Herzlich willkommen im Votetopic zum 11. Wettbewerb in der Saison '11.
(Information Wettbewerb Nr. 11: Liedtexte)
Mit dem neuen Jahr kamen auch einige Veränderungen. Besonders das Votesystem hat sich gewandelt. So ist es nun nicht mehr möglich nur einen Punkt an einen Text zu vergeben, sondern beliebig viele. Nähere Informationen findet ihr in folgendem Topic:
Regeln, Information und Punkteliste der Saison '11
Wir bitten euch besonders den Punkt "Die Votes" durchzulesen.
Bitte verteilt eure Punkte nicht nur auf einen Text, sondern teilt sie mindestens zwischen drei Texten auf! Außerdem solltet ihr zu jedem Text eine Begründung schreiben die mindestens zwei bis drei Zeilen lang sein sollte!
Votes, die nicht alle verfügbaren Punkte ausnutzen werden als ungültig erklärt
Die Deadline des Votes ist am 02.07.2011 um 23:59 Uhr.
Da wir 7 Abgaben erhalten haben, habt ihr die Möglichkeit 6 Punkte zu verteilen!
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Ruled the World
"Ich hab wieder neue Musik!"
Als Wendy mir von ihrer neuesten Errungenschaft zutuschelte, standen wir in der Schlange im Speisesaal. Sie verpackte ihre Musik wie ein Geheimnis und wählte deswegen auch den für Vertraulichkeiten beliebtesten Ort. Dabei war ihre Kassettensammlung gar kein Geheimnis. Eigentlich wusste jeder davon und es war gar nicht so ungewöhnlich, wenn sie wieder ein neues Kleinod ihrem selbsternannten Schatz hinzufügte.
Verwunderlich war eher der Zeitpunkt: Der letzte Basar war schon ein paar Wochen her und der nächste lag nach weit in der Zukunft. Eigentlich hatte sie keine Möglichkeit, ihre Sammlung auszuweiten und da sie eh schon so geheimnisvoll tat, sprang ich darauf an.
"Woher?" flüsterte ich - darauf bedacht, dass es niemand mitbekam.
"Chris", antwortete sie leise, "Er hat sie mir beim letzten Basar quasi weggeschnappt und dann festgestellt, dass ihm die Richtung nicht liegt. Da hat er sie mir für das blaue Federmäppchen gegeben."
Es war doch nur ein Tausch - ich war erleichtert. "Also dann - heute Abend?" fragte ich sie und sie nickte.
Unsere Abende hatten Tradition. Wendy sammelte sich zwar ihre Kassetten zusammen, ich hatte aber das Abspielgerät zusammengespart. So lagen wir dann auch diesen Abend unter meiner Bettdecke, lauschten beide am gleichen Kopfhörer und hofften, dass uns die Aufseherin nicht erwischte. Da hörte ich dieses Lied zum ersten Mal. Ich weiß noch, dass ich es nicht besonders toll fand. Es war das einzige Lied, was wir von der Kassette hörten: Die Aufseherin erwischte uns, warf einen Blick auf das Band und konfiszierte es. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, uns groß zu tadeln oder Wendy auf ihr Zimmer zu schicken; es war Strafe genug, die Kassette mitzunehmen.
Ich dachte zunächst nicht weiter darüber nach. Mir hatte das Lied nicht gefallen und ich vermutete, dass der Rest der Kassette nicht viel besser sein könnte. Doch die Musik hatte sich irgendwie festgesetzt. Nach einiger Zeit ging mir die Melodie nicht mehr aus dem Kopf und ich musste sie einfach noch einmal hören. Irgendwann habe ich die Kassette dann einfach zurückgeholt - als ich wegen etwas anderes bei dieser Aufseherin war, hab ich sie abgelenkt und das Band eingesteckt. Ich glaube, sie hat es nie bemerkt; es wurde nie wieder darüber gesprochen. Doch auch Wendy konnte ich davon erstmal nichts erzählen und so hörte ich mir die Kassette am Abend alleine an.
Ich behielt Recht: Die anderen Lieder der Kassette sprachen mich nicht wirklich an. Nur diese eine Melodie hörte ich immer wieder, spulte das Band immer sofort wieder zurück und spielte es dann wieder ab.
Irgendwann wollte ich dann auch wissen, wovon darin überhaupt gesungen wurde; bis dahin hatte ich immer nur auf "when I ruled the world" geachtet und hielt das auch für den Namen des Liedes - genau wusste ich das natürlich nicht. Ich fing an, stärker auf den Text zu hören, ihn abzuschreiben und mir zu überlegen, worum es in dem Lied ging. Eigentlich konnte ich Englisch nicht wirklich gut, aber ich hab mich da dann doch durchgebissen.
Es ging um jemanden, der früher mal mächtig war. Ich stellte ihn mir als Zauberer vor, der die Naturgewalten beherrschen konnte - er konnte die Ozeane befehligen; er konnte den Sturm rufen; er konnte über das Schicksal entscheiden. Er hatte viele Kämpfe erfolgreich hinter sich gebracht und jeder, der sich ihm in den Weg stellte, musste ihn fürchten. Es war so, wie er immer und immer wieder wiederholte: Er hat über die Welt regiert.
Mir gefiel diese Idee und ich stellte mir oft vor, wie das wäre, so eine riesige Macht zu haben. Ich stellte es mir toll vor, selbst die Zügel in der Hand zu haben - nie wieder unter der Bettdecke verstecken und hoffen, dass man nicht gefunden wird.
Der Sänger erzählte aber auch von den Schattenseiten der Macht: Immerzu ging es in seinen Fähigkeiten um Zerstörung und immer wieder betonte er, dass die Wahrheit dabei mehr und mehr auf der Strecke blieb. Er war sich sicher, dass man ihn nach seinem Tode nicht in den Himmel hineinlassen würde - dass der Torwächter dort ihn nicht haben wollen würde - nach all den schlimmen Dingen, die er in seinem Leben gemacht hatte.
Das war der Punkt, weswegen ich an der Idee der Macht zu zweifeln begann. Nach allem, was uns über die Hölle erzählt wurde, war mir mein Platz im Himmel sehr wichtig und ich wollte ihn nicht aufs Spiel setzen. Wenn man so eine Macht hat, kann man sie schnell auch falsch einsetzen und sich damit den Platz verspielen. Wenn man so eine Macht nicht hat, kann man nichts verkehrt machen und das schien mir irgendwie sicherer.
Der Erzähler der Liedes hatte aber viel verkehrt gemacht. Die Zeit, als er diese Macht hatte, war vorbei und alles, was er aufgebaut hatte, fiel in sich zusammen. Er war allein und es klang so, als würde er bald vor die Himmelspforte treten, um dort gerichtet zu werden. Viele Menschen waren ihm nach der Zeit seiner Herrschaft sehr böse und wollten ihn tot sehen.
