Kapitel XI: Schmerzhafte Erinnerung
Teil II/II
Unbewusst drehte er seinen Kopf zu der schlafenden Feuerstute und das Evoli-Mädchen folgte seinem Blick. Große, aber blasse Schatten tanzten an den rauen Felswänden, hervorgerufen von den kleinen, züngelnden Flammen. Diese entsprangen direkt hinter dem spitzen Horn der Stute und flossen zwischen den Ohren den kräftigen Hals entlang bis über den Rücken. Kurz vor den Flanken stoppten die Feuerzungen, bevor sie schließlich ihren feurigen Schweif bildeten. Ich befand mich in einer Schlucht. Um mich herum erhoben sich steile, raue Felswände in einen grauen, unheilvollen Himmel. Mir war kalt und ich begann zu zittern. Was tat ich hier? Wo war ich? Verwundert sah ich mich um, aber ich konnte niemanden in der Nähe entdecken. Da waren nur die Wände aus grauem Gestein rechts und links, die mir näher vorkamen als noch einen Herzschlag zuvor. Yune schlug die Augen auf und spürte ihr schnell klopfendes Herz. Ihre Pfoten waren schweißnass und es dauerte einige Herzschläge, bis sie wusste, wo sie war. Vorsichtig hob sie den Kopf und sah sich um. Friedliche Atemgeräusche erfüllten die Höhle und die Dunkelheit wurde von den kleinen Flammen Micaiahs erwärmt. Neben sich bemerkte das Evoli-Mädchen den schlafenden Schakal. Er hatte sich im Schlaf bewegt und lag nun ausgestreckt auf dem Höhlenboden; sein Gesicht war ihr zugewandt. Von Riolu ging eine beruhigende Ruhe aus, er wirkte auf Yune friedlich und zufrieden. Ein so viel schöneres Bild, als ihn so traurig zu sehen, wie in ihrem Traum. Sie schüttelte den Kopf. Was war das nur für ein seltsamer Traum gewesen? Keine Erklärung wollte ihr darauf einfallen und je länger sie den schlafenden Schakal betrachtete, desto ruhiger wurde sie. Mit einem leisen Gähnen legte das Evoli-Mädchen wieder den Kopf auf ihre Vorderpfoten und schlief ein.
„Micaiah hat dich gefunden, oder?”, fragte Yune leise und erhielt von Riolu ein abwesendes Nicken.
„Sie hat mich gerettet. Und als Dank dafür brachte ich sie in Gefahr …”, flüsterte er bitter und machte eine kurze Pause, bevor er weitersprach. „Nach einiger Zeit fühlte ich mich stark genug, um aus meinem Ei auszubrechen. Ich wollte unbedingt wissen, wer mich gefunden und die Kälte vertrieben hatte. Immer wieder hämmerte ich mit meinen Knochenplatten gegen die Schale, aber es brauchte viele Anläufe, bis ich diese schließlich durchbrochen hatte. Das plötzliche Licht blendete mich und ich kniff die Augen zusammen, als sich der Rest des Eis um mich herum auflöste. Eine warme Schnauze berührte mich und ich öffnete vorsichtig meine Augen. Vor mir war dieser große, lange Kopf mit roten, klugen Augen, die mich ganz freundlich und warm ansahen. Das Horn auf der Stirn war spitz und wirkte gefährlich, aber die wallende, flammende Mähne vermittelte nur Respekt. Mit einer ruhigen Stimme, stellte sich mir das Gallopa vor und ich brauchte einige Anläufe um ihren Namen richtig auszusprechen. Micaiah ist nicht besonders leicht zu sagen, wenn man gerade erst geschlüpft ist. Als ich mit meiner Pfote ihre Nüstern berührte, wusste ich sofort, dass ich anders war. Natürlich hatte ich schon vorher gespürt, dass sie nicht meine leibliche Mutter ist, immerhin kannte ich die Gefühle meiner Eltern schon bevor ich schlüpfte und ich würde sie jederzeit wieder erkennen.”
Er hielt kurz inne und sah auf seine Pfoten, die er kurz zu Fäusten ballte und dann wieder lockerte.
„Weißt du … sie hat sich nicht umgesehen. Sie hat nicht suchend geschaut, ob meine Eltern in der Nähe waren, sie fragte mich auch nicht, wo sie seien oder ob ich wüsste, wo sie waren. Für sie war sofort klar, dass sie sich um mich kümmern musste und dass ich sie brauchte. Und ich hab gespürt, dass sie mich nicht verlassen wird.”
