpernschlag später schossen beide wie Geschosse zurück in der Decke entgegen. Und noch immer führte Staralili die Jagd an. Es ging rauf und wieder runter, scharf nach rechts und noch schärfere Wendemanöver nach links. Im Korkenzieherdrehflug jagte Eagles Partnerin ihrem Ziel hinterher und hinterließ hinter sich schemenhafte Abbilder ihrer selbst – sie holte auf.
    „Lass nicht nach! Hol sie dir, los!“, brüllte Eagle. Er wagte es nicht, seine Augen auch nur einen Moment von diesem Spektakel abzuwenden. Es war ohnehin schier unmöglich, den beiden Kometen in der Luft zu folgen. Beide jagten nur knapp über seinen Kopf hinweg. Er spürte den eisigen Luftsog der beiden im Gesicht, hörte die Gier in Staralilis Stimme, roch deutlich Schwalbinis Furcht und konnte den Geschmack des eigenen Sieg schon fast auf der Zunge schmecken.
    Die Manöver wurden zunehmend riskanter, je mehr Staralili aufholte. Beide jagten nur noch einen knappen Meter über die Dünen hinweg, ließen den Sand unter ihren mächtigen, energiegeladenen Schwingen in der Luft tanzen und näherten sich das massiven Betonmauer hinter Soras Rücken, die bereits für zwei Kämpfer der letzten Tage das Verhängnis war. Kurz vor der Kollision ging Schwalbini auf ihrer Flucht vor dem lästigen Anhängsel zu ihrem Rücken in einen steilen Senkrechtflug die Mauer hinauf über. Staralili reagierte sofort und tat es ihrer Gegnerin gekonnt gleich – und näherte sich Sekunde für Sekunde. Schwalbini überschlug sich, ritt für den Hauch einer Sekunde auf dem Rücken über die Lüfte, rotierte einmal um die eigene Achse und war wieder auf selbstmörderischer Talfahrt.
    Eagle riss die Augen auf. Er witterte die Chance. „Jetzt! Hol sie dir!“
    Staralili streckte ihren Körper in die Länge, bis es ihn fast schon zu zerreisen drohte. Sie holte mehr und mehr auf, ließ Schwalbinis Heckruder hinter sich und befand sich nun direkt parallel zu dem Rücken ihrer Gegnerin.
    „Krall sie dir!“
    Staralili brüllte auf, ihre Gegnerin tat es ihr gleich – Schwalbini allerdings vor Schmerz: Staralili hatte im Sturzflug ihre Klauen in Schwalbinis entblößtes Kreuz geschlagen und sich wie eine lästige Klette an ihr verhakt. Plötzlich mit dem schweren Anhängsel auf dem Rücken beladen hatte Schwalbinis Flug die erhabene Grazie verloren. Unter wütenden Schreien und hektischen Zickzackbewegungen versuchte sie im freien Fall, sich ihrem Gepäck zu entledigen. Staralilis Körper bebte unter den Belastungen von der Gegenwehr ihrer Gegnerin bedrohlich, doch ihre spitzen Krallen waren unerbittlich und ließen von ihrem Opfer nicht ab. Und der Boden näherte sich rasend schnell. Schwalbini schrie aus Leibeskräften – ihre Schwingen versagten ...
    Eagle warf sich die Hände schützend vor die Augen. Im selben Moment stöhnte das Publikum lauf auf. Der Höllenritt hatte sein jähes Ende gefunden. Mit einem erstickenden Aufschlag krachte Schwalbini und ihrer Reiterin auf die Erdoberfläche. Sand spritzte in alle Richtungen – dann kehrte Ruhe ein. Ohne die beiden Flug-Pokémon in der Luft, war es in der gesamten Arena plötzlich todesstill. Eagle schluckte und stellte sich auf die Zehenspitzen, um das Kampffeld besser überblicken zu können. Doch schien der Sand Schwalbini wie auch Staralili regelrecht verschluckt zu haben. Unerwartet dann aber – ein schriller Aufschrei, Staralilis Siegesruf. Dort, wo die beiden Kometen mit der Erde kollidiert waren, erhob sich unter erhabenen Flügelschlägen der grauweiße Vogel aus dem Sand. In ihren Krallen hielt sie noch immer ihre regungslose Gegnerin gefangen. Nach kurzem Flug ließ Staralili endlich von ihrer bewusstlosen Beute ab und somit auf die nächstbeste Düne fallen.
    „Schwalbini ist nicht mehr in der Lage, diesen Kampf fortzuführen. Malcom Granger und Staralili sind somit Sieger und ziehen ins Finale ein – herzlichen Glückwunsch!“
    Von den Reihen der Raikous explodierte es. Sämtliche unter ihnen waren mit einem Schlag auf den Beinen. Unter heftigem Herzrasen stieß Eagle triumphierend die Hand in den Himmel empor und Staralili verlautete einmal mehr ihren schrillen Siegesschrei. Sie hatten es geschafft!
    "Eagle fliegt - und siegt!", ließ sich selbiger mit breitem Grinsen feiern.



