Der Zorn des Himmels

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  • Kapitel 4: Small clouds and the mountains


    Die Morgenluft war so kühl und belebend wie eh und je, hier in Silber City. Dünne Nebelschleier lagen auf der verschneiten Spitze des Silberbergs und die ersten Taubsi wagten sich aus ihren Nestern, um sich in großen Schwärmen aus den Baumkronen in den noch leicht dämmernden Himmel zu erheben. Erste Sonnenstrahlen kitzelten die Bergspitzen und tauchten das Gebirge in majestätisches Morgenlicht. Ryan stand gerade auf einer kleinen Anhöhe außerhalb der Stadt. Von hier aus hatte man einen fantastischen Blick über sie und gleichzeitig war es der einzige Weg, der direkt nach Süden Richtung Neuborkia führte. Von hier aus blickte man auf ein riesiges Plateau, am Rande des Gebirgsmassivs. Gen Osten zeigte die Natur mit steiler werdenden Hängen, die nicht mehr bebaubar waren, die Stadtgrenzen auf und würden schließlich in den höchsten Berge der Johto-Region münden. In allen anderen Himmelsrichtungen umrahmten scharfkantige Hügelketten die Stadt, hinter denen es dann zügig bergab ging.

    Ryan war nur in Ausnahmefällen ein Frühaufsteher, doch hin und wieder verschlug es ihn doch schon zu dieser frühen Stunde nach draußen und er hatte es nicht ein einziges Mal bereut. Wie könnte er auch, wenn man so beeindruckend in den Tag begrüßt wurde? Seit Jahren kannte er diesen Ausblick und war ihm niemals überdrüssig geworden. Tatsächlich gehörten solche Kleinigkeiten noch zu den Dingen, die er auf seinen Reisen am meisten vermisste. Allzu oft was er in tristen Wäldern oder Höhlen erwacht. Zwar verspürte er hierfür ebenfalls keine Reue, doch es war nun mal nicht dasselbe.

    Auch heute genoss er den Anblick des Sonnenaufganges in vollen Zügen und vergaß dabei fast seinen Ärger, mit welchem er den Morgen leider begann. Dessen wurde er sich erst wieder bewusst, als er zum wer wusste schon wievielten Mal auf seine Uhr starrte. Er war spät dran. Ryan und Andrew hatten am Vorabend noch beschlossen, sich auf dieser Anhöhe um Punkt sieben Uhr zu treffen, doch nun lag der Ältere der beiden Trainer bereits zehn Minuten hinter dem geplanten Treffpunkt.

    Zugegeben, Ryan war auch nicht immer der aller Pünktlichste. Weder zu seiner Zeit in der Pokémonschule, noch auf seinen eigenen Reisen hatte er sich besonders lange an gesetzte Zeitpläne halten können, doch wenn etwas wirklich Wichtiges anstand, war er immer rechtzeitig an Ort und Stelle gewesen. Und wenn man den Aufbruch in eine neue Region nicht als wichtig einstufte, wusste er auch nicht mehr weiter.

    Es dauerte noch einige weitere Minuten. Beinahe war er schon so weit, Andrew anzurufen und zu fragen, ob er noch am Pennen war. Fünfzehn Minuten nach sieben sah Ryan dann endlich die Gestalt eines Menschen hektisch den Hügel hinauf stürmen. Aus der Entfernung war die Person nicht wirklich zu erkennen, doch viele Optionen standen schließlich nicht aus. Es war Sonntag. Kaum ein gescheiter Mensch war um diese Zeit hier draußen.

    Als Andrew schließlich Ryan erreichte, war er ziemlich aus der Puste. Er stützte sich nach Luft ringend auf den Knien ab und schnaufte wie ein müdes Tauros. Seine Strähnen hingen vom Schweiß getränkt die Stirn hinunter, wodurch sie das Gesicht größtenteils verdeckten.

    „Morgen“, war die lässige Begrüßung Ryans, in dessen Stimme ein gewisser Tadel mitschwang. Der Angesprochene konnte nur stückweise antworten, da ihm für einen vollständigen Satz noch der Atem fehlte.

    „Sorry… hab… verpennt“,

    So eine Überraschung.

    „Es gibt da so 'ne ganz tolle neue Erfindung, die heißt Wecker. Solltest dir so´n Teil vielleicht mal zulegen“, riet Ryan. Sein Unmut war in kürzester Zeit reiner Schadenfreude gewichen, denn nur selten bekam man Andrew so zu Gesicht. Schon witzig, den Rastlosen mal außer Atem zu erleben. Während seiner Pokémonreise hatte man ihn so vermutlich nie bestaunen können. Allerdings war so eine auch kein Sprint, sondern ein Marathon.

    Das Pochen in der Brust ließ allmählich nach und Andrew konnte sich zu voller Größe aufrichten. Mit einem Unterarm wischte er sich de nSchweiß von der Stirn.

    „Wecker war gestellt. Aber Psiana hat das Ding runtergeschmissen, bevor ich wach geworden bin.“

    Erst blinzelte Ryan ein paar Mal. Dann prustete er – allerdings nur sehr kurz – regelrecht auf vor Lachen.

    „Bitte was? Ich pack´s nicht!”

    Andrew rollte mit den Augen, konnte aber nicht unterdrücken, selbst zu lachen. Psiana schlief oft bei ihm im Bett und war eine absolute Langschläferin. Katzenwesen wie sie besaßen einen gewissen Ruf in der Hinsicht. Das kam nicht von ungefähr, wie man hierdurch mal wieder bewiesen war.

    „Hat sie ihre Psychokräfte dafür benutzt oder das Ding einfach umgehauen?“, erkundigte er sich mehr rhetorisch. Wenn Andrew das Wecksignal verpennt hatte, wie sollte er dies dann zu beantworten wissen?

    „Mit dem Schweif vom Nachttisch geschubst“, konkretisierte er. Ryan lachte noch etwas weiter, stockte aber hierauf und sah seinen Kindheitsfreund an, als fordere er auf, die Scherze sein zu lassen. Der erwiderte jedoch absolut ernst.

    „Können wir dann oder brauchst du noch ´nen Moment?“, fragte er dann, als sei es Ryan, der sie aufgehalten hatte und begann den Weg bereits eigenständig. Ihm wurde kopfschüttelnd, aber ausgelassen grinsend hinterhergesehen. Das ging ja gut los heute. Naja, anders wär´s auch zu einfach. Und einfach war langweilig.


    Ryan und Andrew waren nun beide so lange auf Reisen gewesen und hatten viele Tage wie den heutigen erlebt. Allerdings hatten sie es noch nie über längere Zeit in gegenseitiger Begleitung getan, was definitiv den großen Bonus dieser Reise darstellte. Sie schlenderten einen staubigen Bergpfad entlang, der schon seit einiger Zeit leicht nach unten abfiel, wodurch sie bereits deutlich Höhenmeter hinter oder besser gesagt über sich gelassen hatten. Die in den Bergen so überwiegend wachsenden Fichten und Kiefern waren bereits herrlich aufblühenden Laubbäumen gewichen, welche in einigen Metern Abstand zum Weg standen. Kniehohes Gras bedeckte die ersten Meter um den Pfad herum. Verschiedene Arten von Bergblumen, Disteln und Nelken zierten das grüne Meer vereinzelt in hellen Frühlingsfarben. Einige Flugpokémon waren in den Wipfeln der Bäume beim Zwitschern zu belauschen, wobei es sich wohl um mehrere verschiedene Arten handeln musste, da kaum ein einstimmiger Ton zu vernehmen war. Das hohe Gras wehte gleichmäßig und sanft in der Brise des späten Nachmittags, die den beiden wandernden Trainern leicht ins Gesicht blies.

    Die Stunden hatten sich recht ereignislos dahin gestohlen und die beiden ihre Zeit mit banalen Unterhaltungen verbracht. Da sie für gewöhnlich ansonsten nur ihre Pokémon zum Reden hatten – mit denen nur eine einseitige Kommunikation möglich war – empfanden sie es dennoch als erfrischend angenehm. Und schließlich gab es auch allerhand zu erzählen. Hin und wieder hatten sie dann aber doch eine Zeit lang geschwiegen, wenn die unberührte Natur sie eingefangen hatte. Keine hatte dann gewagt, die stille Idylle zu zerstören. Allerdings brachte die Ruhe auch Nachteile mit sich. So gab es nämlich viel – in Ryans Fall viel zu viel – Zeit zum Nachdenken.

    Er hatte sich fest vorgenommen, in die Zukunft zu schauen und die vergangenen Tage, welche so deprimierend für ihn gewesen waren, endlich zu begraben. Doch je länger sich die Stunden hinzogen, desto mehr Erinnerungen und Fragen bohrten sich ihren Weg zurück in seinen Kopf. Wie konnte er beispielsweise, mit einem solchen Optimismus der Hoenn-Liga entgegenblicken, wenn er doch erst kürzlich eine so schmachvolle Niederlage erlitten hatte? Er hatte wirklich alles getan, um seine Pokémon für diesen Kampf bereit zu machen und doch war es nicht genug gewesen. Und nun wollte er in einer neuen Region auch noch ein komplett neues Team zusammenstellen, obwohl sich seine Kenntnis über die dort lebenden Pokémon auf ein Minimum beschränkte? Zudem bezweifelte er ernsthaft, dass es ihm gelingen würde, das Niveau seiner bisherigen Auswahl noch einmal erreichen, geschweige denn übertrumpfen zu können.

    Die Situation war für ihn linde gesagt einfach scheiße. Vielleicht war es gestern, als er diese Herausforderung für angenommen erklärt hatte, nur ein Versuch gewesen, seine Unsicherheit zu überdecken. Ein Impuls, wie der eines Karpador, dass einen Köder vorm Maul gehabt und den Verstand hinter den Instinkt angestellt hatte. Zum hatte Ryan zugebissen und war von Andrew eingeholt worden.

    Tatsächlich war er wohl noch nie wegen eines verlorenen Kampfes so aufgewühlt gewesen. Eigentlich war dies ja lächerlich, wenn man bedachte, dass er immerhin besser als über zweihundert weitere Teilnehmer abgeschnitten hatte, doch was brachte das schon, wenn man am Ende zu zweiter war. Im Grunde war dies nur ein verschönernder Ausdruck dafür, dass er verloren hatte. Er war quasi der erste Verlierer.

    Ryan atmete einmal geräuschvoll aus und blicktet nachdenklich gen Himmel. Nur wenige Wolken trieben dort heute vor sich hin, doch sie erschienen ihm trotzdem irgendwie erdrückend, geradezu passend für seine Gefühlslage. Denn wenn sich nur eines dieser weißen Gebilde vor die Sonne schob, so war sie weg. So mussten die Menschen und Pokémon unter ihr auf ihre hellen, wärmenden Strahlen verzichten und schon käme einem die Erde ein ganzes Stück trister vor. Seine Niederlage war seine kleine Wolke, die ihn am Strahlen hinderte. Ja, manchmal hasste Ryan seinen Drang zur Perfektion, doch ohne ihn wäre er nicht er selbst. Der Erfolg eines Trainers konnte niemals weiter reichen, als sein Ehrgeiz.

    Irgendwie hatte er es kommen sehen, dass sich just in diesem Moment seine metaphorische Vorstellung bewahrheitete. Die helle Scheibe am Himmel verschwand für einen Moment vollständig hinter einer Blockade, die Licht und Wärme hier unten spürbar reduzierte. Gar jagte sie Ryan sogar einen Schauer über den Rücken. Der Junge stoppte seinen Gang und lugte unter dem Schirm seines Cappys empor, um diesem Schauspiel entgegenzublicken. Andrew registrierte dies erst einige Schritte später und wandte sich überrascht um.

    „Ist was?“

    Ryan schien ihn gar nicht wahrzunehmen, schaute nur weiter betrübt zum Himmel hinauf. Seinen betroffenen Blick bemerkte der ältere Trainer gar nicht, da er sich bei der Aktion nicht wirklich etwas dachte und Ryan daher auch nur seine halbe Aufmerksamkeit schenkte. Auch das leichte Zittern von Ryans geballten Fäusten und dem aufgekratzten Schaben mit seinem rechten Schuh im Erdboden blieb von ihm unbemerkt. Und es geschah nur wenige Sekunden später, da die Sonne wieder hinter dem weißen Fleck hervortrat, sodass die Welt wieder mit ihrer Wärme und ihrem Licht beglückt wurde. Öfter als Menschen zu zählen vermochten hatte sich dieses Schauspiel schon abgespielt, doch in diesem Moment hatte es eine seltsame Wirkung auf den jungen Trainer. Seine verkrampften Hände entspannten sich wieder und seine Mundwinkel wanderten sogar ein winziges Stück nach oben. Was machte er sich nur für unsinnige Gedanken? Warum tat er sich so schwer daran, die Vergangenheit ruhen zu lassen? Genau wie die Sonne musste er sich wieder aus seiner Blockade freikämpfen und wie oft hatte er so etwas schon getan? Es war doch alles gar nicht so schwer. Rückschläge wegzustecken, seien sie auch noch so schwer, gehörte zum täglichen Brot eines Trainers. Wie schändlich, dass er das vergessen hatte.

    „Alles bestens“, antwortete er schließlich auf die Frage. Ohne jenen auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen, setzte Ryan seinen Weg fort und ließ einen verdutzten Andrew hinter sich. Dieser hatte für diese Aktion zunächst nur einen verwirrten Blick übrig, war aber erneut nicht um einen überflüssigen Kommentar verlegen.

    „Du drehst jetzt nicht durch, oder? Ein Seelenklempner hat nicht mehr in mein Gepäck gepasst. Hey, warte auf mich.“

    Er musste sich eilen, nicht zurückgelassen zu werden. Ryan hatte das Tempo ordentlich erhöht.


    Die folgenden Stunden zogen genau so still und friedlich dahin, wie die bisherigen. Kaum ein Wort wurde gesprochen, dafür wurden beidseitig ungewöhnlich viele Gedanken durchgekaut. In Ryans Fall waren sie nun wieder optimistischer und positiver Natur. Bei Andrew handelte es sich eher um Kampfstrategien und Trainingspläne. Doch die beiden Jugendlichen brachen ihre Überlegungen zeitgleich ab, als ein tiefes Rumoren die Stille zwischen ihnen brach. Sofort blieben sie stehen und sahen sich gegenseitig an. Beide ein schalkhaftes Grinsen im Gesicht.

    „War heute Gewitter gemeldet“, fragte Andrew höhnisch und zog eine Augenbraue hoch.

    Ryan winkte den Spruch lässig ab. Er hatte Besseres auf Lager. Außerdem bedurfte es keiner Erklärung, dass sie beide Hunger hatten. Schließlich hatte ihre einzige Nahrung seit dem Frühstück nur aus ein paar Früchten, Müsliriegeln und ähnlichem Knabberzeug bestanden. Keine ordentliche Mahlzeit. Die war nämlich nicht gerade förderlich, wenn man versuchte, möglichst viel Strecke zu bewältigen und machte den Körper träge und langsam. Allmählich war es aber an der Zeit, dem Körper zu geben, wonach er verlangte. Morgen früh würden sie schließlich wieder Energie brauchen und die Beine wurden ebenfalls langsam müde.

    „Die Sonne wird bald untergehen“, stellte Ryan fest, als er die Bergketten in der Ferne inspizierte. Die Sonne würde bald deren Spitzen erreichen. Ihre letzten Lichtreflexe des Tages würden den Himmel bald in feurig rotes Licht tauchen und dann langsam in ein wunderschönes Violett übergehen. Diese Phase des Tages war in der Gegend stets ein Schauspiel, da das Lichtspiel dem inzwischen weit entfernten Silberberg an solch klaren Tagen ein phosphoreszierendes Schimmern verlieh. Die herrliche Natur Johtos faszinierte auch immer wieder. Doch in kürzester Zeit würden sie die Hand vor Augen kaum noch sehen können und die nächtliche Kälte war in diesem Gebiet ebenfalls nicht zu unterschätzen. Sie hatten glücklicherweise geradeso die erhoffte Distanz zurückgelegt und würden eine Übernachtung im Freien halbwegs komfortabel überstehen können. Beide hatten schon an ungemütlicheren Orten gelagert.

    „Wir sollten einen Platz finden, an dem wir pennen können, ohne uns dabei was abzufrieren.“

    Andrew stimmte nickend zu. Neuborkia lag sicher noch ein gutes Stück entfernt und keiner der beiden hatte vor, sich so lange durch die Nacht der Route 45 zu schlagen. Allerdings lud die Umgebung, welche sich die ganze Zeit über kaum verändert hatte, nicht gerade zum Campen ein. In den nächsten Minuten musste ein geeigneter Platz für ein Nachtlager her.

    Doch das Duo hatte Glück. Nur eine Viertelstunde später gelangten die beiden jungen Trainer an eine Stelle, an der das hohe Gras am Wegesrand in einem großen Kreis völlig platt getrampelt und auch noch von vier mannshohen Felsen umgeben war. Angesichts dessen und der Tatsache, dass in der Mitte des Bereiches einige schwarze, leicht verkohlte Überreste eines Lagerfeuers vorzufinden waren, hatte hier wohl erst kürzlich jemand gerastet und nun würde diese Stelle für zwei junge Pokémontrainer als Übernachtungsplatz dienen.

    „Na wer sagt´s denn? Eine bessere Stelle hätten wir wohl kaum finden können“, rief Ryan aus, als sie den Platz genauer inspizierten. In der Tat war diese Stelle ideal. Das hohe Gras bot einen weichen Untergrund und die Felsen sowie der nah angrenzende Wald einen zuverlässigen Windschutz. Hätte das Trainerduo jetzt noch ein Dach über dem Kopf, wäre es absolut perfekt, doch angesichts des sternenklaren Nachthimmels, würde ein solches wohl nicht notwendig sein.

    „Mach mal Feuer, ja? Ich hol Brennholz für die Nacht“, kommandierte Andrew und verschwand augenblicklich im Dickicht des angrenzenden Waldrandes, kaum dass sie ihre Rucksäcke abgeworfen hatten. Ryan gefiel es normalerweise nicht, wenn sein Kumpel sich als Chef aufspielte, aber zu dieser Stunde hatte er auch keinen Bock auf eine Diskussion. So sammelte er also einige herumliegende Äste, häufte sie an der Feuerstelle zusammen und kramte sein Taschenmesser zusammen mit einem Eisen-Brennstab – ein kleines Überlebenswerkzeug, dass er immer bei sich trug – aus der Tasche. Von einem Ast schnitzte er einige äußerst feine Späne ab, die als Zunder dienen sollten. Wäre das hohe Gras hier nicht ganz so feucht vom Tau und der frischen Bergluft, hätte es dieses noch besser getan, doch so musste nun mal das Holz herhalten. Funktionierte auch. Er kratzte ein- zweimal mit der Klinge über den Brennstab und schon sprang ein Funke über. Mit diesen Dingern konnte wirklich jeder Idiot Feuer machen.

    Er blies vorsichtig in die kleine Flamme, die den Sauerstoff schnell in sich aufsog, sodass er nach und nach immer mehr Holz hinzufügen konnte und rasch ein stattliches Lagerfeuer entstand. Feuer zu machen war zwar so viel einfacher, wenn er Hundemon oder Vulnona dabei hatte, doch zu Beginn seiner allerersten Reise hatte er auch ohne ein Feuerpokémon irgendwie klar kommen müssen und allein für den Fall der Fälle hatte er solche Kleinigkeiten immer zur Hand. In der Wildnis konnte man sich keine Nachlässigkeiten erlauben. Erwarte das Unerwartete, lautete das Kredo.

    Die Feuerstelle umrandete er anschließend noch mit einem Kreis aus Steinen, um die Flammen einzudämmen. Es dauerte auch nicht lange, bis Andrew, sich mit schweren Schritten ankündigend und mit einem Berg von Brennholz unterm Arm, wieder erschien. Einen Teil davon schmiss er sogleich ins Feuer, den Rest legte er zunächst beiseite. Alles auf einmal zu verbrennen wäre sinnlos, da die Flamme dann zwar höher aber eben auch kürzer brennen würde und schließlich brauchten sie die Wärme die ganze Nacht über.

    Eine Decke oder einen Schlafsack mit sich herumzuschleppen, hatten sie schon immer abgelehnt. Wenn man dieses Level von Komfort anstrebte, ließ man es besser ganz bleiben. Eine gefütterte Regenjacke wurde aus dem Rucksack gekramt und sich darauf platziert. Das genügte zum Isolieren und war damit für sie beide ausreichend. Die meiste Wärme verlor der Körper nämlich an den Boden. Das Abendessen bestand aus belegten Baguettes, Grillwurst, die über dem offenen Feuer zubereitet wurde, sowie einigen kleinen Beilagen wie Tomaten und Gurken.

    „Mahlzeit.“

    „Die Rettung vor dem Hungertod.“

    Für sie beide war das ein überdurchschnittlich üppiges und luxuriöses Abendessen. Die Menge an Proviant, die sie mit sich führen konnte, war logischerweise arg begrenzt und oft musste sich das Essen einige Tage halten. Daher würden spätestens ab übermorgen reisetypische und-tauglich Campingmahlzeiten herhalten müssen. Erst wenn sie wieder eine Stadt betraten, konnten einige Vorräte aufgestockt und dann ein, zwei Abende wieder ausgedehnter gespeist werden.

    Nach diesem Marsch durch die Berge im Nordosten Johtos tat jeder Bissen so unglaublich gut. Es war ein toller Moment, hier in der Natur an einem selbst entfachten Lagerfeuer zu sitzen, zusammen mit seinem besten Freund. Ryan genoss es, vergaß dabei aber auch nicht sein allergrößtes Geheimnis. Nicht nur wegen der wohltuenden Wärme hielt er sein Gesicht möglichst nah am Feuer, sondern in erster Linie wegen dem, was die Nacht ihm enthüllte. Wenn er Andrew jetzt seine Augen zeigen würde, wäre die Lüge mit den Kontaktlinsen dahin.

    „Sag mal Ryan, welches Pokémon hast du denn jetzt mitgenommen?“

    Andrews plötzliche Frage ließ ihn aufschauen. Er war mit seinen Gedanken bereits völlig abgeschweift und brauchte daher einige Sekunden, bis er antworten konnte. Vielleicht lag es aber auch noch ein seinem vollen Mund

    „War keine einfache Entscheidung, das kann ich dir sagen. Ich hab mich für Panzaeron entschieden“, antwortete er. Darauf erhielt Ryan einen leicht verwunderten Laut seines Kumpanen.

    „Hätte drauf wetten können, dass du Impergator nimmst. Das war doch sonst immer deine Nummer eins.“

    Ryan rollte nach dieser Aussage mit den Augen. So einen Satz hätte er von einem erfahrenen und reifen Trainer wie ihm sicher nicht erwartet.

    „Das hat doch damit nichts zu tun. Ich hab mich für Panzaeron entschieden, weil ich ganz einfach finde, das es sich das verdient hat.“

    Die Antwort kam mit fester, überdeutlicher Stimme und klang beinahe schon gereizt, doch Andrew dies nicht zu beachten. Ihm war in diesem Satz etwas anderes aufgefallen.

    „Verdient? Wie meinst 'n das?“

    Da hatte Ryan wohl etwas vorschnell gesprochen. Sein treuer Stahlvogel hatte damals bei seiner Reise nach Shamouti mit Abstand die schlimmsten Verletzungen davongetragen. Fast hätte er sogar mit dem Leben bezahlt. So hatte er lange Zeit vom Kämpfen, ja selbst vom Fliegen pausieren müssen. In der vergangenen Woche hatte Panzaeron jedoch deutliche Fortschritte gemacht und war wieder reif, für etwas Kampfesluft. Allein das war der Grund, warum Ryan es noch ein wenig Zeit an seiner Seite gönnen wollte. Andrews Frage hatte ihn jedoch unerwartet getroffen, weswegen er in diesem Moment definitiv nicht bereit war, über die Ereignisse auf den Orange-Inseln zu sprechen. Er hatte schon Tags zuvor mit sich und der Entscheidung, seinen Freund endlich einzuweihen, gerungen und sich dagegen entschieden – vorerst, aber vielleicht würde daraus noch ein für immer werden.

    „Die Story ist zu lang, um sie jetzt noch runter zu dichten. Ein andern Mal.“

    Sicher war Ryan sich nicht, ob er es geschafft hatte, überzeugend gleichgültig zu klingen und ja keinen Verdacht aufkeimen zu lassen. Glücklicherweise ließ Andrew ihn vom Haken und wechselte das Thema.

    „Und bist du dir auch sicher, dass es kein Fehler war, all deine anderen Pokémon zu Hause zu lassen?“

    „Ich wüsste nicht, was daran falsch sein soll“, entgegnete er schulterzuckend und sehr direkt. Dass er zuvor noch in hektische Überlegungen zu diesem Thema vertieft gewesen war, ließ besser er unerwähnt.

    „Ich meine ja nur, dass du in einem Notfall ziemlich aufgeschmissen wärst. Und selbst wenn du dann dein erstes oder später auch zweites Pokémon in Hoenn hast, musst du sie erst einmal trainieren und mit ihnen arbeiten. Du weißt schon, damit sich dann ein Band zwischen euch entwickeln kann. Ich meine ja nur, dass das 'ne Weile dauern kann.“

    Andrew klang tatsächlich ein klein wenig besorgt. Da er der ältere der beiden war fühlte er sich in gewissen Situationen ein Stück weit für seine Gesundheit verantwortlich, doch das war im Grunde überflüssig.

    „Hab ich das hier in Johto nicht auch ganz gut hingekriegt?“, antwortete Ryan. Sein neuer Reisegefährte ließ nur ein resignierendes Seufzen ertönen. Er hasste es, wenn jemand seine Fragen mit Gegenfragen beantwortete. Vielleicht kümmerte er sich manchmal wirklich zu sehr um Ryan, denn schließlich konnte der ganz hervorragend auf sich selbst aufpassen. Er war ja auch nicht mal ein ganzes Jahr jünger. Dennoch konnte er es einfach nicht lassen, ihn zu ärgern.

    „Na klar, weil ich nichts Besseres zu tun habe, als dir hinterher zu schleichen und dein ganzes Leben in einem kleinen Buch mit rosa Einband festzuhalten. Mal ehrlich, woher soll ich wissen, wie´s bei dir Tag für Tag gelaufen ist?“

    Dass der Ernst in seiner Stimme aufgesetzt war, konnte man nicht überhören. Ausnahmsweise ging Ryan aber nicht auf diese Stichelei ein, ihm war gerade einfach nicht danach. In einer solch herrlichen Nacht wollte er lieber seine Ruhe haben. So lachten sich die zwei Trainer aus aller Freundschaft durch die ansteigenden Funken des knisternden Lagerfeuers hindurch an. Dass Ryan ihm damit den Wind aus den Segeln nahm, ahnte er nicht einmal.


    Wenig später war die Müdigkeit kurz davor, Ryan zu überwältigen. Es lag ja auch eine beachtliche Strecke hinter ihnen, welche eine Menge Energie verbraucht gefordert hatte und so legte er sich bald mit Gesicht zum Feuer gewandt nieder. Geredet wurde ab hier kaum noch. Gedankenverloren schaute er in die Flammen, vernahm das knistern des brennenden Holzes, von dem Andrew gerade noch etwas hinein schmiss und beobachtete die empor fliegenden und wieder herabsinkenden Funken. Es hatte etwas Beruhigendes und Wunderschönes an sich, die Flammen bei ihrem Tanz zu beobachten. Der Fernseher der Natur. Fast wäre es sogar so weit gekommen, dass Ryan sein bevorstehendes Ziel für einen Moment vergaß. Was er wohl in der Hoenn-Region alles erleben würde? Welche Pokémon würde er sehen? Was für Kämpfe gäbe es dort zu bestreiten? Dies waren wohl die typischen Fragen, die sich ein Trainer in seiner Situation stellte. Seine Augen wurden langsam schwer. Träge drehte er sich auf den Rücken, sodass er direkt in den Sternenhimmel blickte. Er vermochte die Lichtpunkte nicht zu zählen, doch sicher ging es in den hunderter-Bereich. Ryan liebte es, in klaren Nächten auf zu sein und dann einfach nur die Sterne zu beobachten. Manchmal hatte er dies stundenlang getan, ehe er eingeschlafen und am Morgen von einer sanften Brise sowie dem Zwitschern der Taubsi geweckt worden war. Manchmal war dies fast noch erholsamer als der Schlaf selbst.

    Es war eigentlich völlig egal, wer und was ihn in Hoenn erwarten würde, er musste nur endlich wieder zu seiner Form finden. Es ging bei diesem Vorhaben um niemanden außer ihn selbst. Vielleicht noch um Andrw. Wenn er erst einmal wieder seinen Rhythmus gefunden hatte, würde alles schon um einiges leichter. Er konnte es eigentlich schon gar nicht mehr erwarten, dieses neue Land zu betreten und es sich selbst zu beweisen. Mit diesem Gedanken zog Ryan schließlich die Kapuze seines Sweatshirts über den Kopf und glitt bald darauf ins Reich der Träume. Sein alter Freund tat es ihm nur Minuten später gleich.

  • Sou mein Kommentar ließ ja lang genug auf sich warten, also will ich dich auch mal wieder etwas nerven, haha.


    Das Kapitel hat mir an sich gut gefallen, doch ich hab auch einiges dieses Mal anzumerken. In den Beschreibungen finde ich es war es mir schon leicht zu viel Umgangssprache, wobei das natürlich auch wieder Geschmackssache ist. In der wörtlichen Rede ist es ja soweit okay und kommt bei mir auch gut an. Teilweise standen da Wörter zweimal das hat mich am Anfang ziemlich genervt da es den Lesefluss einfach stört. Auch fehlte mal ein Wort oder es war eins zu viel. Du solltest selbst einfach noch einmal über den Text rüberlesen, da merkt man sowas für gewöhnlich. Joa. Umgebungsbeschreibungen waren soweit ganz okay, aber die habe ich von dir auch schon besser gesehen mein Lieber. Gefühlsbeschreibungen waren soweit in Ordnung, manchmal bin ich noch ein wenig verwirrt, dass du auch aus der Sicht von Andrew schreibst, aber man gewöhnt sich mit der Zeit recht gut daran. Außerdem finde ich die Idee nett also gibts noch einen Pluspunkt, haha. In diesem Kapitel ist eigentlich nicht wirklich viel passiert, der größte Teil bestand wirklich aus Ryans Gedankengängen und der Rest aus den eher kleinen Dialogen mit Andrew. Finde ich persönlich etwas schade, aber nun gut ich werd ja im nächsten Kapitel sehen wie es weitergeht und ein bisschen Ruhe schadet auch nicht, haha. Übrigens hat sich deine "Vermutung" - so nenne ich es einfach mal - bestätigt und ich muss sagen Andrew ist ein echt liebenswürdiger Kerl. Mir persönlich war er sofort sympathisch und auch der Umgang mit Ryan kommt mir realistisch vor. Ich mag die Art von den Beiden (haha jetzt merkt man so als Leser deiner alten FF, dass man Ryan vermisst hat). Auf jedenfall eine nette Idee die Beiden nach Hoenn reisen zu lassen, auch wenn ich mal ganz stark vermute das es nicht nur bei Orden sammeln und der Hoenn-Liga bleiben wird. Jo, sonst habe ich eigentlich grade gar nicht viel meh rzu sagen soweit ich es grad aufm Schirm hab. Falls doch lass ich es dich wissen, haha. Freue mich auf jedenfall auf dein nächstes Kapitel (:


    LG
    Noel

  • [tabmenu]
    [tab=Kap =)]

    So, ein wenig kurz war es schon, aber es war auch ein netter Reiseeinstieg, nur irgendwie ... du fängst mit dem Lesen an und kurz darauf bist du auch schon wieder fertig.^^"


    Dass einer zuspätkommt, das war ja klar. ;) Wo wär sonst der Gag, auch das hier fand ich gut:

    Zitat

    „Morgen..., tut mir... leid... ich hab verschlafen.“
    So eine Überraschung.