„Aber … wie hast du sie dann in Gefahr gebracht?”, kam die Frage aus dem Mund des Evoli-Mädchens bevor sie es richtig gemerkt hatte. Ihr Mund war schneller gewesen als ihr Kopf in dem diese Frage aufgetaucht war.
„Ich hab dir erklärt, dass ich die Gefühle anderer in Form von Wellen spüren kann. Aber nicht nur das, ich kann auch meine Empfindungen auf andere übertragen. Wenn ich nicht aufpasse übertrage ich meine Gefühle in voller Intensität auf andere. Als ich in meinem Ei war, ist das wahrscheinlich noch nicht passiert, weil die Schale das wohl verhindert hat. Aber geschlüpft hatte ich diese Fähigkeit, ohne es zu wissen und ohne sie kontrollieren zu können”, erklärte der Schakal leise. Er suchte eine Weile nach den richtigen Worten, um die Ereignisse beschreiben zu können. Yune kam sich dumm und tollpatschig vor, dass ihr Mund ihr nicht gehorcht hatte. Sie fühlte, dass es für Riolu nicht einfach war über diese Geschehnisse zu sprechen und dass es ihn viel Überwindung gekostet haben musste, es ihr überhaupt zu erzählen. Sie war deshalb sehr dankbar für das Vertrauen, das er ihr entgegenbrachte und sie achtete darauf, dass ihr Mund nicht mehr mit etwas herausplatzen konnte.
„Wir waren eine Weile dort und Micaiah stand nicht auf, sondern erzählte mir, wie sie mich gefunden und gehofft hatte, dass ich schlüpfen würde. Sie hatte sich die ganze Zeit gefragt, zu welcher Pokémon-Art das Ei wohl gehören würde und mir erzählt, welche Rassen sie schließlich in die engere Auswahl gezogen hatte. Aber sie hätte nie gedacht, dass daraus ein Riolu schlüpfen würde. Wir waren dort und der ganze Wald um uns herum war ruhig. Nur ab und an strich ein sanfter Wind durch die Bäume und ließ sie rascheln. Aber wir waren nicht allein und das erkannte ich in dem Augenblick, als es schon zu spät war.“ Er brach ab und ballte verärgert die Pfoten. Wie oft hatte er sich schon gewünscht in diesem Moment nicht so langsam gewesen zu sein?
„Plötzlich sprang ein großes Schnurgarst hinter einem der Bäume hervor. Es knurrte, dass dies sein Revier wäre und wir hier nichts zu suchen hätten. Das große, aggressive Katzen-Pokémon machte mir Angst. Micaiah stand auf und stellte sich vor mich, während sie dem Shnurgarst die Situation zu erklären versuchte, aber dieses hörte gar nicht zu, sondern fuhr stattdessen seine Krallen für eine Attacke aus. Ich hatte solche Angst, ja direkte Panik vor diesem Angriff. Und ohne es zu bemerken, übertrug ich mein Gefühl auf Micaiah. Ich sah, wie ihre Beine anfingen zu zittern und das Katzen-Pokémon sich für einen Sprung niederkauerte und dann …”
Riolu brach kurz ab und atmete einmal tief durch. Vor seinem geistigen Auge hatte er die Situation noch einmal erlebt und sein Kopf hatte weitergedacht. Er hatte sich vorgestellt was hätte passieren können. Wie das Shnurgarst die Feuerstute angegriffen und diese vielleicht unterlegen gewesen wäre. Was dann wohl mit ihm passiert wäre, viel zu jung und absolut ungeschützt. Energisch schüttelte er den Kopf. Darüber nachzudenken brachte ihm nichts, denn es war nicht so passiert. Trotzdem schienen die Gedanken daran sich nur in eine andere Ecke zu verziehen und lungerten dort weiterhin herum.
