Informationen zur Wettbewerbssaison 2012

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

Zu der Infoseite von „Die Mo-Mo-Manie“
  • [tabmenu][tab=Allgemeines]
    Die Wettbewerbe werden im 2-Wochen-Takt immer sonntags starten. Den Informationstopics können allgemeine Angaben für die jeweiligen Wettbewerbe entnommen werden; anmelden muss man sich dort nicht. Eine Wettbewerbsabgabe an den Leiter (im Normalfall der Starter des Topics) zählt als vollständige Anmeldung. Wichtig zu nennen ist hier noch die Tatsache, dass alle Wettbewerbsabgaben die Forenregeln einhalten müssen. Das bedeutet, dass keine brutalen, pornografischen, oder ähnliche Extrema beschrieben werden dürfen. Versucht nicht durch "Skandale", sondern durch Können zu punkten.
    Nach der zweiwöchigen Deadline wird ein Votetopic gestartet in dem ihr euren favorisierten Texten eure Stimmen geben könnt. Sollte es dazu kommen, dass es keinen klaren Sieger gibt, werden die ersten beiden die Punktanzahl für den ersten Platz erhalten, der Nächstplatzierte erhält dann die Punkte, des "eigentlichen Platzes". Gibt es zum Beispiel zwei erste Plätze, so ist der User mit der nächst höchsten Punktzahl auf dem dritten Platz.

    Entwaige Betrugsversuche oder Manipulationen der Ergebnisse werden
    im äußersten Fall mit einer Wettbewerbs-Sperre geahndet!


    Die Wettbewerbe werden von den FF-Moderatoren und FF-Komiteemitgliedern geleitet, die Sache bleibt also intern.


    Aus allen Wettbewerben wird ein Gesamtsieger ermittelt, der das Saisonfinale 2012 gewinnen muss. Um sich für das Finale zu qualifizieren muss ein Platz unter den Top 10 auf der Punkteliste erreicht werden. Man erhält dann eine Einladung zu der Saison, die man annehmen muss; andererseits rückt der nächstplatzierte User nach.
    [tab=Votes][subtab=Eure Votes]
    Wie die Anmeldungen hat sich im letzten Jahr auch das System der Votes etwas gewandelt. So hat man die Möglichkeit Punkte für die einzelnen Texte zu vergeben. Am Kopf des Votetopics erhält man die Information wie viele Punkte maximal vergeben werden dürfen. Findet man einen Text besonders herausragend, so kann man diesem Text nicht mehr nur einen Vote/Punkt geben, sondern mehrere Punkte verleihen - genau so viele, wie man es für angemessen empfindet und solange es im Rahmen der Punktegrenze liegt.
    Ein Beispiel:
    Am Kopf des Votepostes steht, dass man maximal 9 Punkte vergeben kann. Nachdem alle Abgaben durchgelesen wurden, hat man zwei Favoriten ausgewählt, sowie einen Text, den man auf Grund einer guten Idee auch honorieren möchte. Den einen jedoch findet man viel besser als alle anderen. Also gibt man dem einen Text 5, dem zweiten nur 3 Punkte und dem anderen 1 Punkt. Man hält also die 9 Punktegrenze ein, kann aber frei wählen wie viele Punkte man an wie viele Texte vergibt - die Verteilung hätte auch 5;2;2 ausfalen können, 1;1;1;1;1;1;3 oder eben auch 3;3;3.


    Auch in diesem Jahr behalten wir das bewährte System mit dem Votepunkten bei. Um die Aktivität der Votes in den einzelnen Wettbewerben zu steigern und die Voter für ihre Votes, die begründet werden müssen, zu belohnen, haben wir die Votepunkte eingeführt. Sie sind einfach zu erklären: Votet ein User in einem Wettbewerb, so bekommt dieser zwei Punkte für seinen eigenen Text/sein eigenes Gedicht, wenn er denn abgegeben hat. Hat der User der votet jedoch keinen Text abgegeben, hat dies keinen weiteren Effekt auf die Punkte der Texte/der Gedichte. Oft hat diese Regelung Vorteile für die Plätze der Texte/der Gedichte, weshalb sich jeder User einmal zum Voten aufraffen sollte!
    Natürlich sehen wir es noch lieber, wenn User auch ohne diesen kleinen Ansporn voten.


    Zudem werden die besten Votes der Wettbewerbe ausgezeichnet und ebenfalls in der Punkteliste aufgelistet. Wer am Ende des Jahres die besten Wertungen hat, erhält eine Ranggrafik, sowie einen speziellen Benutzerrang. Voten lohnt sich also!


    [subtab=Punkteverteilung]


    Die Anzahl der Punkte für die Tabelle wird von den Abgaben abhängig gemacht. Je mehr Abgaben, desto mehr Konkurrenz. Folglich ist es auch eine größere Leistung den ersten Platz zu erreichen.
    Außerdem gibt es ab diesem Jahr den so genannten "Mitmachpunkt". Jeder User, der in einem Wettbewerb mitmacht, seinen Text oder Gedicht also für den Vote abgibt, erhält unabhängig von der Stimmzahl einen Punkt in der Tabelle, wenn der Text kein Treppchen Platz erreichen konnte.


    So hat sich folgende Aufteilung ergeben:


    Bei 1 bis 10 Abgaben:
    1. Platz -> 8 Punkte
    2. Platz -> 6 Punkte
    3. Platz -> 5 Punkte

    4. Platz -> 4 Punkte
    5. Platz -> 3 Punkte
    Abgegeben -> 1 Punkt


    Bei 11 bis 20 Abgaben:
    1. Platz -> 12 Punkte
    2. Platz -> 10 Punkte
    3. Platz -> 8 Punkte

    4. Platz -> 7 Punkte
    5. Platz -> 6 Punkte
    6. Platz -> 5 Punkte
    7. Platz -> 4 Punkte
    8. Platz -> 3 Punkte
    Abgegeben -> 1 Punkt


    Bei 21 bis 30 Abgaben:
    1. Platz -> 15 Punkte
    2. Platz -> 12 Punkte
    3. Platz -> 10 Punkte

    4. Platz -> 9 Punkte
    5. Platz -> 8 Punkte
    6. Platz -> 7 Punkte
    7. Platz -> 6 Punkte
    8. Platz -> 5 Punkte
    9. Platz -> 4 Punkte
    10. Platz -> 3 Punkte
    Abgegeben -> 1 Punkt


    Bei über 30 Abgaben:
    1. Platz -> 17 Punkte
    2. Platz -> 14 Punkte
    3. Platz -> 12 Punkte

    4. Platz -> 10 Punkte
    5. Platz -> 9 Punkte
    6. Platz -> 8 Punkte
    7. Platz -> 7 Punkte
    8. Platz -> 6 Punkte
    9. Platz -> 5 Punkte
    10. Platz -> 4 Punkte
    11. Platz -> 3 Punkte
    Abgegeben -> 1 Punkt


    Bei Specials erhaltet ihr keine Tabellenpunkte! (durch ein Präfix erkennbar gemacht)
    [tab=Wettbewerbsübersicht]
    Hier findet ihr eine Liste aller in diesem Jahr gelaufenen, oder laufenden Wettbewerbe.
    fett und grün = aktuell


    Wettbewerb 01: Pokemon-Drabbles - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 02: (Pokémon-)Liebesszene - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 03: Kampfbericht - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 04: Gedicht: Freundschaft - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 05: Klappentextgeschichte - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 06: Ereignisse aus der Sicht der Pokémon - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 07: Haiku - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 08: Innerer Monolog - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 09: Pokémonfestival - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 10: Abschied nehmen - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 11: Zeitungsartikel - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 12: Allgemeiner Drabble - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 13: Crossover - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 14: Gedicht: Pokémon - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 15: Reizwortgeschichte - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 16: Postapokalyptische Zukunft - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 17: Klanggeschichten - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 18: Bildgeschichte - Information|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 19: Freies Gedicht - Anmeldung|Vote|Gewinner
    Wettbewerb 20: Freie Kurzgeschichte - Anmeldung|Vote|Gewinner


    [/tabmenu]


    Falls ihr noch Fragen haben solltet, könnt ihr euch per PN an mich, oder ein anderes Mitglied des Fanfictionkomitees wenden!

  • [tabmenu][tab=Tabelle]
    [subtab=Gesamttabelle]
    grün = Qualifikation für das Saisonfinale


    01. [94] Pika!
    02. [72] Cyndaquil
    03. [71] Snake
    04. [44] Misana
    05. [43] Courser
    06. [36] Faolin
    07. [34] Paya
    08. [33] étoile filante
    08. [33] Aprikose
    10. [26] Elay

    11. [25] Chi
    12. [23] Silvers-Lugia
    12. [23] Vivien
    14. [22] Rio
    15. [20] Raichu-chan
    16. [16] Sayi
    16. [16] Ruby
    18. [15] Foxhound`71
    18. [15] Fröschchen
    18. [13] YumiLou
    21. [12] Sheep
    21. [12] Ayame
    21. [12] sunny aestas
    24. [11] finkyy
    24. [11] Rumo
    24. [11] Cassandra
    24. [11] Calypso
    24. [11] Loreena
    29. [10] WoelfinAkira
    29. [10] Narime
    29. [10] Lurey 's Lia <3
    32. [09] Gargoyle
    33. [08] Rael
    33. [08] SuicuneFreak
    33. [08] Honey~
    33. [08] Gigagolgantes
    33. [08] Cáithlyn
    38. [07] Kleio
    38. [07] lIghtZ
    38. [07] Mew1993
    38. [07] ritrick
    38. [07] fire_eye
    38. [07] Rexy
    38. [07] Amaroq
    38. [07] Laschoking
    38. [07] Okami
    47. [06] Eevee-Girl
    47. [06] Sergeant Charpik
    47. [06] Noxa
    47. [06] Darky
    47. [06] Aurora
    47. [06] Nightmares
    47. [06] weinschnecke
    54. [05] Kräme
    54. [05] Charinfern
    54. [05] Tabtost
    54. [05] Revie
    54. [05] Asaki
    54. [05] bluetime
    60. [04] Honey~
    60. [04] Little Yorkleff
    60. [04] Majiata
    60. [04] Dachs
    64. [03] Balje16
    64. [03] Cherié
    64. [03] Akatsuki
    67. [02] Feuerdrache
    67. [02] Colonel Buxi
    67. [02] Schatten Dialga
    70. [01] Nessie
    70. [01] bec
    70. [01] Nerubina
    70. [01] [PD^^] Lavie
    70. [01] The dark Buizel
    70. [01] Skythunder
    70. [01] Bayern 111
    70. [01] EvoliFan04
    70. [01] Leandy
    70. [01] thomas1995
    70. [01] Yentl
    70. [01] Koko
    70. [01] TrumpetDrumliner
    70. [01] blue
    70. [01] Madarak
    70. [01] Jeevas
    70. [01] wave
    70. [01] thomas1995
    70. [01] Zwockel
    70. [01] nuggnugg
    70. [01] Sora-San
    70. [01] Nessie
    70. [01] Latios-Girl
    70. [01] Colonel Blue
    70. [01] ~noche~
    70. [01] DarkSoul
    70. [01] Gucky
    70. [01] Fatum
    70. [01] Klein_Keimi
    70. [01] Sound of Silence
    70. [01] GoldenesGlumanda
    70. [01] Nairu


    [subtab=Einberechnete Wettbewerbe]




    [tab='Gewinner einzelner Wettbewerbe']


    [tab='Beste Votes']

    • Wettbewerb 1: Pokemon-Drabbles


    • Wettbewerb 2: (Pokémon-)Liebesszene


    • Wettbewerb 3: Kampfbericht


    • Wettbewerb 4: Gedicht: Freundschaft


    • Wettbewerb 5: Klappentextgeschichte


    • Wettbewerb 6: Ereignisse aus der Sicht der Pokémon


    • Wettbewerb 7: Haiku


    • Wettbewerb 8: Innerer Monolog


    • Wettbewerb 9: Pokémonfestival


    • Wettbewerb 10: Abschied nehmen


    • Wettbewerb 11: Zeitungsartikel


    • Wettbewerb 12: Allgemeiner Drabble


    • Wettbewerb 13: Crossover


    • Wettbewerb 14: Gedicht: Pokémon


    • Wettbewerb 15: Reizwortgeschichte


    • Wettbewerb 16: Postapokalyptische Zukunft


    • Wettbewerb 17: Klanggeschichten


    • Wettbewerb 18: Bildgeschichte


    • Wettbewerb 19: Freies Gedicht


    • Wettbewerb 20: Freie Kurzgeschichte








    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]
    Gewinner des 1. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Pokemon-Drabbles
    Informationstopic
    Votetopic



    [tab=1. Platz][subtab=Courser]
    Wellendonner
    Schiggy setze Blubbstrahl ein
    Pikachu wich ihm aus
    Schiggy musst' geriss'ner sein
    Um zu schlagen diese Maus


    Der Gelbe konterte mit Blitzen
    Traf den Blauen scheinbar voll
    Schiggy blieb darauf nur sitzen
    Und Pikachu fand sich toll


    Doch Schiggy tat nur so benommen
    Rettete sich durch Panzerschutz
    Pikachu hatte es ihm abgenommen
    Lag nun erstaunt in des Feldes Schmutz


    Schiggy hatte ihn erwischt
    Durch Surfer der finale Schlag
    Pikachus Sicht nur noch verwischt
    Genau so, wie es Schiggy mag



    Es war sehr eng
    Es war sehr knapp
    Es machte peng
    Es machte schwapp
    Pikachu musste kapitulieren
    Und Schiggy gratulieren
    [tab=2. Platz][subtab=Pika!]
    Inschrift
    Hier ruht Ramoth, Geist der Sonne, auf immer im Wüstensand gefangen und seine Flammen erstickt. Groß war seine Macht, schrecklich sein Zorn. Wo er wütete, brannten die Häuser der Menschen darnieder.
    So banne ihn dies Siegel bis in Ewigkeit, auf dass sein Feuer die Welt nie mehr heimsuche. Die Seelen seiner Opfer, Könige wie Bauersleute, sollen jeden davon abhalten, dies Unheil erneut zu erwecken. Sein Palast soll niemals wieder von menschlichem Fuß betreten werden.
    Und wer dennoch bis in diese Halle vordringt, höre auf diese Warnung: Lasse ab von dieser Macht, die sich nur durch sich selbst kontrollieren lässt!
    [tab=3. Platz][subtab=finkyy]
    Verflucht?
    Ich weiß, wie du reagierst
    Sobald du siehst wer ich bin
    Du wirst denken:


    Dieses Wesen bringt
    Mir keinen Gewinn
    Es wird dafür sorgen
    Das ich nur verlier'
    Es ist wertlos


    Weißt du, wie sehr mich diese Worte
    Verletzen?
    Was ich fühle?
    Es ist wie ein Fluch...


    Bitte, ich will doch nicht mehr
    Als ein wenig geliebt werden
    Ist das schon zuviel verlangt?
    Was ist an mir nur falsch...


    Ich bin doch nur ein
    Kleines Karpador
    Niedergeschlagen plansche ich mich
    Durch den Tag
    In der vergeblichen Hoffnung
    Das mich jemand findet, der mich mag
    So wie ich bin
    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information]
    [subtab=Allgemein]Gewinner des 2. Wettbewerbes. - Saison 2012
    (Pokémon-)Liebesszene
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab='1. Platz']
    [subtab=Cyndaquil]
    Bleib bei mir
    „Sehen wir uns morgen wieder?“
    „Ja, klar! Bis morgen!“
    Das waren seine letzten Worte gewesen. Es gab kein Morgen. Es gab überhaupt kein Wiedersehen mehr seit diesem Tag. Bis heute hatte sie keine Ahnung, was damals geschehen war, warum er fortgegangen und nie wieder gekehrt war. Warum? Was war passiert? Sie wollte ihn suchen und war weit gelaufen in der Hoffnung ihn zu finden, denn Zuversicht und Angst gewannen an Stärke und drängten sie dazu. Gefunden wurde allerdings sie; von einem Menschen. Seitdem war nichts mehr so, wie es einmal war. Die Hoffnung ihn wiederzusehen lag bald im Sterben; verschied schließlich unmerklich.


    Das Gras unter ihren Pfoten war noch feucht, als sie über die frisch gemähte Wiese lief, über der der unverwechselbare Geruch von geschnittenem Grün lag und von jedem leichten Lufthauch verweht wurde. Sie mochte diesen Duft, würzig, nass und doch auch zeitweise scharf in ihrer empfindlichen Nase. Die Sonne schien hell auf ihr feuerfarbenes Fell und wärmte sie auf ihrem Spaziergang. Für ein Flamara war so viel Sonnenschein eines der schönsten Dinge auf der Welt. Aus dunkelblauen Augen betrachtete sie ihre Umgebung, sie befand sich auf einer weitläufigen Ebene die von einigen kleineren Wäldern umzäunt war und sie bewegte sich direkt auf einen zu. Wie Speere wuchsen die dunklen Tannen aus dem Boden, schotteten das Sonnenlicht ab, sodass man zwischen den Bäumen nur schemenhaft weitere Stämme im Schatten sehen konnte. Der scharfe Geruch von Nadeln und das unverkennbare Aroma von feuchten, herabgefallenen Blättern stieg ihr in die Nase.
    Sie erstarrte. Mitten in der Bewegung, ihre rechte Pfote hing noch in der Luft, konnte sie keinen ihrer Muskel mehr rühren. Ihr Herz setzte einen Schlag aus und sie vergaß für einen Moment zu atmen. Dieser Geruch... irgendwoher kannte sie ihn, aber woher? Sie spürte das Gras auf ihrem Ballen, als sie die Pfote auf den Boden setzte und wieder versuchte normal Atem zu holen. Aber es ging nicht! Ihr Herz klopfte schneller als zuvor und ihre Atmung war flach. Was war nur los?
    Ohne sich dessen bewusst zu sein, bewegte sie sich auf den Wald zu, dem Duft folgend. Irgendwie war er ihr vertraut, ja ihr war, als ob sie ihn kennen würde, aber wie war das möglich? Wie konnte ihr hier etwas bekannt sein, wenn sie noch nie zuvor diesen Ort besucht hatte?
    Sie versuchte sich zu beruhigen und mehr auf den Geruch zu konzentrieren. Es war ihr, als würde sich eine Erinnerung regen. Sie hatte das Gefühl etwas Wichtiges vergessen zu haben. Aber was? Und warum hier?
    Der Boden unter ihren Pfoten hatte sich verändert, sie spürte kein Gras mehr, sondern herabgefallene, nasse Tannennadeln, feuchte Erde und Moos. Obwohl sich hier mehrere Aromen befanden, stach der Duft markant daraus hervor. Sie folgte seiner Spur zwischen den unterschiedlichsten Bäumen durch den Wald. Viel achtete sie aber nicht auf ihre Umgebung, alles schien ihr so unwirklich.


    Es war still im Forst, nur ab und an strich ein zarter Wind durch die leuchtend grünen Blätter der Laubbäume über ihr und ließ diese leise wispern. Also wagte sie es und schloss die Augen, in der Hoffnung, dass sie so vielleicht die Erinnerung finden würde, die mit dem Duft verknüpft war. Woher kannte sie ihn? Wann hatte sie ihn das erste Mal in der Nase gehabt? Und wer oder was war dessen Urheber?
    Doch ihr Gedächtnis ließ sie im Stich, gab keinerlei Informationen heraus, egal wie weit sie zurückging und an welche Ereignisse sie sich auch erinnerte. Gerade als sie es erneut versuchen wollte, hörte sie ein Geräusch, als würde jemand sich von einem Haufen trockener Blätter erheben. Es raschelte und knackte, als einige, dünne Zweige brachen. Stehenbleiben konnte sie nicht, der Duft war hier so stark, dass sie sich kurz vor ihrem Ziel zu befinden schien.
    Ehe sie noch länger darüber nachdenken konnte, spürte sie die Berührung von Haaren auf ihrer Schnauze. Erschrocken wich sie zurück und riss die Augen auf.
    Sie starrte auf eine schwarzbefellte Brust und als sie aufblickte, sah sie in das Gesicht eines Luxtra, dessen gelbe Augen vor Überraschung geweitet waren. Eine lange schwarze Mähne stand vom Kopf ab und zeigte ihr unmissverständlich, dass es sich um ein Männchen handeln musste.
    Eigentlich hatte sie von ihrem Körper eine typische Abwehrreaktion erwartet, aber weder stellte sich ihr Fell auf, noch hatte sie das Bedürfnis ihr Gegenüber anzufauchen. Was war los? Sie hatte dieses Pokémon noch nie zuvor gesehen und doch ging dieser vertraute Duft von ihm aus. Sie wusste nicht, was sie tun sollte, außer ihn verwirrt anzustarren. Er blickte sie ebenso entgeistert an, bis er schließlich fragte: "Jill?"
    Wie konnte er ihren Namen kennen?
    „Wer bist du?“, erwiderte sie skeptisch, auch wenn seine Stimme sie auf unbekannte Weise berührte.
    „Aber ich bin's doch. Nero“, entgegnete er sanft. Mit einem freudigen Ausdruck in den Augen senkte er den Kopf und berührte ihre Nase mit seiner. Über die plötzliche - und doch recht intime - Berührung erschrocken, wich Jill zurück. In ihrem Kopf wirbelte alles hin und her, alte Erinnerungen wurden wach und viele Fragen verlangten nach Antworten.
    „Was… Wie kommst du hierher?“, wollte sie wissen und ihr Herz schlug schneller als zuvor, begierig auf die Aussage die alles erklären würde.
    „Ich wünschte ich hätte es dir damals schon erklären können“, begann er und blickte sie aus schuldbewussten Augen an. „Auf dem Weg zurück wurde ich von einem Trainer entdeckt. Ich habe alles getan, um nicht gefangen zu werden. Jede Faser in meinem Körper wehrte sich und ich brach immer wieder aus dem Pokéball aus, aber irgendwann konnte ich nicht mehr. Ich... Ich hab einfach - aufgegeben... dich aufgegeben.“ Während er sprach sammelten sich Tränen in Jills Augen. Sie konnte sich nicht erklären warum, eigentlich müsste sie doch glücklich sein, hatte sie doch ihren Freund wiedergefunden. „Es tut mir so Leid, ich hätte mehr kämpfen müssen.“
    Die ersten Tränen rannen an Jills Wangen herunter, färbten ihr Fell dunkel. Sie konnte es nicht mehr zurückhalten und begann zu weinen, auch wenn sie den Grund nicht kannte. Auf eine merkwürdige Art und Weise hatte sie das Gefühl, dass das all die Tränen waren, die sie damals nicht vergossen hatte. Sie senkte den Kopf und wandte sich mit geschlossenen Augen ab; schämte sich dafür in seiner Gegenwart zu weinen.
    Er beugte sich zu ihr hinunter und begann ihre linke Wange trocken zu lecken. Jill nahm es sofort wahr, für einen Moment wollte sie sich ihm entziehen, ließ es aber doch zu - mit einem angenehmen, wenn auch ihr bisher fremden, Prickeln im Fell. Es war so still, sie konnte sein Herz schlagen hören und spürte seinen Atem in ihrem Gesicht. Noch eine Weile rannen die Tränen aus ihren Augen, aber nach und nach wurden diese weniger und sie fühlte sich besser, als wäre eine Last von ihr genommen worden. Nero hatte nicht aufgehört ihre Wangen zu lecken, die ganze Zeit über kein Wort gesagt und doch wusste Jill was er sagen wollte. Als ihr schluchzen leiser wurde und sie wieder normal atmen konnte, zog er sich zurück und blickte sie an. Jill öffnete die Augen und sah zu ihm auf. Er war nur wenige Zentimeter von ihrer Schnauze entfernt. Aus seinem mit blauem und schwarzen Fell bedeckten Gesicht blickten seine gelben Augen sie sanft an.
    Langsam kam er näher und berührte sie erneut mit seiner Schnauze. Sie erwiderte diese Berührung, glücklich und von der Trauer befreit. Sie genoss es und wünschte dieser Moment würde für immer andauern. Ihr Herz begann schneller zu schlagen und durchdrang sie mit unbekannter Zuneigung zu ihm.
    „Bleib bei mir“, hauchte er und Jill spürte einen stechenden Schmerz bei diesen Worten. Sie blickte ihn an und erwiderte: „Ich wünschte ich könnte.“
    Nero löste sich von ihr und sah sie fragend aus seinen roten Augen an.
    „Weißt du… ich… meine Trainerin“, stammelte sie verzweifelt und spürte erneut wie sich die Tränen sammelten.
    „Ich hab es mir fast gedacht, dass du ebenso wie ich gebunden bist“, erwiderte er wissend aber mit sanften Augen.
    „Ich will nicht wieder von dir getrennt werden“, gab sie zu und ihre Stimme bebte. Sie ging zu ihm und vergrub ihre Schnauze in seinem Brustfell. Es würde etwas in ihrem Leben fehlen, wenn sie sich trennen mussten, dass war ihr klar und das wollte sie nicht. Sein Herzschlag erfüllte ihre Ohren, sein Pelz streichelte ihr Gesicht und sein Geruch erinnerte sie an die vielen schönen Tage, die sie gemeinsam verbracht hatten.
    „Weißt du, was man über die Liebe sagt?“, hörte sie Nero ruhig sagen. „Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, erduldet alles. Die Liebe versagt nie.“



    [tab='2. Platz']
    [subtab=Courser]
    Überlegungen und Überwindungen
    Ich wachte auf. Es war ein Tag wie jeder andere. Und doch wollte ich ihn zu einem ganz besonderen machen. Heute war mein Tag. Das fühlte ich.
    Lasst mich das kurz erklären. Da war dieses Mädchen, in das ich verliebt war. Ewig schon verliebt war. Aber - und das ist etwas, was ihr für diese Geschichte über mich wissen solltet - es hatte durchaus einen Grund, dass ich zwar schon ewig verliebt war, nie aber mit ihr zusammen war. Dieser Grund war ich selbst. Oder vielmehr meine Schüchternheit.
    Nun, vielleicht ist Schüchternheit das falsche Wort. Es ist schließlich nicht so, dass ich nicht mit Mädchen reden könnte. Auch mit ihr kam ich glänzend aus, wir waren sogar Freunde, ich war schon bei ihr zu Besuch und sie bei mir. Aber wenn es dazu kommt, offen über Gefühle zu sprechen, dann bin ich raus. So etwas kann ich einfach nicht. Ihr seht sicherlich das Problem. Wenn ich nicht über meine Gefühle sprechen konnte, wie konnte ich sie dann wissen lassen, dass ich mehr mochte als es nur Freunde tun? Sicher, ich konnte darauf warten, dass sie den ersten Schritt tat. Aber verständlicherweise war das keine Option für mich. Wie lange sollte ich darauf warten, warum sollte sie als Mädchen den ersten Schritt wagen, ja, woher wusste ich überhaupt, dass sie überhaupt mehr als ein Freund für mich sein möchte?
    Nein, zu warten machte keinen Sinn. Das hatte ich schon vor einem halben Jahr entschieden. Und trotzdem habe ich mich nicht dazu ermutigen können, ihr meine wahren Gefühle anzuvertrauen. Ich meine, ihr seht das sicher ein. Wenn sie mich tatsächlich nur freundschaftlich mochte, wie würde sie reagieren? Meine Freundschaft zu ihr wollte ich nicht riskieren. Aber dennoch. Das halbe Jahr, das ich jetzt noch gewartet habe, hat mir eines klar werden lassen: Wenn ich es ihr nicht bald sage, werde ich vor Sehnsucht, Frust und sogar Selbsthass noch wahnsinnig.
    Aber zurück zum heutigen Tag. Nachdem ich aufgestanden war, machte ich mich fertig. Tatsächlich spürte ich schon eine gewisse Nervosität. Na toll. Wie nervös würde ich erst sein, wenn ich sie vor mir sah? Ich versuchte, den Gedanken vorerst zu verdrängen. Alles zu seiner Zeit.
    Der Bus kam. Ich ging noch zur Schule, müsst ihr wissen. So sah ich meine fast-Freundin, wie ich sie insgeheim bereits nannte, so gut wie jeden Tag. Ich ging im Kopf noch einmal meinen Plan durch. Nun, das ist vielleicht zu viel gesagt. Um ehrlich zu sein hatte ich noch keinen Plan. Von daher ist es wahrscheinlich zutreffender, wenn ich sage, ich stellte mir vor, was ich zu ihr sagen würde, wie sie antworten könnte und wie das Gespräch weiterlaufen würde.
    So etwas mache ich gerne. Mir Gespräche vorstellen. Ich hatte immer schlaue und zugleich witzige Antworten parat, war selbstbewusst und redegewandt. In meinem Kopf wohlgemerkt. Nur leider schienen meine erdachten Dialoge nie Wirklichkeit zu werden. Oftmals fand ich mich auch direkt nach einem bereits geführten Gespräch wieder, wie ich rekapitulierte, was ich für gute und pfiffige Erwiderungen ich hätte geben können. Wenn sie mir nur früher eingefallen wären.
    Ich war an der Schule angekommen. Die Busfahrt, während der ich mir doch eine gute Einleitung überlegen wollte, hatte scheinbar nur einen Bruchteil der Zeit gedauert, die ich sonst wartend und gelangweilt am Fenster verbrachte. Mit so etwas hatte ich nicht gerechnet. Vielleicht war es besser, alles nochmal zu durchdenken und meinen Offenbarung auf morgen zu verschieben?
    Nein. „Morgen“ sagte ich schon seit Monaten. Heute war es soweit, ich würde es nicht verschieben, nicht erneut. Die erste Stunde fing an – wo war die Zeit geblieben? - und meine Zweifel wurden größer. Nein. Nein. Nein. Es gibt keine Zweifel. Das war es, was ich wollte, und das war es, was ich tun würde. Nächste Stunde. Wir hatten uns nur mit einem Lächeln begrüßt, weil sie ein wenig zu spät gekommen und der Lehrer schon da war.
    Als die Stunde ohne sie begann, hatte ich fast gehofft, sie wäre heute nicht da. Einen weiteren Tag zu warten, ohne dass ich dafür etwas konnte – ein schöner Gedanke. Was dachte ich denn da? Natürlich war das kein schöner Gedanke. Ich musste es heute tun. Ich wusste, wenn ich sie heute nicht fragen würde, würde ich mich nie trauen.
    Ich blickte auf. Dies war eigentlich eine sehr wichtige Stunde, zumal es das letzte mal Mathematik vor der Klausur war. Aber ich konnte mich nicht auf den Unterricht konzentrieren.Um ehrlich zu sein, ich konnte mich auf gar nichts konzentrieren. Nervös blickte ich auf, und sofort wieder zurück auf den Tisch. Meine fast-Freundin saß mir gegenüber an der anderen Wand des Raumes. Eine ideale Position.
    Habe ich zumindest immer gedacht. Wir warfen uns immer Blicke zu und lächelten einander an, verdrehten die Augen, wenn der Lehrer mal wieder etwas unsinniges von sich gab und veranstalteten Wettbewerbe, bei denen es darum ging, nicht derjenige zu sein, der als erstes wegguckt. Es war herrlich.
    Aber nicht heute. Heute konnte ich sie nicht ansehen, oder, dass wusste ich, ich würde meinen Mut sofort komplett verlieren. Ich musste sie in der Pause ansprechen und sofort auf das Thema kommen, bevor ich es mir wieder anders überlegen konnte. Gerade hatte ich den Gedanken gefasst, klingelte es auch schon zur Pause. Unglaublich. Sollte ich jetzt gleich rüber gehen? Nein, es ist sicher besser, ich warte auf die 25-Minuten Pause, dann habe ich mehr Zeit. In den fünf Minuten, die wir zwischen den ersten beiden Stunden nur hatten, würde ich nicht alles zum Ausdruck bringen können. Außerdem wollte ich es ihr draußen sagen. Fern von den Ohren der Anderen. Wer weiß, was passieren könnte.
    Ich stellte mir vor, wie sie mich erfreut anschaute. Ich hatte es ihr gerade gesagt. Sie erwiderte, dass sie die gleichen Gefühle hatte, schon ewig, so wie ich. Wir waren glücklich. Wir kamen uns näher, ihr Kopf näherte sich meinem – und wieder klingelte es. Der helle Ton riss mich aus meinen Träumen, die zweite Stunde begann. Im Gegensatz zur ersten war sie nicht mal ansatzweise wichtig, und so schenkte ich dem Unterricht – so fern das möglich war – noch weniger Aufmerksamkeit als vorher. Wir umarmten uns, sie sagte mir, sie liebe mich – nein, ich saß noch im Klassenraum. Ich hatte es ihr noch nicht gesagt.
    Wenn ihr nicht so schüchtern seid, wie ich, wenn ihr selbstbewusster seid, Draufgänger gar, könnt ihr das sicherlich nicht verstehen. Mein Herz klopfte, ich war nervös wie nie im Leben, obwohl ich noch gar nichts unternommen hatte. Aber auch, wenn ihr das vielleicht seltsam findet, bitte ich euch, zu versuchen, euch in mich hineinzuversetzen. Bedenkt, das alles war Neuwelt für mich. Ich hatte so etwas noch nie gemacht.
    Und dann war es soweit. Es klingelte erneut, diesmal zur großen Pause, ja, es klingelte zu meiner Stunde. So machte ich mir Mut. Nervös wie ich war, war ich trotzdem bereit. Bereit, meine seit Ewigkeiten verschwiegenen Gefühle endlich rauszulassen, endlich zu sagen, was ich schon längst hätte sagen sollen. Ich stand auf.



    [tab='3. Platz']
    [subtab=Pika!]
    Himmel und Erde
    Die Sonne war nunmehr nur noch hinter dem violetten Schimmer im Westen zu erahnen, nachdem sie ihre lange Wanderung über ihren nördlichen Zenit beendet hatte. Die Hitze des Tages würde ab jetzt nur langsam weichen und auch im Morgengrauen nicht vergangen sein, wenn die Savanne wieder aufgewärmt wurde. Erst jetzt, als sich Dunkelheit und Sternenschimmer über die goldenen Wiesen des Südkontinents legten, ließen Lucan und Nao sich zu einer Rast nieder.
    Nao entzündete mit den kümmerlichen Ästen vertrockneter Steppensträucher ein kleines Feuer. Lucan, dessen Kleidung voller Sand war – auch an Stellen, über die er lieber nicht nachdenken wollte –, versuchte, den hartnäckigen Staub abzuklopfen. Da es nichts half, gab er es auf und setzte sich ans Feuer. Er verstand nicht, warum Nao eins entfacht hatte, schließlich war es alles andere als kalt und der Flammenschein konnte ihren Aufenthaltsort auf viele Meilen Entfernung verraten. Lucan wollte sie danach fragen, doch seine ärmlichen Kenntnisse ihrer Sprache reichten dafür nicht aus. Nao packte den Feuerstein in ihre Umhängetasche und kramte daraus stattdessen zwei gedeckelte Tontiegel hervor sowie drei verschiedene Steine. Die beiden Tiegel schob sie nah ans Feuer heran, und ab diesem Zeitpunkt wusste Lucan, was sie vorhatte.
    Es war eines der wichtigsten Rituale ihres Volkes und symbolisierte dessen tiefe Verbundenheit mit den Geparden. Normalerweise wurde es schon vor Sonnenuntergang vollzogen, unter dem wachsamen Blick des Himmelslöwen, oder bei Sonnenaufgang, aber besser, Nao tat es zu spät, in der Nacht, als dass sie bis zum Morgen wartete. Immerhin war sie damit beschäftigt gewesen, mit Lucan zu fliehen. Und das war beileibe nicht leicht gewesen. Als Bewohnerin der Steppe mochte sie an Hitze und Wassermangel gewohnt sein, aber Lucan kam immer noch nicht damit zurecht.
    Während Nao den flachen Stein als Platte benutzte, um mit dem Faustkeil den Ockerstein zu bearbeiten, dachte Lucan über die vergangenen Stunden nach.
    Eigentlich war er zum Tode verurteil gewesen, weil er sich öffentlich gegen den Befehl seines Kaisers, das Volk der Pardu auszulöschen, geäußert hatte, und auf diese Vehemenz stand die Todesstrafe. Immerhin waren die Eroberer nicht umsonst aus dem Nordkontinent über das Mittlere Meer hergekommen – sie wollten an die Bodenschätze des Südkontinents gelangen, und um das zu schaffen, mussten sie alles andere vertreiben oder vernichten. Im Morgengrauen hätte Lucan enthauptet werden sollen, wäre Nao nicht gewesen, die ihn aus dem Kerker befreit hatte. Sie war unbemerkt am helllichten Tag in den Stützpunkt der weißen Eroberer, die ihr Land unterwerfen wollten, eingedrungen, um Lucan zu befreien.
    Genauso ungesehen, wie sie gekommen war, waren sie schließlich wieder verschwunden. Aber zweifellos war man ihnen schon auf den Versen, da Lucans Henkersmahlzeit schon bald nach seiner Befreiung gebracht und sein Verschwinden dadurch entdeckt worden sein musste. Wenn man sie zu Pferd einholte, hatten sie allein, trotz Naos unzweifelhaftem Geschick mit dem Speer, keine Chance gegen die weißen Gardisten. Noch dazu, weil sie ohne die Begleitung ihres Geparden war. Lucan fragte sich schon seit seiner Befreiung, wo Naos Partner ihres Herzens war, denn er hatte sie noch nie ohne die Raubkatze gesehen. Immerhin hatten die beiden jede Minute zusammen verbracht, seit der Gepard geboren worden war, wodurch Nao ihn so gut kannte, dass sie sogar seine Körpersprache lesen konnte.
    Nao kippte das ockerfarbene Pulver, das sie produziert hatte, in den größeren der beiden Tontiegel und verrührte die Masse, die sie darin erhitzt hatte. Als sie mit ihrem Werk zufrieden war, nahm sie einen großzügigen Klecks und vollzog das Ritual. Lucan beobachtete sie, in vielerlei Hinsicht interessiert, während sie ihr Gesicht, die Oberseite ihrer Arme, die Außenseite der Oberschenkel, die Unterschenkel und Fußrücken sowie Bauch und Brust in festgelegter Reihenfolge mit der ockergelben Paste einrieb.
    Die Pardu trugen keine Kleidung; das Einzige, das sie dauerhaft an ihre Haut heranließen, war die Farbe, mit der sie sich den Geparden anglichen. Das und viele weitere Eigenschaften wirkten auf die meisten von Lucans Landsleuten befremdlich, und sie stempelten die Pardu nur allzu voreilig als unzivilisierte Tiere ab. Aber die Zeit, die er unter ihnen verbracht hatte, war die schönste und aufregendste seines Lebens gewesen, und er hatte das Urvolk lieb gewonnen. Ganz besonders Nao, da sie sich seiner angenommen und ihm mit Rat und Tat zur Seite gestanden hatte in der ihm fremden Gesellschaft. Um nichts in der Welt würde er zulassen, dass ihr oder ihrem gastfreundlichen Volk ein Leid wiederfuhr oder ihre wunderbare Kultur ausgelöscht wurde. Doch leider lag das zu entscheiden nicht in seiner Macht.
    Nao zog nun auch den anderen Tiegel mithilfe eines Stockes aus dem Feuer sowie ein Stück schwarzer Kohle. Sie hielt Lucan den größeren Tiegel entgegen, in dem sich Reste der gelben Paste befanden. „Asha“, forderte sie ihn in ihrer Sprache auf, die Lucan nur dürftig beherrschte, „Asha‘ar nol.“ Färbe meinen Rücken. Lucan nahm den Tiegel, während Nao sich mit dem Rücken zu ihm wandte und die Kohle zu zermahlen begann.
    Mit plötzlicher Intensität wurde sich Lucan der sehr intimen Nähe bewusst, die zwischen ihnen herrschte. Zwar hatte er viel Zeit unter den Pardu verbracht, um ihre Lebensweise für die Eroberer auszuspionieren. Aber bislang hatte noch keiner von ihnen ihn zum Auftragen der Gepardenhaut eingeladen, was für die Eingeborenen ungefähr den Stellenwert eines gemeinsamen Mahls hatte. Wenn Nao ihn, obwohl er nicht von ihrem Volk war, um seine Hilfe bat, musste er ihr sehr viel bedeuten, noch mehr, als sie durch seine Befreiung deutlich machen konnte. „Kha nau… mo“, versuchte er unartikuliert, sich für diese Ehre zu bedanken.
    Nao kicherte: „Kha nau mno.“ Lucan war zerknirscht ob ihrer Verbesserung, da er den seltsamen Zungenkonsonant nie wirklich hatte aussprechen können.
    Lucan fing an, Naos Rücken mit der ockergelben Paste einzufärben. Ihm war dieser Umstand zwar schon häufig bei den Pardu aufgefallen, aber unter seinen Händen spürte er es noch deutlicher: Nao mochte klein sein und zierlich wirken, aber unter ihrer tonfarbenen Haut spannten sich drahtige Muskeln. Lucan wollte nicht mit dem weißen Mann tauschen, der die Körperkraft und Gewandtheit einer Pardu unterschätzte. Egal ob Mann oder Frau, jeder vom kleinen Urvolk wurde zum Krieger ausgebildet und wusste sich zu verteidigen. Hinzu kam das enge mentale Band zu einem Geparden, der für seinen Menschen sein Leben opfern würde.
    Lucan betrachtete nachdenklich die Holzperlen in Naos wirrem, zu schlangengleichen Zöpfen geflochtenem Haar: sechs rotbraune und neun gelbbraune – sechs Jahre ohne und neun mit Gepardengefährten. Ob die Jahresrechnung der Pardu denen der Menschen vom Nordkontinent entsprach, wusste Lucan nicht sicher; zumindest schätzte er Nao aufgrund ihrer Erfahrung und ihres Geschicks älter ein als fünfzehn Jahre. So genau konnte er es ohnehin nicht sagen wegen ihres fremdartigen Aussehens, das allen Pardu gemein war. Wahrscheinlich dachten die Ureinwohner des Südkontinents ähnlich über die Weißen.
    Auch das Kohlepulver verrührte Nao im kleineren Tiegel mit der nach fremden Kräutern duftenden Tierschmalzmasse und malte kleine Punkte auf die gelbe Grundfarbe. Lucan beendete seine Arbeit an ihrem Rücken und tauchte seinerseits zwei Finger in die schwarze Paste, die sie ihm darbot. Unbeholfen setzte Lucan einen Punkt auf die gelbbemalte Haut, indem er einen Kreis zeichnete.
    „No, no“, hielt Nao ihn ab und verwendete dabei eines der wenigen Wörter seiner Sprache, die er ihr beigebracht hatte, auch wenn sie es falsch betonte. Sie tunkte ihre Fingerspitzen erneut in die Farbe, drehte sich zu ihm um und zeigte ihm auf seinem Handrücken, wie die Flecken richtig zu malen waren: Erst die eine, dann die andere Hälfte, am selben Punkt angesetzt. Das symbolisierte die Einheit, die der Himmelslöwe und die Erdenmutter in der Welt einnahmen.
    Plötzlich hielt sie inne und fixierte lange den schwarzen Kreis auf Lucans Hand. Obwohl er schon mehrere Monate in der Savanne verbracht und daher eine starke Bräune bekommen hatte, wirkte seine Haut im Gegensatz zu der von Naos ungefärbtem Handrücken immer noch sehr bleich. Aber verglichen mit der Ockerfarbe, die sie sich aufgetragen hatte, ähnelten sie sich doch erheblich.
    Nao sah zu Lucan auf, und ihre Blicke trafen sich. Es war schwer, in ihrem bemalten Gesicht zu lesen, aber das brauchte er auch nicht. In diesem Moment sahen sie beide über alle Unterschiede hinweg: Ihren Glauben einerseits an den Einzigen Gott und andererseits die Geister der Ahnen, den absoluten Kontrast ihrer hellen und dunklen Hautfarbe, sein strohblondes und ihr pechschwarzes Haar, ja sogar vorbei an dem Himmelblau und dem Erdbraun ihrer Augen direkt in ihre Herzen.
    Lucan kannte diesen Blick, auch wenn er ihn noch nie so mächtig empfunden hatte wie im Angesicht der Pardu. Hitze durchströmte seinen Körper, als habe das heruntergebrannte Feuer sein Blut in Brand gesetzt, und wurde dabei besonders stark in einem ganz bestimmten Bereich.
    Unwillkürlich musste er daran denken, dass die Pardu glaubten, die Erdenmutter pflanze ihren Frauen die Saat neuen Lebens in den Leib. Ihre Männer spielten dabei keine Rolle. Das mochte sich problematisch auswirken, da Nao sich der Konsequenzen dessen, was sie im Sinn hatte, nicht bewusst war. Lucan hingegen wusste es genau – und es wäre falsch, sich darauf einzulassen, schon aus Prinzip. Er war ein zivilisierter Weißer und sie eine wilde Pardu…
    Das Nächste und Letzte, woran er bewusst dachte, war, wie intensiv der Erdgeschmack von Naos Lippen doch war.



