Herzlich willkommen im Votetopic zum 11. Wettbewerb in der Saison '11.
(Information Wettbewerb Nr. 16: Nur ein Zitat)
Mit dem neuen Jahr kamen auch einige Veränderungen. Besonders das Votesystem hat sich gewandelt. So ist es nun nicht mehr möglich nur einen Punkt an einen Text zu vergeben, sondern beliebig viele. Nähere Informationen findet ihr in folgendem Topic:
Regeln, Information und Punkteliste der Saison '11
Wir bitten euch besonders den Punkt "Die Votes" durchzulesen.
Bitte verteilt eure Punkte nicht nur auf einen Text, sondern teilt sie mindestens zwischen zwei Texten auf! Außerdem solltet ihr zu jedem Text eine Begründung schreiben die mindestens zwei bis drei Zeilen lang sein sollte!
Votes, die nicht alle verfügbaren Punkte ausnutzen werden als ungültig erklärt
Die Deadline des Votes ist am 02.10.2011 um 23:59 Uhr.
Da wir 4 Abgaben erhalten haben, habt ihr die Möglichkeit 4 Punkte zu verteilen!
Unmögliche Beziehung
Niemals sind wir so verletzlich, als wenn wir lieben.
~ Sigmund Freud
Nur ab und zu zuckte der Mann am Fenster zusammen. Bei Blitzen war es auch kein Wunder gewesen. Er legte seine Stirn in nachdenkliche Falten.
„Wenn ich doch die Zeit zurückdrehen könnte!“ Er hätte dann Vieles anders und vielleicht auch richtig machen können. Der Mann hörte das Rascheln der Zeitung hinter sich, worauf er sich umdrehte.
Er sah seinen Freund aus Kindertagen im gemütlichen Armsessel sitzen. Man sah die Ähnlichkeiten zwischen den beiden Freunden an. Die gleiche Körpergröße, die gleiche Statur. Sie beide trugen die abgewetzten Trenchcoats, wobei der des ersten Mannes deutlich abgetragener war. Auch glänzte ihnen von beiden Mänteln derselbe Ausweis mit der besonderen Marke entgegen.
Im Moment hasste er seinen Beruf. Man wünschte sich, dass all diese Geschehnisse unter Diesem nie passiert wären.
Der Freund rezitierte die geschriebenen Worte des Redakteurs, der einen Diebstahl von vor drei Monaten in Verbindung mit einem Neuen wieder aufrollte. Die Worte trafen ihn erneut wie ein Pfeil ins Herz, doch blieb er standhaft stehen.
Zur damaligen Zeit sah er alles wie durch eine rosarote Brille, ihm konnte nichts anhaben.
„Vergiss sie endlich, Mann!“ unterbrach der Freund das Schweigen.
„Ich versuche es, doch ich kann nicht…“ Ein peinliches Schweigen betrat den Raum.
„Nein!“ dachte er sich nur. Nein, er durfte sie nicht lieben. Beide waren zu verschieden gewesen; sie gehörten zwei verschiedenen Seiten an, die sich nie einigen könnten. Sie waren Feinde! Und Feinde musste man jagen. Der Gedanke brachte dem Mann immer wieder fast zur Weißglut. Schwer konnte er sich darum bemühen, sich nie ganz dem totalen Ausbruch hinzugeben. In solchen Momenten war er dann doch wieder froh, einen Freund an seiner Seite zu haben. Jemanden, mit dem über alles man hätte bereden können. Nur bei dem Thema waren sie sich nie richtig einig gewesen.
„Mann, sie bricht dir das Herz, und du trauerst ihr nach! Sei wenigstens ein Mann und schlag sie dir endlich aus dem Kopf!“
Sein Gesprächspartner wusste nicht, was er darauf sagen soll.
Nie. Niemals in seinem noch jungen Leben könnte er das Gesicht jener Frau vergessen, die sein Leben für immer verändern sollte. Selbst in seinen Alpträumen sah er die stechenden, braunen Augen von Dieser, ihren zum schamlosen Gelächter gespitzten Mund und ihre Seidenhaare, die nur einer Verführerin gehören konnten.
Die Radiomusik tönte wie zum Alltag dazugehörend aus dem Kasten. Beide Personen hörten ihr zu.
„The Beatles, „Yesterday“, wenn ich mich nicht irre …“ Der Mann und sein Freund lächelten.
