Wie beschreibt man? (+ Kampfszene)

Ablenkung. Genau, sie benötigte Ablenkung. Die Ruhe war doch das reinste Gift. Irgendwer sollte durch diese Tür kommen und mit ihr über Arceus und die Welt sprechen. Weshalb nicht einen Blick in das Schmuckkästchen riskieren? Später konnte sie um seiner Willen immer noch die Überraschte spielen, die niemals mit einer Kette oder einem Ring gerechnet hätte. Zuerst öffnete sie es nur einen Spalt, spähte hinein und erkannte wie erwartet etwas Glänzendes. Eine wunderschöne Halskette mit einer wenigen Zentimeter großen Feder aus echtem Silber. Damit hätte sie ebenfalls rechnen können. Bewundernd strich sie über die glatte Oberfläche des Schmucks. Dann erstarrte sie, bemerkte, dass sie die Rückseite des Anhängers gesehen hatte. Die Front glänzte in den schönsten Farben und Konturen, die künstlerisch die einzelnen Verästelungen der Feder darstellten – in Washakwils schönsten Farben.
Der Druck hinter den Augen, der aufkam, bevor sie in Tränen ausbrach, verstärkte sich, ließ sie ihre Brille abnehmen und mit dem Handrücken über ihr Gesicht wischen. Warum glaubte bloß jeder, dass man das Monster nicht in den Käfig mit den sieben Siegeln sperren dürfte? Das Schloss benötigte keinen Schlüssel, um es freizulassen. Sie brauchte kein Erinnerungsstück, das sie selbst im Alltag nicht vergessen ließ, während er ständig das Tauboss seines verstorbenen Vaters mit sich trug.

Plötzlich kamen einzelne Bilder auf. Bitte nicht. Warum kam niemand, um die Stille zu durchbrechen und ihre pochenden Gedanken stillzulegen?
Hayato, Sinan und sie verfolgten eine schemenhafte Silhouette, umgeben vom nebeligen Nachthimmel, der die Landschaft in eine gespenstige Atmosphäre hüllte und alle Farben um etliche Nuancen dunkler darstellte. Sie konnte sich noch an das Gefühl erinnern mit einem Megatauboss und Uhafnir an ihrer Seite, ihrerseits selbst auf einem imposanten Adler sitzend, unbesiegbar zu sein. Ein kompetenter Flugarenaleiter, dessen talentierter Schützling und eine Sportfliegerin: über den Wolken unbezwingbar. Es war nicht bloß ihre eigene; es war ihre aller Arroganz gewesen, die drei sonst doch eigentlich intelligente, junge Erwachsene derart einfach in einen Hinterhalt lockte. Danach war es bereits zu spät gewesen, um den Fehler zu korrigieren.
Trugbilder ließen sie ein falsches Ziel angreifen und aus dem Nebel schoss etwas hervor, das beinahe wie ein überdimensionaler Pfeil aussah, woraufhin sie zu spät reagierten. Er war auf Uhafnir und Sinan ausgerichtet. Uhafnir spie einen Feuerstrahl aus. Hell und gleißend. Doch ihr Konkurrent war blitzschnell. Hayato und Tauboss wollten dem Geschehen ein Ende bereiten, da drohte Sinan abstürzen. Sinan krallte sich verzweifelt in den Sattel des Pokemon, konnte nicht fliegen, fiel ihr schlagartig ein. Er besaß erst einige Wochen Übung. Pokemon und Trainer waren mitgerissen worden, wehrten sich gegen ihr Schicksal und wurden doch in die Tiefe gezerrt.
Auf Befehl hin nahm Tauboss eine Sturzflughaltung ein.
„Eine Falle!“, schrie Jennifer und gab ihm stoppende Handzeichen. Siehst du das nicht? Oh doch, er musste es begreifen. In diesem Moment war ihr jeder rationale Gedanke verloren gegangen, sodass sie…
Was war ihr dabei eingefallen? Solch eine dumme Kurzschlusshandlung. Sie hatte gewusst, dass Hayato um alles auf dieser Welt einen erneuten Versuch starten würde. Fahrig glitt ihre Hand durchs Haar und sie sah sich verloren in ihrem Zimmer um, welches ihr größer und gleichzeitig leerer als zuvor erschien.