    Haha, ja, sicher eine große Überraschung. x)

    Zitat

    „Na klar, weil ich nichts besseres zu tun habe, als dir hinterher zu schleichen und dein ganzes Leben in einem kleinen Büchlein mit rosa Einband festzuhalten. Mal ehrlich, woher soll ich wissen, wie´s bei dir Tag für Tag gelaufen ist?“

    Das fand ich auch gut ='D
    wie auch...

    Zitat

    „Du drehst jetzt nicht durch oder? Ein Seelenklempner hat nicht mehr in mein Gepäck gepasst. Hey, warte auf mich.“

    x)


    Mir gefällt wieder sehr, wie Ryan und Andrew miteinander umgehen. Sehr freundschaftlich und vertraut eben, so wie es sich gehört. Sie spaßen miteinander, solche Freundschaften sind eben sehr nett zu lesen.
    Was ich aber schade finde ist, dass sie im Grunde am Ende eigentlich nur über aktuelle Begebenheiten wie Zuspätkommen, Hunger und Lagerfeuer und über Pokemon sprechen. Sie hätten sich noch mehr austauschen können, nach meinem Geschmack nach. Ich weiß nicht... vielleicht über gemeinsame Freunde plaudern oder erzählen, was sie für Bekanntschaften sie sonst so gemacht haben, generelles Blabla über das, was sie erlebt haben, eben auch Zwischenmenschliches, das mit Pokemon wenig oder gar nicht in Zusammenhang steht. Vielleicht auch etwas Belangloses "Ich hab ein neues Handy bekommen" oder was weiß ich. Dinge, die Jugendliche halt interessieren. Musst nicht alles in das Kapitel packen - oder überhaupt nirgendswo rein, versteht sich, ist nur ein Vorschlag bzw. meine Meinung XD -, nur wollt ich sagen, dass ich es komisch finden würde, wenn sie auch zukünftig keinen anderen Diskussionsstoff außer Pokemon und Lagerfeuer haben *g* Und hey, das sind zwei junge Männer, redet ihr reden die nicht ab und an auch über Frauen, die sie gut finden oder so? XDD


    Was mir an diesem Kapitel auch gefallen hat, war, dass Andrew thematisiert weshalb Ryan seine Pokemon zurücklässt und seine Einwände erhebt. Wenigstens findet das noch jemand außer ich eigenartig, dachte ich da! *g*
    Auch dass er sich hierbei für Panzeaeron entscheidet und welche Gründe er hat, das fand ich nachvollziehbar. Zumindest, warum die Wahl auf Panzaeron fällt und nicht auf andere.


    Auch sprachlich war das Kapitel ein Genuss. =) Du schreibst einfach, aber nicht im Sinne von "laienhaft" oder "kindisch", sondern einfach locker. Ja, das Wort trifft es. Das ist gehobene Alltagssprache, nicht so, wie man sprechen würde, sondern eher so, wie einen spontan ein Beitrag hier im Forum oder ein Aufsatz von der Hand gehen würde. Bitte änder das auf keinen Fall, ich mag deine natürliche, frische Art dich auszudrücken. Du kannst auch Umgebungsbeschreibungen liefern, die dem Leser ein ziemlich genaues Bild vor Augen führen, ohne einen auf großen Poeten zu machen. =D Leider passen dann Ausdrücke wie "die helle Scheibe am Himmel" überhaupt nicht ins Szenario und stören die Atmosphäre ein wenig.


    [tab=Kleinigkeiten ^^]

    Zitat

    Ryan stand gerade auf einer kleinen Anhöhe außerhalb der Stadt.

    Das "gerade" würd ich in dem Fall sogar streichen, da es eher wie ein Theaterstück oder eine Regieanweisung wirkt. "Du stehst gerade auf der Anhöhe..."


    Zitat

    Ryan und Andrew hatten am Vorabend noch beschlossen, sich auf dieser Anhöhe um Punkt sieben Uhr zu treffen, doch nun lag der ältere der beiden Trainer bereits zehn Minuten hinter dem geplanten Treffpunkt.

    Für die Szene ist es ziemlich egal, wer der Ältere ist. ^^


    Zitat

    „Morgen..., tut mir... leid... ich hab verschlafen.“

    Hier würd ich eher nochmal das Schnaufen beschreiben, als Punkte zu setzen. So schaut's nämlich nicht wie ein Schnaufen aus, sondern als wär Andrew Stotterer oder hätte Asthma. XD


    Zitat

    Die helle Scheibe am Himmel verschwand für einen Moment vollständig hinter den weißen Gebilden am Himmel.

    Die Formulierung ist gut, wenn du über ungebildete Menschen einer sehr alten Kultur schreibst, die nicht wissen, dass es sich bei der Sonne nicht um eine Scheibe handelt. Im 21. Jahrhundert bzw. einer modernen Pokemonwelt: unangebracht. ;)


    Zitat

    So sammelte er also einige herumliegende Äste, häufte sie an der Feuerstelle zusammen und kramte sein Taschenmesser zusammen mit einem Eisen-Brennstab – ein kleines Überlebenswerkzeug, dass er immer bei sich trug - aus der Tasche. Von einem Ast schnitzte er einige äußerst feine Späne ab, die als Zunder dienen sollten. Wäre das hohe Gras hier nicht ganz so feucht vom Tau und der frischen Bergluft, hätte es dieses noch besser getan, doch so musste nun mal das Holz herhalten und es funktionierte ganz nach seinen Wünschen. Er kratzte ein- zweimal mit der Klinge über den Brennstab und schon sprang ein Funke über. Mit diesen Dingern konnte wirklich jeder Idiot Feuer machen.
    Er blies vorsichtig in die kleine Flamme, die den Sauerstoff schnell in sich auf sog, sodass er nach und nach immer mehr Holz hinzufügen konnte und rasch ein stattlichen Lagerfeuer entstand. Feuer zu machen war zwar so viel einfacher, wenn er Hundemon oder Vulnona dabei hatte, doch zu Beginn seiner Pokémonreise hatte er auch ohne ein Feuerpokémon irgendwie klar kommen müssen und allem Anschein nach hatte er nichts verlernt.

    Mit einem Feuerzeug und einem Blatt (Papier) wär es auch nicht so schwer. :D


    Zitat

    „Das hat doch damit nichts zu tun. Ich hab mich für Panzaeron entschieden, weil ich ganz einfach finde, das es sich das verdient hat.“

    dass

    [/tabmenu]

  • [tabmenu][tab=Grüße]Moin, moin und hallo,
    Zugegeben, ich habe mir diesmal mit der Antwort sehr viel Zeit gelassen. Ich hatte allerdings gute Gründe. Da das aber so seriöse Leute wie euch eh nicht interessiert, spare ich mir die Erklärungen. (Falls es euch doch interessiert, dürft ihr das für euch behalten :rolleyes: )
    [tab=Noel]Tja, was soll ich zu dir sagen. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mit hundert prozentiger Sicherheit, wie ich dein Kommi deuten soll. Liest sich im Großen und Ganzen wie "das ist nicht perfekt, aber schon gut". So fasse ich das zumindest auf. Sowohl zur Gefühls- als auch zur Umgebungsbeschreibung sagst du genau das. Ich fasse das zwar unterm Strich als gelungen auf, aber ich habe mir selbst schließlich höhere Ziele gesteckt. Ich Perfektionist :S
    Ja, noch gabs nicht wirklich viel Berauschendes und Aufregendes zu lesen, aber das kommt bald. Das nächste Kapi wird zwar ebenfalls noch nicht Weltbewegend werden, aber ich kann verraten, dass ein wenig gekämpft wird.
    Es freut mich sehr, dass dir beide Protargonisten so gefallen. Gut, Andrew kann man eigentlich nur dann nicht mögen, wenn man ein ständig mies gelaunter Sack ist, wie ich finde. Ich hab mich diesem recht klischeehaften Charakter bedient, da ich dachte so unterschiedliche Teenager wie er und Ryan würden ein tolles Duo ergeben und bislang hab ich dafür auch nur Lob bekommen. Dass du auch Ryan sehr vermisst hast, erfreut mich ebenso. Eigentlich dachte ich, dass die Sympathien für ihn eher im späteren Verlauf der Story aufblühen werden, da er ein eher tiefsnniger Charakter ist und für den Beginn noch nicht seine Stärken ausspielt. Aber du scheinst als einzige Kennerin von dlKdW bildes du anscheinend die Ausnahme.
    [tab=Bastet]Freut mich immer wieder zu lesen, dass die Freundschaft zwischen Ryan und Andrew so gut ankommt und genau die Effekte erzielt, auf die ich es abgesehen hatte. Was ihre Gesprächsthemen angeht, hast du wohl recht. Allerdings hatte auch von Anfang an Ryans Gedanken und Selbstzweifel im Fokus stehen sollen und viel weiter in die Länge hatte ich es auch nicht ziehen wollen. Aber dennoch danke für die Anregung, jetzt kann ich das nämlich später nachholen. Und als hätte ich es gerochen, dass du das Thema "Mädchen" ansprichst... Ich sage so viel: Das Thema Romantik steht nicht nur zur Zierde unter den Genres. Aber du hast schon recht damit. Unter so engen Freunden, die so ungezwungen miteinander sprechen, ist das eigentlich ein völlig plausibles Thema. Mal schauen, wann und wie ich das später vielleicht noch einbaue^^.
    Andrew wird übrigens nicht der einzige sein, der bei Ryans Entscheidung nachhakt. Das wird mit der Zeit noch viel tiefer reichen. Hoffentlich hab ich da nicht schon zu viel verraten. Schön, dass dein Kommi insgesamt so positiv ausgefallen ist, denn bei einigen Szenen war ich noch recht selbstkritisch. Umso besser, dann kannst du dich im späteren Verlauf noch richtig freuen.
    [tab=Abschluss]Das nächste Kapi wird voraussichtlich noch ein Weilchen dauern, je nachdem, wie gut ich in der wenigen Freizeit, die mir zur Verfügung steht, voran komme. Dann soll auch endlich ein wenig mehr Schwung in die FF kommen (aber nur ein wenig - vorerst^^). Danke euch beiden jedenfalls für eurer Meinung und hoffentlich bis zum nächsten Mal.
    Wiederschauen, reingehauen[/tabmenu]

  • Kapitel 5: Ein bisschen Streit zum Zeitvertreib


    „Bist du sicher, dass wir auf dem richtigen Weg sind?“

    Ryan machte sich nicht die Mühe darauf zu antworten. Schließlich war es garantiert schon das fünfte Mal in den letzten zehn Minuten, dass Andrew diese Frage gestellt hatte. Die beiden Trainer waren an diesem Morgen sehr früh aufgestanden und hatten Neuborkia erreicht, noch während der Großteil seiner Bewohner den Tag am Frühstückstisch begonnen hatten. In der beschaulichen Kleinstadt hatten sie lediglich Vorräte für die nächste große Mahlzeit erneuert und selbige dann auf direktem Wege durchquert, ganz ohne irgendwelche Zwischenstopps. Sie kannten diesen Ort bereits sehr gut und da der hier arbeitende Professor Lind bekanntermaßen zurzeit die Alph-Ruinen nahe Viola besuchte, hatten keinen Grund gefunden, dort länger zu verweilen. In Rekordzeit hatten die beiden Trainer auch die Straßen und Trampelpfade der Route 27 hinter sich gelassen und befanden sich nun auf der Route 26, unmittelbar vor Alabastia, wo die Fähre in die Hoenn-Region ablegen würde.

    Jedenfalls war sich Ryan ziemlich sicher, dass sie auf dieser Route waren – ein Gefühl, das sein älterer Gefährte nicht unbedingt teilte. Andrew hatte schon seit längerem keinen Plan mehr, wo sie sich genau befanden und verfluchte innerlich seinen miesen Orientierungssinn. Für ihn sahen die dichten Laubwälder dieser Gegend alle gleich aus und der Weg, den Ryan als so offensichtlich betitelt hatte, entzog sich völlig seinem Blick. In seinen Augen war hier überhaupt kein ein Weg, sondern bestenfalls eine dünne Schneise, welche etliche Wanderer und Reisende mit der Zeit in das Dickicht hineingelaufen hatten. Doch diese konnte sonst wo hinführen. Andrew hielt sich aus gutem Grund lieber an feste Wege und Straßen, wenn er unterwegs war. Warum bloß hatte er sich auf Ryans sogenannte Abkürzung eingelassen? Am Ende stellte die sich noch als Umweg heraus.

    Andrew schlurfte weiter missmutig hinter Ryan her, der ein deutlich höheres Tempo an den Tag legte, da er unbedingt die heutige Fähre noch erwischen wollte. Allerdings musste er ab und an kurz stehen bleiben und sich nach seinem Kumpanen umdrehen, da der ihn sonst im dichten Unterholz des Waldes verlieren würde. Eine Tatsache, die nun auch dem Jungen mit dem Cappy zunehmend aufs Gemüt schlug.

    „Sag mal, schlafwandelst du, Andrew? Komm schon ich würde gern heute noch in Alabastia ankommen.“

    „Dann hättest du uns besser auf den richtigen Weg führen sollen“, konterte der. Ryan schien ihm absolutes Desinteresse zu unterstellen. Was für ein Blödsinn. Natürlich wollte auch er genauso wenig einen ganzen Tag in Alabastia vor sich hin schimmeln.

    „Wir sind auf dem richtigen Weg und jetzt beweg' dich.“

    Mit einem resignierenden Stöhnen kämpfte sich der Nachzügler voran. Weitere Minuten vergingen und Andrew war mittlerweile ziemlich genervt. Für gewöhnlich vertraute er Ryan und seiner Führung durch die Wildnis. Er hatte dafür ein besseres Gespür. Zwar hatte es ihn früher ein wenig gekränkt, doch Ryan war immer schon ein Naturbursche gewesen, dem er sich besser unterordnete, anstatt sein eigenes Ego spielen zu lassen. Dafür war er selbst in der Vergangenheit stets an vorderer Stelle gewesen, wenn es darum ging, in der Zivilisation den Überblick zu behalten. Sobald es in eine Großstadt ging, war es nämlich der Blondschopf, der gerne mal auf verlorenem Posten stand. Unfehlbar war der Orientierungssinn ungeachtet der Umgebung jedoch bei keinem von ihnen.

    „Hey, komm mal hier rüber, Andrew!“

    Der plötzliche Ruf erschreckte ihn beinahe. Überrascht über diesen unangekündigten Ausruf blickte Andrew auf und erspähte seinen Kumpel einige Meter voraus zwischen den Bäumen stehend. Er konnte es nicht genau erkennen, doch es hatte den Anschein, als würde er nach unten sehen und es wirkte plötzlich ungewohnt hell dort vorne, als würde sich das Blätterdach lichten. Also war entweder dort vorne eine Lichtung oder...

    Mit raschen Schritten kam Andrew war bei Ryan an und musste augenblicklich lächeln. Der Wald endete hier an einem leicht abfallenden Hang, an dem sich ein kleiner Pfad runter schlängelte. Am Fuße der Anhöhe lagen friedlich und harmonisch die Häuser und Gärten Alabastias. An der Küste wurde die Stadt größer, lebhafter und dichter.

    „Ich sagte doch, dass wir richtig sind“, rieb Ryan ihm unter die Nase.

    „Hast du fein gemacht. Wenn wir unten sind, bekommst du 'nen Keks.“

    Seinen Unmut ausnahmsweise zu unterdrücken und die Situation mal nicht ins Lächerliche zu ziehen, hätte auch nicht zu Andrew gepasst. Immerhin war damit der Nörgelei ei nEnde gesetzt und er konnte sogar wieder lächeln.


    Nur eine knappe Stunde später hatten die zwei Trainer endlich den Hafen erreicht. Die Fähre hatte bereits angelegt, würde aber erst in einer guten Dreiviertelstunde auslaufen. Da das junge Trainerduo sich in schlauer Voraussicht bereits vorgestern jeweils eine Fahrkarte organisiert hatte und diese auch schnell am entsprechenden Ticketschalter abgeholt waren, blieb also noch genügend Zeit. Während es nun Andrew war, der in freudiger Erwartung des Aufbruchs ein Stück vorauslief, war der tiefsinnige Ryan in Gedanken versunken.

    Genau an dieser Stelle war er vor wenigen Wochen in Richtung Süden zu den der Orange Inseln aufgebrochen. Es schien, als sein es gerade einmal einen oder höchstens zwei Tage her und die Erinnerungen an diese Reise waren noch so frisch, dass Ryan glaubte, die Lichter, die Geräusche und den Geschmack des Festivals auf Shamouti wahrnehmen zu können. Es war komisch. So vieles erinnerte ihn heute an diese Zeit und doch war alles anders, allem voran das Ziel. Er war sich jetzt schon ziemlich sicher, dass er während der Überfahrt mehrmals das Gefühl von Déjà-vu erleben würde.

    „Ganz netter Kahn was?“, bemerkte Andrew beim Einstieg, während er abschätzend seinen Blick umherschweifen ließ. Tatsächlich war die Fähre wirklich mit allem ausgestattet, was man sich für eine lange Fahrt darauf wünschen konnte. Sie wirkte blitzblank, hochmodern und war, wie die beiden dank vorangegangener Recherche wussten, sogar mit einigen Sportanlagen, einem Wellnessbereich mit angrenzendem Pool sowie einigen Kampfplätzen für Pokémonkämpfe ausgestattet. Das kam schon einer Kreuzfahrt gleich. Langweilig würde es ihnen hier jedenfalls nicht werden, aber dafür hatten sie auch einen ordentlichen Batzen hingelegt. So gesund es ihnen beiden finanziell ging, machten sie sowas hier sicher nicht oft. Ryan versuchte, es mit der Besonderheit seiner persönlichen sowie der allgemeinen Lage beider zu rechtfertigen. Außerdem war dies die schnellste, die sie in ihrer Spontanität hatten erwischen können.

    Verträumt seufzte er in seine eigenen Gedanken hinein. Seine letzte Schifffahrt war damals wirklich nicht die angenehmste gewesen. Dieser Alptraum damals, die Übelkeit und die Ungewissheit über das, was einen hinterm Horizont erwartete. Es wirkte alles wieder noch näher, als es ohnehin lag. An manchen Tagen kam es ihm dennoch so vor, als läge diese Reise bereits Monate zurück. Dialga musste sich Späße mit seinem Verstand erlauben, dass diese absurde Wahrnehmung überhaupt möglich war.

    „Hey, alles senkrecht bei dir?“

    Ryan fuhr ganz leicht zusammen. Ohne es selber wirklich wahrzunehmen, war er mit den Gedanken schon wieder abgeschweift. Dass Andrew das mitbekam, war dabei ebenso ungewöhnlich, wie unvorteilhaft. Er gehörte für gewöhnlich nicht zu der aufmerksamen oder sensiblen Sorte. Wenn selbst ihm das auffiel, sollte das zu denken geben.

    „Du wirkst geistig umnachtet, sobald ich einen Moment nicht mit dir quatsche“, fügte er hinzu.

    „Nur... die Vorfreude. Du kannst deinen Mutterinstinkt abstellen“, antwortete Ryan schnell und versuchte die Situation zu überspielen. Er wirkte allerdings nicht besonders überzeugend, doch es war sein Glück, dass sich Andrew leicht belügen ließ. So bohrte dieser auch nicht weiter nach, sondern machte sich gleich daran, das Deck des luxuriösen Schiffes zu erkunden. Ryan folgte ihm zunächst gemächlich, klinkte sich später aber aus und stellte sich genau wie damals an den Bug des Schiffes. Die See war heute ein wenig rau. Leicht aufgewühlt von den brausenden Passatwinden der Ozeane. Dennoch ließ die strahlende Sonne ihre Oberfläche schimmern und glänzen als befänden funkelnde Diamanten am Grund.

    'Hinter dem Horizont', dachte er immer wieder, während seine Augen fest auf selbigen fixiert waren. Was würde ihn wohl diesmal dort erwarten?

    Er konnte sich zwar selbst nicht erklären wieso, doch in diesem Moment wichen sämtliche Ängste, Befürchtungen und Zweifel aus seinem Kopf und hinterließen nur noch den Drang nach etwas Neuem, etwas Unbekanntem. Morgen würde er in der Hoenn-Region ankommen. Neue Pokémon, neue Gegner, neue Kämpfe. Ein breites Lächeln umspielte seine Lippen.


    Trotz seiner unendlichen Neugier und dem Durst nach neuen Erfahrungen, die nur mit dem Erreichen des Hafens von Wurzelheim gestillt werden können würde, musste sich Ryan noch in Geduld üben. Es war nun Nachmittag und die Sonne strahlte den weißen Luxusdampfer intensiv an, ohne dass auch nur eine Wolke ihre Strahlen blockierte. Für die beiden Trainer aus Silber City war eine derartige Hitze nichts. In den kühlen Bergen ihrer Heimat waren sie eher frische Temperaturen gewohnt und angesichts der Tatsache, dass es draußen über dreißig Grad haben musste, vertrieben sie sich die Zeit lieber unter Deck. Möglichkeiten hierfür gab es ja zu Genüge. Der Wellnessbereich samt Swimmingpool sollte, so entschied das dynamische Duo, sowohl etwas Abkühlung als auch Entspannung bringen. Genau das Richtige in diesem Moment. Ein Kunststück war es allerdings, dorthin zu finden.

    „Hieß es nicht, die fünfte Abzweigung rechts, dann die zweite links und dann immer geradeaus?“

    Andrew kratzte sich verwirrt am Hinterkopf, was durch seine Haarpracht enorm laut ausfiel. Fünf Minuten war es gerade mal her, dass sie einen Matrosen nach dem Weg gefragt hatten, da ihnen die unzähligen, verwinkelten Gänge wie ein Irrgarten vorgekommen waren. In dieser kurzen Zeitspanne jedoch, hatten sie sich vollkommen verfranzt und standen nun auf einer Flurkreuzung, bei welcher sich kein Weg vom anderen Unterschied. Azurblauer Teppich, cremefarbene Wände, einfache Deckenlampen, kein Anzeichen auf irgendeine größere Einrichtung. Sie waren bei den Kajüten gelandet.

    „Hieß es auch, ich hab dir doch gesagt, du bist eine zu früh“, erwiderte Ryan, der nicht wusste, ob er über Andrews Orientierungssinn lachen oder weinen sollte. Aber andererseits trug er selbst Mitschuld daran, dass sie hier nun auf verlorenem Posten standen. Schließlich hatte er es sich nicht nehmen lassen, Andrew auf seinem Ausflug zu folgen, um ihm seinen Irrtum zu beweisen. Das nannte man wohl absolute Konsequenz, wenn man auch Holzwege bis zum Ende ging.

    Andrew prustete ernüchtert. Korridore waren wohl nicht dasselbe, wie Städte. Wohl sollte er Ryan die Führung überlassen. Dieser war schien nämlich nicht so planlos. Dieser wollte bereits kehrt machen, um den Gang anzusteuern, aus dem sie gekommen waren, als sich ihm – und auch Andrew – zwei Personen ins Bild drängten, indem sie auf dem Flur zu ihrer Rechten aus einer Kajüte traten.

    „Hey Jungs, habt ihr 'nen Plan von dem Labyrinth hier?“

    Wohl hatte Andrew nicht vor, seinem Kumpanen den Triumph zu gönnen, schon wieder voraus zu gehen, nachdem er selbst kläglich versagt hatte. Quasi, um den letzten Rest seiner Ehre zu retten. Sonst hätte er die beiden Fremden sicher nicht gefragt. Diese drehten sich mit einem eher genervten Gesichtsausdruck um und betrachteten die jungen Männer aus Silber City abfällig. Der Eine hatte kurz geschorenes Haar, sodass man nicht genau sagen konnte, ob es nun schwarze oder braune Farbe besaß, war ziemlich schlaksig gebaut und trug graue Shorts mit Flammen an der rechten Seite. Dazu hatte er ein eisblaues T-Shirt übergestreift, dass ein buntes Graffiti auf der Brust zeigte. Er wirkte wie ein Ghettokind im Urlaub. Der Zweite hatte Kinnlanges, schwarzes, glattes Haar, das einen ziemlich fettigen Eindruck machte. Sein Körperbau war recht breit und pummelig. Es unterstrich seine Erscheinung geradezu perfekt, dass er nebenbei auch noch einen Donut mampfte. Er trug schwarze Jeans und ein einfaches, tannengrünes Sweatshirt.

    „Was willst du von mir?“, blaffte sich der Kleinere – er musste zu allen anwesenden ein gutes Stück aufschauen –, als wäre er aufs Gröbste beleidigt worden. Seine Stimme war etwa so zu beschreiben: Wenn man an Trolle, Goblins oder ähnliche Fabelwesen glaubte, würden sich jene Personen diese wohl mit der Stimme dieses Jungen vorstellen. Sein stämmiger Begleiter gab nur ein weiteres Abbeißen von seinem Schokoladengebäck zur Antwort. Waren die Typen begriffsstutzig?

    „Wisst – ihr, – wie – wir – zum...“, wiederholte Andrew, wobei er jedes einzelne Wort extrem langsam aussprach und übertrieben laut betonte, als hätte er es mit zwei Idioten zu tun. Vielleicht stimmte dies auch, doch in jedem Fall hatte er es mit zwei Jungs zu tun, die keinen Spaß auf eigene Kosten verstanden.

    „Willst du mich verarschen, du...“, empörte sich der Fremdling, wurde aber seinerseits von Andrew unterbrochen.

    „Wow, nur die Ruhe, kein Grund an die Decke zu gehen.“

    Natürlich hatte er gewusst, dass sein frecher Ton ziemlich dreist gewesen war, aber eine derart aggressive Reaktion hatte er weder erwartet, noch beabsichtigt.

    „Was bist du denn für´n Idiot? Zu blöd, um einen Weg zu finden und dann noch das Maul aufreißen?“

    „Glaub es oder nicht, aber ich mach echt beides öfter“, gestand Andrew dann und versuchte, das Aggressionsniveau zu senken, indem er seine Pannen ganz simpel eingestand. Anscheinend nahm sein Gegenüber das aber lieber als Steilvorlage.

    „Oh, ich glaub´s sofort. Du findest wohl nicht mal das Wasser, selbst wenn ich dich von Bord schmeiße.“

    Andrew war sich nicht einmal zu schade, über den Witz zu lachen. Jedoch nicht allzu sehr. Der Spruch war gut gewesen. Die Quelle war scheinbar ‘ne Pestbeule. Eine, die sich anscheinend nicht ernst genommen fühlte. Der Typ glaubte ihm wohl nicht, dass er die Andeutung wahrmachen konnte und auch würde.

    „Willst du´s drauf anlegen?“, drohte er und trat einen Schritt näher heran. Weder Ryan noch er selbst waren so oberflächlich, den unentspannten Streitsucher aufgrund der Körpergröße abzustempeln, aber man konnte kaum anders, als die Angriffsfläche auszunutzen. Er forderte es ja heraus.

    „Ach und das hast du drauf, ja? Wie viele müssten denn dabei helfen?“

    So langsam reichte es Andrew dann doch mit dem Zwerg.

    „Nur ein Pokémon. Das könnte dich aber auch gern filetieren, wenn dir das lieber ist.“

    Es war Ryan, der hierauf die Augen verdrehte und den Kopf schüttelte. So einer war das also.

    „Müssen die immer deinen eigenen Mist ausbaden?“, entfuhr es ihm seufzend. Im selben Moment könnte er sich dafür vor den Kopf schlagen. Was mischte er sich eigentlich ein? Sollte Andrew die zwei Trottel doch handhaben. Der konnte das besser und außerdem war diese ganze Konfrontation auf ihn zurückzuführen. Er hatte gar einen Moment abgewogen, ob er einfach vorbeigehen und die beiden ignorieren sollte, letztlich aber abgesehen davon, dass die das bestimmt nicht zulassen würden, wäre es asozial, seinen Freund einfach mit dem Scherbenhaufen zurückzulassen.

    Natürlich hatte sich Ryan nun selbst zur Zielscheibe gemacht. Er konnte sich auch schon denken, was der Bürstenkopf, wie er ihn von nun an in Gedanken nannte, darauf erwidern würde.

    „Deine sind wohl zu schwach dafür?“

    War der jetzt stolz darauf? Ryan stand immer hinter seinen Pokémon. Aber niemals, um sich zu verstecken.

    „Um meine Pokémon geht´s hier nicht“, hielt der Blonde wahrheitsgemäß fest. Mal davon abgesehen, wie empfindlich und reizbar der Kurzhaarige war, schien er entweder seinen Stand als Trainer anzusehen oder aber die Gesellschaft war heute schon so weit, dass jeder Jugendliche für einen solchen gehalten wurde. Zumindest hatte so ziemlich jeder einen Berührungspunkt zu wenigstens ein paar von ihnen, aber Trainer nannte sich bestimmt nicht jeder. Und gute Trainer waren noch seltener.

    „Mir geht´s aber drum“, entgegnete Bürstenkopf mit einem aggressiven Nicken.

    „Dann musst du mit deinen eigenen ganz schön unglücklich sein.“

    Oder aber sie mit ihrem Trainer. Eigentlich kaum zu fassen, dass Ryan sich auf diesen Zirkus einließ. Seine Laune war doch nach dem Betreten des Schiffes viel zu gut gewesen. Mal ehrlich, was war denn falsch mit dem kleinen Wüstling? Wie konnte man nur so auf einen harmlosen Spaß reagieren? Es gab doch weitaus bessere Gründe, um aus der Haut zu fahren. War er wirklich so schlecht drauf, oder suchte er eventuell einfach nur Streit und hatte in Andrews Worten eine günstige Gelegenheit gesehen?

    Auf den Vorwurf reagierte er wie ein kratzbürstiges Mauzi. Da schaltete sich aber zum ersten Mal der Dicke zu seiner Linken ein und hielt ihn zurück. Nicht, dass man erwarten konnte, Bürstenkopf würde wirklich handgreiflich werden Das war eine bekannte Masche der Schwachen in solchen Situationen.