Im Moment war die Musik Balsam für zerrüttete Seelen. Der Mann widmete sich wieder dem Unwetter draußen und starrte in die Dunkelheit der Nacht.
Glitzernde Regentropfen zeichneten sich auf der Glasscheibe ab; glitzernd durch das Licht des Wohnzimmers.
Dann durchbrach das hässliche Geräusch der Hausklingel die schöne Ruhe. Der Mann öffnete kurz darauf die Tür. Das Paar brauner Augen aus seinen Träumen und die aus einer Kapuzenjacke hervorstehenden Haare voller Glanz und Geschmeidigkeit blickten ihm in die Augen.
Sie war durch durchnässt und ihr Mund formte sich förmlich zu einem Flehen.
„Hey, Lebelle!“ hauchte sie ihm ins Ohr und gab ihn einem Kuss auf die Wange. Es war wie ein lähmendes Gift für ihn.
„Darf ich reinkommen?“
Lebelles Freund kam nun an die Tür und wollte wissen, wer so dreist die Ruhe störend klingelte.
UNGESCHLAGEN
Niemals sind wir so verletzlich, als wenn wir lieben.
~ Sigmund Freud
Er war ungeschlagen. Seit der Entwicklung vor knapp fünf Jahren, die er sich hart erkämpft hatte. Niemand konnte ihm gefährlich werden. Kein Fasasnob und kein Kronjuwild, kein Furnifraß und kein Brockoloss. Zu seiner Zeit als Toxiped war er nicht mehr als die vermeintlich ungeschützte Beute für einen Schwarm Navitaub gewesen, als Rollum unantastbar und nun, als Cerapendra, unbezwingbar. Er war König des Waldes geworden, in dem er geboren war, dann König der umliegenden Routen und zuletzt König der entfernten Höhlen und Seen. Er war berüchtigt und gefürchtet für seine Gnadenlosigkeit und seine perfekte Kombination aus stahlharter Abwehr, tödlichen Giftes und blitzartiger Geschwindigkeit. Das war es, was er hatte erreichen wollen. Er hatte den Geflügelten Respekt und Angst eingeflößt, sich vom Beutetier selbst zum Jäger ernannt. Jetzt reichte sein Einfluss weit und von seinen Taten würde auf der ganzen Welt berichtet werden. Es war Zeit nach Hause zu gehen, um dort den Ruhm und den Einfluss seiner Macht zu genießen. Und die Reise mochte zwar weit sein, doch war sie ohne Gefahren. Niemand würde sich ihm in den Weg stellen und wer es doch tat, der prallte an seiner Eisenabwehr ab, wie ein Kindwurm an einer Felswand. Es gefiel ihm, dass den ganzen weiten Weg lang nur eine Gruppe heißblütiger Praktibalk einen solchen Angriff auf ihn wagten. Das zeugte von seiner Berühmtheit und seiner Stärke, von seiner angst einflößenden Aura.
Der kaum vorhandene Widerstand verkürzte seine Reise um viele Tage und ließ ihn seinen Heimatwald schneller erreichen, als es ihm lieb war. Das dunkle Geäst weckte düstere Erinnerungen an seine Jugend, die ihn wütend machten. Das Kreischen der Navitaub entfachte seine Wut und mit ihr seinen Kampfgeist. Es gab daher keinen genauen Grund, warum er das Kleoparda angriff, das sich unter dem Baum entspannte, unter dessen Wurzeln sein anfangs erbärmlicher und nun doch so glorreicher Lebensweg begonnen hatte. Keinen Grund, warum er sie vertreiben wollte und keinen Grund, warum er sie nicht in seinem Wald leben lassen wollte. Doch es gab einen Grund, warum er seinen perfekt geplanten Angriff plötzlich abrupt stoppte, als sich sein Gesicht und das des Weibchens fast berührten und das Gift aus seiner Schwanzspitze nur einen fast unbedeutenden Zentimeter neben ihrer Pfote auf den vom Regen durchnässten Waldboden tropfte. Er wusste, es war vorbei bevor es begonnen hatte. Seine Muskeln waren gelähmt von einer Hitze, die sein Herz mit jedem Pulsschlag schneller durch seine Adern fließen ließ. Seine Gedanken waren vernebelt von dem verrückten Gedanken, das Kleoparda nicht nur ziehen zu lassen, sondern ihr die ganze Welt zu Füßen zu legen, sollte sie dies wünschen. Er vernahm schwach das angespannte Schweigen des Waldes und deren Bewohner, die den Moment des bevorstehenden Machtwechsels keinesfalls verpassen wollten. Den Moment, in dem der Tyrann stürzen und ihm seine gerechte Strafe zu teil kommen werden würde. Wer war ein Tyrann? Er selbst? War es nicht sein Ziel gewesen, die Schwachen zu stärken und die Starken zu schwächen? Einen Ausgleich zu schaffen? Oder war es immer sein Ziel gewesen, sie zu treffen? Diesem Kleoparda niemals wieder von der Seite zu weichen schien viel erstrebenswerter, als alle Macht der Welt. Und doch wusste er, dass er schon bald nicht nur sie, sondern die ganze Welt verlieren würde, setzte sich doch gerade nur noch zum Angriff an. Geschockt von sich selbst bemerkte er, dass er den Moment herbeisehnte, in dem sie ihn, wie auch immer berührte und so gab er seine Deckung vollends auf. Doch sie putzte sich nur kurz über die Pfote, lächelte ihn aus schelmisch glitzernden Augen an und verschwand mit zwei weiten Sätzen im Dickicht.