  • Servus und ein frohes neues Jahr,
    hoffe du bist gut rein gekommen Eagle^^


    Das Turnier neigt sich nun bald dm Höhepunkt und mit den beiden zurückliegenden Kämpfen ist dir meiner Meinung nach ein dickes Actionfeuerwerk gelungen. Ich hatte wirklich das Gefühl, hier dreht jetzt jeder auf, keiner geht ohne Backenfutter nach Hause, jeder kriegt mal eins aufs Fressbrett, es ist eine wahre Schlacht. Das mag sich je nach den kämpfenden Pokémon anders definieren, doch wie ich in meinem letzten Kommi bereits gesagt hatte, kriegst du das mit diesen "Mini-Pokis" sehr gut hin.
    Dass Sonja wenigstens ein bisschen verbalen Wiederstand an Fabien geübt hat, wude auch verdammt nochmal Zeit. Dass sie die drei Suicune-Mädels mit ihrem Verhalten nur angespornt hat, weiter zu machen scheint ihr langsam bewusst zu werden. Im Kampf wirkt sie ebenfalls ein kleines bisschen selbstbewusster und vorausschauender. Man kann sagen, sie entwickelt sich. Dass sie sich dazu entschließt, das Turniervorzeitig zu beenden, kommt für mich allerdings nicht ganz unerwartet. Schließlich war sie schon beim erste Kampf kurz vor der Aufgabe gewesen und nun hats Evoli auch richtig heftig erwischt. War von daher ziemlich vorhersehbar, was ich persönlich etwas schade finde. Dennoch wird ihr dieser Auftritt sicher einiges an Respekt eingebracht haben und ich bin gespannt, wie ich das in Zukunft auswirkt.
    Zum Thema Vorhesehbarkeit muss ich leider noch etwas bemängeln. Da Sonja ja das Handtuch geworfen hat, war es ziemlich klar, dass Eagle seinen Kampf gewinnen würde. Eine Finalbeteiligung ohne einen Raikou konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen. Mal ganz ehrlich, da wäre ja komplett die Spannung raus gewesen. Da du mich mit Rays Niederlage schon ziemlich überrumpelt hattest, hätte ich es durchaus für möglich gehalten, dass auch Eagle rausfliegen könnte - aber eben nur, wenn Sonja noch dabei wäre. Ob Eagle das Ding jetzt aber wirklich noch nach Hause holt, wage ich noch nicht mit hundert prozentiger Sicherheit zu sagen. Abwarten und Bier trinken, sag ich immer.^^


    Was den Kampf angeht, hast du wie gesagt alles richtig gemacht, was es jetzt halt noch ein letztes Mal zu toppen gilt. Vor allem haben ja beide Konkurenten ihre Differenzen und sind keine schlechten Trainer. Die Ausgangssituation ist vielversprechend. Dann haben wir noch einen totalen Liebeskomplex am Laufen. Ray inst verknallt in Sora, Sora verknallt in Eagle und Eagle hat für beide nur wenig übrig. Eieieieiei, ich riche dicke Luft. Aber auch hier heißt es wohl abwarten (und Bier trinken^^)


    Das wars dann erstmal von mir. Sind die anderen Leser eigentlich zu faul zum Kommentieren der bist du denen einfach zu schnell?
    LG

  • Part 14: Siegesschwingen


    Obwohl sich der Gefeierte bereits nach kurzer Zeit abseilte, gingen die Festivitäten im Hause Raikou bis in die späte Nacht hinein. Die hauseigene Vorratskammer wurde bis auf den letzten Kekskrümel geplündert, kariesprovozierende Limonade floss in Strömen und jeder noch so kleine Aspekt des Kampfes wurde wieder und immer wieder Revue passieren gelassen. Erst Professor Cenra gebot dem Unruheherd gegen 1:00 Uhr Nachts auf Klagen des benachbarten Suicune-Hauses Einhalt und verbannte die verbliebenen Raikous in ihre Betten.