    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]Gewinner des 3. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Kampfbericht
    Informationstopic
    Votetopic[tab='1. Platz']
    [subtab='Pika!']Kampf um Unsterblichkeit
    Mewtu nutzte das gleißende Licht der letzten Explosion und suchte hinter einem hoch aufragenden Kristallturm Deckung. Sein Atem ging keuchend, und an seinem ganzen Körper brannten unzählige Wunden. Dass sein Gegner nicht leicht zu besiegen sein würde, hatte er schon geahnt; auch, dass ihm mit bloßer Kraft nicht beizukommen war. Wenn Mewtu gewinnen wollte, brauchte er nicht nur Geschick und Taktik, sondern auch Verstand.
    Das Licht und der silbrige Staub zerstörter Kristalle legten sich. Mewtu gab sich keinen Illusionen hin, dass sein Gegner nicht wusste, wo er sich aufhielt. Das Pokémon verfügte schließlich über Sinneswahrnehmungen, von denen Mewtu nur träumen konnte. Das große Springmauspokémon sah sich in der riesigen Kristallhöhle um, in der es gefangen war, und entdeckte, wonach es suchte: Ein Spiegelbild seines Gegners!
    Aus dem Winkel der reflektierenden Fläche schätzte Mewtu die Position des Legendären Pokémon. Es schwebte mit dem Rücken zum Spiegel, wodurch es Mewtu nicht auch gespiegelt sehen konnte. Er sammelte seine Kräfte und fokussierte sie in einer Kugel reiner Energie. Wenn er schnell handelte, konnte er seinen Gegner treffen, bevor dieser die Präsenz der Kugel wahrnahm und reagieren konnte.
    Mewtu flog hinter der Deckung hervor und schleuderte die Kugel nach seinem Gegner. Die gebündelte Energie landete einen Volltreffer, Licht explodierte an der Stelle, an der sie eingeschlagen war. Doch Mewtus Euphorie ob dieses Schlages verflog augenblicklich, als sich der Staub legte: Das Pokémon schwebte noch dort! Doch jetzt zeigten sich auf seiner Haut Risse wie in porösem Gestein. Sein Gegner zerbrach in tausend winzige Kristallsplitter. Ein Trugbild!
    „Glaubst du wirklich, ich sei so leicht zu besiegen?“
    Mewtu hob den Kopf. Sein Gegner schwebte über ihm.
    „Du hast es nicht verdient, eine Legende zu werden!“, rief Arceus so laut, dass die umstehenden Kristalle davon vibrierten. Die goldenen Bögen an seiner Seite färbten sich schwarz und grün – das Gottpokémon nahm die Typen Unlicht und Käfer an. Es reckte den Kopf in den nicht sichtbaren Himmel, und strahlendes Licht leuchtete über seiner Stirn auf. Wenn die Urteilskraft Mewtu traf, wäre er besiegt…
    Arceus schoss seine mächtigste Attacke ab, schleuderte sie Mewtu entgegen. Das unterlegene Psychopokémon wich noch aus, wurde aber dennoch von dem Licht gestreift. Die Wucht des Angriffs warf ihn zurück und schmetterte ihn gegen die Kristallwände, die ihn gefangen hielten. Ein schreckliches Knirschen erklang, und Mewtu hoffte, dass die Kristalle gebrochen waren und nicht seine Knochen. Sterne tanzten vor seinen Augen und trübten seine Sicht.
    Endlich vermochte er, über die Wolke aus Lichtpunkten hinweg seine Umgebung zu erblicken. Arceus schwebte vor ihm und lud einmal mehr eine zerstörerische Attacke. Es nahm den Typen Gestein an und unterwarf die Kristalle um es herum seinem Willen. Gewaltige, grünbläulich schimmernde Felsbrocken lösten sich von ihrem angestammten Platz und schwärmten um Arceus. Von der Gedankenkraft des Gottpokémon kontrolliert zerbröselten sie zu feinem Kristallstaub und sammelten sich an einem Punkt vor ihrem Meister, wo dieser den Staub komprimierte und zu etwas Neuem werden ließ.
    Mewtu ahnte, dass dieser Angriff ihn töten mochte, und wollte von der Stelle in der Wand, in die Arceus‘ Urteilskraft ihn gedrückt hatte, auffliegen. Zu seinem Entsetzen musste er jedoch feststellen, dass die lebenden Kristalle bereits nachgewachsen waren und ihn um seinen ganzen Körper mit wulstigen Rändern eingeschlossen hatten wie die heilende Rinde eines Baumes. Er drückte gegen die klammernden Kristallfinger an, doch diese waren robuster, als er gedacht hatte.
    Arceus indessen war damit fertig, den Kristallstaub zu verdichten. Nun drehte sich vor ihm ein neuartiger Kristall, so groß wie Mewtu, in der Leere. Geformt war das quellwasserklare Objekt wie eine Pfeilspitze, die genau auf Mewtu zeigte, und funkelte in regenbogenfarbigem Feuer. Ein riesiger Diamant!
    Auf Gedankenbefehl ihres Schöpfers schoss die schöne wie tödliche Waffe auf den Gefangenen zu. Mewtu wand und wehrte sich gegen seine kristallenen Fesseln, versuchte, seinen sicheren Tod mit seinen Gedanken abzufangen; aber seine telekinetischen Angriffe prallten von der diamantenen Oberfläche ab wie Licht von einem Spiegel. Erst im letzten Augenblick schaffte es Mewtu, wenigstens seine Arme aus der Umklammerung der Kristallwände zu reißen, und fing den Diamantsplitter mit bloßen Händen ab. Mewtu hielt mit allem, was er aufbringen konnte, gegen die Schubkraft der Pfeilspitze an, doch sie ließ sich nicht von ihrem direkten Weg an seine Kehle aufhalten. Die Spitze zielte genau auf seinen Hals, während er sich an den messerscharfen Kanten die Hände aufschnitt.
    Es ist aus, dachte er bitter und wurde von diesem Gedanken überflutet. Lange würde er der Diamantklinge nicht mehr standhalten, und sie würde ihn ohne Mühe aufspießen.
    Aber andererseits… Es gab eine Möglichkeit, wie er sich der schieren Übermacht, über die Arceus gebot, erwehren konnte. Jahrelang hatte er daran, dies zu tun, nicht einmal gedacht, und jetzt erwog er es ernsthaft. Die Menschen hatten ihn mit Kräften ausgestattet, die groß genug waren, ganze Kontinente in wenigen Augenblicken zu verwüsten. Seitdem er Mew begegnet war, hatte er sie tief in sich versiegelt, zusammen mit all dem Schlechten, das aus ihnen erwuchs. Doch wenn er hier gewinnen wollte, musste er sie wiedererwecken.
    Mewtu schloss die Augen und konzentrierte sein Bewusstsein in sein Inneres, ohne dass seine Bemühungen, die Diamantwaffe von seinem Hals fernzuhalten, nachließen. Er spürte tief in sich hinein, bis zu seinem Herzen, und bog kurz davor leicht ab. Mewtu hatte nicht nur das eine Herz, von dessen Pulsschlag ein jedes Lebewesen abhängig war. Daneben lag ein zweites, viel kleineres, in das er all die Zerstörungswut, die die Menschen in seinen Geist gepflanzt hatten, mit seiner künstlich erschaffenen Macht eingeschlossen hatte. So lange hatte es nicht geschlagen; aber es war nicht tot, das würde es niemals sein, solange Mewtu selbst lebte.
    Es schlief nur. Und Mewtu vergaß alle Vernunft und erweckte es von seinem langen Schlummer, ließ es wieder schlagen.
    Augenblicklich strömte die verborgene Energie durch seinen Körper, mächtiger, als Mewtu sie in Erinnerung hatte, so selbstverständlich, als ob sie nie fortgewesen wäre. Allein die Druckwelle, die der Kraftstoß erzeugte und die durch die Kristallhöhle fuhr wie Kreise auf Wasser, reichte aus, unzählige Kristalle unter hellem Klirren bersten zu lassen. Auch über Arceus brachen die edlen Steine aus ihren Verankerungen und regneten auf ihren Schöpfer herab. Das Gottpokémon ließ von Mewtu ab, um sich auf einen Schutzschild zu konzentrieren, der es vor den dolchartigen Splittern schützte.
    Die Diamantklinge, die von der Druckwelle unversehrt geblieben war, hatte ihre Spitze bereits in Mewtus Haut gedrückt. Doch in dem Moment, da Arceus ihr keine Beachtung mehr schenkte, ließ ihr Drängen nach. Mewtu schleuderte sie meterweit von sich und befreite sich mit einem Schlag seines kräftigen Schwanzes aus der Umklammerung der Wand. Ohne Hast flog er auf die Stelle zu, an der Arceus zuvor vom Kristallregen getroffen worden war, und ließ mit einer Handbewegung den dichten Silberstaub wie von einem Sturm ergriffen verschwinden.
    Das Gottpokémon schwebte nach wie vor in der Luft, keinen einzigen Kratzer hatten die Splitter auf ihm hinterlassen. Wut blitzte in dem uralten Gesicht, das sonst zu keiner Gefühlsregung fähig war. Wieder änderte sich sein Typ zu Unlicht und Käfer, und Arceus schoss erneut das gleißende Licht der Urteilskraft ab. Unbeeindruckt dieser weltenzerstörenden Attacke hob Mewtu die Hand und initiierte einen Schutzschild. Die Lichtkugel traf darauf, das Donnern ließ die ganze Halle erbeben – aber der Schild brach nicht. Das rote und das pfirsichfarbene Auge fassungslos aufgerissen, starrte Arceus Mewtu an.
    Das Springmauspokémon schoss dutzende Kugeln in allen Blautönen auf das Gottpokémon, das nicht einmal Anstalten machte, auszuweichen. Die mächtige Attacke traf, bläuliche Explosionen hüllten die Höhle in unheimliches, von allen Oberflächen gebrochenes Licht. Mewtu schwebte zu Arceus, das auf dem Boden aufgekommen und in die Knie gegangen war. Immer wieder versuchte es, sich aufzurichten, doch es hatte keine Kraft mehr. Mit Genugtuung betrachtete Mewtu die Bruchstücke, die neben seinem Gegner lagen. Jedes Legendäre Pokémon hatte etwas an sich, in dem seine Unsterblichkeit eingeschlossen war, und für Arceus waren es die konzentrischen Bögen. Ein Angriff noch, und es wäre tot.
    Mewtu schickte seinen Geist aus und befahl dem Diamantsplitter, der ganz in der Nähe lag, zu ihm zu kommen. Das glitzernde Objekt, das dazu dienen sollte, seinen Schöpfer zu töten, kam augenblicklich herbei. Ohne Zögern schoss Mewtu die Waffe ab.
    Plötzlich leuchtete vor ihm ein rosafarbenes Licht auf, und die Diamantklinge traf mit solcher Wucht auf einen Schild, dass das unzerstörbare Material in Scherben zerging. Mewtu wich zurück; nicht wegen der Splitter, die prallten an seinem eigenen Schild ab.
    Vor ihm schwebte Mew und schirmte Arceus mit ihrer Kraft vor möglichen weiteren Angriffen ab.
    In diesem Moment realisierte Mewtu, was er zu tun im Begriff gewesen war. Er hatte diesen Kampf mit Arceus ausgeführt, um zu beweisen, dass er der Unsterblichkeit würdig war. Und jetzt hätte er das Gottpokémon beinahe selbst getötet!
    Von sich selbst angeekelt stolperte Mewtu noch einige Schritte rückwärts, und die verbotene Macht kehrte in ihr Gefängnis zurück. Er zitterte am ganzen Körper und konnte nicht glauben, dass er sich so weit hatte gehen lassen.
    Er brach zusammen und vergrub die Hände in Kristallstaub, winzige Splitter schnitten und stachen in seine Handflächen. Jetzt würde Arceus ihm niemals die Unsterblichkeit verleihen! Und daran trug er allein die Schuld...[tab='2. Platz'][subtab=Vivien]Bittersüß
    Ein anziehender Geruch löste sich aus der Masse der Körperaromen und begann mich unwiderstehlich an der Schnauze zu kitzeln. Das Riechorgan in die Höhe gestreckt lief ich auf allen Vieren durch eine dunkle Gasse, irgendwo in einer dieser überfüllten Menschensiedlungen. Früher sollten hier mal viele saftige Pflanzen gewesen sein, doch jetzt war das Gras nicht mehr so grün. Es war grau und hart und schmeckte widerlich. Und die Menschen liefen darauf herum und legten Nahrung in metallene Behälter, nach der ich dann grub. Manchmal schmeckte sie sogar.
    Da – Das war die Quelle des Geruchs.
    Ich blieb vor einem der metallenen Behälter stehen und schnupperte vorsichtig daran, bevor ich mich auf die Hinterpfoten stellte und ihn umwarf. Der Behälter krachte laut gegen einen anderen seiner Art, die in dieser Gasse allesamt eng aneinander standen und die schmutzigen, kahlen Wände wie Bäume säumten. Trotzdem fiel letztendlich nur der Gegenstand meiner Begierde zu Boden, ohne seine Bekannten mitzureißen – offensichtlich waren die Anderen schwerer beladen als meiner.
    Zwischen verfaulten Äpfeln und ähnlichen Unannehmlichkeiten entdeckte ich in einer halbgeöffneten Schachtel einige kleine, süßlich duftende Gebäcke in verschiedenen Farben, die meisten jedoch rosa. Ich hatte nun schon seit einer Weile keine ordentliche Mahlzeit genießen können und war hungrig und ausgelaugt. Doch gerade, als ich mich erleichtert über meine Beute hermachen wollte, hörte ich hinter mir ein Fauchen. Meine Nackenhaare stellten sich bedrohlich auf und ich drehte mich um, die Zähne gebleckt und einen Buckel machend.
    Mir gegenüber stand ein katzenähnliches Wesen mit violettem Fell und einem langen Spiralschwanz, welcher abschreckend aufgerichtet war. Mein Instinkt sagte mir, dass es sich bei meinem Gegenüber um ein weibliches Geschöpf handelte, worauf ich mich jedoch nicht länger konzentrieren konnte, da sie abermals bedrohlich fauchte.
    Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter, doch ich würde nicht weichen. Sollte sie doch fauchen, ich hatte den Happen vor ihr gefunden!
    Als hätte sie meine Gedanken gehört, fuhr sie ihre Krallen aus und sprang mit erhobener Tatze auf mich zu, doch ich duckte mich unter dem Hieb hinweg und stieß sie mit meiner ganzen Körperkraft von mir. Sie flog ein Stück weg, fing sich jedoch und landete elegant auf allen Vieren.
    Ich bellte laut, sie sollte sich gefälligst verziehen und es schien zu wirken: Sie ließ ihren Kopf sinken und ihren Schwanz niedergeschlagen hin und zucken. Verwundert über den plötzlichen Sinneswandel, war mein Essen kurz vergessen und ich machte einen unsicheren Schritt auf sie zu. Als sie mir direkt in die Augen sah, setzte mein Herz glatt einen Schlag aus. Wie bezaubernd sie doch war! Und ich hatte sie angegriffen!
    Über meine eigene Dummheit verärgert lief ich schwanzwedelnd zu ihr und begann beruhigend zu summen, um sie aufzuheitern. Offensichtlich half es, denn sie erholte sich und schmiegte sich an mich, was wir wahrlich Herzklopfen bescherte. Ich wollte gerade die Geste erwidern, als ich einen harten Schlag in den Bauch spürte, der mich überrumpelt von den Füßen riss. Mir wurde schwindelig und ich schloss die Augen vor Schmerz, als ich herb auf dem Boden aufkam, jedes berauschende Liebesgefühl verschwindend.
    Der Schwindel legte sich schnell wieder und ich öffnete die Augen einen Spalt breit, um sie eine halbe Sekunde später entsetzt aufzureißen. Die hinterhältige Angreiferin machte sich über meine Beute her! Verärgert über meine eigene Unachtsamkeit durch die ich ihr schließlich auf den Leim gegangen war, schnellte ich auf und jagte auf sie zu. Allerdings bemerkte sie mich viel zu früh und fuhr abermals ihre Krallen aus. Doch anstand mich wieder zu ducken sprang ich diesmal in die Luft, stieß mich mit den Hinterpfoten an einem der Nahrungshalter ab und donnerte meinen Schädel in die Magengrube meiner Gegnerin, welche überrascht nach Luft japste als sie rückwärtspurzelte und sich schmerzhaft überschlug.
    Stolz über meine eigene Leistung schnappte ich mir ein Gebäck aus der Schachtel und verzehrte es genüsslich. Dabei ließ ich sie jedoch nicht aus den Augen und es dauerte auch nicht lange bis sie sich wieder gesammelt hatte und zum Gegenangriff ansetzte. Geschwind leckte ich mir die letzten Krümel von den Lippen und wich einem weiteren Krallenhieb aus. Unter noch einer Attacke duckte ich mich hinweg, beim nächsten Schlag machte ich einen Schritt rückwärts, direkt in den Haufen der Unappetitlichkeiten hinein. Ich rutschte auf einem der zermatschten Äpfel aus und kam ins Straucheln. Die Gelegenheit wurde sofort am Schopfe gepackt und die scharfen Krallen versanken knapp unterhalb meiner Rippen in meinem Fleisch. Ich schrie vor Schmerz auf und viel in den Schmutz. Durch die halbgeöffneten Augenlieder hindurch bemerkte ich wie sich mein nachthimmelblaues Fell leicht rötlich färbte.
    Meiner Gegnerin schien dies zu genügen. Feixend wandte sie sich wieder meiner Mahlzeit zu, doch ich würde das nicht zulassen. Ich durfte das nicht zulassen! Ich würde bis zum Ende kämpfen, nicht nur wegen meines Stolzes, sondern einfach nur um zu leben und zu essen.
    Die Funken begannen über mein Fell zu tanzen. Zuerst nur ganz leicht und unauffällig, danach leuchteten sie immer eindrucksvoller und gereizter, setzten mich komplett unter Strom. Mühsam rappelte ich mich auf und war nun von der Schnauzspitze bis hin zum Ende meines sternenförmigen Schwanzes in ein hellblaues, elektrisches Licht getaucht.
    Auch sie hatte es bemerkt und ging grimmig fauchend in Verteidigungsstellung, welche sie jedoch eine Sekunde später wieder aufgab und die Flucht über die Deckel der Behälter ergreifen wollte.
    Ich ließ es nicht soweit kommen. Wie eine Rakete schoss ich vor und rammte sie mit all meiner Kraft. Die elektrischen Strömungen gingen auf sie über und ließen sie aufkreischen, doch der Ausstoß der Qual ging im Lärm der Entladung unter.
    Meine Haut prickelte immer noch ein wenig, als sie mit einem leidvollen Stöhnen bewusstlos zwischen den Behältern zu Boden sank. Ich schwitze und auch meine Pfoten zitterten, während ich mich erschöpft, zugleich aber auch stolz und erleichtert meinem wohlverdienten Mittagessen zuwandte. Es waren nur noch zwei Leckerbissen übrig. Der Rest schien bei unserem Kampf untergangen zu sein.
    Etwas enttäuscht trat ich nach der Schachtel und schwankte dabei leicht. Die Verletzung an meiner Seite machte mir ganz schön zu schaffen. Nun gut, der Verliererin ging es bestimmt noch schlechter. Doch das hatte sie sich selbst zuzuschreiben. Ich hatte nur mein Hab und Gut verteidigt!
    Plötzlich spürte ich, wie es mir kalt den Rücken hinunterlief. Für den Bruchteil einer Sekunde war ich vor Schock wie gelähmt, dann keimte der Schmerz. Mein Rücken schien in Flammen aufzugehen und ich hörte mich selbst aufkeuchen. Das Gebäck, welches ich mir hatte in den Mund schieben wollen, rollte davon und ich sackte in mich zusammen. Aus dem Augenwinkel konnte ich erkennen, wie ein Artgenosse meiner Gegnerin die Schachtel mit dem Mund hochnahm und zu seiner Kumpanin herübertrug. Meine Muskeln schrien nach Erlösung, als ich ächzend versuchte, meiner Habhaft zu werden und aufzustehen, doch ich versagte, blieb liegen. Die Erkenntnis der Niederlage machte sich in mir breit, während die Wunde auf meinem Rücken brannte und an meinem Bewusstsein zerrte.
    Wieder schielte ich zu den Beiden herüber. Sie schien aufgewacht zu sein. Unsere Blicke trafen sich für einen kurzen Moment, doch es war mir unmöglich, etwas aus ihren Augen herauszulesen. Ihr Freund nahm sich währenddessen unter meinem neidischen Blick das letzte Gebäck, zerbrach es in der Mitte und die beiden teilten es sich. Nach dem er es verzehrt hatte, entsprang er bereits auf einen der Behälter, doch seine Freundin drehte sich unerwarteter Weise noch einmal zu mir um. Ich versuchte einen letzten Hilferuf über die Lippen zu bekommen, doch kein Laut entwich meiner Kehle. Sie entdeckte den übriggebliebenen Leckerbissen, der mir vorher heruntergefallen war, und trat ihn mit der Hinterpfote in meine Richtung, als sie ebenfalls aus meinem Blickfeld entfloh.
    Diese Geste versetzte mir einen letzten Hoffnungsschimmer, an den ich mich klammerte und nicht mehr losließ. Krampfhaft holte ich mit der Vorderpfote aus, um das nur wenige Zentimeter entfernte Gebäck doch noch zwischen die Zähne klämmen zu können. Der Druck auf mir lastete immer stärker, in meinen Ohren rauschte mein eigenes Blut, doch schließlich musste ich mich der Dunkelheit beugen, die mich einladend umfing.
    Das Letzte was ich verspürte, war die weiche Kruste des Konfekts an meiner Pfote.[subtab=WoelfinAkira]Wie Katz und Maus
    Da stand sie, Snobilikat, dessen Name „Prinzessin“ bedeutete. Belustigt schnaubte ich und fixierte die Löwin verächtlich, welche arrogant und selbstverliebt meinem Blick standhielt. Wer adelte sich schon selbst?
    Unweit ihrer Erscheinung befand sich ihr Trainer, ein unverschämtes Küken, das nicht seine Grenzen, geschweige denn Anstand, zu kennen schien. Dreist wie dieser Bengel gewesen war, hatte er den Mut gefunden, meine Trainerin Aika zu verspotten, somit auch meine Wenigkeit verhöhnte.
    Gleiches galt für sein Schoßkätzchen, das gewagt hatte, mir entgegen zu treten.
    Sachte hob sich meine Brust, während ich gierig nach Luft schnappte. Ich wusste nicht mehr, wie lange wir bereits kämpften. Jegliches Zeitgefühl war getrübt, genauso wie es jegliche Sinne vom Kampfesrausch vernebelt waren. Ich streckte meinen Leib und schloss für zwei, drei Herzschläge die Augen. Ich fühlte nur noch, wie mein Herz in meiner Brust hämmerte und das Blut in meinen Adern pulsierte. Wahres Feuer rann durch meine Venen.
    „Juwelenkraft!“
    Wie süß – um die Löwin tanzte ein Kreis aus geschliffenen Juwelen, die im Sonnenlicht wie ein Sternenbild glitzerten und funkelten. O welch euphorisches Fauchen. Glaubte das Kätzchen tatsächlich, dass sie mit solch einem Angriff, der mehr schön als gefährlich war, mich beeindruckte? Mit diesem Bling-Bling mochte sie Eindruck bei den Juroren eines Wettbewerbs schinden, aber nicht bei mir!
    Flammen entkamen meinem Maul und schmolzen das Geschmeide in der Hitze der Feuersbrunst. Die Luft knisterte und war erfüllt von einer Wärme, die Stoff sogleich in Brand setzte. Snobilikat traute sich deswegen nicht in meine Nähe. Vergnügt stieß ich eine Rauchwolke aus meinen Nüstern.
    Snobilikat öffnete leicht das Maul, während ihre Ohren seitlich wegklappten und sie ihre Nase kraus zog. Ein scharfes Fauchen zeugte von ihrer Feindseligkeit. Hass flackerte in ihren Augen.
    Aus voller Kehle brüllte ich ihrer Drohgebärde entgegen, denn so leicht vermochte sie mich nicht zu bezwingen. Mein Leib war mit unzähligen Narben gezeichnet. Auf meiner Brust prangte von meiner rechten Schulter bis zur gegenseitigen Hüfte eine lange Narbe, die ich einst im Kampf erdulden musste. In den letzten Jahren hatte ich mehr Schmerz ertragen müssen, als dieses Küken, das mich so tollkühn herausforderte.
    Plötzlich sprang Snobilikat, und ich sah ihre ausgefahrenen Krallen auf mich nieder sausen. Wieder entrann sich ein Schnauben, fast ein gelangweiltes Seufzen. So brennend wie Dornen flammte der Schmerz in meiner Schulter auf und ich tolerierte es, vertraute darauf, dass meine Trainerin die rechte Entscheidung traf.
    „Jetzt haben wir sie – Flammenrad!“
    Ich knurrte und packte Snobilikats schlanken Körper. Fliehen konnte die Löwin nicht, selbst wenn ich die Bisse und Kratzer hinzunehmen hatte. Eines Feuerballs gleich schlangen sich Flammen um unsere Leiber und liebkosten aneinander. Ich frohlockte, als die Katze qualvoll aufschrie, und hätte ihr am liebsten das Maul gestopft – meine armen Ohren!
    Dann befreite ich sie wohlwollend aus dem hitzigen Griff und nahm den harten Aufprall mit einem freudigen Grinsen auf den Boden wahr.
    „Das ist doch wohl ein Witz, oder? Auf die Pfoten mit dir!“
    Nicht sonderlich motivierend oder liebevoll, aber einen Hauch von Nervosität und Furcht erschnupperte ich. So cool wie sich der Junge gab – wie war sein Name noch gleich? -, war er wohl doch nicht.
    Zu meinem Leidwesen erhob sich Snobilikat auf Geheiß ihres Trainers hin wieder. Ihre Beine zitterten, und sie keuchte schwer. Der kampfeslustige Ausdruck in ihren Augen war noch immer nicht gewichen – jammerschade.
    „Röste das Tornupto! Donnerblitz!“
    Eine gelbe Aura blitzte einen Herzschlag lang um Snobilikats Leib auf, während sich die elegante Raubkatze mit einem Sprung in die Luft begeben hatte. Zugleich spürte ich wie Elektrizität wellengleich die Luft erfüllte. Da war der Augenblick, als jedes Haar meines Fells kribbelte und sich meine Muskeln zum Zerreißen anspannten.
    Meiner Kehle entrann ein leises Grollen. Zu keiner Zeit ließen meine Augen die Löwin aus den Augen. Jede Faser meines Körpers war auf das Kommende vorbereitet, und doch traf es mich eiskalt. Schmerz durchflutete meine Glieder, als sich der Starkstrom seine Wege durch mein Fleisch und Blut bahnte. Obwohl ich mir stets Schwäche verbat, vermochte ich nichts gegen das gepeinigte Jaulen tun, das meinen Rachen entrann.
    Als der Druck endlich gewichen war, fühlten sich meine Arme und Beine müde und schwer an, und ich schwankte auf meinen Hinterbeinen. Dennoch tat ich diesem Bettvorleger nicht den Gefallen, in die Knie zu gehen.
    Noch brannte mein Feuer, welches sich liebevoll an meinen Nacken schmiegte und mir Kraft spendete.
    Noch gaben meine Pfoten nicht nach.
    Noch war ich fähig, alles zu geben.
    Diesem Küken würde ich noch beibringen nach meinem Takt zu tanzen.
    „Flammenwurf!“, war der schlichte Befehl meiner Gefährtin, meiner Trainerin. Ich kannte das Mädchen gut, Aika war meine beste Freundin. Ihre Nähe erfüllte mich mit einer Gewissheit, dass ich niemals alleine war, und ich spürte, dass allmählich der seichte Faden ihrer Geduld zu reißen schien.
    Ich hörte und agierte. Tief in meinem Inneren loderte ein ewiges Feuer, und als sich mein Maul öffnete, entzündete sich die Flüssigkeit, die ich stets hervor würgte, wenn sich die Energien Bahn brachen.
    Nun schoss eine dünne Flammenzunge aus meinem Rachen, so grell und einnehmend, in all möglichen Rot- und Orangetönen schillernd. Wunderschön.
    …doch leider verfehlte ich dieses verfluchte Katzenbiest. Die Flammen versengten den Boden und hinterließen rußgeschwärzte Pflastersteine. Mein Maul klappte zu, und der Feuerstrahl erstickte sogleich. Enttäuscht stieß ich ein verärgertes Fauchen aus, während meine Augen Snobilikat verfolgten, die sich mit einem anmutigen Sprung in Sicherheit gebracht hatte.
    Die Löwin zögerte nicht, mich erneut anzugreifen. Keinen Moment gönnte sie mir, zu Kräften zu kommen, denn um ihre rechte Pranke floss eine düstere Aura entlang.
    Ohne Aikas Order abzuwarten, konzentrierte ich mich ebenfalls auf diese dunkle Macht, drang tief in mein Bewusstsein ein, an die dunkelsten Winkel meines Wesens, und beschwor jene herauf. Doch sie war zu flüchtig und drohte mir zu entgleiten, sodass es all meine gesammelte Geisteskraft bedurfte, sie zu meiner rechten Tatze zu lenken und anschließend die schattenhafte Energie zu verformen, zu einer finsteren Klauenhand.
    Ich keuchte erschöpft, als ich die Augen öffnete, die ich während des Prozesses intuitiv geschlossen hatte, und betrachtete beiläufig mein Werk, aber ich richtete rasch meine Wachsamkeit wieder auf meine Konkurrentin und brachte Ordnung in meine zerstreuten Gedanken. Aus der Achtlosigkeit wurden oft Hochmut und falscher Stolz geboren, somit auch Fehler und falsche Entscheidungen. Allerdings war ich schon lange kein Welpe mehr, der sich von Gefühlen wie Leichtsinn oder Größenwahn leiten ließ.
    Binnen weniger Sekunden stießen Snobilikat und meine Wenigkeit zusammen. Mir entwich ein schmerzhaftes Keuchen, als das Gewicht der Löwin auf meinen Leib prallte, und ich drohte die Balance zu verlieren. Ich spürte die allmähliche Erschöpfung in meine Gliedmaßen kriechen, denn meine Beine schienen schwächer zu werden und bald nachzugeben.
    Allerdings wäre mein Opfer nicht umsonst. Selbst wenn ich zusammenbräche, dann würde ich Snobilikat gewiss mit mir reißen.
    Unglücklicherweise landete das tölpelhafte Katzenvieh auf mir und missbrauchte mich offenbar als Kratzbaum, samt gemütlichem Wärmekissen, das sie darauffolgend mit ihren Krallen malträtierte. Stark war sie jedenfalls!
    Ich stöhnte. Mein Hinterkopf war auf den harten Pflastersteinen aufgeschlagen, und mir schwindelte es. Das Bild meiner Augen verschwamm, und ich sah einen Atemzug triste Schwärze.
    Mein Fang öffnete sich einen Herzschlag lang, nur um mit der Zunge über die Lefzen zu lecken, deren Winkel sich nun nach oben gezogen hatten. Blut.
    Ich schmeckte Blut, den unverkennbaren, metallenen Geschmack. Und diese Erkenntnis erhitzte mein Blut, brannte so unerträglich heiß in meinen Adern und ließ mich nicht mehr klardenken. Das Feuer, welches zärtlich meinen Nacken liebkoste, glühte kraftvoller denn je, strahlend hell wie ein Stern in der Finsternis, und ließ die von Wärme durchdrungene Luft flirren.
    Mir entfuhr ein wütendes Knurren, tief aus der Kehle entspringend, während ich geifernd meine Reißzähne entblößte. Eine alles verschlingende Hitze ergriff mein Sein und drohte mein Inneres zu verzehren. Rauch und Qual stieg aus meinen Nüstern empor, und die Fänge wurden in rötliches Licht getaucht. In meinem Rachen brodelte und kochte es.
    Dieser Zorn – ja, er war befreiend, so erlösend, als würde eine Bürde von meinen Schultern herabfallen. Hernach entzündeten sich die Flammen und entflohen als glühender Strahl meinem Maul.
    Eine zerstörerische Explosion zerriss die Luft, und ich spürte, wie der Boden unter mir brach. Jäh war das Gewicht, das auf meinen Leib lastete, verschwunden, aber die Druckwelle dieser gewaltigen Lohe erfasste mich und presste allen Sauerstoff aus meinen Lungen.
    Als sich mein Atem beruhigt hatte, wagte ich, mich zu regen, obwohl ein Hustenanfall an meiner Stärke zehrte. Mir taten die Knochen weh und mein Kopf fühlte sich an als würde er jeden Moment zerspringen. Dennoch fand ich die Kraft, mich zu erheben, wenngleich unter bestialischen Schmerzen.
    Ich sah mich um und kräuselte die Schnauze. Die Luft war von Staub durchdrungen und roch nach verbranntem Fleisch.
    Und da sah ich meine Rivalin, bewusstlos am Boden liegend, das Fell an manchen Stellen verkohlt und mit Gesteinstrümmern übersät. Das schwache Heben ihrer Flanke verriet mir, dass die Löwin lebte.
    Belustigt zog ich die Lefzen nach oben, sodass sie meinen Fang freilegten, und grinste spöttisch. Schade eigentlich. Welch Genugtuung es doch war, sie im Staub kriechen zu sehen! O ich flehte die Götter an, dass dieser Moment niemals enden möge.

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]Gewinner des 4. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Gedicht: Freundschaft
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab=1. Platz][subtab=Chi]Über das Zugfahren
    Die Koffer sind gepackt und ich
    Stehe am Gleis und sehe dich
    Wie du in diesen Zug einsteigst
    Dabei den Kopf gen Himmel neigst


    In ferne Länder wirst du geh'n
    Doch willst du mich bald wieder seh'n
    Das sagst du, als der Zug abfährt
    Und mir alsbald den Rücken kehrt


    Dann sucht' auch ich mir meinen Zug
    Der mich in fremde Städte trug
    Ich hörte dann und wann von dir
    Mal warst du dort, mal warst du hier


    Doch war'n wir nie am selben Ort
    War ich bei dir, so warst du fort
    Die Weichen wurden umgestellt
    Und jeder fuhr in seine Welt


    So kam es, dass wir uns vergaßen
    In immer and'ren Zügen saßen
    Denselben Bahnhof nie erreichten
    Obwohl sich uns're Ziele gleichten


    Und als wir uns dann wieder sahen
    Nach vielen, endlos langen Jahren
    So waren wir nichts mehr als Fremde
    Die zaghaft reichten sich die Hände


    Die wieder and're Wege gingen
    Denn von den vielen, schönen Dingen
    Die früher hatten sie verbunden
    Da war nichts mehr, das war verschwunden.


    Ich dachte erst, dass Züge nun
    Bestimmen, was wir Menschen tun
    Und dennoch gibt es mir zu denken
    Sind wir es doch, die Züge lenken.[tab=2. Platz][subtab=Atropaia]Diese Fragen
    Hast du sie gesehen?
    Als sie draußen einsam stand.
    Sie die Winternacht umhüllte,
    Eine kalte starre Wand.


    Weißt du wie sie sich da fühlte?
    Taub war sie für die Umgebung.
    Tränen war'n zu Eis erstarrt,
    Von dem Herzen keine Regung.


    Hast du es denn da bemerkt?
    Dass der Winter sich verloren
    In dem stummen kalten Blick.
    Ihre Seele war erfroren.


    Weißt du auch was dann geschah?
    Als dein Weg dich zu ihr führte.
    Sie aus ihrem Schlaf erschrack,
    Weil ihr Herz sich plötzlich rührte.


    Ist es dir denn aufgefallen?
    Wie verstört sie dich ansah,
    Ein verschrecktes kleines Kätzchen.
    Du warst einfach für sie da.


    Ist es dir denn gar bewusst?
    Welche Mauer du durchdrungen.
    All die selbsterlegte Einsamkeit,
    Hast du in die Knie gezwungen.


    Manchmal fragt sie sich noch heute,
    Ob du all die Fragen kennst,
    Deren Antworten du so einfach
    Durch die Freundschaft ihr benennst.[tab=3. Platz][subtab=étoile filante]Mauer aus Sand
    Eine Wolke, die schwebt,
    weit in der Höhe.
    Wenn die Erde sich nicht dreht,
    für eine Sekunde keine Mühe.
    Hoffnung.


    Der Hase im Wald,
    von seinem Freund gejagt.
    Gemeinsam verschwinden sie bald,
    haben ihr Spiel vertagt.
    Gemeinschaft.


    Ein Mensch, fast gefallen,
    wurde gerade gerettet.
    Steht vor einem Meer voller Quallen,
    wurde an sein Leben gekettet.
    Glück.


    Zerbrochene Vase,
    im Leben keine Balance.
    Eine neue Phase,
    eine neue Chance.
    Vergebung.


    Hoffnung, Gemeinschaft, Glück und Vergebung,
    All das machte unsere Freundschaft aus.
    Doch war nicht das Ende eine sinkende Erhebung?
    Warum machten wir nicht besseres daraus?
    Vergangenheit.


    Die Sonne am Strand
    wie sie untergeht.
    Doch diese Mauer aus Sand
    wurde vom Wind verweht.
    Trauer.
    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]
    Gewinner des 5. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Klappentextgeschichte
    Informationstopic
    Votetopic[tab=1. Platz][subtab=Pika!]Hoffnungsfeuer
    „Warum, N?“, fragte Lotta tonlos und blickte auf den grünhaarigen Trainer hinab, der vor ihr gegen die Felswand gelehnt saß. Ihre Stimme übertönte kaum das Tosen des Windes. „Warum tust du das?“
    „Das würde mich auch mal brennend interessieren.“ Cheren trat hinzu, nachdem er sich vom stundenwährenden Kampf am wolkendüsteren Himmel abgewandt hatte. Er würde nicht mehr lange dauern.
    N lächelte zu Lotta auf, mit demselben geheimnisvollen Glitzern in den Augen wie vor fünf Jahren, nach seiner großen Niederlage gegen sie. Damals hatte sie ihn nach seinem richtigen Namen gefragt, aber er hatte keine Antwort gegeben, bevor er für ein halbes Jahrzehnt von der Bildfläche verschwunden war. „Ich habe erkannt, dass sich mein Wunsch von einer Welt, in der Menschen und Pokémon gleichberechtigt nebeneinander leben können, nicht erfüllen kann, weil niemand die Pokémon so versteht wie ich.“ N stöhnte äquivalent zum schmerzerfüllten Brüllen Dialgas, das erbittert gegen Zekrom kämpfte. Blitze zuckten über den Himmel, und Donnern ließ den Kraterberg erzittern. „Nicht, solange es Menschen gibt, die die Pokémon ausbeuten“, erklärte N nach seinem Schwächeanfall weiter. Sein Kleoparda saß neben ihm und stupste seine linke Hand, die er fest auf die rechte Schulter gepresst hielt. „Das hat mir G-Cis klargemacht. Erst, wenn ich das alte Gleichgewicht zerstöre, kann ich ein neues erschaffen.“
    Nun sah er in den Himmel, wo der Zeitdrache soeben eine machtvolle Attacke lud. Aber Lotta wusste, dass es gegen Zekrom nicht viel nutzen würde. Der schwarze Drache hatte bereits Palkia besiegt, das am Boden des Kraters zur Steinstatue erstarrt lag. N sprach weiter: „Dafür brauche ich die Mächte, die diese Welt im Gleichgewicht halten – die Mächte über Zeit und Raum.“
    Lotta zuckte zusammen, als Cheren plötzlich herabstieß wie ein Washakwil auf der Jagd, N am Kragen packte und wieder mit sich hochzog. „Du hast vor, unsere Welt zu zerstören, du größenwahnsinniges Arschloch!“, keifte er dem Drachenmeister ins Gesicht. Lotta erkannte ihren Kindheitsfreund kaum wieder. Er war es gewesen, der herausgefunden hatte, dass N in Sinnoh agierte und ganz im Alleingang nach den beiden Dimensionsdrachen suchte, und daraufhin „das alte Trio“, wie er sich, Bell und Lotta als Gruppe bezeichnete, zusammengetrommelt hatte. Sonst war er immer nachdenklich und besonnen. Jetzt schien er innerlich mit sich selbst zu ringen, ob er N lange und qualvoll verprügeln oder ihm lieber gleich den Hals umdrehen sollte.
    N indes blieb gelassen. Als Kleoparda hinter ihm bedrohlich knurrte, ließ Cheren ihn wieder zu Boden fallen.
    Da stieß Zekrom ein wütendes Brüllen aus. Die Anzahl der Blitze nahm rapide zu, und nur die hauchzarte Membran, die der Drache vor Beginn des Kampfes zu ihrem Schutz um die Trainer heraufbeschworen hatte, bewahrte sie davor, gegrillt zu werden. N krümmte sich auf allen Vieren. „Mir ist… so heiß“, keuchte er atemlos und zog sich den Pullover über den Kopf.
    Lotta erschrak, als sie seine Schulter sah. „Was ist das?“, fragte sie und betrachtete entsetzt das blau glühende Blitzmuster, das sich über seinen ganzen rechten Arm bis zur Handwurzel herab und über das Schulterblatt erstreckte.
    N lachte bitter, Schweißtropfen auf seinem Gesicht glänzten im Schein des Mals. „Wenn man mit einem legendären Drachen paktiert, drückt er einem unweigerlich seinen Stempel auf. Zekrom bezieht seine Kampfkraft aus meiner Lebensenergie.“ Auch wenn sie selbst einen solchen Drachen gefangen hatte, hatte Lotta damit keine Erfahrung. Nach ein paar Wochen gemeinsamer Reise mit Reshiram hatte sie den weißen Engelsdrachen wieder freigelassen. Sie fand es vermessen für einen Menschen, über eine Legende zu gebieten – N war das beste Beispiel dafür.
    „Scheiße“, hörte Lotta Cheren fluchen und wandte sich wie er dem Drachenkampf zu. Doch dieser war, zu ihrem Entsetzen, nun endgültig vorbei: Zekrom schwebte über dem versteinerten Dialga, den aus der Stahlbrust gerissenen Diamanten in den Klauen. In seiner anderen Pranke erschien die Kugel, die es zuvor Palkia geraubt hatte. Der Donnerdrache hielt beide Kleinode gen Himmel, wo sie sich aus seinem Griff lösten und über seinem Kopf immer schneller werdend zu kreisen begannen. Bald war ihr mattes Leuchten nur noch ein einziger Ring aus Licht, in dessen Innern sich ein Wirbel aus Dunkelheit bildete. Aus der demolierten Kraterberglandschaft lösten sich Felstrümmer, flogen auf den Lichtring zu und verschwanden in der Finsternis.
    „Alle Materie dieser Welt wird jetzt durch das Dimensionsloch gesogen“, erklärte N selbstgefällig, auch wenn er wieder die Hand auf das Drachenmal presste. „Und auf der anderen Seite des Tunnels baut sich daraus dann die neue Welt.“ Er verzog das Gesicht vor Schmerz, doch selbst in diesem jämmerlichen Zustand strahlte er noch das ihm eigene Charisma aus.
    „Sag ihm, es soll damit aufhören.“
    Lotta wirbelte herum, als sie Bells ernste Stimme hinter sich vernahm. Die blonde Trainerin hatte sie schon fast vergessen, weil sich diese bislang stumm verhalten hatte. Als Lotta gewahrte, was ihre Freundin in Händen hielt, taumelte sie zurück. „Wo hast du die Waffe her?“, kreischte sie schriller, als sie bislang gesprochen hatte, obwohl sie auch schon vorher hysterisch gewesen war.
    „Das tut nichts zur Sache“, gab Bell aggressiv zurück und fuchtelte mit dem Revolver in Ns Richtung. „Ihr habt doch gehört, was er gesagt hat. Wenn ich ihn erschieße, hat Zekrom keine Energiequelle mehr.“
    „Wenn du mich erschießt“, sagte N ruhig, konzentriert auf die geifernde Mündung der Pistole, „wird seine Kraft unkontrollierbar sein. Dann wird diese Welt umsonst vernichtet!“
    „Ich bin bereit, dieses Risiko einzugehen“, meinte Bell schlicht und entsicherte die Waffe. „Dann besteht wenigstens eine Chance, dass meine Familie überlebt.“
    „Bell, nicht…“, versuchte Lotta, ihre Freundin zu beschwichtigen. Doch diese schoss nun tatsächlich – das Projektil verfehlte N jedoch knapp und schlug klingend auf dem Steinboden auf. Es war Absicht gewesen, das ahnte Lotta. Wenn Bell den Drachenmeister hätte treffen wollen, hätte sie es auch geschafft. Auch Kleoparda spürte die Gefahr, die von Bell ausging, und hielt sich dezent im Hintergrund.
    „Ihr denkt wohl, die süße, kleine, dumme Bell ist zu unschuldig, um jemanden zu verletzen, oder?“ Die Blondine verzerrte ihr Gesicht zu einer Fratze des Zorns. „Aber auch ich bin erwachsen geworden.“ Lotta konnte kaum glauben, was sie da hörte. Was war in den letzten fünf Jahren in Bells Leben geschehen, dass sich das liebenswerte Mädchen so drastisch verändert hatte? Oder war ihr Verhalten nur situationsbedingt, so wie es bei Cheren der Fall war? „Ich hab dich einmal bewundert, N, dich und dein Streben nach der perfekten Welt.“ Bells Stimme klang seltsam belegt. „Aber wenn ich sehe, was du dafür zu opfern bereit bist… Du bist der gleiche miese Dreckskerl wie dein Vater.“
    Sie drückte den Rücken durch und straffte die Schultern. Mit einem eindeutigen Kopfnicken in die entsprechende Richtung verlangte sie erneut: „Und jetzt befehle Zekrom, Dialga und Palkia ihre Juwelen zurückzugeben!“
    Mit unwilliger Miene stand N schwankend auf, hielt dabei stets Blickkontakt mit der einäugigen Handfeuerwaffe. Schließlich wandte er sich Zekrom zu, schloss die Augen. Für unendliche Sekunden, so kam es Lotta vor, stand N am gähnenden Abgrund. Mit dem langen Haar, das der Sturm ihm ums Gesicht wehte, und dem intensiv blau glühenden Drachenmal wirkte er wie ein fleischgewordener Held aus den uralten Sagen Einalls.
    Endlich öffnete er wieder die Augen. „Es funktioniert nicht“, sagte er tonlos und starrte zum Donnerdrachen auf. „Es lässt mich nicht in seinen Geist!“
    „Du lügst doch!“, kreischte Bell, aber Lotta wusste, dass N die Wahrheit sprach. Er war ein Mann, der ein Leben lang mit Pokémon telepathisch kommuniziert hatte. Die Bestürzung darüber, dass es ihm jetzt unmöglich war, konnte nicht einmal er vorschützen.
    Plötzlich krachte mit ohrenbetäubendem Getöse in der Nähe ein Brocken aus dem Berg, und das kleine Plateau erzitterte. Steintrümmer spritzten in alle Richtungen, vermochten aber den Schutzschild nicht zu durchbrechen. Cheren nutzte die Ablenkung und handelte so, wie man es von ihm gewohnt war: Kalt und berechnend. Er stieß gegen Bells Arm, sodass eine eventuell abgeschossene Kugel nur die Felswand treffen konnte, und entwendete ihr, ohne auf ihren Protest zu reagieren, geschickt den Revolver. Um diesen gänzlich loszuwerden, schleuderte er ihn durch die Membran den Abgrund hinab.
    Lotta beugte sich zu N runter, der sich erneut vor Qualen wand, ächzte und schrie. Das Blitzmuster leuchtete stärker als zuvor und breitete sich weiter aus, bis sein gesamter Oberkörper von dem Wurzelgeflecht zerwuchert war, durch das Zekrom seine Macht bezog. Vorsichtig legte Lotta eine Hand auf Ns bebenden Rücken, zuckte dann aber zurück. Seine Haut war kochend heiß! Sie hob den Blick zu Zekrom. Der Donnerdrache war von einer unheimlichen blauen Aura umgeben. Der Ring über seinem Kopf nahm an Umfang zu, der Sog des Dimensionslochs wurde stärker. Gleißende Blitzexplosionen teilten den Himmel in albtraumhaftes Schwarz und blendendes Weiß. Wenn Zekrom so weitermachte, würde es N töten!
    In ohnmächtiger Wut ballte Lotta die Fäuste. Konnten sie denn gar nichts tun, um diese Katastrophe abzuwenden?
    Ein stechender Schmerz biss jäh in ihren linken Handrücken. Erschrocken starrte sie darauf, doch als sie den Grund dafür erkannte, wich ihrem Entsetzen Erstaunen. Auf ihrer Hand hatte sich eine kleine, leicht spiralförmig gewundene Flamme gebildet, ganz ähnlich Ns Drachenmal, die die Farbe heißer Glut hatte.
    In diesem Moment schoss über ihren Köpfen ein in orangegoldenes Feuer gehüllter Engel genau auf Zekrom zu.[tab=2. Platz][subtab=Paya]Reinigung
    Ruhelos betrachte ich die Szenerie, die sich direkt vor meinen Augen abspielt. Sie treiben sie zusammen, die Menschen, ungeachtet ihrer ängstlich aufgerissenen Augen, ihrer zitternden Leiber, ihrer in Rinnsälen fließenden Tränen. Selten, nein, nie zuvor habe ich meinesgleichen so rücksichtslos und harsch erlebt. Ich will mich an diesem Spektakel nicht beteiligen, auch wenn unsere Beweggründe nachvollziehbar sind. Sie könnten wenigstens etwas sanfter, etwas vorsichtiger mit diesen Geschöpfen umgehen, die doch so viel kleiner und zarter sind als wir selbst und nur wenig Fell und keine Schuppen tragen. So verletzlich, so zerbrechlich. Es erstaunt mich, dass sie ihr Ziel, sich die gesamte Erde Untertan zu machen, fast erreicht hätten.
    „Riokulo, was ist los?“
    Als mein Name erklingt, wende ich meinen Kopf Kyrash zu, meinem besten Freund. Immer wenn ich ihn sehe, muss ich ihn kurz für seine Eleganz und sein süßes Lächeln beneiden, dass er nur selten verliert. Sein rotes Fell, hie und da von kürzeren, gelb strahlenden Härchen durchsetzt ist so lang, dass es über den Boden schleift und er es wie eine Schleppe hinter sich her zieht. Große, grün und blau glänzende Schuppen bedecken seinen breiten Brustkorb und reflektieren das Licht der Sonne, dass zu dieser Zeit kaum die Erde erreicht. Er erhebt sich von dem Felsen, auf dem er bisher gethront hat und macht Schritt für Schritt auf mich zu, seine krallenbewehrten Füße hinterlassen kleine Furchen in dem lockeren Erdreich, das noch vor ein paar Stunden die schwere Last menschlichen Betons tragen musste. Ich betrachte seine ebenso ausgebildeten Hände, seine stechend neongrünen Augen, deren Iris so riesig erscheint im Vergleich zu der winzigen Pupille und werde der vier Reihen blitzender Zähne gewahr, die er freundlich lächelnd entblößt.
    Hinter mir schreit ein Mensch in purer Panik, ich rieche den stechenden Geruch einer unaufhaltsam ansteigenden Konzentration von Adrenalin, Schweiß, und Tränen. Das Parfum des Krieges liegt schwer in der Luft, doch es scheint niemanden außer mir aufzufallen.
    „Nun sag schon.“
    Sorge blitzt in Kyrashs Augen auf, als er eine Pranke auf meine Schulter legt. Sie lastet schwer auf mir, wie das Leid der ganzen Welt. Die stickige Atmosphäre dieses einst so reinen Planeten verpestet meine Lunge und ich traue mich kaum zu sprechen, will nicht noch mehr von diesem Smog Zugang zu meinem Atemwegen verschaffen. Ich überwinde mich.
    „Sie fürchten sich. Sieh sie doch an! Wie müssen wir erscheinen für sie, die sie uns nicht kennen, nichts wissen von unserer Existenz?“
    „Nichts wissen von ihren Schöpfern.“ unterbricht Kyrash und das Funkeln in seinen Augen, das aufsteigende Lachen in seiner Brust lässt meine Seele gefrieren.
    „Auch sie sind inzwischen Schöpfer, haben Dobermann und Dalmatiner, Thai und Tonkanese hervorgebracht. Um nur einen Bruchteil zu nennen. Sie sind Künstler.“ werfe ich ein, um dieses grauenhafte Geräusch im Keim zu ersticken.
    „Künstler eines grauenvollen, verabscheuungswürdigen Bildes aus den dunkelsten Farben dieser und der meisten anderen Welten. Sie pinselten bunt auf die reinste aller Leinwände, verschönerten sie anfangs, wie ich gerne zugebe. Doch dann wollten sie immer intensivere Töne und sie mischten und mischten und übermalten, bis nur noch braun und grau und schwarz überblieb. Die Erde ist entstellt, ihre Seele gebrochen und du, mein Freund, du Gutherzigster, empfindest dennoch Mitleid?“
    Er schaut mich an und lächelt immer noch, streichelt sanft über meinen Rücken. Ich genieße die Zärtlichkeit, lege den Kopf in den Nacken und betrachte den blutroten Himmel, die tiefschwarzen Wolken, lausche dem Geräusch eines brechenden Knochens und fahre wütend herum, beschimpfe wie im Wahn den unerfahrenen Jüngling, der einen der Menschen zu grob anfasste. Er senkt schuldbewusst den Kopf und entschuldigt sich herzerwärmend ehrlich bei dem kleinen Geschöpf, das kein Wort versteht weil es eine so komplexe Sprache überhaupt nicht aufnehmen kann und das vor Angst und Schmerz in eine tiefe, dennoch unruhige Ohnmacht abdriftet.
    Die Gerüche, Geräusche, die Unruhe, sie rauben mir noch den Verstand. Ich wünschte, das hier wäre nicht nötig und wir könnten einfach wieder zurück in unsere Heimat, ohne diese „Reinigung“ zu vollziehen. Allein bei dem Gedanken an ein solches Wort um diese Situation zu beschreiben dreht sich mir der Magen um.
    Kyrash spürt meine erneut aufgekeimte Unruhe und spricht mir ruhig zu: „Es ist bald vorbei, Riokulo. Ich weiß, dass du darunter leidest.“
    Betreten schüttele ich den Kopf und versuche, meine Gefühle in Worte zu fassen: „Das ist alles so unnötig. Wie konnte es nur so weit kommen? Ich kann die Menschen nicht verstehen. Wir haben ihnen so viele Zeichen gegeben, haben den Himmel verdunkelt, die Meere gefärbt, die Wälder vertrocknen lassen. All das im Zeitraffer um ihnen unmissverständlich vor Augen zu führen, was aus der ihnen anvertrauten Welt wird, wenn sie so weiter machen. Wie konnten sie das nicht verstehen? Wie konnten ihre Diskussionen trotzdem auf Nebensächlichkeiten beruhen, während die Erde immer mehr in die Hände des Todes glitt?“
    Das anfängliche Mitleid wandelt sich allmählich in Wut. Wären die Menschen nicht so dumm gewesen, müssten wir nun nicht hier sein und diese Maßnahmen ergreifen. Vielleicht wäre heute der Tag gewesen, an dem ich endlich ein Weibchen kennen und lieben gelernt hätte. Könnte es sein, dass diese dummen, nackten Geschöpfe mich tatsächlich um dieses gute Schicksal gebracht haben?
    Ein bedrohliches Zischen bahnt sich den Weg aus meinem Rachen und erfüllt die Luft zwischen mir und Kyrash. Er schweigt, kann mir keine Antwort geben, keine Lösung auf meine Fragen. Vielleicht will er es auch nicht. Er war noch nie ein sonderlich großer Tierfreund und von einem so misslungenen Experiment wie den Menschen schon gar nicht. So klopft er mir nur aufmunternd auf die Schulter, ich solle mir nicht zu viele Gedanken machen. Seine Versuche, mich zu trösten, wirken plötzlich halbherzig und falsch. Ich winde mich aus dem Griff meines Freundes und schreite davon, vorbei an den Reihen von Menschen, die in die Transportschiffe getrieben werden. Wenigstens versuchen unsere Anführer, so viele wie möglich zu retten. Aber bei ihrer großen Population wird es trotzdem nur ein Bruchteil sein. Wie viele werden wohl ihre Familie und Freunde verlieren, wie viele Kinder ihre Eltern? Ich spüre einen gewissen Selbsthass in mir aufsteigen, obwohl ich weiß, dass ich nichts dafür kann, geschweige denn etwas ändern könnte. Trotzdem verharre ich reglos und ertappe mich bei dem Gedanken, hier bleiben und nicht zurück nach Hause kehren zu wollen, nur um mich selbst zu bestrafen. Die Entwicklung meiner Gefühlswelt ist besorgniserregend.
    Ich starre aus leeren Augen auf die brennenden Hochhäuser in der Ferne, das verdorrte Gras in meiner Nähe und einen federlosen, toten Vogel, der auf dem Wegrand sein Grab gefunden hat. Meine Seele fühlt sich wund an und stirbt, wie dieser wunderschöne Planet. Ich reiße mich von dem Anblick los. Die Übelkeit steigt von meinem Magen hoch in meinen Brustkorb, gewaltig wie ein Geysir und bringt mich zum rennen. Bebend flüchte ich mich in eines unserer gigantischen Transportmittel und suche, nicht gewillt mich dem Verlangen, meinen Magen zu leeren hinzugeben, einen ruhigen Platz in der Lagerhalle. Doch anstatt Frieden finde ich dort eine erbärmlich zitternde Menschenfrau vor.
    Sie starrt mich aus großen, grünen Augen an, ihr Atem wird schneller, der stinkende Geruch von wilder Angst kriecht aus all ihren Poren. Ihr langes, braunes Kopffell ist voller Schweiß und hängt ihr in Strähnen in das hübsche Gesicht. Auch sie hat wohl Zuflucht vor dem Schrecken dort draußen gesucht doch mit mir hat er sie wieder eingeholt. Diese Erkenntnis bedrückt mich. Ich weiß weder, wie mich verhalten soll noch, was ich nun mit ihr anstelle. Die Menschin ist auf die Knie gesunken und hat das Gesicht in den Händen vergraben, ihre Augen vor dem Alptraum verschlossen. Ich will sie berühren, sie trösten, auf eine ehrlichere Art, als Kyrash es zuvor bei mir getan hatte. Doch sie würde sich nur noch mehr fürchten, so wie wohl jeder andere ihrer Art auch. Ich bin einer der apokalyptischen Reiter aus ihren kindischen Zukunftsszenarien, die sie scheinbar selbst nie wirklich ernst genommen haben. Sonst hätten sie wohl besser auf die Warnungen der Erde und die unseren reagiert. Nun ist es zu spät. Selbst wenn sie es wollten, wenn sie noch so sehr bitten und betteln würden, man würde ihnen wohl keine weitere Chance einräumen. Stattdessen wird nun der Erde und ihren anderen Bewohnern unter die Arme gegriffen, ihre Wunden verarztet, ihre Krankheiten geheilt.
    Doch können wir den Menschen wirklich einen Vorwurf machen? War es nicht unsere Art, die sie in vielen Schritten gezüchtet und schließlich hier sich selbst überlassen hat, da sie komplexe Gefühle entwickelten und man ihnen ein freies Leben gönnen wollte? So war das Leid der Welt doch nur begrenzt ihre, und viel eher unsere Schuld. Möglicherweise sind die meisten von uns deshalb so erpicht darauf, das alles möglichst schnell zu beenden. Ich bete wirklich, dass es auch schmerzlos ablaufen wird.
    Diesen einen Menschen, der hier so weinerlich und verstört vor mir kniet, werde ich persönlich in meine Obhut nehmen und vor allem weiteren Leid bewahren. Tue ich dies aus Gutherzigkeit oder nur, um mein eigenes Gewissen zu beruhigen? Ich bleibe mir selbst der Antwort schuldig. [tab=3.Platz][subtab=Misana]Die Welt des Schattens
    Langsam ging die seltsame Gruppe weiter an der Küste entlang. Jeder einzelne schien tief in Gedanken versunken, um sich auf die bevorstehende Mission vorzubereiten. Alija starrte auf das weite, schwarze Meer. Wenn sie sich überlegte, wie gerne sie früher am Strand gespielt, wie der Wind durch ihre braunen Locken geweht und der Ozean sanfte Wellen geschlagen hatte, konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen, dass dieses wilde Ungetüm derselbe Ort war.
    Die dunkelgrauen Wolken über den Köpfen der Gruppe türmten sich warnend auf, bis sie schließlich ihren Inhalt in einem gigantischen Regenfall auf Alija und die anderen fallen ließen. Leican reagierte schnell und spannte seine riesigen, roten Flügel über ihnen aus wie einen Regenschirm. Anders als bei andere Drachen waren sie nicht seine Schwachstelle, sondern äußerst robust und hielten die harten Tropfen von seine Gefährten fern. Nur die beiden jungen Wölfe tollten im Regen. Sie wussten nicht, wie viel diese Mission bedeutete und Alija nahm es ihnen nicht übel. So lange sie konnten, sollten sie in einer glücklichen Welt leben.
    Nach ein paar Minuten wurde das kontinuierliche Tropfen zu einer angenehmen Hintergrundmelodie. Während Alija mit den anderen beiden Menschen Keano und Jonas schweigend weiter am Meer in Richtung der unheilbringenden Festungen lief, versank sie erneut in ihren eigenen Gedanken. Wie hatte das Ganze überhaupt begonnen? Nur ganz schwach erinnerte sich die junge Frau an den Tag, der ihr Leben verändern sollte.