Über diesen Teil habe ich lange nachgedacht. Es ist schon ein Unterschied, ob man sich mit jemandem gestritten hat und ihn eine Zeitlang nicht leiden kann oder ob man diesem Menschen den Tod wünscht - und ihn am besten noch mit dem eigenen Schwert niederstrecken möchte.
Allerdings wurde in diesem Lied nie gesagt, was sich geändert hat - wieso dieser Zauberer auf einmal seine Fähigkeiten verloren hatte. Ich habe das Lied häufiger abgespielt, als es der Kassette gut tun konnte und doch habe ich nie verstanden, warum ihm die Macht auf einmal verschlossen blieb. Ich habe das Lied dafür gehasst, dass es mich erst durch die Melodie gefangen nahm, mich dann in seinen Text hineinzog und mir dann doch einfach diese Antwort vorenthielt.
"Wendy? Heute Abend mal wieder?"
Seitdem ihr die Kassette weggenommen wurde, hatten wir nicht wieder einen unserer traditionellen Abende gemacht und auch wenn Wendy in der Zwischenzeit keine neue Musik bekommen hatte - sie hätte mir davon erzählt - hatte ich mal wieder Lust darauf. Außerdem hatte ich etwas geplant.
"Klingt gut", tuschelte sie zurück - nachdem sie sich vergewissert hatte, dass uns niemand aus der Schlange zuhörte. Damit war das abgesprochen. Ich konnte mich darauf verlassen, dass sie Musik mitbringen würde, die uns beiden gut gefiel. Sie kannte mich gut genug und ich kannte sie gut genug.
Diesen Abend lagen wir wieder gemeinsam unter meiner Bettdecke und horchten beide am gleichen Kopfhörer. Als ein deutliches Klacken das Ende der ersten Kassette besiegelte, griff ich unter die Matratze und holte das in Zeitungspapier eingeschlagene Geschenk heraus.
"Stell' aber keine Fragen", murmelte ich, als ich es ihr übergab. Wendy zog das Papier ab und staunte ein wenig, als die Kassette zum Vorschein kam - aber sie stellte wirklich keine Fragen. Sie erzählte mir nur, dass sie das Band nicht wirklich vermisst und sich deswegen nicht weiter darum bemüht hatte. Ihr gefiel schon das erste Lied nicht und von dem Rest erhoffte sie sich auch keine Besserung mehr.
Ich erzählte ihr nicht, wie besessen ich zwischenzeitlich von exakt diesem Musikstück war und versuchte auch gar nicht, sie auf den Text aufmerksam zu machen - oder mit ihr die Lösung für das Rätsel zu suchen. Der Vollständigkeit halber hörten wir als nächstes diese Kassette durch. Ich widerstand der Versuchung, bei "ruled the world" mitzusingen und stellte nur fest, wie wenig mir das Lied jetzt noch gefiel. Wir machten uns über einige der anderen Lieder lustig, weil wir sie so schlecht fanden.
"Ich kann verstehen, dass Chris sie abgegeben hat", meinte Wendy, als auch diese Kassette ihre zweite Seite beendet hatte.
"Hättest Du mal Dein blaues Federmäppchen behalten", neckte ich sie.
"Von wegen - Hast Du eine Ahnung, wie sehr ich das gehasst habe?", grinste sie zurück.
Dann hörten wir ein Geräusch und waren sofort still. Wir wollten nicht wieder erwischt werden und als wir uns dann sicher waren, dass die Aufseherin außer Gefahrenweite war, ging Wendy auch zurück auf ihr Zimmer.
Ich habe später gesehen, dass die Kassette weiterhin ein Teil von Wendys Sammlung ist. Sie ist da, steht aber bei den anderen Bändern, die sie nie spielt.
Lebe das Leben,
so wie du es begonnen hast
Gold hatte in jeder Ecke geglänzt und Reichtümer hatten sich bis an die Decke gestapelt. Ketten, Ringe und Broschen, übersät mit wertvollen Edelsteinen, lagen die Seide eingehüllt auf eben so kostbaren Tischen. Truhen, bedeckt mit Kristallen, gefüllt mir Silber und Bronze, sowie Schwerter geschmiedet aus wertvollstem Stahl drängten sich in den Straßen der Stadt. Das Alles hatte ihm gehört, ihm allein. Nie hatte er es teilen müssen und nicht ein einziges Mal hatte er etwas angeben müssen – es war sogar immer noch mehr geworden. Und trotzdem war nicht nur er reich, sondern die ganze Stadt.
Die Welt hatte sich ihm unterworfen. Meere hatten sich ihm zu Füßen gelegt und auf einen Wink seines kleinen Fingers, hatte es ganze Städte vernichtet und mit der ganzen Hand jeden Kontinent.
Würfel rollten auf dem staubigen Boden, dem teuren Marmor, den edlen Holztisch, dem sandigen Schlachtfeldern – überall. Sie entscheiden über das Schicksal des Landes, das derjenige angehörte, welche die Würfel warf und der dem ach so grausamen Schicksal jede Entscheidung überließ. Er liebte das Geräusch der Würfel, wenn sie ihre Zahlen zeigten.
Ganze Völker hatte er damit ins Unheil gestürzt und auf sie niederblickt. Hatte es geliebt, wenn sie im Staub vor ihm auf dem Boden krochen und um Vergebung bettelten, ihm alles zu Füßen legten, was sie besaßen und sich sein Reichtum ausbreitete, sein Land mächtiger wurde.
Die Angst in den Augen der Feinde, welche durch das Feuer, das aus verschlingenden Flammen der Zerstörung bestand, angestrahlt wurden… Auch die liebte er und schaute immer in diese hinein und fühlte sich wohl.
Der Krieg war etwas, was sich nicht entbehren ließ, dieses Töten, das Kämpfen und das spüren der Angst, das war es… worum es ging!
Und das Lauschen auf die Gesänge der Stadt, welche all diese Reichtümer und Erfolge sein Eigen nennen konnte. Sie sangen:
„Jetzt ist der alte König tot! Lang lebe der König!“
Ja, er war der neue König gewesen, ihm hatte das Land gehört und jeder hatte ihm zu Füßen gelegen. Aber es hatte ihn auch verändert. Damals war er nicht so gewesen… Nicht so brutal, nicht so skrupellos und auch nicht so besessen von Macht…
Und dennoch, er hatte den Reichtum erkämpft und auch vor ihm hatten fremde Völker im Staub gelegen und ihn angefleht. Er, der König, hatte diese Angst sehen wollen und er war der Mächtigste gewesen. Niemand hatte ihm das Wasser reichen können – niemand.
Jedoch…
Jedoch hatten viele seinen Tod sehen wollen. Vielleicht seinen Kopf, abgeschlagen von den jungen Schultern, gebettet auf einem Tablett aus purem Silber? Ja, genau das. Oh, wie er es gewusst hatte…! Neider, alle…
Doch anstatt den Tod zu wählen, da war er untergetaucht, hatte die Schüssel zu seinem Königreich fallen gelassen – war geflohen. Er hatte einfach nicht sterben wollen.