    Vier Tage dauerte nun das Turnier bereits an. Nun aber, an diesem Dienstag, sollte es endlich sein Ende finden, das Fiebern um die Krone, das Streben nach dem Ruhm und die Ehre. Der Tag des herbeigesehnten Finales brach nicht weniger feuchtfröhlich an, als es in den letzten paar Tagen der Wille von ganz oben war. Nicht aber von dem schlechten Wetter und schon gar nicht von den neiderfüllten Blicken der blamierten Enteis ließen sich die Raikous ihre gute Laune verderben. Dass die gefallene Sora Townsend bei dem gestrigen Kampf nicht ganz ihrer Sinne mächtig gewesen sein soll und nur deshalb den Sieg verfehlt hatte, wurde zumindest von den Raikous wie auch von den Suicunes mehr oder weniger desinteressiert hingenommen. Natürlich war diese Kundschaft für so manch ein wachsames Auge, insbesondere natürlich unter Rays Freunden, nichts Neues, so auch die Missgunst und die bösen Flüstereien hinter den Rücken der glorreichen Finallisten. „Jedes Jahr das alte Lied“, wie es ein Oberstufen-Schüler des Raikou-Hauses beiläufig am Frühstückstisch erwähnte. Ein vorzeitiges Kräftemessen zwischen blau und gelb blieb ebenfalls nicht aus. Die Frontseite des Schülertreffs entwickelte sich zu einem einzigen Hexenkessel, als Schüler dieser beiden Häuser sowie vereinzelte Enteis, die den Brandherd mit gezielten Pöbeleien immer weiter aufgeheizt hatten, zusammenkrachten und daraufhin der praktizierenden Ärztin der Schule einen weiteren Nervenkollaps bescherten.
    „Wie geht’s Magnetilo?“, fragte Ray in Andys Richtung. Sie beide, Sonja, Sarah, Serina und Nea nahmen ihre Plätze auf der Zuschauertribüne – diesmal in der dritten Reihe – ein.
    „Kommt bald wieder auf die Schaltkreise. Professor Joy hat ihn eben unter Starkstrom gesetzt. Hast du gesehen, wie dieses zwei Meter-Siberio von dem glatzköpfigen Suicune auf die Bretter gelegt hat? Hat der selten blöd geguckt“, lachte Andy.
    „Danach hast du es dir aber ganz schön gefangen, mein Lieber“, mahnte seine Freundin streng. „Wenn ich dich nicht rausgeboxt hätte ...“
    „Wusste doch, dass ich mich auf dich verlassen kann“, gluckste Andy. Ein Kuss auf die Wange seiner Freundin stimmte Sarah sofort milde.
    „Was meinst du?“ Sonja beugte sich geheimnistuerisch in Rays Richtung. „Packt er es?“
    Ray zuckte nur eine Schulter. „Als ich ihn heute Morgen gegen halb zwei aus dem Bett geklingelt habe, war er – nachdem er mich erstmal einen Kopf kürzer gemacht hat, versteht sich – noch ganz zuversichtlich. Wie meinte er zu mir: ,Lass das nur mal Eagles Problem sein und wehe, du weckst mich noch einmal auf!’“
    „Ja, das klingt ganz nach ihm“, sagte Sonja. „Wer hätte gedacht, dass es Logan soweit bringt? Er ist so unscheinbar, wenn es ums Kämpfen geht. Man darf ein Buch wirklich nicht nach seinem Einband beurteilen.“
    Ray geriet kurz ins Grübeln, was wohl ein Einband sein könnte, stimmte ihr dann aber einfach zu.
    „Kann es eigentlich sein, dass die beiden sich nicht riechen können? Zumindest Malcom erweckt da ganz den Anschein“, hakte sich Nea in die Unterhaltung ein.
    „Mit wem hatte er denn in diesem Schuljahr denn noch keinen Zoff?“, zuckte nun Ray die andere Schulter. „Aber zwischen den beiden hat es, zumindest von Eagle her, sofort gekracht. Ihr kennt ihn ja. Ein falsches Wort ...“ Ray erinnerte sich noch lebhaft daran, als Logan damals Eagle über Evolis Entwicklungseigenarten belehrt hatte. Eagle war daraufhin kurz vor der Explosion gewesen, obwohl es lediglich um eine Zahl ging. Jetzt hatte er die Gelegenheit, seinen Mann zu stehen. „Wir werden sehen ...“
    Auch die letzten Lücken zwischen den Hauskameraden wurden schnell gefüllt. Mit der Ankunft von Professor Liva - stets von dem Konrektor der Schule begleitet - erreichte die Spannung schließlich ihren Höhepunkt. Der an diesem Tag besonders missgelaunte Minutenzeiger aber legte den Wartenden noch einige Zeit der Geduld auf.



    * * *



    Der unterirdische Korridor erstreckte sich verlassen und menschenleer vor Eagle. Zielstrebig steuerte er das Ende des Ganges an. Eagle war dankbar für das vertraute Gefühl der Einsamkeit, welche ihn so warm und herzlich willkommen hieß. Dies war sie also, seine große Stunde. Der Augenblick, auf den er so erbittert hingearbeitet hatte, und niemand besaß das Recht, ihm diesen Augenblick streitig zu machen. Er hatte sein Ziel, den Sieg und nichts anderes als den Sieg, direkt vor Augen, und doch suchte ihn das fremde Gefühl von Selbstzweifeln heim. Seine Hände waren kalt, die Kehle ausgetrocknet, die Beine merkwürdig steif. In seinem Kopf regierten die Bilder seiner gemeisterten Kämpfe. Keine dieser Konfrontationen hatte sich wirklich als Herausforderung herausgestellt. Würde es diesmal anders sein? Ja, bestand gar die Möglichkeit, dass er mit Pauken und Trompeten untergehen würde?
    Als ob Staralili die Gedanken ihres menschlichen Gefährten, auf dessen Schulter sie saß, lesen konnte, kniff sie ihm zutraulich ins Ohr. Eagle verschränkte den Kopf nur ein kleines Stück, gerade weit genug, um Staralilis Blick aufzufangen. Ein anregendes Funkeln ging von ihren Augen aus und wurde sofort von Eagle aufgefangen.
    „Packen wir es an!“