… sodass sie ihrem Adler befahl Hayato anzurempeln, stark genug, damit Tauboss aus dem Gleichgewicht geriet und nicht zum Sturzflug ansetzen konnte. Sein Vogel kreischte und die Stimme ihres Freundes drang, durch das Visier beschlagen, an ihr Ohr. „Spinnst du?“ Aufbrausend. Panisch. Der Wind vertrug seine Worte. Dann entschied sie zu handeln, …
In diesem Moment war sie, das egoistische Mähikel, gedanklich keine Sekunde bei Sinans Wohl und dachte nicht daran, dass sie mit ihrer achtlosen Tat womöglich einen guten Freund am Gewissen hatte. Was war geschehen? Fassungslos schlug sie die Hand vor den Mund und fürchtete jeden weiteren Erinnerungsfetzen.
… handelte allerdings nicht um Sinans Willen. „Komm mir ja nicht nach!“, schrie sie aus Leibeskräften, soweit es die dünne Luft zuließ.
Das alles ging so schnell. Für einen Moment war sie ihm nahe genug, um ihn nochmals mit der Schulter wegzustoßen. Jennifer dachte nicht, handelte und ließ auf ihren Freund einen zielgerichteten Klingensturm los, der nur die Flucht nach oben zuließ, sofern er ihn nicht zurückwarf. Berechnend wusste sie, dass das nicht geschehen würde.
Zwei, drei Sekunden waren bereits vergangen. Mehr durften es nicht sein. Eile! Entschlossen riss sie Washakwils Zügel herum und ließ den Adler kopfüber mit eng angelegten Flügeln in den Abgrund stürzen – und der treue Vogel leistete nicht einen Augenaufschlag lang Widerstand. Der Gegenwind schnalzte wie eine Dornenpeitsche gegen ihren Helm und gegen ihren Brustkorb. Sie konnte sich an die Übelkeit erinnern und das imaginäre Gewicht, das ihre Schultern niederdrückte: das Gefühl vorneüber zu fallen, obwohl sie an ihrem Pokemon festgeschnallt war. Das Rauschen in ihrem Kopf, eine pochende Migräne, wie sie es nicht kannte, und die schwarzen Flecken vor Augen konnten mit nichts verglichen werden.
Der Untergrund schien zu beben. In Physik war sie nie gut gewesen, doch sie hatte eine High School besucht und war Sportlerin: natürlich waren ihr G-Kräfte bekannt; erfuhr sie jeden Tag sogar am eigenen Leib nur zu gut. Ihre Mannschaft durfte ihre Körper in den Schwerkraftsimulatoren, die einst für Kampfjetpiloten errichtet worden waren, auf riskante Manöver vorbereiten. Derart erschüttert hatte sie diese Gewalt jedoch noch nie. Ihre Anzüge sorgten bis zu einem gewissen Grad für einen Druckausgleich und boten circa zwei Minuten Notsauerstoff. Allerdings waren sie um einiges leichter als solche, die Piloten trugen und nicht gar so effektiv.
Washakwil richtete einen Hyperstrahl auf etwas Unbekanntes aus, das sich Uhafnirs und Sinans fallenden Schattenrissen näherte. Die Nacht war für einen Moment hell erleuchtet wie der Tag und die Druckwelle traf sie wie ein erneuter Hieb. Die Explosion verging und ihr war es gleichgültig, ob sie den Feind ums Leben gebracht hatte.
Da erkannte sie Hitomis Glurak herabkommen, einen hünenhaften, schwarzen Drachen mit einer eisblauen Flamme und echsenartigen Lederschwingen, der Sinan auffing.
Was mit dessen Pokemon geschah, lag außerhalb ihres Sichtfelds – und außerhalb ihres Interesses –, denn über sich glaubte sie Feuerbälle zu sehen. Besorgt nahm sie den Zaum kürzer und wollte den Adler zu einer Wendung bringen, als ihr irgendetwas oder irgendjemand bis auf eine Armlänge nahe kam. Viel zu nahe. Mit einem hämischen Grinsen unter dem Helm.