Und als er nun vor den geschlossenen Toren seiner einstigen Stadt stand, da war ihm klar geworden, dass all seine Macht, all sein Besitzt, aus nichts als Salz und Sand bestanden hatte. Nichts hatte er mehr, so vergänglich war das Schicksal, welches sonst immer zu Gunsten von ihm, hatte sie Würfel fallen lassen.
Und dann hatte er verstanden, als er Gesänge die Luft erfüllen hörte, wie sie sich doch alle danach gesehnt hatte, dass er geht – verschwindet, spurlos am besten…
Hatten sie ihn nicht vor wenigen Monaten noch gelobt, auf Händen getragen und ihm, ihm allein, gehorcht? Ja, das hatten sie…
Und nun hatte er verstanden: Sie hatten ihn belogen, sein ganzes Leben lang, hatten sie ihn belogen. Nie hatte jemand ein ehrlichgemeintes Wort ihm gegenüber, über seine Lippen kommen lassen.
Nun würde er ihnen nicht mehr helfen. Nie würde er mehr zurück gehen und sie in einen siegreichen Krieg führen, nie würde er sich denen wieder annehmen und ihnen helfen, sie mit seiner Macht beschützen.
Glocken erklangen und schallten über die Welt dahin, hinüber über Felder, Dörfer und Meere, Flüsse und Seen sowie Strände und andere Städte. Gesang halte mit dem Klang der Glocken dahin und übertrug die Nachricht von Kriegsgesängen. „Sei mein Spiegel, mein Schwert und Schild.“ Immer laute schien es zu werden – Einbildung? Tag und Nacht, nie schienen sie ein Ende zu nehmen und dann zogen sie fort, hinfort in ein anderes Gebiet, um zu kämpfen und der verschwundene König stand wieder vor den Toren seiner Stadt. Er wollte wissen, was mit ihr geschehen war, denn seit der Gesang verstummt war, und nichts anderes mehr erklungen war – hin geschallt über das ganze Land – wollte er es wissen.
Ein heftiger, wilder Wind hatte die Tore vor ihm aufgerissen und ließ ihn eintreten, hinein in seine einstige Stadt und als er dort allein die Straßen entlangwanderte, über in der Sonne glänzende Scherben, da er kannte er – und wusste nicht warum – dass Sankt Petrus seinen Namen niemals rufen und ihn zu sich nehmen würde.
Trommeln hallten in seinen Ohren und erfüllten die Trümmer der Stadt mit Klang, denn sonst herrschte eine bedrückende Stille über der untergangenen Residenz, welche doch einmal prunkvoll gewesen sein mochte. Menschen starten den jungen König an, welcher nun daher schritt und konnten nicht glauben, was aus ihm geworden war…
Sie konnten die Augen nicht von ihm abwenden und als er beschloss, der Stadt – die unter seiner Herrschaft so aufgeblüht hatte –, nach diesem kümmerlichen, kurzen Blick, den Rücken wieder zudrehen. Er ging die Straße zurück, die er gekommen war, fegte mit seinem langen, im Wind wehenden Umhang, die Menschenmassen hinfort, welche ihm jetzt wieder Respekt zollen wollten. Seine Hilfe wollten, um die Stadt wieder aufzubauen. Sie würden ihn sicherlich wieder belügen und ihm dann wieder nach dem Leben trachten. Er hatte zu seinem alten Ich zurück gefunden und würde nie wieder in den Krieg ziehen…
Doch sein einziger Gedanke, den er fassen konnte, als er die Tore wieder hinter sich ließ, war:
Oh, wer würde jemals König werden wollen?
Von Schmerzes Sturz gefangen
>> Weißt du? Macht verdirbt. Ja, wahrlich, sie wird dich niederzerren, wenn du denkst, ganz oben zu sein. Du denkst, du könntest die Welt beherrschen, doch wenn du dich erst einmal umdrehst, merkst du, wie klein du doch bist und das all die Lügen nur auf dich lauern. Und das war, als ich dachte, weit oben zu sein. <<
Ganz richtig: Dies ist die Geschichte von meiner Wenigkeit. Es ist richtig, wie man sagt. Je höher man steigt, desto tiefer kann man auch fallen. Allen, die diese Zeilen lesen, wünsche ich, so etwas niemals erleben zu müssen. Denn wenn ich heute in den Spiegel schaue, bin ich nur noch eine Fassade meiner selbst. Damals nannte man mich einen „König“ unter den anderen, doch aus irgendeinem Grund weiß ich, dass man meinen Namen nicht mehr rufen wird. Er gehört der Vergessenheit an, ist vergraben im Sand, eingebettet wie ein Toter. Dennoch denke ich oft an die Zeit zurück, in der ich noch den Weg angab; die Spielsteine noch in der Hand hatte und meine Gegner auslachte. Es war damals, als ich noch ganz oben war.
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Ich erinnere mich noch genau an diesen einen Tag. Die Sonne ging in einem strahlenden und gleißendem Licht auf, sodass schon früh am Morgen die durchdringende Wärme mein Herz füllte, mich mit Ehrgeiz übergoss. Alles war in orange Strahlen getaucht, sodass die Stadt, deren hohe graue Bauten in den Himmel ragten, wie ein Tempel aussah, denn es zu regieren galt. Kaum hatte die Hitze den Tag überflutet, war es Zeit. Wie immer packte ich meine Sportsachen ein, mein grünes Team-Shirt, auf dem stolz die eins ragte, meine schwarze Sporthose, sowie meine farblich abgestimmten Treter, mit denen ich heute den Sieg erringen würde. Ein triumphierendes Lächeln überzog mein Gesicht und ich wusste zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass es das Letzte gewesen war, was jemals meine Lippen geziert hatte. Kaum hatte ich mir den Rucksack über die Schultern geschwungen, war ich aus der hölzernen Tür unseres breitflächigen Hauses getreten und hatte mich stolpernd durch den grünen Garten, voll von roten Rosen und herrlich duftenden Kamillen, gekämpft, schwang ich mich auch schon auf mein Fahrrad, welches – wie so vieles von mir auch – grün gefärbt war. Grün, fragt ihr euch? Man sollte es für schwachköpfig halten, aber immer wenn ich die Farbe der Hoffnung mit meinen eigenen zwei Augen erblicken durfte, erfüllte mich dies mit neuem Mut. Neuer Ansporn, der mich weiter dazu antrieb, der Beste zu sein. Der Antrieb an Steilhängen, den Gedanken vor Augen zu haben, die Hoffnung für alle zu sein: Der König der Spiele. Doch genau diese Übermut war an diesem Tag mein Fehler. Kaum erinnere ich mich noch daran. Sehe nur die Straße, dieses grau, den rauen Asphalt. Das Grün der Ampel, dass so plötzlich umsprang. Spürte, wie mein Fahrrad nicht mehr unter Kontrolle war, ich fiel… und erblickte die zwei hellen Scheinwerfer, die wie zwei glühende Augen auf mich herabsehen, dazu bereit sind, mich zu verschlingen. Merkte, wie mich etwas rammt, fühle den Schmerz, den Aufprall und endlich war alles schwarz. Heute weiß ich, dass ich unachtsam war. Zu sehr hatte ich mich in meinem Hochmut gekrallt, sodass ich die Realität glatt an mir vorbeigehen habe lassen. Ich war dumm, ja, das kann man wirklich sagen.