    „Jetzt hast du seine Gefühle verletzt“, deutete Andrew an und klang dabei äußerst geringschätzig, geradezu spöttisch. Er sah ein, dass man über den Punkt hinaus war, an dem man einfach außerinandergehen und sich gegenseitig vergessen konnte. Diese eigentlich so harmlose Begegnung hatte sich so weit hochgeschaukelt, dass hier niemand mehr zurückweichen würde. Nicht, ohne die angezweifelte Stärke unter Beweis gestellt zu haben. Und angesichts der Bemerkung des kleingewachsenen Giftzwerges war auch jetzt schon klar, in welcher Form das ausgetragen werden sollte. Der versuchte weiterhin, sie mit wütenden Blicken einzuschüchtern.

    „Typen von eurer Sorte kenne ich. Die lassen ich und mein Kumpel hier täglich Dreck fressen.“

    Hatten die nichts Besseres zu tun? Abgesehen davon glaubte ihm das hier eh keiner.

    „Jeder braucht ein Hobby“, warf Andrew schulterzuckend ein. Ryan war sich absolut sicher, dass sein Kumpane auf jede Bemerkung von Bürstenkopf eine schlagfertige Antwort parat haben würde. Warum? Weil er Andrew Warrener war. Weil er das immer hatte. Wie dem auch sei, Ryan gedachte nicht, sich diesen Typen länger widerstandslos anzutun.

    „Kürzen wir das hier doch ab und sag, was ich tun muss, damit ich dich möglichst schnell losewerde.“

    Nun ging er ebenfalls einen bestimmenden Schritt vorwärts, wodurch er dem aggressiven Jungen nun sehr nahe war. Er selbst würde am liebsten einfach vergessen, dass sie jemals den Fehler begangen hatten, die zwei Hohlschädel anzusprechen. Aber das war wohl außerhalb des Möglichen. Selbst wenn er sich einfach umdrehen und nicht am Gehen gehindert werden würde, käme das einer Flucht gleich. Dies bei zwei Deppen zu tun, die die Suppe der Weisheit mit der Gabel gegessen hatten, kam führ ihn nicht in Frage. Dafür war er einfach zu stur. Selbst von einer handfesten Auseinandersetzung war er nicht sonderlich abgeneigt. Allerdings war er überzeugt, dass die Gegenseite lieber ihre Pokémon nutzen würde, um den Streit zu klären und ihr Ego zu befriedigen. Eigentlich eine abartige Methode, aber heutzutage leider sehr gängig.

    „Hey Kevin, ich glaub, wir haben wieder zwei gefunden, die Dreck fressen wollen“, sagte der Kleinere nun mit einem Seitenblick auf den Schwarzhaarigen. Damit war es bereits jetzt besiegelt. Ryan hatte schon ein paar Mal mit Angebern dieser Art zu tun gehabt und nicht selten hatte dies in einem Pokémonkampf geendet. Ein oder zwei Mal hatten solche Streitigkeiten auch zu einer Prügelei geführt. Eigentlich zog er es vor, die Fäuste unten zu behalten, doch sein Stolz verbot es ihm, vor solchen Pennern klein bei zu geben. So kam es also wie es kommen musste.

    „Jetzt passt mal auf, Dick und Doof. Wenn ihr wirklich auf 'ne Keilerei aus seid, dann können wir gerne kämpfen, aber bitte erspart mir eine längere Folter durch eure Anwesenheit!“

    Natürlich kam die Art und Weise, wie Ryan diese Beiden herausforderte ziemlich merkwürdig rüber, doch sie tat ihr Übriges. Er hielt nicht allzu viel davon, andere Leute bei einem Streit hirnlos zu beleidigen, sie runterzumachen, oder mit Schmähungen zu überziehen. Das taten nur solche, die es nötig hatten, ihre Gegner zu einem Kampf zu provozieren. Er sagte lieber einfach, was er von ihnen hielt und zeigte direkt seinen Standpunkt auf. Andrew kannte diese Eigenschaft seines Kindheitsfreundes bereits und auch wenn er sie selbst nicht unbedingt bevorzugte, konnte er sie doch nachvollziehen. Wenn man solche Typen wie diese zwei hier nicht mochte, warum sie dann auf die gleiche Weise verspotten, wie sie es mit einem selbst taten? Außerdem weckte diese Taktik nicht selten unüberlegte Wut bei dem Gegner, was auch hier der Fall war und wie jeder eigentlich wissen müsste, gingen Wut und Überheblichkeit stets einher.

    „Okay, wie du willst“, entgegnete Bürstenkopf aufbrausend.

    „Wir warten heute Abend um sechs Uhr auf euch bei den Kampfplätzen. Wenn ihr euch traut, versteht sich.“

    Ryan lachte eine Sekunde in sich hinein, zufrieden darüber, dass seine Worte gewirkt hatten und wandte sich dann wortlos ab, während Andrew die beiden Gegner noch kurz mit einem kämpferischen Grinsen ansah, bevor er schließlich Ryan folgte. Halbstarken Protzern ihre Grenzen aufzuzeigen gehörte zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Offensichtlich hatten die beiden auch nicht den blassesten Schimmer, wen sie da herausgefordert hatten, denn auch wenn Ryan und Andrew sich mit ihren Auftritten in den Ligen von Kanto und Johto viele Rivalen gemacht hatten, hatte es doch bislang noch niemanden gegeben, der ihnen so entgegengetreten war, wie diese zwei. Jetzt war zwar nicht alles gut und keiner der Johtonesen wirklich stolz auf sich, aber sie waren Kevin und Bürstenkopf los. Zumindest bis heute Abend und da brauchten sie wenigstens nicht mit ihnen reden. Nach so einer hitzigen Begegnung war nun definitiv etwas Entspannung angesagt.

    Der schmächtige Wüstling schlug derweil seinem schwarzhaarigen Bodyguard – er machte ein wenig den Eindruck ein solcher zu sein – leicht mit dem Handrücken auf die Wampe und bedeutete jenem somit, ihm zu folgen. Dies tat er erst nachdem er sich das letzte Stück seines Donuts in den Mund gestopft hatte.


    Die Kampfplätze auf diesem Schiff waren sehr großflächig und nicht gerade platzsparend angelegt worden. Wenn man sie sah, war es kaum zu glauben, dass man sich auf einem Schiff befand. Ein halbes Dutzend davon waren parallel liegend auf dem Holzboden eingezeichnet worden und wurden durch eine mannshohe Plexiglaswandwand an je einer Seite von den benachbarten Kampffeldern getrennt. Im Prinzip wirkte der ganze Bereich wie eine riesige Turnhalle und tatsächlich war er auch als genau solche erbaut worden. Nur hatten sich die Verantwortlichen wohl dazu entschlossen, die Halle mit Kampfplätzen auszustatten. War die Nachfrage nach solchen wirklich so groß gewesen? Erschien eher unwahrscheinlich, da sich kaum ein Mensch hier aufhielt. Warum auch? Die meisten Leute waren oben an Deck und genossen das nach wie vor schöne Wetter oder vergnügten sich in einer der vielen Freizeitanlagen.

    Ryan und Andrew zählten dank zweier streitlustiger Nervensägen, die offenbar weder über Anstand noch über besonders viel Grips verfügten, zu den wenigen Personen, die sich nun an diesem Platz einfanden. Kaum waren die beiden Trainer aus Silber City durch die breite Eingangstür geschritten, standen ihnen besagte Plagen auch schon gegenüber.

    „Sieh an, sieh an, ihr habt euch wirklich her getraut“, höhnte Bürstenkopf gleich wieder, wobei er eine Augenbraue spöttisch hochzog.

    „Ich fasse es selbst nicht, dass ich meine Zeit mit euch verschwende“, konterte Ryan, mit vollem Ernst.

    „Erspart uns wenigstens eure dämlichen Sprüche und lasst uns anfangen“, fügte er hinzu.

    „Keine Angst, wir werden´s kurz und schmerzvoll machen.“

    Ryan verdrehte seufzend die Augen.

    „Was hab ich grade wegen der Sprüche gesagt?“

    „Was für eine Kombo. Blöd und taub, das darf ja wohl nicht wahr sein“, ergänzte nun auch Andrew. Allerdings so leise, dass man davon ausgehen musste, die Aussage war nicht einmal an jene Beiden gerichtet. Die Gegenseite hatte die Worte dennoch vernommen und wieder ließ sich der Kleinere augenblicklich davon provozieren, biss sich wütend auf die Unterlippe. Sein dicker Kollege Kevin machte nach wie vor einen erbosten aber zugleich äußerst wortfaulen, geradezu unterbelichteten Eindruck. Daher übernahm auch Bürstenkopf wieder das Reden.

    „Na los, lasst uns endlich anfangen!“

    Während Ryan und Andrew gemächlichen zu ihrer Seite des Kampffeldes schritten, stapften ihre Gegner regelrecht an ihre Position. Mindestens einer schien völlig blind vor Wut und machten nicht den Eindruck, überlegt handeln zu können.

    „Wir machen einen Doppelkampf daraus mit insgesamt zwei Pokémon pro Trainer, klar? Wenn alle vier Pokémon einer Seite K.O. sind ist der Kampf vorbei!“

    Die laute und energische Stimme des schlaksigen Jungen schien keine Wiederworte zu akzeptieren, doch davon gab es eh keine.

    „Wenn´s denn sein muss“, entgegnete Ryan völlig gleichgültig. Nun zückten die Jungs, von denen nebenbei noch immer nur ein Name bekannt war, von zorniger Entschlossenheit gepackt ihre Pokébälle. Ryan und Andrew einigten sich ganz ohne Absprache, dass sie ihr Leben gut und zufrieden weiterführen konnte, ohne Bürstenkopfs richtigen Namen zu erfahren.

    „Sniebel, los!“

    „Mach dich bereit, Lektroball!“

    Die Wahl ihrer Pokémon passte optisch gar nicht mal schlecht zu dem dämlichen Duo. Während der Kurzhaarige ein schlankes, dunkelblaues Wiesel, welches mit scharfen, gefährlich aufblitzenden Klauen, einer purpurnen Feder am Kopf und zweien am Rücken versehen war, in den Kampf schickte, erschien vor Kevin ein Pokémon, das mit seiner kugelförmigen Form ebenfalls entfernt an seinen Trainer erinnerte. Es sah quasi aus wie ein Pokéball mit der weißen Hälfte nach oben gerichtet und einem plump aufgemalten Gesicht.

    Nun brachten auch Ryan und Andrew jeweils eine rot-weiße Kapsel hervor, die sie sogleich vergrößerten und wortlos in die Luft warfen. Im Normalfall hätten auch sie ihre Kämpfer mit einem motivierenden Kampfruf aus ihren Bällen befreit, doch fühlten sie sich gerade ganz einfach nicht danach. Eigentlich war dieser Kampf hier ein Zeichen von Schwäche und mangelnder Reife beider Seiten. Aber mit sechzehn Jahren durfte man sich wohl hin und wieder etwas Sturheit und Rauflust erlauben. Die Tatsache, dass Ryan nur ein einziges Pokémon mit sich führte, beunruhigte ihn keineswegs. Man konnte das überheblich nennen, aber die Erfahrung hatte gezeigt, dass er in der Regel ein gutes Gespür für Menschen im Allgemeinen und Trainer im Besonderen besaß. Und ein absolut zuverlässiges bei streitlustigen Trotteln. Von den Zweien würde er sich nicht ins Boxhorn jagen lassen.

    Aus dem weißen Licht heraus erschien auf seiner Seite ein mächtiger Stahlvogel, dessen Schwingen das großzügige Licht an der Hallendecke grell reflektierten. Seine topasfarbenen Augen fixierten aufmerksam die beiden Gegner und er krächzte kampfbereit. Das Flattern und Schlagen der klingenartigen Flügel sandte ein Geräusch, ähnlich von rasselnden Säbeln durch die Halle.

    Andrew hatte sich für ein Pokémon entschieden, das einer großen Schlange mit meerblauen Schuppen auf dem Rücken sowie weißen auf dem Bauch glich und mit einer prächtigen blauen Kristallkugel am Hals versehen war. Gleich zwei davon zierten zudem das Schweifende. Auf dem Kopf zeigte sich ein kurzes aber spitzes Horn und zwei kleine weiße Flügel, die zum Fliegen allerdings zu klein waren. Dank der Tatsache, dass Dragonir auch ohne sie zu schweben in der Lage war – und das auch noch überaus anmutig und wendig – war das aber ein eher belangloses Detail. So standen sich also die vier Kontrahenten nun also gegenüber, doch während Panzaeron und Dragonir in aller Ruhe ihre Blicke auf den Gegner ruhen ließen und voller Konzentration ihren Verstand schärften, wirkten eben jene Gegner aufgekratzt und unroutiniert, obwohl die Typenverhältnisse insgesamt einen Vorteil zu deren Gunsten anzeigten. Daher war auch zu vermuten, dass das Elektropokémon seine Attacken auf Panzaeron konzentrieren und Sniebel mit seinen Eis-Attacken hauptsächlich den Drachen ins Visier nehmen würde.

    Doch wer nur nach dem Typ kämpfte, würde gegen die beiden Johtonesen keinen Stich landen. Es würde sich zeigen, was hinter der großen Klappe dieser komischen Vögel steckte. Ein kämpferisches Lächeln umspielte nun Ryans Lippen, denn er hatte die damalige Vorbereitungszeit auf die Silberkonferenz unter anderem in das Erlernen neuer Techniken sowie der Arbeit sowohl an unverbrauchten als auch an bewährten Strategien investiert. Und diese beiden Vollidioten boten eine gute Gelegenheit, diese Attacken zu verfeinern.

    „Panzaeron, beginne mit Sternenschauer auf Sniebel!“

    Ob Möchtegern-Trainer oder nicht, ein Kampf blieb ein Kampf und so kam Ryan nicht drum herum, seine Befehle wie üblich laut auszurufen. Das Stahlpokémon gehorchte, stieß ebenfalls ein kämpferisches Krächzen aus, um das Wiesel dann mit scharfkantigen Sternengeschossen aus seinem Schnabel zu beschießen. Da sowohl sein Panzaeron als auch Andrews Dragonir gegen die Eis-Attacken, die Sniebel ohne Zweifel einsetzten konnte, sehr anfällig waren, musste er es beschäftigen und verhindern, dass es die Initiative ergreifen konnte. Eigentlich eine schier unlösbare Aufgabe da die Schnelligkeit des Eiswiesels nahezu unerreicht war. Zumindest in voll entwickelter Form von Snibunna, aber dennoch. Die Inkompetenz seines Trainers würde dies hoffentlich ausgleichen.

    „Sniebel, Kratzfurie los!“, reagierte Bürstenkopf. Sofort sprintete sein Pokémon mit bemerkenswerter Geschwindigkeit los und zerschlug die Geschosse mit seinen scharfen Klauen, welche in einen goldenen Glitzerregen zersprangen. Dabei waren die Bewegungen so flink, dass das menschliche Auge die Detonation kaum genau erkennen konnte. Im Grunde keine schlechte Reaktion, doch damit war es geradewegs in die Falle getappt.

    „Eisenschweif Dragonir!“

    Direkt hinter dem Hagel aus Sternen schoss nun der Schlangendrache hervor, die beiden Kugeln an seinem Schweifende hell aufleuchtend und abgehärtet, wie Metall. Diese Taktik hatten sie schon zu früheren Zeiten oft eingesetzt und sie bewährte sich immer wieder. Der Gegner wehrte eine Attacke ab, die sich rasch als Finte herausstellte, um sich anschließend ungeschützt dem eigentlichen Angriff gegenüber zu sehen. Für Sniebel stellte der Schlag eine besonders schmerzhafte Erfahrung dar. Sofort schrie besagtes Pokémon auf, als es von Dragonirs Schweif in der Magengegend getroffen und meterweit zurückgeschleudert wurde. Der kleine Körper konnte der geballten Kraft des Drachen und dem brachialen Effekt der Stahl-Attacke kein bisschen standhalten und blieb so unmittelbar vor seinem Trainer liegen. Dieser schien alles andere als zufrieden mit seinem Kämpfer und tadeltet ihn wütend, während er sich auf die Beine kämpfte.

    „Streng dich gefälligst mehr an! So weit kommt´s noch, dass du nach nur einer Attacke schlapp machst.“

    Dieser Satz entlockte den beiden Jungen aus Silber City nur ein wütendes Schnauben. Im Grunde war es aber wenig verwunderlich, wie der Bürstenkopf mit seinem Schützling umging. Dieser Idiot. Sniebel vermochten gut auszuteilen, taten sich aber schwer, mal einen wegzustecken. Es war seine Aufgabe, Gegentreffer zu vermeiden. Aber das sah der wohl eher nicht ein.

    „Keine Bange Johnny, ich mach das schon“, meldete sich nun der Dicke. Erst jetzt konnten Ryan und Andrew feststellen, wie sehr seine Stimme zu seinem Aussehen passte. Müde, gelangweilt und äußerst dunkel. Durch hastiges Verschlingen von unzähligen XXL-Mahlzeiten mussten sich irgendwann einmal seine Stimmbänder gedehnt haben.

    „Lektroball, Superschall, auf geht´s!“

    Das Wesen, welches einem Pokéball so ähnlich sah, begann für Pokémon ohrenbetäubende Schallwellen auszustoßen. Für gewöhnlich wurde man unter dem Einfluss dieser Attacke nahezu handlungsunfähig und verlor die Orientierung. Eigentlich war die Idee nicht übel, da sich Sniebel unterdessen wieder ein wenig erholen und sich sein Ziel praktisch würde aussuchen können, doch Ryan wusste hierauf eine Antwort.

    „Jetzt kommt Metallsound!“

    Dies war eine von jenen Attacken, die Panzaeron noch kurz vor der Silberkonferenz erlernt hatte und darin bestand, dass es ein nahezu unerträgliches, metallisches Krächzen ausstieß. Seine schrille Stimme vermischte sich mit Lauten, die an aneinander schabende und kratzende Blechteile erinnerte. Nicht nur, dass es so den Superschall neutralisierte, es schien zumindest bei Sniebel einen schmerzhaften Effekt auf sein empfindliches Gehör zu haben. Lektroball konnten Attacken dieser Art allerdings nur wenig ausmachen.

    Dennoch nutze nun Andrew die Gelegenheit der Verwirrung auf Seiten der Gegner, um einen weiteren fatalen Schlag auszuführen, nachdem Ryan die Aufmerksamkeit nun voll und ganz auf sich gezogen hatte.

    „Okay Dragonir, geh näher an Sniebel heran.“

    Das Drachenpokémon sang ein zustimmendes „Dra-gonir“, straffte seinen langen Körper und segelte wie von Geisterhand geführt durch die Lüfte.

    „Drachenwut!“

    So wurde wieder das kleine Wiesel zum Ziel der Attacke, als bläuliche Flammen aus Dragonirs Maul spien und wütend auf den Gegner züngelten, der dem Angriff nicht mehr entgehen konnte. Erneut schrie Sniebel gequält auf, zappelte wild auf dem Boden herum und versuchte verzweifelt, die Flammen zu ersticken. Sein Trainer schien sich nun ziemlich im Stich gelassen zu fühlen und suchte die Schuld bei seinem Partner.

    „Man Kev, nennst du das etwas Unterstützung?“

    „Hey, mach mich nicht dumm an, okay?“

    Tolles Team die beiden, ergänzten sich perfekt. Andrew erkannte sofort die Uneinigkeit der Gegner und gedachte diese auszunutzen.

    „Dragonir, Hyperstrahl auf Lektroball!“

    Nun erst realisierten die Deppen, dass sie sich vom Match hatten ablenken lassen, wandten sich Kev und Johnny wieder den Geschehnissen auf dem Kampffeld zu. In totale Hektik verfallend versuchten sie es mit einer Verzweiflungstat.

    „Schnell Lektroball, Donnerblitz-Attacke!“, rief der Schwarzhaarige nun, worauf sein Pokémon grelle, gelbliche Blitze um seinen kugelförmigen Körper zucken ließ und diese dann in einem starken Stromstoß auf den Drachen schleuderte. Dieser konnte allerdings in einer eleganten, spiralförmigen Flugbewegung ausweichen, während ein gelblicher Energieball an der Spitze seines Horns erschien. Dieser schoss sogleich als mächtiger Lichtstrahl direkt in das Gesicht Lektroballs. Die Kraft, welche in einem Hyperstrahl steckte, war allgemein bekannt und gefürchtet. Weder das getroffene Pokémon noch dessen Trainer wussten eine Antwort hierauf. Nachdem Hyperstrahl in einem lauten Knall und dunklem Rauch resultierte, war das Elektropokémon für einen Moment darin verschwunden. Es erschien rückwärts rollend und krachte mit Schmackes in die Wand, musste sich entkräftet geschlagen geben.

    Andrew schürzte mit einem kritischen Blick die Lippen. Schon von vornherein hatte er bedacht die Attacken des Drachen genau beobachten und deren Stärke einschätzen wollen. Für ihn ging es weniger drum, diesen Zwist zu klären, sondern Dragonirs Fähigkeiten zu testen. Bislang konnte er überaus zufrieden sein und besonders der Hyperstrahl war alles Andere als schlecht gewesen. Doch hatte er sich offen gesagt noch etwas mehr erhofft. Schließlich war diese Attacke keine, die man immer und immer wieder einsetzte, sondern eher eine Geheimwaffe, mit der man den finalen Schlag markierte. Zwar traf das in Lektroballs Fall auch zu, aber diese beiden umzupusten, das war keine Kunst. Für ihn stand bereits fest, der Angriffskraft würde er noch feilen müssen. So dumm und unnötig dieser Kampf hier auch war, so boten diese zwei Gegner – oder sollte man Opfer sagen? – immerhin eine gute Gelegenheit, Dragonirs Defizite aufzudecken.

    „Was? Das war´s schon?“, stieß Kev ungläubig hervor. Ein Treffer und direkt in Ohnmacht gefallen. Um seine Überlegenheit zu untermauern, baute sich Andrews Drachenpokémon nun stolz und anmutig vor dem besiegten Gegner auf und stieß einen triumphierenden Ruf aus. Allerdings schien es nicht bedacht zu haben, dass nach wie vor ein gegnerisches Pokémon im Rennen war und dieses ihm sogar gefährlich werden konnte.

    „Sniebel, setz Eissturm ein!“, kam nun die Anweisung von Johnny. Völlig überrascht fuhr Dragonir herum und blickte in die heimtückisch grinsenden Augen des Wiesels zu seiner Rechten, das tief Luft einsog und in Form einer eisigen Wolke ausstieß.

    „Schütze es mit Lichtkanone!“

    Geistesgegenwärtig reagierten Ryan und sein Stahlpokémon, um den Teampartner vor der vernichtenden Eis-Attacke zu bewahren und zwar mit einer Technik, die sie ebenfalls erst kürzlich gelernt hatten. Ein weiß und silber schimmerndes Licht sammelte sich in Panzaerons Schnabel und formte sich zu einem gleichfarbigen Strahl, der den Eissturm Sniebels abfing, kaum dass es die Attacke gestartet hatte. Die kollidierenden Energien erzeugten einen weiteren Knall, dessen Druckwelle Das Wiesel gewaltsam zurück schleuderte. All das passierte so schnell, dass Kev gar nicht dazu kam, sein zweites Pokémon in den Kampf zu schicken und somit blieb sein schlaksiger Kumpane ohne jede Hilfe. Das Drachenpokémon hatte somit genügend Zeit, die Nachwirkung des Hyperstrahl auszusitzen. Mehr noch bot sich für Andrew nun eine gute Gelegenheit, auch das Sniebel Schach Matt zu setzen.

    „Dragonir, noch einmal Drachenwut!“

    Abermals spie das schlangenartige Wesen einen bläulichen Flammenstrahl aus, jedoch zeigte Johnny nun wenigstens mal so etwas Ähnliches, wie eine schnelle und vor allem kluge Reaktion.

    „Mit Finte ausweichen!“

    „Snie-“

    Innerhalb von Bruchteilen einer Sekunde verschwand Sniebel plötzlich blitzschnell aus dem Sichtfeld Dragonirs, um im nächsten Moment zu seiner Rechten wieder zu erscheinen, die Klauen angriffslustig aufblitzend. Der Bürstenkopf stand nun unmittelbar davor, den ersten erfolgreichen Angriff auszuführen, da es zum Ausweichen bereits zu spät war.

    „Stahlflügel!“, hallte es auf einmal siegessicher von der anderen Kampffeldseite hinüber.

    „Panzaerooon!“, stieß der Stahlvogel entschlossen auf den Befehl seines Trainers hervor. Es machte unmissverständlich deutlich, dass es ebenfalls noch mit mischte und ehe man sich´s versah, schlug es das Wiesel mit seinen aufleuchtenden Schwingen zu Boden. Dieser Schlag, stahlhart und genau gegen die Schläfe, war nun endgültig zu viel und Sniebel blieb kraftlos am Boden liegen. Sein Trainer biss sich nur vor Wut schäumend auf die Unterlippe.

    Diese erste Runde war mehr als einseitig verlaufen, was auf die Tatsache zurückzuführen war, dass sich Ryan und Andrew gegenseitig gedeckt und den Partner bei seinen Angriffen unterstützt hatten. Dieses Vorgehen war so einfach wie genial und in einem Doppelkampf schon die halbe Miete. Selbst wenn man davon absah, agierten die Johtonesen auf einem ganz anderen Niveau, spielten einfach in einer anderen Liga.

    „Ist das schon alles, Jungs?“, höhnte Ryan hinüber.

    „Ihr habt uns einen Kampf versprochen.“

    „Aber im Moment gebt ihr höchstens schlechte Sparringpartner ab“, ergänzte Andrew. Sie konnten hier wirklich machen, was sie wollten. Sie führten ihre Gegner vor. So einen einfachen Kampf hatten die beiden Trainer schon lange nicht mehr bestritten und wenn Kev und Johnny nicht ganz schnell einen anderen Weg einschlugen, würden sie unangespitzt in den Boden gestampft werden.


    Auf dem Oberdeck erledigten zwei unscheinbare Matrosen ihren frühabendlichen Rundgang, wobei es sich genauer gesagt um einen Matrosen und eine Matrosin handelte. In fein säuberliche, weiße Uniformen gehüllt, die ihren Rang auf diesem Schiff deutlich machten, schritten die zwei Gestalten unscheinbar voran und nahmen Kurs auf die Brücke. Ihre Gesichter hatten sie unter ihren Mützen verborgen. Lediglich bei der Frau floss ein violetter Haarstrom bis zwischen die Schulterblätter und ein Paar schmuckvolle Perlenohrringe in hellem Grün hervor. Bei dem Mann ließ sich das Geschlecht höchstens durch den strammen, wenn auch nicht besonders muskulösen Körperbau erahnen.

    Die beiden würdigten keinen der vielen Fahrgäste, an denen sie vorbeischritten, auch nur eines Blickes, gingen immer nur langsam und zielsicher über das Deck und nach und nach die Treppen zur Brücke hinauf, ohne auch nur die geringste Aufmerksamkeit eines einzigen Menschen zu erregen.

    Als sie dann endlich vor der Tür des großen Steuerhauses standen, hoben sie leicht ihre Häupter und entblößten ihre heimtückisch grinsenden Gesichter.

  • Als ich den Titel gelesen habe, habe ich eigentlich zuerst daran gedacht, dass sich Ryan und Andrew miteinander zoffen und mich schon fast darauf gefreut. *böse ist* >=D Aber so war's auch keine Enttäuschung, obwohl der Streit zwischen den Pöblern und Andrew & Ryan doch etwas aufgesetzt am Anfang daherkam... und klischeehaft, dass einer der beiden Kevin heißt. Das ist aber keine Kritik an dich, ich find's iwie lustig ^^" Und generell, das Duo schaut mir nach Dick und Doof aus? XD


    Jedenfalls hast du den Kampf gut beschrieben. Lebendig, nur verstehe ich nicht, weshalb ein Sniebel zu so einem passen sollte. =O Wie auch immer, zum Kampf möchte ich noch sagen: Schade, dass von Anfang an für den Leser klar wird, dass die beiden keine Chance haben. Dadurch baust du jetzt nicht unbedingt einen Spannungsbogen auf. Für mich wäre es viel interessanter gewesen, wenn Ryan und Andrew beide unendlich unterschätzt hätten und sich dann einem ziemlich großen Problem gegenüberstehen. Liga hin oder her, auch solche Trainer kommen ebenfalls wie jeder andere auch regelmäßig an ihre Grenzen.
    Gut, ich denke mal, dass du uns nur zeigen wolltest, wie gut Ryan und Andrew miteinander können, auch auf kämpferischer Ebene.