„Ein schneller Blitz schlug plötzlich zwischen dem Shnurgarst und Micaiah ein. Ich sah nach rechts und dort schwebte diese graue Puppe. Sie kam geschwind auf mich zu, nahm mich auf den Arm und rief Micaiah zu, sie solle ihr folgen. Sie zögerte nicht lang, während die große Katze noch verwirrt war, hatten wir sie bereits weit hinter uns gelassen. Als Micaiah sich bei der Puppe bedankte, erwähnte sie ihren Namen: Myrrh. Auf dem Weg zurück zur Höhle wurde mir klar, dass es meine Schuld war. Ich kann nicht erklären, wie ich mir so sicher sein konnte, aber als ich hörte wie Micaiah mit Myrrh über den Vorfall sprach, machte es für mich Sinn. Ich hatte Angst bekommen und sie auch. Und sie konnte es sich selbst nicht erklären, also musste es mit mir zusammenhängen. Myrrh meint, sie hat Micaiah damals von meiner Fähigkeit erzählt und deshalb weiß ich, dass sie davon weiß. Und trotzdem hat sie mir nie die Schuld gegeben. Nicht ein einziges Mal, dabei hätte sie verletzt werden können. Und das nur wegen mir.
Von dem Tag an, hab ich versucht mich abzugrenzen. Es hat eine Weile gedauert, aber schließlich hab ich gelernt mich abzuschotten, damit ich meine Gefühle nicht unkontrolliert übertrage. Und ich hab gelernt, welche Gefühle ich wahrnehme und welche nicht. Ich schaffe das inzwischen ganz gut. Ich …” Riolu brach ab und sah Yune an. Für ein paar Herzschläge war er über seine eigene Offenheit überrascht. Warum erzählte er ihr das alles? Ganz konnte er es sich nicht erklären, aber es fühlte sich auf eine unbekannte Weise richtig an. Er vertraute ihr.
„Ich”, fuhr er leise fort, „möchte niemanden in Gefahr bringen. Und ich wollte, dass du das von mir weißt, bevor ich nicht mehr die Gelegenheit dazu habe, es dir zu erzählen. Vielleicht werden wir uns nie wieder sehen.”
Das Evoli-Mädchen war von den Worten zu gelähmt, um etwas zu erwidern. Nie wieder sehen? Hatte er das wirklich gesagt? Im Halbdunkel konnte sie sein Gesicht nur schwer erkennen und doch schien es ihr, als würde sie aufkommende Traurigkeit in seinen roten Augen sehen. Erst in diesem Moment wurde ihr bewusst, worüber sie noch gar nicht nachgedacht hatte: sobald sie ihre Familie gefunden hatte, würde sie sich von den anderen verabschieden müssen. Bei der Vorstellung fuhr ihr ein unangenehmer Schauer durch das Fell. Sie öffnete den Mund um etwas zu sagen, schloss ihn aber wieder, weil ihr nichts einfiel. Riolu blickte auf seine Vorderpfoten, die kraftlos in seinem Schoß lagen. Eine unangenehme Stille entstand zwischen ihnen, in der nur die Atemgeräusche der anderen Gruppenmitglieder die Höhle füllten.
„Wir sehen uns bestimmt wieder”, brachte Yune schließlich leise aber überzeugt hervor. „Wir haben uns doch auch gefunden, da werden wir uns sicherlich wieder finden.”
Der Schakal hob den Kopf und wandte sich ihr zu. Er konnte sie im Zwielicht lächeln sehen, ihre braunen Augen voller Zuversicht. Aber konnte er sich an dieser Vorstellung wirklich festhalten? Für den Moment wollte er das und schob seine aufkommenden Zweifel beiseite. Egal wo sie war, er wusste, dass er sie finden konnte. Er erwiderte ihr Lächeln und sah sie an, bis Yune müde den Kopf auf ihre Vorderpfoten legte.
„Gute Nacht”, sagte Riolu leise und rollte sich neben ihr zusammen.
„Gute … Nacht”, war die kaum hörbare Antwort des Evoli-Mädchens. Sie konnte ihre Augen nicht mehr offen halten und ließ sich vom Schlaf überwältigen.
„Ist hier jemand?”, fragte ich vorsichtig in die allgegenwärtige Stille hinein, doch keine Antwort kam. Kein warmes Leuchten war in der Ferne zu sehen, das mich an Micaiah erinnerte und mir den Weg zurück hätte zeigen können. Ich blickte hinter mich, in der Hoffnung den Wald zu sehen, doch da war nur eine weitere, steile Felswand. Eine Sackgasse? Der einzige Weg war der vor mir — ein schmaler Pfad, der sich in der Schlucht hindurchschlängelte, gesäumt von größeren und kleineren Steinen. Vielleicht sollte ich ihm folgen? Vielleicht brachte er mich irgendwohin? Vielleicht wieder zu dem blühenden Baum?