Leider konnte ich nicht wissen, wie lang ich fern von der Welt war. Dieser damalige Unfall war ernst und so auch meine Verletzungen, die mich an das Krankenbett fesselten. In einem künstlichen Koma gefangen dachte ich bestimmt an das Spiel, das mich an diesem Tag erwartet hätte. Stellte mir die Massen vor, die mir zujubeln würden. Mir, der der Größte unter allen war. Man sollte vielleicht nicht denken, dass Basketball einen derart nach oben befördern kann, doch wenn du gut bist, kannst du weit kommen. Kannst sogar der Kapitän werden und jedes Spiel für deine Mannschaft entscheiden. Wirst Berühmtheit und Ansehen ernten, keiner steht dir im Weg. So dachte ich jahrelang, doch nun weiß ich, dass man meinen Namen nicht mehr rufen wird. Ich bin gefallen, die Tore der Zukunft werden vor mir verschlossen, wo ich doch erst deren Schlüssel in der Hand hatte, oder nicht?
So kann man sich irren, glaubt mir. Denn der Tag, an dem ich erwachte, versprach nichts als Einsamkeit von sich. Gefangen in einem engen Zimmer, umgeben von Schläuchen und Geräten, die mein Leben sichern sollten; die Gewissheit, dass niemand neben meinem Bett saß und mich erwartete, strafte mich. Hatte man mich nicht vermisst? Mich, den Kapitän eines so hervorragenden Teams? Meine Entlassung ging schnell, selbst wenn mein Körper noch nicht wieder fit war. Vermutlich wollten sie mich loswerden, doch wieso, wusste ich natürlich nicht. Als ich die Tür nach draußen verließ, kam mir alles so fremd vor. Die Welt, die ich einst mit meiner Berühmtheit zu beherrschen schien, war also weg? Denn das begriff ich, als ich das Datum auf dem Kaufhaus einige Straßen weiter las. Drei Jahre waren vergangen, richtig? Ich konnte es nicht fassen, Verzweiflung nahm mich ein und flutete meinen gesamten Körper. All die Jahre… einfach so vergangen? Ich rannte, selbst wenn ich kaum Kraft hatte, musste ich mich einfach vergewissern, dass das alles nur ein schrecklicher Albtraum war! Ich lief, bis meinte Lungen brannten und ich bereits das Blut auf meiner Zunge schmeckte, da ich meinen schwachen Körper zu sehr forderte. Doch das war mir egal, es war doch alles nur ein Traum, richtig? Schließlich stand ich vor der Halle, die ich mir zum Ziel gesetzt hatte: Das Sportzentrum. Wenn ich Glück hatte, würde ich auch meine Mannschaft finden, wie sie auf mich warteten. Auf mich, ihren Helden. Doch kaum war ich die steilen Treppenstufen heruntergespurtet, schaute durch das milchige Glas der gigantischen blauen Halle und sah diejenigen, die zusammen ein paar Körbe warfen, wusste ich, dass sie mich bereits aus ihrem Gedächtnis radiert hatten. Ja, ich spürte es einfach. Sie sahen alle älter aus, ihre Gesichter strahlten und alle waren stramm durchtrainiert. Das Leben war weitergegangen, auch ohne mich. Tränen stiegen mir in die Augen. Wieso? Wiederspiegelten sie meinte Wut? Meine Trauer? Ich wollte es gar nicht wissen, drehte mich harsch um, doch als ich aufblickte, schaute ich in ein Gesicht, das mir bekannt vorkam. Breite Wangen, die mit reichlichen Sommersprossen übersät waren, wilde blonde Locken und ein Grinsen, was nichts als provozierend war. Es sah jedoch deutlich älter aus, als ich es in Erinnerung hatte.
„So… du bist also endlich aus deinem Prinzessinnenschlaf aufgewacht, Kyo?“, ließ er spöttisch von sich, „keiner hat dich vermisst, denn du hast uns im Stich gelassen. Ein Segen, dass wir keinen Kapitän wie dich mehr haben.“ Rau schubste er mich zu Seite und ich war nicht fähig, mich in irgendeiner Weise zu bewegen. Nur spürte ich die Tränen, die meine Haut hinunter rinnten. „Es tut mir Leid“, wisperte ich in den rauen Wind hinein, auch wenn meine Worte leer und ohne Gefühl waren. Zu voll waren meine Gedanken, als dass ich hätte alles so einfach hinnehmen können. Mein ganzes Leben mit einem Tag zerstört? Das konnte einfach nicht wahr sein!
Und so sitze ich heute hier, gefangen zwischen vier kargen Wänden, mit nichts als einem Bett bestückt. Das Essen kommt früh am Morgen in meine Zelle, damit sie mich nicht erwischen, wenn ich wach bin. Sie wollen keinen Kontakt zu mir. Ich gebe zu, mit der Situation damals kam ich nicht klar, sodass ich, der dachte die Welt für sich allein zu haben, die Kontrolle verlor. Doch meinen ehemaligen Kameraden wollte ich nicht umbringen, dass müsst ihr mir glauben. Nur schmerzte es mich zu sehr, zu sehen, wie mir alle den Rücken zudrehten, ab dem Tag, an dem ich unterging. Keiner hatte jemals ehrlich mit mir gesprochen, als ich noch oben war, das begreife ich jetzt. Diese verlogene Welt hat mich gestürzt und hat mich zu dem gemacht, was ich heute bin. Auch wenn ich es mir nicht erklären kann, man wird mich nie wieder rufen. Nie wieder meinen Namen erfragen. Wahrlich, ich bin eine bereits vergessene Existenz. Der Ruhm hat mich begraben, nicht wahr? Also hocke ich in der Ecke meiner kleinen dunklen Zelle, habe die Arme um meine Knie geschlungen, wiege mich in meinem weißen Totengewand vor und zurück und flüstere leise: „Nie ein ehrliches Wort und das war, als ich die Welt beherrschte.“
Von hier könnte er sich beinahe vorstellen, er säße in einem Theater. Das Umfeld verschwamm dort, er tauchte ein in eine Welt, die ihn für eine Weile geradezu erlöste. Probleme und Lasten entzogen sich an diesem Ort seinem Bewusstsein, und er glaubte jedes Mal aufs Neue, fast körperlich zu spüren, wie der Druck von seinen Schultern glitt wie ein schwerer Mantel. In seinen Ohren meinte er, das tiefe, von Erwartung getränkte Raunen zu hören, das sich durch die Zuschauerreihen schlängelte, sich empor- und herabwand und dessen Ursprung letztendlich nicht mehr festzulegen war. Die Geräusche verschmolzen. Er hatte in diesen Momenten immer das Gefühl gehabt, dieses gespannte Wispern und Murmeln ließe sie alle auf geheimnisvolle Weise Eins werden. In diesen Augenblicken fühlte er sich geborgen, Teil eines Ganzen, einer Gemeinschaft.