Dieser jemand, der auf einem Aerodactyl saß, griff nach ihr und sie kreischte erschrocken. Die Angst gab ihr die nötige Kraft, um den Riemen ihres Beins zu lösen und mit aller Wucht zur Seite hin auszutreten. Sie spürte, dass sie seinen Magen traf, und der ekelhafte Typ schrie. Dann schoss sein Pokemon aus nächster Nähe einen Energiestrahl ab. Washakwils Gefieder verdeckte ihr Blickfeld und schützte sie. Bloß wenige Sekunden später erlebte sie den ersten Aufprall, verlor Federn und Zügeln aus den Händen. Der zweite Riemen riss. Ein zweiter Aufprall. Ein unbeschreiblicher Schmerz durchfuhr ihre Schulter, der ihr beinahe das Bewusstsein raubte. Der Anzug riss an einigen Stellen, als sie über den rauen Erdboden schlitterte und die darunter freigelegte Haut fühlte sich an, als stünde sie in Flammen.
Doch die Ohnmacht durfte nicht die Oberhand gewinnen. Schritte näherten sich. Sie versuchte sich verzweifelt aufzurichten, doch ihr Oberkörper wirkte wie gelähmt. Schwerfällig drehte sie den Kopf. Erst in Washakwils Richtung. Der Adler sah aus, als würde er schlafen. Die triumphierend, verhöhnend langsamen Schritte kamen näher und sie wandte den Blick in die Richtung desjenigen. Ihr Nacken fühlte sich an, als hätte jemand Metallplatten in ihre Gelenke gesetzt. Verschwommen sah sie dunkelblaues Haar, wusste jedoch, dass dieser Mann nicht Hayato sein konnte. Ihr Freund hätte sich besorgt zu ihr gekniet.
Da waren weitere Schritte. Eine Person stand hinter ihr. Panisch riss sie die Augen auf und wollte sich umdrehen. Ihre Rippen erlaubten ihr diese hastige Bewegung nicht. Was sollte sie tun? Sie liebte ihr Leben zu sehr, um sich untätig in der Anwesenheit zweier Feinde zusammenzukauern.
Einer kniete sich hin und berührte ihre Fußgelenke. Weg! Vor dieser Berührung zutiefst angeekelt, zog sie die Beine an. Die etlichen, quälenden Selbstverteidigungsstunden, zu denen Hayato seine Geschwister und sie gedrängt hatte, kamen ihr in den Sinn. „Täter suchen Opfer und keine Gegner“, hatte ihr Trainer gesagt – und dann überkam sie ein Adrenalinschub. Der unbändige Wille zu leben machte sie stark. Sie konnte das, sie tat das seit einem Jahr. So handelte sie, wie sie vorhin in der Luft gehandelt hatte. Jennifer trat den Mann vor ihr mit aller Kraft, die ihr erschöpfter Körper aufbrachte. Irgendwohin. Ihre Kontaktlinsen hatte sie verloren und so war das Bild unscharf. Sowie er nach Luft schnappte, wohl in seine Kehle.
Gewinnen konnte sie nicht. Am Boden liegend, von zwei schwarzgekleideten Kerlen umzingelt, wusste sie nur zu gut, dass jede Gegenwehr den Zorn weiter anfachte. Momentan war ihr das egal. Schließlich hatten diese schmierigen Typen ohnehin nichts Gutes im Sinn. Seitdem sie ein Kind war, hatten sie die Leute scherzhaft Barbie genannt. Aber diese beiden würden Barbie ernstnehmen, denn sie gewann Gold im Flugsport, war die Viertplatzierte der letzten Unovaliga und vor allem würde sie sich wehren, weil sie deren Gegner und nicht deren Opfer war!
Der andere nahm ihren Helm ab und zwang sie unsanft auf die Beine. Ein kurzer Schmerzensschrei entkam ihrer Kehle, bevor sie sich trotzig auf die Lippen biss und alles still ertrug. Ihre Rippen drohten zu bersten und ihr wurde schwindelig.
Der Mann, den sie getreten hatte, kam vor sie, rieb sich in einer beiläufigen Bewegung die Kehle, grinste triumphierend und fuhr durch ihr Haar. „Du kleine Schlampe trittst mich?“
Jennifer wollte widerspenstig nicken, wusste jedoch, dass sie ihn nicht übermäßig provozieren sollte. Da berührte er jedoch ihr Haar. Vor Entsetzen wollte sie nach seiner Hand beißen, verlor jedes japanische Wort und spie ihm „Keep ya paws off!“ entgegen.