    Wirklich interessant wird der Absatz am Schluss. Da du über Hoenn schreibst, nehme ich mal stark an, dass wir es jetzt mit Team Aqua zu tun bekommen und das verspricht einen Haufen Spannung. =)


    Bastet~

  • Hey auf mich musstest du leider wie immer etwas warten aber von meiner Wenigkeit kennt man es ja leider nicht anders, lol. Wenn ich irgendwas wiederhole was Bastet schon sagte sorry, aber ich les mir ihr Kommi vorher nie durch und so. xD


    Joa, vom schriftlichen her ganz okay, hab ich aber auch schon besser beschrieben gesehen von dir. Die beiden Pöbler konnte ich mir nur mäßig vorstellen irgendwie aber das Schiff an sich relativ gut. Die Pokemon waren auch wiederzuerkennen, da im Kampf hat mir aber ein bisschen mehr Detail gefehlt. Am Ende aber bei den Andeutungen wieder sehr gut. War also eher schwankend, da musst du mal wieder hinkommen das es durchgehender ist. Gefühlsbeschreibungen waren fast gar nicht da, eher hast du da auf Gedanken geachtet und auf die Dialoge hat mir jetzt auch ganz gut gefallen aber dann achte bitte noch viel genauer auf Gestik und Mimik wenn es so ist. Sonst kann ich das einfach nicht so gut nachvollziehen. Dialoge von Ryan und Andrew sind spitze ich find die Beiden zusammen ja mal so genial, haha. Das mit den Pöblern fand ich ein bisschen unrealistisch, aber wenn du da jetzt vielleicht noch einen plausiblen Grund aufdeckst warum die gleich schon so aggressiv sind fänd ich das besser, sonst wirkt das eher so klischeehaft und das stört mich irgendwie ein bisschen. Joa sonst ist ja gar nicht so viel passiert, den ersten Teil mit dem Verlaufen fand ich ganz lustig, hat mir auch von den Beschreibungen her gut gefallen. Irgendwie habe ich das Gefühl ich wiederhole mich gerade nur und das wird nachher ein extrem kurzes Kommi...Naja egal, lol. Wie gesagt also die Ideen und so fand ich gut aber die Beschreibungen generell haben mir einfach gefehlt weil ich ja weiß das du es schon so viel besser gezeigt hast. Der letzte Teil ist dann natürlich wieder ziemlich interessant da man ja so schöne Vermutungen anstellt wer die Beiden denn nun sein könnten. Fand ich gut aber ich denke mal im nächsten Kapitel bekommst du dann wieder was vernünftigeres von mir lol, muss wohl von dem Weihnachtsrausch kommen x)


    LG
    Noel


  • [tabmenu][tab=Grüße]Moin, moin und hallo,
    so langsam habe ich den Eindruck, ihr beide seid der harte Kern unter den Kommi-Schreibern. Insgeheim hatte ich ja gehofft, dass es bei meiner zweiten FF nicht so schleppend laufen würde, wie bei meiner ersten, aber andererseits habe ich rückblickend noch nicht viele Gründe, um Begeisterungsstürme zu erwarten. Naja, mal schauen, wie´s wird, wenn die Story gänzlich in Fahrt kommt. Ich darf ankündigen, dass auch das nächste Kapitel, so viel man auch spekulieren kann, noch nicht der Startschuss für den eigentlichen Komp(l)ott gibt. Dennoch wird es auf lange sicht wichtig sein. Aber bevor ich zu viel quatsche...
    [tab=Noel]Ja irgendwie hast due Recht, was meine schriftlichen Leistungen angeht. Gerade die von dir angesprochene Mimik und Gestik ist bei mir noch unzureichend. Das ist nicht ganz das, was ich angestrebt habe, als ich mit meiner Schreibarbeit begonnen habe, doch irgendwie fehlt mir aktuell ein bisschen die Kreativität, aber auch der Biss. Ohne mich herausreden und/oder erklären zu wollen: Ich glaube ich plane einfach zu detailreich in die Zukunft. Wenn ich an die eigentliche Hauptstory denke (die ja erst noch folgen wird) kommt mir die aktuelle Situation beinahe schon langweilig vor und ich würde am liebsten in die Zukunft springen. Ich Labertasche :S
    Wie ich glaube ich angekündigt hatte, war dieses Kapitel ein kleiner Test an mich selbst im Bezug auf Pokémonkämpfe. Mit denen tue ich mich ja unglaublich schwer. Daher habe ich hier einen eher einseitigen Kampf insziniert und mit einer Prise Humor, wie auch einen Einblick in die Trainer Ryan und Andrew mischen wollen. Die Pöbler sind eigentlich gar nicht sooo unrealistisch, wie ich finde. Wenn du noch nie solch aggressive Menschen kennenlernen musstest, beneide ich dich darum. Aber heutzutage kann man ja schon den Hass eines Menschen auf sich ziehen, wenn man ihn nur im falschen Moment anspricht.
    Das ganze galt also für euch eher als Zeitüberbrückung mit hoffentlich gutem Unterhaltungswert. So ganz scheint das aber nicht geklappt zu haben. Puh, muss wohl noch einiges aufarbeiten, bevor ich mir irgendwann mal winzige Hoffnungen auf den Profi-Bereich machen kann (man wird doch wohl träumen dürfen :blush: ). Nicht, dass mir das nicht klar gewesen wäre.
    [tab=Bastet]Oh, du böse, böse Bastet. Wie kannst du bei zwei so netten Jungs auf einen sinnlosen Streit hoffen^^. Nein, jetzt ernst. Wie ich schon Noel sagte, war das Kapitel ein kleiner Test für mich selbst, um mich an die Pokémonkämpfe heranzutasten, da die mein ganz großes Manko sind. Gleichzeitig habe ich auch versucht Humor und Unterhaltungswert einzubauen. Da dieses Kapitel aber mehr ode weniger wieder nur ein Filler ist, um nicht direkt in das eigentliche Drama zu stürzen (siehe Cliffhanger), habe ich auf großartigen Spannungsaufbau verzichtet. Du hast schon recht, dass auch erfolgreiche Trainer einmal ihren Meister finden, doch hier hatte ich schlicht und einfach nichts dergleichen beabsichtigt. Und mein Bruder/inoffizieller Betaleser fand das Kapi immerhin sehr amüsant. Vielleicht auch Geschmackssache...
    Eigentlich hatte ich auf etwas präzisere Kritik gehofft, was den Kampf angeht, aber anscheinend hätte ich dafür wohl den Verlauf undurchsichtiger gestalten sollen. Dann eben nächstes Mal mit mehr Risiko.
    Ja, Team Aqua, Team Magma, Team Maqua, oder doch was ganz anderes? Darauf werde ich jetzt natürlich noch keine Antwort geben. Wie ich aber ebenfalls schon Noel sagte, wird aber auch hier erst in den nächsten Kapis richtig tief gebohrt. Es heißt also noch: Geduldig sein.
    [tab=Abschluss]Ich schätze mal, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass Kapitel 5 nicht ganz die gewünschte Wirkung erzielt hat. Doch bei meinen fast vertigen Vorlagen zu den nächsten Kapiteln kann ich Verbesserung versprechen. Dann werden hoffentlich auch wieder regelmäßiger und auch mehr Leute ihre Meinung abgeben. Euch beiden das obligatorische Dankeschön und hoffentlich bis bald.
    Wiederschauen, reingehauen[/tabmenu]

  • Kapitel 6: Falsche Crew


    Ryan und Andrew blickten siegessicher in die schwitzenden Gesichter ihrer beiden Gegner, die zuvor noch mit ihrem Können geprahlt hatten und nun die völlig unterlegene Seite darstellten. Panzaeron und Dragonir hatten nicht einen Kratzer abbekommen, während seitens von Johnny und Kev bereits jeweils ein Pokémon besiegt war. Wütend und fassungslos über die Stärke der beiden Jungen, die sie wenige Stunden vorher noch verspottet hatten, starrten diese mit recht planlosen Gesichtern zu ihren Gegnern hinüber. Man hatte den Eindruck, je stärker sie mit ihren Zähnen knirschten, desto mehr Schweißperlen sah man bei ihnen glänzen. Dennoch blieb ihnen keine andere Option als weiterkämpfen, denn wenn sie jetzt einen Rückzieher machten, würde sie das nur noch mehr kränken.

    So zückten sie nun jeweils einen weiteren Pokéball, einen nervösen Ausdruck im Gesicht stehend, der verriet, dass sie noch keinen Plan gefasst hatten, die Niederlage zu umgehen. Gerade wollte sie ihre Pokémon befreien, als plötzlich die hektischen Rufe eines Matrosen die volle Aufmerksamkeit aller vier Trainer auf sich zog.

    „Schnell, beeilt euch, Bewegung, Bewegung!“

    Ein halbes Dutzend weiß uniformierter Männer rannte an ihnen vorbei, als wäre ein Biborschwarm hinter ihnen. Von hektischem Getrampel begleitet stürmte die Besatzung die Tür zu den Decks. Ein Anblick, der sowohl Ryan als auch Andrew stutzig machte. Unsicher, was sie tun sollten, tauschten sie einige Blicke aus, doch nur eine Sekunde später kam eine weitere Gruppe Matrosen herangestürmt, von denen der blonde Trainer schnell einen einzelnen absonderte, um ihn zu befragen.

    „Hey,... hey“, schrie er, um seine Aufmerksamkeit zu gewinnen und hielt ihn an der Schulter. Der Mann war trotz fortgeschrittenen Alters einen halben Kopf kleiner als Ryan, weshalb er leicht zu stoppen war.

    „Tschuldigung, ist was passiert?“

    Während seine Kollegen noch an ihm vorbei stürmten, gab der weiß uniformierte Mann seine knappe Erklärung ab.

    „Genaueres weiß ich nicht, aber angeblich ist die Besatzung auf der Brücke überfallen worden.“

    Diese Worte ließen nun sämtliche Alarmglocken in Ryan läuten. Das roch nach Schwierigkeiten.

    „Zu eurer eigenen Sicherheit solltet ihr euch in eure Kajüten begeben, da seid ihr sicher. Wir regeln das schon“, fügte der Mann noch hinzu, bevor er dann wieder losrannte, um zu der Gruppe, die eben noch an ihm vorbeigezogen war, aufzuschließen.

    Andrew trat an die Seite seines Freundes. Der hatte die Stirn in Falten gelegt und verdächtig eine Braue gehoben.

    „Was meinst du, sollen wir uns das ansehen?“

    „Besser wär´s.“

    Mit einem Mal waren die Prioritäten vollkommen verschoben und der Kampf völlig vergessen, weshalb sie ihre Pokémon zurück riefen und aus der Halle verschwanden, ohne Kev und Johnny auch nur eines weiteren Blickes oder Kommentars zu würdigen. Hastig rannten sie durch die Gänge, auf denen einige beunruhigte Passagiere das Durchkommen erschwerten und einige Angestellte des Schiffspersonals Löcher in den Bauch fragten. Recht rüde und rücksichtslos erzwangen sich Ryan und Andrew einen Weg hindurch und erreichten nach wenigen Minuten die Treppe, die sie aufs Oberdeck führte.


    Eine angenehm kühle Brise hieß die beiden Trainer an Deck willkommen. Die Sonne stand noch ein gutes Stück über dem Horizont und würde frühestens in zwei Stunden gänzlich hinter selbigem verschwinden. Bedachte man, dass sich der Tag eigentlich schon dem Ende näherte, merkt man deutlich, dass die Hoenn-Region nicht weit war, da die Sonne hier erst relativ spät unterging. Dementsprechend war auch noch einiges an Tageslicht vorhanden und auch die Temperatur absolut sommerlich.

    Für das Wetter hatten Ryan und Andrew allerdings im Moment wenig Zeit zur Begutachtung. Hektisch blickten sie sich um, sperrten die Ohren auf und achteten auf jede noch so verdächtige Kleinigkeit. Sie befanden sich im vorderen Bereich des Schiffes. Der Bug war sehr nahe, doch trennte sie noch eine große, fast nackte Fläche an Boden aus lackiertem Holz davon. An der Reling waren einige Sonnenliegen aufgestapelt, auf denen sich Passagiere hier zuvor noch die Mittagssonne auf die Bäuche hatten scheinen lassen. Ebenso fanden sich dort einige Sonnenschirme. Es hatten sich auch einige andere Passanten hier eingefunden, die nun irritiert umherblickten und sich gegenseitig mit Fragen bombardierten.

    „Irgendetwas muss auf der Brücke passiert sein. Die Maschinen gestoppt“, hörten die zwei jungen Trainer jemanden aus der Menge sagen. Bei genauer Betrachtung des Ozeans um sie herum war festzustellen, dass die Person Recht hatte, denn das Schiff hatte deutlich an Fahrt verloren und trieb nur noch mit dem übrigen Schwung der nun nicht mehr arbeitenden Schiffsschraube vorwärts.

    „Was machen wir jetzt?“, erkundigte sich Andrew nach dem Plan. Hier unten konnten sie ganz bestimmt nichts tun.

    „Zur Brücke, oder was?“

    Nur eine Sekunde später ertönte das schrille und überaus heimtückische Gelächter eine Frauenstimme. Ryan und Andrew folgten instinktiv dem Klang und erspähten zwei Personen, oben auf dem Dach des Steuerhauses, das etwa acht Meter über ihnen lag. Eine Frau war in der Tat dort oben vertreten. Sie war sehr schlank gebaut und besaß violettes, schulterlanges Haar, welches sie glatt nach hinten gekämmt hatte und aus welchem eine schneeweiße Strähne hervortat, die ihr ins Gesicht hing. Heimtückisch funkelnde Augen von dunkler Farbe trafen ihn mit katzenartigen Blicken. Ohne diese und das boshafte Lächeln auf ihren blutroten Lippen wäre sie einem durch ihre zarten, weichen Gesichtszüge sicher wie ein unschuldiges Lamm vorgekommen. Der Mann zu ihrer Rechten war nicht besonders kräftig gebaut, stand aber äußerst stramm und machte somit einen selbstsicheren Eindruck. Er besaß ebenfalls violette Haare samt langer, weißer Strähne, welche jedoch am Hinterkopf hervortrat und über seiner rechten Schulter hing. Ansonsten war der Schopf eher kurz geschnitten, recht ungepflegt und zerzaust. Er war etwas gebräunt und taxierte die Menschenmasse unter ihm mit kräftig blauen Augen. Seine Mimik war nur ein klein wenig boshaft, wirkte ansonsten eher emotionslos und gleichgültig. Anstatt sich über die Verwirrung ihrer Opfer und Geiseln zu amüsieren, galt sein Fokus der Mission. Sie waren schließlich nichts zum Spaß hier.

    Die zwei Gestalten machten einen merkwürdigen Eindruck auf die beiden Jungen aus Silber City. Das abstrakte Duo war in eng anliegende, schwarze Kleidung gehüllt bei der ein großes, rotes „R“ auf der Brust abgedruckt war und trug außerdem weiße Handschuhe und gleichfarbige Stiefel. Bei der Frau waren diese beiden Kleidungsstücke sehr lang ausgeprägt, sodass sie genau genommen Arme und Beine fast vollständig allein bedeckten.

    „Du hättest ruhig erwähnen können, dass hier nur ein anspruchsloser Auftrag ansteht, Carlos. Dann hätte ich meine Vorfreude gebremst und mit wäre die Enttäuschung erspart geblieben“, sagte die Frau, ohne tatsächlich sichtbar enttäuscht zu wirken. Ihre Stimme war sehr hell und sie sprach zudem in einer hohen Oktave.

    „Anspruchslos oder nicht, selbst der längste Weg beginnt mit dem ersten Schritt“, ergänzte nun der Mann. Mit ihrer Unterhaltung hatten die beiden zwielichtigen Gestalten nun die Aufmerksamkeit aller Anwesenden, deren unruhiges Getuschel sich fortsetzte.

    „Du hast ja recht, aber das HQ uns ruhig direkt dem schwarzen Lotus zuteilen können, meinst du nicht? Das wäre sicher interessanter geworden. Aber das ist wohl zu viel verlangt.“

    Gelangweilt verschränkte die Frau nun die Arme hinter dem Kopf und wechselte sehr auffällig und überschwänglich das Standbein, wobei sie ihre schlanke Figur reckte. Wäre die Situation nicht überaus ernst und sie keine offensichtliche Verbrecherin, so hätten manche Männer an Bord sie sicher gern auf einen Drink eingeladen.

    „Du stellst viel zu hohe Ansprüche Lydia. Außerdem solltest du diesem Namen besser nicht aussprechen.“

    „Ach, wozu denn diese Geheimnistuerei? Bald werden sowieso alle von ihr hören“, seufzte die gelangweilte Frau.

    „Wer seid ihr zwei Vögel?“

    Andrews aufgebrachte Stimme brachte ihm mehrere verwunderte, gar einige entsetzte Blicke der umher stehenden Passagiere ein. Natürlich hatte ob der Erscheinung des Duos jeder hier begriffen, dass sie es hier mit zwei Mitgliedern der berühmten Verbrecherbande Team Rocket zu tun hatten. Da wurde dem ein oder Anderen schon mal Angst und Bange um die eigenen Pokémon sowie die eigene Gesundheit.

    Was für Pfeifen. Saßen starr dort, wie das Rattfratz vor dem Arbok, nur wegen diesen Gestalten. Zugegeben, diese Bande besaß einen gefürchteten Ruf in Kanto und Johto, doch sie wären nicht die Ersten in ihrer Organisation, denen Ryan ins Handwerk pfuschen würde und bei Andrew war das nicht anders. Dieser Tage kam man als gestandener Trainer leider kaum noch drum herum, sich mit derartigen Organisationen anzulegen. Die waren einfach überall. Man musste sich entweder gegen sie behaupten oder man händigte ihnen gleich seine Pokémon aus.

    „Du kennst uns anscheinend noch nicht, Kleiner. Du solltest dich mal auf den neuesten Stand bringen, immerhin sind wir beide fast berühmt“, rief die Frau, die von ihrem Partner noch mit dem Namen Lydia angesprochen worden war, herunter. Für einen kurzen Moment dachte Ryan angestrengt nach, doch spontan klingelte es bei den Namen Carlos und Lydia bei ihm nicht.

    „Nie von euch gehört. Sagt mal lieber, was das Theater hier soll!“, forderte er nun trotzig. Noch bevor einer der beiden Rockets antworten konnte, stellten die beiden Trainer nervöse, unsichere Impulse der Gegenwehr unter den übrigen Passagieren fest, da einige langsam nach ihren Pokébällen an ihren Gürteln oder in ihren Taschen zu greifen begannen. Nur leider schien das auch den Rockets nicht entgangen zu sein, denn die holten mit flinken Händen die ihrigen hervor.

    „Nicht so schnell, eure Pokémon könnt ihr schön da lassen, wo sie sind“, rief Carlos nun wieder mit gelassener, aber gleichzeitig warnender Stimme. Im nächsten Moment warfen die beiden Mitglieder des Team Rocket jeweils einen Pokéball in die Luft, aus welchen sich auch gleich zwei weiße Lichtblitze lösten und sich zu jeweils einer Gestalt formten. Die erste von ihnen erinnerte auf den ersten Blick stark an eine Motte. Aus dem purpurfarbenen Kopf ragten drei hornartige Auswüchse und dünne Flügel in zartem violett breiteten sich auf fast einem Meter aus, schlugen dabei komplett lautlos auf und ab. Der hintere Körperteil war geprägt von einen schlichten Hellgrau. Sanft ließ sich das Omot sogleich auf der Schulter seiner Trainerin nieder.

    Seitens ihres Partners erschien eine Art wandelndes, beige gefärbtes Fellknäuel mit einer Schweineschnauze. Dünne aber dennoch äußerst kräftige Arme, deren Hände aussahen, als würden sie in Boxhandschuhen stecken, fuchtelten wild umher, betrieben ungezügeltes Schattenboxen, während das Rasaff die Menschenmasse mit aggressivem Blick musterte.

    „Na also, ich dachte schon, ihr spuckt nur Töne. Kommt nur her!“, entgegnete Andrew auf das Erscheinen der beiden Pokémon. Selbstsicher schloss sich seine Hand um einen Pokéball in der Innentasche seiner Jeansjacke, doch noch bevor er diesen ans Tageslicht befördern konnte, wurde das Grinsen der zwei Gauner noch weiter.

    „Das kannst du dir abschminken, Kleiner“, höhnte Carlos missbilligend. Anschließend offenbarte er in seiner linken Hand etwas, das zunächst aussah, wie eine kleine Fernsteuerung, etwa wie von einem Garagentor und betätigte einen Schalter. Jedem war jedoch klar, dass dieses Gerät garantiert nicht für solch banale Zwecke gedacht war. Die Enthüllung, was das Ding nun bewirken sollte, lies nicht lange auf sich warten.

    Andrew betätigte den Knopf seines Pokéballs, jedoch vergrößerte sich dieser nicht, wie gewohnt. Er drückte noch einmal, ein weiteres Mal. Nichts geschah.

    „Was ist denn jetzt kaputt?“, fragte er sichtlich irritiert in die Runde. Das folgende, schrille, weibliche Gelächter war durch seine Lautstärke fast unerträglich und hatte eine provokante Wirkung. Es klang nach der aufgesetzten Stimme einer Zeichentrickfigur, die gerade real geworden war. Und zweifellos handelte es sich um die Schurkin der Geschichte.

    „Dachtet ihr naiven Idioten wirklich, wir hätten keine Vorkehrungen getroffen? Uns war klar, dass es auf dieser Fähre viele Pokémon zu holen gibt, deswegen sind wir ja hier. Aber wenn ihr sie nicht herbeirufen könnt, nützen sie euch einen Dreck“, höhnte Lydia lautstark. Mit diesen Worten trat die blasse Frau einen Schritt zur Seite und machte den Blick auf eine seltsame Apparatur frei, die hinter ihr auf dem Dach des Steuerhauses montiert war. Es stellte ein Wirrwarr aus mehreren, dünnen Antennen von verschiedenen Größen zwischen etwa einem halben und einem Meter Höhe dar, die mit mehr schlecht als recht verlegten Kabeln miteinander verbunden waren und auf einem schwarzen, kastenförmigen Gehäuse thronten. Einige gelbe und rote Lichtpunkte blinkten in verschiedenem Rhythmus auf, andere unter ihnen leuchteten durchgehend.

    „Das ist die neueste Erfindung aus dem Hause Team Rocket. Wir nennen sie liebevoll: Pokéball-Aktivierungsblocker. Das Teil sendet einen elektrischen Impuls aus, der sämtliche Funktionen eines gewöhnlichen Pokéballs lahm legt“, erklärte Lydia. Anschließend ertönte eine weitere schrille Lache seitens der Frau, nachdem sie sich einige Sekunden an den vielen geschockten Gesichtsausdrücken gelabt hatte und weckte damit in Ryan unwillkürlich das Verlangen, sie eigenhändig über Bord zu werfen. Pokémondiebe waren für ihn der schlimmste Abschaum auf Erden. Seine Partner waren weder Haustiere noch Eigentum, sondern nicht weniger als ein Teil seiner großen Familie. Die Vorstellung, sie würden in den Händen von kriminellen Spinnern landen, machte ihn regelrecht krank. Leider waren die Tricks solchen Organisationen dieser Tage nicht schlecht. Er würde ja echt gerne mal wissen, wie die immer an die finanziellen Mittel für solche Spielereien kamen. Allerdings war nun nicht die Zeit für derartige Gedanken. Sie brauchten schnell eine Idee, wenn nicht all ihre Pokémon in die Hände der beiden Rockets fallen sollten.

    „Macht es euch nicht unnötig schwer“, beharrte Carlos nun übermütig.

    „Hilfe von der Crew könnt ihr schon mal nicht erwarten. Die haben wir in die Korridore unter der Brücke gelockt und die Türen blockiert. So schnell kommen die da nicht raus. Jeder von euch soll all seine Pokébälle vor sich auf den Boden legen, dann lassen wir das Schiff weiterfahren und niemandem wird etwas passieren.“

    Ach, und das garantierte ihnen was? Sein Ehrenwort? Selbst wenn hier jemand so verzweifelt wäre, war nicht auszuschließen, dass die ihnen nicht doch etwas antaten, falls sie die Beute nicht zufrieden stellte. Oder auch einfach so, weil sie es konnten. Solch sadistische Schweine gab es in solchen Banden immer.

    „Aber wenn ihr euch quer stellt, ziehen wir andere Seiten auf“, ergänzte Lydia zischend.


    Natürlich machte keiner der Anwesenden irgendwelche Anstalten, den Anweisungen der Rockets Folge zu leisten, jedoch schien auch keiner einen brauchbaren Geistesblitz zu haben. Unsichere, Hilfe suchende Blicke wurden untereinander ausgetauscht. Auch Ryan grübelte fieberhaft nach einer Lösung. Wie konnte er sein Panzaeron nur aus seinem Ball befreien, wenn sich dieser nicht aktivieren ließ? Sicher wäre er in der Lage, Omot und Rasaff zu schlagen, doch eingesperrt konnte es nun mal nicht kämpfen. Welche Wege gab es, um einen Pokéball zu öffnen? Von der vom Entwickler erdachten und meist auch so angewandten Methode abgesehen – eigentlich nur eine.

    Ryan holte tief Luft. Na schön.

    Langsam bahnte sich seine rechte Hand ihren Weg zu seine Pokéballtasche an seinem Gürtel und umschloss die Kapsel des Stahlvogels. Das war jetzt zwar nicht ganz risikofrei, aber ihm blieb wohl keine Alternative.

    Nur äußerst vorsichtig wagte er es, den Gegenstand zu greifen, da die Rockets ihn nicht bei einer falschen Bewegung erspähen und die Finte aufdecken sollten. Genaugenommen sollte niemand bemerken, was er vorhatte. Sonst kamen hier wirklich noch Leute auf die Idee, ihre Pokémon auszuhändigen. Doch zu seinem Leidwesen schien die Geduld von Carlos und Lydia nun am Ende zu sein.

    „Ihr wollt also nicht? Na schön, dann eben die harte Tour“, stieß der gebräunte Mann hervor, worauf sein Pokémon den Körper kampfbereit anspannte, sodass seine Glieder von immens vielen Adern durchzogen wurden.

    „Rasaff, Fokusstoß!“

    Augenblicklich erschien ein blau leuchtender Energieball zwischen den Händen des Kampfpokémons, den es mit Wucht in die Menge schleuderte. Einige der Passagiere kreischten angsterfüllt und sprangen panisch zur Seite, um dem Angriff zu entgehen, wobei sie einander anrempelten und zu Boden warfen. Rücksichtslose Idioten! Einzig und allein Ryan rührte sich nicht, da seine ganze Konzentration dem Pokéball galt, welchen er nun ergriffen hatte und aus seiner Tasche holte.

    „Ryan, runter!“, schrie Andrew, der ebenfalls einige Schritte zur Seite geeilt war. Gerade in letzter Sekunde schaffte der Blonde es noch, sich rechtzeitig zu ducken, allerdings warf ihn die Wucht der Energiekugel, die nur knapp hinter ihm aufschlug, brutal nach vorne. Er schaffte es geradeso, sich mit seiner freien Hand abstützen und somit zu verhindern, auf dem Gesicht zu landen und sich womöglich böse Schrammen darin einzufangen. Seine schwarzen Lederhandschuhe minderten den aufkommenden Schmerz.

    „Na warte, du Penner“, brummte er zornig.

    „Panzaeron“, rief er nun laut aus, was Carlos und Lydia nur ein weiteres Lachen entlockte.

    „Wohl schwer von Begriff was? Du kannst deinen Pokéball nicht aktivieren, Kleiner“, erklärte der dunkelhäutige Mann nochmals.

    „Was du nicht sagst“, entgegnete Ryan mit tiefer Stimme. Ihm reichte es. Die Beiden Arschlöcher würde er nun buchstäblich vom der Fähre schmeißen. Schließlich holte er mit der verkleinerten Kapsel in seiner rechten Hand weit aus und schmetterte diese mit aller Kraft auf den Holzboden. Scheppernd brach der Pokéball in ein gutes Dutzend roter und weißer Scherben, während ein grelles, weißes Licht zum Vorschein kam und sich Sekunden später zu den Umrissen Panzaerons formte.

    „Paaaa- Panzaeron“, kreischte dieses sogleich und blickte verwirrt zu seinem Trainer. Was war denn hier los, dass seine Behausung zerstört wurde?

    „Sorry Panzaeron, aber das war ein Notfall. Jetzt müssen wir denen da oben erst mal einheizen.“

    Zwar sichtlich irritiert über die Umstände, gab der Stahlvogel dennoch ein zustimmendes Krächzen von sich und erhob sich anschließend schwungvoll in die Luft. Natürlich hatte der gerade einige Fragen, aber wenn Ryan nach seiner Hilfe verlangte, musste sich alles Andere hinten anstellen.

    Carlos und Lydia schienen wenig beeindruckt von Ryans Pokémon. Naja, sie waren schließlich auch zu zweit gegen einen einzigen Gegner.

    Andrew machte einen, wenn man so sagen durfte, ziemlich bescheuerten Eindruck. Da hatte Ryan doch tatsächlich seinen eigenen Pokéball zerstört, um gegen die beiden Pokémondiebe kämpfen zu können. Eigentlich etwas Undenkbares für jeden Trainer. Aber extreme Situationen forderten halt oft extreme Maßnahmen. Irgendetwas musste unternommen werden, sonst würden sie hier alle unglücklich. Und Andrew konnte seinen Freund schließlich nicht ganz alleine antreten lassen. Die übrigen Fahrgäste machten jedenfalls keine Anstalten, ihre Pokémon auf gleiche Art und Weise zu befreien.

    „Vergiss es Ryan, den Spaß überlasse ich dir nicht ganz alleine“, rief er und hob erneut den Pokéball, den er eben noch vergeblich zu öffnen versucht hatte. Die Rockets gedachten dem allerdings einen Riegel vorzuschieben.

    „Scheint als müssten wir das unterbinden, sonst sind wir bald in der Unterzahl“, überlegte Carlos mit verschränkten Armen.

    „Du hast Recht. Omot, Stachelspore“, befahl seine blasse Partnerin mit einem beiläufigen Wink ihrer Hand. Blitzschnell preschte die purpurne Motte hinab und begann heftig mit den Flügeln zu schlagen, welche sogleich ein goldenes Pulver absonderten. Gar nicht gut. Ryan hatte wenig Lust, die paralysierende Wirkung dieser Sporen am eigenen Leib zu erfahren und sah sich instinktiv um. Irgendetwas Nützliches musste doch hier zu finden sein, um sich vor der Attacke zu schützen. Dort! Nahe der Reling lagen, zu einem sporadischen Haufen zusammengeworfen, einige Sonnenschirme – perfekt. So schnell ihn seine Beine trugen, eilte er die wenigen Meter zu den Objekten der Begierde hinüber, doch würde er unsanft nach vorne geschleudert, als eine Druckwelle, begleitet von einem lauten Knall direkt hinter ihm eintrat. Mit einem raschen Blick über die Schulter erblickte Ryan, dass sich Rasaff erneut in Kampfposition befand und wohl erneut einen Fokusstoß in seine Richtung geschleudert hatte. Da hatte er nochmal Glück gehabt – obwohl er den Sturz definitiv fühlte. Doch war er glücklicherweise genau auf dem Haufen von Schirmen gelandet, von denen er sofort einen ergriff und ihn öffnete, während er sich selbst auf den Rücken rollte. Gerade noch rechtzeitig hatte er den schützenden Schild erhoben, da schon im nächsten Augenblick die gemeinen Stachelsporen darauf niedergingen. Mit dem Schirm in der Hand richtete sich der Junge Trainer auf und blickte sich um. Sämtliche Passagiere waren durch das goldfarbene Pulver absolut bewegungsunfähig. Sie stöhnten unter Anstrengung, während sie versuchten, die Wirkung niederzukämpfen. Mehr als ein Zittern kam dabei nicht herum. Ein paar verloren sogar das Gleichgewicht und fielen zu Boden. Es war, als versuche man ein eingeschlafenen Körperteil zu bewegen.

    Auch Andrew war mitten in seiner Bewegung erstarrt, sodass er den Pokéball nach wie vor in seiner Hand hielt, welche noch zum zerschmetternden Wurf ausgeholt hatte. Panzaeron war es leider nicht besser ergangen. Ebenfalls zitternd lag es am Boden und kniff gequält die Augen zusammen. Für gewöhnlich waren Ryans Pokémon durchaus in der Lage, eigenständig zu kämpfen und auf Aktionen wie diese entsprechend zu reagieren, doch dies hier war kein gewöhnlicher Pokémonkampf. Die Situation war spürbar anders. So hatten die Instinkte leider zu spät eingesetzt, sonst hätte Panzaeron die Sporen einfach fortwehen können.