    Eagle und Staralili betraten die Campus-Arena über den Fahrstuhl. Die Jubelklänge und der Applaus brachten die Luft zum Beben. Mit Eagles triumphierender Geste seiner Faust, die siegesgewiss in die Höhe schnellte, spreizte Staralili ihre Flügel, stieß sich kraftvoll von der Schulter ihres Gefährten ab und eroberte das begrenzte Himmelreich. Erst am absoluten Ende seiner Siegespose wandte sich Eagle seinem Gegner zu. Logan Sokol, in der ganzen Pracht seiner Hausfarbe gekleidet, hatte sich ihm gegenüber aufgebaut. Er war völlig ausdruckslos, geschweige denn, dass er Versuche unternahm, seinem Gegner den Ruhm auch nur ansatzweise mit eigenen Posen streitig zu machen. Und doch tat er es, ohne dass er vielleicht den Augenschein machen wollte. Wie er einfach nur so dastand. Teilnahmslos in die Leere starrte, so tat, als ob er nichts weiter tun würde, als an einer Prüfung teilzunehmen, für die er sämtliche Antworten parat hielt. Er war so selbstgefällig, so arrogant, ein Kotzbrocken. Eagle wurde es abwechselnd heiß und kalt. Seine eigene Wut drohte ihn zu übermannen. Nur noch vage nahm er überhaupt noch Professor Livas Ansprache wahr.
    „... allen Widrigkeiten getrotzt, um allen Anwesenden zu beweisen, dass ihr zu den besten eures Fachs gehört. Alles, für diesen einen Augenblick. Auch wenn nur einer siegreich aus diesem Kampf hervortreten wird, so bleiben die Erinnerungen an eure Glanzleistungen in diesem Wettstreit für alle Zeit unvergessen. Abschließen möchte ich nun mein sicherlich für euch langweiliges Geleier damit, euch beiden viel Glück zu wünschen. Trainer – Ring frei!“
    Die letzte Botschaft hatte Eagle deutlich verstanden. Es war soweit. Er überblickte den grünen, vernarbten Arenaboden, der für den letzte Kampf und seinen vielleicht größten Triumph herhalten musste, und schnitt eine hämische Grimasse in Richtung seines Kontrahenten.
    „Glück wünscht man nur Leuten, die nichts taugen.“ Sein Grinsen wurde noch breiter. „Also dann: Viel Glück, Sokol.
    Staralili schnellte im steilen Sturzflug aus dem Himmel hinab, kreiste einmal kurz über ihr neu erschlossenes Jagdrevier und hielt sich in Kopfhöhe zu ihrem Freund in der Luft. Logan verzog keine Miene. Eagles Fingernägel bohrten sich erregt in sein eigenes Fleisch und die Grimasse auf seinen Lippen wurde von einer Flutwelle des blanken Hasses schreiend fortgespült. Wie konnte dieser Kerl im Angesicht seines Gegners nur so ruhig bleiben? Wo nahm er bloß diese Gelassenheit her? Er befand sich Herr Gott noch mal im Finale und durfte sich mit keinem anderen als mit dem Stärksten, den das Hause Raikou zu bieten hatte, messen! Und doch nahm er alles völlig teilnahmslos hin. Es machte Eagle wahnsinnig.



    * * *



    „Schaut euch den an! Ich sag euch – dieser Vulkan steht kurz vor dem Ausbruch!“
    Andy übertrieb keineswegs mit seiner Aussage. Der große Hallenmonitor machte nicht davor halt, jedes einzelne pulsierende Äderchen auf Eagles Stirn seinen Beobachtern zu offenbaren. Die Lava unter seiner Haut drohte jeden Moment überzukochen und färbte Gesicht und Ohren knallrot. Ray konnte sogar darauf schwören, Eagle bis hinauf auf seinen Platz in der dritten Reihe knirschen zu hören.
    „Ich möchte jetzt echt nicht in Logans Haut stecken“, murmelte Sonja. Sie wandte sich Ray zu. „Was ist los? Kein dummer Kommentar?“, stellte sie stirnrunzelnd fest.
    Ray schürzte die Lippen. „Frag nicht warum, aber ich hab’ ein ganz mulmiges Gefühl bei der Sache ...“
    „Glaubst du etwa, dass er verliert?“
    Ray betrachtete den Monitor, auf dem sein zähnefletschender Hauskamerad einmal wieder abgelichtet wurde. „Soweit will ich nicht gehen, aber ...“
    Rays Gemurmel wurde von dem Jubel des Publikums überschattet. Dusselgurr hatte das Kampffeld betreten – und Eagle eröffnete sofort das Gefecht.
    „Windstoß!“