    Fröhlich hatte die Sonne durch die Fenster ihres ersten eigenen Hauses geschienen. Nichts deutete darauf hin, dass dieser Tag anders sein sollte, als die vorherigen. Es sah sogar so aus, als würde es der schönste Sommertag des Jahres werden. Bis sich mit einem Mal das Wetter komplett änderte.
    Auch damals hatten sich dunkle Wolken aufgetürmt, die seither den Himmel nicht mehr freigaben und jeden wärmenden Sonnenstrahl zu absorbieren schienen.
    An dem Tag hatte es gehagelt. Die Hagelkörner waren so groß gewesen wie Eier und jeder war froh, sich irgendwo in Sicherheit fühlen zu können.
    Auch Alija wollte ihr Haus nicht verlassen, bis Soldaten an ihrer Tür klingelten. An ihre Worte konnte sich die Frau nur allzu gut erinnern: „Frau Alija Vélinka, wir müssen sie bitten mitzukommen.“ Wie einer Verbrecherin hatte man ihr Handschellen angelegt und sie dem Kaiser vorgeführt. Erst dort hatte sie erfahren, dass sie eine der wenigen war, die dem Kaiserreich noch helfen konnten. Mit allen Mitteln wurde sie dazu gedrängt auf diese gefährliche Mission zu gehen, die sie mit großer Wahrscheinlichkeit das Leben kostete.
    Eigentlich wollte sie sich gar nicht mehr daran erinnern.


    Nun ging sie hier an der steilen Küste des tobenden Meeres entlang, zusammen mit den anderen, die sich - genau wie sie selbst - der Bürde der Mission bewusste waren. Nur die beiden Wolfsjungen gaben Alija immer wieder neue Hoffnungen. Wenn nicht für diese unschuldigen Wesen, für wen sollte sie dann ihr Leben riskieren?
    Leican stöhnte leicht, als er die Flügel wieder senkte. Der Regen hatte aufgehört und auch die See schien sich etwas zu beruhigen, doch Alija wusste inzwischen, dass sie nur darauf wartete, wieder etwas gegen die spitzen Felsen zu schlagen.
    Mit jedem Schritt, den die Frau tat, kam sie den Festungen näher. Niemand wusste, was sie hinter den hohen steinernen und eisernen Mauern erwartete, doch es war bewiesen, dass das Unheil dort begonnen hatte.
    Für Alija sehr überraschend hielt Keano an, sodass sie beinahe in den Mann hineingelaufen wäre. Seine dunklen Augen sahen zielgerichtet auf die Festung, die inzwischen schon erschreckend nahe war. „Jonas“, sagte er im befehlshaberischen Ton. „Wie kommen wir da rein?“
    „Müssen wir da wirklich rein?“, fragte Jonas verängstigt. Er war wahrscheinlich sogar noch etwas jünger als Alija selbst. Seine blonden Haare wurden vom Wind zerzaust, während er auf die grauen Mauern der Festung blickte. Als er Keanos festen Blick bemerkte seufzte er kurz. Sie wussten alle, warum sie hier waren. Und so begann Jonas den anderen zu erklären, wie man ins Innere der Festung gelangen könnte.
    Er wurde für diese Mission ausgewählt, weil er die taktischsten Fähigkeiten besaß. Keano hingegen war ein geübter Offizier, der bereits mehrfach sein Können in Kriegen gegen die anderen König- und Kaiserreiche bewiesen hatte. Das der stärkste Drache sie auf diese Mission begleiten musste, war von vornherein klar gewesen und die Wolfsjungen hatten sich der Gruppe freiwillig angeschlossen, nur Alija wusste nicht recht, was ihre Aufgabe in dieser Mission sein sollte. Sie hatte schließlich keine besonderen Fähigkeiten. Wie sollte sie dann zum Gelingen der Mission beitragen?


    Nach dem sie einen Plan ausgearbeitet hatten, ging alles sehr schnell. Schon wenige Minuten später fand sich Alija in der Festung wieder. Auch von innen war sie kahl und trostlos, aber um einiges dunkler. Alija konnte sich keinen Ort vorstellen, der mehr Schatten beinhaltete.
    Eine Weile schien alles nach Plan zu laufen. Keiner traute sich auch nur ein Wort zu sprechen und alle waren hoch konzentriert, als urplötzlich ein Mann erschien. Es war, als sei er aus dem Nichts, aus der Schwärze aufgetaucht und stand nun vor der Gruppe. Die schwarzen Haare und vor allem diese dunkelblauen, funkelnden Augen erinnerten Alija an irgendetwas, doch sie wusste nicht an was.
    Langsamen Schrittes ging der ganz in schwarz gekleidete Mann auf die Gruppe zu. Alija wagte es kaum zu atmen und auch die anderen bewegten sich nicht mehr. „Willkommen“, begrüßte sie der Mann betont freundlich. „Es freut mich sehr, euch in meiner Festung begrüßen zu dürfen.“ Er lächelte kühl und Leican schnaubte. Wenn er wollte, konnte er den Fremden bestimmt in Stücke reißen, aber er tat es noch nicht.
    Die beiden kleinen Wölfe spürten die Anspannung und waren zum ersten Mal, seit sie zu der Truppe gestoßen waren, ruhig. Einer der beiden fiepte sogar leise.
    Aus einem fast unerfindlichen Grund packte Alija die Wut, doch als der Mann weiterredete, schien ihr Körper zu versteinern. „Gefällt euch meine Welt des Schattens?“, fragte er verheißungsvoll und Alija erinnerte sich endlich, woher sie das Gesicht des Mannes kannte.


    In ihrem Kopf erschien das Bild einer Sommerwiese, die an einem Waldrand lag. Ein Junge saß im Schatten der Bäume, er mochte die Sonnenstrahlen nicht. „Irgendwann werde ich eine Welt des Schattens erschaffen“, meinte er an Alija gerichtet.
    Die lachte nur und schüttelte den Kopf. „Das schaffst du nie.“


    Wie sehr sie sich damals doch geirrt hatte. Nun wusste sie auch, warum ausgerechnet sie für diese Mission ausgewählt worden war. Langsam ging sie einen Schritt auf den Mann zu, blieb dann aber stehen. Dies war ein Fremder. Zu was war er geworden? Alija musste zunächst versuchen ruhig zu atmen, damit sie ihre Stimme unter Kontrolle bekam. Sie sagte nur ein Wort. Es kam schwer über ihre Lippen und ihre Stimme war nicht lauter als ein Flüstern, doch er hörte sie, da war sie sich sicher. „Ed?“[/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]
    Gewinner des 6. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Ereignisse aus der Sicht der Pokémon
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab=1. Platz]
    [subtab=Cyndaquil]
    Turmruine
    Stimmengewirr ließ sie erwachen. Erholung hatte sie diese Nacht nicht finden können, nicht wie ihre Brüder, die harmlos wie junge Pokémon rechts und links von ihr lagen. Sie blickte auf, durch das große Loch in der Decke, in der Hoffnung die Verursacher des Lärms zu erkennen. Aber dafür fiel noch nicht genug Licht der gerade erst steigenden Sonne durch das zerstörte Dach des Turmes. Es war nicht ungewöhnlich, dass Menschen diesen Ort betraten. Sie war nicht in der Lage konkrete Wörter zu verstehen, nur Stimmen, gefolgt von den unverkennbaren Rufen von Pokémon.
    „Was ist da oben nur los”, hauchte sie und konnte den Blick nicht abwenden. Der Schrei eines Zubat hallte ohrenbetäubend in ihren Ohren wider; verärgert knurrend erhoben sich ihre Brüder.
    „Grah! Woher kommt dieser Lärm”, wollte Entei wissen. Er schüttelte sich und blickte sich suchend um. „Ich dachte wir hätten eine Vereinbarung mit den Zubat.”
    „Genau. Warum müssen sie sich gerade jetzt streiten. Ich hab so schön geträumt…”, stimmte Raikou mit ein und legte sichtlich enttäuscht seinen Kopf auf die Vorderpfoten.
    „Das war keines der Wildlebenden. Dort oben findet ein Kampf statt”, erklärte Suicune ruhig, wandte den Blick jedoch nicht von der Decke ab.
    „Ein Kampf? Hier?”, fragte der Tiger verwirrt und schaute ebenfalls hinauf.
    „Was für Dummköpfe. Bestimmt wieder ein paar dieser Kinder. Die sollten lieber in die Schule gehen, anstatt uns den Schlaf zu rauben”, schnaubte der Löwe ungehalten und legte sich wieder hin.
    Ein flammender Strahl tauchte plötzlich auf und tauchte das alte, verbrannte Holz der Decke in ein rötliches Licht. Erneut kreischte das Zubat auf, dieses Mal klang es schmerzerfüllt und im nächsten Moment fiel etwas dumpf zu Boden. Raikou knurrte aggressiv, blitzten doch vor seinem inneren Auge dieselben schmerzhaften Erinnerungen auf, die auch gerade in Suicunes Kopf lebhaft auftauchten.
    „Warum müssen sie hier mit Feuer spielen!”
    „Ich weiß es nicht.”
    „Wenn sie so weitermachen, wird auch noch der Rest des Turmes abfackeln!”
    „Beruhig dich, Raikou.”
    Ruckartig drehte sich der Angesprochene nach links und blickte über den blauen Rücken seiner Schwester zu seinem Bruder.
    „Damals waren wir noch nicht das, was wir heute sind. Selbst wenn der Turm erneut brennen sollte, dieses Mal können wir fliehen. Außerdem bin ich mir sicher, dass Ho-Oh uns auch erneut retten wird”, versuchte Entei seinen Geschwistern die Angst zu nehmen. Suicune ließ sich diese weniger anmerken, als Raikou, aber auch sie wollte den Turm nicht erneut in der Gewalt des Feuers stehen sehen.
    Eine kleine Flamme tauchte jetzt am Rand des Loches auf, für einen Moment hatte die Gepardin das Gefühl, ihr Herz würde stehen bleiben, aber dann erkannte sie, dass es ein Igelavar war. Es kauerte sich nieder, schien bereit zu sein den Gegner anzugreifen und wartete auf den Befehl des Trainers, der kam, auch wenn Suicune ihn nicht verstehen konnte. Danach verschwand die kleine Flamme wieder aus dem Blickfeld der drei Pokémon.
    „Scheint fast so, als ginge es dort heiß her”, bemerkte Entei trocken, der sich inzwischen seinen Geschwistern angeschlossen hatte und nach oben blickte. Die beiden anderen nickten, fasziniert und sichtlich gespannt.
    Immer wieder schallten Befehle durch den Turm und mehr als den Gefühlszustand konnten die drei Raubkatzen kaum ablesen. Die Worte waren meist verzerrt oder gingen gerade in einer Attacke oder den Rufen der kämpfenden Pokémon unter. Was alle drei aber deutlich spüren konnten, war die Verbissenheit mit der gekämpft wurde. Keine der beiden Parteien war gewillt aufzugeben. Allerdings merkten sie auch deutlich, dass einer der beiden aggressiver vorging, als der andere Trainer es tat. Ersterer hatte nicht einmal ein paar freundliche Worte für seine Pokémon übrig. Kurz schwebte ein Magnetilo mit gefährlich unter Strom stehenden Magneten über das Loch, doch dann war es wieder verschwunden, kurz darauf schrie ein Tauboga schmerzerfüllt auf. Das Flügelschlagen war deutlich zu hören, ein paar Federn segelten in das untere Stockwerk und blieben auf dem staubigen Boden, einige Meter von den drei Pokémon entfernt, liegen.
    Irgendwann herrschte Stille, kein Kampfgebrüll war mehr zu hören, keine Befehle schallten durch die stickige Luft, die sich langsam erwärmte, als die Sonne höher stieg. Noch kurz vernahmen die Raubkatzen Worte, dann schlug erneut etwas dumpf auf dem Boden auf.
    „Was meint ihr, wird jetzt geschehen?”, flüsterte Raikou und schien sichtlich unsicher zu sein.
    „Ich weiß es nicht, das kommt ganz darauf an, wer gewonnen hat”, erwiderte Suicune und ihr Blick wanderte zu der Leiter, die die beiden Stockwerke miteinander verband.
    „Egal, wer von ihnen gewonnen hat, keiner wird es wagen uns anzugreifen. Weil wir sobald sich einer der beiden nähert fortlaufen werden.”
    Verblüfft starrten seine beiden Geschwister Entei an, der diesen Plan wohl schon länger ins Auge gefasst hatte. Er erkannte ihre Blicke und meinte: „Dachtet ihr etwa, dass wir für den Rest unseres Lebens hier unser Dasein fristen? Das würde Ho-Oh nicht wollen.”
    „Aber woher willst du wissen, dass Ho-Oh will, dass wir hier fortgehen?”, wollte der Tiger skeptisch wissen. Der plötzliche Wandel seines Bruders verwirrte ihn, immerhin war er lange der Ansicht gewesen, dass sie hier auf Ho-Oh warten sollten, bis dieser wieder in Teak City leben würde.
    „Woher der Sinneswandel?”, legte Suicune nach und beide musterten Entei eindringlich.
    „Mir ist klar geworden, dass wir nicht auf Ho-Oh warten können. Wir müssen ihn schon eigenmächtig suchen. Und wenn ich die Wahl habe, durch ganz Johto auf der Suche nach unserem Meister zu laufen oder von einem jungen Trainer hier gefangen zu werden, dann nehme ich ersteres.”
    Beide nickten zustimmend.
    Ein Geräusch ließ die drei Pokémon zusammenzucken und sie richteten ihre Augen auf die Leiter zu ihrer linken. Unverkennbar war gerade jemand dabei vom oberen Stockwerk in das untere zu klettern, das Geräusch von knackendem Holz unter Gewicht kannten alle zu gut.
    Entei erhob sich, Raikou dagegen kauerte sich etwas nieder, bereit zum Sprung. Suicune betrachtete neugierig und gespannt die hölzerne Leiter, hinter deren Sprossen sich langsam eine Silhouette abhob.
    „Igel? Igelavar!”, schallte es laut durch das Untergeschoss. Das kleine Feuer-Pokémon tappte durch die dicke Schicht aus Staub und musste niesen.
    „Sei vorsichtig Typh”, meinte das Mädchen besorgt, welches nun auf dem schmutzigen Steinboden stand und sich fasziniert umschaute. Ihr Blick blieb an den drei Pokémon hängen, die ihrerseits den Menschen musterten. Für die Raubkatzen wirkte sie klein, zierlich und recht zerbrechlich in diesem Umfeld aus Gestein, verbranntem Holz und mehrere Meter dicken Stützpfeilern des Turmes.
    „Wahnsinn”, hauchte sie und Suicune war sich sicher, dass sie gedacht hatte, dass dieser Ausspruch ihren Brüdern und ihr verborgen bleiben würde. Dabei konnten sie sogar den Atem des Mädchens hören.
    „Typh”, flüsterte sie und das Igelavar drehte sich zu ihr um. Es war bereits einige Schritte weiter auf die Raubkatzen zugegangen, ohne jegliche Furcht zu zeigen.
    „Igel?”, erwiderte es verwundert.
    „Komm her. Na, komm schon”, lockte sie ihren Freund zu sich, der geschwind zu ihr sprintete und sich von ihr auf den Arm nehmen ließ.
    Eines wurde Suicune in diesem Moment klar, dies war nicht der Trainer, mit dem aggressiven Kampfstil, deren Zeugen sie vorher waren. Zwar konnten sie nicht alles genau sehen, aber die Aussprüche - obwohl sie unverständlich waren - hatten ihnen gereicht um sich ein Bild zu machen.
    Mit vorsichtigen Schritten näherte sich das Mädchen den drei Pokémon, die sie noch nie zuvor gesehen hatte, das erkannten alle drei deutlich in ihren braunen Augen.
    Entei spannte die Muskeln zum Sprung an, auch Raikou verlagerte sein Gewicht, bereit jederzeit loszulaufen.
    Die Trainerin stand nur noch wenige Meter von der Vertiefung entfernt, in der die drei Pokémon standen und jede ihrer Bewegungen verfolgten. Mit jedem weiteren Schritt konnte Suicune spüren, wie der entscheidende Moment näher rückte, ihr Herz begann vor Aufregung schneller zu schlagen.
    Gerade hatte das Mädchen ein weiteres Mal ihren Fuß auf den Boden aufgesetzt, als Raikou das Maul öffnete und brüllte, mit so einer Intensität, dass der junge Mensch einen Schritt zurück machte. Entei stimmte sofort mit ein und Suicune folgte dem Vorbild ihrer Brüder. Dem Mädchen war anzusehen, dass es nicht wusste, wie ihm geschah und fast tat es der Gepardin leid, es so erschrecken zu müssen.
    Kraftvoll sprang Raikou aus der Vertiefung, sprintete an dem erstarrten Mädchen vorbei sprang im nächsten Moment hoch in das obere Stockwerk, wo er brüllend durch die Öffnung verschwand. Entei tat es ihm gleich und seine Pfoten wirbelten Staub und Asche auf. Zuletzt überwand Suicune die Höhe und landete auf der Ebene, auf der die junge Trainerin stand. Einen Moment lang blieb sie stehen und blickte ihr Gegenüber an, welches sich förmlich an dem jungen Feuer-Pokémon in ihren Armen festklammerte. Die Gepardin wollte dieses Mädchen nicht vergessen und sich sein Aussehen merken, denn sie hatte das Gefühl, dass sie erneut aufeinander treffen würden. Schließlich wandte sie sich mit einem kühnen Ruf ab und folgte ihren Brüdern.
    Sie verließ die Turmruine in der Gewissheit, nie mehr dorthin zurückzukehren.


    [tab=2. Platz]
    [subtab=Snake]
    Kreuzung
    Wie mag es ihnen wohl ergangen sein?
    Schon seit langer Zeit fliege ich meine Runden über den Wolken und mochte nicht mehr daran denken, was einst passierte. Dass dabei jene drei Wesen ihre Leben lassen mussten, schmerzte mich zu sehr, als dass ich noch weiter an diesem Ort hätte verweilen können. Doch konnte ich sie nicht schutzlos zurück lassen und gab ihnen mit meiner Kraft das Leben; auf dass die Ereignisse dieses Tages über alle Zeit hinweg bestehen mögen und nicht vergessen werden.
    Auch, dass das reine Silber ihre Heimatstätte verlassen musste, betrübte mich, da sie dadurch das Vertrauen in die Menschen verloren hatte. Doch eine einzelne Naturgewalt mochte nicht von diesen Wesen verursacht werden und deswegen hatte ich mich damals auch auf diese Reise begeben. Auf der Suche nach einem Menschen mit einem reinen Herzen, der ihr wieder Vernunft beibrachte und sie zu ihrer alten Stärke bekehrte.
    So nobel meine Absichten aber auch waren, so sehr wandelte sich dieses Gefühl von Trauer um eine verlorene Freundin zu Wut auf ebendiese niederen Kreaturen. Wie oft hatte ich in dieser Zeit beobachtet, wie sie gegeneinander Kriege führten und sich gegenseitig auslöschten! Sollte mein Vertrauen tatsächlich auf jenen Menschen beruhen, obwohl sie nichts anderes taten, als die Natur zu zerstören und Leben zu nehmen? Sollte mein Schicksal etwa sein, dass ich auf ewig in der Welt umher irrte und dieses eine Wesen suchte, dessen Herz so rein und kostbar wie ein Diamant war?
    Nein.
    Seit diesem schicksalhaften Tag hatte sich die Welt gewandelt und auch, wenn meine Situation noch so ausweglos erschien; ich gab mir damals dieses Versprechen und das musste ich auch einhalten. Damit das reine Silber und das ewige Gold sich wieder von Angesicht zu Angesicht begegnen konnten.
    Mit einem Mal verspürte ich eine seltsame Ahnung. Der Windhauch von eben hatte mir eine merkwürdige Nachricht entgegen getragen und mein Gefieder dabei angenehm beansprucht.
    Ich hatte ihn gefunden.
    Mit kräftigen Flügelschlägen kehrte ich in die Richtung um, aus der ich gekommen war und bemerkte schnell, dass dort in der Ferne meine einstige Heimat lag. Über diese Erkenntnis konnte ich nicht lachen, da sie zu banal erschien. Ausgerechnet an jener Stätte, an der alles seinen Anfang nahm, sollte ich ihm also begegnen.
    So sehr ich mich auch beeilte, um diesen lange herbeigesehnten Moment auszukosten, wusste ich um mein Erscheinungsbild, das die Menschen von mir hatten. Auch, wenn ich über viele Monde hinweg nur selten gesichtet wurde, so sollte es das erste Mal seit meinem Aufbruch sein, dass ich mich ihnen zeigte. Ich wusste, dieses bisher bestehende Bild musste auch weiter gewahrt werden, da ihr Vertrauen in mich sonst sinken könnte.
    Im Flug spürte ich die scharfen Winde, nach denen ich mich richten musste und die mir wohl das Vorankommen erleichtern wollten, indem sie mich stetig in die richtige Richtung trugen. Hatte im Endeffekt auch die Natur meinen Willen verstanden und half mir in diesem Moment? Ich wollte kaum glauben, dass das tatsächlich der Fall sein sollte, aber dieser Zusammenhalt bestärkte mich in meiner Überlegung und trieb mich weiter voran.
    Als ich die Stadt mit dem Namen der Glockenblume überquert hatte, drang ein mir sehr vertrauter Klang an mein Gehör und versetzte meinen gesamten Körper in einen Zustand der Spannung. Diese hell läutende Glocke, deren klarer Klang vom Wind über diese weite Strecke getragen wurde, sagte mir, dass die Zeit der langen Suche nun vorbei war und ich endlich mein Ziel gefunden hatte. Nichts konnte mich mehr aufhalten in meiner Bestimmung und der Ekstase, die dieses vertraute Gefühl in mir verbreitete. Ich ließ auch den angrenzenden Wald schnell hinter mir und aufs Neue ließen Glockenschläge – dieses Mal mehrere gleichzeitig - auf den Ort der Begegnung schließen. Mit einem letzten Durchbruch durch die Wolken erstreckte sich unter mir die Stadt Teak, welche passend zu ihrem Erscheinungsbild, den Namen eines Baumes trug.
    In der Ferne sah ich jene zwei Türme, die sich so stark in meine Erinnerung gebrannt hatten. Wehmütig ließ ich dabei meinen Blick zu jenem auf der linken Seite schweifen, der sich in seinem Bild doch so sehr vom anderen unterschied. Auf diesem Turm, von dem nichts mehr als Trümmer übrig geblieben waren, hatte sich Lugia, die Silberne, niedergelassen. Nachdem durch ein mysteriöses Unwetter ein Blitzschlag seinen Weg in das Gebäude fand, brannte dieser unweigerlich nieder und verwirrte sie in ihren Ansichten. Danach wurde sie nie wieder gesehen, doch die bald auftauchenden Stürme in der Meeresregion sagten mir, dass sie in ihrer Rage dort anzutreffen sein musste. So wie in der alten Zeit, als sie die hohe See durchstreifte und dort ihr Reich hatte.
    Doch all die Erinnerungen verblassten in diesem Moment, denn die wiedererstarkte Hoffnung hatte erneut Einzug gefunden. Mein Blick richtete sich auf den anderen Turm, der für lange Zeit mein Niederlassungsort gewesen war und aus dessen Richtung ich die ganze Zeit diesen einladenden Glockenklang hören konnte.
    Immer weiter näherte ich mich ihm und ich konnte mittlerweile schon einige Menschen auf dem Plateau der Spitze erkennen. Elegant umwand ich die hoch aufragende Pagode mehrmals und beäugte dabei jene sechs Wesen, die meine Ankunft erwarteten. Fünf von ihnen trugen traditionelle, für diese Zeit altmodische Kleidung und hielten einen zeremoniellen Tanz ab, wie ihn nur eine Schule in dieser Stadt gelehrt hatte.
    Viel mehr interessierte mich jedoch die letzte, verbleibende Person, die abseits der Tänzerinnen stand und gespannt das Geschehen beobachtete. Offenbar war ihm die Situation nicht geheuer, da er sich häufig umsah und nicht wusste, was ihn erwartete. Mit diesem Gedanken steuerte ich schlussendlich auf das Plateau zu und ließ mich dort in der Mitte nieder, den Blick zu dem Jungen freigegeben. Kraftvoll stieß ich einen lauten Schrei in den Himmel aus und kündigte somit offiziell mein Erscheinen an, was den Jungen im Gegensatz zu den Frauen zusammenzucken ließ.
    Allem Anschein nach handelte es sich bei ihm um einen Trainer, der dazu noch sehr jung wirkte und wohl erst vor Kurzem seine eigene Reise begonnen hatte. Rot und Schwarz, zwei sehr kraftvolle Farben, zierten seine Kleidung und in seinen blau-gräulichen Augen war im ersten Augenblick deutliche Ehrfurcht mir gegenüber zu spüren.
    „Keine Scheu, Hibiki“, beruhigte ihn jene Tänzerin, die bis eben noch ihr Solo in der Mitte der Plattform abgehalten hatte. Sie trat an ihn heran, während die anderen vier in ihrer zugeteilten Ecke stehen blieben. „Zeig Ho-Oh die Artefakte.“
    Ich sah ihn weiterhin mit ernstem Blick an, während er nervös in seiner Tasche wühlte und offenbar etwas suchte. Schnell zeigte sich auch, dass es sich um eine – wie die Menschen sie nannten – Buntschwinge handelte, die einzig und allein meinem Gefieder entstammte. Noch immer voller Ehrfurcht blickte mich der Junge an und hielt die strahlend leuchtende Feder mit einer Hand in die Höhe.
    Diese Feder repräsentierte die Seele der Person und ich hatte von Zeit zu Zeit eine fallen gelassen, in der stetigen Hoffnung, sie würde von jemandem gefunden werden, der sich als würdig erwies. Tatsächlich konnte sie nur ein reines Herz zum Leuchten bringen, sodass sie in den Farben des Regenbogens erstrahlte. Ich musste nicht weiter nachdenken, um zu sehen, dass es sich bei ihm um den Menschen handelte, den ich seit langer Zeit gesucht hatte. So, wie ich meine Reise begonnen hatte, hatte auch er seinen Anfang gemacht und schlussendlich kreuzten sich nun unsere Wege und eröffneten einen neuen Pfad.
    Die Tänzerin drückte ihm noch ein weiteres Objekt in die andere Hand. Eine kleine, goldene Glocke, welche an einer Kette angemacht war und die er nun mit sanften Bewegungen schüttelte, um ihr Töne zu entlocken. Die Klarglocke, die – so erzählte man es sich – mit ihrem reinen Klang selbst die größten Entfernungen überwinden konnte. Dabei machte dieses Objekt seinem Besitzer alle Ehre; ihr Läuten hallte in seinem Körper wie ein Echo wieder und zog in meinem schlagenden Herzen, einem entschlossenen und freundlichen Gefühl gleich, ein.
    Erneut ließ ich einen Schrei meiner Kehle entlaufen und begnadigte damit mein Urteil über den jungen Trainer. Er hatte mich vollkommen überzeugt.
    „Es scheint, als hätte Ho-Oh dich anerkannt“, meinte die Tänzerin mit ruhigem Ton in der Stimme.
    Hibiki sah zu ihr und nickte bestimmt. „Ja, ich hoffe doch!“, rief er energisch und wandte sich wieder mir zu. Er blickte mit einem Lächeln auf dem Gesicht in meine Augen.
    In ihm konnte ich deutlich Hoffnung und Mut erkennen und dabei handelte es sich um jene starken Empfindungen, die Lugia hoffentlich beruhigen konnten. Seine Zusammenarbeit schien mir sicher, da er sich seiner Aufgabe offenbar schon bewusst war. Diese Stärke vermochte nur Hibiki aufzubringen, das spürte ich genau und ich war zuversichtlich, dass wir mein Versprechen dadurch einhalten konnten.


    [tab=3. Platz]
    [subtab='Kräme. «']
    Zorn des Himmels
    Lag es in der Natur der Zweibeiner schlechte Taten zu vollbringen? War es tief in ihrer Seele verankert, die Welt nach ihrem Bestreben zu formen? Konnten sie keine Ruhe finden, wenn sie nicht ihre Macht ausübten? Woher nahmen sich diese Wesen das Recht, Leid und Not zu verbreiten, die Welt ins Chaos zu stürzen oder gar die Erlaubnis, gegen Mutter Natur zu kämpfen?
    Unkontrollierter Zorn durchflutete meinen Körper. Blitze zuckten über den wolkenbedeckten Himmel und grollender Donner begleitete mein wütendes Brüllen. Blieb es doch zu letzt an mir, die Fehler zu beseitigen. Doch warum? Warum half ich diesen ignoranten Geschöpfen, die nicht einmal uns respektierten? Uns, die ihnen einst das Leben auf diesen Planeten ermöglicht hatten. Doch anstatt uns zu danken, ergötzten sie sich an unserer Macht und versklavten uns! Wutentbrannt richtete ich mein Haupt gen Himmel und entfesselte eine gleißende Welle voller Energie. Sie verursachte eine Druckwelle, die sich mit rasantem Tempo über die gesamte Ebene ausbreitete. Der tosende Sturm verstärkte sich durch diese uralte Kraft und auch der Regen schien daran zu wachsen. Am Himmel zuckten weitere Blitze, einige bahnten sich sogar einen Weg auf die Erdoberfläche. Krachend erschallte der Donner in dem einstigen Vulkan.


    Alle Lebewesen schienen erstarrt. Ich spürte ihre Angst und die Verzweiflung, mit der sie mir gegenüber traten. Nur am Rande realisierte ich einige wimmernde Menschen, die wohl das Ende der Welt prophezeiten. Doch das interessierte mich nicht. Sie mussten nun lernen, mit dem Zorn des Himmels umzugehen. Ein eisiger Wind umspielte meinen langen Körper und viele Regentropfen prasselten auf meine smaragdenen Schuppen. Das gelbe Muster, was sich auf meinem schlanken Körper abzeichnete, glühte bedrohlich in den dämmrigen Lichtverhältnissen. Ob die Menschen überhaupt an meine Existenz geglaubt hatten? Oder offenbarte ich mich in diesem Moment als uralte Legende? Irrelevant. Ich war erschienen und nur das spielte eine Rolle.
    Ein Knurren verließ meine Kehle, ehe ich mich den Kontrahenten zu wandte. Wie Feuer und Wasser, Tag und Nacht, Gut und Böse – sie stellten Gegensätze dar, sie konnten nicht verschiedener sein. Direkt gegenüber standen sie sich, die tosenden Wellen umgaben ihre Körper und ein kräftiger Orkan zerrte an ihrer Macht. Ich erkannte weder Reue noch Trauer in ihren Augen. Sie würden dieser Region den Erdboden gleich machen, ließe ich sie. Sie würden nicht auf all die Lebewesen achten, die sie mit ihrem Handeln in Gefahr bringen könnten. Ich sollte mich nicht darum scheren, schließlich konnte es mir egal sein. Meine Heimat war der Himmel. Sollten die Menschen sehen, was sie mit „ihrer“ Welt taten und was geschah, wenn man sich gegen die Gesetzte der Natur stellte. Doch machten wir nicht alle Fehler? Und wie sollte ich es akzeptieren, wenn dabei auch unschuldige Lebewesen in Gefahr gerieten, die rein gar nichts mit den Machenschaften der Zweibeiner zu tun hatten? Empört riss ich mein Maul auf und brüllte erneut ohrenbetäubend. Nein, das würde ich nicht zu lassen. Mögen die Menschen ignorant, respektlos und unbelehrbar sein, doch sollten nicht andere deswegen Leid ertragen.


    Der Herr des Meeres stieß ein Grollen aus, bevor er eingeschüchtert von seinem Gegner zurückwich. Dieser senkte sein bepanzertes Haupt ehrfürchtig. Auch wenn sie das Land und das Meer vor mehreren Millionen Jahren geschaffen hatten, besaßen sie nicht die Macht, sich gegen mich zu stellen. Ich war ihr Anführer und es war meine Aufgabe, die Welt vor ihren Auseinandersetzungen zu schützen. Ein greller Blitz durchschnitt die Dunkelheit. Noch hatte der Sturm keine Schäden hinterlassen, doch musste ich ihm nun ein Ende setzen. Erneut richtete ich meinen Kopf in den Himmel und entfesselte einen hellleuchtenden Energiestrahl, der die Wolkendecke durchbrach und sich in der Unendlichkeit verlor. Die entstandene Druckwelle fegte über das tosende Wasser und beruhigte es einigermaßen. Zuletzt drängte sie die beiden Kontrahenten hinfort, zwang sie, an ihre ursprünglichen Plätze zurück zukehren und ihren gestörten Ruheschlaf wieder aufzunehmen. Mit dem Verschwinden der Schöpfer, normalisierte sich auch das Wetter langsam. Der starke Regen nahm immer schneller ab, bis er schließlich ganz zum erliegen kam. Und das Meer ruhte schon bald friedlich, als wäre nichts geschehen.
    Fassungslos starrten mich die Menschen an. So, als wenn sie nicht glauben konnten, was geschehen war. Zornig betrachtete ich sie. Sie sollten wahrlich dem Himmel danken! Dann viel mein Blick auf das Kind, welches mich aufgesucht hatte. Es war zu mir gekommen, hatte mich flehend angesehen. Selten spürte ich solch eine Ehrlich- und Aufrichtigkeit. Vielleicht war es ein Fehler, alle Zweibeiner gleich zu beurteilen, es gab wohl auch gute Seelen, wie dieses Kind. So lange noch aufrichtige Herzen unter ihnen waren, würde mein Zorn wohl Gnade walten lassen. Doch mussten die Menschen noch viel lernen.
    Ein letztes Brüllen entwich meiner Kehle, ehe ich mich in den Himmel erhob und der Erde den Rücken kehrte.


    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information]
    [subtab=Allgemeines]
    Gewinner des 7. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Haiku
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab=1. Platz][subtab=Sheep]
    Äußerlich
    Du bist attraktiv.
    Augen, Lächeln, Körperbau.
    Unbeschreiblich schön.


    Innerlich
    Du bist immer da.
    Mitgefühl, Sanftmut, Fairness.
    Nicht wegzudenken.
    [tab=2. Platz][subtab=*Mondscheinfeder*]
    Blumen
    Liebliche Wesen
    Strecken zart bunte Blüten
    Stumm der Zeit empor


    Frühling
    Lautlos er erwacht
    Still er seine Arme streckt
    Neu er malt die Welt
    [tab=3. Platz][subtab=Tobisokka]
    Zuhause
    Hier will ich bleiben,
    hierher kann ich immer gehn’,
    es tut mir so gut.


    Geborgen
    Siehst du es denn nicht?
    Den Glanz in meinen Augen,
    ich fühl’ mich so wohl.


    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information]
    [subtab=Allgemeines]
    Gewinner des 8. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Innerer Monolog
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab=1. Platz][subtab=Chi]
    Gedanken eines Wolfes
    Und ich dachte wirklich, so etwas würde mich kalt lassen. Ich dachte, nachdem ich so viel gesehen, so viel erlebt habe, dass mich ein weiteres zerstörtes Leben nicht interessieren würde.
    Warum ist da trotzdem dieses Gefühl? Dieses seltsame, undefinierbare Gefühl? Es schmerzt. Es schmerzt und ich wünschte, es würde verschwinden. Immer, wenn ich bisher jemanden getötet habe, dann war da nichts. Überhaupt nichts. Keine Freude, keine Trauer. Nur Leere. Sie interessieren mich nicht, die Menschen.
    Und doch ist es dieses Mal anders. Dieses Mädchen. Wenn ich an es denke, füllt sich mein Körper mit dieser seltsamen Wärme. Sie ist nicht angenehm, nein, es fühlt sich an, als würde sie mich auffressen. Und ich muss an dieses Kind denken. Ständig. Sobald ich die Augen schließe, ist sie da. Sobald es still ist, höre ich ihre Stimme. Und sobald ich endlich meine, sie aus meinem Kopf verscheucht zu haben, spüre ich ihre kleine, zarte Hand, die mir unbeholfen ihr rotes Taschentuch um die meine bindet.
    Sie verfolgt mich. Mit ihrer roten Jacke, der großen Kapuze, ihren braunen Haaren und ihrer naiven, kindlichen Art, die mir vertraut, obwohl ich nun wirklich niemand bin, dem man vertrauen sollte. Weshalb fragte sie gerade mich nach dem Weg? Warum nicht irgendjemand anderen?
    Ich verstehe das nicht. Und wahrscheinlich werde ich es auch niemals verstehen. Es sollte mir sowieso egal sein. Ich will das nicht! Es soll aufhören. Warum wird es schlimmer, je mehr ich versuche, es zu vergessen? Dieses Kind, dieses verdammte Kind, es ist bloß irgendein Kind! Es kann mir doch vollkommen gleich sein, wie es ihm jetzt geht. Wo es ist. Was es tut. Wie es jetzt von mir denkt. Und doch, da sind diese Worte. Seine Worte.
    Du hast mich angelogen. Schon wieder sind sie da. Sie sollen endlich verschwinden, sie sollen –
    Du hast mir versprochen, mich zu meiner Oma zu bringen. Aber du hast mir den falschen Weg gesagt. Das war gemein von dir.
    Diese vier Sätze. Warum hat sie überhaupt noch mit mir gesprochen? Hätte sie sich nicht fürchten müssen? Hätte sie sich nicht weinend hinter den Polizisten verstecken, nach ihrer Mama rufen und mich abgrundtief hassen sollen?
    Stattdessen nur diese Worte. Mit diesem leeren, traurigen Ausdruck in dem kleinen Gesicht. Vielleicht war es kein Hass gewesen, kein Zorn. Vielleicht war es Enttäuschung.
    Warum? Es wäre nur verständlich gewesen, wenn sie mich gehasst hätte. Wieso tat sie es nicht? Und noch viel schlimmer, warum… ja, warum verletzt mich das so sehr?
    Warum schmerzen die Worte dieses Kindes so viel mehr als die Tatsache, dass ich jetzt im Gefängnis sitze? Warum schmerzen sie mehr als der Gedanke an den Tod, dem ich jetzt wohl nicht mehr aus dem Weg gehen kann?
    Ich fürchte mich vor dem Gerichtsverfahren. Vielleicht ist sie da. Das Mädchen. Vielleicht sieht sie mich wieder an, mit diesem leeren Blick. Aber vielleicht habe ich dann wenigstens die Gelegenheit, ihr das rote Taschentuch zurück zu geben, das sie mir geliehen hat. Ob sie es noch wieder haben will? Ob sie mir glaubt, wenn ich ihr sage, dass es mir Leid tut?
    Tut es das?
    Ja, tut es das?
    Ich weiß es nicht. Ich weiß eigentlich gar nichts mehr. Ich weiß nur, dass es weh tut. So weh. Es zerreißt mich. Verbrennt mich. Dieses Mädchen. Mit ihren Augen.
    Warum nimmt mich das so sehr mit?
    So sehr, dass ich weinen muss?
    Ja. Ja, es tut mir Leid.
    Verzeih mir, Rotkäppchen.
    [tab=2. Platz][subtab=Courser]
    Verzweifelt? Vielleicht. Verdammt.
    Verdammt. Es ist doch immer wieder das gleiche. Immer. Der einzige Unterschied scheint darin zu bestehen, dass ich mir manchmal hinterher nicht einmal denken kann, wie ich es hätte besser machen können. Aber das ist nicht wirklich ein Unterschied. Das bekommt außer mir sowieso keiner mit. Nicht Lisa, nicht Paul, nicht Amy. Besonders nicht Amy. Wenn Amy irgendetwas von den Gedanken, die ich mir um sie mache, mitbekommen würde, würde ich vor Scham wohl im Boden versinken. Dabei wäre es doch so einfach, ihr einfach meine Gefühle anzuvertrauen. So wie Paul es bei Lisa gemacht hat. Hat doch super geklappt. Die beiden sind jetzt schon ewig ein Paar.
    Paul hat es richtig gemacht. Er hat Lisa seine Liebe gleich nach ein paar Wochen gestanden. Das könnte ich auch, das ist dann nicht so schwierig. Mit Amy war es komplizierter. Wir kannten uns schon viel zu lange, als dass ich eine Abfuhr von ihr ertragen könnte, ohne ihr danach nur noch aus dem Wege zu gehen. Wenn man sich erst kurz kennt, und es dann nicht klappt, hat man nicht die Probleme, die ich mit Amy haben würde – man trennt sich einfach und muss sich nicht wieder sehen. Oder man wird einfach zu Freunden. So herum ist das möglich. Paul, Amy und Ich – und Lisa, als sie durch Paul dann zu uns stieß – trafen uns mehrmals in der Woche. Wir trafen uns in Bars, gingen ins Kino oder zum Bowlen. Wenn ich die Sache mit Amy versaue, weiß ich nicht, wie es weitergehen sollte. Schließlich ist sie auch Pauls und Lisas Freundin. Ich würde die ganze Gruppe auseinanderreißen. Das kann ich nicht riskieren. Verdammt.
    Also muss ich wohl irgendwie auf subtilere Art herausfinden, ob Amy vielleicht doch auch Gefühle für mich hegt. So wie die letzten Treffen. So wie heute. Auch, wenn es bis jetzt noch nicht zu Ergebnissen geführt hat. Aber das wird. So oder so. Ich brauche nur bessere Strategien als die, die ich bis jetzt ausprobiert habe. Gar nicht so einfach. Ich könnte Lisa und Paul einweihen. Sie könnten mit helfen. Zur Not mit einem Frontalangriff. Paul könnte ganz unverbindlich in den Raum werfen, dass Lisa und er ein so schönes Paar abgeben würden, und mit seinem sarkastischem Lächeln im Gesicht hinzufügen, dass Amy und ich doch auch zusammen passten. Hm. Obwohl es mich sehr interessiert, wie Amy reagieren würde, wäre das vielleicht doch eine Spur zu gewagt. Andererseits – wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Jedes Wagnis bedeutete aber auch das Risiko auf eine Verlust. Und verlieren wollte ich Amy auf keinen Fall. Verdammt. Ich könnte auch mit Lisa sprechen. Sie und Amy sind doch gute Freundinnen. Und Freundinnen reden doch über alles. Hab' ich gehört. Könnte Lisa Amy nicht direkt fragen? Und mir hinterher genauen Bericht erstatten? Ja. Das klingt gut. Dann weiß ich genau, wo ich stehe. Aber Moment – Wenn Freundinnen wirklich über alles reden, dann bestimmt auch darüber, dass sich eine männliche Person nach den Gefühlen der einen Freundin erkundigt. Würde Lisa meine Gefühle an Amy weitergeben? Nicht auszuschließen. Verdammt. Diese Möglichkeit fällt also auch weg – Lisa kann ich auf keinen Fall einweihen.
    Dann also nur Paul. Paul würde mich nicht verraten. Aber in wie weit kann mir das weiterhelfen? Abgesehen vom Frontalangriff fällt mir nicht ein, wie Paul Amys Gedanken besser erforschen könnte als ich selber es kann. Schön, vielleicht kann er sie einfach fragen, ob sie zur Zeit einen Typen im Auge hat. Hatte sie lange nicht. Genau wie ich lange keine Freundin hatte. Dieser Umstand sollte mir eigentlich Mut machen. Vielleicht hat sie auch heimliche Gefühle für mich? Vielleicht weiß Lisa davon? Vielleicht sogar Paul? Vielleicht macht sie ganz ähnliche Pläne?
    Nein, das sind zu viele „vielleichts“. Und dennoch, das sie lange kein Freund mehr hatte, ist Fakt. Immerhin etwas. Ich weiß nicht, wie ich es ertragen sollte, wenn Amy zum nächsten Treffen mit einem anderen Typen ankommen würde. Wenn sie sich vor meinen Augen küssen würden. Wenn ich mir vorstellen müsste, was – aber nein. Sie hat keinen Freund. Es gibt keinen Grund, sich unschöne Gedanken zu machen. Noch nicht. Aber zu lange darf ich nicht warten. Will ich nicht warten. Kann ich nicht warten. Eine Idee muss her. Eine Taktik, eine Strategie, ein Schachzug – schreibt sie vielleicht Tagebuch? Hah. Wenn das kein toller Plan ist. Um herauszufinden, ob sie Gefühle für mich hat, schleiche ich mich unbemerkt in ihr Zimmer, suche ihr Tagebuch, und lese es einfach nach! Verdammt. Wenn das heute meine beste Idee dazu ist, kann ich auch gleich schlafen gehen. So wie gestern. Und vorgestern. Die ganze Woche über.
    Aber nein. So schnell gebe ich heute nicht auf. Heute sage ich zwar nicht, ich würde erst ins Bett gehen, wenn ich eine Lösung gefunden hätte – das habe ich diese Woche schon zweimal gesagt, das erste mal habe ich es durchgezogen und bin am nächsten Morgen, natürlich ohne geschlafen zu haben, zur Uni gefahren. Um den Schlaf dann während der ersten Vorlesung nachzuholen. Das zweite mal, den darauffolgenden Abend, bin ich trotz Vorsatz sofort am Schreibtisch eingeschlafen – aber ganz ohne mir weitere Gedanken zu machen möchte ich auch nicht schlafen. Aber hey, im Schlaf werden mich die Gedanken an Amy auch nicht loslassen. Wie toll wäre es, im Traum die Lösung zu erfahren? Vielleicht kommt sie mir einfach zugeflogen. Am folgenden Tag muss ich dann nur noch meinen Traum in die Wirklichkeit umsetzen und alles wäre gut. Ach ja. Wenn es doch so einfach wäre. Ist es aber leider nicht. Verdammt.
    Was bleibt noch? Ich habe versucht, ihr öfter als gewöhnlich in die Augen zu schauen. Habe sie unter irgendeinem Vorwand beiläufig am Arm berührt. Ihr in wichtigen Streitfragen innerhalb der Gruppe zugestimmt. Saß jedes mal in der Uni neben ihr. Wir haben uns viel unterhalten, viel zusammen gelacht. Es gab nur ein Problem: Das alles hätte ich größtenteils auch als normaler Freund getan. Deshalb hat sie davon wahrscheinlich noch nicht einmal etwas gemerkt. Genauso wenig wie Lisa und Paul. Die beiden hätten mich bestimmt schon darauf angesprochen, wenn sie etwas Auffälliges an mir gemerkt hätten. Also. Mir bleibt nichts anderes übrig, als weiterzumachen. Dieses Problem löst sich nicht von selbst. Und schon gar nicht über Nacht. Leider. Dann also morgen auf ein Neues. Wenn es morgen nicht klappt, weihe ich Paul ein. Er soll mir einen Ratschlag geben. Er muss mir helfen. Fangen wir halt mit einem Frontalangriff an. Verdammt.