    Zeit, um darüber nachzudenken, blieb allerdings nicht, da Rasaff nun bereits zu seiner dritten Fokusstoß-Attacke ansetzte. Gerade warf Ryan einen Blick auf die Gegner, da schleuderte dieser den blauen Energieball bereits in Richtung des Stahlvogels, welchem jegliche Reaktion unmöglich war. Wieder war der Knall laut und ihm folgte eine schwarze Rauchwolke. Ryan riss es erneut fast von den Beinen, obwohl er einige Meter von seinem Pokémon entfernt stand. Dieses Rasaff hatte einiges an Power und immerhin hatte er es hier mit einer der stärksten Attacken des Typs Kampf zu tun. Die Passagiere, die das Pech hatten, ebenso nahe am Ort des Einschlags gestanden zu haben, wurden durch die Druckwelle umgeworfen und fielen wie Statuen zu Boden.

    Still auf den Knien kauernd, richtete Ryan seinen Blick auf die Rauchsäule, die sich nun langsam zu lichten begann. Dort, wo eben noch Panzaeron gelegen hatte, war ein kreisrundes Loch in den hölzernen Boden geschlagen worden, in dem es verschwunden war.


    Einen Blick hinab in das Innenleben der Fähre riskierte der junge Trainer nicht, da er sich nun vornahm, Carlos und Lydia nicht mehr aus den Augen zu lassen. Diese lachten nur gehässig über das Verschwinden ihres einzigen Gegners. Letztere mit einer weit deutlicheren Note von Spott.

    „War das schon alles? Ich dachte hier wolltet jemand so etwas wie Widerstand leisten“ höhnte die überhebliche Frau. Selbst Carlos schien sehr zufrieden und grinste sich eins auf seine Leistung. Ryan begann sich nun langsam aufzurichten, ließ den Sonnenschirm allerdings achtlos fallen, da sich die Stachelsporen nun verzogen hatten. Dummerweise würde die Wirkung dieser noch für unbestimmte Zeit anhalten, weshalb er nach wie vor auf sich gestellt war. Und nun, da er diesen jungen Trainer genauer betrachtete, runzelte Carlos skeptisch die Stirn.

    „Sag mal, haben wir den da schon Mal gesehen? Der kommt mir bekannt vor?“, erkundigte er sich per Seitenblick bei seiner Partnerin. Diese schürzte nachdenklich die Lippen und fuhr sich mit der Zunge darüber.

    „Jetzt wo du´s sagst. Ich glaube, da ist der Typ, der in unserer Datenbank vor ein paar Wochen auf die höchste Gefahrenstufe gesetzt wurde.“

    „Stimmt, der hat unseren Kollegen in Johto das Leben zur Hölle gemacht. Mindestens ein halbes Dutzend gescheiterter Operationen gehen auf sein Konto, darunter zwei groß angelegte, die über Monate vorbereitet wurden.“

    Ryan reagierte nicht auf das Gespräch der Pokémondiebe. Sie hatten zwar recht mit dem, was sie erzählten, doch wenn es nach ihm ginge, war die Hölle, zu der er ihr Leben angeblich gemacht hat, noch nicht heiß genug. Eine Zeit lang hatte er seine Jagd nach Orden sogar unterbrochen und versucht, die Organisation ein für alle Mal zu zerschlagen. Daran war er jedoch gescheitert, da er nie an den obersten Vorstand herangekommen war. All jene von Team Rocket, die er besiegt hatte, waren lediglich von ersetzbarem Rang gewesen. Nur einige ihrer Operationen von ihnen hatte er zum Scheitern bringen können. Glücklicherweise war er nicht der Einzige gewesen, der gegen Team Rocket zu Felde gegangen war.

    „Sag mal Carlos, kann es sein, dass in Johto nur Schlappschwänze stationiert sind? Wie konnte der da denen so viel kaputt machen?“

    Es folgte ein weiteres, unerträgliches Gelächter von Lydia das einerseits ihn, Ryan, und zum Anderen ihren inkompetenten Kollegen gewidmet und von ziemlich geringschätziger Natur war. Sie lachte sie aus. Sie lachte ihn aus.

    „Sei vorsichtig, was du in den Wald schreist. Es hallt nämlich genauso wieder raus“, warnte er plötzlich mit scheinbar unbegründeter Sicherheit. Der noch immer bewegungsunfähige Andrew registrierte einen mehr als drohenden Unterton in der Stimme seines besten Freundes.

    „Es war nicht klug von euch, sich mit mir anzulegen. Ich lass mir nicht gerne einfach so einen Fokusstoß gegen die Rübe donnern.“

    Andrew begann zu lächeln. Anscheinend hatten die zwei Schwarzgekleideten den Jungen mit dem Cappy ziemlich wütend gemacht. Der kämpferische Ausdruck in seinem Gesicht war unschwer zu deuten. Wären Carlos und Lydia keine Verbrecher, wären sie jetzt glatt bemitleidenswert.

    „Und Panzaeron übrigens auch nicht“, fügte Ryan nun hinzu. Als wären diese Worte ein zuvor abgesprochenes Kommando, erklangen scheppernde und rumpelnde Geräusche aus dem Loch, in dem besagtes Pokémon eben erst verschwunden war. Wie ein Pfeil kam der scheinbar kaum verletzte Stahlvogel daraus hervorgeschossen und breitete in einigen Metern Höhe seine Schwingen aus. Im Licht der anbrechenden Dämmerung glänzten diese in einem zarten Orange, was dem roten Stahl den Anschein verlieh, als würde er glühen.

    Die zwei Rockets lächelten allerdings nicht weniger selbstsicher als ihr alleinstehender Gegner und schienen einem Kampf ganz und gar nicht abgeneigt. Dann würde der Rest vielleicht endlich die Aussichtslosigkeit ihrer Lage einsehen und sie ihre Beute erhalten. Carlos schob sich lässig eine störende Haarsträhne aus dem Gesicht.

    „Wie du willst. Rasaff, setze Kreuzhieb ein!“

    Das beigefarbene Pokémon machte einen großen Satz vom Dach des Steuerhauses herab, während es seine Arme vor dem Gesicht überkreuzte und diese von einem hellen Schimmer überzogen wurden. Wütend grunzend stürzte es auf Panzaeron, welches nach wie vor seine ruhige Position in der Luft hielt und den herannahenden Gegner mit seinen scharfen, topasfarbenen Augen beobachtete.

    Ryan schüttelte nur, resignierend den Kopf, unterbrach sein überlegenes Lächeln aber nie. Ein direkter Angriff von vorne, schlechte Idee. Wohl glaubte er sich aufgrund der erhöhten Position im Vorteil.

    „Los geht´s, Aero-Ass!“

    Krächzend katapultierte sich der Stahlvogel mit einigen kräftigen Flügelschlägen in die Höhe und schoss auf Rasaff zu. Da es zum Teil den Flug-Typen angehörte, war es seinem Gegner, der den Kampfpokémon angehörte, zumindest theoretisch überlegen. Allerdings sah Ryan sich nicht aufgrund eines einfachen Vorteils schon auf der Siegerseite. Nicht früher, nicht jetzt und auch nicht in Zukunft. Sondern er sah sich auf der Siegerseite, weil er davon überzeugt war, der Stärkere und Cleverere zu sein.

    Panzaeron raste mit unglaublicher Geschwindigkeit auf Rasaff zu, dessen Augen zornig und wie in völliger Raserei den Stahlvogel fixierten. Schließlich spannte es die Muskeln in den Armen noch einmal zusätzlich an, als die beiden Kontrahenten nur noch wenige Meter voneinander entfernt waren und holte zum Schlag aus.

    Doch zu diesem kam es nicht. Panzaeron war für den Bruchteil einer Sekunde urplötzlich verschwunden, tauchte allerdings blitzschnell unmittelbar unter Rasaff wieder auf und rammte es mit der gesammelten Geschwindigkeit in den Bauch. Von der Spitze seines Schnabels an zogen sich Luftschleier zu allen Seiten seinen stählernen Körper entlang und hinterließen einen präzisen Eindruck von Panzaerons Einschlagskraft. Viel zu schnell ging es, als dass es möglich gewesen wäre, darauf zu reagieren. Im Sturzflug war der Stahlvogel sogar in der Lage, mit der Kraft einer Gewehrkugel einzuschlagen, doch dies war durch die gegenwärtige Positionierung sowie der Tatsache, dass es zuvor einen nicht unbedeutenden Treffer hatte erleiden müssen, zumindest in diesem Fall nicht machbar. Nichts desto war die Wirkung besonders durch das Typenverhältnis enorm. Rasaffs Körper zog alle vier Gliedmaßen nach sich und wurde quasi zurück zu seinem Trainer geschickt.

    „Gut, jetzt direkt Stahlflügel hinterher!“, befahl Ryan nun. Aero-Ass war genau die richtige Attacke gewesen, um den ersten Treffer zu landen und die Oberhand in diesem Duell zu gewinnen. Wenn er jetzt effizient nachsetzte, könnte er Rasaff vielleicht schon ausschalten und den nummerischen Nachteil egalisieren. Panzaeron war mit raschen Flügelschlägen zu Rasaff aufgeschlossen und befand sich nun direkt über ihm. Seine metallenen Schwingen leuchteten hell auf und schimmerten im Sonnenlicht, bereit den Gegner mit seinem Markenzeichen in einem Sturzflug zu Boden zu schmettern.

    „Omot, Psystrahl!“

    Zunächst hatte sie Carlos das Feld überlassen, aber jetzt schien sich auch Lydia in den Kampf einmischen zu wollen. Die großen Augen der purpurnen Motte leuchteten schillernd auf, bevor es schließlich einen gleißenden Strahl in den Farben des Regenbogens abfeuerte. Ryan musste umplanen und erst einmal auf Defensive schalten.

    „Mit Lichtkanone abwehren!“

    Das Leuchten der Flügel erlosch, als das Stahlpokémon seinen spitzen Schnabel öffnete und seinerseits einen Energiestrahl abfeuerte, welcher von blendendem Wie und Silber war. Er kollidierte mit Psystrahl und hatte eine kräftige Explosion zur Folge, die allerdings nicht stark genug war, um eines der Pokémon zu verletzen. Zu groß war die Entfernung hierfür. Rasaff war indessen auf dem Boden gelandet. Den Sturz hatte es mit seinen kräftigen Beinen gänzlich ohne jeden Schaden abfedern können. Ryans innere Alarmglocken schrillten, als Carlos nun Feuerschlag anordnete. Damit wollte Panzaeron lieber keine allzu genaue Bekanntschaft machen. Feuer stellte mitunter seine größte Schwäche dar.

    Doch schien nun jegliche Möglichkeit zur Gegenattacke oder zum Ausweichen zerstört zu werden, denn Lydia befahl Omot nun Psychokinese. Die Augen der Giftmotte glimmten blau auf, ehe eine gleichfarbige Aura den Stahlvogel umschloss und einen übernatürlichen Druck auf seinen Körper ausübte. Diese Attacke war allgemein nur allzu bekannt und gefürchtet, da sie nicht nur eine immense Kraft auf den Körper ausübte, sondern den Gegner auch noch an sämtlichen Bewegungen hinderte. So konnte Rasaff in aller Ruhe sein Ziel ins Visier nehmen, während lodernde Flammen um seine rechte Faust zu züngeln begannen. Gleichermaßen zufrieden und sadistisch lächelnd beobachteten die Rockets, wie das Kampfpokémon dank seiner starken Beine meterhoch in die Luft sprang, um Panzaeron den vernichtenden Schlag zu versetzten. Dieses war nicht einmal fähig, die nahende Gefahr kommen zu sehen, da es unter dem Einfluss von Omots Psychoattacke nicht einmal den Kopf drehen konnte.

    Ryan biss sich auf die Lippe. Seine Gedanken rasten. Innerhalb weniger Sekunden hatte er allein durch Lydias Einschalten komplett die Kontrolle über den Kampf verloren. Was konnte er nur tun, um das Ruder wieder herumzureißen? Er brauchte eine rettende Idee, sonst war sein treuer Freund erledigt. Es musste eine Möglichkeit her, um die Attacken zweier Gegner gleichzeitig zu unterbinden.

    Jene Möglichkeit kam dem blonden Trainer nur Augenblicke später in den Sinn. Gerade erst vorhin hatte er dies doch getan.

    „Panzaeron!“, schrie er in den Himmel. Kaum nahm der Stahlvogel die Stimme seines Trainers wahr, doch schaffte er es, seine panisch zusammengekniffenen Augen zu öffnen und die Gestalt Ryans am Boden auszumachen.

    „Metallsound, jetzt!“

    Auf die Idee hätte Panzaeron auch selbst kommen können. Unter größter Anstrengung öffnete es seinen Schnabel und entsandte einen Ohren zerfetzenden Schrei. Zuvor hatte es diese Attacke im Kampf gegen Kev und Johnny eingesetzt. Und wie schon im vorangegangenen Fall, fuhren auch Omot und Rasaff zusammen und krümmten sich durch die schmerzhaften Laute in ihren Ohren. So versagte die mystische Macht, welche den Stahlvogel eben noch fest in Griff gehabt hatte und auch die Flammen um Rasaffs Faust erloschen. Panzaeron hatte nun die Zeit gewonnen, die es brauchte, um Rasaff den Gnadenstoß zu versetzen.

    „Jetzt gib Rasaff Saures, Stahlfügel!“, brüllte Ryan, während er mit geballter Faust durch die Luft schlug. Laut krächzend stürzte sich der treue Gefährte des blonden Trainers auf das Kampfpokémon herab und rammte es mit einem schmerzhaften Hieb seiner Schwingen auf das Deck. Das Geräusch berstender Holzbalken war ebenso allgegenwärtig wie das gepeinigte Grunzen des getroffenen Pokémon. Panzaeron selbst überstand diesen Aufprall schadlos, während Rasaff zwischen den teilweise eingebrochenen Holzbrettern festsaß und gequält stöhnte. Es war nicht ohnmächtig, aber die kläglichen Bewegungsversuche wirkten derart orientierungslos, dass Carlos gar nicht erst an Weiterkämpfen denken brauchte.

    „Rasaff! Was zum…?“, rief Carlos entsetzt. Ryan entging dieser Ausruf nicht und zog eine Braue hoch. Es war zwar recht untypisch für ein Mitglied des Team Rocket, sich ernsthaft um sein Pokémon zu sorgen, doch es war wohl naheliegender, dass er doch eher geschockt und gekränkt über seine vernichtende Niederlage war. So würdigte dieser sein Pokémon auch mit keinen weiteren Worten und rief es zurück, während er wütend mit den Zähnen knirschte. Nun hieß es also nur noch: Panzaeron gegen Omot.

    „Setze Psystrahl ein!“, rief nun Lydia, die sichtlich enttäuscht über das Versagen ihres Partners war. Nachdem Rasaff K.O. gegangen war, hatte sie ihm einen erzürnten Seitenblick zugeworfen, den Carlos aber offensichtlich nicht bemerkt hatte.

    Die Giftmotte ließ derweil die Augen erneut in glitzernden Farben erstrahlen, die einen weiteren Psystrahl ankündigten. Doch alleine stellte es bei Weitem nicht dieselbe Gefahr dar. Und Psystrahl war ohnehin keine gute Wahl.

    „Das kannst du vergessen. Weich aus und greif mit Bohrschnabel an!“

    Ryans Stimme wurde noch lauter. Man spürte, dass er den Sieg und damit die Rettung wittern konnte und das erfüllte ihn mit Euphorie. Ferner musste er jetzt das Momentum ausnutzen. Der Gegner war verunsichert. Panzaeron war dagegen noch voll konzentriert und reagierte deutlich geistesgegenwärtiger. Ryan hatte schon früh all seine Pokémon dazu erzogen, über die Dauer des Kampfes niemals nachzulassen und keine Schwächen zu offenbaren. Solange sie das taten und nicht überheblich wurden, waren einfallslose Aktionen wie diese kinderleicht auszuhebeln.

    „Panzaerooon“, krächzte der Stahlvogel, als er noch einmal all seine Kraft und Geschwindigkeit aufbrachte. Ein Lichtblitz erschien vor seinen Augen. Sofort ging er in eine Fassrolle über und der Angriff Omots somit ins Leere. An diese knüpfte Panzaeron nahtlos an und begann, seinen Körper zu rotieren, während ein Luftwirbel seinen Schnabel umschloss.

    Lydias Augen wurden groß. Mehr und mehr wurde sie sich ihrer Lage bewusst.

    „Scheiße! Ausweichen, schnell!“

    Zwecklos. Bohrschnabel traf genau auf der Körpermitte. Die Kraft dahinter war so enorm, dass Omot selbst in wirbelnder Bewegung zurückgeschleudert wurde. Carlos und Lydia mussten gar einen Schritt zu Seite machen, um nicht erfasst zu werden. Dabei vergaßen sie offenbar, was sich hinter ihnen befand und was sie um jeden Preis vor Schaden bewahren mussten. Omot kollidierte mit der ominösen Maschine der Rockets.

    Ryan sah die große Chance, das Ding in Einzelteile zu zerlegen.

    „Reiß das verdammte Ding in Stücke!“

    Omot wurde ein letzter Widerstand befohlen, doch es machte keinen Unterschied mehr. Panzaerons tödlichen Krallen bohrten sich in den schutzlosen Leib, kaum, dass er sich vor ihm aufgebaut hatte, ehe Omot direkt in die Apparatur geschmettert wurde und diese in tausend Stücke zersprang. Die so unsauber erbaute Konstruktion viel zusammen wie ein instabiles Haus aus Metallplättchen, Nieten und Drähten. Es krachte, knisterte, Funken sprühten. Das Störsignal verebbte.

  • So, an sich hat mir ja gut gefallen, dass Spannung aufkommt und eine Bedrohung im Raum steht. Allerdings geht's dann doch wieder etwas zu schnell, wie ich finde =O
    Zum Einen: Die beiden wirken nicht wie eine Bedrohung auf mich. Sie machen für mich so den "Jessie- und James-Eindruck" oder wie die Rüpel aus den Spielen. Irgendwie wird schon beim klischeehaften Gelächter und darin, dass sie ihren Plan mal offen rumschreien, klar. Auch das mit dem Pokemonstehlen verstehe ich nicht ganz. Die Frage ist immer: Wozu? Und warum so unorganisiert wie Jessie und James?
    Gut, Ryan hatte einen guten Einfall, der aber auch auf der Hand lag. Dazu muss man nun wirklich kein Genie sein :D Aber die Frage, die sich mir stellt: Warum folgen andere nicht seinem Beispiel? Damit wäre der Konflikt zwar aus dem Weg geräumt, aber es wäre eine logische Schlussfolgerung. Spannung kann man dann eigentlich nur aufbauen, indem ein größerer Konflikt als dieser besteht.
    Naja, auf mich macht es eben den Eindruck, als würde Ryan ohnehin gewinnen - es ist zwar klar, dass er natürlich gewinnen oder die beiden zumindest in die Flucht schlagen wird, du wirst deine Protagonisten nicht einfach sterben lassen und das schon so früh, aber im Moment sieht es für mich nicht so aus, als würde es weitreichende Konsequenzen geben. Das liest sich für mich persönlich eher wie die "Heldentat des Tages" und nicht wie eine Bedrohung. Ryan mag zwar vielleicht gut sein, aber für mich ist es wie der Kampf gegen die beiden vorlauten Teenager. Die beiden sind für ihn auch zu schwach. So, da hättest du entweder zwei Möglichkeiten: Von Anfang jemanden nehmen, der nicht so gut ist wie Ryan oder die beiden professioneller, skrupelloser, intelligenter, vorausplanender und stärker sein lassen, damit sie auch zu einer realen Bedrohung werden. ;)
    Vielleicht seh' aber nur ich das so. Da müssen sich noch andere deiner Leser zu Wort melden. ^^
    Und was mir noch am Herzen liegt: Bitte, keine Synonyme mehr ^^" Bitte keinen Mützenträger, keinen Braunhaarigen. Das klingt so ... unpersönlich und gekünstelt.

  • So, shame over me ich habs aufgeschoben ich gebe es zu. Aber wie es nicht anders von mir zu erwarten ist folgt mein Kommi dann halt später. :3


    Ich fass mich jetzt aber einfach mal etwas kürzer, ich denke aber mal du wirst es trotzdem verstehen. Im Großen und Ganzen finde ich den Anfang gut aufgegriffen vom Ende des letzten Kapitels. Das Andrew und Ryan die dann so stehen lassen ist nachvollziehbar, von daher denke ich muss ich hier nicht große Worte dran verlieren. Dein Schreibstil soweit schön formuliert wie sonst auch und ich kann immer nur wieder betonen das mir der gut gefällt, haha.
    Dann wo es zu den neuen "bedrohlicheren" Gegnern kommt wird es ja sehr interessant, sollte man jedenfalls meinen. Was mir als erstes auffiel, war das niemand Ryans Beispiel gefolgt ist, als er seinen Ball zerschmetterte. Ich meine viele können dann ja verängstigt sein, aber da hat mir einfach ein besserer Grund gefehlt warum sie nicht auch eingreifen.
    Dann am Anfang zwar ein schön ausgeglichener Kampf aber dann am Ende wirkt Ryan wieder so übermächtig. Bei jedem anderen hätte ich gesagt, dass du das Kapitel dann wenigstens ruhig in der Mitte hättest teilen können und dafür noch etwas mehr Details reinbringen um es besser nachzuvollziehen. Die Beschreibungen fürs nachvollziehen sollten beim nächsten auch wieder mehr mit rein, aber ich denke mal das die Apparatur zusammenfällt, dabei wirst du es nicht belassen. Ich weiß das Ryan sehr stark ist, jedoch denke ich nicht, dass diese beiden Bösewichte schon so schnell geschlagen sind. Wenn doch wären mir diese einfach viel zu schwach und das fände ich ehrlich gesagt unschön da ich eine Herausforderung für Ryan als auch für Andrew besser finde.
    Naja, sonst sind Umgebungsbeschreibungen gut gesetzt, wie oben schon gesagt habe ich da nichts auszusetzen. Gefühlsbeschreibungen fehlen mir etwas, teilweise fände ich es da besser wenn du dich da mehr auf einen Charakter konzentrierst und vielleicht in deinen Gedanken wenigstens keine zu schnellen, unnachvollziehbaren Wechsel machst. Die Beschreibungen im Kampf haben mir gut gefallen und ich finde es immer wieder toll, wie lebendig du die Kämpfe doch beschreiben kannst, gerade weil ich persönlich diese Szenen schwer finde und da hast du einfach meinen Respekt.
    Vom Inhalt her ist nicht ganz so viel passiert und ich denke das ganze hättest du vielleicht auch etwas langsamer angehen können das es nicht gleich alles so schnell vorran geht, aber alles in allem ganz gut abgestimmt.


    Das war auch schon alles soweit, ich freue mich auf dein nächstes Kapitel und hoffe doch das ich dir jetzt noch was hilfreiches gesagt habe und nicht nur iwas wiederholt habe.
    LG
    Noel :3

  • [tabmenu][tab=Grüße]Moin, moin und hallo,
    heute keine großen Vorreden, da es für mich nachher zum Eishockey geht und ich euch noch eine Antwort hinterlassen will. Ich komme direkt zur Sache.
    [tab=Bastet]Manchmal ist es wirklich ein bisschen hart, deine Kommis zu lesen. Lob packst du zumindest in deinem jüngsten Fall in einen Zweizeile und der Rest ist negative Kritik. Dabei hatte ich das Kapitel nun wirklich nicht als schlecht empfunden. Gut, dass Carlos und Lydia jetzt noch nicht wie die ganz große Gefahr rüber kommen, ist schon richtig und auch so beabsichtigt. Für die Story wäre es noch zu früh, jetzt schon eine(n) Hauptgegenspieler(in) der Protargonisten in Erscheinung treten zu lassen. Dennoch war es nicht so beabsichtigt, dass sie einen so schwachen und Ryan auf der anderen Seite einen so übermächtigen Eindruck machen. Ich kann dir zwar sagen, dass in dieser Szene noch nicht alles gegessen ist, aber der Ausdruck, dass sie dich an Jessie und James erinnern, war schon hart, denn so Anime-like wollte ich die beiden sicher nicht präsentieren. Naja, mal abwarten, was du nach dem nächsten Kapi noch dazu hinzuzufügen hast. Noch einmal sei aber gesondert angemerkt, dass ich durchaus einen Charakter eingeplant habe, der die bedrohliche und seinerseits unheimlich starke Rolle des Antargonisten übernehmen wird. Genau genommen werden es sogar zwei sein, allerdings in verschiedener Hinsicht, allerdings ist es wie gesagt och zu früh für ihr erscheinen. Mehr verrate ich aber noch nicht.
    Zu der Frage, warum die anderen nicht Ryans Beispiel gefolgt sind, sage ich ein Wort: Stachelsporen. Hattest du das bei deinem Kommi vergessen? Andrew hatte ja sogar vor Ryan zu unterstützen, aber irgendwie musste ich es ja unterbinden, dass die "Guten" in Überzahl geraten. Wäre ja total gegen alle Regeln gewesen.
    Nichts desto trotz verstehen ich deine Anregungen sehr gut und werde sie beherzigen (auch deine finale - ich kann´s irgendwie nicht lassen XO) und bedanke mich für dein Kommentar.
    [tab=Noel]Erst einmal eine Dankeschön für dein Lob an meinen Schreibstil. Ich hatte eigentlich gehofft, ein Statement zu der anfänglichen Aufregung und Verwirrung zu erhalten, da ich mir nicht ganz sicher war, ob die Atmosphäre gut rüber kam. Naja, immerhin habe ich noch keine BEschwerde gehört.
    Dass auch du dich bezüglich von Carlos und Lydias Auftreten eher negativ äußerst sollte mir schon zu denken geben. Wie zwei neue Erzfeinde, die zu besiegen fast schon ein Wunder darstellt, sollten sie jetzt zwar nicht erscheinen, aber auch nicht wie wehrlose Handtaschendiese ohne Plan und Verstand. Ich sage dir somit dasselbe wie Bastet. Die beiden sind definitiv noch nicht die langfristigen Gegenspieler der Protargonisten, sondern lediglich ein schwacher Vorgeschmack. Ich habe nicht vor, Ryan und Andrew jeden Kampf so "einfach" gewinnen zu lassen. Allerdings sei auch dir gesagt, dass hier noch nicht ganz Schluss ist. Ach ja, und du wir auch ebenfalls an die Stachelsporen erinnert, die Andrew und alle anderen vom Kampf abgehalten haben. Habt ihr das etwas alle vergessen? O.o
    Stimmt, Gefühle sind hier nicht allzu stark veertreten. Allerdings hatte ich befürchtet, dass dadurch die Hektik und die Atmosphäre (die ich dennoch offenbar nicht optimal hinbekommen habe) gelitten und sich das Kapitel unnötig gestreckt hätte. Aber gut, ich nehme es mal so an. Es freut mich im Übrigen sehr, dass der Kampf wenigstens gut angekommen ist. Mit solchen tue ich mich nämlich unglaublich schwer und ändere hinterher meist noch viel ab. Doch ich muss mich definitiv noch steigern, da ja, wie bereits gesagt, dies noch lange nicht die großen Gegner waren, die wie die wahren Schlachten sorgen werden.
    [tab=Abschluss]Das nächste Kapitel wird vorraussichtlich schon sehr bald erscheinen. Vielleicht schaffe ich es noch dieses Wochenende, mal sehen. Soweit bin ich mit diesem eigentlich sehr zufrieden und ich hoffe, dass ich etwas mehr damit begeistern kann, als mit dem aktuellen Werk. Danke jedenfalls für eure Tipps und hoffentlich bis zum nächsten Mal.
    Wiederschauen, reingehauen.[/tabmenu]

  • Kapitel 7: Quellen von Wut und Furcht


    Alle Pokémontrainer unter den Passagieren – Andrew eingeschlossen – jubelten Ryan und Panzaeron zu. Die Wirkung der Stachelsporen begann endlich nachzulassen. Einige konnten sich noch immer kaum bewegen, aber die ersten machten wieder sichere Schritte. Ryan hatte deren Anwesenheit offen gesagt fast vergessen. Nach und nach zückten die Passagiere nun ihre nun wieder funktionierenden Pokébälle. Besonders Andrew schien den Verbrechern unbedingt einen Denkzettel verpassen zu wollen.

    „So, jetzt drehen wir den Spieß mal um“, rief dieser, als vor ihm ein Lichtblitz auslöste und seine geliebte Psychokatze freisetzte.

    „Okay Psiana, jetzt drehen wir auf.“

    Andrews Pokémon antwortete sofort ein zustimmendes „Psi-“ von sich und begab sich in Kampfposition.

    „Das sieht nicht gut aus. Der Einsatz ist wohl gescheitert“, erfasste Carlos die veränderte Lage. Seine Partnerin befürwortete dies nur mit einem knappen Nicken und biss sich frustriert auf die Unterlippe.

    „Blitzmerker. Psiana schick sie mit deiner Konfusion baden!“, befahl Andrew. Daraufhin leuchteten die Augen Psianas auf, doch bevor es die Attacke ausführen konnte, erschallte ein lauter Knall. Das Katzenwesen schreckte sofort zurück, blickte nun in ein kleines, schwarzes Loch im Boden direkt vor ihren Pfoten. Alle Menschen an Deck fuhren alarmiert zusammen. Ein Schuss war gefallen!

    Carlos hielt eine schwarze Pistole in seiner rechten Hand. Sein Blick hatte sich deutlich verfinstert. Ihre Niederlage gegen Ryan ging ihm gehörig gegen den Strich. Mit einem Mal hatte sich die Situation überschlagen und sich gänzlich zu Gunsten der Pokémondiebe gedreht. Pokémon waren die eine Sache, aber eine Knarre veränderte alles. Es war allgemein bekannt, dass einige Aktionen von Team Rocket bereits Menschenopfer gefordert hatten. Allerdings griffen sie in der Regel nur sehr selten zu solch radikalen Methoden, weshalb sich die Zahl der Opfer auch nach Jahren noch im einstelligen Bereich bewegte.

    Das sollte die drohende Gefahr nicht kleinreden. Die Situation war brisanter denn je. Nun standen hier nicht mehr „bloß“ die Pokémon eines jeden Trainers an Bord auf dem Spiel, sondern gar Leben.

    „Glaubt ihr, man kann uns so behandeln?“

    Carlos‘ Stimem war sehr rau geworden und ließ keine Zweifel an seiner Bereitschaft, ein weiteres Mal abzudrücken, zurück. Der Lauf der Waffe richtete sich langsam auf den jungen Trainer mit dem blonden Haar, der ihnen so dreist ins Handwerk gepfuscht hatte. Dieser wich einen Schritt zurück und schluckte nervös.

    „Wie schnell du doch dein vorlautes Maul halten kannst“, bemerkte der Rocket höhnisch.