    * * *



    Unter wildem Flügelschlagen und noch viel wilderem Gekreische entfachten die beiden Flug-Pokémon den Zorn des Himmels. Einzig der Regen ließ vergeblich auf sich warten, dafür aber wüteten die vernichtenden Winde umso mehr. Die zwei Sturmfronten krachten in der Mitte des Kampffeldes aufeinander.
    Die Sekunden verstrichen, die Zerstörungskraft der Böen nahm zu. Die beiden Windreiter schienen gleich stark und auch in Sachen Sturheit waren sie gleichauf, denn keiner von ihnen ließ auch nur für den Hauch einer Sekunde die Waffen senken.
    „Lass nicht nach, hörst du?“, brüllte Eagle gegen das Getöse des Sturms an.
    Beide Pokémon hielten sich in etwa zehn Meter Höhe in der Luft und ließen ihrem Zorn freien Lauf. Die Kleidung der Trainer zu ihren Rücken flatterte in den zurückgeschlagenen Luftströmen, doch auch sie hielten engstirnig dagegen an. Staralili brüllte erregt auf und auch Eagle bemerkte es: War der Wille zwar stark, das Fleisch war schwächer. Sie konnte Dusselgurrs Sturm nicht Paroli bieten und wurde Stück für Stück, Millimeter für Millimeter zurückgedrängt. Staralilis Widerstand schwand zunehmend dahin, auch die verzweifelten Rufe ihres Trainers vermochten dies nicht zu ändern. Mit einem letzten verzagenden Fächern ihrer Flügel brach ihre Gegenwehr zusammen. Staralili überschlug sich einige Male und wurde wie ein Spielball der Winde meterweit zurückgeschleudert, hielt sich aber, nachdem sie die Turbulenzen gemeistert hatte, in der Luft. Mit dem Ende ihres Sturms flaute auch der von Dusselgurr beschworene Orkan ab. Staralili hatte das erste Kräftemessen verloren. Eagle schäumte vor Wut. Logan dagegen blieb ausdruckslos wie eh und je.
    „Eingebildeter Fatzke! Hältst dich wohl für etwas Besseres?“, bellte Eagle und spukte wütend auf den Boden. Staralili brüllte ebenfalls schrill auf, doch weder Logan noch Dusselgurr gaben Antwort. Für Eagle nur eine weitere Ohrfeige. Sein Gegner schien sich zu langweilen, gar hatte es den Anschein, als würde er ihn nicht einmal ansatzweise ernst nehmen. „Treib es ihm aus! Mach ihn fertig! Keine Gnade!“, explodierte Eagle.
    Staralili gebot Eagles Wunsch folge, obwohl sie offenbar selbst kurz davor war, sich mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auf ihren gefiederten Gegner zu stürzen. Mit gewetztem Schnabel lechzte sie nach der Schallmauer und überschattete dabei sämtliche ihrer bislang gezeigten Angriffsmanöver. Die Luft schrie vor Schmerzen. Die aufgeheizten Gesänge von den Zuschauerrängen verfolgten Staralili, während sie wie eine ferngelenkte Rakete Dusselgurr anpeilte. Meter für Meter, Augenblick für Augenblick näherte sie sich. Schnabel und Krallen blitzten auf, doch vergebens.
    „Runter“, ordnete Logan an.
    Dusselgurr tauchte gekonnt ab. Statt ihrem Gegner hatte Staralili nur noch die blanke Betonmauer im Sichtfeld. Sie bremste ab, legte sich scharf nach rechts und entging somit nur knapp der schmerzhaften Kollision mit dem Mauerwerk. Ihr Angriff ging weiter: Nur jagte sie im Sturzflug ihrem Gegner nach. Dusselgurr rollte sich auf Geheiß seines Trainers zur Seite ab und entging abermals den bedrohlichen Waffen seiner Gegnerin.
    „Weiter!“, befahl Eagle.
    Die grausweiße Rakete schnellte wieder in luftige Höhen, zog eine lange Schleife und hielt nun auf Dusselgurrs entblößten Rücken zu. Ihr Gegner wandte sich noch nicht einmal um. Zwei kraftvolle Flügelschläge später, entschwebte er abermals gekonnt dem unerwünschten Rendezvous. Eagles Fuß donnerte brachial auf den Boden. Staralili verstand blind - die Verfolgung sollte weitergehen. Eine gekonnte Kehrtwende später, schoss Staralili zum wiederholten Male auf ihren Gegner zu. Beide waren auf einer Höhe. Staralili streckte ihren zierlichen Körper in die Länge, ihr blitzender Schnabel visierte genau die Brust ihres aalglatten Widersachers an. Abermals hob Dusselgurr auf Anordnung seines Trainers ab, nicht aber ohne diesmal seiner lästigen „Verehrerin“ einen Korb zu geben. Für den Hauch einer Sekunde leuchtete der rechte Flügel in grellen Grautönen auf und donnerte brutal auf Staralilis Hinterkopf.
    Eagles wütendes Heulen ging in dem Aufstöhnen der Zuschauer unter. Manövrierunfähig stürzte Staralili dem Boden entgegen.
    „Komm wieder hoch!“
    Staralilis Flügel spreizten sich unter gequältem Ächzen. Mit dem Aufgebot sämtlicher ihr zur Verfügung stehenden Kräfte zog sie ihren zermalmten Körper wieder nach oben und gewann schnell wieder Höhe. Ihr steiler Senkrechtflug hatte allerdings ihre gewohnte majestätische Grazie verloren. Eagle atmete erleichtert aus, seine Wut allerdings vermochte dies nicht zu stillen. Über den ganzen Kampf hinaus hatte Staralili noch nicht einmal die Spur einer Chance besessen, nur einstecken dürfen und hing nun wie ein trauriger Schluck Wasser in der Kurve. Dusselgurr hingegen wirkte noch taufrisch und hatte im Grunde noch genauso wenig wie sein Trainer Emotionen gezeigt, nämlich nichts.
    „Geht es?“, fragte Eagle besorgt. Staralili hatte sich nächst zu ihrem menschlichen Freund eingefunden. Das Gefieder war arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Schweiß stand ihr auf der Stirn und die Furcht vor dem nur knapp entronnenen Absturz noch in den Augen geschrieben, doch sie nickte, wenn auch zaghaft. Noch eine kurze Weile betrachtete Eagle dieses Bild des Jammers und mit jeder über ihn hereinbrechenden Sekunde nahm die Wut zu. Sie, er und Staralili, wurden bloßgestellt. Keine Strafe, die Eagle in den Sinn kam, schien auch nur ansatzweise dieser Demütigung gerecht zu werden. Nur der Sieg vermochte ihn noch ansatzweise milde zu stimmen. „Es wird Zeit“, knurrte er leise. Sein Blick perlte von der ausdruckslosen Gestalt seines Gegners ab und schweifte hinauf ins Publikum, wo er Sarah vermutete. Dann, fest entschlossen, richtete er sich wieder zu Staralili. „Zeit, für unseren Überraschungsmoment! Du weißt, was du zu tun hast. Zeigen wir es diesem Penner!“
    Staralilis markanter, ungebrochener Kampfesschrei verbrannte die Saat der Hoffnungslosigkeit in Eagles Brust und aus der Asche keimte neue Hoffnung auf. Dieser Kampf war noch lange nicht vorbei.
    Eagles Zeigerfinger richtete sich dem begrenzten Horizont entgegen. „Himmelsstürmer, los!“
    Staralili zögerte keine Sekunde. Beschwingt trieben ihre Flügel sie wieder in luftige Höhen hinauf, bis sie wieder in direktem Augenkontakt zu ihrem Gegner war. Eagle kostete den Ausdruck der Verwunderung, der sich erstmalig auf Logans Gesicht abzeichnete – es mundete ihm. Der Raikou war sich absolut sicher: Auf diese Wende der Dinge war der Suicune nicht gefeit.
    „Leg los, Staralili! Lufttanz!“