    [tab=3. Platz][subtab=Snake]
    Blind
    The sound of harmonymay reach your heart, but you’re incapable of understanding its meaning.
    „Das Leben ist schön.“


    Diesen Satz habe ich schon oft in den vielen vergangenen Jahren vernommen und doch bin ich nie hinter seine wahre Bedeutung gekommen. Doch warum hätte ich es mir zur Lebensaufgabe machen sollen, das Rätsel hinter diesen vier Worten zu lösen, um mir schlussendlich sein überquellendes Wissen anzueignen? Ganz einfach.
    Ich war schon immer davon fasziniert, es zu erfahren.
    Schon sehr früh wurde ich gemieden, weil ich hässlich sei und es nicht verdient habe, auf dieser Welt zu sein. Völlig gleich, wen ich auf meinem Weg traf; ich hörte doch immer wieder die gleichen Aussagen, als hätten sie einen Groll gegen mich entwickelt. Warum aber war das so? Hatte ich etwas Schlimmes verbrochen, dass man mir so begegnete? Durfte ich mein Dasein nicht ausleben, weil ich in ihren Augen abstoßend wirkte? Darf ich das selbst jetzt überhaupt noch?
    Meine Hässlichkeit war ihnen also ein Dorn im Auge. Ich kann nicht anders als lachen, dass ich mich damals erst ab diesem speziellen Zeitpunkt bemitleidete und realisierend die Wahrheit vor meine Augen führte. In Wahrheit wusste ich es nämlich von Anfang an, doch erst ein Impuls hat dieses Denken an die Oberfläche gebracht und mein Herz in Mitleidenschaft gezogen. War mir diese, von allen gewünschte, Schönheit einfach vergönnt oder hatte ich mich in eine Sackgasse verirrt, sodass ich nicht anders denken konnte?
    Egal, wohin mich mein Weg führte; ich stieß auf Ablehnung. Mir ist nach wie vor bewusst, wie sehr es mich schmerzte, meine Seele verzerrte und so fand ich meinen einzigen Ausweg in der einen Sache, die mich seit jeher begeistert hatte: Das Singen. Was hatte es in mir Emotionen ausgelöst, wenn ich jemand anderem lauschen durfte! Aus dieser Bewunderung entstand schließlich der Wunsch, diese Schönheit der Stimme nachzuahmen und ebenfalls damit zu beginnen. Ein Fehler, wie ich bald feststellen musste.
    Noch immer beschämt lernte ich hauptsächlich dann, wenn niemand anwesend war. Wenn ihnen schon meine äußere Erscheinung nicht gefiel, wie sollte das dann die Stimme bewerkstelligen können? Ich wusste es nicht und doch konnte mich nichts davon abhalten, weiterhin zu üben. Einmal jedoch wurde ich überrascht, als sich zwei der anderen Einwohner in der Nähe aufhielten und sich laut fragten, woher dieser liebliche Gesang komme. Als sie mich erblickten und ich noch einen Ton angestimmt hatte, änderten sie schnell ihre Meinung zum Negativen und ließen mich zurück.
    Was hatte ihnen nicht gefallen? Ich hatte doch vernommen, wie sie sich über mein Lied gefreut hatten und doch waren sie mir gegenüber wieder unterstellend und abweisend. War es am Ende deswegen, weil ich nach wie vor ich selbst und in ihren Augen hässlich war?
    Darauf sollte ich auch bald eine Antwort erfahren, denn eines Tages belauschte ich deren Gespräch mit einigen ihrer Freunde, denen sie von diesem Erlebnis erzählten. Sie schwärmten von dem wundervollen Gesang, der seinesgleichen suchte und als dann bei der Auflösung mein Name fiel, brachen alle in schallendes Gelächter aus. Ich solle mich nicht aufspielen, als wäre ich etwas Besseres, rief einer prustend und ein anderer meinte, das Singen wäre nicht für mich bestimmt.
    Damit war mein Herz endgültig gebrochen und ich entfernte mich leise unter Tränen. Ich hatte die wenige Kraft, die ich noch besessen hatte, in all diese Noten gesteckt, meine Leidenschaft gelebt und doch wurde auch das verschmäht. Gab es auf dieser Welt – in dieser Zeit – überhaupt jemanden, der mich, so, wie ich war, akzeptieren konnte oder war selbst das ein Hirngespinst meiner Fantasie? Mir wurde bewusst, dass ich wohl nie die Anerkennung finden würde, die ich schon seit langer Zeit suchte und so streifte ich alleine durch die unendlichen Weiten dieses Meeres.
    Jedes Mal, wenn mir danach war, stimmte ich ein Lied an. Von der bisher freundlichen Klangart war nichts mehr zu hören; stattdessen beherrschte mich die Trauer und klagevolle Laute entronnen meiner verletzten Seele. Ich konnte nicht anders; mein Wille veranlasste mich dazu, meine persönliche Wehmut auf diese Art aus dem Körper zu lassen. Ungeachtet der Zuhörer, die womöglich lauschten. Ungeachtet meiner Selbst, die sich nur in Selbstmitleid vertiefte.
    Mit der Zeit hatte ich meine eigene Sprache in den Liedern entwickelt, weswegen nur ich sie noch wörtlich verstehen konnte. Aber wenn andere Wesen wirklich zur Empathie imstande waren, so verstünden sie dennoch mein Anliegen und durften mit mir trauern, wenn sie der Klang meiner Stimme berührte.


    Seitdem ist viel Zeit vergangen, in der ich meine ungezügelten Emotionen unter Kontrolle gebracht habe. Mein Enthusiasmus hat sich nicht verändert, doch die Themen meiner Gesänge haben sich wieder und wieder gewandelt. Ob auch andere die Gefühle dahinter verstehen? Vielleicht sollte ich einmal jemanden fragen; obwohl mir das wohl wieder nur gehässige Bemerkungen einbringen würde, aber ich bin daran interessiert.
    So streife ich durch meine alte Heimat und summe eine neuerliche Melodie, die langsam Gestalt annimmt. Viele andere Bewohner sehen mir hinterher und tuscheln, doch bald begegne ich jenen zweien, die mich damals bei meiner Leidenschaft entdeckt haben. Einer sagt, ich sei bildhübsch und mein Gesang sei nur für auserwählte Ohren bestimmt zu hören. Ein Danke verlässt meine Kehle, woraufhin der andere meint, es erinnere ihn an ein anderes Wesen von früher. Ich hauche mit zarter Stimme, dass ich dieses Wesen gern kennenlernen würde, jedoch lehnen sie es schnell ab, da es wohl schon lange nicht mehr in der Gegend gesehen wurde.
    Diese Haltung betrübt mich, doch ich lasse mir nichts anmerken. Schließlich bin ich dieses Wesen, das sie damals ablehnten und nach dieser langen Zeit schließlich annehmen. Liegt es an der Veränderung, die ich durchlaufen habe, an meiner schon seit Langem gewünschten Schönheit? Vielleicht werden sie schlicht dadurch geblendet und sehen mich in einem anderen Licht als früher. Doch meine Seele hat sich nicht verändert, als dass es ein solch großes Ausmaß annehmen würde. Warum haben sie dann ihre Ansicht gewechselt und akzeptieren mich nun?
    Schönheit ist Gift und ich frage mich, ob ich nur deswegen die Anerkennung gefunden habe oder ob deren Bewusstsein eine Wandlung durchgemacht hat. Meine Stimme und die damit verbundenen Gefühle, die ich anderen auf diese Weise mitteile, sind mir geblieben; meine Verhaltensweise ebenso. Doch es scheint, dass diese harmonischen Klänge, gepaart mit meiner äußeren Ausstrahlung, die anderen blind für das Wesentliche machen. Im Endeffekt hat das neue Erscheinungsbild keine Verbesserung gebracht. Ich fühle mich nur noch mehr verraten und hintergangen, doch ich lasse mir davon nichts anmerken. Sollen sie doch mein bildhübsches Äußeres, wie sie zu sagen pflegen, oder meine Stimme lobpreisen; es wird nichts daran ändern, dass ich eine einsame Seeschlange bleiben werde, die ihr Dasein gemeinsam mit ihrem Gesang fristen wird. Andere mögen noch so sehr davon eingenommen und beruhigt sein, wenn sie ihn hören, doch niemand wird die Trauer innerhalb dieser Noten und Worte verstehen können.
    Das Leben ist schön.
    ... Oder?


    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]Gewinner des 9. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Kurzgeschichte: Pokémonfestival
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab=1. Platz][subtab=Ayame]Fest des Friedens


    «Siehst Du das, Reine?»
    Die Stimme der brünetten Trainerin war lediglich ein Hauchen, das durch die Luft schwang und ihrem Staunen insofern Ausdruck verlieh, als dass es im bunten Treiben um sie herum nunmehr klang wie ein Flüstern. Ein Flüstern, das so schnell im Stimmengewirr solch vieler verschiedener Leute versank, dass sich das Mädchen kaum sicher war, die Worte tatsächlich ausgesprochen zu haben. Ihr treues Pokémon aber hatte die an es gerichtete Frage sehr wohl gehört und stieß, ob nun als Bestätigung dieser oder als eigene Überraschung, einen sanften, schnurrenden Laut der Entzückung aus. Oh ja, es sah es sehr wohl – das ›Fest des Friedens‹.


    Raimon City war vom Wüstenresort aus kaum wiederzuerkennen gewesen. Es hatte direkt vor ihnen gelegen, umschmeichelt von der langsam dem Horizont entgegen sinkenden Sonne, und doch eine derartige Helligkeit ausgestrahlt, dass es wahrscheinlich noch weithin sichtbar war, ja, vielleicht sogar bis hin nach Hodomoe City. Überall konnte man Quellen des Lichts erkennen, ob es nun leuchtende Lampions waren oder das Glühen feuriger Fackeln, und selbst einige Feuerwerkskörper hatten die Trainerin und ihr Pokémon aus der Ferne erkennen können. Alles in allem ein überragender Anblick.
    Bis zu diesem Moment hatten Touko und ihr Lepardas Reine nicht vorgehabt, der Stadt des Sports und der Musik noch an diesem Abend einen Besuch abzustatten – doch das Schauspiel, welches sich ihnen geboten hatte, hatte sie dazu veranlasst, ihren Plan zu ändern. Ihr eigentliches Ziel war zwar die Erforschung des Alten Palaste gewesen, aber in Anbetracht eines solchen Spektakels waren sich beide auch ohne Worte einig gewesen, eine Ausnahme zu machen. Das hatten sie sich einfach aus der Nähe betrachten müssen.


    Und hier standen sie nun – inmitten so vieler Menschen und Pokémon – und ließen das Treiben auf sich wirken, während sie die Geschehnisse des Festes in sich aufnahmen: Da gab es feuerspuckende Männer, die zusammen mit ihren unbekannten Pokémon aus weit entfernten Regionen stammten und nun auf einem großen Platz inmitten der Stadt ihre Fertigkeiten in der Kunst des Feuers bewiesen; ballonverkaufende Jungen und Mädchen in langen Gewändern bahnten sich Wege durch die vielen Männer, Frauen und Pokémon und boten ihnen allen mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht ihre Ware an, die, bunt hinter ihnen in der Luft hängend, die Form verschiedenster Pokémon hatte – da gab es blaue Ballons, die mit dem Antlitz des Wasserwesens Mijumaru bezeichnet waren, ebenso wie rote, die die Form eines Baoppu hatten. Einer hatte die grasbewachsenen Muster der Jalorda eingefangen, ein anderer wiederum die Irrungen des Traumdunstes von den Mushama, und ein letzter schließlich zog die gänzliche Aufmerksamkeit Toukos auf sich und entlockte ihr einen freudigen Aufschrei. Sofort war sie bei dem Mädchen, welchen ebenjenen Ballon feilbot, angelangt, und schon nach wenigen Sekunden war sie stolze Besitzerin eines in der Luft schwebenden, auf sie herabblickenden Lepardas-Gesichtes, was ihrer Partnerin Reine einen amüsierten Laut entlockte.
    Inzwischen war die Sonne zur Gänze hinter dem Horizont entschwunden, was das Leuchten der lebendigen Stadt vor dem dunklen Firmament noch deutlicher von der Schwärze der Nacht abhob. Nun konnte man auch das Feuerwerk in seiner ganzen Pracht bewundern, wie jede einzelne Rakete ihren Weg vom festen Erdboden in den losgelösten Himmel fand und über den Köpfen der Menschen und Pokémon mit einem glockenklaren Ton zerschellte, um hierauf bunte Bilder in die Dunkelheit zu malen. Rote, blaue, grüne und gelbe Funken stoben, Farbklecksern auf einer schwarzen Leinwand gleich, über die Kämme des zunehmenden Windes, der, wie Wellen das Meer, die Luft durchpflügte und klingelnde Stabspiele zum Ertönen brachte. Der Duft von Zuckerwatte wurde durch die Menge der Besucher getragen, und aus der Ferne hörte man das helle Lachen einiger Kinder, ebenso wie verschiedenste Melodien, manche fremdländisch und exotisch, andere wiederum fast bekannt und vertraut, das Gewirr der Stimmen durchdringen.
    Touko wandte ihren Kopf in die Richtung, in welcher sie ihren Lieblingsplatz dieser Stadt vermutete, und bedeutete Reine, ihr zu folgen. Leicht war es nicht, durch das dichte Gedränge der Leute und ihrer Partner zu gelangen, ohne auf deren Füße, Pfoten, Klauen und Hände zu treten, aber schließlich hatten sie es bis zum östlichen Rande der Stadt geschafft und sahen sich nun einem noch viel größeren und zugleich kleinerem Schauspiel gegenüber, als es das Treiben inmitten der Stadt, vor dem Bahnhof, den Stadien und dem Musiktheater, gewesen war: Leuchtende Lampions, ebendiese, welche sie aus der Finsternis des Wüstenresorts hatten ausmachen können, wiesen ihnen den fast gänzlich leeren Weg zu der Arena des Models Kamilla und noch daran vorbei, bis hin zu dem einzigen Ort, der aus unerfindlichen Gründen nicht einmal von verliebten Pärchen besucht war – dem Riesenrad, dessen rot-weiße Gondeln behängt waren von Lichterketten und eine eigene Art der Festlichkeit ausstrahlten. Einzelne Stände fanden sich vor dem Eingang dieser Attraktion, und als Touko und Reine nähertraten, sahen sie sich einer gewaltigen Auswahl verschiedenster Köstlichkeiten gegenüber, die von Schmalzgebäck mit Puderzucker bis hin zu gebrannten Mandeln reichten. Neben Herzkonfekten und Lavakeksen ließen sich selbst Knurspe und Pokériegel, Naschwerk aus weit entfernten Regionen, zwischen den Tütchen und Beutelchen finden, und ohne auch nur ein Zeichen der Zustimmung zu erbeten, hielt Touko ihrer Partnerin wenig später eine kleine Box der köstlichsten Backwerke hin, während sie sich selbst genüsslich eine vollends perfekte Mandel in den Mund schob – absolut himmlisch. Dieser Meinung war anscheinend auch Reine, denn noch ehe sie das erste Stück eines violett gefärbten Pokériegels gänzlich hatte hinunterschlucken können, bildete sich auf ihrem Gesicht ein glückliches Lächeln, das ihre Mundwinkel umspielte und ihre Augen zum Strahlen brachte. Touko kicherte ob des wie verzaubert aussehenden Antlitzes der Lepardas und konnte nicht umhin, ihre Hand sanft durch das Fell ihrer Partnerin gleiten zu lassen.
    «Weißt Du, warum man es das ›Fest des Friedens‹ nennt?»
    Eine Stimme, seltsam fremd und vertraut zugleich, wie die Melodien, die kurze Zeit zuvor durch Raimon City geklungen waren, ertönte hinter der jungen Trainerin und ließ sie ihre Hand über dem Kopf Reines innehalten. Ihr Herz machte einen seltsamen Satz, doch war es nicht ein Gefühl der Freude, das sie durchlief und ihren Puls beschleunigte – es war Wut, die sie in einer einzigen flüssigen Bewegung herumfahren und das Pokémon an ihrer Seite ihre scharfen Krallen ausfahren ließ, während das Fest um sie herum beständig weiterverlief, als wäre nichts geschehen.
    «Es heißt, dass die Brüder, dessen gespaltene Seelen die Drachen Reshiram und Zekrom hervorgebracht haben, sich nach langer Zeit genau hier wiedertrafen.»
    Der junge Trainer vor ihnen sprach ungerührt weiter, eine Hand in der Hosentasche, die andere um das silberne Band eines goldenen Luftballons geschlossen, der über ihm in der Luft hüpfte, was einen seltsamen Kontrast zu den Taten bot, die er und sein Vater der Welt schon angetan hatten. Touko war außer sich vor Zorn und kurz davor, ihre Partnerin auf diesen niederträchtigen Menschen, dessen bloße Anwesenheit dieses Fest zerstörte, loszulassen – aber seine Worte ließen sie keine ihrer rachegetränkten Gedanken verwirklichen, sondern sie vielmehr gespannt aufhorchen. Und während hinter ihnen, über dem erleuchteten Riesenrad, ein weiteres Feuerwerk die dunkle Nacht erhellte, fuhr der grünhaarige Junge weiter fort mit seiner Erzählung.
    «Sie haben auf ihren Wegen viele Orte der Region bereist und fast ihren Streit darnieder gelegt, doch als sie sich erblickten, war es, als wäre nie ein Jahr zwischen ihnen vergangen, und so gingen sie erneut aufeinander los.»
    Der Trainer seufzte laut auf und schüttelte bedauernd den Kopf, dann wies er mit einem Nicken auf das Riesenrad hinter ihm und lächelte verschwörerisch.
    «Es war eine junge Frau, die den Zwist der beiden stoppte und sie ermahnte, sich noch ein weiteres Leid anzutun. Sie hatte wie alle anderen auch von der Legende der zwei Brüder und ihrer Drachen gehört und war sich durchaus im Klaren darüber, dass es mehr Feindseligkeiten zwischen diesen beiden Männern gab, als sie sich je vorstellen konnte – dennoch trat sie dazwischen, von der festen Überzeugung beseelt, dass ein jeder Streit irgendwann einmal sein Ende finden müsste.»
    Wie von selbst bewegten sich die Schritte der beiden Trainer und Reine, die beschützend stets einen Schritt vor Touko einherschritt, auf diesen einen Ort zu, an dem sie sich vor so langer Zeit schon einmal begegnet waren. Der grünhaarige Junge half, dort angelangt, Touko in eine der Gondeln und setzte sich ebenfalls dazu, bevor er auch der Lepardas gebot, sich zu ihnen zu setzen. Kurze Zeit später fuhren sie auch schon gen Himmel, und dort vermochten sie erst die wahre Schönheit dieses Feuerwerkes auszumachen, dessen Pracht und Herrlichkeit über ihnen einen bunten Teppich durch den Himmel webte.
    «Und als die beiden Brüder die junge Frau anhörten, verstanden sie, auch wenn sie nicht in der Lage waren, sich jemals gänzlich zu vergeben. Aber sie versprachen, sich zu zügeln und zumindest in dieser Stadt ihren Streit beiseite zu legen.»
    Er lächelte Touko sanft und bittend an und hielt ihr seine ausgestreckte, leicht gewölbte Hand hin.
    «Und so», flüsterte er, als sie seine Hand ergriff, nun ihrerseits lächelnd und sanftmütig, während unter ihnen die lebendige Stadt pulsierte und leuchtete und erfüllt war von den verschiedensten Menschen und Pokémon, «so entstand das ›Fest des Friedens‹.»[tab=2. Platz][subtab=Pika!]Baijin


    Das Drachenfestival, das alle dreizehn Jahre stattfand, wurde diese Saison in einem eigens dafür errichteten Stadion abgehalten. Der ovale Grund der Arena machte größtenteils ein tiefes Becken aus, gekrönt von zwei sandbedeckten Inseln. Nach oben hin war das Gelände zum Himmel geöffnet. Dadurch war das Stadion so angelegt, dass die Drachenpokémon, die hier auftraten, all ihre Elemente nutzen konnten. Über den Tribünen schlängelte sich der Leib eines fiktiven Drachen, dessen Kopf weit in die Arena hineinragte. In seinem weit aufgerissenen Maul saß die vierköpfige Jury, die traditionell von den berühmtesten Drachentrainern der Regionen gestellt wurde.
    Seléne stand auf der kleineren der beiden Inseln, die für die Koordinatoren vorgesehen war, und beobachtete die applaudierenden Zuschauer auf den Tribünen ringsum. Die meisten dieser eingebildeten Geldsäcke erwarteten gewiss, Glurak, Garados oder Piondragi hier auftreten zu sehen, da sie nach Drache aussahen oder zumindest so klangen. Diesen ignoranten Stümpern würde sie einen echten Drachen vorführen! Und vor allem dem Juryquartett eine Kür servieren, die sie so schnell nicht vergessen würden.
    Thema des diesjährigen Drachenfestivals war, den Auftritt in Form eines Mythos darzulegen. Seléne hatte lange nach einer passenden Legende getüftelt, war entsprechend stolz auf das Ergebnis. Farblich hatte sie sich an ihren Drachen angepasst: Ein schwarzgraues Kleid, das lange blonde Haar mit roten Perlen geschmückt. Doch sie war nur der Hintergrund, trug nur den Text vor. Das war allein der Auftritt ihres Pokémon.
    Andächtig holte Seléne den Finsterball hervor, den sie bislang in ihren Ärmeln verborgen hatte. Sogleich wurde es ruhig im Stadion, als sie das Objekt auf die größere Insel warf, wo es im Sand liegenblieb. Angespannte Stille kehrte ein. Komm heraus, befahl sie telepathisch dem Pokémon in dem Ball, was dieses auch in seiner digitalisierten Form vernahm, langsam. Die Kugel öffnete sich einen Spalt breit, und tiefschwarzer Nebel quoll in dichten Schwaden daraus hervor, flutete die Insel, türmte sich immer weiter auf. Bald kristallisierten sich Konturen aus dem Dunst, und etwas nahm Gestalt an: Zuerst woben sich Flügel in die Realität, goldene Ornamente, ein kräftiger Hals. Rot glühende Augen öffneten sich. Der Nebel löste sich komplett auf. Ein Raunen brandete durch die Menge, als die Zuschauer die imposante Gestalt Giratinas erkannten, die sämtliche Farben und einen Großteil des Lichts trank.
    Seléne lächelte in sich hinein. Genau diese Reaktion hatte sie erzielt.
    „Vor langer Zeit“, hob sie an, und das Minimikrofon trug ihre Stimme durch das ganze Stadion, „lebte ein mächtiger Drache hoch in den Bergen. Als die Menschen in dieses Gebirge zogen, um es zu bevölkern, versuchte er, sie aus seiner Heimat zu vertreiben.“
    Drachenwut, war Selénes nächster Befehl an Giratina, noch während sie den letzten Satz sprach. Der riesige Drache breitete die Schwingen noch weiter aus und hob den Kopf, ein urgewaltiges Brüllen erklang. Violett-gelbe Flammen schossen aus seinem Maul und geisterten Irrlichtern gleich durch die Arena.
    Verwandle mich! Verwandle mich!, dröhnte Giratinas Gedankenstimme in Selénes Kopf, sein Geist glühte vor hitziger Vorfreude. Seine schwerfällige Gestalt in der echten Welt machte ihm zu schaffen.
    Sie vertröstete das Legendäre und rezitierte den Mythos weiter: „Der Drache hütete sich davor, jemanden zu verletzen oder gar zu töten. Die Menschen aber verließen das Gebirge nicht.“ Jetzt holte Seléne den Platinum-Orb hervor. Das mystische Kleinod war erfüllt von der Energie der Zerrwelt und pulsierte wie ein kleines Herz. Sie warf Giratina den Orb zu; kaum, dass dieser die graue Schuppenhaut berührte, erstrahlte der Dimensionsdrache in goldenem Licht.
    Aus dem Feuer, das die große Insel bedeckte, schoss Giratina in den Himmel, nun in seiner viel dynamischeren Urform. „Der Drache begann, die Träume der Menschen heimzusuchen“, fuhr Seléne fort und gab Giratina parallel dazu Anweisungen, in welche Richtung es fliegen sollte. Sein ungestümes Wesen war nicht dazu geschaffen, den komplizierten Tanz zu verinnerlichen, sodass die Koordinatorin ihm immer zur Leitung stehen musste. Der riesige Wyrm zog seine Kreise durch das Stadion, die Drachenwutflammen folgten ihm, wo es vorbeikam, wie einem Meister. Oft zischte Giratina nur knapp über den Köpfen des Publikums hinweg, das sich erschrocken davor duckte. Seléne musste lächeln. Sie wusste, der Geisterdrache aus der Paralleldimension war der Realität viel zu fremd, um nach herkömmlicher Physik einen Luftstoß zu verursachen. Für die Zuschauer musste es sich so anfühlen, als flöge gar nichts über ihnen.
    Während Giratina die violetten Irrfeuer einsammelte, fuhr Seléne mit der Legende fort: „Da zogen vier tapfere Krieger aus mit dem Ziel, sich endgültig des Drachens zu entledigen.“ Bleib stehen!, befahl sie ihrem Geisterdrachen, der auch sofort gehorchte. Nun schwebte das Legendäre genau gegenüber der Jury auf der anderen Seite des Stadions. „Sie wussten nicht, dass er sie einfach verbrennen konnte. Als der gutmütige Drache aber ihre Waffen und Absichten sah, erkannte er, dass sie sich nie auf Frieden einigen würden. Also fasste er einen Entschluss…“ Seléne brach ab und konzentrierte sich. Diesen Teil der Vorführung durfte sie unter keinen Umständen verhauen. Flieg los, wies sie Giratina an. Der Drache schoss augenblicklich auf die Jury zu, die Drachenfeuer umkreisten ihn in einem wilden Strudel. Das Legendäre würde von sich aus nicht stehen bleiben und mit voller Wucht ins Maul des künstlichen Drachen fliegen. In der Jury machte sich Panik breit.
    Im allerletzten Moment rief Seléne Giratina Schemenkraft! zu, und der lebendige Albtraum verschwand in einem Lichtblitz. Die Flammen, die ihn begleitet hatten, stoben auseinander und lösten sich in einem Farbenspiel aus allen Nuancen von Gelb und Violett auf. „Der Drache verschwand spurlos für lange Zeit.“
    Seléne gönnte sich nur einen Moment der Erleichterung, dass dieses heikle Kunststück gelungen war.
    Bereite das Finale vor, gab sie Giratina zu verstehen. Sie spürte seine Präsenz noch immer, auch wenn es gerade keine Substanz hatte. „Eines Tages“, setzte sie den Mythos fort, „geschah es, dass der Himmel der Erde zürnte.“ Wie ein Echo dieser längst vergangenen Katastrophe, zogen Wolken über dem Stadion auf, grau und schwer, und fernes Donnern erklang dumpf und der Wirklichkeit entrückt. Auch das letzte Licht wurde getilgt. Ein dunkler Schatten bewegte sich bedrohlich unter der spiegelglatten Oberfläche des Beckens, doch nichts war im Wasser, das regungslos dalag. „Die Menschen in den Bergen des Drachens bemerkten das nahende Unheil, doch für eine Flucht war es längst zu spät.“
    Seléne spürte, wie Giratina sich neben ihr knapp über der Wasseroberfläche materialisierte. Die Düsternis in der Arena verbarg es vor den Blicken des Publikums. Mache ich das gut?, wollte der legendäre Drache wissen.
    Die Koordinatorin lächelte. Ihr Pokémon war manchmal wie ein Kind, das nach Bestätigung bettelte. Du bist wunderbar, lobte sie es liebevoll. Aber noch sind wir nicht fertig.
    Sie setzte wieder an: „Da erhob sich der Drache aus einem verborgenen See, um seine Heimat und die Menschen vor dem Zorn des Himmels zu bewahren.“ Giratina richtete sich zu seiner ganzen Größe auf und breitete die dreigeteilten Flügel so weit aus, als wolle es das ganze Stadion umschließen. Jetzt fielen in düsteren Farben leuchtende Felsbrocken aus den Wolken. Der Dimensionsdrache ließ erneut sein charakteristisches Brüllen erklingen, das die Wirklichkeit selbst zum Erzittern zu bringen schien. Finsteraura, gab Seléne Giratina das Zeichen, auf das es wartete, woraufhin es Sphären schwarzer Energie durch die Arena schickte. Sie wehrten den Draco-Meteor ab, der aus dem Himmel regnete, ließen die Steine in einem farbenfrohen Feuerwerk bunter Sterne bersten und explodieren.
    Während das Publikum von diesem Lichtspiel abgelenkt war, schickte sie Giratina einen weiteren Gedanken: Zurück in den Ball. Wie es auch erschienen war, digitalisierte sich das Legendäre wieder in unauffällig dunklem Nebel. Der Finsterball nahm diesen auf und schloss sich mit einem leisen Klicken wieder.
    Als das Feuerwerk abbrach, war Giratina für die Zuschauer wieder einmal ins Nichts verschwunden. „Als die Menschen zum See kamen, um sich bei dem Drachen zu bedanken“, leitete Seléne das Ende ein, „war dieser nicht mehr da. Er hatte all seine Lebensenergie aufgebraucht, um sie zu retten. Sein Andenken aber sollten die Menschen des Gebirges nie vergessen.“
    Während die Scheinwerfer die Arena einen nach dem anderen wieder erhellten und Beifall im Publikum laut wurde, verbeugte Seléne sich, schritt über die schmale Brücke auf die größere Insel, um den Finsterball aufzulesen, und kehrte in die Umkleidekabinen zurück.
    Habe ich das gut gemacht?, wollte Giratina erneut wissen. Innerhalb des Balls konnte es den Applaus nicht vernehmen, doch der war ihm ohnehin egal. Wichtig war ihm lediglich das Lob der Koordinatorin, die es gefangen hatte.
    Es war perfekt, versicherte Seléne ihm und streichelte den Finsterball, auch wenn sie wusste, dass das Legendäre das nicht spüren konnte. Giratina schickte ihr einen zufriedenen Gedanken und genoss ihre Zuneigung.[tab=3. Platz][subtab=fire_eye]Mit Zuckerwatte und Herzklopfen


    „Wow!“ Das war das einzige, was ich sagen konnte. All die Pokemon, all die Freude und dann dieser wunderbare Geruch von Zuckerwatte und anderen Leckereien. Wie lange habe ich mich schon auf das hier gefreut. Und jetzt ist er endlich da, der Moment meines Lebens. Noch nie, wirklich nie war ich hier. Alle erzählten mir immer, wie toll es hier sei. Die Aufregung im Bauch tat schon fast weh. Gut, noch zwei Minuten, dann geht’s los. Ich öffnete langsam den Mund. Ein süßlicher Duft lag in der Luft. Irgendwoher kannte ich ihn, doch woher? Die Sonne strahlte so schön hellblau und keine Wolke war am Himmel und dann, der Geruch. Ich ließ meine Augen zufallen. Langsam sog ich den Duft ein. Ich spürte heißen Atem an meiner Wange, doch als ich die Augen wieder öffnete, stand niemand neben mir, ich musste es mir eingebildet haben. Doch, es stand wer neben mir, jedoch war er knapp einen Meter größer als ich. So langsam wurde ich unruhig, wann geht es endlich los? Die Pokemon stampften ungeduldig auf dem Boden herum und es klang, als würde Groudon wieder unter der Erde herumrumoren. Doch dann, mit einem lauten Knarren öffnete sich die Tür und die Massen an Pokemon stürmten auf den weiten Platz. Auch ich wurde von dem Strom erfasst und ließ mich fröhlich treiben. Was für ein Gefühl. So schwerelos und leicht. Fast schon, als würde ich von tausenden Wablu getragen werden. Plötzlich kam er wieder, dieser Duft. In meinen Gedanken erschienen Bilder: Das gelbe Fell eines Pokemon, diese schwarzen Augen mit diesem hübschen lila Glanz. Woher kannte ich sie?
    Ich schüttelte den Gedanken ab, sprang von dem Rückenpanzer einer Schildkröte ab und lief fröhlich zu den Ständen, wo Pokemon große weiße Zuckerwatten machten. „HE, he, PASS doch auf!!!“, brüllte ein Pokémon mit großem Mund wütend, als ich es leicht wegdrückte. Ein flauschiges, rosa Pokemon hinter dem Zuckerwattenstand reichte mir ein Stäbchen mit Zuckerwatte und ich hüpfte glücklich weiter. Die Wesen um mich waren alle sehr ausgelassen und die Luft schien vor Anspannung und Freude zu zittern. Die kleinen Tauben, die über uns ihre Kreise zogen, zwitscherten laut mit ihren hellen Stimmchen. Am liebsten würde ich es ihnen gleichtun, aber das geht natürlich nicht. Mein Blick wanderte zu dem riesigen Riesenrad auf der anderen Seite. Klar, dass ein Riesenrad riesig ist, aber dieses…es war einfach unglaublich riesig. Mein Herz war noch immer am Klopfen. „He, du da, Winzling, Platz da!“, grölte ein bärenähnliches Wesen. Erschrocken sprang ich zur Seite und ließ ihn durch. Verwirrt blickte ich dem taumelnden Riesen hinterher und schüttelte den Kopf. Also wirklich, nein, das muss echt nicht sein. Flink rannte ich zum Riesenrad und sprang in eine Kabine. Wenige Sekunden später begann es, sich zu drehen. Mein Magen schien hin und her zu hüpfen. Noch nie zuvor war ich so aufgeregt und zugleich begeistert gewesen. Diese Aussicht war einfach himmlisch. Man konnte weit über den Rummelplatz hinaus sehen. Dort sah man das Dorf und etwas weiter hinten, sah man die Silhouetten der Berge, wo ich einst Blizza getroffen habe...
    Auf einmal traf es mich wie aus heiteren Himmel. Der Duft, das gelbe Fell, die Augen, genau, das war es!
    Blizza! Wo war sie nur? Sie muss hier sein, ich habe sie gerochen! Aber woher kam der Geruch? Mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich blickte hinab. Obwohl ich so hoch war, konnte ich sehen, wie ein kleines gelbes Pokémon durch die Menge raste. Das junge Blitza rannte wie vom Blitz getroffen zum Riesenrad. Okay, ich gebe zu, selbst das wäre nicht verwunderlich, weil sie ja nun mal ein Elektropokemon war. Mein Puls war auf hundertachtzig, Blizza, sie war hier! Ohne zu zögern sprang ich hinab. Es war sehr hoch, doch das war mir egal. Ich landete leichtfüßig auf den Pfoten und rannte hinter ihr her. Die Pokemon um mich herum murrten und fluchten, als ich mich zwischen ihren Füßen durchquetschte. Ich war hier auf dem Rummelplatz und es sollte der beste Tag meines Lebens werden, doch nun war mir all das egal. Ich dachte, ich würde sie nie wieder sehen und jetzt…Mein Kopf war leer. Verwirrt, ja, das war ich. Verzweifelt hechtete ich über den steinigen Boden. Ich hatte sie aus den Augen verloren, aber ihr Geruch, er blieb. Noch einmal konzentrierte ich mich und folgte ihrer Fährte. Langsam schnupperte ich entlang des Weges. Der Duft, so fremd und doch vertraut, wurde stärker. Immer wieder musste ich den vielen, aufgeregt durch die Gegend rennenden Pokémon ausweichen. Verdammt, der Geruch wird schwächer. Ich wirbelte herum und schnupperte begierig weiter.
    Gleich war ich bei ihr, ganz sicher. Etwas Warmes berührte mich. Schlagartig öffnete ich die Augen und sah einem Pokemon in die Augen. Sanfte, vertraute Augen. Ich schien mich in dem Schwarz dieser Augen zu verlieren. Sie zogen mich magisch an. Ich war fassungslos und konnte kein Wort herausbringen. Das wunderbare, gelbe Fell von ihr stand in alle Richtungen wild ab, wie immer. „Ich…du, wo?!“, stotterte ich verlegen. Sie legte mir ihre Pfote auf den Mund: „Nein, sag nichts…“ Ihre zarte Stimme hielt mich fest. Ganz wunderbar weich klang sie in meinen Ohren. Mein Bauch war gefüllt von Schmetterlingen. Ja, es war wahrlich wie früher. Liebevoll wühlte sich ihre zartfühlende Schnauze in mein feuriges Fell. Ich tat es ihr gleich und steckte meine Schnauze in ihr Fell. Alles in mir kribbelte, als würde ich in einem Meer aus Federn schwimmen. Etwas Nasses lief mein Fell hinunter. Sie weinte doch nicht etwa? Wir ignorierten das Getümmel um uns. Es war wie ein Traum. Ihr warmer Atem erwärmte mein kaltes Fell. Wenige Sekunden später lösten wir uns von einander. In Blizzas Augen funkelten Tränen. Leise schluchzte sie. Es war mir schon fast peinlich, aber auch mir rollte eine einsame Träne aus dem Augenwinkel. Erneut kam sie ganz nah zu mir, sodass sich unsere Schnauzen berührten. Dann flüsterte sie leise, ganz leise: „Ich bin so froh, dass du endlich wieder bei mir bist. Fire, mein Ein und Alles. Ab jetzt werden wir für immer zusammen bleiben, für immer und ewig.“ Es war ein Tag, wie ich ihn mir immer gewünscht hatte. Ein Tag, an dem ich mich so lebendig gefühlt hatte wie noch nie. Ein Tag mit Blizza.
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  • [tabmenu]
    [tab='Information']
    [subtab='Allgemeines']
    Gewinner des 10. Wettbewerbs - Saison 2012
    Abschied nehmen
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab='Platz 1']
    [subtab='Foxhound`71']
    Einst mit dem Leben
    Ein einzelner kleiner Wassertropfen macht sich von seinem Ursprung auf in ein für ihn unbekanntes Terrain. Er fließt über eine weiche, leicht unebene Oberfläche und folgt dabei einer vorgegebenen Route. Einen Weg, der bereits von unzähligen anderen Tropfen benetzt, auf ein bestimmtes Ziel hinführt. Ein Ziel, welches kein Zurück duldet.
    Langsam steuert der Tropfen auf den niedrigsten Punkt des gesamten Terrains zu und sammelt sich an dieser Stelle. Er wird durch das nachfließende Wasser immer schwerer und die physikalischen Gesetze ziehen ihn immer weiter nach unten in den Abgrund… Immer mehr, immer weiter, bis er letztlich den Halt verliert und als glitzernde Wasserperle seinen Sturz in die Tiefe wagt…


    Mit einem leisen Aufprall landet eine weitere Träne auf meiner bereits durchnässten Schnauze und lässt mich bei der plötzlichen Kühle leicht zusammenzucken. Die wievielte war es diesmal?
    Ich öffne meine schwachgewordenen Augenlider und schaue mit getrübtem Blick in das Antlitz meiner „Herrin, die mit stark verzerrten Gesichtszügen über mich gebeugt der in ihr rührenden Trauer ihren Lauf lässt. Noch nie habe ich sie so erlebt - nicht in all der langen Zeit, in der wir zusammen auf Reisen waren.


    Sie sieht mich an und die Tränen rinnen ihr noch schneller über die Wangen. Die Trauer frisst sie auf, dass spüre ich ganz genau und es schmerzt mich innerlich sehr, sie so zu sehen. Ich würde sie gerne trösten, doch ich schaffe es nicht einmal mehr, meinen Kopf richtig anzuheben. So strecke ich meine Zunge raus und schlecke ihr wenigstens über das Handgelenk. Bitte… weine nicht, Trip… Sei stark und trockne deine Tränen…


    Ich mache sie mit einem tonlosen Laut auf mich aufmerksam. Sie hebt ihre Hand und streichelt mir über den zitternden Körper. Ihre Finger fahren mir sanft durch das pechschwarze Fell und über die stählernen Auswüchse auf meinem Rücken. Die Augenlider fallen mir zu und ich sauge die fürsorgliche Erfahrung auf, wie die trockene Erde den hereinbrechenden Regenschauer. In diesem Moment höre ich eine erstickte Stimme auf mich einreden: „Hundemon…? Bleib bitte da.“


    Obwohl mir das Licht der untergehenden Sonne in den Augen brennt, öffne ich sie wieder, weil ich Angst habe, dass Trip sonst noch mehr weint. Sie zittert genauso wie ich, aber nicht aus Kälte. Und als ob sie es auch spüren würde, breitet sie die Arme um mich aus und umarmt mich so gut es geht, indem sie meinen Kopf und Hals an sich drückt. Ich höre keine Tränen mehr, die ihr über das nasse Gesicht laufen, sie schnieft nur vermehrt und ganz plötzlich fängt sie an, von früher zu erzählen…
    Erinnerungen werden wieder in mir wach; Erinnerungen, die längst vergangen sind, aber ja… sie sind etwas Wunderbares…


    Unsere erste Begegnung hat damals vor vielen Jahren an einem klaren Wintertag am „See der Wahrheit“ stattgefunden. Mein ehemaliger Herr hatte mich dort zurückgelassen, weil ich in seinen Augen eine Schande für sein Team und zu nichts nütze war. So lag ich da im Schnee, spürte aus Erschöpfung meine Pfoten nicht mehr und wollte nur noch einschlafen und die Welt um mich herum vergessen. Da hörte ich deine warme Stimme, die mich ins Leben zurückrufen wollte. Ich hätte gerne zugebissen, war aber zu schwach dafür gewesen und konnte mich auch nicht wehren, als du einen Pokéball auf mich warfst und ich darin gefangen blieb.
    Erst als ich wieder zu mir kam, befreit von allen Schmerz und Leid, und du dort mit deinen jadegrünen Augen vor mir standest und fragtest, wie es mir ginge, verstand ich erst, dass du mir helfen wolltest. Aber ich verstand nicht warum… Ich musste immer alleine zurechtkommen, mein Herr hat mir nie geholfen. Du aber kanntest mich nicht und hast meine Wunden trotzdem versorgt. In mir bereitete sich ein seltsames Gefühl aus, welches sich nicht beschreiben ließ, aber auch nicht unangenehm war.
    Und genau das war der erste Funke unserer Freundschaft gewesen, der sich in all den Jahren in ein gewaltiges Inferno entwickelt hatte und bis heute unverändert besteht.


    Sie hört auf zu erzählen und hält mich weiterhin fest. Erneut fängt sie leise an zu weinen, aber es ist so still um uns herum, sodass ich glaube, dass sogar die Welt den Atem anhält. Am Horizont versinkt die Sonne bereits hinter den Bergen. Lange Schatten greifen nach uns, aber nur der Himmel spendet uns seinen Glanz, in dem er in einem feurig-goldenen Licht erstrahlt… Nur mein eigenes Feuer erlischt allmählich.


    Trip, beruhige dich und lausche meinem Herzen. Höre genau hin, was es zu sagen hat. Es sagt dir, dass du um mich nicht trauern musst. Ich habe ein schönes Leben bei dir gehabt. Ein Leben voller schöner und trauriger Momente, die niemals vergessen werden.
    Und du weißt doch, dass ich nicht mehr der Jüngste war, als wir uns damals begegneten.
    Du hast dich stets um mich gekümmert, hast mich trainiert und mir damit eine zweite Chance gegeben, mich zu beweisen. Du zeigtest mir die schöne Seite des Lebens. Und dafür bin ich dir äußerst dankbar.
    Das Band der Freundschaft zog sich in der langen Zeit immer enger um uns. Jeder Kampf machte uns stärker für die Gefahren der Zukunft… doch wir haben sie alle überwunden… Nur eine Prüfung muss noch bestanden werden… eine Prüfung des Lebens… der du dich alleine stellen musst…


    Nun hör schon auf zu weinen… ich will nicht, dass du um mich trauerst. Bitte… hör auf…
    Sieh mich an… du bist nicht allein. Ich bin bei dir… vertraue darauf. Ich werde immer bei dir sein.


    Das Atmen fällt mir immer schwerer und das Heben meiner Flanken wird anstrengender. Ich fange an zu keuchen und das schreckt Trip auf, die mich sofort loslässt und meinen Kopf auf ihren Schoß bettet. Schmerzhaft ziehe ich die Luft in die Lungen und presse sie ebenso schmerzerfüllt wieder aus. Ich werde unruhig, weil mir die letzten Minuten so qualvoll dargeboten werden und Trip nur zu schauen kann, wie ich mich innerlich darum bemühe, wach zu bleiben und nach Luft zu japsen. Aber sie bleibt jetzt unnatürlich ruhig und redet mit mir, und wieder spüre ich diese Wärme in ihrer Stimme.


    „Ich bin bei dir, Hundemon. Vertraue darauf.“ Diese Worte, sie ähneln den meinen. Ich sammle meine letzten Reserven und hebe den Kopf, um sie anzuschauen. „Eines Tages… werden wir uns wiedersehen.“ Und dann sehe ich es; ich sehe es in ihren jadegrünen Augen. Sie hat verstanden. Und sie hat selbst keine Angst mehr.


    Langsam sinkt mein Kopf in seine Anfangsposition zurück. Ich fühle, wie mir immer schwerer wird. Mein Körper wird kraftloser und mir selbst sehr fremd. Trip spricht weiterhin mit mir und ihre Worte trösten mich. Ihre weiche Hand streichelt mir liebevoll den erschlafften Körper und das beruhigt mich. Allmählich vernebelt sich mein Blick, alles verschwimmt; aber ich habe keine Angst, denn ich weiß, dass Trip bei mir ist. Meine Gedanken und mein Geist werden träge, der Schmerz und das Unwohlsein in meiner Haut lassen nach. Ein entlastendes Gefühl ummantelt mich und nimmt mir die Sorge, dass ich sie womöglich alleine lasse. Aber sie wird nie alleine sein. Unser Abschied ist nicht bis in alle Ewigkeit.