Die Macht der Anziehung ließ nach und doch blieb er seltsam schutzlos zurück. Seine Gedanken kreisten weiterhin um sie und würden es für immer tun. Und mit den Erinnerungen an sie und ihre strahlenden, allwissenden Augen wurde es ihm plötzlich ohne jeden Zweifel bewusst: Er war ungeschlagen. Seit der Entwicklung vor fünf Jahren, die er sich ach so hart erkämpft hatte. Und doch war er besiegt.
Für immer
Freunde sind die wenigen Menschen, die dich nach deinem Befinden fragen und dann der Antwort lauschen.
- unbekannt
Es war dunkel, ich sah nichts, außer meine Hände die vor meinen Augen waren. Ich wollte nicht gesehen werden und wollte auch niemand anderen sehen. Es fiel mir schwer genug, überhaupt klar denken zu können, denn ich wusste, es war vorbei. Ich konnte nichts mehr ändern, das Leben nahm seinen Lauf und wie so oft fiel dieses sehr schlecht für mich aus. Keiner konnte mir helfen, doch viele versuchten es doch. So auch Marie, eine wirklich gute Freundin von mir, die ich schon länger kannte, als sonst jemanden meiner wenigen Freunde. Genau deshalb lag sie mir am Herzen, weil sie die einzige Freundin war, die mir lange genug treu blieb.
Den ganzen Tag, die ganze Nacht – ich musste ununterbrochen weinen, denn das was passiert war, hatte mein Leben auf den Kopf gestellt und anschließend zerstört. Nur Marie, sie war die einzige, die mir hätte helfen können, doch ich hatte gedacht, sie würde es nicht tun, weil ich mir doch immer wieder einredete, sie würde mich nicht mögen, wobei ich wusste, dass das nicht stimmt.
Nach vielen Tagen, in denen ich fast nur weinen musste, die Tränen aus meinen Augen entwichen, ich sie einfach nicht zurück halten konnte. Ich wollte sie auch nicht zurück halten, denn ich fühlte mich zu schwach.
Doch an einem Tag, ich erinnere mich nicht, wie lange das her war, denn irgendwann verlor ich das Zeitgefühl, kam der wunderbarste Mensch meines Lebens, Marie, bei mir vorbei. Sie merkte sofort, dass es mir nicht gut ginge. In meinem Zimmer war es dunkel, die grauen Vorhänge waren zugezogen, ich wollte kein Licht haben. Und auch sie schien zu verstehen, dass ich die Dunkelheit im Moment mehr wollte, als Licht. Das Mädchen, welches mich am besten kannte kam auf mich zu und setze sich vorsichtig auf die Bettkante von meinem alten Holzbett.
„Janina.“ Sie sagte meinen Namen, ganz leise, mit einem besorgten Unterton, der alles sagte, was ich wissen wollte. Marie hatte Angst um mich, weil es mir so schlecht ging. Sie wollte nicht, dass ich mich so schlimm fühle, denn sie wollte immer nur das beste für mich.