    * * *



    „Was reimt der da zusammen?“
    „Mut der Verzweiflung?“
    „Der ist durch, sag ich euch. Ende und aus ...“
    Wohin Ray auch sah, waren es nun seine Hauskameraden, die Enteis, Suicunes oder aber Logan Sokol – der Ausdruck in jedem Gesicht war derselbe. Selbst Schüler der Oberstufe wussten nichts mit dem abstrusen Geschrei des bislang deutlich unterlegenen Raikous anzufangen. Stieß es aber bei allen anderen auf Unverständnis oder taube Ohren, so wusste Staralili offenbar aber genau, was sie zu tun hatte.
    „Das gibt’s nicht!“, brüllte Andy, stimmte dann aber sofort in den Jubel sämtlicher Raikous ein.
    Das so lange und so verzweifelt gesuchte Ziel war endlich gefunden. Der in die Länge gezogene Anflug war überraschenderweise in ein unerwartetes, kunststückreifes Auftauchen gemündet, danach pfeilschnell in Korkenzieherflug wieder hinab. Logan hatte mit seinem Ausweichbefehl nach unten völlig falsch reagiert, woraufhin Staralili mit ihrem Rammmanöver aus der Höhe einen direkten Treffer gegen Dusselgurrs Schädeldecke landen konnte. Dusselgurr schlingerte einige Meter hinab, nahm aber schnell wieder seine nur kurz verlassene Stellung ein. Eagle war daraufhin nicht mehr zu bremsen. Auch sein „Himmelfahrtskommando“, wie er es nannte, stieß auf fragende Gesichter unter den Zuschauern und Erfolg gegen seinen Gegner. Aus allen Himmelsrichtungen schnellte Staralili hervor und immer wieder krachte sie mit blitzschnellen Rammmanövern gegen Dusselgurr. Jeder dumpfe Aufschlag wurde mit dem qualvollen Aufheulen von Dusselgurr wie auch von den befriedigten Schreien von Staralili beantwortet.
    „Was soll das? Was macht der da?“ Ray wie auch viele andere Blicke um ihn herum fixierten Sarah. Die lächelte selbstzufrieden.
    „Es scheint, unser guter Eagle hat meinen Ratschlag beherzigt. Der Überraschungsmoment“, nickte sie. „Ein guter Zeitpunkt, seinen Gegner völlig aus der Reihe zu bringen. Schaut euch nur Logan mal an.“
    Tatsächlich zeichneten sich endlich die ersten Zeichen von wirklichem Leben auf Logans Gesicht ab. Er schien etwas aus der Fassung zu sein und betrachtete das Schauspiel über seinem Kopf verunsichert.
    „Aufklärung bitte!“, brummte Andy. „Was tut er da?“
    „Ich erkenne Akrobatik ... und Ruckzuckhieb“, meinte Sarah langsam. „Allem Anschein nach hat es Eagle satt, dass sein allwissender Gegner sämtlicher seiner Angriffsmanöver bereits im Vorfeld kennt.“
    „Er hat die Angriffe einfach umbenannt?“, fragte Sonja beeindruckt.
    „Es scheint so. Mit Erfolg.“