    Die Sonne wirft ihr letztes strahlendes Licht auf uns, ehe sie am anderen Ende der Welt untergeht und die Dunkelheit vollends über uns hereinbricht.
    Die Augenlider fallen mir zu und schließen sich fest. Die pechschwarzen Flanken erbeben in ihrer Anstrengung ein letztes Mal, bevor sie stehen bleiben und in sich zusammenfallen. Ein kleiner schwacher Lufthauch entflieht meinen geschundenen Lungen und mein Herz hört für immer auf zu schlagen.
    [tab='Platz 2']
    [subtab='Snake']
    Fragile
    „Aonar!“
    Das Mädchen mit den langen schwarzen Haaren hinter mir rief aufgeregt meinen Namen, weswegen ich mich zu ihr umdrehte und sehen wollte, was sie bedrückte.
    „Was ist denn, Saol?“
    Auf dem Boden kniend bedachte sie mir mit einem Fingerzeig, auf eine bestimme Stelle zu schauen. Ich ging ebenfalls in die Hocke und besah mir die kleine Wasserpfütze, die sich hier unerklärlicherweise gebildet hatte.
    „Da, Wasser!“, rief sie stürmisch und bekam beinahe wieder das Problem, sich zu verhaspeln. Sie formte ihre Hände zu einer Schale und hob damit einen Teil des kühlen Nasses hoch. „Wir haben schon so lange keines mehr gesehen.“
    „Ja, da hast du recht, aber dieses hier können wir nicht trinken“, antwortete ich schnell. Als sie mich mit einem fragenden Blick ansah, bedeutete ich ihr, sich die Konsistenz genauer anzusehen. „Siehst du es, in deiner Hand? Das Wasser hat eine schwarze Farbe angenommen. Wenn wir das trinken, würden wir krank werden, da unsere Körper das nicht vertragen.“
    „Oh, verstehe.“ Mit Enttäuschung in der Stimme ließ Saol das verschmutzte Wasser auf den Boden prasseln und benetzte dabei leicht ihre simple Kleidung, das lediglich aus einem blauen, etwa knielangen Kleid bestand. Es schmerzte mich selbst auch zu sehen, wie sehr diese Welt schon verkommen war und doch wusste ich nicht mehr so genau, was eigentlich geschehen war.
    Vor einiger Zeit - mir war entfallen, ob es Tage oder Wochen waren -, als ich mitten auf der Straße aufgewacht war, lag diese Stadt bereits in Trümmern; einem Inferno gleich waren Gebäude eingestürzt und hatten das Landschaftsbild drastisch verändert. Mir fielen dazu die Nachwirkungen eines Erdbebens ein, da dieses eine ähnliche Zerstörung mit sich brachte, aber ich hatte keine Erinnerung daran, was wirklich passierte.
    Eine Sache jedoch war noch schlimmer und ich wäre fast daran vergangen - neben mir schien kein Mensch dieses Ereignis überlebt zu haben. Solange ich schon hier umherirrte, so sehr ich mir auch Gesellschaft gewünscht hatte; ich traf auf meiner bisherigen Suche niemanden. Einsam und verlassen wirkte diese Stadt. Einst so blühend, nun verwelkend. So auch ich.
    Bis ich vor drei Tagen Saol traf.
    „Komm, wir müssen weiter.“ Ich erhob mich in eine stehende Position und hielt dem Mädchen die rechte Hand als Hilfe entgegen.
    „Mh“, war ihre knappe Antwort und sie griff nach meinem Handgelenk, woraufhin ich verschmitzt lächelte. Sie nahm mir dieses beständige Vorantreiben nie übel und war eher glücklich darüber, dass sie mit jemandem unterwegs sein konnte. Schließlich war auch ihre Existenz sehr speziell.
    Unter hohen Steingebilden gingen wir hindurch, die wohl die Überreste eines Hochhauses bildeten. Beim Einsturz wurden sie wohl zufällig so angeordnet, dass sie eine Art Tunnel ergaben. Nach einigen Schritten auf der mit Rissen übersehenen Hauptstraße trauten wir unseren Augen kaum, als wir ein intaktes Gebäude einige Meter vor uns erblickten. Zu unseren Füßen hingegen lag ein Schild - vermutlich hing es einmal über dem Eingang und wurde hierher geschleudert - mit der Aufschrift „Bahnhof“. Nach einem kurzen Blickwechsel entschlossen wir uns, dort hineinzugehen und uns umzusehen. Unser Vorteil war, dass wir uns keine Worte mehr zusprechen mussten und trotzdem verstanden. Ob auch sie das gleiche Interesse in dieser Unterkunft sah, wusste ich jedoch nicht. Zumindest hoffte ich persönlich, dort jemand Lebendes anzutreffen.
    „Aonar?“ Mit zarter Stimme riss Saol das Wort an sich. Nach einem kurzen Deuten in ihre Richtung fuhr sie auch gleich fort. „Meinst du, wir finden bald wieder etwas zu essen?“
    „Keine Sorge“, bedachte ich ihr mit sanftem Ton, „wir haben noch etwas Proviant übrig und ich halte das schon durch. Du zumindest musst dir ja keine Sorgen darum machen.“
    „Doch, das mach ich aber!“
    Ihre leicht aufbrausende Art überraschte mich immer wieder und gab mir für einen kurzen Moment einen kleinen Trost. Dieses Mal konnte ich außerdem nicht anders, als darüber zu lachen.
    „W-was ist denn so witzig?“ Offenbar gefiel es Saol nicht, dass ich mich über sie lustig machte. Es dauerte jedoch, bis ich unter meinem Kichern die richtigen Worte fand und aussprach.
    „Nein, weißt du: Ich war einfach so lange allein und ich bin froh, dass du da bist.“
    „Oh.“ Offenbar wusste sie darauf keine Antwort, weswegen eine längere Stille eintrat. „Das … ist für mich etwas schwierig zu verstehen, aber ich bin auch froh, dass ich mit dir reisen kann.“
    „Ich weiß, ich gehe auch nicht näher darauf ein.“
    Insgeheim wussten wir nämlich beide um ihre Identität, denn sie war …
    „Tut mir leid … dass es nicht länger dauern wird …“ Plötzlich brach sie unter vermeintlicher Kraftanstrengung zusammen. Reflexartig drehte ich mich um und wollte ihr schon helfen, sah jedoch nur mehr ihren zarten Körper auf dem Boden liegen und wusste, dass etwas nicht stimmte.
    „Saol, was ist los?“, rief ich unter plötzlicher Furcht vor dem, was sie sagen könnte. Ihre Antwort glaubte ich allerdings schon zu wissen.
    „Ich glaube, meine Energie geht zur Neige. Das haben Androiden leider an sich.“
    Meine Beine verließ die Kraft und ich ließ mich nach vorne fallen. Im letzten Moment stützte ich mich mit den Armen ab, um nicht hart aufzuprallen, aber das wäre mir ehrlich gesagt lieber gewesen, als diesen Anblick zu erleben. Langsam und so gut ich es konnte krabbelte ich vorwärts, um zu Saol zu gelangen. Schlussendlich saß ich kniend neben ihr und nahm sie in den Arm, um besser mit ihr reden zu können.
    „Nein, sag das nicht! H-hörst du mich? Lass mich nicht zurück!“ Die Trauer beherrschte meine Worte und so sprach ich auf sie ein, doch sie schüttelte sachte ihren Kopf.
    „Du weißt, dass es nicht geht. Es ist allein schon ein Wunder, dass ich bis jetzt noch stehen konnte. Normalerweise wäre nämlich schon lange Schluss gewesen, da die Leistung begrenzt ist. Vielleicht hat mich auch der Gedanke weitergetrieben, dich nicht allein zu lassen …“
    „Ja, das wird es sein; und wir werden noch viel weiter reisen, nicht wahr?“
    Sie schüttelte abermals den Kopf. „Nein. Du musst es wohl ohne mich tun.“
    Mit panischem Gesichtsausdruck wollte ich ihr ein weiteres Mal erwidern, doch mir versagte die Stimme. Ich wusste nämlich, dass sie recht hatte.
    „Aonar.“ Bestimmt sprach sie meinen Namen aus und legte mir ihre Hand auf die linke Wange, sodass ich sie spüren konnte. „Selbst, wenn ich vergehe, darfst du nicht aufgeben. Irgendwo da draußen wirst du weiteres Leben finden, da bin ich sicher und deswegen darfst und musst du weitergehen.“ Nach einer kurzen Atempause fügte sie noch hinzu: „Ich wäre gerne weiter bei dir geblieben, aber unsere Wege trennen sich wohl.“
    „Nein, Saol, lass mich nicht zurück!“ Ich kämpfte bereits mit den Tränen und wollte sie aufhalten, aber sie fingen unweigerlich zu fließen an. Eine nach der anderen suchte ihren Weg zum Erdboden und versickerte dort im Grund. „Ich kann einfach nicht, ich war so lange allein, bis ich dich getroffen habe. Warum muss es enden? Wir … wir sind doch Freunde, oder?“
    Diese eine Frage lag mir unweigerlich auf der Zunge und ich musste sie noch stellen. Warum ich das tat, wusste ich nicht. Eine Erwiderung würde mich ohnehin nur noch trauriger machen.
    „… Ja. Ja, das sind wir.“ Die schwache Stimme des Mädchens drang bis zu mir durch und regte einen kleinen Schimmer der Hoffnung in meinem Herzen.
    Eine nicht definierbare Zeit verging, in der niemand von uns etwas sagte, als sich das Mädchen doch noch einmal aufraffte.
    „Mach’s gut; und pass auf dich auf …“, in diesem Moment rutschte ihre Hand von meiner Wange ab und fiel auf den Untergrund. „ … Aonar.“
    Mit einem verzweifelten Aufschrei beglich ich diese Geste und brach in Tränen aus. Unkontrolliert sog ich Luft ein und stieß sie ebenso unregelmäßig wieder aus, während ich ihren nicht mehr funktionierenden Körper in den Händen hielt.
    Nein; das stimmte nicht.
    „Sie … war am Leben …“
    Mehrmals hintereinander sagte ich schluchzend dieselben Worte. Wieder und wieder, als ob ich mir etwas beweisen müsste. Irgendwann stoppte ich allerdings und widmete mich allein meinen verbleibenden Tränen.
    Unfähig, mich noch weiter zu bewegen, legte ich sie behutsam auf den harten Boden und ich mich neben sie; meine Hand in ihrer Hand. Weitere Schluchzer entkamen meiner Kehle und ich trauerte um diesen Verlust, der mir in diesem Moment erst richtig bewusst wurde. Wie zerbrechlich doch eine Freundschaft war, vermochte niemand zu erkennen, bis es so weit war. Selbst eine AI, eine künstliche Intelligenz, glich doch so sehr einem menschlichen Leben; das erkannte ich schnell.
    Saol …
    Nun war ich wieder allein. Allein auf dieser Welt, in dieser Stadt, in dieser Minute und ohne jemanden an meiner Seite. Mein fragiler Traum, mit jemandem zusammen zu sein, zerbrach wieder in endlos viele Scherben.
    [subtab='Chess']
    Irgendwann stirbt jede Hoffnung
    „Es… Es tut mir Leid“, dachte ich. Mein Partner bemerkte nicht, was gerade mit mir geschah, ebenso wenig, wie ich. Bis vor ein paar Sekunden war noch alles normal gewesen, wir hatten den Zeitturm gerettet und Dialgas wahres Ich zurück geholt, doch nun trat die Wahrheit ein, die Reptain und Zwirrfinst nicht länger vor mir verschweigen konnten. Gelbliche und bläuliche Lichtpunkte umgaben mich, erst nur ein paar wenige, vereinzelte, doch mit jedem Moment stieg ihre Anzahl an. Ich wollte es nicht tun, doch die Worte platzen plötzlich aus mir heraus, ich hatte meinen Mund nicht mehr unter Kontrolle.
    „Héri… Ich… Ich…“ Ich brachte es nicht übers Herz, meinem Partner von dem Geschehen zu berichten, doch nun war es tu spät. Ich hatte etwas gesagt, ich hatte ein Geräusch beschworen und somit die Aufmerksamkeit meines besten Freundes geweckt. Er drehte sich um und blickte mir in die Augen. In den seinen lag tiefe Trauer, als er sah was mit mir geschah, er hatte es also verstanden. Tränen quollen aus seinen gläsernen Augen und fielen anmutig gen Boden herab, bis sie dort wie ein Schiff an einer Klippe zerschellten und in tausende, kleine Teilchen zersprang.
    „Vipé, bitte… Geh nicht!“, flüsterte Héri. Seine Stimme war schwach und zerbrechlich, sodass ich mich anstrengen musste um meinen Partner zu verstehen, „Ich brauche dich hier. Die Gilde braucht dich hier.“
    Weitere Tränen glitten sein Gesicht hinab und vielen zu Boden, ich betrachtete sie und meinem besten Freund, die Ähnlichkeit der Beiden lag in der Trauer. Doch woher wusste Héri so viel? Ich konnte mich nicht erinnern, ihm etwas davon erzählt zu haben. Hatte er Reptain und mich etwa belauscht?
    „Es tut mir Leid“, hauchte ich, „Du wirst weiterleben müssen!“
    Héri blickte mich mit einem traurigen Blick an. Eine Spur Verwirrung lag in seinen Augen, doch ich redete einfach weiter.
    „Geh nach Hause. Erzähl allen was passiert ist. Erzähle ihnen wer Reptain wirklich war und was Zwirrfinst verbrochen hat. Berichte allen von der Zukunft und dem verborgenen Land und beschreibe wie wir Dialga besiegt haben. Erkläre ihnen den Zeitturm und sorge dafür, dass alle Zahnräder der Zeit dorthin kommen, von wo sie stammen. Sag allen, das ich sie vermissen werde.“
    Héri lag die blanke Trauer auf dem Gesicht, noch nie hatte ich etwas Derartiges gesehen, wie es sich hier, direkt vor meinen Augen abspielte. Auch mir entrann eine Träne, doch sie war nur der Vorbote auf einen ganz Schwall ihrer Sorte, auch wenn ihnen nicht viel Zeit blieb, gleich würde ich verschwinden…
    „Es tut mir Leid, dass ich gehen muss, Héri, aber das Schicksal will es so… Du bist und bleibst immer… mein bester Freund.“
    Mit diesen Worten brachte ich meinen Partner dazu, auf die Knie zu fallen. Er hatte die Hände zusammen gefaltet und betete zu Arceus, dieses Drama zu beenden, mich auf dieser Welt leben zu lassen – Doch betteln schien zwecklos. Héri war traurig und er hatte Angst. Was würde er nur ohne mich machen? Wie sollte er in der Gilde arbeiten, wenn er keinen Partner mehr hatte? Trauer überkam ihn und binnen weniger Sekunden schwappte diese auf mich über.
    Das Licht wurde stärker und ich spürte, wie mein Atem zu stocken begann. Er wurde immer abgehackter, bis man es nur noch ein Hecheln nach Atemluft nennen konnte. Mit blanken Entsetzten musste mein Partner Héri beobachten, wie sein aller bester Freund, ich, dahin schied. Es musste ein grausames Gefühl für ihn sein.
    Ich spürte wie mir langsam schwarz vor Augen wurde und mein Denken langsam begann auszusetzten. Der Herzschlag in meinem Körper, das rhythmische Schlagen, meines Lebenselixiers, stoppte ab und mein Körper verschwand in einem endlosen, unbekannten Raum. Zurück blieb Héri, mit seiner Trauer und seinen Gedanken. Er dachte an mich und an unsere schönsten gemeinsam Momente. Zurück an den Kampf gegen Groudon und an das Zahnrad der Zeit am Nebelsee. Damals wussten wir noch nicht, dass ich aus der Zukunft stammte, wir hatten Selfe um Hilfe gebeten. Er dachte zurück an den Kampf gegen Zwirrfinst und seine Zobiris, wie Celebi uns vor das Zeitportal gezaubert hatte und wir durch eben dieses zurück in die Gegenwart flüchten konnten. Seine Gedanken schweiften um die Momente auf dem Zeitturm, wie wir das Schatten-Dialga bekämpften und es schließlich besiegt hatten. Schließlich erinnerte er sich an unsere ersten gemeinsamen Sekunden, am Strand von Schatzstadt. Damals hatte er mich ohnmächtig im Sand vorgefunden, woraufhin sein wertvollster Schatz, der später als Schlüssel ins Vergorgene Land dienen sollte, gestohlen. Héri und ich hatten ihn zurückgeholt und nach einigen Überlegungen ein Erkungsteam gegründet. Es war wie als könnte ich seine Gedanken lesen und ohne zu wissen, warum ich es tat, begann ich zu sprechen. Meine Stimme klang anders, als wäre sie nicht die meine. Sie war leise und krächzte ein bisschen, doch trotzdem verstand mein Partner jedes Wort, welches ich ihm in meinen letzten Sekunden mitteilte.
    „So hat es angefangen und so wird es enden.“
    Mit diesem Satz tat es einen hellen Ton und das Licht ummantelte mich, bis es mich vollkommen verschlungen hatte. Mein Körper löste sich in tausende, winzige Partikel auf, bis auch diese vollends von dieser Erde verschwanden, es bleib kein Hinweis auf meine Existenz zurück, so als wäre ich nie geboren worden. Ich war gekommen als Mensch und ging als Pokémon, zurück blieb mein Partner Héri. Dort lag er - Allein und verlassen auf den Steinen des Zeitturms, welcher nun gerettet war, gerettet durch uns. Diese Rettung war mein Ende und gleichzeitig ein Neuanfang für meinen Partner. Er verharrte auf dieser denkwürdigen Brücke und weinte. Millionen von Tränen fanden ihren Weg aus seinen Augenliedern heraus, auf den steinigen Boden, wo sie langsam und qualvoll versickerten. Mit ihnen Héris letzte Hoffnung, mich wieder zu sehen.[/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]Gewinner des 11. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Zeitungsartikel
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab=1. Platz][subtab=Cyndaquil]Klasse statt Rasse


    Von Züchtern und Künstlern
    „Klasse statt Rasse”


    Seegrasulb City - Am 25. Mai diesen Jahres war es wieder soweit: die alljährliche Ausstellung der Pokémonzüchter fand in der größten Stadt Hoenns statt. Über fünftausend Züchter und fast siebentausend Pokémon nahmen an der Ausstellung teil und zeigten dabei einen neuen Rassestandard. Unter den zehntausend Besuchern fanden sich auch einige hundert Künstler zu diesem Ereignis in der Wettbewerbshalle ein.


    Das Klicken der zurückspringenden Schwingspiegel der Spiegelreflexkameras und das Gewitter an Blitzlicht sind die Pokémon schon gewöhnt, sie scheinen es gar nicht mehr wahrzunehmen. Einige von ihnen wirken sogar fröhlich über die viele Aufmerksamkeit der Fotografen und präsentieren sich willig, so wie die Sieger der Kategorie „Aussehen” der letzten drei Jahre.
    Mit glänzendem Fell und leichtem Gang läuft „Night Beauty” vor der aufgeregten Menge auf und ab. Das männliche Nachtara gewann letztes Jahr den ersten Platz in der Kategorie „Aussehen” und auf den ersten Blick ist das auch kein Wunder. Das tiefschwarze Fell mit den in einem sanften Gelb leuchtenden Ringen sieht seidig weich aus. Allerdings war nicht seine reinrassige Abstammung dafür verantwortlich, erzählt seine Trainerin Hoshi Winter.
    „Vor einem Jahrzehnt hätte man Beauty auf keiner Ausstellung zugelassen, weil sein Stammbaum nicht ‚rein’ ist. Glücklicherweise hat sich das im Laufe der Zeit geändert.”
    In dem Stammbaum des Nachtara finden sich außer Evoli auch andere Pokémon wie etwa Enekoro, aber ebenso von Kleoparda und einem Snibunna liest man in den Papieren des letztjährigen Siegers. Die direkten Eltern Night Beautys sind sogar ein weibliches Psiana und ein Arkani.
    Zu dem neuen Verständnis der Züchter auf der ganzen Welt sagt der leitende Juror der diesjährigen Ausstellung Herr Satoshi Suzuki: „Früher kam es den Trainern noch viel darauf an, dass ihre Pokémon ausschließlich von gleichrassigen Eltern abstammen. Damals wusste man noch nicht, dass diese Art der Züchtung eher zum Nachteil, als zum Vorteil ist. Man dachte, es wäre unmöglich, dass sich zwei unterschiedliche Pokémon überhaupt paaren können!”
    Natürlich lassen sich die klugen Wesen nicht willkürlich untereinander kreuzen, aber das Verständnis für die sogenannten „Ei-Gruppen” kam erst durch die intensive Feldforschung Professor Birks ans Tageslicht. Er beobachtete jahrelang Pokémon in ihrer natürlichen Umgebung und stellte fest, dass diese sich auch außerhalb ihrer Rasse verpaaren. Mithilfe einiger forschungsfreudiger Trainer und der Pokémonpension auf Route 117, schaffte er es die Wesen, die in Hoenn zu Hause sind, zu klassifizieren. Die Professoren der anderen Regionen zogen bald nach und schickten ihre Ergebnisse an Professor Birk. Seitdem wissen wir, dass sich Arkani und Vulnona paaren können und dass es auf die Rasse der Mutter ankommt, um vorhersagen zu können, welches Pokémon aus dem Ei schlüpfen wird.
    „Das war damals ein bahnbrechender Erfolg in der Erforschung der Pokémon. Leider hat es mehrere Jahre gedauert, bis sich das neue Verständnis auch in den Köpfen der alteingesessenen Züchter und vor allem der Trainer durchgesetzt hat”, erzählt Herr Suzuki weiter. Dabei besitzt die Kreuzung von Pokémon unterschiedlicher Rassen sogar einen ganz eigenen Reiz, bedenkt man doch die mögliche Vererbung von Attacken, was sich viele Züchter schnell zu Nutze gemacht haben, damit die Trainer doch Interesse an ihren Schützlingen finden. Die Zucht ist ein richtiges Gewerbe und auch wenn die Preise für Eier und bereits geschlüpfte Junge stark auseinandergehen, so liegt vielen am Herzen, dass ihre Pokémon ein gutes Zuhasue finden.
    „Es sind Lebewesen, genau wie wir und deshalb ist es wichtig, dass wir sie auch achten. Als Züchter mag man vielleicht einem eigenwilligen Beruf nachgehen, weil man scheinbar die wilden Pokémon komplett vernachlässigt und dafür lieber selbst das ‚perfekte Pokémon’ aufziehen will. Aber eigentlich stimmt das gar nicht. Kaum ein Züchter kann mit seinem Beruf beginnen, indem er zwei bereits aus einer Zucht stammende Pokémon einfach kreuzt. Man muss genauso reisen und sich viel Wissen um die Aufzucht und Pflege aneignen. Und weil ich weiß, dass ich den jungen Pokémon nicht genug Freiraum bieten kann, verkaufe oder tausche ich sie an Trainer. Ich bin immer stolz, wenn ich im Fernsehen meinen Schützling an einem Wettbewerb oder einem Arenakampf sehen kann. Es gibt einem ein gutes Gefühl”, legt Svenja Norman die Ansicht vieler Züchter dar.
    Auf der diesjährigen Ausstellung merkt man schnell, wie sich das Verständnis gewandelt hat, denn Trainer und Koordinatoren die Interesse an der Zucht haben, stehen um viele Teilnehmer und deren Pokémon herum, um sich ein paar gute Ratschläge abzuholen. Besonders stark umlagert wird der letztjährige Sieger in der Kategorie „Attacken”: Thilo Benz. Er überzeugte die Juroren damals mit seinem Vulnona „Abendstern”, welches nicht nur die Attacke Energieball, sondern auch Sondersensor perfekt beherrschte.
    „Die Formel ist eigentlich ganz einfach”, meint der neunzehnjährige Züchter lachend. „Das weibliche Pokémon bestimmt die Rasse des Babys. Attacken die der Vater beherrscht und die auf das Baby vererbbar sind, wir das Junge dann können. Attacken die Vater und Mutter haben und die das Baby im Laufe seines Lebens erlernen wird, wird es dann ebenfalls bereits frisch geschlüpft beherrschen. Obwohl das Wort ‚beherrschen’ fast falsch gewählt ist, aber die Chance ist höher, dass das Baby diese schneller drauf hat und anwenden kann. Es lohnt sich Zeit in das Training der Eltern zu stecken und die Attacken zu kennen.”
    Soweit zu der Theorie, aber wie sieht die Praxis aus?
    „In der Praxis läuft das genauso, nur hat halt niemand die ganzen Infos im Kopf. Als Züchter kauft man sich dann entweder die Ausgabe von dem ‚Handbuch für die Zucht’ oder man recherchiert im Internet in den Datenbanken.”
    Dass der junge Züchter lieber mit dem Notebook auf dem Schoß im Wohnzimmer sitzt und sich Notizen macht, begründet er folgendermaßen: „Ich hab was Bücher angeht, zwei linke Hände und würde die Nachlieferungen der Loseblattausgabe eh nie nachlegen, für so was bin ich nämlich viel zu faul.” Bei den Züchtern geht es aber auch nicht darum, woher sie ihre Informationen nehmen, am Ende zählt seit dem neuen Verständnis „Klasse statt Rasse”, wie der ebenfalls anwesende Präsident des Zuchtverbandes - Herr Christian Neumann - in seiner Rede zu Beginn der Veranstaltung deutlich macht.
    Und dann geht es los und die Teilnehmer der einzelnen Kategorien - Attacken, Aussehen, Vitalität - werden ähnlich eines Wettbewerbes nacheinander auf die Bühne gerufen. Hier zählt je nach Sparte etwas anderes, sodass man keine besondere Kür einstudieren muss. Die Juroren bewerten anhand festgelegter Kriterien und auf den Stammbaum achtet hier niemand mehr.


    Während die Züchter ihren Schützlingen Anweisungen zur Eigenpräsentation geben, herrscht in den Reihen der Zuschauer rege Diskussion. Aber nicht über den möglichen Gewinner des Tages, sondern es wird skizziert, fotografiert und Notizen gemacht. Welche Pose des gerade aufgetretenen Tangela war die ansprechendste? Welche hat das Pokémon am Besten zur Geltung gebracht? Wo war die meiste Emotion?
    „Die klassische Pokémonkunst ging immer von dem Ideal aus”, erzählt Angelina Rebel, die mit ihren einundzwanzig Jahren bereits viel gefragt ist. „Viele Fotografen jagen heute noch dem ‚perfekten’ Bild hinterher, aber ebenso wenig, wie es das perfekte Pokémon gibt, gibt es auch das perfekte Foto. Man kann natürlich schöne und einzigartige Momente einfangen und in den Augen einiger, werden diese dann auch perfekt sein. Mein Ziel ist das nicht. Ich möchte den Charakter der Pokémon hier festhalten, wie ich es auch auf den Routen und in den Wäldern tue.”
    Unter den Künstlern sind auch viele junge Talente dabei. Eine von ihnen ist Beatrice Mandarín, die zu fast jedem Pokémon mehrere Skizzen auf ihren Block gezeichnet hat; einige so grob, dass der ungeübte Betrachter in den wilden Strichen kaum etwas erkennen kann.
    „Ich suche meinen eigenen Stil”, begründet die sechzehnjährige Künstlerin ihren Besuch. „Solche Veranstaltungen sind prima dafür geeignet, man sieht so viele unterschiedliche Pokémon.” Einige ihrer Skizzen will sie ausarbeiten und hofft auf einen Studienplatz an der Kunsthochschule in Seegrasulb City. In das hiesige Kunstmuseum haben es einige Werke von Künstlern von der Zuchtausstellung schon geschafft. Das bis dato bekannteste Gemälde und erster künstlerischer Vertreter des neuen Rasseverständnisses zeigt den Verlierer des letzten Jahres in der Kategorie „Aussehen”: das zu groß geratene Unratütox „Trubbi”, welches durch einen Schreibfehler in der falschen Sparte angetreten war. Das Gemälde in Öl von Leonardo Marco zeigt ein eindrucksvolles Bild des heimlichen Stars der Ausstellung und trägt den Titel „Verkannte Anmut”.


    Am Ende des Tages gibt es Gewinner und Verlierer, aber glücklich sind Züchter, Künstler, Zuschauer, Veranstalter und natürlich die Pokémon gleichermaßen über diese gelungene und erfolgreiche Ausstellung. Letztere wohl vor allem, aufgrund des gestifteten Beerenbanketts für alle teilnehmenden, aber auch zu Gast anwesende Pokémon. [tab=2. Platz][subtab=Snake]Jugendliche zerschlägt feindliche Bande im Radioturm!


    Eine Reihe von akuten Anschlägen erschüttert schon seit einiger Zeit das Land, hervorgerufen durch einige fanatische Anhänger des ehemaligen Team Rocket. Die jüngsten Aktionen dieses Verbrechersyndikats beinhalten unter anderem einen gewalttätigen Angriff auf die Flegmon in Azalea City, um deren abgetrennte Ruten teuer zu verkaufen (wir berichteten). Diese Ereignisse sollten jedoch lediglich den Auftakt zu einem noch größeren Akt bilden, wie sich am gestrigen Tage herausstellte.
    Augenzeugen berichten dabei von etwa fünf völlig in Schwarz gekleideten Männern und Frauen, die sich am Vormittag um 10.40 Uhr Ortszeit vor dem Radioturm in Dukatia City versammelten. Nach etwa zehn Minuten soll diese Gruppe bereits auf zwanzig Personen angestiegen sein. Pünktlich um 11 Uhr stürmten diese nach dem Eintreffen einer weiteren, dieses Mal in Weiß gekleideten Person das Gebäude und verursachten im Inneren Unruhen.
    „Wir wussten zuerst gar nicht, wie uns geschah, als diese Gruppe den Turm betrat. Ich war gerade in meinem Studio im ersten Stock, um eine neue Aufnahme meiner Wissenssendung zu beginnen, als mich plötzlich zwei von ihnen überfallen haben“, so Buena (25), eine Mitarbeiterin des Radiosenders. „Es ging schnell; sie hielten mich zurück, um mich von weiteren Aktionen abzuhalten. Einer der beiden nahm das Mikrofon und brüllte einige Worte hinein, ob deren Boss ihn hören könne.“
    Wenige Minuten später war der Turm bereits eingenommen und die Geiselnahme der Arbeiter hielt die an diesem Tag mäßig besetzte Polizeibehörde auf, weitere Maßnahmen zu ergreifen. Auf den empfangbaren Senderfrequenzen riefen aufgeregte Stimmen dieselben Worte immer wieder aufs Neue in die Welt hinaus; auf ihren Empfänger wartend, dass er sich melden möge. Was dieses Vorhaben allerdings sollte, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht bekannt.
    Erst, als Lyra (16), eine junge Trainerin, – gewandet im Schwarz der anderen Mitglieder – das Gebäude betrat und sich den Kriminellen stellen wollte, bestand Hoffnung für die entführten Menschen. Nach einer spektakulären Rettungsaktion siegte sie über das Team, welches sich daraufhin wieder spurlos auflöste und nur den Schrecken an seine Anwesenheit hinterlassen hatte. Der währenddessen gefangen genommene Intendant des Radioturms kehrte wohlbehalten zurück und brachte das verursachte Chaos in kurzer Zeit wieder auf den zuvor gewesenen Standard.
    Die Frage, warum Lyra, so schnell es ihr möglich war, eingegriffen hatte, beantwortete sie mit einem Lächeln auf den Lippen: „Wenn man helfen kann, macht man das auch, nicht wahr?“[tab=3. Platz][subtab=Laschoking]Banküberfall auf Skaraborn-National-Bank vereitelt


    In der Nacht vom 13. auf den 14. Oktober wurde ein Banküberfall auf die Skaraborn-National-Bank durch die Polizei von Goddamn City vereitelt.
    Am 13. Oktober kurz vor Mitternacht wurde in die Skaraborn-National-Bank eingebrochen. Die Täter hatten vor die gesamten Goldreserven und einen Bankomat der Bank zu entwenden. Durch aufmerksame Nachbarn konnte allerdings die Polizei gerufen werden die dann auch sofort bei der Bank eintraf und diese umstellte. Die Einbrecher wurden aufgefordert die Bank unbewaffnet zu verlassen, jedoch waren diese nicht sehr kooperativ. Die Täter wollten nicht aufgeben und haben behauptet einige Geisseln in ihrer Gewalt zu haben. Kommissar Lenny Luxtra konnte dank seiner Fähigkeit durch Wände zu sehen, diese Lüge aufdecken und so war es der Polizei möglich das Gebäude zu stürmen. Sie konnten das Polizeibekannte Pokemon W. Simsala und ihre Komplizen S. Laschoking, D. Kecleon, F. Formeo und K. Krawumms festnehmen. Das ebenfalls Polizeibekannte Pokemon A. Voluminas konnte ohne Beute flüchten. So hat die Polizei die Skaraborn-National-Bank vor Schäden in Millionenhöhe bewahrt. Die festgenommenen Pokemon sitzten in Untersuchungshaft, und die Polizei bittet alle Informationen bezüglich des Aufenthaltsorts von A. Voluminas unverzüglich an die örtliche Polizeibehörde weiterzugeben. Ein markanntes Merkmal von A. Voluminas ist ein Tattoowierung eines brennenden Mondsteins mit der Aufschrift 666. Die Polizei bedankt sich für jegliche Hilfe. Nach dem Einbruch hat ein Pressesprecher der Bank gegenüber der Farbeagle-BILD erwähnt:"Die Einbrecher konnten, dank des schnellen Handelns der Polizei, keine Waren entwenden. Lediglich ein Sachschaden in der Höhe von ungefähr 10 000 Pokés ist zu verbuchen. Für Kunden unserer Bank bestand zu keiner Zeit Gefahr, trotzdem wird die Skaraborn-National-Bank in Zukunft ihre Sicherheitsstandars verschärfen um auch in Zukunft dem Verbrechen keine Chance zu geben." Rechtsexperten gehen von einer Freiheitsstrafe zwischen 2 und 12 Jahren für die verantwortlichen Pokemon aus. Die Polizei hat inzwischen auch bestätigt, dass dieser Einbruch nichts mit anderen Einbruchsserien zu tun hat und warnt gleichzeitig die Bevölkerung sich nicht eigenmächtig auf A. Voluminas zu stürzen, sondern zuerst die Polizei zu verständigen, da das Voluminas polizeibekannt und sehr gefährlich ist. Die Farbeagle BILD wird, sobald es neue Informationen gibt, ihren Lesern davon berichten.
    -Ferdinand Farbeagle
    [/tabmenu]

  • [tabmenu]
    [tab=Information]
    [subtab=Allgemein]
    Gewinner des 12. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Allgemeiner Drabble
    Informationstopic
    Votetopic


    [tab=1. Platz]
    [subtab=Faolin]
    Eisfedern


    Bleich zieren sie an einem Wintermorgen mein Dachfenster, als hätte die Nacht selbst sie auf das kühle Glas gemalt. Sie sehen aus wie Federn; Eiskristalle bilden feine Gebilde, wachsen erst dicht zusammen, nur um sich dann umso mehr zu strecken und ihre ganze Pracht zu zeigen.
    Als ich mich gen Osten wende und durch das Fenster die Sonne sehe, fangen sie das Licht ein und schimmern leicht in orangenen Tönen. Bald schon werden sie unter den goldenen Liebkosungen der Sonne dahin geschmolzen sein wie Kerzenwachs. Doch wer würde die Vollkommenheit dieses Moments noch wahrnehmen, wenn er nicht vergänglich wäre?
    [tab=2. Platz]
    [subtab=Snake]
    Schicksal


    So eng verbunden,
    doch ebenso einfach zu verlieren.
    So leicht erfunden
    und dennoch schwer zu tolerieren.


    Bin ich für dich nicht das Licht?
    Warum akzeptierst du mich nicht?
    Bin ich doch nur ein Schatten im Traum,
    der sich da labt an des Lebens Baum?


    Du glaubst mich zu kennen
    und läufst mit mir Rennen.
    Es ist unmöglich, das weißt du sogar,
    verlieren ist hart, das mach' ich dir klar.


    Kämpfst verbittert um deine Meinung,
    um dein Selbst und deine Achtung,
    deine Schätzung, deine Ahnung,
    aber hilft sie, diese Mahnung?


    Hasst du mich so sehr, dass du mich töten möchtest?
    [subtab=Paya]
    Erkenntnis


    Das Leben küsst das Mädchen, heiß und sanft, alle Zweifel sind verwischt. Ihr Herz, es schlägt so wunderbar in ihrer Brust, voll Kraft. Voll Leben. Der blaue Himmel, unerreichbar wie ein ferner Traum, weiß das Kunstwerk namens Welt noch zu perfektionieren. Ein Vogel singt, ein Milan kreischt. Engelsgesang und Dämonengruß. Auf Wiedersehen, willkommen.
    Sie spürt ihren Körper, spürt das Blut in ihren Adern, spürt das Leben. Sauerstoff in ihren Lungen. Der Wind pfeift laut in ihren Ohren und vorbei an ihrem Körper. Über ihr, immer ferner, die Brücke. Unter ihr, immer näher, Beton. Unter ihr der Tod.
    Zu spät.
    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]Gewinner des 13. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Crossover
    Informationstopic
    Votetopic[tab=1. Platz][subtab=Elay]Träume kennen keine Grenzen


    „Hey, Luigi!“, sprach Mario seinen jüngeren Bruder an, als dieser auf der Veranda sitzend Trübsal blies. „Glaubst du an andere Dimensionen?“
    „Andere Dimensionen?“, gab dieser mit einer hochgezogenen Augenbraue zurück, „Nein, eher nicht. Überhaupt möchte ich jetzt lieber alleine sein.“ Etwas besorgt setzte sich der rot tragende Klempner zu seinem Bruder. Er wusste, dass es nicht leicht für Luigi war ständig im Schatten seines älteren Bruders zu leben und so musste er sich etwas einfallen lassen, um das Verhältnis zwischen ihnen aufzubessern.
    „Aber Luigi…“, begann Mario von neuem, „ich habe neulich in einem Buch gelesen, dass sich im Schlaf die Seele vom Körper löst und in eine Reise in eine andere Dimension unternimmt. Dies erleben wir dann als Träume.“
    Luigi musste nach Marios Aussage tief seufzen und fragte sich, woher sein Bruder diesen Quatsch hatte. „Mario…“, sprach er seinen Bruder an und legte seine beiden Zeigefinger an seine Schläfen, „hast du schon einmal etwas von Gehirnen gehört? Du bist doch ein logisch denkender Mensch und weißt sicherlich, dass Träume lediglich die vom Gehirn verarbeiteten Erlebnisse des Tages sind!“
    Nun war Mario derjenige, der seufzen musste. „Luigi, wir leben in einer Welt, in der sprechende Schildkröten, feuerspuckende Blumen und was weiß ich noch existieren!“
    „Das ist… kein gültiges Argument!“, warf der grüne Klempner leicht verärgert ein, „Überhaupt will ich jetzt alleine sein! Ich mache einen Spaziergang!“
    Nach diesen Worten erhob er sich und lief über den Bürgersteig in irgendeine Richtung, doch im nächsten Moment tat ihm die Heftigkeit seiner eigenen Worte gegenüber seinem älteren Bruder leid. Es war wahr, dass es in dieser Welt vieles gab, doch es war schwer vorstellbar, dass sich neben dieser Welt irgendwo eine andere befand.
    Der Himmel begann sich blauviolett zu färben und am Horizont zeichnete sich ein gelboranger Streifen, das Ende des Tages war angebrochen. Luigi beschloss, sich auf einer Bank niederzulassen und die letzte Bastion des Lichtes zu betrachten, die sich verzweifelt gegen das Hereinbrechen der Nacht wehrte.
    In diesen Momenten seines Lebens begann der Schnauzbartträger sein Leben zu reflektieren: Wer er war, was er tat und bisher getan hatte, die Personen, die ihn umgaben… Während er vom Lied seiner Gedanken eingelullt wurde merkte er nicht, wie sich allmählich seine Augen schlossen. Wie ein schwarzer Vorhang verdeckten die Lider seine Welt und irgendwann begann auch sein Gedankenfluss zu verebben.
    Doch mit einem Mal erklangen das Lachen von Kinderstimmen und ein metallenes Rattern. Als Luigi seine Augen öffnete musste er sich seine Hand vor diese halten, um sie vor dem plötzlichen grellen Licht abzuschirmen.
    Wie lange hatte er geschlafen? War es etwa schon wieder Morgen? Nachdem sich seine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten konnte der Italiener bereits einiges erkennen. Kleine Kinder kreischten fröhlich und rannten mit ihren Eltern durch die Gegend.
    In grellgelbe Anzüge gekleidete Clowns belustigten eine andere Gruppe von Kindern, indem sie ihnen bunte Luftballons schenkten, die wie komische Kreaturen geformt waren. Einer erinnerte an eine gelbe Maus mit einem gezackten Schwanz, langen Ohren und roten Wangen, während ein anderer aussah wie ein beiges Pferd, dessen Mähne und Schweif in Flammen standen.
    Nun wurde Luigi eines klar, dass er sich nicht mehr in Toad Town befand. Doch wo war er dann? Über ihm kreischte eine Gruppe von Menschen und als der Grünträger nach oben blickte sah er eine große Achterbahn und ein gewaltiges Riesenrad. Anscheinend befand sich hier ein Vergnügungspark. Voller Verwirrung kratzte sich der Klempner unter seiner Mütze. Hier gab es weder Toads, noch andere Kreaturen seiner Heimat, sondern einfach nur Menschen. Hatte ihn jemand, während er geschlafen hatte, an diesen seltsamen Ort entführt und ausgesetzt? Und wenn ja, was bezweckte er damit? In dem Moment fiel es Luigi wie Schuppen von den Augen und ihm wurde klar, dass dies wohl das Werk seines Bruders Mario gewesen sein musste, damit er an diese Traumdimensionsgeschichte glaubte.
    Wütend erhob sich der Klempner von seinem Platz und rief nach seinem Bruder. Nach diesem Schrei sahen ihn nur einige Passanten kurz an und gingen dann wieder ihres Weges, doch sonst passierte nichts. Na super, dachte Luigi daraufhin, er möchte mich wohl lächerlich machen! Na schön dann werde ich ihn wohl suchen müssen!
    Mit dem Zorn als Weggefährten verließ der Blaumannträger die Bank, auf der Suche nach seinem älteren Bruder. Doch nach ein paar Schritten trat er auf etwas Weiches, das einen quiekenden Schrei von sich gab. Nachdem Luigi seinen Fuß gehoben hatte dachte er, dass er auf einen schwarzen Lappen mit Ohren getreten war.
    Doch seltsamerweise regte sich dieser und zeigte ihm ein nagetierähnliches Gesicht, das ihn wütend anfunkelte. Mit einem erschrockenen Schrei zog sich der Klempner zurück und betrachtete das immer noch wütende Wesen. Was war das bloß für ein seltsames Viech? So etwas Merkwürdiges hatte er noch nie im Pilzkönigreich gesehen!
    Doch auf einmal rief eine zarte Frauenstimme hinter ihm: „Ah, da bist du Emolga!“ Nachdem sich Luigi umgedreht hatte erblickte er eine wunderschöne, blondhaarige Frau von engelsgleicher Statur. Sie trug ein paar Kopfhörer und stark figurbetonte Kleidung.


    Kamilla war überglücklich, als sie ihr Emolga wiederfand, das urplötzlich verschwunden gewesen war. Mit einem erleichterten Lachen hob sie es vom Boden auf den Arm und streichelte seinen kleinen Kopf. „Mach bitte so etwas nie wieder!“, ermahnte sie es.
    Doch das Elektropokémon sah nicht sie an, sondern blickte auf einen merkwürdigen Mann mit Schnauzer, der die beiden verwirrt ansah. Aus Höflichkeitsgründen ging die Arenaleiterin näher an den Mann heran und sprach: „Mein Name lautet Kamilla, ich bin die Arenaleiterin dieser Stadt. Es tut mir leid, falls mein Emolga Ihnen Schwierigkeiten bereitet haben sollte, es ist manchmal etwas frech.“
    Die schwarzweiße Flugmaus protestierte daraufhin mit einem scharfen „Emo!“, als wäre dieser Mann an allem schuld, doch Kamilla ignorierte sie einfach. Sie war eher über diesen Mann amüsiert, der geschockt „E-emolga…? A-arenaleiterin…?“ stammelte und anscheinend gar nichts zu verstehen schien. Hatte er bisher etwa hinter dem Mond gelebt? Aber wahrscheinlich war er bloß ein Tourist aus einer anderen Region, der nichts von den fremden Pokémon der Einall-Region wusste.
    Nach einem kurzen Räuspern schien sich der Mann wieder gefasst zu haben und sagte mit leicht zitternder Stimme: „Ähm… Ich bin Luigi… Nett, Sie kennenzulernen!“
    „Luigi also…?“, murmelte die Elektrotrainerin kurz in ihren nicht vorhandenen Bart und sah sich den Mann noch einmal genauer an. Er sah schlaksig und unsportlich aus, ohne großes Selbstvertrauen. Wahrscheinlich wurde er von Freunden zu einem Urlaub in Einall überredet und nun alleine zurückgelassen. Mit einer kurzen Handbewegung kramte sie Emolgas Pokéball aus ihrer Hosentasche und ließ es darin verschwinden. Luigis äußerst geschockte Reaktion darauf bemerkte sie nicht, deshalb ließ sie seelenruhig den rotweißen Ball wieder in ihre Hosentasche gleiten und wandte sich mit einem freundlichen Lächeln wieder an den Mann in Grün: „Du musst mich nicht siezen, Luigi, ich stehe nicht auf diese formellen Sachen. Bist du auf Durchreise? Wenn du magst, zeige ich dir die Sehenswürdigkeiten von Rayono City.“
    Da Luigi keine Anstalten machte sich zu bewegen nahm Kamilla ihn einfach am Handgelenk und zog ihn mit sich. Dieser folgte ihr leicht zögernd wie eine Marionette. Vielleicht war er einfach von ihrer elektrisierenden Ausstrahlung überwältigt? Oder einfach von ihrem Amt als Arenaleiterin? Auf jeden Fall konnte man einen Mann wie ihn nicht alleine lassen, in Zeiten wie diesen hatten Weicheier nicht viele Chancen in der Gesellschaft.


    Luigi verstand die Welt nicht mehr. Zuerst diese komischen Kreaturen, die „Emolgas“ genannt wurden und sich in komische Bälle sperren ließen, und dann auch noch diese bildhübsche Frau, die ihn mir nichts dir nichts durch diese merkwürdige Stadt zog, die sich „Rayono City“ nannte. Aber es konnte nicht schaden ihr fürs erste zu folgen, auf diese Weise konnte er herausfinden, an was für einem seltsamen Ort er sich befand. Und diese Kamilla war ja auch wirklich hübsch…
    Sie zeigte ihm Orte wie die große Achterbahn, die einem beim bloßen Anblick ganz schwindelig werden ließ, eine große, gelbe Skulptur, die sich „Pikachu“ nannte und ein großes Musiktheater. Außerdem sahen sie noch viele merkwürdige Wesen, die sich wie Emolga in Bälle sperren ließen und die von Kamilla als „Pokémon“ bezeichnet wurden. Zu guter Letzt, als die Sonne unterging, fuhren sie mit dem Riesenrad.
    Die verschiedenen bunten Lichter der riesigen Metropole waren bei Nacht ein wundervoller Anblick. Sie leuchteten wie Sterne in einem einzigen schwarzen Kosmos.
    „Sterne“… Bei diesem Anblick musste Luigi an seinen Bruder Mario und seine Traumtheorie denken. Was war, wenn er tatsächlich in einer anderen Dimension war? Wie sollte er nach Hause kommen? Bei diesem Gedanken liefen dem Klempner ohne sein wollen Tränen über seine Wangen und er lehnte sich schluchzend gegen das Fenster des Waggons.