Zugehörigkeit – ein Gefühl, das er allzu oft misste. Einmal nicht hervorzustehen. Nicht, dass er seine Privilegien nicht zu schätzen wusste. Es gab essentielle Dinge, die all diese Menschen so manche sorgenvolle Nacht wach gehalten hatten, an die er hingegen bisher nie einen Gedanken hatte verschwenden müssen. Bisher. Er lächelte bitter. Ja. Bisher.
Und diese Szenerie war kein Theater.
So unwirklich ihm seine eigene Situation in manchen Momenten auch erschien, in dieser Wirklichkeit stand sein Leben auf dem Spiel.
Immer wieder wanderte sein Blick fiebrig über den großen Marktplatz, den er von seiner Position aus durch einen horizontalen, daumenbreiten Spalt einzusehen vermochte. Wie als könnte er sich dadurch an der Realität, seinem Verstand festhaken, waren seine Hände fest gegen das alte Holz der Tür gepresst, vor der er nunmehr seit Stunden ausharrte. Ein Fels, den er in der Brandung seiner Furcht umklammert hielt, um nicht von der kohleschwarzen Strömung mitgerissen zu werden, hinein in das gierige Haifischmaul des Wahnsinns. Hart und rau, trocken, doch kühl fühlte sich das Material auf seiner Haut an. Mehrere Splitter hatten sich bereits in sein Fleisch gebohrt, aber es kümmerte ihn nicht, gab ihm der oberflächliche, beständige Schmerz doch noch zusätzlichen Halt in der Wirrnis seines Innersten.
Sie alle da draußen riefen seinen Namen. Auf grausige Art erinnerte ihn dieses Bild an die Tage, an denen er jeden einen Narren geheißen hätte, der ihm hätte erzählen wollen, wie drastisch sich sein Leben ins Gegenteil verkehren könnte – würde.
Einst hatten sie ihn bejubelt. Welch ein Fest war seine Krönung gewesen. Die Menschen hatten gelacht, getanzt, Lieder waren erklungen und gen Himmel gestiegen wie Schwärme bunter, flatternder Vögel. Wie zarte Blütenblätter hatte der warme Frühlingswind sie an seine Wangen getragen, sie gestreichelt und vor Freude und Aufregung rot glühen lassen. Beliebt war er beim Volk gewesen. Große Hoffnungen hatten sie in ihn gesetzt, waren so voller Zuversicht gewesen. Und er hatte sich auf dieser Woge tragen lassen. Lang lebe der König! Die Rufe erschienen ihm wie flüssiges Gold aus den Mündern der Menschen geflossen zu sein. Er wusste noch, wie er Aurora zugelächelt hatte, wie die Sonnenstrahlen sich auf ihren rotbraunen, hüftlangen Haaren gebrochen hatten und er sich wie so oft in ihren leuchtenden Augen verloren hatte. So grün wie der Wald nach einem warmen Sommerregen. In all den Stunden, in denen er gezweifelt hatte, sich sicher war, dieser Aufgabe nicht gewachsen zu sein, hatte sie ihn wieder aufgefangen. „Du wirst dein Volk stolz machen“, hatte sie ihm dann jedes Mal sanft zugeflüstert und ihm zärtlich die blonden Strähnen aus dem Gesicht gestrichen.
Für einen Augenblick verschleierten leise Tränen ihm die Sicht, doch er bemühte sich, sie eilig fortzublinzeln.
Sie hatte an ihn geglaubt, doch er hatte versagt.
Viel zu schnell hatte ihn die Realität wieder eingeholt, das strahlende Meerblau seiner Augen gestohlen und sie in trübe, leere Tümpel verwandelt, die jeden Glanz verloren hatten.
Ja, er war jung gewesen.
Jung.
Unerfahren.
Und machtlos.
Für einige Zeit wurde ihm tatsächlich das Gefühl gegeben, etwas ausrichten zu können, Bedeutung und Einfluss zu haben. Er selbst kämpfte anfangs oft gegen verfeindete Völker an direkter Front, wurde dafür auch von seinem Volk geschätzt, fühlte sich stark, unbeugsam. Berater ließen ihn in Anerkennung und Respekt baden, schenkten ihm eine Kostprobe von Ruhm und Zuspruch.
Leere Worte.
Hüllen mit Buchstaben gefüllt und ausgespuckt aus gierenden Mäulern.
Intrigen.
Drahtzieher im Hintergrund.
Debatten, die ins Nichts führten.
Ausgeführte Befehle, die er so nie gegeben hatte.
Worte, die ihm im Mund umgedreht wurden.
Halbwahre Berichte – und solche, die nie seine Ohren erreichten.
Bald war er nicht mehr als ein Spielball von Mächten, die für ihn in einem unergründlichen Kaleidoskop aus Gesichtern, Worten, Farben, Orten und Geschichten zusammenliefen. Zerflossen kunterbunt und laut und doch flüchtig.
Entzogen sich seinem Griff, einem Griff, den er nie gehabt hatte.
Wie unsicher doch die Grundfesten waren, auf denen er seine Herrschaft geglaubt hatte erbaut zu haben. Unter ihm brachen sie weg, als wären sie nichts als Sand und Salz. Schall und Rauch.
Körperlose Stimmen, die abebbten, wann immer er sich näherte.
Fratzen, die dürstend lächelten und ihn bis in die Albträume frostklirrender und hitzeflirrender Nächte verfolgten.
Kalte, nimmersatte Masken.
Die Kontrolle rann ihm wie heißer, trockener Sand durch die Finger.
Und das Blut tropfte gegen die steinernen Gemäuer seines Schlosses, rann an den Festen seiner Herrschaft hinab und verkrustete die Herzen der Menschen schwarz wie Ruß.
Dann geschah, was sein Innerstes zu einem Klumpen aus dunklem Eis zusammenfror und seine Gefühle stocken ließ wie geronnene Milch.
Der Anblick von Aurora, wie sie so leblos und blass vor ihm auf einer weißen Bahre lag, so kalt, als wäre sie auf frisch gefallenem Schnee gebettet, eingeschlafen in einer für immer stummen, ewigen Winternacht.
In diesem Moment schlug die Einsamkeit über ihm in Wogen aus Wut und Verzweiflung zusammen, schnürte ihm die Luft ab und drückte ihn zu Boden.
Die Revolutionäre. Das war die Antwort, die er auf seine lautlose Frage erhielt. Heute war er sich nicht mehr sicher, ob dies tatsächlich der Wahrheit entsprach oder nur ein weiterer, geschickter, perfider Schachzug gewesen war.
Vermutlich.
Sie wussten, an welchen Fäden sie ziehen mussten, um die Marionette, zu der er geworden war, nach ihrem Gutdünken bewegen zu können, das war ihm inzwischen schmerzlich bewusst.