    * * *



    Zwar mochte es Eagle insgeheim nicht zugeben, aber Sarahs Ratschlag von vor einigen Wochen war gold wert. Nach wochenlangem Training hatte sich Staralili die etwas seltsam klingenden Angriffsbefehle ihres Sparringpartners einprägen können. Dieser Augenblick war es, auf den er so lange hingefiebert hatte. Sein Gegner hatte sowohl Fassung wie auch den eigenen Faden verloren. Abermals krachte der grauweiße Komet mit seinem Ziel zusammen. Dusselgurr sank einen guten halben Meter herab. Bevor er auch nur ansatzweise reagieren konnte, schnellte Staralili ihm erneut entgegen und rammte ihren Körper in Dusselgurrs Hüfte. Ihre Angriffe verloren aber zunehmend an Geschwindigkeit wie auch an Durchschlagskraft. Beide Pokémon hatten offenbar das Ende ihrer Kräfte erreicht und zehrten nun am absoluten Minimum.
    Mit dem letzten von Staralilis Anflügen gelang ihrem Gegner erstmal wieder ein Ausweichmanöver. Staralili trudelte ins Leere.
    „Nest!“, rief Eagle. Mit selbstzufriedenem Ausdruck auf dem Gesicht beobachtete Eagle, wie Staralili auch diesem Kommando problemlos Folge leistete, zu ihm zurückkehrte, erstmals seit minutenlangem Flug landete und die Flügel zusammenfaltete. „Alles klar?“, erkundigte er sich.
    Sichtlich erschöpft schaute sie zu Eagle hinauf. Ihrem Schnabel entwich nur noch ein heißeres Krächzen.
    Eagle nickte. „Wir haben ihn gleich. Nur noch ein Bisschen. Wenn du bereit bist, dann ...“
    Weiter kam er nicht. Staralili spreizte erneut die Flügel und stieg in die Höhe. Er als Trainer konnte gar nicht stolzer sein, als in diesem Augenblick. Auf dem Gipfel ihres steilen Aufflugs dann, der Befehl, der das Ende besiegeln sollte:
    „Beende es mit Luftschlag!“
    „Wehr es mit deinem eigenen Windschnitt ab!“
    Sechs blassblaue, sichelförmige Geschosse prallten nacheinander in der Mitte des Kampfrings aufeinander. Jedes Aufeinanderkrachen wurde von einer gewaltigen Erschütterung begleitet. Grauer Rauch trübte nach jeder Explosion die Sicht für wenige Sekunden, bis die gewaltigen Luftströme ihn wieder auseinander trieben. Staralilis Angriff war abgeblockt worden; schlimmer noch: Er war mit gleicher Münze gekontert worden.
    Logan nickte. Seine Lippen bildeten einige Worte, deren Klänge aber gingen in dem Raunen des Publikums und Eagles Fluchen unter.
    „Glück!“, bellte Eagle über das Kampffeld hinweg. Seine Stimme aber und so auch sein ganzer Leib zitterten plötzlich. Dieser Verlauf der Dinge war ganz und gar nicht geplant.
    Sacht schüttelte Logan den Kopf und ergriff erstmals das Wort gegen seinen Gegner, wenn es auch nur für ein knappes Wort reichte.
    „Dilettant.“
    „Kotzbrocken!“, brüllte Eagle. Sein Kopf hatte sich binnen Sekunden wieder tomatenrot gefärbt.
    Logan beschleunigte nur sein Kopfschütteln. „Zugegeben: Die Strategie ist gut. Die Ausführung lässt allerdings doch zu Wünschen übrig.“
    „Was weißt du schon?“, blaffte Eagle.
    „Ich weiß“, antwortete Logan sofort, „dass man mit etwas Sinn, Verstand und logischer Schlussfolgerung direkt dahinter kommen kann, wie du deine Angriffe tarnst.“ Das letzte Wort betonte er deutlich abfällig. „Lufttanz, Himmelfahrtskommando, Luftschlag. Ich bitte dich ... Wie offensichtlich willst du es deinem Gegner noch machen? Und deine nichtvorhandene Verteidigung lässt mehr als nur zu wünschen übrig.“
    „Brauch dich nicht zu interessieren!“, brüllte sich Eagle die Stimme heißer. Er war es leid, seinen Atem zu verschwenden. So oder so – er würde gewinnen. Mit welcher Attacke er es nun auch tat. „Himmelfahrtskommando!“