    Witzbold. Wie sollte man den sonst in seiner Lage reagieren? Den Gedanken würde Ryan jedoch niemals aussprechen. Natürlich war er von dem Schießeisen eingeschüchtert. Um es genau zu machen, ging ihm gehörig die Düse bei dem Ding. Sein Leben war ihm definitiv zu wertvoll, um es für einen bissigen Kommentar wegzuwerfen. Er schätzte Carlos nicht unbedingt als einen Pazifisten ein, doch wenn er jetzt seine Klappe hielt und keine verdächtigen Bewegungen machte, so glaubte er, würde er nicht schießen. Er hoffte inständig darauf. Inzwischen rann heißer Schweiß seine Stirn hinab. Jetzt brauchte es ein Wunder. Vielleicht ein fliegendes Wunder in eiserner Rüstung. Wo zum Henker war Panzaeron? Nur Sekunden, nachdem die verdammte Maschine der Diebe zerstört worden war, war es aus dem allgemeinen Sichtfeld verschwunden. Wohin nur? Selbst Lydia schien sich diese Frage zu stellen und blickte sich aufmerksam um. Das Vieh konnte sich doch nicht in Luft auflösen.

    „Im Normalfall vermeiden wir Tote. Aber lass dir gesagt sein, dass ich das für eine lästige Vorgabe von höchster Stelle halte. Wenn es nach mir ginge, würde ich jeden, der sich uns in den Weg stellt unter die Erde befördern“, erörterte Carlos in der Zwischenzeit. Ryan lauschte den Worten aufmerksam, die unter Umständen offenbaren könnten, ob er den Tag überleben würde. All seine Sinne waren nun so geschärft, wie nie zuvor.

    „Aber du scheinst unserer Organisation durchaus viel Ärger bereiten zu können. In diesem Fall ist es uns gestattet, Ausnahmen zu machen.“

    Der junge Trainer erstarrte. Sein Herz schlug in einem unglaublich rasanten Tempo, sodass jeder Schlag schmerzte und er wich einen weiteren Schritt zurück. Ihm gefiel gar nicht, in welche Richtung sich das hier entwickelte.

    „Also, was meinst du Lydia? Soll ich die Gefahr beseitigen?“

    Carlos zog den Hammer an seiner Pistole an, die mit einem leisen Klicken antwortete. Jetzt rann Ryan ein eiskalter Schauer über den Rücken. Hatte er sich etwa geirrt, was die Mordbereitschaft seiner Gegner anbelangte? Lydia sollte doch bitte, bitte vernünftiger sein. Sie sollte ihn zurückhalten, auf einem Rest von Menschlichkeit beharren. Sie grinste hinterhältig wie eine auf sadistische Weise verspielte Bestie.

    „Von mir aus, puste den scheiß Typen weg.“

    Ryan Augen weiteten sich vor Schreck. Das meinten die doch nicht ernst. Sollte alles hier und jetzt enden, so plötzlich? Er dachte nicht oft über Dinge wie den Tod nach, das gestand er sich ein. Doch nie hätte er jemals für möglich befunden, durch eine Kugel zu sterben. Das konnte, durfte nicht passieren. Auf keinen Fall!

    Das Adrenalin pumpte sein Blut so schnell durch seine Venen, dass es ihm in den Ohren rauschte. So vernahm er gar nicht den zunächst leisen, pfeifenden Ton in der Luft. Um ihn herum blickte man dagegen neugierig und verwirrt um sich. Was war das denn nun schon wieder? Und wo kam es her?

    Schon einen Herzschlag später hörte man ein Klirren, wie von Säbeln, sowie einen krächzenden Kampfschrei. Und dann schoss ein silbriges Objekt, glänzend bescheint vom dämmrigen Abendlicht, in das Sichtfeld des jungen Trainers. Panzaeron war dicht über der Wasseroberfläche geflogen und hatte sich aus dem toten Winkel der Rockets angepirscht. Nun stieg er auf und stürzte sich mit halsbrecherischem Tempo auf Carlos und Lydia. Als sich die beiden Rockets umwanden, befand sich der Angreifer bereits wenige Meter von ihnen entfernt. Der Stahlvogel öffnete die Schwingen und streckte seine Krallen voraus. Und dann fiel ein zweiter Schuss.


    Carlos hatte noch abdrücken können, bevor Panzaeron Gelegenheit gehabt hatte, ihn zu entwaffnen. Doch aufgrund der unglaublichen Geschwindigkeit war eine Änderung der Flugbahn ohnehin nicht mehr möglich gewesen. Das Verbrecherduo sprang geistesgegenwärtig auf die Seite. Die blasse Frau blieb gänzlich verschont, doch ihr Partner war von den scharfen Klauen des Stahlvogels erfasst worden. Sie gruben sich böse ins Fleisch seines rechten Unterarmes und durchzogen ihn mit tiefen Schnitten. Er biss die Zähne so sehr zusammen, dass sie fast splitterten, um den Schrei zu unterdrücken, weshalb es bei einem fürchterlichen, gequälten Stöhnen blieb. Seine Pistole war ihm entrissen woirden und mit ungeheurer Wucht an der Kante vom Dach des Steuerhauses zerschmettert worden. Das verantwortliche Pokémon hatte im Nachhinein allerdings die Kontrolle über seine Flugbahn verloren und sich überschlagen. War es getroffen worden?

    „Omot!“, rief Lydia mitten in die Aufregung hinein. Die purpurfarbene Motte erhob sich, wenn auch noch etwas wackelig, aus den Trümmern der zerstörten Maschine und führte auf den Befehl ihrer Trainerin hin eine Psychokinese aus. Panzaeron wurde von ihr erfasst, noch während es unkontrolliert durch die Luft brauste. Omot änderte die Richtung ganz nach Belieben. Wie von einem unsichtbaren, gewaltigen Schlag getroffen, schoss der wehrlose, stählerne Körper hinab auf das Deck. Währen Passanten in seinem Wege gewesen, so wären sie höchstwahrscheinlich erschlagen worden. Glücklicherweise war dies nicht der Fall, doch für Panzaeron machte es die sachte nicht weniger schmerzhaft. Es polterte über das gesamte Deck nur knapp an jenen Passagieren vorbei und schlug in das eiserne Geländer der Reling, das sich unter diesem Druck stark verbog. Der Klang des Aufpralls war absolut erschütternd gewesen. Als seien zwei Stahlträger mit hoher Geschwindigkeit miteinander kollidiert.

    Doch trotz des Rückschlags und der Schmerzen machte sich ein schwaches Lächeln auf seinem Schnabel breit. Es hatte die Waffe zerstört, die Gefahr gebannt – wenigstens für ein paar Sekunden. Andrews Mundwinkel wanderten nach oben.

    „Danke, Panzaeron.“

    Ryan konntet sich um seinen Partner und dessen Einsatz wirklich glücklich schätzen. Hoffentlich war ihr Retter in Ordnung. Eine Pistolenkugel war durchaus in der Lage, den Panzer des Stahlvogels zu durchbrechen, wenn sie nur richtig traf. Doch wenn es irgendeine höhere Macht auf dieser Welt gab, nannte man sie Gott oder Arceus oder einfach Gerechtigkeit, dann war Panzaeron nicht lebensbedrohlich verletzt. Er und Ryan beteten mit jeder Faser ihrer Körper dafür. Doch ungeachtet dessen, musste Andrew seine Chance wahrnehmen.

    „Jetzt, Psiana!“

    Nun war der entscheidende Moment gekommen. Bevor auch nur irgendjemand reagieren konntet, glimmten die Körper von Carlos, Lydia und Omot, das nach wie vor, wenn auch stark mitgenommen, an der Seite ihrer Trainerin flatterte, bläulich auf. Konfusion war im Prinzip die Vorstufe zur Psychokinese. Sie funktionierte im Prinzip gleich, war aber in der Ausführung schwächer, da besonders kräftige und willensstarke Pokémon in der Lage waren, dennoch die Kontrolle über ihren Körper zu behalten. Glücklicherweise schien dieses Omot nicht dazu zu gehören, was wohl auch durch seine Schwäche gegenüber Psycho-Attacken begründet war. Von dieser unsichtbaren Kraft erfasst, verpasste die Psiana den beiden Rockets samt der Giftmotte schließlich einen Freiflug ins offene Meer. Jubelrufe erklangen seitens der übrigen Passagiere, als die beiden Schwarzgekleideten schließlich im Wasser landeten. Sie hatten eine eindrucksvolle Flugstrecke zurückgelegt, allerdings waren sie noch nahe genug, dass man ihre zornerfüllten Gesichter erkennen konnte, als sie pitschnass die Köpfe aus dem Wasser hervorhoben.

    Ryan verlor allerdings keine Zeit an ihnen und sprintete an die Reling, wo sein treuer Freund regungslos in den Eisen hing.

    „Panzaeron!“

    Er ließ sich auf die Knie fallen und zog es weg von den brüchigen, unsicheren Metallstangen, die über einen Sturz ins offene Meer entschieden. Den schweren Kopf bettete er auf seinem Schoß.

    „Hörst du mich? Sag was. Panzaeron!“

    Einige Nerven zuckten durch den stählernen Körper. Langsam öffneten sich die topasfarbenen Augen. Sie sahen zufrieden aus. Ryan stieß erleichtert Luft aus und sandte ein Dankesgebet gen Himmel. Es war nicht schwer verletzt. Die Kugel von Carlos hatte es nicht frontal auf den Körper getroffen, sodass das Geschoss an seinem Panzer abgeprallt war.

    „Du musst dir echt abgewöhnen, mich so zu erschrecken.“

    Ryan meinte, etwas bei seinem Partner zu erkennen, was wohl ein Lächeln sein sollte und würde er Panzaerons Sprache sprechen, so hätte es wohl gerade einen sarkastischen Kommentar zum Besten gegeben.

    „Aber vielen Dank für die Rettung.“

    Fast fühlte sich Ryan ein wenig an damals zurückerinnert, als Panzaeron wahrlich nur sehr knapp dem Tod entkommen war. Zwar waren die Ereignisse der vergangenen Minuten ein Witz im Vergleich dazu, doch allein die erweckte Erinnerung schmerzte. Er wollte sich nicht solchen Sorgen machen müssen.

    Einige Kräfte sammelnde Momente später konnte sich Panzaeron bereits wieder erheben. Es hatte noch einmal Glück gehabt. Deutlich erleichtert traten beide an die Seite von Andrew und Psiana. Auf dem Weg kamen ihm einige Passanten entgegen, die sich bei ihm sowie Panzaeron aufrichtig bedankten, ihm auf die Schulter klopften und sich nach dem Zustand des Stahlvogels erkundigten. Auch Andrew wurde mit Dank und Respekt entgegengekommen.

    Von Carlos und Lydia hörte man nichts mehr. Von hier aus war es schwer zu sagen, ob sie einfach schwiegen, oder man die bloß nicht verstehen konnte, doch würde man wohl eher darauf tippen, dass sie ihre Rache im Stillen schworen. Ryan ließ die Rockets dennoch nicht eine Sekunde aus den Augen, selbst als Andrew ihn von der Seite anstieß. Deutlich genug hatten sie ihn zur Vorsicht gemahnt. Sobald die Besatzung wieder Kontrolle über das Schiff hatte, würden sie über Funk ein Polizeibot anfordern, das die Beiden auflesen würde.

    „Nochmal mit dem Schrecken davongekommen, hm?“

    Andrew bot seine Faust da und wartete darauf, dass Ryan mit seinem Handrücken einschlug.

    Wenn dem nur so wäre. Der Schrecken hatte nicht noch nicht nachgelassen. Der Überfall mochte überstanden sein, doch es war nicht zu vergessen, dass sie dennoch beinahe alle ihre Pokémon und er selbst beinahe sein Leben verloren hätte. Carlos und Lydia waren überheblich gewesen, hatten sich mit ihrer komischen Maschine schon von Anfang an als Sieger gesehen, vielleicht nicht einmal mit Widerstand gerechnet. Ryan wollte sich lieber nicht ausmalen, wie ihre Chancen gestanden hätten, wären sie ihn von Beginn an ernst an die Sache gegangen. Das triumphale Gefühl in seiner Brust wurde dadurch aber nur teilweise gehemmt, weshalb er nach einigen Sekunden mit dem Rücken seiner Faust bei Andrews abklopfte.

    „Was meinst du, sollen wir sie nach Hause schwimmen lassen?“, fragte Andrew schadenfroh, der zusammen mit seinem Kumpel das in sich hineinfluchende Pärchen beobachtete. Zu einer Antwort kam der Ryan allerdings nicht. Aus dieser Distanz waren keine Details zu erkennen, doch zweifellos hatte einer von ihnen einen weiteren Pokéball aktiviert aus dem sich ein Pokémon materialisierte, das beiden Trainern gänzlich unbekannt war. Es sah aus wie ein blaues Walross mit gigantischen Stoßzähnen und gekräuselter, weißer Mähne. Die geschlagenen Diebe hingen sich an je einer Flanke an und machten Anstalten, sich zu verdrücken.

    „Shit. Panzaeron, Lichtkanone!“, rief Ryan nun wieder alarmiert. So wollte er sie nicht davonkommen lassen. Der Stahlvogel an seiner Seite, breitete die Schwingen aus, um in eine ausbalancierte Kampfhaltung zu kommen. Er öffnete einmal mehr krächzend den Schnabel und spie einen gleißenden, weißen Lichtstrahl in Richtung der Flüchtenden ab.

    „Schnell Omot, Schutzschild“, befahl Lydia rasch. Die purpurne Motte, nach wie vor außerhalb ihres Balls, warf sich, in eine grün leuchtende Lichtkugel eingehüllt, schützend vor Panzaerons Attacke. Aus der Ferne war nur der anschließende Knall und eine starke Rauchwand zu erkennen, die die Sicht auf das weitere Geschehen für einige Sekunden komplett verdeckte. Hatte die Lichtkanone ihr Ziel noch getroffen oder waren Carlos und Lydia entkommen?

    Auf die quälenden Momente des Wartens folgte die Ernüchterung. Omot hatte es offensichtlich noch geschafft, den Angriff vollständig abzuwehren. Gerade noch konnte man beobachten, wie das Giftpokémon in seinen Pokéball zurückgerufen wurde und das Walross mit beiden Rockets im Schlepptau in die Tiefe abtauchte.


    Da standen sie nun. An der Reling des luxuriösen Schiffes, das sie in die Hoenn-Region bringen sollte – und nun auch sicher wieder bringen würde. Nicht nur, dass dank ihnen die Fahrt fortgesetzt werden konnte. Team Rocket hatte nicht ein Pokémon stehlen können und zog nun mit leeren Händen ab.

    Sie zogen ab! Sie wagen weg!

    „Scheiße.“

    Ja, eben dieser entscheidende Punkt wurmte Ryan ungemein. Verdammt, wieso hatte er nicht mehr unternommen, um sie an der Flucht zu hindern?

    „Wir hätten sie nicht entwischen lassen sollen.“, sagte er mit ernüchtertem Unterton. Wohl wissend, dass die Worte an ihn gerichtet waren, blickte Andrew in das Gesicht seines langjährigen Freundes. In ihm war keine Spur von Zufriedenheit oder Erleichterung zu erkennen, geschweige denn von Freude. Ihm entkam nur ein Seufzen. Das war schon immer typisch für Ryan gewesen. Immer zu wollte er absolut alles perfekt machen und ärgerte sich dabei über jede verpasste Kleinigkeit. Für Pokémonkämpfe und das Training war die Einstellung sehr löblich und zielführend. Aber in diesem Fall hier sollte er sich einfach mal darüber freuen können, dass niemand zu schwerem Schaden kam und alle Pokémon noch dort waren, wo sie hingehörten.

    „Vergiss die zwei Versager, die können uns am Arsch vorbei gehen“, versuchte er seine Gedanken abzulenken. Etwas Besseres fiel ihm leider nicht ein, um das zu bewerkstelligen. Leider war es zu wenig.

    „Für den Moment vielleicht“, erwiderte Ryan. Nun richteten sich ernste Blicke in Andrews Richtung.

    „Aber jedes Mitglied von Team Rocket, das uns heute durch die Lappen geht, kann schon morgen wieder Ärger machen. Abgesehen davon kennen die uns jetzt und werden nächstes Mal nicht so überheblich sein.“

    Andrew schien wenig überzeugt von Ryans Worten, auch wenn dieser ihn nun aus ernsten Augen ansah. Seine eigenen Ansichten ließ er sich nicht nehmen.

    „Team Rocket wird immer Ärger machen, so lange sie existieren. Das steht oder fällt aber bestimmt nicht mit diesen zwei Pfeifen.“

    Zugegeben, Andrew hatte hiermit ein kräftiges Argument. Leider änderte es nichts an der Tatsache, dass Ryan besagte Pfeifen gerne von der Polizei abgeführt gesehen hätte. Das erkannte auch sein bester Freund, der ihm nun mit Nachdruck gegen die Schulter boxte.

    „Hak es ab. Wir können froh sein, dass wir ohne Löcher im Körper davongekommen sind.“

    Ryan antwortete mit einem unverständlichen Murren. Das konnte er einfach nicht. Er konnte und wollte sich nicht über erlangte Halb-Erfolge freuen. Man sagte ihm nach, dies sei eine seiner schlechteren Eigenschaften. Stets trauerte er dem Verpassten hinter, anstatt das Erreichte zu feiern. Auch nach der Niederlage im Johto-Liga Finale hatte er dies zu hören bekommen. So richtete sich sein ganzes Leben. Er gab sich ausnahmslos nur mit dem besten Ergebnis zufrieden. Manchmal auch nur gerade so.

    Schließlich wurde er aber doch von seinen Gedanken abgelenkt, als ein stählerner Vogel an der Seite seines Trainers trat. Seine geschulten Ohren verrieten ihm, dass das Gurren Panzaerons eindeutig ein besorgtes war. Es trug die Sorge um seinen Trainer mit sich und stellte gleichzeitig einen Versuch dar, ihn zu trösten. Doch Ryan wusste das sofort zu beschwichtigen, indem er ihm ein gutmütiges Lächeln schenkte sanft mit der Hand über den Schnabel strich.

    „Du hast echt alles gegeben. Für die Rettung ich schulde dir was.“

    Augenblicklich erhellte sich die Miene des Pokémons und gab erneut ein Krächzen von sich, welches nun zweifellos ein Glückliches war. Panzaeron kam wirklich ganz nach seinem Trainer. Immerzu strebte es die Perfektion an und versuchte stets jeden seiner Wünsche zu dessen vollsten Zufriedenheit zu erfüllen, ganz egal, wie gefährlich die Situation war. Dass war es wohl, was man echte Treue nannte. Und seiner konnte sich Ryan so bedingungslos gewiss sein, wie keines Anderen.

    Dann ging alles so unglaublich schnell. Direkt vor Ryans Augen verschwand Panzaerons Körper urplötzlich in Form eines roten Lichtstrahls. Seine Hand griff auf einmal ins Leere. Panzaeron war fort. Nur eine kleine, ballförmige Kapsel, er sofort als einen Pokéball identifizierte, sah er vor sich, die auf das lackierte Holz fiel und zu zappeln begann. Noch nicht ganz begreifend, was hier gerade passierte, wandte er den Blick in die Richtung, aus welcher er just in diesem Moment einen selbstgefälligen, triumphalen Ausruf vernahm. Eigentlich hätte es ihn nicht wundern sollen, wer dort stand. Es waren Bürstenkopf Johnny und der Fettsack Kev – die zwei Blindgänger, denen er und Andrew vor dem Zwischenfall mit Team Rocket noch eine Lehrstunde in Sachen Doppelkampf gegeben hatten.

    „Sag mal, hast du´n Schaden?“, brauste Ryan sofort auf. Dieser Johnny versuchte tatsächlich, ihm sein eigenes Pokémon vor der Nase wegzuschnappen. War das zu fassen? Er hatte den Pokéball Panzaerons aus freiem Entschluss zerstört, um gegen Team Rocket kämpfen zu können und alle hier an Bord zu beschützen. Das schloss die zwei Typen unweigerlich mit ein. Und er war tatsächlich so dreist und wollte das schamlos ausnutzen? Das hätte Ryan selbst ihm nicht zugetraut. Doch der schien sich keiner echten Schuld bewusst zu sein. Mit einer gespielt unschuldigen Miene zuckte er nur provokant mit den Achseln.

    „Was ist dein Problem? Ich versuche hier nur, ein wildes Pokémon zu fangen.“

    Ryan kochte vor Wut. Hätte er in diesem Augenblick eine Explosions-Attacke eingesetzt, wäre wohl kaum jemand wirklich verwundert. Was erlaubte sich dieser wandelnde Witz von einem Möchtegerntrainer eigentlich?

    „Willst du mich verarschen? Dieses Panzaeron gehört zu mir, du verdammter...!“

    Ryan konnte seine Wut kaum in Worte ausdrücken. Er war einfach nur sprachlos.

    „Tja, gleich nicht mehr“, ergänzte Johnny selbstsicher und die Beleidigung trotzig ignorierend. Sein Blick richtete sich auf den Pokéball, der noch imemr am Zappeln war. Panzaeron kämpfte gegen sein Gefängnis und somit gegen seinen neuen Trainer an. Die umher stehenden Passagiere hatten die Aktion entsetzt beobachtet und schienen nicht weniger entrüstet über den hinterhältigen Fangversuch den Jungen zu sein. Einige empörte Zwischenrufe und Beleidigungen stießen aus der Menge hervor, die aber ebenso ignoriert wurden, wie die Proteste von Panzaerons tatsächlichem Trainer. Alle Blicke richteten sich nun auf Pokéball. Nur Ryan fixierte mit seinen Augen weiter den Jungen, der auf seiner persönlichen Liste von allen Menschen, die er einfach nur hasste und verabscheute, gerade einen rekordverdächtigen Sprung Richtung Spitze gemacht hatte. Man könnte glatt behaupten, das Signal der Kapsel am Boden schere ihn gar nicht. Sollte sie doch schweigen, was kümmerte es ihn? Wenn sie es tat, dann würde er den Stahlvogel mit Gewalt wieder an seine Seite holen. Egal wie die Umstände gleich aussehen würden, Panzaeron würde zu ihm zurückkommen! Doch vielleicht war er an dem Punkt bereits vorbei, an dem man noch überlegte, sich von seinen Ketten der Vernunft loszureißen. Vielleicht war er bereits zu der Entscheidung getrieben worden, es einfach zu tun.

    „Du wirst Panzaeron nicht bekommen.“

    Ryan ging langsam auf ihn zu, machte nur äußerst kleine Schritte. Seine Stimme war leise, hervor gequetscht zwischen zusammengebissenen Zähnen und wütendem Schnauben.

    „Das liegt grad nicht in dei...“

    „Du wirst es nicht bekommen!“, schrie Ryan in die Worte seines Gegenüber hinein und brachte ihn so zum Schweigen. Genau in diesem Moment sprang der Pokéball auf und spie mit einem weißen Licht den mächtigen Stahlvogel aus, der mindestens genauso zornig wie Ryan war. Er blickte sich nach dem Menschen um, der gerade versucht hatte, es von seinem geliebten Trainer zu trennen. Intuitiv geriet Johnny in sein Visier. Diesem fielen beinahe die Augen aus den Höhlen. Gerade hatte sich ein sicher geglaubter Glücksfang noch aus seinem Besitz entwinden können und nun stand er jenem Pokémon sowie dessen Trainer schutzlos gegenüber.

    „Da- das kann doch...“, stammelte er entrüstet.

    „Der Kampf! Es müsste eigentlich total am Ende sein.“

    Während Johnny noch versuchte, sich Panzaerons Befreiung selbst zu erklären, brachen bei Ryan die Dämme. Er preschte vor, um die wenigen Schritte, die beide voneinander trennten, zu überwinden. Zwei behandschuhte Hände stießen ihn rüde zurück. Eingeschüchtert wich er von seinem Angreifer, doch der wollte ihn nicht ziehen lassen. Noch einmal griff er nach seines Gegners T-Shirt, hielt es diesmal am Kragen fest und drängte den plötzlich so kleinlaut wirkenden Bürstenkopf wild an eine Stahlwand.

    „Hast du eine Ahnung, was mir dieses Pokémon bedeutet? Was glaubst du, was du hier machst, du Stück Scheiße?“

    Nun sah der blonde Trainer das hässliche Gesicht von Johnny nur noch durch einen blutroten Mantel der Wut. Er hämmerte den erstarrten Körper des Jungen immer und immer wieder gegen die Wand und schrie ihm direkt ins Gesicht. Er rüttelte, zerrte und stieß ihn hin und her, als wollte er den Stahl hinter ihm zum Nachgeben bringen.

    Nun wurde alles völlig turbulent. Die übrigen Passagiere – auch ein oder zwei Matrosen waren inzwischen unter ihnen vertreten – entschieden nun, dass es zu weit ging. So sehr der kleine Scheißer eine Tracht Prügel verdient hätte, wollten sie keine Handgreiflichkeiten erlauben. Rudelbildung war das einzige Wort, mit dem sich die Situation beschreiben ließ. Jeweils drei oder vier Personen zogen an einem der Streithähne und zerrten sie voneinander fort. Eine Handvoll blieb zurück und filmte das Theater unverschämt mit dem Handy. Andrew schaltetet sich nicht mit ein, sondern wies dezent die Filmenden zurecht und auch Kev hielt Abstand. Um alles noch auf die Spitze zu treiben, mischte sich nun auch noch Panzaeron ein. Es erhob sich einen Meter in die Luft und kreischte laut, warnend, bedrohlich. Sofort erschraken alle in Ryans unmittelbarem Umfeld und ließen von ihm ab. Ein weiträumiger Kreis entstand um den jungen Trainer, neben dem der Stahlvogel landete, die Krallen drohend in das Holz kratzte und die Schwingen bis aufs Äußerste spreizte. Sein Schutzinstinkt hatte eingesetzt.

    Ryan, der zumindest von Johnny hatte losgerissen werden können, stockte einen Momenr der Atem und seine Augen wurden groß. Er war zu weit gegangen. So durfte er sich in Gegenwart seiner Pokémon nicht verhalten. Sonst geschah hier noch ein Unglück – und zwar dem Falschen. Sofort wandte er sich an seinen treuen Partner und legte ihm beschwichtigend die Hände auf die Flanke.

    „Komm runter, die haben nichts Falsches gemacht. Heben wir uns das für ein andern Mal auf. Und für jemand anders.“

    Von einem Moment auf den nächsten war der aufgebrachte Vogel völlig ruhig. Die Stimme seines Trainers hatte seine hochgekochten Emotionen besänftigt, sodass die Flügel wieder angelegt wurden und der Kopf, der eben noch gesenkt und wie ein Pfeil auf die Meute gerichtet gewesen war, in eine alles überblickende Höhe angehoben wurde.

    Ryan unterdessen schenkte Johnny, der sich gerade grob von den Griffen der Passanten befreite, einen eiskalten Schulterblick.

    „Der Kampf“, äffte er dessen Worte lächerlich nach.

    „Ein Fangversuch bei diesem Panzaeron, nach so einem Kampf.“

    Ryan ließ die ausgesprochenen Worte in einer kurzen Pause wirken und schüttelte anschließend langsam den Kopf, als er annahm, dass Johnnys unterentwickelter Verstand die Botschaft aufgenommen hatte.

    „Da musste du schon früher aufstehen“, begann Ryan, als er sich dem Kurzhaarigen noch einmal ganz zu wandte. Dabei lag ein mehr als drohender Unterton in seiner Stimme. Für einen kurzen Moment brannten seine Sicherungen erneut durch, als Johnny zu einer Erwiderung ansetzte. Kaum hatte ein leiser Ton seinen Mund verlassen, wurde er mit einem wütenden „Halt´s Maul“ zum Schweigen gebracht, bevor Ryan seine letzte Warnung aussprach.

    „Wenn du dich noch ein einziges Mal an meinen Pokémon vergreifst, werde ich sie nicht von dir zurückhalten. Für das, was dann passiert, kannst du dann schön selbst die Verantwortung tragen. Hast du das verstanden?“, sprach er nun wieder leise, aber extrem eindringlich.

    Johnny schluckte, offenbar stellte er sich gerade vor, was dieses Panzaeron mit ihm wohl angestellt hätte, wäre es nicht von seinem Trainer gestoppt worden. Das hätte mit Sicherheit sehr unschön geendet. Wie stark war das Vieh eigentlich? Er war davon ausgegangen, dass es kaum noch aufrecht stehen, geschweige denn fliegen könne. Dennoch war es aus dem Pokéball ausgebrochen und absolut bereit gewesen, ihm wer wusste schon was, anzutun.

    „Wer bist du eigentlich“, fragte er dann aus heiterem Himmel. War er also doch endlich mal drauf gekommen, sich nach seinem Namen zu erkunden.

    „Ich bin Ryan Carparso. Vergiss den Namen ja nicht.“

    Die Antwort des Jungen aus Silber City wirkte eher wie ein ernst gemeinter Rat als eine weitere Drohung.

    Augenblicklich ertönte aufgeregtes Getuschel in seinem Umfeld. Die übrigen Passagiere, die der Szene bislang stumm beigewohnt hatten, begannen nun ehrfürchtige Blicke auszutauschen, wobei hier und da Sätze wie „ich wusste doch, dass mir der Junge bekannt vorkommt“ oder ein „ich hab´s dir doch gesagt“ herauszuhören waren. Allem Anschein nach, waren diese Leute nicht ganz so unterbelichtet, wie Johnny und Kev. Gerade diese beiden, starrten nun wie die Ölgötzen auf den jungen Trainer, der sich soeben als Ryan Carparso, den noch amtierenden Champion vom Indigo Plateau sowie Finalteilnehmer der erst kürzlich vergangenen Silberkonferenz vorgestellt hatte. Dieser würde nun eigentlich eine Moralpredigt darüber halten, dass man sich nicht einfach irgendein starkes Pokémon stehlen und dann einfach so jeden Kampf gewinnen konnte. Panzaeron hätte nicht einen Befehl von Johnny ausgeführt, schon gar nicht, wenn es auf diese Art und Weise gefangen worden wäre. Jedoch sah Ryan ein, dass so etwas bei diesen beiden wohl vergeudete Zeit war und sprach nochmals eine Stille Warnung mit seinen marineblauen Augen aus, bevor ihnen den Rücken kehrte und sich seinem Panzaeron zu wandte.

    „Ich schätze, du hast genug Aufregung für einen Tag. Zeit, dass du wieder an deinen Platz kommst.“

    Mit diesen Worten holte er einen leeren Pokéball aus seinem Rucksack und tippte den stählernen Vogel damit direkt an, sodass dieser von einem roten Strahl eingesogen wurde. Wohl wissend, dass Panzaeron dagegen keinen Widerstand leistete, steckte er die Kapsel an ihren vorgesehenen Platz und auch die Menschenmassen stoben nun auseinander. Die Matrosen unter ihnen besprachen, nach der eingesperrten Crew zu sehen, damit die Fahrt endlich fortgesetzt werden konnte.