Beherrscht von dem Zorn, der in seinen Ohren rauschte, und dem Inferno in seiner Brust, geblendet von loderndem, überbrodelndem, zischendem Hass hatte er die Hölle, die sein Inneres gefangen hielt, nach außen getragen – und war als Racheengel über sein eigenes Volk gekommen.
Zu diesem Zeitpunkt war die Revolution bereits im Gange. Durch das rücksichtslose Vorgehen gegen Ausschreitende, das er nun tatsächlich persönlich vertrat, fachte er die Aufstände und Gegenwehr des Volkes nur noch stärker an. Eisern und erbarmungslos ließ er die Reihen Aufständischer, denen es gelungen war, Teile seines Schlosses in Beschlag zu nehmen, ja zu infiltrieren, heraustreiben und niederschlagen. Jemand sollte büßen für das, was ihm genommen worden war.
Eine Schneise der Zerstörung, die ihn seltsam kalt ließ.
Sein Land, sein Volk, all das war ihm fremd geworden. Er genoss den Klang der Glocken, die er läuten ließ als Sinnbild der gerechten Strafe, die seine Waffen eintreiben sollten, von Trommeln und Reiterchören, wenn sie als seine Ausgesandte eine Schlacht schlugen, die auf eine Art und Weise seine war – und auf eine andere doch längst aufgehört hatte, seine zu sein. Den Bezug hatte er verloren. Mittlerweile wusste er, dass er all den Machthungrigen im Schloss nur in die Hände gespielt hatte. Scheinheilig hatten sie sich von ihm distanziert, jederzeit fähig und bereit, dem Volk seinen Kopf auf einem Silbertablett zu servieren – und er stand offiziell zwischen zwei Fronten. Bis auf wenige enge Vertraute – die Bezeichnung Freunde wagte er nicht in den Mund zu legen, zu groß war dieses Wort am intrigendurchzogenen Hof eines Königs –, in deren Häusern er notgedrungen Unterschlupf fand, war er allein. Einsam.
Oh, wer würde jemals König werden wollen?
Je höher du warst, desto tiefer stürzt du hinab.
Und irgendwann schwindet auch die Hoffnung, der Tod könne dir Erlösung bringen.
Wie könnte er noch erwarten, Einlass in den Himmel gewährt zu bekommen?
Petrus würde ihn nicht rufen.
Das wusste er.
Wusste es mit einer solch unerschütterlichen, durchdringenden Sicherheit, dass er keinen Augenblick lang Zweifel daran hegte.
Oder sich gar der köstlichen, wohltuenden Süße der Hoffnung hingab.
Auf seiner Stirn standen Schweißperlen, seine Haare waren feucht und klebten ihm auf der glühenden Haut. Nichtsdestotrotz zitterte er von Schüttelfrost gepackt. Inzwischen waren seine Hände längst taub und ein unangenehmes Kribbeln wie von Myriaden trippelnder Ameisen hatte sich bereits bis über seine Arme ausgebreitet, doch er ließ nicht ab. Nur wie durch einen dichten, wabernden Schleier nahm er noch den Tumult draußen war, Rufe und Schreie, das Klirren von Schwertern und Poltern von Schritten. Ein blutbesudelter Flickenteppich der Gewalt.
Einer, der nichts ändern würde.
Heute noch hatten sie vor, die Stadt zu verlassen, zu fliehen.
Er hatte das nicht gewollt.
Als eine rote Perle auf seiner Hand zersprang, spürte er erst, dass er seine Lippen zerbissen hatte. Das Rot zerstob in mehrere filigrane Bahnen über seine fahle Haut hinweg. Irgendwo, ganz dumpf, spürte er den ziehenden Schmerz.
Bedeutungslos.
Die Sehnsucht, die sein Herz zerfressen und ihn leer gesogen hatte, war alles, was ihm noch geblieben war.
Es war vorbei.
Er fror.
Sie
Die Sonne schien.
Kinder lachten und trollten mit ihren Pokémon herum.
Dusselgurre zanken um Brotkrümmeln.
Aber nicht jeder war wirklich fröhlich zumute.
N stand steinigen Hügel, den man nicht sofort erkennen kann.
Er musste nochmals nachdenken, was in der letzte Zeit geschehen ist.
Diese kurze Zeit hatte sein bisheriges Leben verändert.
Durcheinander gebracht.
Und nur wegen sie.
Von kleinauf wurde ihm beigebracht, dass alles was er wollte war wird.
Als man ihm zeigte, was manche Menschen mit den Pokémon antun, war es ihm klar, dass er dagegen kämpfen wird.
Er schickte Leute aus, die ihn dabei helfen sollten.
Viele Trainer, die mit ihm oder mit den anderen kämpften, verloren den Kampf und ihre Pokémon.
Dann kam sie.
Ein einfaches Mädchen aus Aventia.
Sie war die einzige Trainerin, die er nie besiegen konnte.
Schon beim ersten Treffen merkte er, dass sie anders war als alle andere Trainer, die er bisher darf.
Ihre Pokémon mochten sie wirklich.
Auch wenn N alles hatte, was man wünschen könnte, bemerkte er, dass sein Schloss bröckelte, als ob es nur eine Sandburg wäre, auch wenn sein richtiges Schloss stehen blieb.
Ihm wurde es langsam immer klarer, dass alles, was davor immer hörte, nur eine Lüge handelt, auch wenn er es nicht wahr haben wollte.
Er suchte mit ihr das Gespräch.
Aber nicht immer endete es so, wie er es gewünscht hätte.
Erst nach dem letzten Kampf gegen ihr, konnte er es nicht mehr leugnen.
N hat von ihr verabschiedet, da er es langsam verstehen will, was jetzt richtig ist und was nicht.
Er versucht zu begreifen, was wirklich Schwarz oder Weiß ist und warum in dieser Epoche zwei Helden gibt.
Aber ihm wurde es klar, dass die Polizei nach ihm sucht, nur weil er eben der König von Team Plasma war.
Auch wenn er das Opfer der Lügen war, jedoch kann nur eine ihn verstehen: Sie.
Sie war sein Spiegel, Schwert und Schielt.
Ohne ihr ging gar nichts mehr, aber auch nicht mit ihr.
Danach riefe er nach Reshiram und flog auf es weg von der Einall Region.
Ich weiss noch, wie sie alle mich verehrten. „Hoch lebe der König!“, riefen sie laut und meinten damit mich, ihren wahren Herrscher. Doch ich ahnte nicht, dass ihre Worte von Lügen genährt waren.