    * * *



    „Das wird fatal!“ Unter den Blicken sämtlicher Raikous vor, hinter und neben ihr war Sarah auf die Beine gesprungen und klammerte sich an dem Sitz ihres Vordermanns fest. „Tu es nicht!“, kreischte sie schrill.
    Ray sah zu Staralili hinauf. Sie hatte bereits ein erneutes Rammmanöver in Richtung ihres Gegners gestartet. Eagles Partnerin hatte deutlich Geschwindigkeit eingebüßt, doch reichte es allemal aus, um die Luft zum Zittern zu bringen. Wie ein Pfeil jagte sie erneut durch die komplette Arena, hinterließ auf ihrer Flugbahn grelle Abbilder ihrer Selbst und peilte genau ihren Gegner an. Dusselgurr konterte: Das Ritual der zusammenkrachenden Flügel entfesselten, wie zu Beginn des Kampfes, die Urgewalt eines Sturms. Unter panischem Geschrei bremste Staralili ihren Angriff ab, ihr Widerstand aber war vergeblich. Die Böen schleuderten den grauweißen Vogel aus seiner Bahn wie ein kräftiger Windstoß Obst von einem Baum zerrte. Staralili überschlug sich einige Male und fand erst kopfüber in der Luft wieder ihre Fassung. Ray wurde bereits vom Zusehen schlecht, sein Magen verabschiedete sich erst aber dann gänzlich, als Dusselgurr plötzlich mit seiner ganz eigenen Form von, wie es Eagle getauft hatte, „Himmelfahrtskommando“ antwortete und seinen Körper immer wieder in den vom Sturm gebeutelten Leib von Staralili rammte. Treffer für Treffer ließ Staralili immer mehr an Höhe einbüßen. Nach fünf Treffern in Folge, bremste Dusselgurr die Ausführung seines sechsten Angriffs ab. Er hatte Stellung hinter seiner bereits völlig orientierungslosen Gegnerin eingenommen. Sein rechter Flügel blitzte auf und krachte brutal auf Staralilis Hinterkopf. Aus nur noch fünf Meter Höhe schleuderte es Staralili nun direkt auf den Boden zu.
    „Ich will das nicht sehen!“, rief Sonja und hielt sich die Hände vor die Augen.
    Mit einem dumpfen Aufschlag krachte Staralili mit dem Boden zusammen. Ihr zertrümmerter Körper überschlug es noch einige Male, schleifte noch Zentimeter für Zentimeter über die vernarbte Arenafläche, bis die Gewalt von Dusselgurrs Angriff endlich erstickte und sie noch mit gespreizten Flügeln leblos zusammenklappte.
    „Vorbei ...“ Sarah ließ sich enttäuscht auf ihren Stuhl fallen.
    Ray lief es eiskalt über Schulter, Arme und Beine. Er konnte es nicht fassen – Eagle hatte verloren.



    * * *



    „Der Sieger des Finales – Logan Sokol! Meinen Glückwunsch!“, verkündete Professor Liva. Sofort überschwemmte eine Welle des Lärms die Halle. Insbesondere von den Seiten der Suicunes explodierte die Tribüne regelrecht.
    Für den Moment, als er auf seine Knie fiel, wirkte er innerlich leer und völlig teilnahmslos. Dann erst krachten die Fäuste auf den Hallenboden ein. Wieder und immer wieder. Doch es vermochte nicht das Gefühl der Niederlage oder der Schmach zu mildern. Er war auf seinem eigenen Gebiet geschlagen worden, bis auf alle Knochen blamiert. Es war vorbei.
    Er spürte eine heiße Träne auf seiner Wange. Sie brannte ihm regelrecht eine Schneise der Verwüstung in die Haut. Eine Flutwelle seines eigenen Blutes, verursacht von unsichtbaren Messern, die immer wieder auf ihn einstachen, überschwemmte ihn.
    „Nicht zu vergessen einen besonders großen Applaus für den ruhmreichen Zweitplazierten dieses Turniers – Malcom Granger!“
    Höflicher Applaus nahm die Position der für Logan bestimmten Jubelchöre ein. Ein schwacher Trost ...
    „Es – es ist nichts Ruhmreiches, am zweiten Platz ...! Nichts!“, keuchte Eagle schwach.
    Er wischte sich einmal mit dem Arm über das Gesicht. Sein Haupt war gesenkt, als er über das Kampffeld wankte. Er wollte ihn nicht sehen, Logan ...
    Staralilis zermalmter Körper lag auf dem Boden. Leichtes Zucken durchjagte immer wieder ihre noch immer gespreizten Flügel. Ihrem Freund und Trainer war es speiübel. Sachte sammelte er seine gefallene Freundin ein, schloss sie sanft in seine Arme und drückte sie gegen seinen Leib, bis er deutlich ihren Herzschlag spüren konnte.



    * * *



    „Wo willst du hin? Die Siegerehrung wird noch abgehalten.“
    Noch auf dem Gang, der von der Arena hinfort führte, hatten Ray und Sonja ihren Klassenkameraden eingeholt. Der Lärm hinter der massiven Stahltür drang selbst noch aus meterweiter Entfernung gut an die Ohren der drei Raikous. Eagle stand mit dem Rücken zu seinen Hauskameraden, in seinen Händen nach wie vor Staralili gebettet.
    „Und warum sollte mich das interessieren?“ Eagles Stimme hatte einen heißeren und völlig brüchigen Ton. Ray glaubte sich nie daran zu erinnern, ihn jemals so gehört zu haben.“
    „Meinte ja nur. Du bist ja nicht irgendwer. Zweiter, Mann, echt klasse!“
    Ein wüstes Schnauben ging von Eagle aus, das ihm sogleich wieder etwas Vertrautes gab. „Zweiter ...“, wiederholte er mit herablassenden Unterton. „Der zweite Platz, der erste Verlierer ...“
    Eagle tat einen Schritt den Gang hinunter. Ray wollte ihm folgen, wurde aber dann von Sonja gebremst. Sie hielt ihn am Arm fest und schüttelte stumm den Kopf.


    Nur Sekunden später hatte der Korridor den einsamen Raikou verschluckt. Zurück blieben Ray, Sonja und die Gewissheit, dass auch auf diese dunkle Nacht ein neuer Tag hereinbrechen würde.