    In seinem Rücken erkannte Ryan allerdings nicht, dass Johnny immer noch nicht genug hatte. Wohl hatte er sich gerade dazu entschieden, diese Schmach trotz des hohen Namens seines Gegners nicht auf sich sitzen lassen zu wollen. Er hob einen weiteren Pokéball – diesmal allerdings sicher mit einem Pokémon darin – und holte aus, um ihn in die Luft zu schleudern. Eine hinterhältige Attacke auf einen ungeschützten Feind, das war sein Ziel.

    Urplötzlich spürte der kurzhaarige, klein gewachsene Junge einen enormen Druck auf dem Handgelenk. Eine kalte Hand hatte ihn ergriffen – und es war wie der Griff einer Metallzange. Gequält stöhnte er auf, als ihm der gesamte Arm auf den Rücken gedreht und schmerzhaft verrenkt wurde. Seine Finger wurden binnen von Sekunden taub, sodass die Kapsel darin bald zu Boden fiel. Die übrigen Personen im Umfeld – einschließlich Ryan – die sich schon abgewandt hatten, hielten inne und betrachteten das überraschende Schauspiel.

    „Arrgh, verdammt, was soll...?“

    Johnny konnte kaum sprechen, so sehr biss er vor Schmerzen die Zähne zusammen. Einen kurzen Seitenblick über die Schulter konnte er jedoch auf die ominöse Person hinter ihm richten. Er war doch sehr stark überrascht, als er in das Gesicht eines Mädchens blickte. Sie konnte keine zwanzig Jahre alt sein, vielleicht war sie noch nicht einmal volljährig. Man konnte es nicht mit Sicherheit bestimmen. In der nächsten Sekunde schon erstarrte er völlig. Die wenigen Zentimeter, die ihn von ihr trennten, ließen nur einen vagen Blick in ihr Gesicht zu und machten es unmöglich, ihren Augen zu entgehen.Schwer zusagen, ob es am dämmrigen Licht des langsam endenden Tages lag, aber diese rote Farbe… sie nahm ihm den Atem. Wenn er es nicht besserwüsste, würde er sagen, zwei Rubine funkelten ihn an. Aber bestimmt war diese Farbe und dieses Schillern, auf das Licht zurückzuführen. Ganz sicher. Doch ungeachtet dessen war der Blick in ihre Iris nahezu betäubend. Eiskalt, wie ein Raubtier sah sie ihn daraus an. Es schien sich ein kontrollierter, ruhiger, aber auch eiserner Wille darin abzuzeichnen. Der Wille zu töten. Genau so sah sie aus – als wollte sie Johnny gleich abstechen.

    Ryan war von dem plötzlichen Geschehen nicht minder überrascht als Andrew und der ganze Rest. Er betrachtete das seltsame Mädchen trotz des Tumults außerordentlich präzise. Sie war kaum kleiner als er selbst. Fünf Zentimeter vielleicht und somit noch höher als Johnny. Über den tödlich funkelnden Augen thronte nachtblaues Haar, das bis zu den Hüften reichte. Zwei lange Strähnen hingen über den Ohren und reichten bis zu ihrer Taille. Ihre Kleidung war linde gesagt ungewöhnlich. Ihr Körper war von einer kurzärmeligen, ledernen Weste eingehüllt, die zum Teil aus kaltem Grau und zum Teil aus nachtblauem Stoff bestand. Auf Brust und Bauch waren insgesamt drei waagerecht verlaufende, schwarze Gürtel, die es zu öffnen galt, um sich von der Rüstung – wie man es fast schon nennen wollte – zu befreien. Das Kleidungsstück ging ab der Hüfte in gleichfarbige Gamaschen mit seitlichen Einschnitten über, die allerdings nur bis zur Mitte ihrer Oberschenkel reichten. Der Rest ihrer Schenkel war nackt. Nur bis zu ihren Knien reichten die schwarzen Strümpfe, die zusätzlich von festem, dunkelblauem Stoff durchzogen wurden. Das Schuhwerk, bestehend aus leichten, schwarzen Stiefeln wirkte noch relativ normal. Ihre Unterarme waren vom Handrücken bis zu den Ellenbogen in dunkelblauen Stoffschonern eingehüllt, der mit schwarzen Riemen befestigt waren, um nicht zu verrutschen. Um ihren Hals lag ein Schal, ebenfalls in sehr dunklem Blau, unter dem sie ihre gesamte untere Gesichtshälfte versteckte. Seine Enden lagen über den Schulterblättern.

    „Wer zur Hölle bist du? Lass mich los!“

    Die Unbekannte regte nicht einen Muskel. Sie schien dies nicht einmal zu tun zu müssen, um Johnnys Befreiungsversuche zu unterdrücken. Überhaupt, sie hielt ihn mit nur einer Hand und stand völlig gelassen, fast schon gelangweilt da, als bereitete es ihr nicht die geringsten Schwierigkeiten, den Jungen außer Gefecht zu setzen. Und ihr Blick, dieser einnehmende Blick.

    Johnny schluckte. Ihm wurde wohl gerade klar, dass dieses Mädchen nicht normal war. Ihre gesamte Ausstrahlung war beängstigend, wie von einer Meuchelmörderin. Ryan unterdessen überlegte fieberhaft, ob sie sich schon die ganze Zeit über in der Masse aufgehalten hatte. So eine merkwürdige Erscheinung hätte doch auffallen müssen, oder? Nein, er war sich sicher, sie jetzt gerade zum ersten Mal zu sehen. Wo war sie so plötzlich hergekommen? Wie hatte sie so schnell einschreiten können?

    Dieselben Fragen stellte sich garantiert auch Johnny. Eine Antwort fand er mit Sicherheit nicht darauf. Inzwischen hatten sich glänzende Schweißperlen auf seiner Stirn gebildet und er zitterte leicht. Schwer zu sagen, ob aus Schmerz oder aus Furcht, denn die hatte mittlerweile unübersehbar Besitz von ihm ergriffen. Nicht ein Wort war über die Lippen der Unbekannten gekommen, nicht eine Emotion oder Reaktion hatte sie preisgegeben, seit sie den Arm des stümperhaften Pokémontrainers ergriffen hatte. Sie erwiderte nur seinen Blick, mit kühler Gelassenheit und furchterregender Sicherheit.

    Nun war es so weit, dass Kev in das Geschehen eingriff.

    „H-hey du Ziege, lass meinen Kumpel gefälligst los!“

    Er versuchte sich wütend zu geben, doch auch ihm stand die Nervosität ins Gesicht geschrieben. Diese wechselte nun ihrerseits zu Angst, als sich der tödliche Blick auf ihn richtete. Als sei sie gewillt eine arrogante Herausforderung anzunehmen und den Fettsack in seine Schranken zu weisen. Mit unglaublicher Leichtigkeit zwang dieser Blick Kev in die Knie und lies ihn eingeschüchtert verstummen. Wer bei allen legendären Pokémon war dieses Mädchen?

    Schließlich entschied sie sich wohl dazu, dass es genug war und hier kein weiterer Kampf ausbrechen würde – sofern es denn wirklich ihr Ziel gewesen war, dies zu verhindern. Für einen kurzen Moment, in dem sie ruhig und gelassen die Augen schloss, erhöhte sie den Druck auf Johnnys Handgelenk enorm. Ein leises Knacken war zu vernehmen. Gleich darauf schrie der hilflose Junge kurz auf und sank dann, nachdem sein Arm endlich aus dem Griff entlassen wurde, zu Boden. Er umklammerte das versehrte Gelenk mit seiner anderen Hand und krümmte sich zusammen. Schwer zu sagen, ob das Folgeschäden haben könnte, doch aus beobachtender Position war es zumindest nicht auszuschließen.

    „Wie töricht.“

    Ihre Stimme, trotz nur dieser zwei Worte, war als ebenso kalt und finster zu betiteln, wie ihre gesamte Erscheinung. Es war wie der Hauch eines Geistes, sehr dunkel für ein Mädchen und von unendlicher Geringschätzung. Noch während Johnny am Boden jammerte und Kev zu ihm geeilt kam, marschierte sie gleichgültig von dannen und schenkte niemandem, aber auch wirklich niemandem mehr Beachtung. Vor ihr wichen die wenigen Menschen, die sie beobachtet hatten, ein Stück zur Seite. Der wollte hier keiner im Wege stehen. Am besten gar nicht mit ihr reden. Zumindest bis ein ihr unbekannter Junge die Stimme erhob.

    „Hey, du.“

    In der Annahme, dass die Worte ihr galten, stoppte sie und drehte den Kopf. Ihre gespenstischen Augen sahen in ein Paar von marineblauer Färbung. Sie gehörten dem Jungen mit dem blonden Haar und dem grünen Cappy darauf. Ryan konnte ihre Haltung sofort deuten. Ihre Körpersprache teilte absolutes Desinteresse an jedweder Form der Unterhaltung mit seiner Person mit. Sie strahlte totale Abneigung, eventuell sogar Bedrohung aus. Dessen ungeachtet hielt er es für angemessen, sich für den vereitelten Anschlag zu bedanken. Dummerweise hatte sie eine derart beklemmende Wirkung auf ihn, dass die Worte nicht richtig aus seinem Mund kommen wollten.

    „Ich... ähm, wollte...“

    Noch bevor er eine weitere Silbe vollenden konnte, hatte sie sich desinteressiert abgewandt und setzte ihren Weg fort. Dabei schwang sie den Kopf so stark, dass ihr Haar einen weiten Schwung machte. Und so passierte es, dass Ryan erkannte, was der blaue Vorhang versteckte. In ihrem Rücken sah man zwei überkreuzte Messer, in einer dafür gedachten Vorrichtung an ihrem Gürtel befestigt. Sie steckten jeweils in einer Scheide, sodass man die Klingen nicht sah, doch zweifellos handelte es sich um Dolche. Ryan erschrak bei dem Anblick. Noch in derselben Sekunde blickte das unheimliche Mädchen ihn doch noch einmal aus dem Augenwinkel an. Und der junge Trainer meinte in ihren verengten Augen lesen zu können, dass sie durchaus beabsichtigt hatte, sie ihm zu zeigen, bevor sie ihm sofort danach wieder den Rücken kehre und schließlich verschwand. Was sollte das? War das eine Warnung gewesen? Warum trug sie so etwas überhaupt bei sich? Wer war sie?

    Ryan kam nicht dazu diesen, Gedankengängen nachzugehen. Er wurde unerwarteter Weise von Andrew am Oberarm gepackt. Der Blick, den er dabei aufgesetzt hatte, war schwer zu deuten, wirkte aber überaus ernst.

    „Wir müssen reden“, sagte er mit unterdrückter Stimme und machte Ryan mit einer Handbewegung deutlich, dass er ihm folgen sollte. Dieser versuchte einige Sekunden lang, einen Grund für Andrews seltsame Stimmungslage zu finden, woran er allerdings mit Mann und Maus scheiterte. Was er wohl für ein Problem hatte? Doch eigentlich konnte er darüber noch gar nicht nachdenken. Viel zu sehr beschäftigte ihn gerade das fremde Mädchen.


    Auf Ryans Wunsch hin hatten die beiden Pokémontrainer aus Silber City das großzügig ausgestattete Restaurant aufgesucht, um die ach so dringende Unterhaltung zu führen, auf welcher Andrew bestand. Das Lokal bestand aus einem riesigen, quadratisch angelegten Raum, der fein eingerichtet und bislang kaum logischerweise besucht war, was sich aber sicher bald ändern würde, da das Abendbuffet bereits angerichtet war und nur auf die hungrigen Gäste wartete. Sobald sich alles wieder beruhigt und die Fahrt einmal wieder aufgenommen war, würde das sicher nicht lange dauern. Der Boden war mit himbeerrotem Teppich ausgelegt. Die Bezüge der Stühle besaßen dieselbe Farbe und einige stilvolle Kronleuchter an der Decke sorgten für einen angenehmen Grad an Beleuchtung. Schon beim Eintreten erfüllte der Duft der leckeren Gerichte am Buffet Ryans Nase und erinnerte diesen unweigerlich daran, dass er seit Stunden nichts mehr zwischen die Zähne bekommen hatte.

    Andrew allerdings schien es anders zu gehen, da er seinen Kumpel sogleich an einen Tisch in der Ecke möglichst weit des Eingangs drängte. Noch immer darüber rätselnd, was denn überhaupt sein Problem war, nahm Ryan Platz und entfernte direkt seine Kopfbedeckung, wie es sich für dieses Etablissement geziemte.

    „Hör mal Ryan“, begann der Altere und plötzlich auch reifer wirkende der beiden Trainer schließlich ohne große Anrede.

    „Ich versteh natürlich, wie sauer dich dieser Johnny gemacht hat, aber so kannst du in der Öffentlichkeit nicht auftreten!“

    „Bitte wie, wo, was, wie viel?“

    Ryans irritierter Gesichtsausdruck sprach für sich. Er hatte alles rund um Johnny schon beinahe vergessen, so sehr war er von den Mädchen, das selbigen danach attackiert hatte, eingenommen gewesen. Nun jedoch glitten seine Gedanken in die Richtung, in die Andrew sie lenkte. Wie Auftreten? In der Öffentlichkeit?

    „Ich meine du kannst nicht einfach so alle Dämme einreißen, wenn gerade dutzende Leute zusehen.“

    Ryan fiel keine schlagfertige Antwort ein. Was sollte das denn? War es nicht seine Sache, wie er vor den Augen anderer Leute reagierte? Abgesehen davon – wie stellte Andrew sich denn eine angemessene Reaktion vor? Johnny konnte froh sein, dass er noch alle Zähne hatte. Bevor er sich einige Worte zurechtgelegt hatte, setzte Andrew seine Erklärung bereits fort.

    „Jetzt überleg mal. Du wirst deinen Titel als Sieger der Kanto-Liga noch ein paar Monate tragen und bist nun auch Zweitplatzierter der Silberkonferenz. Du bist einer der größten überhaupt, Mann! Du kriegst überall und ständig die Aufmerksamkeit der Leute ab, ob´s dir passt oder nicht.“

    Das stellte für ihn keine Neuigkeit dar. Ryan war in der Vergangenheit oft und manchmal auch unschön genug daran erinnert worden, dass er in Menschenmassen keine Ruhe genießen konnte. Aber was sollte das alles? Andrew erging es ja nicht einmal großartig anders. Obwohl er noch auf seinen ersten Triumph in einer Liga wartete, war auch er bestens bekannt in der Szene und zog, auch durch seine Art, fast ebenso viel Aufmerksamkeit auf sich.

    „Viele von denen blicken zu dir auf und mindestens genauso viele warten nur darauf, dass so eine Persönlichkeit mal auf die Schnauze fällt. Du hast einen Ruf zu verlieren, ist dir das eigentlich klar?“

    Langsam begriff Ryan, woher der Wind wehte. Andrew sorgte sich um die Presse, die Fans und die Kritiker, mit denen es ein Trainer seines Erfolgsgrades zu tun bekam. Allerdings sah er es nicht ein, aufgrund seines Bekanntheitsgrades übermäßig auf sein Image zu achten. Schon allgemein nicht. In einer Situation wie gerade eben kümmerten solche Dinge Ryan dann überhaupt nicht mehr. Erstmal sollte Andrew ihm erklären, wie er, wie irgendjemand in so einem Moment ruhig bleiben sollte. Andrew konnte doch angeblich so gut nachvollziehen, wie er sich gefühlt hatte.

    „Machst du dir wirklich so viele Gedanken darüber, was andere Leute von mir denken? Von mir?“, fragte er nun und wies damit dezent darauf hin, dass Andrew mit seinem eigenen Image doch genug Sorgen haben müsste. Das sollte keine Anschuldigung darstellen und für eine Sekunde fürchtete der Blonde auch, den falschen Ton getroffen zu haben. Glücklicherweise schien es nicht so aufgegriffen worden zu sein.

    „Panik schieb ich jetzt keine. Aber überleg mal, wie sich das von vorhin in der Region herumsprechen wird. Die ganze Aktion wurde gefilmt, verdammt nochmal. Wenn solche Bilder in Hoenn die Runde machen, fragt leider kaum noch jemand nach dem Grund. Die hängen sich nur an dem auf, was sie sehen und wenn am Ende 'ne komplett verkorkste Version von diesem Streit rauskommt, dann bist du derjenige, auf den der ganze Mist abgeladen wird. Scheiße, dabei sind wir noch nicht mal angekommen.“

    „Jetzt mach mal 'n Punkt“, spielte Ryan die Sorgen runter. Er konnte das Anliegen Andrews zwar irgendwo verstehen, doch trieb er es seiner Ansicht nach etwas zu sehr auf die Spitze. Es gab doch wirklich genug andere Trainer, über die sich zu reden lohnte. Besonders, weil er doch sein jüngstes Finale verloren hatte. Und selbst wenn alles so dramatisch hochgeschaukelt werden sollte, wie von Andrew befürchtet – die Menschen redeten, tuschelten und spekulierten doch immer. Natürlich hatte er gewissermaßen eine Angriffsfläche geboten, indem er Johnny an die Gurgel gegangen war. Wer allerdings so dämlich war, die Bilder zu beurteilen, ohne die Umstände zu kennen, auf dessen Meinung gab Ryan ohnehin keinen Pfifferling. Und wer die Umstände erst kannte, der würde ihn wohl kaum verurteilen können.

    Andrew begann mittlerweile einzusehen, dass er auf diese Weise nicht vorwärts kam. Ryan konnte ziemlich stur sein, wenn es um seine Persönlichkeit ging. Er wusste natürlich, dass er sich in der Regel wenig bis gar nicht darum kümmerte, was andere Leute dachten und redeten und das war auch eine respektable Eigenschaft. Allerdings keine kluge oder vorausschauende. Da ein Einlenken des beinahe-Schlägers von vorhin mittlerweile unwahrscheinlich erschien, versuchte er wenigstens noch einen Kompromiss aus ihm herauszulocken. Vielleicht regte er ja wenigstens zum Nachdenken an.

    „Versuch doch, solche Aktionen wenigstens in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Fordere ihn zum Kampf und mach ihn zur Sau, aber vermeide solche Ausraster vor Publikum“, riet er verständnisvoll, aber auch eindringlich. Er erachtete dies eigentlich als einen annehmbaren Deal, doch hier schaltete sich die Sturheit Ryans erneut ein.

    „Ich geh mal ans Buffet.“

    Mit diesen Worten erhob sich der Angeklagte von seinem Stuhl und steuerte gemütlichen Schrittes die Nahrungsquellen an. Er hatte auf einmal extrem teilnahmslos und ungewohnt gelangweilt geklungen, was grob gesagt bedeutete, dass er einen Dreck auf Andrews Ratschlag gab. Zwar würde Ryan dies nie so direkt und abweisend aussprechen, da dies keine Art war, mit Freunden umzuspringen, doch innerlich zog er seinen Schlussstrich für dieses Gespräch bei genau diesem Gedanken. Er war, wer er war und das würde sich nicht ändern. Seine Persönlichkeit war ihm wertvoller als all sein Besitz. Lediglich seine Mom und seine Pokémon standen darüber. Natürlich auch seine Freunde, aber Andrew hatte sich gerade ein bisschen zu sehr ins Aus manövriert, um das hier und jetzt hervorzuheben. Vielleicht konnte man den Silberflügel, der um seinen Hals lag, noch dazu zählen. Niemals würde er wegen seinem Image sein Verhalten ändern und sich hinter einer lächerlichen Fassade verstecken. Wenn die Leute ihn nicht mochten, war das deren Problem, nicht seines. Er hatte auch kein Problem, mit Abneigung oder gar Hass konfrontiert zu werden. Schließlich handelte es sich um Fremde. Er war mit sich selbst stets völlig im Reinen gewesen. Allerdings hatten Andrews Worte ihn doch ein wenig ins Grübeln gebracht. Vielleicht war ihm sein Charakter und der Wille, diesen nicht zu ändern, manchmal wirklich ein Stein im Weg. Würde es ihn denn umbringen, wenn er versuchte, seine Aggressionen ein wenig zu zügeln? Ryan hatte schlagartig seinen Appetit fast vollständig verloren.


    Narren. Allesamt verfluchte Narren auf diesem Schiff. Verflucht durch ihre Schwäche und ihre Angst. Von einfachsten Anzeichen der Gefahr ließen sie sich in die Enge treiben, obgleich ihre Gegner bloß lächerliche Amateure gewesen waren. Bei der kleinsten Bedrohung hielten sie lieber die Köpfe unten und hofften auf Gnade, anstatt zu kämpfen. Beinahe wäre ihnen teuer zu stehen gekommen. Diese zwei Diebe – lachhaft! Mit einer Hand auf dem Rücken hätte sie die beiden meucheln können. Sie hätte es gerne getan, allein da sie schon zu lange nicht mehr getötet hatte und diese beiden für sie leichte Opfer gewesen wären. Aber nein, die Zeiten hatten sich geändert. Leider, so befand sie. Die Menschen dieser Tage waren einfach zu schwach, zu feige, zu einfältig, richteten sich lieber gegeneinander.

    „Wie töricht“, wisperte eine monotone Stimme vor sich hin, während der Gedanke an all jene da draußen die einzige Emotion in ihr vorantrieb, die sie noch besaß, wenn es auch nur ein winziges Stückchen war. Diese Emotion war Hass. Doch um ihr diesen anzusehen, müsste man in der Lage sein, in Menschen hineinzusehen. Doch dieses verkommene Volk der Neuzeit war ja nicht einmal aufrichtig genug, sich selbst zu sehen. Sahen sie in einen Spiegel, so beschönigten sie das verrottete Bild mit Lügen oder verschlossen die Augen. Wie sie diese Generation verabscheute. Womit sonst als Hass sollte man ihr begegnen?

    Nur dieser eine Junge hatte Courage bewiesen, sich den Angreifern gestellt und gesiegt. Zunächst hatte sie einen Hauch von Respekt für ihn empfunden, auf welchen sich auch ihre kleine Hilfe begründet hatte. Doch der war verpufft, als sie seine Seelenspiegel erblickt hatte. Es waren nicht die seinen. Nie und immer! Diese Farbe, diese Tiefe. Sie gehörte zu einem weit mächtigeren Geschöpf. Misstrauen war es nun was sie ihm gegenüber hegte und sonst nichts. Sie hatte zwar keinen stichhaltigen Beweis für eine grobe Untat des Jungen, doch was war die Alternative? Fest daran glauben, dass er diese Augen aus einem guten Grund besaß? Darauf vertrauen – vertrauen! –, dass seine reine Seele gut und ungetrübt war? Das tat sie schon lange nicht mehr. Bei niemandem. Nur eine besondere Ausnahme gab es.

    Sie stand vor der Tür, hinter der sich die Räumlichkeiten fanden, in denen sie während dieser Fahrt nächtigen sollten. Sie hatte gleich für sich entschieden, dass sie dieses Bett nicht nutzen würde. Jeder schlief in einem solchen hinter einer einfachen Stahltür. Und jeder wusste, dass sich jeder dort aufhielt, wenn die Nacht hereinbrach – auch der Feind. Darum würde sie hier nicht bleiben, doch sie musste zu ihr, musste sie sprechen.

    Die Tür schwang quietschend auf. In dem großzügigen Raum brannte kein Licht. Sie sah die Umrisse. Ein Tisch, zwei Stühle an der gegenüberliegenden Wand. Rechts ein Bett, links ein weiteres. An der Decke eine Lampe, nicht erhellt. Boden und Wände mit demselben blauen Fließ ausgelegt, wie der Flur. Selbst durch das Licht, das auf jenem brannte, sah man auf einem der Stühle nichts weiter als eine weibliche Silhouette. Sie trat ein, schloss die Tür. Sie wurde von absoluter Dunkelheit empfangen und begrüßte sie. Endlich wieder in den Schatten!

    „Ich bat dich doch, dich in dieser Kleidung nicht so offen zu zeigen. Wie oft muss ich dir das noch sagen?“, seufzte eine vertraute Frauenstimme. Fast könnte man meinen, eine Mutter sprach mit einer ungehorsamen Tochter. Allerdings noch sehr beherrscht und nachsichtig. Das Blut der Familie war es jedoch nicht, was ihre Seelen verband.

    Die Eingetretene sah auf. Wo andere Menschen nicht die Hand vor Augen erkannt hätten, erkannte sie alle Umrisse der Kajüte und auch der Frau vor ihr. Die Arme waren vor der Brust verschränkt und die Beine übereinandergeschlagen. Mit dem gehobenen Fuß wippte sie verspielt auf und ab. Ihre Mimik enstsprach ihren Worten und mehr noch der Art, wie sie diese gesprochen hatte.

    „Ein ungewöhnlicher Junge“, war die Rechtfertigung für ihr Eingreifen. Die Person auf dem Stuhl lachte leicht amüsiert auf.

    „Grotesk, das aus deinem Munde zu hören, wo wir doch die Sonderlinge sind.“

    Ihre Stimme war bei weitem nicht so gespenstisch. Sie wirkte wärmer, lebendiger und ebenso mütterlich, wie ihre Ausdrucksweise, obwohl sie ebenfalls eher dunkel war. Doch ihre Anmerkungen waren nun fehlt am Platz. Sie musste derartige Anspielungen unterbinden, um den Ernst der Lage zu erhalten. Dies könnte sich zu einem heiklen Thema, eventuell sogar zu einem Problem entfalten.

    „Seine Augen. Sie gehören nicht ihm.“

    Der wippende Fuß stoppte. Langsam hob sie das überschlagene Bein an und setzte es parallel zum anderen auf den Boden. Sie lehnte sich leicht nach vorne, stützte die Ellenbogen auf die Knie, faltete ihre Hände und bettete den Kopf darauf.

    „Interessant.“

  • Moin Phenomenon,
    da ich jetzt endlich einmal dazu komme schreib ich dir mal einen weiteren Kommi. c:


    Erst einmal das Übliche also erst einmal was rein zum schriftlichen sagen. Hier und da fehlte mir doch ein bisschen Erläuterung zu den Gefühlen von Ryan, das hattest du schon deutlich besser geschafft. Auch von Andrew wünschte ich mir manchmal ein bisschen genauere Reaktionen. Wenn du jetzt nicht unbedingt seine inneren Vorgänge genauer beschreiben willst, wäre es vielleicht auch ganz gut wenn du äußeren Reaktionen mehr Beachtung schenkst, sein es auch nur so kleine Gesten wie die Hände zu Fäusten ballen oder ähnliches. Auf die Mimik gehst du zwar ein, aber auch hier fehlt mir das noch so ein bisschen. Umgebungstechnisch kann man eigentlich nicht wirklich meckern, als sie im Restaurant waren, konnte ich mir dieses Recht gut vorstellen. Und auch genau bei dem Gespräch fand ich dann auch endlich mal Andrews Reaktionen ganz gut beschrieben. Teilweise hab ich sonst immer so ein bisschen das Gefühl du würdest dich lieber auf Ryan von den Beschreibungen her beschränken, aber dann fällt dir ein das Ryan ja auch noch da ist. Das finde ich immer ein bisschen Schade, da man manchmal etwas das Gefühl du hast ihn in der Handlung vergessen. Aber gerade durch sein eingreifen mit seinem Psiana oder dem Gespräch wird man erst dran erinnert das es nicht so ist. Da in der Richtung solltest du vielleicht einfach aufpassen. Sonst ist mir jetzt kein Rechtschreibfehler oder ein Grammatikfehler im Gedächtnis geblieben, also werde ich jetzt auch nicht noch einmal drüber suchen.
    Inhaltlich ist ja doch so einiges passiert. Ich muss zugeben die Stachelsporen hatte ich vergessen, aber bei deinen Bösewichten hatte ich ja schon angemerkt das ich nicht glaube das es alles gewesen sei. Und siehe da ich bin nicht enttäuscht worden, es war ja noch nicht alles. Interessant war das der liebe Team Rocket Kerl da mal eben eine Waffe zückt. Das hätte ich echt nicht erwartet und dann im nächsten Moment rettet Panzaeron seinen Trainer. Auch gut finde ich dann das du den Aspekt miteinbringst das eine Kugel die frontal gegen das Pokemon dann geschossen wird auch dessen Stahlpanzerung durchdringen könnte. Das finde ich echt gut, einfach weil man merkt du machst dir Gedanken und genau dadurch wirken dann Details logisch und realistischer. Das Mädchen am Ende ist dann noch einmal eine sehr interessante Wendung und die hast du echt gut abgepasst. Und was mich dann ja besonders interessiert hat, war das das Mädchen um seine Augen wusste. Na langsam nimmt die Story doch an Fahrt auf, da freue ich mich richtig auf das nächste Kapitel. Ich kann zum Abschluss sagen mir fehlt zwar hier und da etwas das Detail was ich mir gerne noch wünschen würde, aber inhaltlich gut durchdacht und es wird einem auf jedenfall nciht so schnell langweilig.


    Ich hoffe mal ich konnte dir ein bissl mit meiner Kritik noch weiterhelfen, irgendwann musste die ja mal satt haben, haha. x)
    LG
    Noel

  • Jetzt hätte ich beinahe vergessen, dir noch zu antworten. Von deinem Argument bezüglich der Beschreibung beider Protagonisten hast du wohl recht. Hier lag der Fokus ein wenig arg auf Ryan, während Andrew ein wenig die Randfigur darstellte. Zwar war das von mir nicht unbeabsichtigt, aber beim erneuten Durchlesen fiel mir doch auf, dass der Kontrast ein wenig extrem geworden ist. Allgemein habe ich aber auch in Zukunft vor, dann und wann den Fokus auf einen der beiden zu legen - also auch mal anders herum. Ich glaube, dass ich schon recht viel von ihren Charakterzügen und ihrer Freundschaft beschrieben habe, worunter der Storyfluss etwas glitten hat. Doch auch in folgenden Kapiteln werden Ryan und Andrew an sich noch genauer beleuchtet werden. Und wenn es vorkommt dass Ryan als der eigentliche Hauptprotagonist erscheinen sollte, dann liegt das daran, weil er es mehr oder weniger ist. Durch seine Vorbelastung als Protagonit meiner ersten FF (egal, ob man diese nun gelesen hat oder nicht) ist er einfach einen Tick tiefgründiger, spezifischer und mit der Zeit auch geheimnisvoller, was auch noch Auswirkungen auf den Storyverlauf haben wird. Es war also mein Ziel, bis hierhin hauptsächlich ein Grundbild der beiden zu schaffen, das in Zukunft die Gedanken und Emotionen während ihrer gemeinsamen Zeit nachvollziehbar machen soll. Wie gesagt, vielleicht habe ich dafür ein wenig lange gebraucht, denn wirklich in Fahrt kommt die gesamte FF erst in den nächsten 2 bis 3 Kapiteln. Und das mysteriöse Mädchen samt der Frau am Ende von Kapitel 7 werden natürlich auh noch ihren Platz finden.
    Du merkst also, vieles befindet sich noch immer in einer Art Einführungsphase. Doch wenn die erst einmal überwunden ist, bin ich ziemlich sicher, dich un all die anderen Leser sehr gut unterhalten zu können - sowohl mit der Haupt als auch einigen nicht unbedeutenden Nebenhandlungen. Deine Tipps werde ich wie immer versuchen zu beherzigen. Grade der Punkt mit äußeren Reaktionen ist dir ja bereits mehrmals aufgefallen und du hast absolut recht damit. Das ist definitiv einer meiner Fehler, die ich nach und nach auszuradieren versuchen werde. Danke dir und bis die Tage.