Damals war ich der König gewesen, der König der Welt, wie mir schien. Doch ich erkannte nicht, dass meine Untertanen, welche mich eigentlich hätten verehren sollen, sich gegen mich auflehnten. Sie logen mich an mit ihren hinterlistigen Worten, meine eigenen Leute, mein eigenes Volk. Durch sie allein war ich grössenwahnsinnig geworden, nur sie waren es, welche mich erst zu meinen Taten trieben. Denn die tiefe Befriedigung, wenn ich sie mich lobpreisen hörten, machte mich süchtig und ich wollte mehr, immer und immer mehr. Mich dürstete es nach der unendlichen Macht, welche niemand erreichen konnte, jedoch war mir das egal. Ich strebte nach unmöglichen Zielen, war süchtig nach Ruhm und Ehre. Geliebt wollte ich werden von meinen Untertanen, denn ich hielt mich für etwas Besseres als sie.
Ich liess Türme erbauen, wofür die Bewohner der Gebiete, deren Herrscher ich war, hart schuften mussten zu geringem Lohn. Die Anzahl der Kranken und Schwachen stieg, das Essen wurde weniger und trotzdem verlangte ich von den Menschen, immer mehr und mehr für mich zu arbeiten. Ich war der Meinung, dass meine Untertanen nichts benötigten, denn schliesslich sollte es eine Ehre für sie sein, wenn sie mir einen solchen Dienst erweisen konnten. Und so befahl ich ihnen weiter, Häuser zu bauen, Städte zu gründen, ihre eigene Welt von Grund auf nach meinen Vorstellungen zu gestalten. Ich gab die Anweisungen und sie befolgten sie ohne viel zu klagen. Immer und immer wieder versicherten mir meine Berater, wie wundervoll die Welt werden würde und manipulierten so meine Gedanken. Somit erkannte ich auch nicht die Verlogenheit in den Worten und Jubelrufen meines Volkes, als sie meinen Namen ausriefen und mich hochpriesen. Ich erkannte nicht die List in ihren Augen, als sie zu mir hochblickten, während sie weiter schrien, wie grossartig ich war. Niemals wäre ich auf die Idee gekommen, dass sie insgeheim bereits ein Attentat auf mich planten.
Es war ein Tag gewesen wie jeder andere, als ich dort sass auf meinem Thron, die mit Brillanten besetzte Krone auf meinem Haupte und mit geschwellter Brust auf mein Volk blickend. Wie immer gab ich ihnen die Anweisungen, welche sie brauchten, um erneut einen gigantischen Turm für mich zu bauen. Ich erklärte ihnen meine Vorstellungen und auch was geschehen würde, wenn sie meinen Aufforderungen nicht Folge leisten würden. Und wieder flüsterte mein Berater in mein Ohr, dass es richtig war, was ich da tat. Ich drohte meinen Untertanen mit dem blutigen Tod, wenn der Turm nicht in meiner vorgegebenen Zeitspanne vollendet sein würde. Und so verkrochen sie sich alle wieder und ich spürte ihre Ehrfurcht vor mir, ihrem Herrscher, ihrem Gebieter. Ein grauenvolles Lachen entsprang der Kehle meines Beraters und ich konnte nicht anders, als mit ihm mitzulachen.
Ich hätte nicht ahnen können, dass er mich nur auf das Volk angesetzt hatte, weil sie ihm Unrecht getan hatten. Er war ebenfalls ein Anwärter auf den Posten des Königs gewesen, doch hatten sie sich schlussendlich für mich entschieden. Die Wahl war nur zustande gekommen, weil der alte König keinen möglichen Thronfolger gehabt hatte, und so hatte das Volk entschieden. Schlussendlich konnte dann ich mich auf den Platz des Königs befördern, und er war als Zweitplatzierter auf dem Rang des königlichen Beraters gelandet. Nun dürstete es ihn nach Rache am Volk, welches sich nicht für ihn entschieden hatte, und so wollte er die Macht selbst erreichen, indem er meine Untertanen gegen mich aufhetzte. Er redete mir ins Ohr, wie ich zu reagieren hatte, und durch die jubelnde Reaktion der Menschen meines Landes wurde ich nur noch angespornt, ihm weiterhin Folge zu leisten. Ich war so naiv und dumm, dass ich ihm tatsächlich blind vertraut hatte, und nun hatte er es tatsächlich geschafft, mich für immer vom Thron zu stossen.
Mein Volk hatte mich gehasst, noch mehr gefürchtet als die Pest. Monatelang hatten sie den Anschlag auf mein Leben geplant gehabt und der Plan war beinahe perfekt gewesen. Ich hätte nicht auf meinen Berater hören sollen, wie er mich auf sie aufgehetzt hatte wie eine Horde wilder Hunde. Doch war es meine Schuld gewesen, obwohl ich doch nichts dafür konnte. Meine Untertanen hatten ein Attentat auf mich verübt und mich mit einem Messer durchbohrt, während zwei kräftige Männer von ihnen mich festhielten. Ich erinnere mich noch an den Schmerz, den ich verspürte, als mein Herz von der schimmernden Klinge in zwei Teile geteilt wurde. Ich erinnere mich an das Blut, welches meinen Körper hinunterrann und auf den Boden tropfte. Rot war die einzige Farbe, welche ich noch wahrnehmen konnte in der Stunde, als ich starb. Der Tod hatte mich in seine Arme geschlossen, fest umarmt und meinen Körper nicht wieder losgelassen. Er zog mich hinab in die ewige Dunkelheit, wo ich selbst meiner menschlichen Hülle entfloh und wieder zurück auf die Welt reiste.
Nun war ich nichts weiter als ein Geist, eine einsame Seele, welche in der von ihr selbst geschaffenen Welt ihre Ruhe zu finden versuchte. Durch die Strassen, deren Bau ich selbst angeordnet hatte, schwebte ich wie ein sanfter Wind durch die Haare einer jungen Frau. Ich betrachtete alles, was ich dort angeordnet hatte, die hohen Türme, die vielen Gebäude, die gesamte Stadt. Und bei diesem Anblick konnte ich verstehen, weshalb mein Volk mir das Leben als Mensch geraubt hatte. Ich war nur noch ein Geist, eine Ansammlung aus Luft, keine ernstzunehmende Lebensform, doch hatte ich noch Gefühle. Und als ich all die Trauer in der Gegend sah, welche von einer wundervollen, ländlichen Gegend zu einer einzigen, von Gift verseuchten Grossstadt geworden war, da schüttelte es mich vor Reue.
Und ich hoffte nur, dass irgendwann ein Mensch kommen würde, der diesem armen Volk seinen Lebenssinn wieder zurückgab. Ich glaubte daran.
Marmor in der groß angelegten Palasthalle, Blumen in allen Farben, die vorstellbar waren, Teppiche, gemacht von demütigen Frauen, die es sich wünschten, ihre Werke in meinem Palast auszustellen.
Oder doch eine Halle der Qualen für jene, die ihn gebaut hatten, und die letztlich nur eine große Verschwendung an Materialien war? Eingefärbte Stofffetzen, die mir zeigen sollten, wie wunderschön das Leben in meinem Land war, aber nur aus zerbrochenen Träumen bestanden, einparfümiert und bemalt, sodass sie das Trugbild einer Blume darstellten? Handgewebte Mörder, die mein Volk dazu zwangen, sich ihnen zu widmen, in kleinen, stickigen Hallen des Verderbens?