Ich erhob mich und folgte mit langsamen Schritten dem Weg, der sich endlos vor mir in die Ferne zog. Nach einer Weile begann ich zu laufen, weil ich meine Ungeduld nicht mehr aushielt und mich die Langsamkeit nervös machte. Wo endete dieser Pfad? Ich rannte noch schneller, doch der Weg vor mir hatte kein Ende. Die steinernen Wände der Schlucht schienen näher und näher zu kommen und es wurde immer dunkler um mich herum. Mir taten die Pfoten weh und ich japste nach Luft, als ich langsamer wurde, weil ich nicht mehr laufen konnte. Aber ich ging immer weiter; ich wollte hier weg! Mit jedem weiteren Schritt konnte ich weniger sehen, jegliches Licht begann mehr und mehr zu schwinden. Und dann war es finster.
Verängstigt blieb ich stehen und hörte in der vollständigen Dunkelheit nur noch meinen keuchenden Atem zusammen mit meinem wild klopfendem Herzen. Und was jetzt? Konnte ich hier überhaupt herausfinden?
Auf einmal hörte ich ein leises Weinen. Es schien weit weg zu sein und bevor ich richtig darüber nachdachte, ging ich darauf zu. Ich konnte nicht sagen, wie lang ich diesem traurigen Geräusch folgte. Es tat weh das zu hören und obwohl ich nicht wusste woher es kam, wirkte es seltsam vertraut. Als würde ich wissen, wer da weinte, aber mir fehlte der Name. Schließlich erschien ein helles Licht, das mich blendete und ich musste für einen Moment die Augen schließen. Als ich sie wieder öffnete war alles still. Kein Weinen war mehr zu hören.
Unter meinen Pfoten bedeckte weiches Gras den Boden und vor mir breitete sich eine große, weite Graslandschaft bis zum Horizont aus. Sacht wogen die grünen Halme in einem leichten, warmen Wind, der mir angenehm übers Fell fuhr.
„Mama! Papa!”, rief ich aufgeregt, als ich meine Eltern in einiger Entfernung sitzen sah. Mein Herz tat einen freudigen Sprung — da waren sie ja! Endlich! Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, dass ich sie das letzte Mal gesehen hatte. Sie sahen mich freundlich, aber ungewohnt stumm an und als ich mich ihnen mit schnellen Sprüngen näherte, standen sie auf und gingen weg; bewegten sich von mir fort über die Graslandschaft.
„Mama, Papa! Wartet auf mich!”
Ich versuchte noch schneller zu laufen, kämpfte mir den Weg durch das immer höher werdende Gras, bis mich eine plötzliche Traurigkeit überkam und ich stoppte. Verwundert blickte ich mich um und bemerkte Riolu in meiner Nähe. Er schaute zu Boden und wirkte seltsam zerbrechlich auf mich.
„Riolu?”, fragte ich vorsichtig, doch erhielt keine Antwort. Er hob nur den Kopf und sah mich aus tieftraurigen Augen an. Der Anblick versetzte mir einen Stich ins Herz. Aus seinen roten Iriden sprach ein stummes Leid, ein anhaltender Schmerz und eine tiefe Angst. Voller Unverständnis sah er mich an.
Ich sah kurz zu meinen Eltern, die sich weiterhin langsam von mir entfernten, mehr und mehr schienen ihre Silhouetten hinter den höher werdenden Gräsern zu verschwinden. Mein Blick glitt wieder zu Riolu und es tat weh ihn so traurig zu sehen. Mit jedem Herzschlag der verging, schienen seine Augen immer glasiger zu werden. Ich konnte ihn doch nicht einfach hier lassen! Ich konnte doch nicht jetzt gehen, wenn er so traurig war!
Aber … ich wollte doch nach Hause. Ich wandte den Kopf wieder zu meinen Eltern — ich konnte sie kaum noch sehen, so weit waren sie bereits fort.
„Riolu … ich …”, begann ich, aber war nicht in der Lage den Satz zu beenden. Was wollte ich eigentlich sagen? Er senkte nur den Kopf und ich sah, wie sich das Fell an seiner Schnauze dunkel färbte.
Warum warteten meine Eltern nicht auf mich? Wie konnte ich Riolu trösten?