„Was ist nur los mit dir? Ich sehe dich seit Tagen nicht mehr. Als ich dich anrufen wollte bist du nicht ran gegangen und deine Mutter hat mir auch nicht sagen wollen, was mit dir los ist. Bitte Janina, sag mir doch was los ist, ich halte es nicht aus dich so leiden zu sehen und nicht zu wissen, was mit dir los ist.“ Marie hatte schon fast Tränen in den Augen, so große Sorgen wie sie sich machte. Langsam kam ich unter der Bettdecke hervor und setzte mich langsam auf. Die Hände hatte ich immer noch vor den Augen, denn ich wollte nicht, dass sie meine Tränen sehen würde.
Langsam kam sie mir mit ihrer Hand näher und legte diese auf meine Schulter, denn sie wollte mir irgendwie halt geben, mir zeigen, dass ich nicht allein sei.
„Du kannst es mir sagen, denn du weißt, dass du mir vertrauen kannst.“ Sie sagte es leise, aber mit Entschlossenheit, die ihre Stimme nicht oft an sich hatte, da sie oftmals sehr schüchtern war.
Ich nahm meine Hände langsam vor meinen Augen weg und legte sie in meinen Schoß, starrte in die Leere des finsteren Zimmers.
Ich merkte, dass Maries Blick auf mir ruhte, so konnte ich also nicht ewig vor mich hin schweigen, ich musste etwas tun. Aber sollte ich es ihr erzählen und damit ihre Fröhlichkeit zerstören oder sollte ich doch besser schweigen?
„Janina, bitte. Ich mache mir Sorgen um dich, ich will dir helfen.“ Ihre Stimme war leise und schwach, dennoch war dieser Hauch von Entschlossenheit immer noch enthalten, ich wusste, das sie nicht locker lassen würde, dafür kannte sich mich zu gut und ich sie ebenfalls.
„Okay.“ Ich sprach leise, meine Stimme tonlos, und doch so weich wie ein sanfter Hauch des Windes in einer milden Sommernacht.
Langsam fing ich an, ihr die Geschichte, die mich so sehr bedrückte zu erzählen. Das alles fing vor etwa zwei Wochen an. Marie wusste schon länger, dass meine kleine Schwester unter einer sehr schweren Krankheit litt und deswegen schon seit einem halben Jahr im Krankenhaus lag. Nach außen ließ ich es mir nicht anmerken, aber tief im Inneren weinte meine Seele pausenlos um sie, weil die Angst, das Wissen, das ich sie sehr bald verlieren könne, immer noch da ist.Obwohl die Ärzte meinten, dass es ihr bald besser gehen würde, trat genau das Gegenteil ein. Vor wenigen Tagen kam ein Anruf, dass sie gestorben war. Details ließen sie aus, warum wussten meine Mutter und ich nicht. Jedoch nahm es uns beide sehr mit, dass sie gestorben war. Meine Mutter konnte das Ganze halbwegs gut verkraften, aber mir tat es so weh, dass ich am liebsten mit ihr gestorben wäre, denn ich liebte sie, wollte sie niemals verlieren.
Meine Freundin sah mich entsetzt an, fasste sich aber schnell wieder. Jetzt konnte sie verstehen wie es mir erging. Aber sie ging nicht auf Distanz, im Gegenteil. Sie kam auf mich zu und schloss mich ein in eine Umarmung, die genügen aussagte. Sie wollte mich trösten, mir sagen, dass alles wieder gut werden würde, dass sie für mich da sei, besonders jetzt, in dieser Zeit, wo ich am liebsten mein Leben weg werfen würde.
Doch ich wusste, Marie war eine meiner wenigen Freunde, für die ich einfach nicht alles was war aufgeben durfte. Ich musste weiter machen, weiter Leben, für sie, für meine Mutter, für die wenigen Menschen, denen ich am Herzen lag. Auch wenn meine Schwester nun nicht mehr bei uns war, ich durfte deswegen nicht alles aufgeben, so schwer es mir auch fiel. Denn sie brauchen mich, besonders sie brauche mich, denn sie gab mir alles, was ich ihr gab, auf jedem Fall wieder zurück. Sie gab mir das Vertrauen, was ich auch ihr schenkte. Sie munterte mich immer wieder auf, genau so wie ich es bei ihr machte, wenn es ihr mal schlecht ging. Wir teilten alle Geheimnisse, denn wir konnten immer blind vertrauen. So konnte ich auch jetzt meinen, dass sie immer für mich da sein wird, denn ich fühlte es genau.
„Du schaffst das schon, Janina. Ich bin bei dir, für immer.“ Ihre leise Stimme drang in mein Gedächtnis ein, denn diesen Satz würde ich nie wieder vergessen.