Sicher, im Endeffekt ist man immer schlauer, dennoch ist meine Unwissenheit das Ende meiner Herrschaft, meine Naivität der Grund für all das Elend, und meine Schamlosigkeit der Anfang vom Ende gewesen.
Ich wollte nie Herrscher dieser gottverlassenen Gegend sein. Ich wollte nie für die Menschen sorgen, die ihr Leben lang nichts besseres taten, als sich über jede Kleinigkeit zu beschweren. Ich wollte nie verantwortlich sein, für das, was mit diesem Land passierte. Und doch nahm ich mein Schicksal an, ohne wenn und aber, ohne den großen Protest hervorzubringen, der in mir brüllte und um Hilfe rief. Ich konnte es nicht. Nicht, nachdem ich das undankbare Volk gesehen hatte, wie es jubelte und feierte, nachdem der Tod des letzten Thronfolgers verkündet wurde. Immer hatte ich mir gewünscht, dass diese Situation eintraf, immer hatte ich mir gesagt, dass ich es besser machen würde.
Und immer hatte ich falsch gelegen.
Als es dann so weit war, als ich die Krone auf meinem Haupt trug und mit gütigem Lächeln auf dem Balkon stand, umringt von all den Beratern, die mir den Zweifel-und wichtiger, den Verstand- ausgeredet hatten, da fühlte ich, wie alles seinen Lauf nahm. Ich spürte, wie Fortuna die gezinkten Würfel hervorholte.
Und meine Enttäuschung über diese Erkenntnis, sie blieb aus. Schließlich kümmerte ich mich ab diesem Moment um das Land, mit all meinen Visionen von der utopischen Zukunft, die sich alle ersehnten.
Schließlich war ich es, der die Fäden nun zog. Und mit diesem Bewusstsein wuchs meine Unbeschwertheit, obwohl ich doch eigentlich hätte Verantwortung auf meinen Schultern spüren müssen. Nein, diese Verantwortung übernahmen die werten Herren Berater, die mir die neuen Gesetze vorlasen, die ich zu verabschieden hatte. Und wie die Schlange im Garten Eben, so verführten sie mich mit der Lüge, denn sie lasen, was mir gefiel, und nicht das, was auf dem Pergament stand. Und ehe ich mich versah, wurde die Ernte knapp, die außenpolitischen Angelegenheiten heizten sich auf, das Volk litt. Und trotzdem, ich glaubte noch immer an meinen Wunschtraum, redete mir ein, dass es nur eine temporäre Veränderung zugunsten der wundervollen Zukunft war.
Und wieder hatte ich falsch gelegen.
Nach und nach bildeten sich Gruppen, die lauthals ihre Meinung herausschrien. Sie verkündeten, was jeder im Land dachte, bis auf mich, der dumme König, dessen Lebensfaden schon durchschnitten war, lange bevor ich für vogelfrei erklärt wurde. Sie forderten meinen Tot, und in dem Glauben, ich könnte das Problem im Keim ersticken, ließ ich diese Revolutionäre, diese „Rufmörder“, wie ich sie damals nannte, jagen und töten. Doch ich fachte das Feuer nur noch mehr an. Man nannte mich beim Namen des Vorgängers, und plötzlich wurde mir bewusst, wie schrecklich dieser Herrscher doch war. Und gleichzeitig, wie schrecklich ich doch war.
Ich sah alle meine Fehler ein, entließ die hinterlistigen, nach Macht strebenden Minister, verkaufte Geschenke aus meinen Palast, flehte die Masse um Gnade an.
Und tatsächlich beruhigte das Volk sich für eine Weile. Und diese Weile genoss ich von ganzem Herzen, vergas die guten Vorsätze im Glauben, dass die alten Wunden verheilt wären. Denn die Staatsführung wuchs mir schlichtweg über den Kopf. Ich traute den Ministern nicht, die sich vorstellten, um mir mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, hatte ich wegen ihnen doch schon einmal beinahe mein Leben verloren. Ich traute weder ihnen, noch den Wachen. Auch sie entließ ich, zog mich zurück in den dunklen, stickigen Kammern, kümmerte mich nicht mehr um die Finanzen und die angespannte Lage da draußen. Ich wusste, dass, egal wie ich mich entscheiden würde, mein Leben zu Ende war. Kümmerte ich mich weiter um das Land, dass ich zu verachten gelernt hatte, würde meine Seele in sich zusammenfallen wie das Haus gebaut auf Sand, doch wenn ich weiterhin nicht auf die wütenden Rufe vor meinem Fenster achtete, würden sie kommen und mich holen.
Und zum ersten Mal hatte ich Recht.
Zu Beginn machte mich die Situation halb verrückt. Die Stimmen in meinem Kopf mahnten mich, zu fliehen, so lange es noch möglich war. Doch mein Verstand, der zwar leicht angeschlagen, aber so scharf war wie nie zuvor, bedeutete mir, zu bleiben und die Strafe, die ich mit all meinen Missetaten begangen hatte, anzunehmen wie ein Mann, wie das, was ich sein wollte. Es war nicht einfach, die Tage bis zum drohenden Aufstand abzuwarten, doch mit der Zeit kam die Ruhe und die Vernunft eines echten Königs, eines Mannes, der ich nie war und der ich niemals sein würde.
Wenn ich zurückdenke, dann könnte ich die Schuld auf jeden abwerfen. Gott, das undankbare Volk, meine Minister, vielleicht auch meine Familie, die mich immerhin dazugebracht hatte, den Wahl als Anwärters des Königs anzunehmen. Aber niemand konnte mir meine Sünden abnehmen, weder die unsagbare Dummheit, noch die tödliche Arroganz waren das Werk der Objekt meines Hasses.
Eingesperrt in dem riesigen Hospiz, nur darauf wartend, dass irgendwann einmal der Tag kam, an denen sie mich, genauso wie meinen Vorgänger umbrachten. Oder doch ausgesperrt, ausgesperrt aus der Welt, die ich einst geglaubt hatte zu besitzen, und all ihren nicht existierenden Schönheiten? Der Lebenslust, die schon lange verblasst war? Was gab es für mich alten Mann schon da draußen, was ich in diesem Schloss nicht hatte? Den schnelleren Tod, zu dieser Antwort kam ich. Er war unvermeidbar, und ich dachte, ich hätte mich damit abgefunden, doch schon bald merkte ich, dass ich es nicht einmal mehr wagte, andere Räume als meine Gemächer und die Küche zu betreten, die noch randvoll mit nicht verwesenden Nahrungsmittel gestopft war.
Und heute, heute war es so weit. Ich spürte es in der Luft, der Wind flüsterte mir mein Todesurteil zu, die aufgebrachten Stimmen meiner Untertanen, den höhnischen Klang von Hörner vor dem Palast, das Lachen der Dämonen in meinem Inneren.
Und ich hatte zum letzten Mal Recht.
Viel Spaß beim Voten und danke an alle Teilnehmer. =)