    Kamilla wusste nicht, was plötzlich mit Luigi los war. Sie hatten an dem Tag eigentlich sehr viel Spaß gehabt, obwohl er sich seltsam verhalten hatte und nun begann er zu weinen.
    Tröstend legte sie ihm die Hand auf die Schulter und sagte: „Es wird alles gut. Du bist ja nicht alleine…“ Nach diesen Worten wusste sie, dass es Schicksal war, dass sie ihn getroffen hatte und sie spürte etwas Warmes und Wohltuendes in ihrer Brust.
    Zuneigung.[tab=2. Platz][subtab=Pika!]Im Mondschein


    Im stockfinsteren Belüftungsschacht robbte Jeanne dem Blinken hinterher, das ihr Rosenkranz von sich gab und immer schneller wurde. Ganz hier in der Nähe war der Dämon, das spürte sie sogar auf der Haut. Natürlich hatte sie auch einen Bauplan des Kunstmuseums genauestens studiert, um jeglichen Zweifel auszuräumen, doch sie konnte nie wissen, was Miyako im Schilde führte. Aber wie sie ihre Freundin richtig eingeschätzt hatte, hatte diese die Fallen dort bereitet, wo Tsuki no Usagi, der Mondhase, normalerweise ausgestellt wurde. Noch hatte Jeanne keine Ahnung, welche Fallen das waren, aber sie war wie immer zuversichtlich, dass sie sie überlisten würde.
    Während sie durch die Dunkelheit kroch, dachte sie an die Probleme ihres anderen Lebens. In einem Apartment auf der Etage, in der auch Maron lebte, war ein neuer Bewohner eingezogen. Obwohl er nicht älter als siebzehn schien, lebte er allein, wie sie und Chiaki. Seinen Vornamen kannte Maron nicht; sie hatte noch nicht mit ihm gesprochen. Von dem Namensschild an seiner Tür wusste sie, dass sein Nachname Koruba lautete. Doch etwas anderes beunruhigte sie. Stets, wenn sie ihre Wohnung verließ, lungerte er im Treppenhaus herum und grinste dabei, als wüsste oder plane er etwas. Sein Stalkergehabe kam ihr noch extremer vor als das von Chiaki. Ob der Böse König ihn geschickt hatte?
    Endlich kam Jeanne an dem Gitter an, durch das sie in den Ausstellungsraum des Hasen gelangen würde. Sie spähte durch die Stäbe. Im Schein des Vollmonds war nichts im Zimmer zu sehen, das auf eine von Miyakos Fallen hindeutete. Keine Lichtschranken und auch keine versteckten Schalter. Aber das musste natürlich noch lange nichts bedeuten. Der Raum war spärlich eingerichtet, enthielt nicht mehr als den Schaukasten, in dem der Mondhase ausgestellt war. In dem silberlichtdurchfluteten Zimmer gab es keine Versteckmöglichkeit für Polizisten. Das bestätigte sich, als draußen ein Hubschrauber vor dem Fenster vorbeiratterte und ein Scheinwerfer das Innere für kurze Zeit beleuchtete. Aus irgendeinem Grund war vor dem Gebäude mehr Trubel als sonst, wenn sie ihre Diebstähle vollzog.
    Jeanne entfernte leise das Gitter und ließ sich durch die Öffnung in den Ausstellungsraum fallen, richtete sich aber sogleich wieder auf, um eventuell ausgelösten Fallen entgehen zu können.
    Doch nichts geschah. Kein verräterisches Klicken zeugte von einem aus der Decke fallenden Käfig oder etwas Ähnlichem.
    Merkwürdig, dachte Jeanne misstrauisch und trat vorsichtig an den Schaukasten heran. Der Rosenkranz piepste wie durchgedreht, aber es schien, als habe er sich um eine Winzigkeit verlangsamt, als sie sich vom Fenster entfernt hatte. Die Diebin beugte sich über den Glaskasten. Der Usagi saß darin wie ein lebender Hase, doch der Dämon, der in ihm Einzug gehalten hatte, zeigte sich nicht. Sie legte die Hände an beide Seiten des Kastens und wollte ihn gerade anheben, als erneut ein Helikopterscheinwerfer ins Zimmer flutete.
    An der Wand zeichnete sich ein menschlicher Schatten ab. Außer dem ihren.
    Sofort wirbelte Jeanne herum, jederzeit bereit, dem vom Dämon besessenen Menschen gegenüberzutreten. Zuerst war sie geblendet, da der Hubschrauber in der Luft schwebend innegehalten hatte. Doch als sich ihre Augen an das grelle Licht gewöhnt hatten, erkannte sie, wer da am Fenster stand: Ein junger Mann in einem eleganten Anzug, mit langem Cape und einem lächerlich hohen Zylinder, alles in strahlendem Weiß. Er entriegelte das Fenster und schob die Flügel weit auf. Wind, vom Helikopter aufgewirbelt, wehte herein und brachte seinen Umhang zum Flattern. Dann wandte er sich Jeanne zu.
    Sowie sie seine Augen sah, das rechte durch ein Monokel verglast, erkannte sie, dass er unmöglich der Besessene sein konnte. Dennoch verrieten ihr der Rosenkranz und das Kribbeln auf der Haut, dass der Dämon in seiner Nähe war.
    „Tut mir sehr leid“, sagte der Unbekannte wenig überzeugend, „aber der Mondhase ist bereits davongehoppelt. Das im Kasten ist nur eine Attrappe, um die Falle nicht auszulösen, die auf sein Gewicht reagiert.“
    Überrascht blickte Jeanne in den Glaskasten. Diese Art von Falle hatte Miyako noch nicht angewandt. Doch sie war hier, um den Dämon zu bannen, daran würde er sie nicht hindern! „Ich wäre dir sehr verbunden, wenn du mir das Original trotzdem gäbest“, sagte Jeanne zu dem Fremden, ahnte jedoch, dass das wenig Wirkung zeigen würde.
    Wie erwartet grinste ihr Gegenüber selbstgefällig. Irgendetwas an diesem Gesichtsausdruck kam ihr bekannt vor, doch sie konnte nicht sagen, was und woher. „Bedaure. Ich bin doch nicht extra den weiten Weg hierher gereist, um mir den berühmten Tsuki no Usagi durch die Lappen gehen zu lassen. Oh nein. Nicht einmal ein Gotteswind oder dieses doppelte Polizeiaufgebot von Nakamori und Todaiji wird mich davon abhalten.“
    Jeanne horchte auf. Woher kannte er die Bedeutung ihres Künstlernamens Kamikaze?
    Der Weißgewandete sah aus dem Fenster, und Blitzlichtgewitter brandete zu ihm auf. Waren da unten Journalisten? „Weißt du, vieles an deiner Situation erinnert mich an die meine“, meinte der Unbekannte melancholisch. „Deine beste Freundin, die Tochter des ansässigen Polizeichefs, wünscht sich nichts mehr, als dich hinter Schwedische Gardinen zu bringen. Und du musst alles dafür tun, damit sie deine wahre Identität nicht herausfindet.“ Er hob den Blick und sah sie mit einem Funkeln in den Augen an. „Habe ich nicht recht, Maron Kusakabe?“
    Entsetzt wich Jeanne zurück und fing zu zittern an. „W-woher?“, stammelte sie, versuchte aber, ruhig zu bleiben. Wie nur hatte dieser aufgeblasene Angeber ihren Namen herausgefunden? War er etwa ein Spion des Bösen Königs?
    „Keine Angst“, sagte er beschwichtigend. „Ich werde deine Identität den Proleten da unten nicht verraten. Sagen wir es mal so, als Berufskollegen sollten wir uns nicht gegenseitig ausliefern.“
    Jeanne verstand. Er ging davon aus, dass auch sie sein wahres Gesicht kannte, oder wollte ihr zumindest auf die Sprünge helfen. Er spielte mit ihr! „Wer bist du?“, fragte sie, auch wenn sie wusste, dass es ihr zum Nachteil gereichen würde.
    „International bin ich unter der Nummer 1412 bekannt“, antwortete der Unbekannte. „Aber dort, wo ich herkomme, nennt man mich Kaito Kid!“
    Kaito Kid?“, wiederholte Jeanne skeptisch. Also war er auch ein Dieb!
    Kids Blick fiel hinter sie, und erneut zauberte sich ein Lächeln auf sein Gesicht. „Ah, dein Freund ist endlich eingetroffen.“
    Auch Jeanne sah sich jetzt nach dem Quietschen um, das hinter ihr ertönte. Die Tür in den Ausstellungsraum öffnete sich, und Sindbad in Begleitung des Schwarzen Engels Access stürzte herein. Hinter ihm hechteten Polizisten den Gang entlang, doch er wirbelte herum und verriegelte die Tür mit einem Boomerang. „Jeanne, hast du schon den Däm-“ Als Sindbad Kaito Kid bemerkte, verstummte er augenblicklich. Es war nicht gerade ratsam, im Beisein von Zivilisten über Dämonen zu reden. „Wer zum Geier bist du denn?!“, polterte der Dieb.
    Doch Kid grinste nur noch breiter. Ohne auf Sindbad zu achten, sprach er wieder mit Jeanne: „Da ich ein Gentleman-Gangster bin, will ich dir als kleine Wiedergutmachung das hier geben.“ Er schnippte mit den Fingern, und scheinbar aus dem Nichts tauchte eine rote Rose in seiner Hand auf, die er Jeanne hinüberwarf.
    Sie fing die Blume zwar auf, ließ ihr Gegenüber aber nicht aus den Augen. Dieser Austauschdieb hatte doch keine Ahnung, wie wichtig es war, dass sie den Hasen bekam! Vielleicht hatte der Dämon noch keinen Menschen in Besitz genommen, und er könnte sich dazu entscheiden, Kid zu befallen.
    „Wie es aussieht, ist auch mein Kumpel heute anwesend.“ Kid sah aus dem Fenster zu der Menschenmenge hinunter. Etwas abseits stand ein kleiner Junge und blickte mit grimmig-entschlossener Miene zu ihm herauf. Mondlicht spiegelte leicht in seiner Brille. „Nun denn, ich muss dann mal“, verabschiedete sich der Weiße Dieb und schnippte wieder mit den Fingern.
    Jeanne zuckte zusammen, als plötzlich Rauch aus der Blume in ihrer Hand hervorquoll und ihr die Sicht nahm. Das Piepsen des Rosenkranzes wurde langsamer, als der Dämon sich entfernte. „Das lasse ich nicht zu!“, rief sie und rannte zum Fenster. Kid glitt über die Menge hinweg, die sich vor dem Kunstmuseum versammelt hatte, getragen von einem weißen Gleiter auf seinem Rücken. Ohne Zögern warf Jeanne ihr Band aus, das sich um seinen Fuß wickelte und den Flug des Diebs zum Schlingern brachte. Plötzlich schoss von unten fast senkrecht etwas in den nachtschwarzen Himmel und zerstörte einen Flügel des Gleiters. Jeanne sah dem Objekt hinterher, das dem Vollmond auf seltsame Weise ähnelte. Ein Fußball?!
    „Jeanne, der Dämon!“, rief Sindbad hinter ihr. Kaito Kid stürzte soeben ab, doch dabei hatte er die Hasenskulptur verloren. Im Silberlicht funkelte der Mondstein, aus dem er bestand, bläulich. Ein düsteres Flackern umgab das Kunstwerk, als der Dämon hervorbrach. Unter ihm waren gerade genug Menschen, unter denen er sich ein Opfer erwählen konnte.
    Jeanne umfasste den Griff ihres Bands fester. „Im Namen des Herrn…“, begann sie ihren Bannspruch, wurde aber von etwas unterbrochen, das so haarscharf an ihrem Gesicht vorbeizischte, dass sie den Luftstoß fühlen konnte. Ein schwarzer Pin traf den Hasen und bannte den Dämon augenblicklich.
    „Bis du deinen Zauberspruch aufgesagt hast, ist es zu spät“, rechtfertigte Sindbad seine Tat. Access flog aus dem Fenster, um den entstandenen schwarzen Springer aufzufangen.
    Jeanne hingegen blickte nur nachdenklich hinunter.
    Dort, wo Kaito Kid abgestürzt sein musste, bildete sich eine Menschentraube. Doch der Magier mit den tausend Gesichtern war bereits in der Masse untergetaucht.[subtab=Raichu-chan]Mors et circenses


    Das Knacken eines Zweiges ließ mich hochfahren. Sofort saß ich aufrecht hinter meinem Schutzschild aus Stein, bereit mich zu verteidigen. Mein Herz hämmerte panisch, weshalb ich Mühe hatte, genauer auf meine Umgebung zu achten. Dabei konnte ich doch jederzeit angegriffen werden! Ich verfluchte das Rascheln der Blätter und richtete mich vorsichtig auf. Zur Sicherheit schnüffelte ich noch einmal, bevor ich mein provisorisches Lager verlassen würde. Ich war nun schon einen ganzen Tag geblieben und auch wenn es bisher ruhig gewesen war, konnte ich davon ausgehen, dass es nicht mehr lange so bleiben würde. Die Menschen hier hungerten förmlich nach der Action, die es nur gab, wenn man uns jagte…
    Meine Vorräte gingen zur Neige und so hatte ich auch keine andere Wahl, als nach Nahrung zu suchen. Vielleicht könnte ich jagen gehen, doch darauf verließ ich mich nicht. Ich kannte nur eine Hand voll der merkwürdigen Wesen, die mit mir diesen Wald bewohnten. Wer wusste schon, welche man gefahrlos essen konnte. Ich würde den Menschen sogar zutrauen, dass sie diese vergifteten, um ihren Spaß beim Zuschauen zu haben. Ich traute ihnen alles zu.
    Zur Sicherheit ging ich am Fluss entlang. Wenn ich ihn verlieren würde, wäre ich im Handumdrehen erledigt. Wasser hieß Leben. Das Laub unter meinen Füßen raschelte und ich betete, dass es niemanden in meinem Umkreis gab, der dies bemerkte. Sechs von den ehemals 24 Auserwählten kämpften noch um ihr Leben und alle wollten sie gewinnen. Und wozu das ganze? Um am Ende für die Meistbietenden ein Haustier zu werden. Ein Schauer ging durch meinen Körper, als ich daran dachte, dass es um ein vielfaches schwerer wurde, je näher es zum großen Finale ging. Bei so viel Nervenkitzel wurden die Menschen leicht ungeduldig. Ich für meinen Teil – wie wohl auch die meisten aus meinem Distrikt – konnten es nicht so recht verstehen. Angewidert drehten wir jedes Mal den Kopf weg, wenn sich zwei unserer Spezies besiegten oder mit Feuerstürmen und riesigen Flutwellen durch die Arena gejagt wurden. Ich bekam schon eine Gänsehaut, wenn ich daran dachte, welche Grausamkeit mich erwartete.


    Am Ende des Tages, er musste irgendwo zwischen dem fünften und sechsten liegen, wenn ich mich recht erinnerte, hatte ich endlich genug Vorräte gesammelt, um morgen nicht mit einem leeren Magen laufen zu müssen. Es waren überwiegend Beeren, die ich von zu Hause kannte, aber auch ein paar Wurzeln hatte ich ausgraben können. Sie schmeckten hölzern, aber die Nährstoffe waren wertvoller als guter Geschmack. Es dämmerte bereits und so machte ich mich auf die Suche nach einem Schlafplatz. Er musste gut geschützt sein, damit ich nicht mit einem Giftstachel im Herzen aufwachen würde. Wir waren nun nur noch zu viert, jetzt waren alle noch wachsamer.
    Das Gelände begann sanft abzufallen, was eine Wohltat für meine erschöpften Füße war. Ich wusste nicht, wie lange ich schon gelaufen war, aber irgendwann war es genug. Ich lief noch ein paar Minuten, bevor ich abrupt stehen blieb. Ein Steinchen rollte hinunter und um ein Haar wäre ich mit ihm den Abhang herunter in die Tiefe gefallen. Vorsichtig beugte ich mich nach vorne und sah hinunter. Unten war nichts als Nebel. Das Ende der Arena und ich hatte keine Lust, auszuprobieren, was mit mir passieren würde, wenn ich es ihm gleichtat. Ich schauderte, als ich mir die furchtbaren Dinge vorstellte, die mich erwarten würden.
    Ein Knistern in der Nähe ließ mich aufhorchen. Ich drehte mich um und nahm meine Kampfhaltung ein, bereit, mich zu verteidigen. Doch nichts passierte. Ich schaute mich um, zu den Büschen und Bäumen, sogar den Himmel suchte ich ab. Kein Feind in Sicht. Trotzdem wurde das Geräusch stärker, verwandelte sich in ein unheilvolles Knacken. Ich sah in seine Richtung und schrie. Wie ein Vipitis schlängelte ein Riss sich die Klippe hinauf, direkt auf mich zu. Einzelne Stücke des Gesteins brachen ab und fielen herunter. Ohne nachzudenken setzten sich meine Beine in Bewegung. Ich war nicht besonders schnell und die Äste und Pflanzen hielten mich auf, als ich über sie stolperte, doch das Knacken hinter mir spornte mich an. ‚Ich will nicht sterben‘, flehte ich, ‚nicht so. Sie dürfen nicht über mich gewinnen‘.
    Erst als meine Beine vor Erschöpfung nachgaben und meine Lunge schmerzte, kam ich unweigerlich zum Stillstand. Ein schneller Blick nach hinten und ich merkte, dass die Gefahr vorüber war. Die Menschen hatten nie wirklich vor, mich zu töten, dachte ich. Sie wollen mich nur zu den anderen schicken, damit wir uns bis aufs Blut bekriegen konnten. Was könnte auch größeren Spaß machen?
    Erledigt und von Schmerzen geschüttelt blieb ich liegen. Völlig schutzlos war das wohl keine so gute Idee, aber was sollte ich schon tun? Weit kam ich nicht mehr, ich war ein leichtes Ziel und in Tarnung war ich eine Null. So einfach war es bestimmt noch nie gewesen. Aber eine gute Art zu sterben, rasch und ohne Spaß für die Zuschauer. Ich überlegte schon, aus welchem Distrikt mein Mörder kommen würde, als ein Geräusch meine Aufmerksamkeit erregte. Es kam rasch näher. Egal, das war gut, wenn es jetzt zu Ende gehen würde. Nur kein Leid.
    Sie war kleiner, als ich gedacht hatte. In meiner Vorstellung war es ein mindestens zwei Meter großer Riese mit einem von Menschenhand geschaffenen Schwert. Zögernd trat sie die letzten Meter auf mich zu, den Blick aufmerksam aber nicht mordslustig. Wie konnte das sein? Es wäre ein Freifahrtsschein: Gefalle ihnen und du wirst fürs erste verschont. Was für ein Spiel spielte sie? Sie hatte orangenes, im Abendlicht glänzendes Fell und einen großen Schwanz, der ihren Körper ein Stück überragte. Ich hatte sie schon einmal gesehen, bei der Eröffnungsfeier. Distrikt Sieben, der Vulkanbereich, unter dessen stetiger Gefahr die armen Pokémon Nahrung für die reichen Kapitolbewohner anbauen mussten
    „Bist du verletzt?“, fragte sie. Ich starrte ungläubig zurück und wartete auf die böse Absicht, bis ich realisierte, dass in ihrem Blick lediglich Besorgnis war.
    „Was soll das? Ich könnte dich töten.“, flüsterte ich. Reden war keine gute Idee, ließ meine Lunge mich wissen. Doch ich konnte einfach nicht begreifen, wie ein Wesen im Angesicht des Todes so handeln konnte. Nur einer der 24 kam hier raus, sie musste jede Chance nutzen.
    „Ich würde das gleiche tun, wenn ich dich hier liegen lasse“ Einen Moment lang sahen wir uns an, dann gab ich nach und ließ mich von ihr ins Gras ziehen. Ich spürte ihre Zähne an meinem Knöchel, doch sie biss – anders als ich es gedacht hätte – nicht zu. Sie war vorsichtig und darauf bedacht, mich nicht über Steine oder andere Hindernisse im Boden zu schleifen.
    Sie ließ sich neben mir nieder. „Ich habe so jemanden wie dich noch nie gesehen. Kein Training oder starke Gruppe und trotzdem bist du unter den letzten Vier.“, sagte sie und sah mich an.
    „Wir Riolus sind stark“, erwiderte ich. Sie kicherte.
    „Ja, aber wir Fuchspokémon sind es auch…“ Ein lauter Schrei unterbrach sie und wir beide zuckten zusammen. Er war gefolgt von einem lauten Knall. Das typische Signal, dass jemand gestorben war. ‚Nur noch drei‘, schoss es mir durch den Kopf. Doch ich hatte keine Zeit mehr zum Nachdenken. Nur ein paar Sekunden später hörten wir ihn näher kommen. Ohne zu zögern richtete ich mich auf und stellte mich vor meine Begleiterin. Ich war bereit, sie zu beschützen, egal wer mein Gegner war.
    Und plötzlich stand er vor uns. Es war ein Blanas, einer der Karrierepokémon, welche die meisten Chancen hatten und normalerweise als Gewinner aus den Kämpfen hervorgingen. Es hatte Blut an seinem Körper und die schwarzen Augen blitzten kampfbereit. Ich zitterte und machte einen Schritt zurück. Wie sollte ich gegen so einen gewinnen? Wir hatten keine Chance, Blanas waren so schnell und geschickt, dass man sie nicht einmal sehen konnte, wenn sie zum Schlag ansetzten.
    Auch jetzt raste es auf uns zu. Ich konnte kein Geräusch wahrnehmen, nur das Klopfen meines Herzens und die verzweifelten Schreie in meinem Kopf.


    Ich ließ mich fallen und landete so geradewegs in der Attacke des Angreifers. Es hatte genau meinen Bauch getroffen und ein schrecklicher Schmerz durchzuckte meinen Körper. Trotzdem hielt ich seine Arme fest. Ich durfte nicht zulassen, dass er sie verletzte. Mein Gegner versuchte freizukommen, doch ich blieb standhaft. Mit meiner letzten verbleibenden Kraft drehte ich uns so, dass er nun genau vor meiner Gefährtin stand.
    „Komm schon“, schrie ich. „Er will uns beide töten“
    „Ich kann nicht“ Ich hörte, wie sie schluchzte und die Worte nur mit erstickender Stimme ihren Mund verließen.
    „Mir wird nichts pass…“ Eine Kopfnuss hatte mich aus dem Konzept gebracht und ließ mich verstummen. Sterne vor meinen Augen raubten mir die Sicht und ich konnte nur noch mit Mühe Parole bieten.
    Dann spürte ich es. Erst kam es mir vor wie ein warmer Luftzug. Dann stieg die Temperatur, bis es unerträglich heiß wurde und mir die Luft zum Atmen raubte. Ich blickte noch einmal in die liebevollen Augen, die trotz der Angst der schönste Anblick meines Lebens gewesen waren.


    Ich werde wohl nie erfahren, ob sie gewusst hatte, dass ich damals gelogen hatte.
    Leb wohl, meine kleine Füchsin.[/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information]
    [subtab=Allgemein]
    Gewinner des 14. Wettbewerbes. - Saison 2012
    Gedicht: Pokémon
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab=1. Platz]
    [subtab=Elay]
    Liebesspiel
    Blau, du machst mich so heiß
    Bist schön wie der Himmel mit dem weichen Weiß
    Wie ein Engel stehst du vor mir
    Ich könnt' für immer bleiben hier


    Violett, deine Augen sind so klar
    So klar, wie ich noch keine sah
    Wenn ich dich sehe, mein Herz schlägt wie wild
    Du bist der Einzige, dem mein Blick gilt


    Oh Blau, du wirst ja ganz rot
    Ich hoffe, du schämst dich nicht tot!
    Keine Bange, ich fühle wie du
    Dein Herz flüstert es mir zu


    Oh Violett, ich möchte nur dich
    Meine Liebe gilt dir ewiglich!
    Nur mit dir möchte ich meine Zeit verbringen
    Und in Zweisamkeit "Ich liebe dich!" singen


    Junge Liebe, frisch und zart
    Umschlingt die beiden, die Dornen so hart
    Die Einsamkeit wird vertrieben, sie kuscheln sich an
    Das Liebesspiel zweier Nidoran
    [subtab=Chess]
    Bunte Welt
    Erst rot, dann blau, dann grün und gelb
    Heut‘ mix ich mir ne bunte Welt
    Die mach ich so wie ich es will
    Ich male nun, egal wie schrill


    Bäume blau und Wasser grün?
    Welt wird in neuen Farben erblühn‘
    Gelbe Wolken und weißes Korn
    Schwarze Rosen, rotes Dorn


    Wie mein richtiger Name ist?
    Das sag ich nicht, weil ihr ihn wisst
    Farbeagle, ja das bin ich
    Mütze und Pinsel auf dem Tisch


    Was sich hinter der Maske versteckt
    Blaue Augen, ein grünes Gesicht
    Ein farbiger Hund, gibt es das?
    Das bin ich, von dem man hier spricht
    [tab=3. Platz]
    [subtab=Tabtost]
    Das Ungetüm
    Dort steht es, stark und voller Macht
    in dieser kalten Winternacht.
    Zeigt kein Gefühl, zeigt keine Angst,
    auch keinen Hass, nein nur ein Blick
    und windet sich mit viel Geschick,
    als ob du es nicht sehen kannst.


    Die starken Beine knicken nicht,
    sind standhaft, als wär‘ es Pflicht.
    Der Regen prasselt laut und hart,
    doch es steht weiter, ich sehe
    den Blitz am Himmel und ich verstehe
    nicht warum es so beständig harrt.


    Den Meisterball in der zitternden Hand
    warte ich darauf gespannt,
    dass es in meine Richtung blickt.
    Es ist so kalt und meine Haut
    erstarrt durch diesen einen Laut,
    den das Lebewesen von sich gibt.


    Im immer gleich bestehenden Takt
    die Blitze kommen und plötzlich packt
    die Angst meine Beine, sie knicken ein.
    Ich fühl mich schwach in der Gegenwart
    des Ungetüms, in seiner Art,
    auf einmal fühl ich mich so klein.


    Die gefühllosen Augen auf einmal sind
    auf mich gerichtet, ich hebe geschwind
    den Arm mit dem Ball in der Hand.
    Im nächsten Moment erblicke ich nicht
    wohin das Ungetüm verschwunden ist
    ich sehe es nicht im ganzen Land.


    Nur ein Knochenhaufen auf dem Berg
    und jetzt vollendet es sein Werk.
    Den heißen Atem im Genick
    spüre ich, ich will nur weg.
    Erlebe nur noch einen Schreck.
    Dort steht Arceus mit kaltem Blick.
    [subtab='étoile filante']
    Gemeinsame Zeit
    Gefangen vor genau zehn Jahren,
    Und das mit einem kleinen Ball.
    Eine Ewigkeit seitdem vergangen,
    Doch erloschen scheint nun jeder Schall.


    Ich wurde alt,
    Du wurdest älter.
    Mir war kalt,
    Doch Dir war kälter.


    Mir wurde warm,
    Und Dir war heiß.
    Ich vergoss Tränen,
    Du den Schweiß.


    Es ist vorbei,
    Es ist geschehen.
    Das Ende für uns zwei,
    Da hilft kein Beten, hilft kein Flehen.


    Ein Team waren wir schon immer,
    Gemeinsam durch das ganze Land.
    Doch für diese Zeit erlischt der Schimer,
    In meinem Kopf bleibst Du
    Für immer bekannt.
    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]
    Gewinner des 15. Wettbewerbes - Saison 2012
    Reizwortgeschichte
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab=1. Platz][subtab=Aprikose]Das Eisflammenmädchen

    Eine warme Brise fuhr durch Raits schulterlanges, weißes Haar. Sie blickte hinab auf die riesige Wolkendecke, die sich unter ihr über den Planeten wälzte, dessen Krümmung sie langsam ausmachen konnte. Nur noch etwas höher!, dachte sie sehnsüchtig mit einem Blick nach oben. Über ihr konnte sie keine Wolken mehr erkennen, lediglich das weite, blaue Feld, in dessen Zenit die große Sonne barmherzig auf das Luftschiff herabschien.
    Rait drehte sich um. Vor ihr befand sich der Eingang in die Kajüte, daneben eine Leiter, die zu einer höheren Etage des komplex verschachtelten Schiffes führte, in der sich das Herz der Mechanik befand. Ein dumpfes Wabern drang aus den zahlreichen Rohren, die an allen Wänden und Ecken des Luftgefährts entlangkrabbelten und sich mutig darum bemühten, das Schiff in der Luft zu halten.
    Es klingelte. Schnell eilte sie ins Innere des Schiffes, brauchte dort allerdings einen Moment, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Sie legte das Buch mit der Aufschrift »Legendäre Blumen« auf einen Nachtschrank und eilte in die Küche zum Backofen, zog sich dicke Handschuhe an und zog ein mit frisch gebackenen Keksen übersätes Blech aus ihm heraus.
    Damit eilte sie hinunter in den Frachtraum – eine Halle, von deren eigentlicher Größe man wegen des riesigen Eisblocks, der sich darin befand, nichts bemerkte. Sie stellte das Blech in eines der zahlreichen Regale an der Wand, an eine freie Stelle, von denen es nur noch wenige gab, da sich die Ergebnisse ihrer Backkünste hier bereits zu Tausenden stapelten.
    Rait schritt an den Eisblock heran. Ganz nah, dann zückte sie unter ihrem weiten, weißen Umhang eine Lampe hervor und ließ sie ins Dunkel hineinleuchten. Weit im Inneren konnte sie eine dumpfe, finstere, kaum auszumachende Silhouette ausmachen.
    Als sie mit ihrer Nase ans Eis geriet, spürte sie Nässe. Hoffnung keimte in ihr auf.


    »Endlich sind wir fertig!«, rief Kallisto enthusiastisch, während sie an einigen ungemütlich wackligen Rohren vom Luftschiff herabkletterte. »Ich habe die letzte Verbindung der Schwebsteine zur Mechanik gesetzt.«
    Rait lächelte sie fröhlich an. »Dann lass uns fliegen!«
    »Warte. Vorher muss ich noch etwas tun.«
    Rait blickte ihre langjährige Freundin fragend an.
    »Weißt du noch? Vor ein paar Jahren sagtest du mir, du möchtest ein Liebesgeständnis nur hören, wenn diejenige Person eine Eisblume mitbringt.«
    Ein eiskalter Schauer lief ihr über den Rücken. Rait errötete, denn die Worte ihrer Freundin hatten sie ins Herz getroffen.
    »Ich gehe zum Nordpol und hole eine. Dann fliegen wir zusammen los!«
    Daraufhin verschwand Kallisto. Rait nutzte die Zeit, um Kekse für sie zu backen – die, die sie am liebsten hatte, um Kallisto zu überraschen, sobald sie zurückkam.
    Doch als das Mädchen nach einem Monat nicht zurückgekehrt war, hatte Raits Sorge sie so sehr zerfressen, dass sie das Luftschiff in Gang setzte und zum Nordpol flog.
    Nach vielen Tagen verzweifelter Suche fand sie einen gigantischen Eisblock, so klar, dass sie, als sie ihn durchleuchtete, die Silhouette ihrer Gefährtin darin ausmachen konnte.
    Sofort öffnete sie die untere Frachtluke des Schiffes, lud das Eis auf und flog los. Sie versuchte, das Eis mit ihrem Werkzeug zu zerschlagen, doch das stellte sich als gänzlich unmöglich heraus – nichts konnte einen Kratzer im Kristall hinterlassen, kein Feuer konnte es schmelzen.
    »Man lässt Freunde nicht im Stich« dachte Rait, und ihr fiel nur noch eine Möglichkeit ein, Kallisto zu befreien.


    Ich muss höher. Rait stand auf dem zweithöchsten Punkt des Schiffes, auf der Bühne vor dem Maschinenraum. Es ist nicht warm genug.
    Wenn irgendetwas ihre Freundin retten konnte, dann nur die Hitze der Sonne, die dreist herabstarrte und darauf wartete, das Eis vernichten zu können. Ich muss höher.
    Sie zog an einigen Hebeln, schritt dann in den Maschinenraum und überprüfte die Instrumente. Es klingelte. Eilig machte sie sich auf den Weg hinunter in die Küche, holte das Blech heraus und brachte es in den Laderaum. Dann bereitete sie neuen Teig.
    Erneut im Eisraum hörte sie unter sich ein Knirschen. So hob ihren Fuß, und musste feststellen, einen Keks zertreten zu haben. Rait blickte sich um – der gesamte verbliebene Platz hatte sich bereits mit Keksen gefüllt. Doch sie konnte nicht aufhören, neue zu backen. Ich werde Kallisto nicht aufgeben.
    Mit dem Backen aufzuhören, würde bedeuten, sie im Stich zu lassen.
    Langsam näherte sich das Schiff weiter der Sonne, die Temperatur stieg spürbar. Rait legte ihren Mantel ab, Schweiß brach aus ihrer Stirn aus. Sie liebte dieses Gefühl. Je heißer es wurde, das spürte sie, desto näher kam sie Kallisto. Erneut im Laderaum bemerkte sie, dass immer mehr vom Eis dahinschmolz. Eine Lache begann sich am Boden zu bilden. Rait lachte laut über jeden Zentimeter, den sie dem Eis abrang, über jeden vergangenen Augenblick.
    Sie backte Kekse, dachte an die vergangenen Jahre, steuerte das Schiff weiter Richtung Sonne, bedachte die Vergangenheit im Laderaum. Immer wieder. Stets und mit weiter keimender Hoffnung, mit Glück in der Seele und heißem Gemüt.
    Mit jedem Meter stellte sich die Hitze als unerträglicher heraus, sie genoss, wie die Tropfen an ihrer Haut hinabglitten.
    Schließlich konnte sie Kallisto klar erkennen. Die Hitze trübte ihren Verstand, doch nicht ihre Sinne – dort stand sie im Eis, gerade, nachdem sie die Eisblume gepflückt hatte, eine Pflanze, deren Schönheit Rait mit nichts anderem auf der Welt vergleichen konnte.
    Kallistos Gefühle hatten sie erreicht, doch sie spürte: je mehr Eis verfloss, desto langsamer schmolz das restliche.
    Ich muss … höher.
    Sie stieg hinauf in den Maschinenraum und merkte, wie heiß sich das Metall anfühlte. Die Geräte gaben mittlerweile keine verlässlichen Informationen mehr an, denn für eine solche Höhe hatten die beiden Erbauer sie nicht ausgelegt.
    Erschöpft ging sie hinaus und legte ihre Hände an das Geländer, das sie vor einen Sturz in die ewige Tiefe rettete. Rait spürte, wie ihre Handflächen verbrannten, nahm sie schnell von der Eisenstange herunter und blickte sie an. Große Blasen bildeten sich. Das Mädchen lächelte.
    Vor ihr schrie der Himmel mit einer Helligkeit, die ihre Netzhaut versengte, von ihrem Heimatplaneten konnte sie unter sich nichts mehr erspähen. Das Grinsen auf ihrem Gesicht zuckte ein wenig, als sie fast das Gleichgewicht verlor. Beim Taumeln spritzte der Schweiß auf die Rohre, Geräte und Drähte, an denen die Tropfen sofort verdunsteten. Ein überwältigendes Gefühl überkam sie. Sie wird aufwachen!, wusste sie mit einem Mal, und schrie es laut ins Nichts hinaus: »SIE WIRD AUFWACHEN!«
    Auf einmal überkamen sie Zweifel. Sie blickte sich um und erkannte das Flackern der Luft, die von der Hitze motiviert hinaufstieg, spürte die heiße, trockene Luft in ihren Lungen kratzen. Würde sie erst schmelzen müssen, damit Kallisto tauen konnte?
    Auch wenn es ihr Schmerzen bereitete, so wünschte sie sich nichts sehnlicher, als ihre Freundin noch einmal zu sehen, doch allein die Vorstellung, Kallisto könnte wieder erwachen, trieb sie weiter an.
    Rait wankte, dann drehte sie sich um und schritt auf die Leiter zu. Das Mädchen befand sich bereits auf der zweiten Etage, diese Leiter führte zum höchsten Punkt des Luftschiffes. Sie stieg auf. Der heiße Stahl der Leiter fraß sich in ihre Hände und Füße, doch das kümmerte sie kaum. Mehr Sonne!, rief es in ihr.
    Oben angelangt setzte sie sich an die Kante des Turms. Rait ließ ihre Beine hinunterbaumeln, kein Wind fuhr über ihre nasse Haut, lediglich die aufsteigende, heiße Luft vom erhitzten Holz, Kupfer und Messing unter ihr ließ ihre Haare tänzeln. Sie hatte keine andere Wahl, als ihre Lider ob des alles durchdringenden Lichts zu verschließen, denn sonst hätte die Hitze ihre Augen verbrannt. Sie drehte ihr Gesicht Richtung Sonne. Ihre Haut spannte sich und begann zu kratzen.
    »Rait?«, hörte sie Kallisto rufen. »Rait, ich bin hier, wo bist du? Geht es dir gut?«
    Ihre Stimme klang besorgt. Das Mädchen auf dem Turm wusste nicht, ob ihr der erhitzte Verstand einen Streich spielte, ob Kallisto aus dem Jenseits nach ihr rief, um sie zu sich zu holen, oder ob sie aufgetaut war und nun zu ihr zurückkam.
    Sie ließ sich rücklings auf das Turmplateau fallen und spürte das heiße Brennen des Metalls auf ihrem Rücken.
    Rait entfuhr ein glückseliges Kichern. Ein inneres, tiefes Wohlbefinden breitete sich in ihr aus.
    Sie ist bei mir. Egal, wo sie sich befindet, sie ist hier, bei mir!
    »Kallisto!«
    , rief sie, »Ich kann dich hören! Danke für die Blume. Möchtest du einen Keks?«

    [tab=2. Platz][subtab=Pika!]Durch die Zeit
    Wie eine leuchtende Perle aus Bernstein, die würdig gewesen wäre, den Hals der Göttin Amaterasu zu zieren, stand die Sonne über dem Horizont. Ihr flammenfarbener Schein tauchte den Himmel in alle Purpurtöne und setzte das wogende Meer in Brand. Die vergoldete Oberfläche narrte das Auge, sodass es schien, als müsse man nur die Arme ausstrecken, um sie zu umgreifen, und gleichzeitig wirkte sie unendlich weit.
    Niriko atmete tief die salzige Brise ein, die ihr entgegenwehte, und nahm die letzten Sonnenstrahlen dieses Tages in sich auf. Sanft rollten die Wellen an den Strand ihrer Kindheit und rauschten behäbig. Sie strich sich eine Strähne aus der Stirn und lauschte dem Geräusch vergangener Urgewalten.
    Plötzlich erklang ein Bersten und Krachen, und Niriko zuckte zusammen. „Mensch, Shuichi!“, tönte Shizue neben ihr gereizt und schubste den Angesprochenen, der zu ihren Füßen am Boden hockte. „Wie schaffst du es immer, beim Essen so einen Lärm zu veranstalten?“
    Der Junge schielte zu seiner älteren Schwester hoch, die mit Niriko auf der Bank saß. „So sind diese Kekse! Willst du auch einen?“ Shuichi hielt die Packung hoch, doch Shizue zickte nur:
    „Diese Ladung purer Geschmacksverstärker? Vergiss es!“
    „Früher mochtest du sie aber gern“, mischte sich nun auch Goru ein, der auf der Banklehne platzgenommen hatte.
    „Sagt der Kerl, der sich eben noch über das Eis beschwert hat“, gab Shizue zurück und griff jetzt doch nach der Gebäcktüte. Auch Niriko nahm sich einen Keks heraus und knabberte vorsichtig daran.
    Goru drehte den Holzstiel, an dem sich bis eben noch ein Fruchteis befunden hatte, nachdenklich in den Händen. „Ich dachte ja auch, nach der heutigen Hitze wäre ein Eis ganz gut. Ich kann mir kaum vorstellen, dass wir dieses pappsüße Zeug einmal gemocht haben. Schrecklich!“ Mit angewiderter Miene machte er Anstalten, den Stiel zu Boden zu werfen, entschied sich dann aber doch anders.
    Eine Weile herrschte Stille, die nur vom Rauschen des Meeres und dem Knuspern der Kekse durchzogen wurde.
    „Meint ihr, Asami sieht uns jetzt zu?“, fragte Niriko, die plötzlich von Melancholie überflutet wurde. Keiner ihrer Freunde antwortete, aber sie wusste auch so, dass sie alle dasselbe dachten: Asami war immer bei ihnen.
    „Sie ist viel zu früh gegangen“, meinte Goru schließlich und warf den Eisstiel nun doch weit von sich. Das Holzstück landete im Wasser an der Brandungszone und tanzte auf den Wellen vor und zurück. „Wir sind schon lange nicht mehr die Itokuni Go.“
    Niriko biss in ihren Keks und dachte über seinen traurigen Unterton nach. Heute war der letzte Jahrestag von Asamis Tod, den sie zusammen verbringen konnten. Bis auf Niriko würde ihre ganze Gruppe die kleine Insel Itokuni vielleicht für immer verlassen: Shizue und Shuichi zogen nach Nagasaki um, und Goru würde nach Tokyo gehen, um dort zu studieren. Nachdem Asami sie verlassen hatte, wurden die Itokuni Go nun gänzlich gespalten.
    Die Sonne berührte den Horizont und ließ die Ozeanfeuer noch heller auflodern. Ein frischer Wind kam auf und vertrieb die letzte Hitze des Sommertages.
    Goru schüttelte sich und stand auf. „Ich glaube, es ist Zeit.“
    Die anderen drei nickten und sammelten die Eisverpackungen und Kekstüten ein, die sie geleert hatten. Niriko ging zum Wasser, um sich die Hände zu waschen, und hob nebenher den Holzstiel auf. Kein Müll durfte an diesem wunderbaren Strand zurückbleiben, an dem sie praktisch aufgewachsen waren und so viele epische Abenteuer erlebt hatten, die ihrer Fantasie entsprungen waren.
    Seit Asami vor fünf Jahren erkrankt und vor drei verstorben war, hatten die Itokuni Go nur noch wenig Zeit hier verbracht – immerhin waren sie nur noch vier und entsprachen damit nicht mehr ihrem Clubnamen. Aber Niriko hatte auch gewusst, dass es nicht ewig so hatte weitergehen können. Immerhin wurden sie alle älter.
    Vier lange Schatten prozessierten an der Uferlinie entlang, bis sie zu einer Ansammlung Wellenbrecher kamen. Seeschaum hatte sich zwischen den fern an riesige Korallenäste erinnernden Betonklötzen verfangen und knisterte leise.
    „Weiß einer noch, wo wir sie versteckt haben?“, fragte Goru ratlos und erklomm den ersten Wellenbrecher.
    „Ich kann mich nicht einmal mehr daran erinnern, was ich geschrieben habe. Das ist zehn Jahre her, was erwartest du?“ Shizue folgte ihm vorsichtig, schlug dann aber eine andere Richtung ein.
    Auch Niriko beteiligte sich an dem Gespräch: „Ich weiß noch, dass es an einer Stelle war, die oberhalb der Tide liegt. Sie sollte ja nicht nass werden.“ Sie und Shuichi kraxelten nun auch auf den Brechern umher und lugten in jeden Zwischenraum, wo sich Miesmuscheln angesetzt hatten. Während sie suchten, tuckerte in der Nähe ein Fischerboot auf dem Heimweg entlang.
    „Ha, Bingo!“, rief Goru irgendwann. Mittlerweile war er fast an der Nase des Brecherhaufens angekommen und streckte sich gerade zwischen zwei Betondornen hindurch. Bis die anderen drei Jugendlichen zu ihm aufgeschlossen hatten, hatte er sein Fundstück schon hervorgeholt. Und es war tatsächlich das, was die vier gesucht hatten: Eine kleine Holzkiste, über und über mit Paketband überzogen, das sie damals angebracht hatten zum Schutz vor Feuchtigkeit. Der Inhalt hatte schließlich wasserdicht verschlossen sein müssen.
    Niriko erinnerte sich noch genau an jenen Tag: Die fünf Mitglieder ihrer Clique hatten der Zeitkapsel ihre Wünsche und Träume anvertraut und sie an einem Ort versteckt, wo sie niemand finden durfte. Weil sie heute vorgehabt hatten, sie wieder zu bergen, hatten sie das gleiche Eis und die gleichen Kekse, die sie damals gegessen hatten, wieder besorgt. Trotz all dieser Kleinigkeiten, die sie alle noch wussten, erinnerte sich keiner von ihnen mehr daran, welche geheimen Hoffnungen zehn Jahre hier geschlummert hatten.
    „So ein Mist“, fluchte Goru, als er begann, das Paketband zu entfernen. „Das löst sich hier überall…“
    „Was?!“, rief Shizue aus und wollte ihm die Kiste entreißen, doch Goru war schneller und zog ihren gemeinsamen Schatz außer Reichweite. „Was, wenn Wasser eingedrungen ist?“, fragte die verhinderte Diebin ängstlich.
    „Das kann nicht sein“, versuchte Niriko, ihre Freundin zu beschwichtigen. „Bis hierher spritzt nur die Gischt, und die reicht nicht, um das Innere nass zu machen.“
    „Und was ist mit der Sturmflut vor drei Jahren?“, meldete sich Shuichi zu Wort. „Die hat ganze Küstenstreifen zerstört.“
    „Das war doch im Osten von Itokuni“, informierte Niriko.
    „Kann trotzdem sein, dass die Wellen dann hier auch höher schlugen als üblich“, ergänzte Goru und legte das Klebeband zur Seite. Nun war die Holzkiste wieder völlig frei. Mit Schrecken erkannte Niriko, dass das Holz an manchen Stellen morsch geworden war. „Es führt kein Weg vorbei…“ Goru öffnete den Deckel und griff hinein.
    Schon an seinem Gesichtsausdruck erkannte Niriko, dass wenig Hoffnung bestand. Goru holte ein paar wellige, fleckige Papiere hervor. Was einst darauf gestanden hatte, war durch das Wasser verlaufen und unleserlich geworden.
    „Das sieht nicht gut aus…“, kommentierte Shizue und nahm einen Teil des Stapels an sich. „Hier können wir nicht einmal erkennen, welches unser Brief ist, geschweige denn, was unsere Wünsche waren!“
    Niriko verstand ihren Schmerz. Sie alle hatten wissen wollen, ob sie die Zukunftsvorstellungen ihres vergangenen Selbst erfüllt hatten. Plötzlich kam ihr etwas in den Sinn. „Das Bild!“, rief sie. „Was ist mit dem Bild?“
    Goru zog es aus dem Stapel und zeigte es herum. Die Farben des Fotos, das die Fünf vor der untergehenden Sonne Itokunis an ihrem Lieblingsstrand zeigte, waren vom Meerwasser angegriffen und verblichen. Das Papier hatte sich leicht aufgerollt. Ansonsten war es aber weit besser erhalten als die Briefe.
    „Leute, seht euch das mal an.“ Niriko und Shuichi, die das Foto betrachtet hatten, wandten sich Shizue zu, die ihren Teil der Briefe durchgeblättert hatte. „Das ist von Asami!“
    Das Blatt, das sie hochhielt, war in makellosem Zustand. Ihre verstorbene Freundin hatte es damals von ihrem Vater laminieren lassen, wie sich Niriko erinnerte. Durch Asami war diese normale Sache aus tristem Büroalltag zu einem Wunder geworden. Auf der einen Seite waren fünf Zeichnungen zu sehen, die die Itokuni Go als Chibis darstellten. Neben jedem waren die jeweiligen Namen in Hiragana aufgeschrieben; die Kana, die auch als Zahlen fungierten, besonders hervorgehoben: ichi, ni, san, shi und go.
    Niriko fiel auf, dass Asami jedem von ihnen Attribute eines Tieres verpasst hatte: Goru war als Fuchs dargestellt, Shizue als Hase, Shuichi als Marderhund und Niriko als Katze. Asamis Chibi hatte Flügel und etwas, das wie ein Heiligenschein aussah. Niriko machte ihre Freunde darauf aufmerksam.
    „Jetzt, wo du es sagst, merke ich es auch“, meinte Shizue und sah genauer hin. „Warum hat sie sich selbst als Engel gezeichnet?“
    „Ob sie damals schon wusste, dass sie früh sterben würde?“, fragte Goru und nahm Asamis Brief entgegen. „Obwohl… der Krebs wurde erst viel später diagnostiziert.“
    „Hey, auf der Rückseite steht etwas!“ Shuichi riss Goru das Papier aus der Hand und drehte es um. Er hielt es so, dass seine Freunde es auch lesen konnten.
    Dort war, in kindlicher Schrift, Asamis geheimer Wunsch aufgeschrieben: Meine Hoffnung für die Zukunft ist, dass wir für immer Freunde bleiben!
    „Oh, Asami…“, flüsterte Shizue gerührt. Auch in Nirikos Augen sammelten sich Tränen.
    Der letzte goldfarbene Rand der Sonne versank im Ozean, der ihr Feuer löschte. Eine sanfte Brise zog vom Meer heran wie die lebendige Hoffnung, die Vergangenheit und Zukunft miteinander verband, und wirbelte um die fünf Kinder von Itokuni.[tab=3. Platz][subtab=Rio]Weihnachtsgebäck
    „Ding!“, und es läutete erneut die Ladenklingel des warmen Geschäftes, welches an diesen Tagen besonders gut besucht war. Der Duft der frischen und berühmten Ohrdoch-Kekse lockte die von ihrer Reise ermüdeten Trainer und die Bewohner der kleinen Stadt in den überschaubaren Laden an der Straßenecke. Hier war viel los im Gegensatz zur kalten Straße, dort, wo der Schnee und das Eis den Boden bedeckten. Das Licht der Straßenlaternen ließ die weißen Flächen funkeln und wo sich die Schneemassen besonders türmten und funkelten, spielten die frisch gebackenen Trainer mit ihren neu erworbenen Pokemon.
    „Frau Bingel? Könnten sie noch ein paar Ohrdoch-Kekse machen? Die Kälte bringt wohl noch mehr Besucher in den Laden, als wir dachten“, sagte eine junge Dame. Sie trug ein schwarzgraues Kleid, darüber eine weiße Schürze mit einem rosa Farbkleks darauf und ein weißes Häubchen. Ein freundliches permanentes Lächeln und ein paar Strähnen ihrer braunen Haare waren in ihrem Gesicht zu sehen. Ihre Beine standen sich berührend direkt nebeneinander. Ihre Hände rieb sie an der Schürze. Sie schaute zu Frau Bingel, die nickte und sofort ein weiteres Blech in die Hände nahm.
    Die Dame bedankte sich und ging schließlich einen Keks essend nach vorne, sodass Frau Bingel wieder allein in der Backstube war. Schweißperlen liefen an ihrem Gesicht herunter. Sie schaute raus zu den im Schnee spielenden Kindern, die sie zum Lächeln brachte. Wenigstens war ihr vor dem großen Ofen nicht kalt. Ihre Hände waren schon an manchen Stellen verbrannt, aber das alles war ihr nicht wichtig. Sie wollte weiterbacken, denn dem Ansturm musste ja irgendwie Einhalt geboten werden. Frau Bingel arbeitete in dieser Hitze, und das täglich. Sie war es schon gewohnt, sich die Hände zu verbrennen. Die Arbeit schien jedoch heute noch härter zu sein und auch nicht aufzuhören. Immer wieder klingelte Palimpalim über der Ladentür.