Aus dem Augenwinkel beobachtete sie Washakwil, der sich immer noch nicht rührte. Allmählich überkam sie eine traurige Gewissheit.
„Ach nein, dazu bist du viel zu schade. Sieh es als Kompliment für eine schöne Frau an.“
„Schau sie dir genau an“, meinte der andere. „Die gehört zum Flugteam. Beim letzten Fernsehauftritt war sie rothaarig, aber ich bin mir ganz sicher, dass die Kleine die Freundin des Arenaleiters ist.“
Auch ohne, dass er fortfuhr, konnte sie seinen Plan zu Ende spinnen. Sie würde bestimmt kein politisches Instrument der Yakuza für eine Erpressung abgeben!
„Da lässt sich viel rausholen“, pflichtete ihm sein Partner bei.
„Vielleicht auch eine Beförderung.“
Ihre Gedanken formten eine rationale Idee – endlich nach all der Angst etwas Konstruktives und Brauchbares. Jennifer sah zur ihrer Brusttasche hinab, in welcher Kleoparda als ‚Notfallpokemon‘ eingenäht war. Dafür musste sie unbedingt ihren Arm befreien. Doch wie? Prüfend lehnte sie sich zurück, stellte fest, dass der Mann recht stämmig war und wohl einen sicheren Stand hatte. Auf den kommenden Schmerz bereitete sie ihren Körper mental vor und dennoch ging ein Stromstoß durch ihren Brustkorb, drohte jede Faser ihrer Muskeln zu zerreißen, als sie sich mit beiden Beinen vom Boden abstieß, und den ekligen Kerl vor ihr nochmals trat. In den Schritt. Geschah dem Recht! Dann traf sie eine schallende Ohrfeige; hinterließ eine in Flammen stehende Wange. Noch nie hatte sie jemand geschlagen, sodass sie für diesen einen Moment zur Salzsäule erstarrte. Nein, das brachte sie von ihrem Vorhaben nicht ab. Der Griff um ihre Arme wurde fester und zerrte an den Muskeln ihrer Schulter. Man würde sie zum Erpressungsobjekt deklarieren. „Nein“, sagte sie entschlossen zu sich selbst und wiederholte es eindringlicher. Der Kerl lachte und machte eine anzügliche Bemerkung. Bevor sie sich nicht mehr rühren konnte, schlug sie den Hinterkopf zurück und traf Kinn und Nase des Mannes, der sie hielt. Eine Erschütterung durchfuhr ihren eigenen Kopf. Das war ihr gleichgültig. Sie hörte ein schmerzhaftes Stöhnen und der Mann griff instinktiv nach seiner Nase. Wie sehr sie sich versuchte auf den Beinen zu halten, sie gaben nach. Ihr gesunder Arm war frei und vom Adrenalin, von der nützlichsten Aufputschdroge, angefeuert, löste sie die Naht der eingenähten Tasche und nahm Kleopardas Ball. An den Gürteln der Männer sah sie je sechs Pokebälle. Auch Unovas Viertplatzierte konnte sich nicht dagegen wehren. Sie musste es allerdings, denn laufen konnte sie ebenso wenig, wie sich untätig den Ekelpaketen zu ergeben. „Kleo, fight ’n lose“, wisperte sie dem Ball mit einem bitteren Lächeln zu.
Vielleicht würde sie etwas tun müssen, bei dem ihr bereits speiübel wurde, wenn sie bloß daran dachte. Für die Männer nicht hörbar, flüsterte sie ihrem Ball zu: „An die Kehle.“ Etwas anderes konnte sie sich nicht leisten, wollte sie sich befreien. Damit würde sie ewig leben müssen.
„Jenny!“ Bevor er aufsprang, hörte sie Shins Stimme und nun, da jede Angst und damit die Aufputschdroge aus ihr wich, bemerkte sie, dass sie ihren Körper viel zu weit über seine Grenzen getrieben hatte. Sie stützte sich auf ihren gesunden Arm, der erzitterte und nachgab. Sie wollte die Ohnmacht von sich fernhalten, da klappte sie gegen ihren Willen zusammen.
Gleich wie sehr sie sich bemühte, vom weiteren Geschehen wusste sie nichts mehr. Wenn sie sich Hitomis Erzählung ins Gedächtnis rief, konnte sie sich den Rest selbst ausmalen.