Siehst du wie die Vögel singen?
Man sieht nur mit dem Herzen gut.
Das wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
~ der Fuchs aus "Der kleine Prinz" von Antoine de Saint-Exupéry
Thalia schmiss sich auf ihr Bett und weinte. Sie weinte und weinte, bis keine Tränen mehr kommen wollten. Dann stand sie auf und ging zum Fenster. Graue Wolken schoben sich vor die Nachmittagssonne. ‚Wenigstens kein strahlender Sonnenschein’, dachte Thalia, denn den hätte sie jetzt gar nicht gebrauchen können.
Plötzlich hörte sie, wie ihre Zimmertür aufging und drehte sich um. In der Tür stand ihre Mutter, eine schlanke, großgewachsene Frau, mit einem Mädchen, das Thalia nicht kannte. Sie war ein paar Zentimeter kleiner als Thalia und hatte dunkle Haare.
„Wer ist das?“, fragte sie.
„Das ist Hoa. Wir hatten doch darüber gesprochen, dass wir ein Mädchen adoptieren wollten, eine Schwester für dich“, antwortete ihre Mutter.
„Aber ich dachte, ich könnte sie vorher vielleicht auch mal kennenlernen“, erwiderte Thalia.
„Du warst heute Morgen unauffindbar und ich bin mir absolut sicher, dass ihr euch gut verstehen werdet. Geh doch mit ihr in den Wald, da bist du doch so gerne.“
„Aber – “
„Kein aber!“
„Mathis hat gerade mit mir Schluss gemacht. Ich bin nicht in der Stimmung etwas zu unternehmen!“ Thalia wurde immer lauter. Sie war so sauer auf ihre Mutter. Wie konnte sie einfach irgendein wildfremdes Mädchen mitbringen und von ihr erwarten, sie sofort als Schwester zu sehen.
„Es wird dich ablenken“, sagte ihre Mutter ganz ruhig und wand sich an Hoa. „Geh ruhig rein, sie beist schon nicht“, versuchte sie zu witzeln.
Schüchtern setzte sich Hoa in Bewegung, doch als sie mit ihrem Blindenstock anfing, den Boden abzutasten, wurde sie immer sicherer. Erst jetzt fiel Thalia auf, dass sie blind war.
„Ihr werdet euch schon verstehen“, meinte Thalias Mutter noch, bevor sie in Richtung Wohnzimmer verschwand.
„Niemals sind wir so verletzlich, als wenn wir lieben.“ Hoas Stimme war klar und selbstbewusst, als schien sie nicht das arme, blinde Mädchen sein zu wollen.
„Wie bitte?“
„Das ist ein Zitat von Sigmund Freud. Ich finde, es passt ganz gut“, erklärte Hoa.
Thalia verdrehte die Augen.
„Du hättest auf dein Herz hören müssen. Dann hättest du gesehen, was er wirklich wollte.“
‚Erzähl du mir nichts übers Sehen!’, dachte Thalia. ‚Du kannst es schließlich gar nicht.’
„Gehen wir jetzt eigentlich noch in den Wald?“, fragte Hoa unschuldig.
„Bei dem Wetter!? Willst du das wirklich?“
„Mark Twain sagte mal: ‚Gib jedem Tag die Chance, der schönste deines Lebens zu werden.’“
‚Woher kommen bloß diese Sprüche?’, fragte sich Thalia. An Hoa gerichtet entgegnete sie: „Das habe ich ja versucht und du siehst, wo ich gelandet bin.“
„Du hast recht, das sehe ich.“
Thalia betrachtete noch einmal die Wolkendecke, bevor sie seufzend sagte: „Okay, lass uns in den Wald gehen.“
Die beiden Mädchen verließen das Haus und gingen in Richtung Wald. Es regnete ganz leicht, trotzdem nahm Thalia ihren Lieblingsweg durch den Wald; einen abgelegenen Pfad, von dem aus man in den Himmel sehen konnte, da die Baumkronen die Sicht nicht versperrten.
Sie gingen eine ganze Weile schweigend nebeneinander her, bis Stimmen und Gelächter aus dem Wald zu ihnen drangen. Knapp eine Minute später standen Thalias Freunde vor ihnen.
„Hey Thalia, wie geht’s so?“, fragte Paula, die größte der Gruppe.
„Na ja, eigentlich nicht so gut…“, setzte Thalia an, wurde aber von Paula schon wieder unterbrochen.