    Ihre kleinen Gesichter schauten über den Rand es Regals hinunter in die Vorratskammer. Die beiden schnupperten mit ihren Nasen in allen Richtungen etwas zu Essen.
    „Waah!!!“, schrie Pauline plötzlich. Sie stürzte von dem großen Regal der Vorratskammer herab. Sie landete zum Glück weich auf einem Sack Mehl.
    „Bist du okay, Schwesterchen!?“, rief Paul vom Regal herunter, „du siehst lustig aus so in weiß.“ Er bekam nur ein leichtes Stöhnen als Antwort. Er hielt sich mit beiden Pfötchen an dem Balken des Regals fest und rutschte hinunter. Pauline war bereits auf der Suche nach dem erhofften Essen. Sie stand vor einem nach Äpfeln riechenden Strohsack, der auf dem Boden an eine Wand gelehnt lag, doch alleine konnte sie ihn nicht öffnen. Paul kam ihr zur Hilfe. Zusammen zogen sie so stark wie sie konnten an dem großen Etwas herum. Plötzlich bewegte er sich und…
    die kleinen Pichu-Zwillinge waren unter ihm begraben.
    „Du warst mir ja eine tolle Hilfe, Brüderchen!“, meckerte Pauline.
    „Du musstest dir ja auch gerade Äpfel aussuchen, wo es hier doch auch noch viel mehr zu holen gab“, antwortete Paul. Er zog an ihren Ohren. Pauline kitzelte ihn unter seinen kurzen Armen. Nun zerrten beide an dem Gesicht des anderen, sodass dabei lustige Grimassen entstanden.


    Nach einigen Minuten hörten sie schon die üblichen Schritte von Frau Bingel. Es war schon ein kleines Getrampel, was sie mit ihrem wuchtigen Körper da machte. Sie ging auf den umgefallenen Sack zu und hob ihn hoch. Schnell verschwanden die Pichu im nächsten Rattfratz-Loch. Frau Bingel ließ den Sack vor Schreck fallen und ging zu dem Loch, schaute hinein und wurde erst mal von einem kräftigen Donnerblitz begrüßt.
    „Erst Verbrennungen und dann Paralyse, das ist nicht mein Tag heute, nein, nein, das ist er nicht“, sagte sie mit Kringeln in den Augen am Boden liegend. Nach einer Weile stand die tapfere Bäckerin auf. Sie erklärte den Pichu den Krieg. Sie waren schon öfters hier in den Laden gekommen, um sich selbst zu bedienen, doch Frau Bingel konnte sie immer wieder davon abhalten, etwas zu stibitzen. Sie nahm alle Rattfratz-Fallen, die sie hatte und legte diese vor die Löcher. Dann brachte sie mehrere Säcke mit dünnen Seilen am Boden fixiert auf den Regalen an. In der Mitte der Vorratskammer legte Frau Bingel noch einen Teller mit Keksen ab, damit die beiden Frechdachse auch ja kommen wollten. Zum Schluss setzte sie sich auf einen Holzhocker und wartete ab.
    Der eiskalte Wind blies durch jedes noch so kleine Loch hinein. Dauerhaft war ein Knirschen und Knacken des Holzes zu hören. Die beiden Pichu versteckten sich im Speicher des Hauses. Sie saßen mit ein paar anderen Pokemon auf den Balken, die das Dach stützten. Dusselgurr, Rattfratz, Piccolente und auch Yorkleffs lebten in diesem kalten Teil des Hauses. Sie waren alle einmal von ihren Trainern ausgesetzt worden oder von allein in die Stadt gekommen. Ein kalter Wind und ein brummender Magen dominierten ihren Alltag. Sie wollten nur leben, doch keiner gab ihnen das Nötige dazu. Sie hatten nicht mehr viel Hoffnung, ein glückliches Leben zu bekommen und die Hoffnung, die sie noch hatten, legten sie auf die cleveren Pichu-Zwillinge, welche versprachen, allen etwas zum Essen zu besorgen. Der Weg war ihnen in dieser Situation egal, denn ihr Überleben war wichtiger. Am profitabelsten bewährte sich eben diese Bäckerei, da es zumindest etwas wärmer war und Essensreste, sowie frische Zutaten in der Vorratskammer zu holen waren. Doch dies reichte nicht aus für die vielen Pokemon hier. Paul und Pauline klügelten mit ihren Freunden einen perfekten Plan aus, sodass sie endlich die Küche von Frau Bingel mit den duftenden Keksen plündern konnten.
    Frau Bingel wartete. Im Laden war in der Weile die Hölle los. Die Kunden standen vor der Theke und warteten in einer langen Schlange, die bis auf die Straße ragte. Bald war der Vorrat an Keksen in der Theke erschöpft, sodass Frau Bingel neue backen musste, aber zunächst wollte sie die Pichus endlich fangen.


    Plötzlich drangen vier Piccolente im Entenmarschin den Raum ein. Sie stellten sich mutig in die Mitte zu den Keksen. Die Piccolente schauten sich um, dann setzten sie Weißnebel ein und die Pichus mussten nur noch aus den Löchern kommen, um sich die Kekse im Schutz des Nebels zu schnappen. Doch sie lösten dabei die Fallen aus. Frau Bingel wartete ab, bis der Nebel verzogen war. Die Piccolente waren abgehauen, aber die Pichu wichen ängstlich und mit den Pfötchen fuchtelnd den herunterfallenden Strohsäcken aus.
    Jetzt kamen die Dusselgurr zum Einsatz.
    „ Bei 180° zum Feind und einer Flughöhe von 2 m über seinem Schädel heißt es: Abwurf!“, rief der Kommandant der Dusselgurr. Sie nahmen immer zu zweit einen der Strohsäcke, trugen ihn bis über den Kopf von Frau Bingel und ließen ihn dann fallen. Frau Bingel war nach dem Spektakel voller Mehl und komplett in Weiß gehüllt. Sie nahm nun ihren Schneebesen in die Hand und ging auf die gesamte Meute los. Die Pichu zitterten kurz, aber dies war nur Teil der Show. Die Piccolente kamen wieder nacheinander aus den Löchern. Sie setzten Aquaknarre ein, sodass Frau Bingel auf dem nassen und mehligen Boden ausrutschte. Paul und Pauline rannten schnell ins Geschäft, weil die Kekse auf dem Teller nie im Leben reichten. Sie kamen dem warmen Ofen immer näher. Mit der Hilfe einer Räuberleiter aus Yorkleff kamen sie bis zum Rand des alten Ofens. Fasziniert von der wohltuenden Wärme und den Duft der berühmten Ohrdoch-Kekse liefen sie immer weiter der Nase nach. Sie fühlten sich dem Ziel so nahe. Es wurde immer wärmer und wärmer. Die Zwillinge freuten sich nach einer langen Zeit voller Trauer und Schmerz. Sie dachten an ihre Freunde, die auf sie hofften. Die Wärme wurde langsam zur schmerzenden Hitze.
    „Neiiiiin!“, schrie Frau Bingel plötzlich, die die beiden mit ihren Armen umschling. Sie zog sie schnell aus dem Ofen heraus. Die Zwillinge zappelten wie Fische in ihren Armen herum. Sie streckten ihre Arme mit Tränen in den Augen dem Ofen entgegen. Die Pichu wussten nicht, dass der Ofen sehr gefährlich werden konnte. Nun merkten sie es, als Frau Bingel die bereits verkokelten Kekse hinausnahm und die Pichu sie berühren konnten. Sie verbrannten sich ihre kleinen, gelben Pfoten an dem, was sie schon immer haben wollten.


    Frau Bingel sah in ihre traurigen Gesichter. Nachdem die Aufregung verflogen war, fingen sie an, mit Frau Bingel zu reden.
    „Ihr hättet mir gleich sagen sollen, dass ihr so viele einsame Freunde habt. Ich hätte euch geholfen, wenn ihr mir nicht immer so ein Chaos veranstaltet. Immerhin ist Weihnachten! Gibt mir eure Pfoten. Ich werde die Verbrennungen heilen und dann werden wir alle gemeinsam Kekse backen“, sagte Frau Bingel lächelnd. Verwundert schauten sich die beiden Pichus an.
    Und so backten die Pokemon mit ihrer neuen Freundin, das Ohrdoch namens Frau Bingel, die restlichen Kekse für diesen Abend. Nachdem der letzte Kunde den Laden verlassen hatte und auch die junge Dame verschwunden war, gab Frau Bingel schließlich als Dank für die Hilfe allen einsamen Pokemon Kekse. Während die anderen Pokemon nun fortan Frau Bingel immer wieder unterstützten, sah sie die Pichu-Zwillinge nie wieder. Nur ihre Fußabdrücke meinte Frau Bingel noch in dem weißen, schimmernden Schnee an der Stelle gesehen zu haben, wo die Trainer mit ihren Pokemon immer noch spielten.[/tabmenu]

  • [tabmenu]
    [tab='Information']
    [subtab='Allgemein']
    Gewinner des. 16. Wettbewerbs - Saison 2012
    Postapokalyptische Zukunft
    Informationstopic
    Votetopic
    [tab='1. Platz']
    [subtab='Misana']


    Wie die Sonne


    Die Sonne scheint mir warm in mein Gesicht und der Wind spielt mit meinen blonden Haaren. Wenn ich die Augen schließe, ist es fast, als wäre es nie passiert; wäre da nicht dieser Gestank und…
    Ein Erdbeben holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Wie ein übermächtiges Gewitter donnern die Kontinentalplatten aneinander. Ich schaue mich um. Es scheint, als wolle die Sonne nicht wahrhaben, auf was für einen trostlosen Planeten sie da scheint.
    Ein Gong, lauter als jedes Beben, ertönt. „Zurück an die Arbeit, ihr faulen Säcke!“, dringt die raue Stimme an mein Ohr.
    Seufzend beende ich die kleine Pause, um weiter die Straßen frei zu räumen. Als ob das irgendetwas bringen würde – die Autos können hier doch sowieso nicht mehr fahren. Ein Gutes hat unser Weltuntergang allerdings schon, urplötzlich sind sich alle Nationen einig – na ja, immerhin ist es ja auch nur noch eine große; geographisch gesehen. Die Arbeit ist hart und schweißtreibend, aber es ist die einzige Möglichkeit, jetzt noch etwas Essbares zu kommen. So räume ich brav mit den anderen den Dreck von den Straßen, um am Ende des Tages sogar einen warme Mahlzeit zu bekommen.
    Ein weiteres Beben lässt einen großen Betonklumpen von einem Berg aus Schutt rutschen und gibt den Blick auf mehrere tote Körper frei. Auch wenn ich schon seit Tagen nichts anderes als zerfallene Häuser, verwüstete Wälder, abgemagerte oder eben tote Menschen zu Gesicht bekomme, muss ich wegsehen. Ich weiß nicht, wie man mit diesem Anblick jemals fertig werden kann.
    Als der Donner des Bebens verebbt, hört man wieder die Stimme des „Bauleiters“, eines Mannes mittleren Alters, der zwar die Aufsicht hat und uns Befehle erteilen darf, selbst aber nie einen Finger rührt: „Bewegt euch! Oder habt ihr noch nie eine Leiche gesehen?“
    Idiot.
    Ich zwinge mich, tief durchzuatmen und auf den Haufen zuzugehen. Wie oft wünsche ich mir, dass auch ich diese Qualen nicht mehr durchmachen müsste…
    „Darf ich behilflich sein, Ma’am?“
    Bei diesem Worten drehte ich mich wieder um. Schräg hinter mir steht ein Mann, den ich etwa mein Alter, also Anfang zwanzig schätzte. Er hat dunkle, verstaubte Haare und sieht mich aus strahlenden, blauen Augen an. Wenn ich bei dem ganzen Weltuntergang nicht auch meine Verlobten verloren hätte, hätte ich ihn ganz süß finden können. Aber jetzt ist ohnehin so absolut nicht die richtige Zeit, um zu flirten. Er sieht mich immer noch an und wartet auf eine Antwort. Ich nicke stumm und sehe zu, wie er sich an meiner statt auf den Berg begibt, um die Leichen wegzuräumen. Vielleicht bin ich ja zu eigennützig, aber er hatte immerhin gefragt.
    Ich beschließe, dass einfach rum zu stehen und einem fremden Typen bei der Arbeit zuzusehen, bei meinem Arbeitsgeber sicher nicht sonderlich gut ankommt, weshalb ich mich daran mache, kleinere Teile des Hauses, was dieser Schutthaufen wahrscheinlich einmal gewesen ist, wegzuräumen. Wie zufällig schweift mein Blick immer wieder zu dem dunkelhaarigen Mann, bis er irgendwann aus meinem Blickfeld verschwindet.


    Fünf Stunden später wird es dunkel und wir müssen mit unserer Arbeit für diesen Tag aufhören. Lampen bzw. Strom im Allgemeinen ist eine Rarität geworden und so sind wir wie die Menschen früher auf das Sonnenlicht angewiesen. (Uhren funktionieren allerdings noch ganz gut, weshalb wir meist noch vor Sonnenaufgang geweckt werden, um ja kein Licht zu verschwenden.)
    Während sich die anderen Arbeiter zur provisorischen und sogar einigermaßen erdbebensicheren Küche aufmachen, bleibe ich noch in der verwüsteten Landschaft stehen und sehe zu, wie die letzten Strahlen der Sonne verschwinden – eigentlich schon fast lebensmüde, da man in der Dunkelheit auf diesem Schlachtfeld viel zu leicht etwas übersehen kann. Trotzdem geben mir die Farben, die die Sonne an den Himmel malt, immer irgendeine Hoffnung. Wenn unser Stern den Planeten noch nicht aufgegeben hat, vielleicht sollten wir es dann auch nicht tun.
    „Ein toller Anblick, oder?“, schreckt mich eine Stimme aus meinen Gedanken auf und ich sehe neben mir den Mann, der mir vorhin geholfen hatte.
    „Ja“, beginne ich und mache eine Pause. Mit jeder Sekunde wird der Himmel dunkler. „Dankeschön“, setzte ich dann wieder an, „für die Hilfe…“ Ich komme mir äußerst unbeholfen vor, aber ganz theoretisch ist inzwischen auch alles egal.
    „Kein Problem, es ist ja auch nicht gerade die beliebteste Arbeit, da kann es einen schon mal überkommen.“ Er lächelt mich an und ich spüre, wie ich rot werde. Hoffentlich ist es schon so dunkel, dass man das nicht mehr erkennt. „Ich bin Robert“, stellt er sich nun vor und reicht mir die Hand, als wäre die Welt um uns nicht dunkel und zusammengefallen, als hätten wir und gerade irgendwo – vielleicht in einem Einkaufzentrum – kennengelernt. Aber geschlossene Räume sind schon seit Längerem zu lebensgefährlichen Aufenthaltsmöglichkeiten geworden.
    „Tamara“, bringe ich nach ein paar Sekunden heraus und schüttle seine Hand, „sehr erfreut.“ Fällt mir denn nichts Besseres ein?
    Er lächelt mich wieder an. Anscheinend findet er es gar nicht so seltsam, hier in den Trümmern mit mir zu flirten.
    Auch ich ringe mir ein Lächeln ab. So falsch ist es ja gar nicht: Immer das Positive sehen.
    „Wir sollten mal zur Küche gehen“, meint er dann. „Wenn wir den Hindernisparcours dahin überleben, möchte ich ungern verhungern.“
    Er lacht, wie er es wahrscheinlich auch vor einem Jahr getan hätte, und ich lasse mich anstecken. Was bringt es schon, immer nur Trübsal zu blasen, auch wenn ich den Schock immer noch nicht verdaut habe. Es kam schließlich alles viel zu plötzlich. Natürlich hatte man schon seit Jahren eine Annäherung der Kontinente aneinander feststellen können, aber dann…
    Mit einem ohrenbetäubenden Donnergrollen fängt die Erde erneut an zu beben. Ich werde direkt aus meinen Gedanken gerissen und stolpere sofort. Viel zu schnell sehe ich die dunklen, harten Trümmer näher kommen, als mich zwei Hände mit festem Druck halten und nach oben ziehen.
    „Alles in Ordnung?“, fragt Robert ernsthaft besorgt.
    Vorsichtig nicke ich. Ich kann es nicht fassen; er hat mich schon wieder gerettet – und diesmal richtig.
    Das Donnern verklingt, doch Robert greift nach meiner Hand, als hätte er Angst, dass ich noch einmal falle.
    Ich muss einfach lächeln, während wir auf den einzigen noch beleuchteten Punkt in der kargen, wüsten Landschaft zugehen. Morgen früh wird die Sonne wieder aufgehen, so wie jeden Morgen; zumindest eine Beständigkeit in dieser Welt. Und ich werde es ihr gleichtun. Ich sehe Robert ins Gesicht, als wir in das Licht der Küche treten. Endlich spüre ich wieder richtige Hoffnung in mir aufkeimen. So schnell werde ich nicht mehr aufgeben; ich werde stetig weiter gehen. Wie die Sonne.
    [tab='2. Platz']
    [subtab='Cyndaquil']
    Am Tag danach


    Im vollen Galopp fegte er durch den Schnee, der hinter ihm in einem feinen Nebel aus Eiskristallen aufgewirbelt wurde. Wie eine Fahne wehte sein heller Schweif hinter ihm her, die Mähne derselben Farbe flatterte im Wind. Er war nur ein dunkler, schwarzbrauner Punkt in der weißen Berglandschaft. Tiefe, graue Wolken bedeckten den Himmel und hüllten die Zinnen des hochaufragenden Gebirges ein. Es hatte gestern zu Schneien begonnen, ganz überraschend und mitten im Sommer. Er hatte schon den ganzen Tag ein komisches Gefühl gehabt, als man ihn nach getaner Arbeit zurück auf seine Weide geführt hatte. Aber wer erwartet Schnee im Juli?
    Am frühen Abend wurde es plötzlich sehr dunkel, schneller als die Tage zuvor und die dunklen Wolken hatten sich bald grau und schwer am Himmel aufgetürmt. Die Temperaturen waren innerhalb weniger Stunden weit unter den Gefrierpunkt gesunken und schließlich hatte die weiße Pracht das Land bedeckt. Verwirrt hatte er sich untergestellt und dieses Wetterphänomen beobachtet. Er war nun auch schon neun Sommer alt und hatte schon viel erlebt, aber das war ihm absolut neu gewesen.
    Er folgte dem Weg vor sich, den er aufgrund des hohen Schnees kaum noch erkennen konnte. Normalerweise wäre er um diese Uhrzeit schon längst unten im Dorf, vor den Karren gespannt um seinen Herren bei der Arbeit zu helfen. Aber es war heute früh niemand gekommen, um ihn zu holen. Er kannte schon lange eine Stelle auf seiner Koppel, wo er den Zaun problemlos überspringen konnte, nur bisher war das nie nötig gewesen, bis heute, denn er hielt es nicht mehr länger dort aus.
    Der spitze Schrei eines Adlers durchschnitt die Stille, die sich über die Berge gelegt hatte und er blickte nach oben, konnte ihn aber nicht erkennen. Er ging in einen leichten Trab über, immer noch wachsam die Ohren gespitzt und das Maul in die Luft geregt. Der geflügelte Jäger tauchte an seiner rechten Seite auf, überholte ihn und kam dem Boden immer näher, als würde er sich anschicken zu landen. Schnaubend stoppte er einen Meter vor dem Adler, der gerade seine mächtigen Schwingen faltete und sich zu ihm umdrehte.
    „Servus! Was treibt dich denn hierher, Pferd?”, begann der braungefiederte Vogel mit weiblicher Stimme zu sprechen.
    Pferd? Er konnte ein verärgertes Schnauben nicht unterdrücken. Er war doch nicht irgendein dahergelaufener Gaul! Er war ein Noriker, eine bekannte Rasse in dieser Gegend.
    „Grüß Gott, Frau Adler”, erwiderte er höflich und neigte seinen schweren Kopf. „Ich bin auf dem Weg ins Dorf.”
    „Ins Dorf, ha? Was willst du denn dort?”, hakte sie nach und fixierte ihn mit ihren gelben Augen. „Heute ist nicht das beste Wetter für Ausflüge.”
    „Ich weiß”, gab er zurück. Er hatte keine wirkliche Lust sich mit diesem Steinadler zu unterhalten.
    „Ich bin mir nicht sicher, ob du tatsächlich wissen willst, was da grade im Dorf so los ist”, meinte sie beiläufig, während sie kurz den Schnee vor sich musterte. „Aber mir ist das auch recht wurscht. Du als Pferd hast da bestimmt mehr Ahnung als ich.”
    „Jetzt hör mich mal zu, gell? Ich bin kein einfaches ‚Pferd’, ich bin ein Noriker und ich heiße Jona, wenn’s recht ist”, erwiderte er gereizt und mit angelegten Ohren.
    „Schön dich zu treffen, ich bin Noomi”, entgegnete die geflügelte Jägerin, nachdem sie ruckartig den Kopf gehoben hatte, mit zufriedener Stimme.
    Jona wunderte sich, beendete das Gespräch aber damit, dass er an ihr vorbei ging und weiter dem verschneiten Weg folgte.
    „Scheint als würdest du nicht wissen wollen, wie’s im Dorf zugeht”, rief Noomi ihm hinterher und erhob sich mit kräftigen Flügelschlägen.
    „Jedenfalls nicht von dir”, murmelte er und fiel in einen schnellen Galopp. Er wusste doch schon lange, wie die Wildtiere über ihn und seinesgleichen dachten. Wie oft hatte ihn schon irgendeine Gams schräg von der Seite angesprochen, nur weil er mit Menschen zusammenarbeitete. Wie oft hatte er sich von einem alten Steinbock anhören dürfen, wie gefährlich es war mit den Menschen. Was kümmerte ihn das? Er wollte wissen wie es ihnen geht.
    „Gut, dann sage ich dir eben nicht, dass es gar kein Dorf mehr gibt.”
    Abrupt stoppte er und wandte sich zu Noomi um, die gerade an ihm vorbeisegelte.
    „Was hast du gesagt?!”
    „Du hast mich schon richtig verstanden”, erwiderte sie und landete erneut vor ihm. „Es gibt kein Dorf mehr. Gestern ist eine Lawine niedergegangen. Es ging fast allen Menschensiedlungen hier so. Der Schnee gestern war zu viel und zu plötzlich. Niemand weiß, woher dieser Wetterumschwung plötzlich kam, aber das dort am Himmel, sind nicht nur Wolken. Da ist auch Asche.”
    „Asche?”, wollte Jona verwundert wissen. Noch wollte er nicht akzeptieren, dass das Dorf nicht mehr existierte. Vielleicht hatte sie ein anderes gemeint, auch wenn es hier in der Nähe nur eines gab? Es musste einfach so sein!
    „Ja, genau, Asche. Ich weiß nicht, woher sie kommt und kein anderer Jäger konnte mir diese Frage beantworten, Fakt ist jedoch, dass es die Sonne verdeckt und deshalb ist es hier so kalt geworden.”
    „Das ist mir egal, ich gehe trotzdem ins Dorf.”
    „Wenn es aber kein Dorf mehr gibt!”, sprach sie eindringlich auf ihn ein.
    „Das interessiert mich nicht! Ich muss wissen, wie es meinen Herren geht!”
    Er wartete nicht auf eine Erwiderung, sondern erhob sich auf die Hinterhufe. Mit einem entschlossenen Wiehern und in der Luft wirbelnden Vorderhufen, wurde er selbst der abgehärteten Noomi zu gefährlich und sie brachte sich kreischend mit wild flatternden Flügeln aus der Gefahrenzone, bevor Jona galoppierend seinen Weg fortsetzte.
    „Was für ein Dickkopf!”, sagte sie zu sich. „Er kann froh sein, dass ich nicht so leicht locker lasse.” Sie stieg höher und folgte ihm.
    Der Weg ins Tal war recht steil und so erhöhte sich von selbst seine Geschwindigkeit. Vor ihm war alles weiß und er dachte fast, er hätte sich verlaufen. Aber es gab doch nur einen Pfad, wie konnte er sich da verlaufen? Er müsste das Dorf jetzt eigentlich genau erkennen können , schließlich breitete sich das Tal vor ihm aus. Jona war nicht gewillt so schnell die Hoffnung zu verlieren und folgte weiter dem Weg, der sich jetzt wie eine Schlange hinabwand. In all dem Weiß was sich nun vor ihm erstreckte, erkannte er plötzlich etwas Schwarzes. Er blieb stehen und strengte seine Augen an, um zu erkennen, was es sein könnte, aber er war zu weit weg.
    „Was ist das?”
    „Die Spitze des Kirchturms; das schwarze Metallkreuz”, antwortete Noomi unvermittelt und Jona machte einen erschrockenen Satz nach vorne. Sie saß plötzlich schräg hinter ihm, genau in seinem toten Winkel.
    „Du schon wieder!”, keifte er das Adlerweibchen mit angelegten Ohren an. „Was willst du?!”
    „Dich davor bewahren, dass du dich umbringst.”
    „Pah! Was hat dich das zu interessieren?”
    „Ich interessiere mich eben dafür. Außerdem habe ich das ungute Gefühl, dass wir zusammenhalten müssen. Ich weiß nicht warum oder wieso, aber es ist da”, gab Noomi zu. „Außerdem habe ich aus der Luft etwas gefunden, was dich interessieren könnte. Möchtest du, dass ich es dir zeige, jetzt da du weißt, dass das Dorf wirklich nicht mehr so existiert, wie du es in Erinnerung hast?”
    Jona überlegte. Er war sich unsicher, ob der Absichten dieses Steinadlers und das Interesse an ihm war ihm irgendwie unheimlich. Andererseits hatte sie recht, die Dinge standen alles andere als gut. Dieser plötzliche Wetterumschwung war nicht natürlich und auf der Welt musste irgendwas passiert sein. Was, das entzog sich seinem Wissen, aber ihm war klar, dass es ungewöhnlich war.
    „Zeig’s mir, bitte.”
    Noomi nickte zufrieden und erhob sich in die Lüfte. Sie flog zu einem kleinen Waldstück in der Nähe, am Rand des Tals. Jona folgte ihr in einem schnellen Trab. Ihn fröstelte, auch wenn er nicht empfindlich gegenüber derartigen Wetterbedingungen war, so konnte er ja doch nicht so schnell sein Winterfell bekommen, wie er es sich gerade wünschen würde. Je näher sie der Ansammlung von dunklen Tannen kamen, desto mehr konnte der Noriker dort am Rande der Bäume mehrere dunkle Punkte im Schnee erkennen. Bald schon war klar, dass es sich um Menschen handeln musste. Überlebende?
    Noomi landete am Anfang des Waldes, noch ein ganzes Stück entfernt von der Stelle, wo die Gruppe von Menschen stand in einem der unteren Äste einer Tanne.
    „Es haben einige überlebt. Aber ich bin mir unsicher, ob du dich ihnen zeigen solltest.”
    „Warum?”, erwiderte Jona verständnislos.
    „Diese Leute dort haben nichts mehr, außer das was sie am Leibe tragen. Ich weiß nicht, wie sie vorhaben sich zu ernähren, ich weiß nicht, was sie als Nächstes tun werden. In meinen Augen, setzt du dein Leben auf’s Spiel, wenn du dich ihnen zeigst”, erklärte Noomi mit emotionsloser Stimme.
    „Du meinst …” Der Hengst brach ab, er wollte den Gedanken lieber nicht in Worte fassen.
    „Komm mit”, meinte das Adlerweibchen sanft, erhob sich von ihrem Ast und flog am Rand des Waldes entlang. Jona folgte ihr, unschlüssig über die Zukunft, die sich gerade vor ihm auftat. Eines war ihm jedoch klar geworden: was immer geschehen war, die Menschen würden nun nicht mehr seine Freunde sein.
    [tab='3. Platz']
    [subtab='Revie']
    Wenn der Himmel weint


    Erneut ging die Sonne über den Horizont auf, tauchte das umliegende Wasser in eine rot-goldene Farbe und verkündete den Beginn eines neuen Tages. Eines weiteren Tages, an dem ein erneuter Kampf ums nackte Überleben stattfinden würde. Wie oft hatte sich Cait bereits gewünscht, dass sie eines Morgens aufwachen würde und endlich wieder saftiges, grünes Gras erblicken könnte oder auch bloß einen kleinen Flecken Erde, welcher sie wieder daran erinnern könnte, wie sie sich früher immer darüber aufgeregt hatte, wenn ihr Shiba Inu an ihr hochgesprungen war, nachdem er sich in irgendeiner Schlammpfütze gewälzt hatte.
    Doch ihr Wunsch blieb auch heute unerhört, noch immer breitere sich der endlose Ozean vor ihr aus, genauso betrübt wie sie es war. Hoffnung war ein Fremdwort geworden, niemand an Bord ihres kleinen Schiffes hatte überhaupt noch den Mut an Hoffnung oder Besserung zu glauben. Wie sollte man auch, wenn man nun schon mehrere Monate, vielleicht war es auch bereits ein Jahr, bloß auf dem Wasser herum trieb und davon lebte, was man mit anderen Menschen tauschen konnte, die man zufällig ab und zu trag?
    Cait hätte niemals daran geglaubt, was aus ihrem Planeten einst werden konnte, wenn sie es nicht selbst miterlebt hätte. Angefangen mit kleinen Berichten in den Medien über Klimaerwärmung und Schmelzung der Polkappen, gefolgt von immer stärker werdenden Naturkatastrophen wie Hurrikans oder Tsunamis, doch nie hatte es sich wirklich so schlimm angehört, als würde das Ende der Welt vor der Tür stehen.
    Doch dann war es da, nicht über mehrere Wochen oder Monate, sondern innert Tagen, in denen sich die Welt um ganze Ecken verändert hatte. Das wenige Land, welches nicht von den tosenden Fluten ertränkt worden war, diente heute nur noch als Schauplatz von blutigen Kämpfen von Gruppierungen, die sich um das letzte noch verbliebene Fleckchen Erde bekämpften, doch einen Sieger gab es nie. Zu viele Menschen strömten jeden Tag nach, in der Hoffnung natürlich, dass sie die Letzten wären, die zurück an Land kommen würden und somit bessere Chancen hatten, dieses für sich zu gewinnen.
    Alle Menschen strömten zu den noch bekannten Plätzen, an denen sich Land befand, doch wer dort ankam, verließ es in der Regel auch nicht mehr. Doch wie er dort verweilte, war eine ganz andere Sache.


    Gähnend erhob sich Cait von ihrem Schlafplatz, der bloß aus mehreren alten Fußmatten und einer Decke bestand, und machte sich auf den Weg nach oben zum Deck, um auch von dort aus das Wasser beobachten zu können, welches sie auch sonst jeden Morgen bereits von ihrem Fenster aus sah.
    Die wenigen anderen Menschen, die mit ihr das Boot teilten, waren ebenfalls bereits auf den Beinen, arbeiteten am Schiff oder versuchten mit den verbliebenen Lebensmitteln etwas zu Essen auf den Tisch zu bringen. Insgesamt waren sie nur noch zu fünft, vor wenigen Tagen waren sie jedoch noch zehn und vor knapp 3 Wochen sogar noch das Dreifache ihrer Zahl. Doch das Essen war niemals genug für alle, auch das Trinkwasser nahm rapide ab und wer nicht verdurstete oder verhungerte, hatte meistens noch mit anderen Leiden wie Krankheit oder Verletzungen zu kämpfen, die sie schlussendlich ebenfalls noch dahin raffte. Auch Cait sah für sich keine bessere Zukunft, auch wenn sie die Jüngste an Bord war, wieso sollte sie überleben und alle anderen sterben? Sie war weder besonders stark, noch irgendwie gewandt in handwerklichen Aktivitäten und Verhandeln konnte sie erst recht nicht. Zu sehr hatte sie immer Mitleid mit anderen, die ihr Schicksal teilten und sie wusste, wenn sie alleine hier gewesen wäre, hätte sie bereits jegliche Lebensmittel an andere verloren, da sie sich niemals in ihrem Interesse durchsetzen konnte.
    Sie hatte nur überlebt, aufgrund der anderen an Bord und wurde auch nur deswegen toleriert, weil sie die einzige war, die mehrere Sprachen auf einmal fließend beherrschte und demnach für Handel mit anderen Menschen kaum eintauschbar war.
    „Cait, mach dass du dich nach oben bewegst und dich nützlich machst! Wir nehmen Kurs auf Hope“, hörte sie einer der Männer rufen, unverkennbar die Stimme von Charlie, nach neben ihr einer der jüngsten auf dem Schiff. Trotz seines Alters war er ein geborener Anführer und Kapitän, regelte jeden Tag aufs Neue wie viel sie Essen durften und wohin sie segeln mussten und übernahm auch die meisten Verhandlungen mit anderen Menschen.
    Der Film Waterworld war ein Mist im Gegensatz zu ihrem Alltag hier und anders als in diesem Spielfilm, wussten die Menschen ganz genau, wo sich Land befand. Und dieses Land, wurde von allen bloß Hope genannt, die Hoffnung auf ein besseres und vor allem überlebbares Leben.
    „Ich dachte wir halten uns vom Land fern. Du weißt doch was passiert, wenn wir in die Nähe davon kommen! In einem Kampf würden wir den Kürzeren ziehen, das weißt du doch“, protestierte Cait verwirrt und sprang auch bereits nach oben zu dem jungen Mann. „Das mag sein… doch wir haben seit Tagen keine anderen Schiffe mehr gesehen, mit denen wir hätten handeln können. Unser Wasser reich vielleicht noch für 3 Tage, danach ist Schluss. Ob wir verdursten oder versuchen uns etwas Land zu erkämpfen, kommt etwa auf das Gleiche heraus, doch wenigstens haben wir noch versucht unsere Haut zu retten. Also stell keine Fragen und tu was ich sage!“
    Solche harsche Antworten waren nicht ungewöhnlich, weswegen sie Cait auch nicht wirklich beeindruckten. Doch sie konnte auch nichts dagegen tun, sie hatten bereits Kurs auf Hope genommen und schon bald würden sie sicher die Geräusche des Gemetzels hören können, welches dort vor sich ging.


    Zwei Tage vergingen wie im Flug. Niemand sprach viel, jede Kursänderung wurde mit Sorgfalt und Bedacht getätigt, damit ja keine unnötige Aufmerksamkeit erregt wurde. Doch ihre Vorsicht war überflüssig, denn niemand war dort, als sie endlich am besagten Land ankamen. Schiffwracks, zerstörte Häuser und gefällte Bäume war alles, was sie dort fangen. Hope brachte keine Hoffnung mit sich, es gab noch nicht einmal Menschen mit denen man sich um irgendetwas bekämpfen konnte, denn es gab nichts mehr, was man hier hätte holen können. Weder Wasser, noch andere Lebensmittel waren hier zu holen, die Menschen die vor ihnen hier gewesen waren, hatten durch ihre Kämpfe noch das zerstört, was ihnen auf dieser Welt zum Überleben verholfen hätte.
    Trübselig starrte Cait auf das kahle Land und sank zu Boden, hilflos anfangend in der Erde mit ihren Fingern herumzustochern, bevor sie hoch in den Himmel starrte. Doch ein einziges, kurzes Gefühl, veränderte alles in ihr. Ein flüchtiger Hauch von Kälte auf ihrer Wange, die nichts mit dem Wind oder der Temperatur der Luft zu tun hatte. Sie führte ihre Hand zu ihrem Gesicht, zeichnete die Linie nach, welche von der Kälte vorgegeben war, nur um festzustellen, dass sie seit Monaten, den ersten Regentropfen auf ihrer Haut spüren konnte. Sie waren nun hier, sie hatten das Land erreicht, doch war es zerstört und vielleicht sogar unfruchtbar. Doch wie der Name des Landes schon sagt, es braucht nur ein kleiner Funken, der die Hoffnung neu entfalten kann. Ein kleiner Funken oder in diesem Falle, ein einzelner Tropfen, der die Botschaft von Süßwasser mit sich brachte.
    Ihre Hand gegen den Himmel streckend, spürte sie wie mehr und mehr Tropfen auf ihre Haut trafen und mit jedem weiteren, trat ein neuer Hoffnungsschimmer am Horizont auf. Wasser war da, es regnete seit Monaten zum ersten Mal wieder, also musste es irgendwo auch Pflanzen geben.
    Mit Wasser, wurde ihr altes Leben beendet… doch mit Wasser würde ein neues Leben auch wieder beginnen… und Cait’s Leben, würde von nun an vielleicht wieder neu beginnen. An dem Tag, an dem der Himmel zum ersten Mal wieder weinte.
    [subtab='Nightmares']
    the ship to eternity


    Schaum quoll aus der sündhaft teuren Sektflasche, als sich der Korken mit einem lauten Knall löste. Gläser klangen. Gelächter erfüllte die verglaste Festhalle. Ausgelassen wurden die ersten Minuten des kommenden Jahres 2115 gefeiert. Doch war die Aussicht auf weitere zwölf Monate in dieser Welt wirklich ein Segen oder doch nur die Fortsetzung eines nicht enden wollenden Alptraums. Einer neuen Epoche, die bei Weitem nicht so perfekt war, wie sie nun von Allen dargestellt wurde. Ewigkeiten, vielleicht aber auch nur wenige Jahre waren vergangen, seit sich alles geändert hatte.
    Immer weiter, immer schneller war das Wasser angestiegen. Zunächst unbedeutende Küstenregionen. Dann einzelne Länder. Und schließlich ganze Kontinente. Einfach alles verschwand in den tosenden Fluten der nicht aufzuhaltenden Wassermassen. Gewaltige Evakuierungsmaßnahmen scheiterten und gnadenlos verschlang der gewaltige Ozean nahezu die gesamte Weltbevölkerung. Unter Hochdruck wurde an einer Lösung gearbeitet, die wahrscheinlich viel zu spät sein würde. Angst. Panik. Entsetzen. Langsam zerfraßen sie die Verbliebenen. Mehr als die Hälfte beging Selbstmord. Ein, in Anbetracht des qualvollen Todes in den schäumenden Wellen des blauen Ungetüms, durchaus nachvollziehbarer Schritt. Alles deutete auf das Ende der menschlichen Ära hin und doch gelang den nur noch wenigen Tausend Erdenbewohnern in letzter Sekunde die Abwendung des vorzeitigen Untergangs. Zumindest für den Moment.
    NovaTerra, eine gewaltige schwimmende Stadt war fertiggestellt. Ausgestattet mit einem unabhängigen Ökosystem, einer sonnenbetriebenen Wasseraufbereitungsanlage sowie durchaus luxuriösen Appartments versprach es Hoffnung auf einen Neubeginn. Geschunden. Verängstigt. Von Alpträumen geplagt bezogen die Menschen ihre neue Zuflucht. Und dann geschah es, das Unglaubliche. Bereits wenige Monate, wenn nicht sogar Wochen später, war Alltag eingekehrt. All das Vergangene war wie ausgelöscht. Die zahlreichen Parties zu allen möglichen Anlässen spielten dabei sicherlich keine unbeduetende Rolle. Ausreichend alkoholische Spezialitäten halfen die Realität zu beschönigen. Und so sollte es auch bei diesem Fest wieder der Fall sein. Ein sinnloses Saufgelage anlässlich des vermeintlichen Beginns eines neuen Jahres.
    Niemand realisierte, dass es keine sorgenfreie Zukunft gab. Nein, voller Freude wurde gefeiert, um dann in letzter Sekunde aufzuwachen und die Ausweglosigkeit zu erkennen. Ein plötzlicher Defekt an der Wasseraufbereitungsanlage, eine Epidemie oder auch nur ein unbemerktes Lack. Alles könnte NovaTerra innerhalb von kurzer Zeit in eine tödliche Falle verwandeln. Das gewaltige Schiff war schließlich doch nur ein kurzfristiger Aufschub des endgültigen Endes. Eine schwimmende Stadt mit Kurs aufs Jenseits.
    [/tabmenu]

  • [tabmenu]
    [tab=Information]
    [subtab=Allgemein]
    Gewinner des 17. Wettbewerbs - Saison 2012
    Klanggeschichten
    Informations-Topic
    Votetopic
    [tab=1.Platz]
    [subtab=Misana]
    Sad Violin - Rising Star


    Die Landschaft rauscht vor dem Fenster vorbei, doch ich habe nur Augen für den Himmel. Strahlend blau gibt er sich heute, lässt uns nicht erahnen, welche Weiten sich hinter ihm noch verbergen. Trotzdem suche ich nach dem Kometen, der mit konstanter Beschleunigung auf unsere Erde zurast. Obwohl mein Vater hoch anerkannter Astronom ist, habe ich keinen Drang dazu, den Weltraum genauestens zu erforschen. Mir reicht die Faszination, die die Größe auf mich auswirkt.
    „Neustadt“, dringt es monoton aus den Lautsprechern der Bahn; meine Haltestelle.
    Da ich nichts mitgenommen habe, kann ich einfach aussteigen. Auf dem offenen Bahnsteig schlägt mir die kalte Frühlingsluft wie eine Wand entgegen und zieht sich in meine Haut. Aber ich habe mich ja nicht wärmer anziehen wollen.
    Viel zu langsam gehe ich durch die Straßen. Gestern Abend hat mein Vater den Kometen entdeckt, der unumgänglich auf die Erde stoßen wird. Irgendwann während des heutigen Tages wird die Welt davon erfahren. Und morgen ist es zu spät. Mit jeder Sekunde, die verstreicht, kommt der Komet - oder inzwischen vielleicht schon eher Meteor - schneller auf die Erde zu. Eine Unruhe, eine eiserne Hektik, ummantelt von dem Bewusstsein, dass das alles nichts mehr bringt, legt sich um mein Herz. Um mich herum geht das Leben seinen normalen Lauf – die Ruhe vor dem Sturm. Wir haben kaum noch mehr als vierundzwanzig Stunden, von denen ich wieder zwei mit der Zugfahrt zurück vergeuden werde. Trotzdem beschleunige ich meinen Schritt nicht. Wenn ich Pech habe, ist er noch nicht einmal da.
    Hinter der nächsten Ecke ist es, das blaue Haus, in dessen Dachgeschoss Lukas seine Wohnung hat. Er muss einfach da sein! Ich kann nicht auf meinen Tod warten, ohne dass er mir verzeiht. Mein Handeln hat unsere Familie auseinander gebracht. Ich kann es mir ja selber nicht vergeben…
    Die Tür stand offen, jedenfalls kann ich mich nicht daran erinnern geklingelt zu haben, als ich jetzt durch das alte Treppenhaus laufe. Einen Fahrstuhl gibt es nicht, man muss die hölzerne Treppe nehmen; das war immer eine Bedingung für seine Wohnung gewesen.
    Ich gehe immer noch so langsam und doch stehe ich viel zu schnell vor seiner Tür. Was soll ich denn bloß sagen?
    Ich klingele. Die Sekunden vergehen und ich spüre förmlich den Kometen näher kommen.
    Er öffnet, mustert mich eindinglich. Erkennt er mich nicht?
    Dann tritt er einen Schritt zur Seite und lässt mich so in die Wohnung. Es ist viel ordentlicher, als ich es mir vorgestellt hätte. Die Sofakissen liegen gerade auf der Couch und auf dem Tisch davor liegt keine einzige Chipstüte. Die kleine, offene Küche im Hintergrund strahlt förmlich vor Sauberkeit. Wow.
    „Was willst du hier, Malika?“ Abweisend, hart. Es tut weh ihn so zu hören, aber ich bin nun mal selbst schuld.
    „Ich möchte dich um Verzeihung bitten.“ Ich sehe ihm in die Augen, flehend, suche nach irgendetwas, nach irgendetwas… Aber sein Blick ist genauso hart, wie seine Stimme.
    „Warum sollte ich dir vergeben? Hast du eine Ahnung, was du mir angetan hast?“ Jetzt wird er laut, brüllt mich an mit all der Wut, die sich in den letzten Jahren in ihm angestaut hat. Ich kann es ihm nicht verdenken.
    Ich schweige und Lukas beruhigt sich wieder. Er war nie der Mensch, der schnell laut wird. So ist er nicht. Aber wer sollte es ihm jetzt verdenken?
    Wieder verstreichen wertvolle Sekunden, aber einfach wieder in seiner Nähe zu sein, lässt die Zukunft weniger grausam erscheinen. Ich sollte es ihm sagen.
    „Papa hat einen Kometen entdeckt, der geradewegs auf die Erde zurast. Morgen Abend.“ Seine Mine rührt sich kein Stück, mir allerdings steigen die Tränen in die Augen. „Bitte.“ Ich schluchze. „Bitte… Alles, was ich will, ist, dass du mir vergibst.“
    Eine Träne, feucht und salzig, erreicht meinen Mundwinkel, während ich auf seine Antwort warte. Wie gerne würde ich wissen, was er denkt. Wir waren doch unzertrennlich…
    „Ich muss darüber nachdenken.“ Erneut schwingt keinerlei Emotion in seiner Stimme mit. Wie kann er seine kleine Schwester hier nur so stehen lassen? Er kennt doch die Arbeit unseres Vaters. Er hat sich nie geirrt.
    Lukas hält mir die Tür auf; ein eindeutiges Zeichen, dass ich gehen soll. Warum nur? Neue Tränen laufen über meine Wangen, während ich ihn noch ein letztes Mal in meinem Leben betrachte. Er ist älter als in meiner Erinnerung - natürlich. Die braunen Haare sind nun korrekt frisiert und seine Gesichtszüge scheinen auch von sich aus härter zu sein. Seine blauen Augen wie Eis. Keinen Funken der Lebensfreude kann ich noch darin erkennen; ich habe sie ihm genommen.
    Ich brenne mir dieses Bild in mein Gedächtnis, ich will es nicht verlieren. Nach Sekunden der Stille schließt er die Tür und lässt mich alleine im Treppenhaus stehen. Alleine; das ist alles was ich fühle.
    Auf dem Weg zurück auf die Straße sind meine Tränen getrocknet. Die Hektik ist inzwischen komplett aus meinem Körper gewichen und ich spüre nur noch eine seltsame, unnatürliche Ruhe, die von der teilweise stechenden Kälte dieses frühen Nachmittages nur noch verstärkt wird. Um mich herum fangen die Menschen an, panisch herumzulaufen, in eine Schockstarre zu verfallen oder in ihren Emotionen zu versinken. Als ich an einem Schaufenster vorbeigehe, in welchem ein Fernseher läuft, erkenne ich den Pressesprecher meines Vaters. Sie wissen es. Doch irgendwie dringt nichts zu mir durch. Ich sehe das meiste nur noch verschwommen. Er wird mir nicht verzeihen. Wir werden nie wieder eine Familie sein… Ich werde ihn nie wiedersehen.
    Wie in Trance laufe ich zum Bahnhof. Ein Wunder, dass die Züge noch fahren.