Was sollte ich tun? Was wollte ich tun?
Mein Herzschlag fing an sich zu erhöhen und in meinen Ohren begann plötzlich ein starker Wind zu pfeifen.
Ich riss die Augen auf und war wach.
✽
Der blutrote Kehlsack dehnte sich aus als dem Giftfrosch ein Quaken entkam. Purpurnes Gift tropfte von den beiden Krallen an seinen Händen auf den Höhlenboden. Die gelben Augen fixierten ihn und das blauhäutige Pokémon zeigte keinerlei Anzeichen von Erschöpfung. Er wusste, dass sein Gegner noch lange würde kämpfen können, denn er war keine Herausforderung für den Giftfrosch. Doch seine eigenen Kräfte waren bereits aufgebraucht. Er japste nach Luft, stand auf zitternden Beinen, von denen er nur wartete, dass sie unter seinem eigenen Gewicht einknickten. Der glatte Boden war feucht vom Schweiß seiner Pfoten und sein Herz flatterte wie ein junges Vogel-Pokémon. Jegliche Gegenwehr war sinnlos — sein Gegner hatte bereits gewonnen als der Kampf begonnen hatte. Wieder quakte der Giftfrosch und ging in die Knie. Ein weiterer Angriff würde folgen und seine Gedanken begannen zu rasen.
Sollte er nach rechts ausweichen? Oder unter ihm hindurch rutschen? Was sollte er tun? Wie sollte er seinen Gegner danach angreifen? Welche Attacke sollte er wählen?
Oder war es das Beste nichts zu tun? Sich freiwillig treffen zu lassen und die Sache so zu beenden?
Das tat der Giftfrosch doch ohnehin schon die ganze Zeit. Jeder seiner Angriffe hatte sein Ziel gefunden, egal wie sehr er versucht hatte auszuweichen. Nie war er schnell genug, das blauhäutige Pokémon war jedes Mal bereit für eine Attacke, für einen Treffer.
Sein Körper konnte nicht mehr und er musste der Versuchung sich hinzulegen widerstehen. Das wäre eine zu offensichtliche Aufgabe gewesen und hätte ihm keine Gnade gebracht. Der Giftfrosch kannte den Ausdruck wahrscheinlich nicht einmal. Aber sich nicht zu bewegen und sich treffen zu lassen, würde ihn vielleicht zufrieden stellen. Er hatte sowieso keine Möglichkeit zu fliehen. Es gab keinen Ausweg. Doch er hatte Angst. Angst vor dem Schmerz, der ihn erwartete. Obwohl er die Pein gewöhnt war und ihr regelmäßig ausgesetzt wurde, hatte er immer Angst.
Der Giftfrosch quakte wieder und war bereit für den Absprung.
Er konnte nicht verhindern, dass man seine Furcht sah. Völlig unterbewusst klemmte er seinen Schweif zwischen die Hinterläufe. Alles in ihm hatte aufgegeben. Er stand nur noch, weil ihn die Angst lähmte und ihn auf seinen zitternden Beinen am selben Fleck verharren ließ.
Das Giftmund-Pokémon sprang mit einem weiteren Quaken ab und stürzte sich auf ihn. Ein Schrei entkam seinem kleinen Maul und er sprintete nach rechts mit ungeahnter Schnelligkeit. Sein ganzer Körper wurde von Adrenalin geflutet und er raste durch die große Höhle. Wo war der Tunnel? Während des Kampfes hatte er die Orientierung verloren, doch schließlich erkannte er die dunkle Öffnung im Gestein. Er hielt darauf zu, bereits vor Erschöpfung keuchend und mit immer stärker schmerzenden Muskeln. Gleich war er da!
„Elender Feigling!”, schrie ihm der Giftfrosch hinterher. „Was für ein Schwächling. Pass auf Kobra, er versucht abzuhauen!”
Erst als der Name fiel, erkannte er seinen Fehler. Zischelnd erhob sich die große Schlange neben dem Tunnel und stürzte sich blitzschnell auf ihn. Er wollte ausweichen, doch rutschte auf dem glatten Boden mit seinen schweißigen Pfoten aus. Die spitzen Zähne der Giftschlange bohrten sich in sein Fell, als sie ihn auf den Boden drückte. Er schrie schmerzerfüllt auf, bevor es um ihn herum schwarz wurde.
„Schwächling”, quakte der Giftfrosch herablassend.