„Wer ist denn das?“, fragte sie und beäugte Hoa abschätzend.
„Meine Adoptivschwester.“
„Aha… Lass dich bloß nicht mit der in der Öffentlichkeit blicken!“ Paula bedeutete den anderen, weiter zu gehen, und sie folgten. Thalia sah ihnen noch einen Moment hinterher, bevor sie sich wieder ihrem Weg zuwendete.
„Waren das deine Freunde?“, fragte Hoa mit einem leicht zweifelnden Ton in der Stimme.
„Ja“, antwortete Thalia knapp und ging los. Hoa folgte ihr, denn Thalia hörte sie mit ihrem Blindenstock den Boden abtasten.
Nach einiger Zeit des Schweigens sagte sie: „Es heißt, dass Freunde die wenigen Menschen sind, die dich nach deinem Befinden fragen und dann der Antwort lauschen.“
Schon wieder ein solcher Spruch! „Kann schon sein“, antwortete Thalia belanglos. Dennoch schien da etwas Wahres dran zu sein.
„Du siehst ihre wahren Absichten einfach nicht.“
Der sanfte Regen hatte längst aufgehört und nach und nach verschwanden auch die Wolken und gaben den blauen Abendhimmel frei.
Es erschienen bereits die ersten Sterne, als sie die kleine Lichtung mit dem klaren Waldsee erreichten.
„Ist es nicht schon ziemlich spät?“, fragte Hoa, die den Sternenhimmel ja nicht sehen konnte.
„Wir sind da, wo ich hin wollte und außerdem gibt es einen viel kürzeren Weg zurück“, beruhigte sie Thalia.
Sie beobachtete Hoa, wie sie die Augen schloss und den Vögeln zu lauschen schien.
„Siehst du, wie die Vögel singen?“, fragte sie.
„Das kann man nicht sehen, sondern nur hören“, erwiderte Thalia.
„Genau so kannst du nicht sehen, dass dich jemand mag.“ Die Blinde sprach ganz ruhig.
„Doch man kann es sehr wohl sehen!“
„Nein!“ Hoa blieb entschlossen bei ihrer Aussage, ohne den Anschein zu erwecken, sauer zu werden. „Sag mir, was du da siehst.“ Sie zeigte auf den See.
Thalia tat ihr den Gefallen, schließlich war sie blind und konnte es selber nicht sehen. „Dort liegt ein See. In ihm sieht man das Spiegelbild der Sterne –“
„Warum?“, unterbrach Hoa.
Thalia sah sie verwirrt an.
„Jemand hat mal gesagt: ‚Nur in stillen Wassern spiegeln sich die Sterne.’ “
Inzwischen gingen Thalia diese Sprichwörter wirklich auf die Nerven. Hoa war schließlich auch nicht älter als vierzehn, benahm sich aber wie einundzwanzig. Jetzt ging sie langsam auf den See zu, bis ihr Blindenstock das Wasser berührte. Ringförmige Wellen breiteten sich aus und verteilten sich über den See. „Siehst du die Sterne noch?“
Nein, Thalia sah die Sterne nicht mehr – jedenfalls nicht mehr so klar – aber sie wusste, dass sie da waren, oder doch nicht. Es war ja nur ihr Spiegelbild.
„Wie die Wellen versuchen die Menschen immer alles zu verdecken. Du kannst deinen Augen nicht vertrauen. Hör auf dein Herz. Es weiß am besten, was du brauchst und was du willst, auch wenn deine Augen es nicht sehen wollen.“
Endlich begann Thalia zu verstehen. Sie schloss die Augen. So konnte sie die Sterne nicht mehr sehen, aber sie fühlte ihren Glanz. Sie spürte, dass Hoa ihr nie etwas Böses wollte, dass sie es auch schwer hatte, sich überhaupt in ihre Familie einzufinden. Wie konnte sie das nur all die Zeit übersehen?
„Ich glaube“, sagte Hoa gerade, „dazu gibt es auch einen Spruch. Aber er will mir einfach nicht einfallen.“
Thalia hatte es trotzdem verstanden. Sie legte Hoa den Arm um die Schulter und sagte leise: „Willkommen in der Familie!“
~Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das wesentliche ist für die Augen unsichtbar. ~
Aufgrund der überschaubaren Zahl der Abgaben haben wir uns entschieden keinen Download anzubieten.
Viel Spaß beim Voten. ^___^