    „Schatz, du kannst sowieso nichts mehr tun.“
    Überrascht sehe ich auf. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass meine Mutter in das Observatorium kam. Jetzt legt sie meinem Vater die Hände um die Hüfte und zwingt ihn mit einer sanften Bewegung, sich zu ihr umzudrehen.
    Stumm blicke ich zum Himmel. Ich habe das Gefühl für die Zeit verloren. Die ersten Sterne tauchen gerade am Firmament auf. Vielleicht sind einige von ihnen schon vor tausenden von Jahren verloschen… Ob man sich auch so lange an die Erde erinnern wird?
    „Wie viel Zeit bleibt uns noch?“, frage ich. Ich bin nicht ängstlich, nicht panisch. Die Ruhe von gestern lässt mich nicht mehr los, allerdings versinke ich immer mehr in meiner eigenen Schuld und der Verzweiflung, dass Lukas mir nie vergeben wird.
    „Nur noch ein paar Minuten.“ Mein Vater klingt, als wolle er noch das Beste aus der Situation herausholen. „Vielleicht sollten wir rausgehen, dann haben wir einen besseren Blick.“ Er lächelt und küsst meine Mutter sanft auf die Stirn. Ich werde nie die wahre Liebe finden, nie wieder dieses Gefühl spüren; nur noch wissen, dass ich im Leben vor allem als Schwester versagt habe.
    Ein letztes Mal werfe ich mich meinen Eltern um den Hals, küsse sie und vergieße nun doch Tränen. Vielleicht habe ich es verdient; sie nicht.
    Auf der Wiese vor dem Observatorium gehe ich ein paar Schritte weiter; ich will sie nicht sehen. Ich kann es nicht.
    Nachdem der letzte Tag wie die Landschaft im Zug an mir vorbeigerauscht ist, vergeht nun die Zeit wieder schleppend langsam. Und trotzdem spüre ich noch immer keine Angst. Die bleierne Ruhe lässt mein Herz nicht mehr frei.
    Plötzlich höre ich ein Schluchzen, einen Freudenschrei meiner Mutter, doch ich drehe mich nicht um, ich bin wie gelähmt. Der Himmel wird dunkler, die Sterne immer deutlicher zu erkennen. Kurz schließe ich die Augen. Bald ist es vorbei.
    „Es tut mir leid.“
    Allein der erste Laut reist mich aus meiner Trance. Schlagartig öffne ich die Augen wieder. Bilde ich mir das nur ein? Steht er da wirklich?
    „Ich hätte nicht so stur sein sollen, wirklich.“ Lukas hält mir seine Hand entgegen; er sieht völlig fertig aus. Langsam greife ich zu, während er die lang ersehnten Worte ausspricht: „Natürlich vergebe ich dir.“
    Seine Hand schließt sich um meine und ich umarme ihn. Es gibt doch noch Wunder. Die Tränen zurückzuhalten, ist einfach unmöglich, aber vielleicht ist das ja einfach meine Art.
    Zusammen mit Lukas stehe ich nun da und warte auf unseren Tod. Wie eine immer größer werdende Sternschnuppe taucht der Meteor am Himmel auf. Es ist, als würde die Sonne auf uns zufliegen, so hell und warm scheint der Feuerball.
    „Es ist unglaublich, oder?“
    Alles verläuft ganz schnell kaum ein paar Sekunden sind es und doch unendlich lang. Nur Sekunden verstreichen, wertvolle Sekunden. Ein letztes Mal sehe ich Lukas ins Gesicht, während der Meteor unser Umfeld schlagartig erhitzt.
    „Du hast Recht“, erwidere ich dann mit einem letzten Blick zum Himmel, einem letzten Atemzug, „er ist wunderschön.“
    [tab=2. Platz]
    [subtab=Aprikose]
    Das Pfadfinder-Mädchen


    Aufmerksam und mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen schritt das kleine Mädchen munter und bedächtig durch die engen, graugefüllten Gänge. Stets und ständig öffnete sie Tür um Tür, doch erwartete sie stets nichts weiter als das dunkle, dumpfe Schimmern des kalten, rostumsäumten Eisens, wie es sich mit wütendem Elan in festgelegten Bahnen durch die feuchtgekühlte Luft von allen Räumen sägte.
    Sie lachte glücklich auf, als sie erneut jemanden entdeckte, wie sie, still und starr verstreut im Innern dieser ewigen Gemäuer, zu Tausenden hier unten standen. Mit einem breiten Grinsen zog das kleine Mädchen, wohl kaum hatte sie das zehnte Lebensjahr erreicht, ein Skalpell aus ihrer Tasche, stellte sich auf einen kleinen Hocker, den sie mit sich herumtrug, um zum Gesicht der junge Frau zu gelangen, die sie gefunden hatte. Ohne Regung – nicht einmal ein Blinzeln entfuhr der versteinerten Dame – nahm sie die Prozedur hin, der das Mädchen ihr zu unterziehen im Begriff war, indem sie das scharfe Messer geübt über die glatte Stirn wandern ließ und ein Zahnrädchen aus ebenjener hervorzog.
    Nicht ein einziger Tropfen Blut drang unter der Haut empor. Kaum hatte das Mädchen erhalten, was sie brauchte, ließ sie von der hübschen Frau ab, die nun einen kaum sichtbaren Spalt auf ihrem schönen Antlitz zu beklagen hätte, wenn sie denn noch hätte klagen können.
    Doch wie jeder der vielen Menschen hier, konnte auch sie sich nicht mehr regen, auch nicht denken, nicht verschmähen und keinen Protest äußern. Das junge Mädchen – es nannte sich selbst »Luka«, weil niemand anders existierte, der ihr einen Namen hätte geben können – konnte skrupellos den naiven, kindlichen Ideen nacheifern, die sich in ihrem Kopf bildeten, ohne Angst vor irgendwelchen Konsequenzen, denn hier in diesem grauen Labyrinth, wo sich Zeit nur durch die Strecke definierte, die sie hinter sich brachte, gab es nichts und niemandem, der sich ihr in den Weg stellen konnte.
    Jetzt stand sie vor einem Tisch, an dem ein alter Mann mit langem, verzopften Bart in einem Buch las, das nun schon seit rund einer Ewigkeit keinen Seitenumschlag mehr erlebt hatte. Zunächst tat Luka das, was sie immer Tat: Ein Schnitt in der Stirn. Diesmal erbeutete sie eine kleine Schraube, die sie wie alles andere in ein Säckchen an ihrer Hüfte gleiten ließ, dann sah sie sich das Buch näher an. Reise zum Mittelpunkt der Erde. Ein schlanker, alt aussehendes Umschlag verband viele gelbe, dicke Seiten miteinander – und das für immer! Aus Mitleid mit dem alten Buch blätterte Luka eine Seite weiter.
    Sie hüpfte drei Schritte rückwärts, um die Situation von der »Ferne« zu betrachten, zeigte sich mit ihrer Tat zufrieden und drehte sich für immer um. Im nächsten Raum stand ein Mädchen ihres Alters mit einem kleinen Rotor im Kopf, neben ihr jemand, der aussah, wie ihr Vater. In ihm verbarg sich eine Mutter.
    Je weiter sie lief, desto schwerer wog ihr Säckchen. Doch als würde es ihnen nichts ausmachen, trugen ihre Beine sie von Ort zu Ort, vorbei am düsteren Klicken der Wände und am Wanken der zischenden Rohre unter ihren Füßen und über ihrem Kopf. Einer alten Frau mit faltenzerfurchtem Gesicht, die gerade einen Revolver lud, entlockte sie eine goldgelbe Flüssigkeit, zäh wie Harz, alt wie Bernstein und mit einem süßlichen Geruch wie Honig, der sich unter den beißenden Gestank der öligen Machenschaften legte, die das Wirrwarr der Räumlichkeiten in Schilde führten. Ein solcher Saft drang nur aus wenigen Menschen, doch ihn behütete Luka besonders, indem sie ihn in ein dichtes, dickes Glas laufen ließ, in dessen Inneren sich noch weitere tropfen befanden, die sich miteinander nicht vermischten, sondern an einander anfügten wie Bienenwaben.
    Im nächsten Raum wartete ein gelber Tiger, den an einer Tafel mit Kreide in der Hand die Ewigkeit beim Rechnen unterbrochen hatte. Aus Respekt schnitt Luka ihn nicht auf. Sie hatte gelernt, dass man Tiere wertschätzen musste. Sie würde ohne das Teil in seiner Stirn auskommen müssen.
    Allerdings konnte es sich das kleine Mädchen nicht nehmen lassen, ihn ein paar Minuten lang zu streicheln. Beglückt malte sie sich aus, wie er sie jetzt bei Haut und Haaren verschlingen würde, wenn er es nur könnte.
    Nach mehreren dutzend weiterer Räume entschied sie sich, es für den heutigen Tag gewesen sein zu lassen. In jedem Raum – egal in welchem, existierte stets dieselbe Tür an irgendeiner Wand, eine Tür, die immer zurück zum Ausgangsraum führte, einer großen Halle, in der Luka geboren wurde. Am Ende eines jeden Tags kehrte sie dorthin zurück.
    Sie drückte die Klinke der alten Tür hinunter, die zu quitschen begann wie ein ungeöltes Getriebe, und kaum drückte sie sie auf, blies ihr ein starker Windstrom ins Gesicht, sodass sie sich schütteln musste, bevor sie hindurch ging.
    Der große Urpsrung, wie sie ihren Raum nannte, übermannte sie sofort mit seiner Pracht: Der einzige Ort, an dem Pflanzen wuchsen, an dem sie den Boden unter ihren nackten Füßen spürte und wo sie sich zuhause fühlte. Laut lachend rannte sie umher, dann nahm sie das schwere Säckchen von ihrer Hüfte und brachte es zu einer Ecke unter einer Palme, in der sie ihre Werkstatt aufgebaut hatte. Sie schüttelte die Teile aus und machte sich daran, Stück für Stück an ihrem Werk weiterzubauen. Luka musste sich selbst beibringen, wie alles funktionierte, probierte herum, was nirgends passte ließ sie vorerst fallen. Immer mehr nahm ihre Maschine Form an, doch weder wusste sie, wann sie fertig würde, noch, was dann geschehen könnte. Und trotzdem baute sie unermüdlich weiter, schritt umher und durchwanderte das Nichts.
    Schließlich ermüdete sie von der anstrengenden Arbeit, denn es erforderte viel Konzentration, die passenden Stellen zu finden, an denen ihre neuen Stücke passten. Teile ihrer Maschine bewegten sich bereits und arbeiteten unermüdlich, doch sie wusste nicht, woran.
    Schließlich erinnerte sich Luka an ihr Glas, hielt es mit ausgestrecktem Arm vor sich und grinste es an. Dann rannte sie zu ihrem Teich – einem kleinen Becken, das schon zur Hälfte mit der goldenen Flüssigkeit aus den Köpfen der Menschen gefüllt war. Sie goss den neuen Inhalt ihres Glases hinein. Dann tat Luka etwas, das sie sich selbst verboten hatte, und doch brach sie ihre Regel jeden tag aufs Neue: Sie zog sich aus und badete in ihrem eigenen Teich. Denn obwohl sie wusste, dass man mit den Seelen der Menschen nicht spielen sollte, so fühlte sie sich nicht mehr alleine, wenn sie sich unter ihnen befand. Sie hörte leise flüsternde Stimmen, ein durcheinander und ab und zu gar ein paar klare Worte, doch nichts, das ihre Langeweile vertreiben konnte – nur ein Stückchen ihrer Einsamkeit.
    Schließlich stieg sie wieder heraus und legte sich schlafen. Nie wusste sie, wie lange sie schlief. Jeden Morgen sah die Vegetation der Halle völlig anders aus, einige Bäume waren gealtert, einige schienen nun jünger, andere verschwanden gänzlich und kein Busch saß mehr an seinem alten Platz. Dennoch schien Luka, als würden diese Pflanzen nur für sie wachsen, denn sie konnte jede von ihnen essen und wurde davon satt. So tat sie sich auch an diesem Morgen gütlich und verschwand dann wieder durch die selbe Tür, durch die sie eingetreten war.
    Vorbei an vielen Menschen, stets mit dem gleichen Ziel, arbeitete sie sich weiter und weiter, Tag um Tag, immer voran und ohne je einen Blick nach hinten zu verschwenden.
    Bis sie schließlich wieder zurückkam. Zurück zur jungen Frau, der sie vor zumindest einer Ewigkeit ein Zahnrädchen aus der Stirn geschnitten hatte.
    Die verwunderung wischte das Lächeln von Lukas Gesicht. Das können doch nicht schon alle gewesen sein!, dachte sie, ich habe die Maschine noch nicht fertig! Sie lief weiter – vorbei am alten Mann und allen anderen, bis sie zum Tiger gelangte.
    Sie sah ihn sich genau an, dann besah sie die Tafel und konnte schwören, dass er in seiner Rechnung vorangekommen war. Sie lächelte wieder, dann nahm sie sich einen Hocker und schnitt dem Tiger eine Unruh aus der Stirn.
    Zuhause angekommen, baute sie fertig, was sie begonnen hatte.
    Über alle Maße erfreut taufte sie es Uhr.
    [tab=3. Platz]
    [subtab=Asaki]
    Licht der Träume


    Die Nacht war kalt und sternenklar. Zartes Sternenlicht spiegelte sich in dem frisch gefallenen Schnee und feine Eiskristalle tanzten in der frostigen Luft. Es war ungewöhnlich kalt, besonders für eine Großstadt. Normalerweise reichten die niedrigen Temparaturen gerade mal soweit, den Schnee für einige Tage liegen zu lassen. Nun hielt sich die weiße Pracht schon seit mehreren Wochen und der immer wieder neu fallende Schnee legte sich wie eine weiße Decke über die Stadt.
    Im oberen Stockwerk einer Bäckerei, inmitten einer ruhigen Wohngegend schlief seelig ein kleiner Junge. Die Lider zuckten unruhig im Schlaf und er murmelte unablässig vor sich hin. Ein allgegenwärtiges Lächeln zog sich über seine Lippen und er lachte ab und an. Als er seinen Arm ausstreckte, um nach etwas nur für ihn sichtbarem zu greifen, wachte er auf. Einige Herzschläge lang blickte er nur sehnsüchtig auf seine Hand. Dann seufzte er und ließ den Arm langsam wieder sinken. Dabei drehte er sich auf die Seite und sah von seinem Hochbett aus auf seinen Schreibtisch. Ein kleiner Notizblock lag dort aufgeschlagen inmitten von Stiften und Papier und zeigte auf seiner ersten Seite einen roten Dinosaurier mit Fledermausflügeln ähnlichen Ohren. Schwarze Abzeichen waren auf dem weißen Bauch und den Armen zu sehen, welche in langen Klauen endeten.
    "Ach Guilmon..." Die Augen lagen lang auf der Zeichnung des Zehnjährigen, bevor sich die Lider müde wieder schlossen und er zurück ins Land der Träume kehrte.
    Eine leichte Brise erfasste das Blatt Papier und riss es von dem Notizblock. Wie von unsichtbaren Flügeln getragen schwebte es einige Male durch den Raum, bevor es einfach durch das Glas des Fensters glitt und hinaus in die Nacht flog. Der Wind zerrte mit eisigen Fingern an dem Papier und scheuchte es unbarmherzig vor sich her wie eine große Schneeflocke.
    Mit einem verspielten Pfotenhieb pflückte sich eine kleine weiße Katze das Papier aus dem kalten Luftstrom. Sie mauzte verzückt und begann, mit dem Stück Papier zu spielen.
    In dem Moment leuchtete der Kartenscanner im Zimmer des Jungen auf.


    Nachdenklich blickte ein einsamer Schatten inmitten der verworrenen Zweige einer Eiche in den tintenschwarzen Nachhimmel. Nur einige Sterne leuchteten in der ewigen Dunkelheit, doch ihr Licht reichte nicht weit genug, um die Schatten der Nacht zu verjagen. Einzig der Mond hätte dies vermocht, doch der Himmelsbruder ließ sich noch nicht blicken. Dem Schatten war dies nur Recht. Er bevorzugte es, sich unentdeckt zu bewegen. Nicht, dass es ihm am Tage nicht möglich wäre. Als Symbol für das Gleichgewicht von allem war er ebenso dem Licht als auch der Dunkelheit angetan, und doch fühlte er sich freier, wenn er nicht befürchten musste, bei einer falschen Bewegung entdeckt zu werden. Besonders, wenn der Pelz eine solch auffällige Farbe trug.
    Die typischen Nachtgeräusche einer Großstadt lagen in der Luft, ebenso der schwere Geruch der Abgase und zu vieler Menschen auf zu wenig Raum. Aus Gewohnheit rümpfte der Schatten abfällig die Nase. Er würde diese Rasse niemals verstehen. Es war auch gar nicht seine Aufgabe, das zu tun. Er hatte sich nur aus rein praktischen Zwecken mit ihnen eingelassen. Angeblich konnten Digimon schneller auf das nächste Level digitieren, wenn sie einen so genannten Tamer hatten, der Begriff für einen Menschen, der sich ein Digimon als Partner erwählt hatte. Bisher waren die Versuche von ihm und seinem Menschen unfruchtbar geblieben, doch er war sich sicher, dass es bald soweit sein würde. Obwohl er erst seit kurzer Zeit in dieser Welt war, hatte er schon unzählige Daten von anderen Digimon in sich aufgenommen, die sich in diese Welt verirrt hatten.
    Ein kurzer Stich zog sich durch sein Herz. Alarmiert blickte er auf. Es war sein Gefühl für das Ungelichgewicht, das ihn die anderen Digimon fühlen ließ. Jedes Mal, wenn ein Digimon den Weg in diese Welt fand, versetzte es die Luft in Schwingungen und brachte sie durcheinander. Der Schatten konnte sie dann aufspüren und zur Strecke bringen. Zunächst noch ein wenig unschlüssig, ob er seine Partnerin wecken sollte, sprang er mit einem Satz von seinem Baum und sprintete dann schließlich auf die Quelle der Schwingungen zu. Rika würde schon von ihrem D-Power geweckt werden, sie würden sich schon noch treffen, bevor er sich dem Digimon stellen würde.
    Trotz des tiefen Schnees kam er gut vorran. Er schien förmlich über dem Boden zu schweben. Seine Pfoten hinterließen nur schwache Abdrücke. Doch je weiter er kam, desto mehr hatte er das Gefühl, dass da was nicht stimmte. Obwohl er schon fast am Ausgangspunkt der Störung angelangt war, konnte er noch nichts von dem geheimnisvollen Nebel wahrnehmen, der sonst die Ankunft eines Digimon verriet und sich schützend um das Kampffeld legte, um neugierige Blicke fernzuhalten. Auch konnte er nichts außergewöhnliches wittern.
    Schließlich wurde er langsamer und sah sich aufmerksam um. Die Ohren zuckten unruhig hin und her. Was, wenn es sich gar nicht um ein Digimon handelte? Wenn es irgendetwas anderes war, das das Gleichgewicht der Welt gestört hatte?
    Der gelbe Fuchs war inzwischen zu einem langsamen Trott verfallen und prüfte sorgfältig die Umgebung. Bei einer unscheinbaren Gasse hielt er inne. Trotz seiner hervorragenden Nachtsicht konnte er nichts erkennen; die Hauswände warfen lange Schatten in den Gang. Vorsichtig trat er vor, alle Sinne angespannt. Er konnte nicht sagen, ob die Quelle des Ungleichgewichts gut- oder bösartig war. Nicht, dass es ihm etwas ausmachen würde. Er war sich seiner Stärke durchaus bewusst. Ein gutartiges Wesen würde ihn nur nicht sofort aus dem Dunkel heraus angreifen.
    Als er einen Müllcontainer passierte, ließ ein Geräusch ihn herumwirbeln, die Krallen bedrohlich erhoben, doch dann atmete er erleichtert aus. Eine weiße Katze, offenbar noch ein Jungtier, saß in der Ecke zwischen Container und Hauswand gedrängt und fauchte. Langsam ließ der Schatten die Klauen wieder sinken. Auch die Katze hörte auf zu fauchen, doch ihre Seelenspiegel funkelten ihn unentwegt misstrauisch an.
    "Ich tu dir schon nichts", meinte er gelassen und sah sich wieder in der Gasse um. Doch das merkwürdige Gefühl war gewichen. Dies war nur noch eine leere, unscheinbare Gasse. Sein Blick fiel wieder auf die Katze. Zu ihren Pfoten lag ein Stück Papier im Schnee. Offenbar hatte sie damit gespielt. Vorsichtig hob er es auf und betrachtete es, doch es war nur das leere Blatt eines Notizblocks. Achtlos knüllte er es zusammen und warf es zurück auf den Boden. Die Augen der Katze folgten jeder seiner Bewegungen.
    "Sehr merkwürdig..."
    Mit einem letzten Blick auf die Katze zog sich der Schatten wieder auf die Straße zurück. Der Mond war inzwischen aufgegangen und tauchte die Stadt in hellsilbernes Licht. Was auch immer dieses Gefühl in ihm ausgelöst hatte, nun war es verschwunden. Langsam schlug er den Weg zu Rikas Haus ein. Ihr Garten eignete sich inmitten der Großstadt am besten zum Nachdenken.
    Das Geräusch von knirschendem Schnee ließ ihn wieder innehalten. Die kleine weiße Katze war ihm aus der Gasse gefolgt. Statt Misstrauen war nun Neugier in ihrem Blick zu lesen. Eine angenehme Wärme streifte sein Herz, wie ein sanfter Windhauch.
    Bist du sicher, dass das dein größter Traum ist?
    Der Schatten blieb wie angewurzelt stehen. Was war hier los? Er hatte die Worte klar und deutlich in seinem Kopf gehört. War das etwa diese unscheinbare Katze gewesen?
    Du musst Geduld haben. Körperliche und Geistige Stärke sind voneinander abhängig. Du kannst dich nicht weiterentwickeln, wenn deine Seele noch nicht bereit dafür ist.
    Mit diesen Worten wandte sich die Katze wieder ab und lief mit erhobenen Schwanz die Straße hinunter. Das weiße Fell leuchtete im Mondlicht hellsilbern auf, doch der Schatten hatte das Gefühl, dass es nicht das Mondlicht war, das das Fell der Katze zum Leuchten brachte.

  • [tabmenu][tab=Information][subtab=Allgemein]Gewinner des 18. Wettbewerbs - Saison 2012
    Bildgeschichte
    Informations-Topic
    Votetopic[tab='1. Platz'][subtab='Pika!']Ewig Einsam


    Wenn man die meiste Zeit einsam ist, fängt man langsam an, sich Dinge zu fragen. Warum man einsam ist, zum Beispiel. Welche Umstände es waren, wegen denen man jetzt genau hier steht, abseits der anderen und mit keiner sonstigen Gesellschaft als den eigenen Gedanken.
    Nun, zumindest das stimmt nicht ganz. Ich hatte immer irgendwelche Gesellschaft. Da waren die Vögel, die tagtäglich in meinen Ästen ihre Lieder sangen oder darin nisteten. Ständig hat es mich irgendwo gekitzelt, wenn ein Insekt an meiner Borke hochkrabbelte oder sich in sie hineinbohrte. Nicht zu vergessen der Wind, mit dem ich spielte, wenn er mich besuchte.
    Aber ich spürte, dass das nicht alles sein konnte. Von meinem erhöhten Posten aus war es mir möglich, kleine Wälder zu sehen. Bäume sind dafür geschaffen, in Gruppen beieinanderzustehen und über ihre Wurzeln mit ihren Artgenossen zu schwatzen und ihre Seelen untereinander auszutauschen. Doch in meiner Wurzelnähe gab es nur Gras und ein paar Blumen. Nichts, mit dem ich über den Sinn eines einsamen Lebens philosophieren konnte.
    Bis eines Tages ein Wesen auf meinem Hügel auftauchte, das ich noch nie gesehen hatte. Es war kein Vogel, dafür war es zu groß, hatte keine Federn und konnte nicht fliegen. Auch kein Eichhörnchen, dafür fehlten ihm das rote Fell und der buschige Schwanz. Aber durch meine Wurzeln konnte ich seine Körperwärme spüren, die sonst nur wenige Vertreter meiner Gäste an sich haben. Das sonderbare Wesen ließ etwas in den Himmel aufsteigen, das jedoch ebenfalls kein Vogel war: Es schien nicht selbstständig zu fliegen, sondern wurde von meinem Freund, dem Wind, in der Schwebe gehalten; eine Schnur hinderte es daran, in unbekannte Gefilde zu entkommen.
    Das kam mir bekannt vor, und ich verstand, dass das neue Wesen mit den Böen spielte, so wie ich es immer mit Ästen und Blättern tat.
    Nicht lange, nachdem mein erster Besucher den Hügel erklommen hatte, kam noch ein zweiter dazu. Erst jetzt erkannte ich, dass sie beide unterschiedlichen Geschlechts waren, so wie viele der Tiere, die ich in meiner Krone beherbergte. Demnach waren sie vielleicht ein Paar oder gehörten zumindest zusammen. Sie wechselten sich ab, das blütenbunte Blatt, das der Wind in der Luft hielt, steigen zu lassen, oder jagten sich gegenseitig, wie es die Eichhörnchen manchmal taten.
    Und obwohl ich ihre Spezies noch nie gesehen hatte, ihre Emotionen nicht lesen konnte, drangen sie über meine Wurzeln in meine Blätter ein. Ich nahm ihre Freude wahr, ihre Zuneigung zueinander, die schon beinahe so alt war wie sie selbst. Manchmal stritten sie sich, und auch dann vernahm ich ihren Ärger, aber das erste Wesen sammelte in diesem Fall ein paar Blumen zusammen und gab sie dem anderen. Dann war meist aller Ärger schnell vergessen.
    Bald erkannte ich, dass meine beiden Gäste nicht, wie ich zuerst angenommen hatte, schon ausgewachsen waren. Ich weiß nicht, wie viele Sternenaufgänge an mir vorübergingen, während ich ihnen dabei zusah, wie sie heranwuchsen. Auch wenn es mir zunächst nicht auffiel – ich war es gewöhnt, dass Jungtiere innerhalb weniger Wochen heranreiften. Eine seltsame Gattung war das, die dafür so lange brauchte.
    Stumm beschenkte ich sie mit meinen Gaben, durch die Jahreszeiten hindurch: Im Frühling brachte ich nur die zartesten Blüten hervor und erfüllte die Luft mit einem süßlichen Honigaroma, das emsig summende Bienen und leuchtend bunte Schmetterlinge anlockte. In der Sommerzeit kleidete ich mich in ein Blättergewand, das ihnen die ideale Mischung aus Schatten und auch Sonne spendete. Dieses Laub warf ich sodann im Herbst in den schönsten Farben ab, sodass es den Boden um mich herum damit einfärbte. Und im Winter fing ich jede Schneeflocke auf, die an meinen Ästen vorbeirieselte, damit sie darunter trocken blieben und sich dennoch am Anblick der weißen Pracht erfreuen konnten.
    Was ich ihnen schenkte, nahmen sie an: Sie genossen den Blütenduft, dösten in den Blätterschatten, tollten im Laub und kauerten, sich gegenseitig Wärme spendend, neben meinem Stamm. Nie sprachen sie Dank dafür aus, doch in ihrer Freude pulsierte aller Dank, den ich mir wünschte.
    Kaum ein Tag blieb aus, da sie sich nicht auf dem Hügel trafen, und die freundschaftliche Zuneigung ihrer Kindheit wuchs zu Liebe heran, wie sich eine Knospe zur wunderschönen Blüte öffnet. Das eine oder andere Erste Mal zelebrierten sie unter meinen Ästen, die ich schützend über sie breitete und selbst dem Wind gebot, sie sich selbst zu überlassen.
    Ich beobachtete, wie aus zwei Herzen eins wurde, wie sie langsam verschmolzen. Es war eine wundersame Erfahrung, eine Seele in zwei Körpern zu spüren, und doch hatte jeder für sich seine Individualität behalten. Manchmal fragte ich mich, ab das das Prinzip ist, mit dem auch Baumseelen in Wäldern miteinander verwachsen – ich werde es wohl nie erfahren.
    Aber ich erkannte auch, was der Sinn meines einsamen Lebens war: Allein für sie da zu sein.


    So verging die Zeit. Auch wenn die beiden fast jeden Tag zu mir kamen, kam es vor, dass sie sich nicht blicken ließen. Doch es war nicht so, dass mich das traurig stimmte. Mir war die Gewissheit Trost, dass sie am nächsten Tag gewiss kommen würden.
    Doch irgendwann begannen diese Tage, immer häufiger zu kommen, ja sogar in immer länger werdenden Ketten. Es war nicht ihre Abwesenheit, die mir dabei Sorge bereitete, sondern ihre Häufigkeit. Wenn sie endlich kamen, erklommen sie meinen Hügel nur sehr langsam. Über meine Wurzeln konnte ich spüren, dass das weibliche Wese immer schwächer und kränker wurde. Sie so zu sehen, erfüllte mich mit Trauer. Aber ihr Gefährte, wenn auch selbst nicht mehr erfüllt mit der Kraft der Jugend, spendete ihr Hoffnung. Ich wusste, wenn die beiden sich nicht hätten, wäre sie schon lange aus dem Leben geschieden.
    Wenn sie dann also die große Anstrengung auf sich nahmen, mich auf meinem Hügel zu besuchen, ließen sie sich an meinen Stamm gelehnt nieder. Und wenn sie dann in meine Äste heraufsahen und in ihren Augen Freude und Erinnerungen leuchteten, konnte ich gewiss sein, dass ich für sie alles richtig gemacht hatte.
    Doch auch das konnte leider nicht ewig weitergehen. Eines Tages kamen viele Mitglieder der mir noch immer unbekannten Art auf den Hügel, allesamt in schwarzes Tuch gekleidet. Den Mann meiner beiden Gäste jedoch erkannte ich unter allen anderen sofort – aber ich fragte mich, wo seine Gefährtin war. Wenn sie zu mir gekommen waren, hatten sie das immer gemeinsam getan.
    Was ich bereits ahnte, aber nicht wahrhaben wollte, stellte sich nun doch als bittere Realität heraus: Ein Holzsarg wurde auf meinen Hügel geschafft, und kaum, dass er den Boden berührte, wusste ich, wer sich darin befand. Sie hoben ein Loch aus unter meinen Ästen, zwischen meinen Wurzeln, und ließen sie darin ins Grab hinab. Ein Kreuz markierte wie ein kleiner, kahler Baum die Stelle, an der die Erde sie aufgenommen hatte.
    Ich legte die Wurzeln schützend um den Sarg und tastete vorsichtig nach ihrem Geist. Ich spürte Erinnerungen, die sich mit meinen deckten, aber auch so viele glückliche wie auch traurige, die an anderen Orten geschaffen wurden. Vor allem spürte ich ihre Seele, die jetzt nicht mehr mit der ihres Gefährten Eins war. Was niemals hatte getrennt werden dürfen, hatte der Tod kaltblütig auseinandergerissen.
    Mein zurückgebliebener Gast war der Einzige, der das Grab besuchte. Er kam auf den Hügel, wie er es immer getan hatte, nur jetzt wartete seine Gefährtin hier schon auf ihn. Du wirst Dich gewiss daran erinnern, an seine tiefe Trauer ob des Verlusts, denn zu dieser Zeit hast auch Du hier zu keimen begonnen. Seine tristen Gedanken sickerten durch meine Wurzeln wie Regenwasser, und so, wie ihre Freude mich hatte gedeihen lassen, machten diese mich krank. Ihre ganze Lebensspanne hatte ich sie begleitet und war nun auch nicht mehr der frischeste Sprössling.
    Aber ich setzte mir ein Ziel, eine Aufgabe, die ich noch zu erfüllen hatte, bevor auch ich aus dem Leben schied: Ich musste diese beiden Seelen wieder miteinander vereinen!
    So wartete ich. Wie die Jahre zuvor gab ich mir auch jetzt noch Mühe, dem Zurückgebliebenen die Gaben der Jahreszeiten zu schenken. Doch mit fortschreitender Krankheit ließ meine Kraft nach, und Blüten und Laub verloren an Pracht.
    Auch unsere Seelen waren so eng miteinander verbunden, dass wir uns gegenseitig beeinflussten. So kam es, dass er und ich zur selben Zeit starben – doch ich weigerte mich, meinen letzten Lebensfunken herzugeben, den ich noch so dringend für meine Mission benötigte.
    Wie ich es gehofft hatte, wurde er neben seiner Gefährtin zwischen meinen Wurzeln beigesetzt. Auch um seinen Sarg legte ich mit allerletzter Kraft meine Wurzeln, um seine Seele in mich aufzunehmen, wo ihre bereits so lange gewartet hatte. Die Freude über ihre Vereinigung im Tod war so groß, dass sie mir neue Lebensenergie verlieh – und so kommt es, dass ich trotz allem noch einmal zu keimen in der Lage gewesen bin.
    Ich habe nicht mehr damit gerechnet, dass ich je mit einem anderen Baum in Kontakt treten könnte. Ich fürchtete nicht mehr, vergessen zu werden. Aber jetzt, da sich unsere Wurzeln endlich berühren, junger Baum, wollte ich Dir, damit sie nie verloren geht und vielleicht sogar Verbreitung findet, meine Geschichte erzählen. Die Geschichte vom ewig einsamen Baum.[tab='2. Platz'][subtab=Loreena]Die Drachenläuferin


    „Ich sehe dich dort draußen im Wind.
    Anfangs führt die Schnur des Lebens dich sanft durch die starken Winde, lässt dich tanzen und freudig hüpfen, hält dich fern von den irdischen Gewittern und holt dich auf den Boden, wenn du zu hoch fliegst. Du wirst deine Grenzen testen und doch immer wieder zurückgehalten werden von drohendem Übel. An manchen Tagen dreht sich die Spule schnell und du hast das Gefühl, du könntest jedes weit entfernte Ziel erreichen. Die, die dich steuern freuen sich mit jedem Stück, das du höher das Blau des Himmels erklimmst, bis die Sonne dir gefährlich wird und droht dich auszubleichen. Und sie sind es, die dich schnell auf den Boden zurückholen. Wütend wirst du hierhin und dahin zucken, da du selbst doch am besten weißt, wohin du willst, aber du hast dich ihrem Willen zu biegen.
    Du alterst und lernst andere kennen. Steigst und fällst mit ihnen zusammen. Eure Schnüre kreuzen und verknoten sich für eine Weile, doch meist werden sie von starkem Wind oder deinen Steuerern wieder entwirrt, bevor du ganz abstürzt. Mit der Zeit passieren die Unfälle und hier und da bist du nicht mehr neu, doch an dir hängen Erinnerungen und Gefühle, niemals bist du nur ein Objekt.
    Die Sanduhr rast und die Schnur wird porös. Oft wird sie reißen und immer wieder sorgsam zusammengefügt werden. Es hinterlässt seine Knoten, doch diese machen dich stärker und lassen dich nie vergessen, was geschah. Und eines Tages ist es so weit. Du bist bereit und machst dich los um getragen vom Wind nicht mehr zu ihnen zurückzukehren. Sie werden weinen, dich vermissen und an dich denken, aber du hast deine eigenen Strecken zu fliegen und kannst dich nicht länger kontrollieren lassen. Du verfängst dich und stürzt ab, doch jemand ist oft da und hilft dir, vielleicht flickt er die Löcher, die deine Misserfolge hinterlassen haben und behält dich eine Weile für sich. Doch irgendwann wirst du erneut verschwinden, deine Schnüre mit anderen kreuzen und glücklich sein. Du weißt, das Leben in der Höhe ist gefährlich, doch du machst weiter und willst immer mehr.
    Bis du eines Tages abstürzt und keiner da ist um dir aufzuhelfen.
    Drache, eigentlich bist du nur wie ich …“
    Leise und mit vibrierenden Lippen las Eliza die Zeilen aus dem Handbuch für Drachenflieger. Keine Lampe war an, nur die dämmernde Abendsonne sah zum kleinen Fenster hinein und winkte ihr mit ihrem Licht zu, sodass sie langsam Schwierigkeiten beim Entziffern der Wörter bekam. Und doch wirkte alles leicht golden in diesem Augenblick. Der schwache Schein der Sonne, der Apfelbaum vor dem Fenster, der schon Generationen überdauert hatte, samt seinen herbstlichen Blättern und das viele Holz in ihrem gemütlichen Zimmer. Sie war müde, aber dennoch hievte sie ihre nackten Füße aus ihrem Bett und ließ sie mit einem uneleganten, klatschenden Geräusch auf den Boden fallen um schwerfällig aufzustehen. Ihre Tür war nur angelehnt und das kleine Mädchen huschte lautlos durch den Spalt zur Treppe hin. Pete, ihr Dackel stand mit aufgerichtetem Schwanz auf dem Wohnzimmerteppich und ließ sie keine Sekunde aus den Augen, als sie vorsichtig an der Garderobe hantierte und ihren kleinen, roten Mantel suchte.
    „Sei still, Pete“, formten ihre zarten Lippen, als sie die Haustür öffnete und ihre Ballen einen nach dem anderen auf dem kühlen Backstein unter ihr absetzte. Nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, eilte sie zur Garage und warf sich in eine staubige Kiste, wild umherwühlend, die Beine schon beinahe steil zur Decke aufragend. Dann hatte sie ihn gefunden. McFly, ihren treuen Drachen, den sie einst von ihrer Großmutter bekommen hatte. Uralt war er und nicht so bunt und groß und ausgefallen geformt wie die neueren Modelle. Aber Eliza liebte diesen Drachen, da an ihm Erinnerungen hingen und er schon so lange in dieser Familie war. Dieser Drache hatte vor langer Zeit einmal im Krieg einem Menschen das Leben gerettet, indem er als Ablenkung für den Soldaten diente, den ihre Großmutter geliebt hatte. Er nahm ihn mit nach Hause und als er seine spätere Frau kennenlernte waren sie es, die täglich auf den Hügel in der Nähe des Bauernhaus kauften, indem sie geboren worden war und ihn immer wieder steigen ließen. Und nach dem Tod ihrer Großmutter war es Eliza, die auf den Hügel stieg und zusammen mit ihren Großvater den Drachen besonders hoch steuerte, als letztes Abschiedsgeschenk für die faszinierende Frau, die ihre Oma für sie dargestellt hatte. Sie hatte ihn ihr kurz vor ihrem Tod geschenkt, da der Mann ohne die Verbindung zu seiner Frau kaum noch Gefallen an dem Windtänzer fand und ihn mehr und mehr an die Schrecken des Krieges erinnerte. Erneut ging sie den sandigen Weg und lauschte dem Flüstern des Windes im Gras, der ihr versprach, ihren Freund heute besonders hoch zu tragen. Es war wirklich sehr windig und hatte sich im Verlaufe des Abends immer weiter zugezogen, aber Eliza hatte keine Angst. Sie war die beste Drachenlenkerin des Dorfs, zudem der Hügel auf dem sie lebten gehörte. Schneller und schneller lief sie, weit war es nicht mehr bis zur höchsten Stelle und noch während des Laufens hob sich der Drache empor, stieg tänzelnd in den Himmel und wurde eins mit seiner Umgebung. Auf dem Gesicht des Mädchens lag ein Ausdruck so reiner, kindlicher und unschuldiger Freude, dass wohl kein Betrachter jemals das Bild, das sich ihm bot, zerstört hätte.


    Doch dann schien der Himmel weißer und weißer zu werden. Eliza kniff die Augen zusammen und sah dennoch nur verschwommen. Ein unangenehmes Piepen begann und alles schien sich um sie zu drehen. Die alte Frau wachte auf. Schwach richtete sie sich ein wenig auf und betrachtete unglücklich die Schläuche, die aus ihrer Hand ragten und die vielen, ihre letzten Monate erleichternden technischen Hilfsmittel im Zimmer ihres Altersheims. Über 70 Jahre war sie alt und viel erlebt, das hatte sie in der Zeit. McFly war schon lange nur noch ein Bild in ihrem imaginären Album, denn nur wenige Wochen vor ihrem 14. Geburtstag war sie es, die an einem windigen Tag zu übermütig wurde und die Schnur reißen ließ. Die Wunde war nie verheilt, da sie den letzten lebendigen Teil ihrer Großmutter nicht beschützt hatte und er von immer von ihr gegangen war. Aber auch sie selbst unterschied sich wenig von seinem Schicksal. Sie lernte ihren Mann kennen und heiratete, bekam jedoch keine Kinder und verfiel nach seinem Autounfall dem Alkohol. Erst spät kam man ihr zur Hilfe, doch die Versuchung blieb ständig da und zerfraß ihre Seele, nahm sie ein und wurde ihr ein Leben lang zur Last. Und in all diesen Situationen hatte sie das Handbuch für Drachenflieger zur Hand genommen und die umgeknickte Seiten aufgeschlagen, ihre Hand über die leicht gelblichen Seiten fahren lassen, wellig von ausgeschütteten Getränken und hier und da leicht zerrissen. Oft las sie die Einleitung und starrte an eine Wand, saß alleine auf einem Sofa.
    Rasselnd ging ihr Atem und ihr Brustbein schmerzte, als sie sich wieder hinlegte, die faltigen Hände umfassten sich tief unter der schweren Decke. Man hatte das Buch weggeworfen. Entsorgt, als sie hierher kam, in ihr lebendiges Grab, wo doch in Wirklichkeit alle nur auf ihr Ableben warteten, um einen neuen Platz freigeben zu können, vielleicht für einen gesprächigeren und offeneren Anwärter als sie es hier je war. Tränen stiegen in die müden Augen der alten Frau und die Decke, die ihren abgemagerten Körper bedeckte schien mit einem Mal schwerer denn je. Das Piepen des Geräts verwandelte sich in einen monotonen kreischenden Klang, als sie endlich ihre Ruhe fand und ihre Großmutter sie in Empfang nahm.[subtab=Vivien]Bilder meines Bruders


    Abwesend blättere ich durch das alte Fotoalbum, welches ich zufällig beim Aufräumen zwischen einem Ordner mit meinen Grundschulzeugnissen und den Resten einer selbstgemachten Pappkeksdose, die ich meiner Mutter vor Jahren zum Geburtstag geschenkt hatte, gefunden habe.
    Die meisten Fotos sind Aufnahmen, von denen ich nicht einmal weiß, dass sie gemacht worden sind. Hin und wieder schwappt doch noch ein Erinnerungsfetzen verschwommen über mein inneres Auge, bringt ein entferntes Lachen oder den Duft eines längst vergessenen Ortes an mich heran. Doch viel wiederzuerkennen gibt es nicht, was mir ein melancholisches Seufzen entlockt. Es sind viele Bilder aus meiner – nun etwas länger zurückliegenden – Jugend versammelt, wahrscheinlich durch meine Mutter zusammengetragen. Meine Eltern, glücklich bei ihrer Hochzeit, mein Onkel beim Reparieren einer Wasserleitung, mein Bruder und ich, beide noch in Windeln, auf dem Sofa meines alten Heimes ein zahnloses Grinsen entblößend, welches eine ansteckende Wirkung auf mich beweist.
    Mein Grinsen wird zu einem traurigen Lächeln, als ich die nächste Fotografie bemerke. Sie zeigt meinen Bruder und mich, wie wir uns gemeinsam mit zwei anderen Kindern einen Ball zuwerfen. Anscheinend ist er durch den Fotografen abgelenkt worden, denn ist der Moment eingefangen worden, kurz bevor der Ball meinem Bruder gegen den Kopf geknallt und er rücklinks auf dem Hosenboden gelandet ist. Früher haben wir oft mit dem Ball gespielt, egal, ob wir ihn uns zugeschossen oder gegenseitig mit ihm abgeworfen haben, verschiedenste, bunte Plastikkugeln haben uns durch Kindergarten und Grundschuljahre begleitet.
    Einige Seiten später ist die Einschulung meines Bruders an die weiterführende Schule zu sehen, ein Foto, auf dem dreißig nervöse Gesichter ihren Käse in die Kamera rufen. Als Kind habe ich einigen dieser Gesichter die Schuld daran gegeben, dass der Ball uns nicht mehr durch den Alltag begleitet hat. Generell schien mein Bruder weniger Zeit für mich gehabt zu haben, er hat oft weggeschickt, um mehr Zeit mit seinen „neuen Freunden“ zu verbringen. Auch auf den Aufnahmen erscheine ich nun immer seltener, allerdings werden die Bilder auch immer abwechslungsreicher.
    Konsolenspielabende. Mein Bruder und sein neuer bester Freund, die über den Mathehausaufgaben brüten. Eine Wasserschlacht unter Jungen im Hochsommer. Ich glaube, zu der Zeit meine eigene gemacht zu haben, mit meinen neuen Freundinnen, die ich ebenfalls kurz nach meinem Aufstieg an die weiterführende Schule kennengelernt habe. Vor diesem Aufstieg ist auch die Anzahl meiner Versuche, an die Seite meines Bruders zu kommen, abgefallen. Zuerst habe ich ihn bei jedem seiner Treffen mit seinen Freunden gestört, habe dazugehören wollen. Später nur noch bei jedem dritten. Kurz vor meinem Wechsel überhaupt nicht mehr und nach meinem Wechsel habe ich meine eigenen Nachmittage mit Freundinnen organisiert. Immerhin hatte ich auf der Grundschule nur wirklich wenige enge Freunde gehabt, da mir mein Bruder gereicht hatte. Mit ihm Ballzuspielen war mal das schönste auf der Welt gewesen, nun ist es nichts mehr als ein zerknittertes Foto und eine verblasste Erinnerung.
    Irgendwie haben wir uns auseinandergelebt. Jedes Jahr etwas mehr, unscheinbar, unmerklich, aber doch weiter, was mir leider erst viel zu spät bewusst geworden ist. Ich habe schließlich meine eigenen Freunde gehabt, meine eigenen Interessen, einen anderen Terminkalender. Mehrfach habe ich meinen Bruder nur noch zum Abendessen angetroffen, und wenn dies passiert ist, haben wir nie über mehr als die banalsten Belanglosigkeiten gesprochen. Diese und jene Hausaufgabe, diesen Lehrer, jenes Fußballmatch. Selbst das Wetter ist zum Thema geworden. Das langweiligste Thema der Welt.
    Ich erwarte, dass sich die Geschichte des Albums derartig fortsetzt, erlebe jedoch auf der nächsten Seite eine Überraschung. Sämtliche Fotos der Doppelseite zeigen ein Mädchen mit karamellfarbenem Haar, wobei sie von Bild zu Bild näher an den Betrachter heranzukommen scheint. Anfangs geht sie beinahe unter, eine Aufnahme vom Schulfest zeigt sie in den Schülermassen ertrinkend. Nach und nach verändert sich ihr Lächeln, als würde sie nur für den diesen glücklichen Moment in die Linse blicken, und beim genaueren Betrachten fällt auf, dass es ein besonderes Geschenk an den Fotografen sein muss. Die Erkenntnis trifft mich wie ein Stich in die Brust. Mein Bruder. Seine Freundin.
    Seine Frau.
    Tatsächlich ist mein Bruder beinahe mit der Schule fertig gewesen, bevor er sie kennengelernt hat, doch anscheinend hat er bereits vorher ein Auge auf sie geworfen. Mir ist ihre Existenz erst klargeworden, nachdem ich die beiden zufällig Arm in Arm im Park erwischt hatte. Allerdings habe ich mich bedeckt gehalten und das augenscheinlich frischverliebte Pärchen nicht gestört, habe sie lieber von weitem mit gemischten Gefühlen beobachtet. Doch erst, nachdem ich sie noch einige weitere Male, natürlich zufällig, zusammen entdeckt hatte, sind mir einige Dinge klargeworden. Ich war etwas Eifersüchtig auf dieses Mädchen gewesen, welches unbeschwert, unbegrenzt viel Zeit mit meinem Bruder hat verbringen können, ohne sich mit ihm über das Wetter zu unterhalten. Ich hatte mich mit der Zeit von meinem Bruder getrennt, war meinen eigenen Weg beschritten, und er hatte dies auch getan. Doch so sehr ich mir dann doch in manchen Momentan gewünscht habe, er würde wiederkommen, mit mir Ballspielen, etwas mit mir Unternehmen, meinetwegen auch über sie sprechen, er kam nicht. Natürlich nicht. Er hat sein Leben gehabt. Ich meines.
    Ich hätte ja kommen können. Ich hätte zu ihm gehen können, ihn auf sie ansprechen können, ihn zu einem kleinen Ballspiel einladen können. Wie in den guten, alten Zeiten.
    Doch mit seinem Abschlussfoto sind die guten, alten Zeiten vergangen.
    Was allerdings nicht bedeutet, dass die neuen Zeiten weniger gut gewesen sind. Seinem Abschlussfoto folgen Bilder an einer neuen Arbeitsstelle, beim Kofferpacken, Bilder von ihr, glücklich in seinen Armen. Gegen alle Erwartung sind sie auch nach ihrem Schulabschluss zusammengeblieben.
    Im Album kann ich es zwar nicht entdecken, doch mein Abitur habe ich ein Jahr später gemacht. Und auch mein Lebensfluss ist weitergeflossen. Studium, Ausbildung, Arbeit. Warum meine Mutter diese Momente nicht ebenfalls festgehalten hat, ist mir ein Rätsel. Oder ist dies doch ein Album meines Bruders?
    Dieser Gedanke trifft mich unerwartet. Und jetzt fällt mir nicht nur auf, dass wir weniger Zeit miteinander verbracht haben, sondern auch, dass wir uns ebenfalls verändert haben. Ich hätte ihn damals nie als jemanden eingeschätzt, der liebevoll ein Fotoalbum zusammengebastelt hätte. Wir haben uns voneinander entfremdet, waren von Geschwistern zu Freunden zu Bekannten zu Fremden geworden.
    Ich frage mich, ob ihm dies auch aufgefallen ist. Denn das nächste Mal, dass wir uns nach seinem Auszug aus dem Haus unserer Eltern wiedergesehen haben, ist seine Hochzeit mit ihr gewesen.
    Und da sind auch schon die dazugehörigen Fotos: Das Paar zusammen, noch einmal und hier schon wieder, die gigantische, sahnige Torte, Familienfotos. Ich habe gelächelt. Mich für die beiden gefreut. Sie ist ja auch ein freundliches Mädchen gewesen, allerdings mit einer unheimlich kratzigen Stimme. Sie hat nichts dafür gekonnt, dennoch bin ich bei unserer ersten „offiziellen“ Begegnung in schallendes Gelächter ausgebrochen, wofür ich mich bis heute noch etwas schäme. Vielleicht hätten wir uns ja angefreundet, wäre ich freundlicher gewesen? Vielleicht hätte ich ihn dann noch öfter zu Gesicht bekommen. Doch er ist irgendwie aus meinem Leben verschwunden. Ich habe nur noch sehr selten an ihn gedacht, bin mit meinem eigenen Ehemann glücklich gewesen. Hochzeitsfotos diesbezüglich finde ich übrigens keine in dem Album, was mir die letzten Zweifel an den Besitzer des Buches nimmt.
    Es tauchen immer mehr Bilder aus dem Alltag meines Bruders auf, der meinem sogar etwas geähnelt hat. Grillen, Skiurlaub, Arbeitsplatz. Danach sein Sohn. Glück, Friede, Alltag. Der Sohn wird immer älter, sieht meinem Bruder von Bild zu Bild ähnlicher.
    Für eine Weile verliere ich mich in den Bildern, versuche mir die Geschichte hinter ihnen vorzustellen. Doch plötzlich endet das Album, und das letzte Bild zeigt sie, in einem geblümten Sommerkleid, einen rosaroten Plastikball in der Hand, anscheinend mit ihrem Sohn beim Picknick auf einer Wiese. Und ich erkenne die Wiese, es ist der Ort, an dem ich die beiden zum ersten Mal zusammen erblickt habe. Und mit einem Mal schmerzen diese Erinnerungen, denn nun weiß ich, wessen Geschichte mein Bruder versucht hat darzustellen. Ihre Geschichte ist mit dem letzten Bild geendet.
    Ihre Beerdigung ist selbst für mich schrecklich gewesen, obwohl ich sie nicht einmal so gut gekannt habe. Doch für meinen Bruder muss sie der Horror gewesen sein, und ich wünsche, ich hätte ihm damals länger beigestanden. Ich hätte ihn bei uns einziehen lassen sollen. Hätte ihn ablenken sollen.
    Vielleicht wäre er ihr dann nicht ein Jahr später gefolgt.
    Ich klappe das Fotoalbum zu und starre den Umschlag an. Meine Augen machen kaum noch die Konturen aus, als sie sich mit Tränen füllen. Schweigend weine ich vor mich hin, bis der Sohn meines Bruders – nun mein Sohn – zur Tür hereinkommt. Und mit ihm eine weitere Erkenntnis.


    Die Geschichte meines Bruders ist geschrieben worden.
    Doch er hat ein Nachwort hinterlassen.
    „Möchtest du mit mir Ball spielen?“[/tabmenu]