  • Kapitel 8: Diebische Touristen


    So gespannt die Stimmung zwischen den beiden Pokémontrainern am vergangenen Abend noch gewesen war, so sehr schien sie an diesem Morgen vergessen zu sein. Weder Ryan noch Andrew ließen sich in irgendeiner Form anmerken, dass sie sich in den letzten Stunden des Vortages fast nur noch stur angeschwiegen hatten. Selbst Ryans Gedanken an das befremdliche Mädchen mit dem eiskalten Blick waren fast vollständig in den Hintergrund gerückt. Vermutlich lag dies an daran, dass sie an diesem Morgen in Hoenn anlegen würden. In dem beschaulichen Dorf Wurzelheim, um genau zu sein. Nicht wirklich ein Ort, der einem vom Hocker riss, aber dennoch so ziemlich jedem Pokémontrainer auf der Welt bekannt, da hier der wohl berühmteste Pokémon Professor der Region sein Labor hatte. Professor Birk war, so hatte Ryan jedenfalls gehört, ein freundlicher und für seinen Stand als Professor noch recht junger Mann, der voller Lebensfreude war und eine unglaublich enge Beziehung zu den Pokémon pflegte. Er sollte angeblich von der Sorte Mensch sein, die wortwörtlich hautnah mit den Pokémon arbeitete und jedes noch so alltägliche Verhalten peinlich genau beobachtete, um daraus völlig neue Erkenntnisse zu gewinnen. Einer, der seinen Kindeseifer eben nicht verloren hatte, um es einfach auszudrücken. Und ein ziemlich quirliger Kerl soll er sein, bei dem man sich auch mal fassungslos an die Stirn greifen musste. Man konnte es auch so ausdrücken, dass der Professor einen leichten Sprung in der Schüssel hatte, doch eine derartige Bezeichnung hielt Ryan für eine Respektsperson wie ihn für alles andere als angemessen.

    So oder so wollten die zwei Trainer diesen Menschen unbedingt kennenlernen. Man durfte berechtigte Zweifel erheben, ob er Zeit für unangekündigten Besuch aufbringen konnte und wollte oder ob er überhaupt im Labor anzutreffen sein würde. Aber da sie ohnehin alle Zeit der Welt hatten, gab es keinen Grund, es nicht wenigstens zu versuchen. Schließlich würde es noch mehr als acht Monate dauern, bis die Prachtpolis-Meisterschaften offiziell starteten und viel länger als ein halbes Jahr würde die Reise durch Hoenn keinesfalls andauern können. Dies konnten sie anhand ihrer Erfahrungen bezüglich Reisezeiten recht präzise abschätzen. Und im Notfall konnten sie noch auf Psiana zurückgreifen, um zeitfressende Hürden per Teleport zu überwinden.


    Mit diesem Vorhaben schritten Ryan und Andrew und die nur langsam vorankommende Menschenschlange von Bord des luxuriösen Transportschiffes. Ihre Blicke huschten pausenlos mal in diese, mal in jene Richtung und schienen das Bild ihrer Umgebung möglichst präzise einprägen zu wollen. Sie wirkten genau wie die aufgeregten Touristen links und rechts. Streng genommen gehörten sie auch irgendwo eben denen an, nur dass sie hier keinen Urlaub machen, sondern Orden gewinnen wollten. Wurzelheim war wirklich nur eine kleine Ortschaft mit einer eher überschaubaren Anzahl an Häusern, wirkte aber dennoch recht modern. Zu Hause in Johto pflegte man zumeist einen traditionelleren Stil. Die Wohnhäuser waren fast ausnahmslos zweistöckig erbaut worden, während hier und da ein kleines Bürogebäude oder Kaufhaus mit höchstens fünf Stockwerken hervorragte. Ein Pokémon Center ließ sich auf den ersten Blick nicht ausmachen, dafür aber viele kleine Geschäfte und Boutiquen. Sämtliche Gebäude waren sauber verputzt und schienen sehr geordnet, mit genauster Planung angelegt worden zu sein. Das war kein verschlafenes Dörfchen, was gewachsen und modernisiert worden war. Hier war alles so gebaut worden, wie er erdacht worden war.

    Hinter der Stadt, wenn man sie so nennen konnte, erstreckten sich unüberschaubar riesige Laubwälder in saftigem Grün. Die Sommerzeit hatte gerade begonnen und hier in Hoenn war das Bild, das einem die Natur bot, ein anderes, als in Johto. Die Vegetation blühte hier deutlich früher auf, verschwand dafür sicherlich auch dementsprechend wieder schneller. So kam es, dass Ryan und Andrew nun statt der noch relativ bunten Farbenpracht des späten Frühlings in ihrer Heimat, nun mit einem ausnahmslos sommergrünen Naturbild konfrontiert wurden.

    Endlich hatten sie wieder festen Boden unter den Füßen und machten eilige Schritte durch den Hafen. Sie fühlten sich wieder in die Zeit zurückversetzt, in der sie zum ersten Mal ihre Nachbarregion Kanto besucht hatten, die Ryan sogar noch vor Johto durchstreift hatte. Die neuen Herausforderungen, denen sie sich stellen konnten, die neuen Menschen, die neue Umgebung und nicht zuletzt neue Pokémon. Es gab so viel zu entdecken und zu bestaunen.

    „Endlich da, was?“, warf Andrew mit lockerer Stimme ein, als er sich gerade seiner großen Augen bewusst geworden war. Ein bisschen war es ihm etwas peinlich, dass er sich beinahe wie ein aufgeregtes Kind fühlte, doch es juckte ihm bereits in den Händen. Er wollte starten, wollte loslegen!

    Ryan holte inzwischen den Reiseführer hervor, den er nebst Broschüre in ihrer Kajüte vorgefunden hatte und blätterte kurz darin. Gleichzeitig machte er sich im Kopf eine Notiz, sich bei nächster Gelegenheit eine Karte von Hoenn auf seinen Pokégear laden zu lassen.

    „Okay, dieser Professor Birk hat sein Labor etwas außerhalb der Stadt.“

    Daraufhin deutete die Hafenstraße entlang, welche nur ein oder zwei Kilometer weiter bereits in die zuvor bestaunten Wälder führte.

    „Wenn wir der Straße ein Stück folgen und dann bei einem der Waldwege abbiegen, sind wir wohl am schnellsten da.“

    „Dann ist das unser Weg“, stellte Andrew voller Tatendrang klar.


    Besagter Weg war tatsächlich kein weiter gewesen. Lediglich fünfzehn Minuten Fußmarsch hatte es in Anspruch genommen, den Gipfel eines kleinen Waldhügels, welcher bereits eher in der Wildnis als in der Stadt lag, zu erreichen. Begrüßt wurde das Duo von einem zweistöckigen Haus in sauberem Weiß. Es besaß hohe Fenster, die den Einlass von viel Tageslicht ermöglichten und ein abgerundetes Dach in sonnigem Orange. Alles wirkte hier oben absolut friedlich und freundlich. Vogelpokémon sangen in den Baumwipfeln. Von den entfernten Straßen drang nicht der geringste Lärm von Autos hier rauf. Man wollte einmal tief Luft holen und die Seele baumeln lassen. Wenigstens für einen Moment.

    Als sie jünger gewesen waren, hatten sie sich den Arbeitsplatz eines solchen Menschen deutlich weniger naturverbunden vorgestellt. Andererseits hausten Eich und Lind – die beiden anderen Pokémonforscher, denen sie schon begegnet waren – auch recht ähnlich. Ohne weitere Umschweife hielten Ryan und Andrew direkt auf die massive Holztür zu, die von einem kleinen, ebenfalls pastellfarbenen Dach überdeckt wurde.

    „Du hast die Ehre“, bot Ryan an und machte eine einladende Geste ich Richtung Tür. Eigentlich hatte er eine Stichelei wie „Alter vor Schönheit“ oder „Ladys first“ im Sinne gehabt, es sich aber auf den letzten Drücker doch verkniffen.

    So schritt Andrew kommentarlos vor den Eingang und klopfte drei- viermal gegen das Haselnussbraune Holz. Ein paar Sekunden lang geschah gar nichts, doch kurz bevor der junge Trainer den Arm hob, um ein weiteres Mal anzuklopfen, war plötzlich ein hektischer Ruf aus dem Inneren des Hauses zu vernehmen.

    „Einen Moment, ich komme“, tönte die dumpfe Stimme, wobei die sprechende Person offensichtlich die gesamte Einrichtung über den Haufen rannte. Der Geräuschpegel ließ das zumindest vermuten.

    Schließlich wurde die Tür nach innen geöffnet und offenbarte einen jungen Mann, der Mitte zwanzig sein musste. Er trug einen weißen Laborkittel, darunter ein sonnengelbes T-Shirt und blaue Jeans. Vom Körperbau her war er recht schlank und schmächtig. Minzgrünes Haar reichte ihm bis etwas unterhalb des Kinns und eine große, runde Brille machte einen, um ehrlich zu sein, ziemlich streberhaften Eindruck. Doch der junge Mann wirkte freundlich und offen, wenn auch ein wenig gestresst. Als dieser nun die beiden Gäste empfing, wurde seine Miene ein wenig von Verwunderung gezeichnet. Als habe er sich einige begrüßende Worte zurechtgelegt, die er jetzt verwerfen musste. Das ließ das kurze Schweigen jedenfalls vermuten.

    „Von euch Beiden ist aber keiner Cody, oder?“

    „Nein, sind wir nicht“, kommentierte Ryan knapp. Offenbar erwartete der Professor noch jemanden und hatte daher nicht mit zwei Unbekannten gerechnet.

    „Mein Name ist Ryan Carparso und das hier ist mein Kumpel...“

    „Andrew. Andrew Warrener“, beendete der den Satz, wobei beide freundlich die Hand des Kittelträgers schüttelten. Dieser atmete einmal tief und geräuschvoll aus, bevor er weitersprach.

    „Ein Glück, dann haben wir noch etwas Zeit.“

    „Erwarten sie noch Besuch?“, fragte Ryan ,obwohl die Antwort sehr offensichtlich schien.

    „Ja, ein Junge namens Cody soll heute seine Reise als Pokémontrainer beginnen und der Professor trifft gerade noch letzte Vorbereitungen, für seine Ankunft. Allerdings sind wir dabei ein wenig unter Zeitdruck geraten, weil er unbedingt noch eine wichtige Untersuchung beenden musste.“

    Dies entlockte dem Trainerduo wiederum einen verwunderten Blick.

    „Sie sind also gar nicht Professor Birk?“, erkundigte sich Andrew.

    „Oh, entschuldigt, ich habe mich ja noch nicht vorgestellt“, gab der junge Mann etwas verlegen zu und räusperte sich kurz. Auch der Kuttel wurde etwas zurechtgezupft und die Haltung gestrafft.

    „Ich bin der Assistent des Professors. Nennt mich einfach Jürgen, ich werde nicht gern gesiezt.“

    Womit wieder ein Rätsel auf dieser Welt gelöst wäre. Jedoch hätte sich dies in der nächsten Sekunde wohl von selbst erledigt, da nun eine weitere Stimme durch das Gebäude hallte. Sie war ein wenig dunkler als die des Assistenten.

    „Ist Cody angekommen, Jürgen?“

    Der Gefragte wandte sich kurz um, und antwortete mit angehobener Stimme. Bevor sie geklopft hatten, war hier draußen alles noch so friedlich gewesen und jetzt schrie man hier durch die Gegend.

    „Nein Sir, es sind zwei junge Trainer.“

    Augenblicklich war das Poltern und Knarzen einiger Treppenstufen zu vernehmen, während sich Jürgen wieder den Besuchern zu wandte.

    „Tut mir wirklich leid, aber um ehrlich zu sein kommt ihr gerade ein wenig ungelegen, wir...“

    Er verstummte einen Moment. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen und er prüfte abwechselnd die Gesichter beider Besucher genauer. Selbige wirkten zunehmend irritiert, als der junge Assistent besonders Ryan eindringlich zu mustern schien.

    „Du kommst mir irgendwie bekannt vor. Haben wir uns schon mal gesehen?“

    Das erste Wort kam nicht vom jenem, an den die Frage gerichtet war, sondern von Andrew, der freundschaftlich einen Arm um Ryans Schulter legte.

    „Na, was hab ich gesagt? Die Leute kennen und erkennen dich, Ryan.“

    Ein wenig verlegen befreite sich dieser von dem beengenden Griff und rückte sein Sweatshirt ein Stück zurecht. An den gestrigen Tag und das unangenehme Gespräch wollte er lieber nicht zurückdenken. Dass Andrews Aussage durch diese jüngste Begegnung untermauert wurde, passte ihm allerdings gar nicht. Besser gar nicht weiter dran denken.

    „Wahrscheinlich haben sie die Johto-Liga gesehen. Kann das sein?“

    Er konnte den genervten Unterton nicht gänzlich vermeiden. Glücklicherweise entging dieser dem Assistenten offenbar gänzlich.

    „Ja natürlich“, rief Jürgen sogleich aus und schlug in seine offene Handfläche. Gerade wollte er einen weiteren Satz beginnen, als plötzlich eine zweite Person hinter ihm hervortrat.

    Jürgen bemerkte sofort sein Ankommen und trat ein Stück von der Tür zurück, um die Sicht auf die beiden Trainer freizumachen. Der Mann war ziemlich groß und hatte einen kräftigen, stämmigen Körperbau, der von sehr breiten Schultern abgerundet wurde. Das haselnussbraune Haar fiel ihm vorne über die Stirn und an den Seiten etwas über die Ohren. Der Schopf wirkte ein wenig zerzaust und ungepflegt, was aber wohl auf den von Jürgen angesprochenen Stress zurückzuführen war, unter dem sie beide gerade litten. Ein stoppeliger Bart bedeckte das Kinn und zog sich an den Seiten bis hin zum Haaransatz. Auch dieser Mann trug einen Laborkittel, darunter allerdings ein ozeanblaues Polohemd, dazu knielange, farngrüne Hosen und Sandalen. Sehr sommerlich, seine Erscheinung. Passte nicht so wirklich zu dem, was man sich unter einem Professor versprach. Das musste Birk sein.

    „Sir, das hier ist Ryan Carparso, der Finalteilnehmer der letzten Silberkonferenz. Und das ist sein Freund Andrew Warrener“, stellte Jürgen die beiden Besucher vor. Ryan ahtte seinen Nachnamen nicht genannt. Scheinbar erinnerte sich der Assistent nun wieder sehr genau an die Übertragung der Johto-Liga.

    „Ah, hoher Besuch also. Bitte kommt doch rein“, bot der Professor sofort an. Auch er wirkte sehr freundlich und einladend. Obwohl sein Assistent noch eine ganze Ecke jünger war, schien Birk wirklich nicht gerade der älteste Mann seiner Branche zu sein. Älter als Mitte, maximal Ende dreißig war er sich nicht.

    Ryan und Andrew nahmen das Angebot dankend an und traten durch die Tür, vor welcher der Hausherr großzügig Platz machte. Empfangen wurden sie von einem großen Raum, der fast das gesamte Erdgeschoss des Hauses für sich beanspruchte. An der rechten Wand, sowie in der Mitte des Raumes standen einige Tische, auf denen wohl selbst ein Bleistift keinen Platz mehr gefunden hätte. Sie waren voll bedeckt mit Computern, allerlei seltsamen Gerätschaften, Notizen, Pokémonbüchern, lose herumfliegenden Blättern, auf denen irgendwelche Hochrechnungen und Statistiken geführt wurden und dicke Büroordner, die wohl – ebenso wie die Bücher – in eines der vielen Regale gehörten, die die linke Wand einnahmen. Zwischen jenen Regalen ragte zwei weitere Türen aus der Wand, die allerdings geschlossen waren. An der gegenüberliegenden Wand, die wohl schon die Rückseite des Hauses darstellte, führte eine Treppe ins Obergeschoss. Jürgen kletterte sie gerade empor, womit er aus Ryans und Andrews Weltsicht verschwand. Wahrscheinlich, um sich weiteren Tätigkeiten zu widmen.

    „Die Unordnung tut mir leid, aber wie euch mein Assistent vielleicht schon gesagt hat, fehlt uns im Moment ein wenig die Zeit zum Aufräumen“, kommentierte Professor Birk das Chaos, wobei er sich verlegen am Hinterkopf kratzte. Anders war dieses Bild auch nicht zu bezeichnen. Andrew winkte aber gleich ab.

    „Nur Idioten halten Ordnung, sagt man doch. Ein Genie beherrscht das Chaos.“, witzelte Andrew. Ein wenig arg direkt und vielleicht etwas taktlos. So war er eben. Und der Professor lachte tatsächlich verlegen, als sei dies ein aufrichtiges Kompliment gewesen, ehe er sich Ryan zuwandte.

    „So, du bist also einer der Top-Trainer aus Johto?“, begann der bärtige Hausherr dann. Er zeigte wirklich ehrliches Interesse für den jungen Trainer, wirkte dabei aber keineswegs aufdringlich.

    „Ich habe mich nie als solchen bezeichnet, aber die meisten Leute tun das wohl“, entgegnete Ryan simpel und wahrheitsgemäß. Insgeheim bejahte er die Frage einfach. Aus dem simplen Grund, dass es der Wahrheit entsprach. Es auszusprechen, fühlte sich allerdings immer wieder falsch und arrogant an. Er vermied es bevorzugter Weise. Ein anerkennendes Nicken des Professors folgte, bevor gleich wieder zu Andrew zurückschwenkte und sich nachdenklich das Kinn hielt..

    „Du kommst mir aber auch ziemlich bekannt vor, mein Junge. Irre ich mich oder hast du nicht auch schon mal an der Johto-Liga teilgenommen?“

    „Vor einem Jahr. Und danach noch an der Kanto-Liga. Aber ich hab´s nur bis ins Halbfinale geschafft“, war die Antwort, wobei ein leicht gekränkter Unterton zu vernehmen war, den er mit einem beiläufigen Lächeln zu überdecken versuchte. Ryan wunderte das nicht, denn er rätselte schon eine ganze Weile, wie sehr es Andrew wirklich wurmen musste, dass sein jüngerer Kindheitsfreund in beiden Turnieren besser abgeschnitten hatte als er selbst. Natürlich freute es ihn irgendwo auch, doch sein Stolz, der so hoch wie der Silberberg war, sagte ihm wohl immer wieder, er müsse so langsam mal an ihm vorbeiziehen. Sie waren zwar in erster Linie Freunde, aber direkt danach auch Rivalen. Professor Birk schien dies allerdings zu überhören und hatte für diese Leistung nicht Anderes als Lob übrig.

    „Darauf kannst du sehr stolz sein. Dass du es unter die besten Vier geschafft hast, zeigt eindeutig, dass du zur Elite von Johto und Kanto gehörst.“

    Das stimmte wohl und Andrew hörte vergleichbare Worte auch nicht zum ersten Mal. Sie machten ihn auch durchaus stolz, aber es war ihm leider noch nicht genug.

    „Danke, aber ich werd mich nicht damit zufriedengeben, für den da den Sidekick zu spielen“, gab dieser mit einem Kopfnicken in Ryans Richtung zurück.

    „Jedem das, was er verdient, Andrew.“


    Professor Birk ließ nicht bloß aus Höflichkeit auf sich einreden. Er zeigte durchaus Interesse am bisherigen Werdegang der beiden Trainer und frage wissbegierig nach ihren Plänen für die Zukunft. Über ihr Vorhaben, an der Hoenn-Liga teilzunehmen und auch Rayns Plan, bei der nächsten Silberkonferenz erneut anzutreten, was – wie er selbst sagte – mit einem gewissen Fanatismus verbunden war, den er seiner Heimatstadt gegenüber empfand. Dabei schien Birk sehr überrascht, als Ryan erwähnte, dass er abgesehen von Panzaeron all seine Pokémon zu Hause gelassen hatte.

    „Ein interessanter Ansatz“, kommentierte er nachdenklich. Sein Lächeln behielt er stets bei, doch seine Augen wurden bei diesem Thema etwas schärfer.

    „Darf ich fragen, was du damit bezweckst?“

    Ryan hätte sein Vorhaben auch ohne ein Nachfragen des Professors erklärt. Sonst entstand noch ein falscher Eindruck von ihm. Am besten so schnell wie möglich daran gewöhnen, denn er glaubte, von den folgenden Worte noch mehrmals Gebrauch machen zu müssen.

    „Die Silberkonferenz hat mir gezeigt, dass ich noch nicht genug gelernt habe. Und am meisten lernt man über fremde Pokémon, indem man mit ihnen arbeitet. Deswegen will ich mich weniger auf meine Pokémon daheim verlassen und nochmal bei Null anfangen, um noch besser zu werden. Außerdem glaub' ich, dass es Zeit für einen Neuanfang ist.“

    Die ganze Zeit saß Birk neugierig nach vorne gelehnt, ging aber nun in eine Aufrechte Haltung über und sah Ryan einnehmend an. Währenddessen lächelte er jedoch unentwegt weiter.

    „Eine logische Schlussfolgerung, aber du solltest deine alten Freunde nicht gänzlich vergessen. Sicher hast du viel mit ihnen erlebt und...“

    „Verstehen Sie mich nicht falsch“, würgte Ryan dem Professor ab. Er konnte gleich sehen in welche Richtung sich seine Worte bewegten und er wollte die verflucht nochmal nicht hören.

    „So ist das sicher nicht. Ich liebe jedes einzelne meiner Pokémon und würde sie nicht zurücklassen, wenn ich nicht absolut sicher wäre, dass sie in meiner Abwesenheit bestens versorgt werden. Ich muss einfach diesen Neuanfang konsequent durchziehen. Außerdem glaube ich, dass einige von ihnen eine kleine Auszeit gut gebrauchen können.“

    Ryan hatte damit aus dem Tiefen seines Herzens gesprochen und war sich absolut sicher, dass er sich selbst damit nicht belog. Aber irgendwie war ihm, als gäbe es da noch einen weiteren Grund. Könnten es vielleicht die Wunden sein, die sich beim Anblick seiner Freunde, mit denen er gemeinsam gescheitert war, auftaten? Schnell wollte er das Thema wechseln. Über den Scheiß wollte er sich nicht schon wieder den Kopf zerbrechen.

    Seinen gegenüber schien er damit wenigstens überzeugt, ja regelrecht zufriedengestellt zu haben. Sein Lächeln war auf einmal von stolzer Natur. Wie ein glücklicher Lehrer, dessen Schüler endlich den Stoff kapierte. Komisch, so ein Gefühl von jemandem zu erhalten, den man erst ein paar Minuten kannte. Andrew beobachtete seinen Gefährten ebenfalls sehr fest, wurde aber nicht bemerkt. So offen und direkt hatte Ryan selbst ihm gegenüber nicht darüber gesprochen. Fairerweise musste man aber festhalten, dass er auch nie beharrlich nachgefragt hatte.

    Ehe das Thema noch weiter vertieft werden konnte, klingelte es an der Tür. Birk entschuldigte sich für einen Moment, eilte die wenigen Schritte zum Eingang, kümmerte sich dabei nicht um seinen Kittel, der eigentlich mal zurechtgerückt werden müsste und öffnete die Tür. Vor ihm offenbarte sich ein recht klein gewachsener Junge mit lockigen, schwarzen Haaren und einem im euphorischen Gesichtsausdruck. Er trug eine blauviolette Weste über einem weißen T-Shirt und graue Dreiviertelhosen. Vom Körperbau her war er recht zierlich, weshalb der vollgepackte Rucksack auf seinem Rücken ihm leichte Schwierigkeiten zu bereiten schien, das Gleichgewicht zu halten. Das musste der neue Trainer sein, den Professor Birk erwartete.

    „Ah Cody. Schön, dass du da bist“, begrüßte dieser den Ankömmling freundlich.

    „Hallo, Professor. Tut mir leid, ich weiß ich bin etwas spät dran.“

    Die Stimme des Jungen war nicht ganz so hell und kindlich, wie man es von jemandem seines Alters erwartete, sondern klang ein wenig dunkler. Dabei hatte er den Stimmbruch sicher noch vor sich. Jedenfalls war er ein paar Jährchen jünger als Ryan und Andew.

    „Macht überhaupt nichts. Bitte, komm rein“, antwortete der Hausherr, wobei er zur Seite trat und Cody mit einer einladenden Geste hineinbat.

    „Allem Anschein nach erwartet dich sogar eine kleine Überraschung, mein junger Freund. Gerade vor ein paar Minuten habe ich nämlich Besuch von zwei...“

    Weiter kam Birk mit seiner Ankündigung nicht, denn schon hatte der neu angehende Trainer Ryan und Andrew erblickt und schien aus beiden Augen hell wie ein Scheinwerfer zu strahlen.

    „Hey, euch kenne ich!“, rief Cody völlig aus dem Häuschen. Augenblicklich stürmte dieser am Professor vorbei und eilte hinüber zu den beiden Trainern aus Silber City, die vorerst ziemlich überrumpelt wirkten.

    „Du bist Andrew Warrener, der Rastlose!“

    Der Neuankömmling rückte ihm so dicht auf die Pelle, dass ihm kaum Luft zum Atmen blieb, was ihn dazu veranlasste, einen überraschten Schritt nach hinten zu machen. Und es gehörte schon einige s dazu, um jemandem wie Andrew so eine defensive Geste zu entlocken.

    „Ich hab dich ein paar Mal in Johto kämpfen sehen. Dein Kampfstil und deine Show sind einfach unglaublich. Wie kommst du nur immer auf diese Kombos?“

    Noch bevor Andrew überhaupt antworten konnte, hatte sich Cody bereits Ryan zugewandt, als sei seine Frage rhetorisch gewesen. Der Blonde war nicht weniger überrumpelt von dem Jungen.

    „Und du bist Ryan Carparso! Du hast erst vor ein paar Tagen im Finale der Silberkonferenz gestanden. Seitdem du in Kanto triumphiert hast, bist du mein großes Vorbild!“

    „Ach was?“, stammelte das offensichtliche Idol noch immer ziemlich perplex. Er hatte ja schon ein paar Mal mit aufdringlichen Fans zu tun gehabt, aber dieser hier stellte alle Vorgänger locker in den Schatten. Litt der an einer Überdosis Koffein?

    „Ja, ich war sogar im Stadion und hab dich angefeuert. Zu schade, dass du nicht gewonnen hast“, fuhr Cody fort als hätte er Ryan als offenes Interesse interpretiert. Insgeheim hoffte dieser, dass er die Anwesenheit des neu angehenden Trainers nicht mehr allzu lange ertragen musste, woran seine letzten Worte besonders großen Anteil hatten. Mochte man es nun fehlende Sensibilität oder einfach nur Auslassen sämtlichen Nachdenkens nennen – diese Bemerkung war schlicht unangebracht gewesen. In einigen stillen Momenten quälte sich Ryan noch immer fast täglich mit seiner Niederlage bei diesem Turnier und hatte diese Reise angetreten, um sie zu vergessen. Dass er auf eben dieser Reise jemanden begegnete, der die Erinnerungen an diesen Kampf derart auffrischte und das auch noch so früh, kam ihm wie ein schlechter Witz vor.

    Zu seinem Glück mischte sich nun Professor Birk ein, um den Burschen daran zu erinnern, aus welchem Grund er ursprünglich hier war. Vielleicht erkannte er ja sogar das Unbehagen und versuchte Codys Aufmerksamkeit von den beiden abzulenken.

    „Cody, möchtest du dir nun vielleicht dein erstes Pokémon aussuchen?“

    Die Frage hatte höflich und kein bisschen genervt oder ungeduldig geklungen. Fast schon bemerkenswert, wie locker der stämmige Mann die Situation handelte. Naja, war bestimmt nicht der erste quirlige Neutrainer, den er bei sich begrüßte.

    Der Plan schien auch aufzugehen. Ein eigenes Pokémon war dann doch von noch höherem Interesse, als die zwei Johtonesen. Die Gruppe steuerte auf Birks Anweisung nun eine der Türen zwischen den Regalen an, die in einen kleinen Nebenraum führte. Genau in diesem Moment ertönte das Klirren und Splittern einer Glasscheibe aus jenem Raum.


    Das verräterische Geräusch aus dem Nebenraum ließ die Vier erschrocken innehalten. Ryan und Andrew tauschten einen vielsagenden Blick aus. Jürgen war im Obergeschoss und weitere Assistenten hatte Professor Birk wohl kaum. Das stank ja geradezu nach Ärger. Die Mienen der beiden Trainer wurden ernst und so vergeudeten sie keine weitere Sekunde, die Tür aufzureißen und in den Raum zu stürmen. Er war nicht besonders groß, beherbergte lediglich einen Schreibtisch, der genau an der gegenüberliegenden Fensterwand stand, ein Bücherregal zur Linken und einige Aktenschränke zur Rechten. Hinter dem Schreibtisch stand eine schwarz gekleidete, zwielichtige Gestalt in schwarzer Kleidung, deren Körperhaltung sehr gespannt und hektisch wirkte. Sehr verwunderlich war dies nicht, denn die Person hatte sich immerhin recht spektakulär und geräuschvoll angekündigt. Sofort drehte sich der Einbrecher zur Tür um, wobei zu erkennen war, dass sein Gesicht von einer Atemschutzmaske verdeckt wurde. Des Weiteren trug er eine schwarze Baskenmütze sowie weiße Handschuhe und Stiefel. Geistesgegenwärtig schaltete er auf Flucht, sprang schließlich auf den Schreibtisch und anschließend durch das eingeschlagene Fenster ins Freie.

    „Hierbleiben, Freundchen“, brüllte Ryan hinterher und hechtete ebenfalls aus dem Fenster, wobei er aufpassen musste, sich nicht an den scharfen Kanten des Glases zu schneiden. Andrew drehte sich noch einmal kurz zu Birk und dem leicht verängstigt wirkenden Cody um.

    „Professor, die Polizei! Den holen wir uns“, wies er rasch an. Ohne eine Reaktion abzuwarten, folgte Andrew dem seinem Kumpel und nahm war binnen von Sekunden außer Sicht gesprintet. Recht sprachlos und verdutzt über die so plötzlichen Ereignisse starrten die beiden Zurückgelassenen noch einige Sekunden hinaus in die grüne Wildnis, bis schließlich Jürgen in das Zimmer gestürzt kam.

    „Professor, ich habe von oben Lärm gehört. Ist etwas passiert?“

    Der biss sich auf die Unterlippe. Seine Miene wurde ernst.

    „Das kann man wohl sagen. Hol mir sofort Officer Rocky ans Telefon“, forderte der Bärtige seinen Assistenten auf. Dieser eilte augenblicklich wieder aus dem Zimmer und Birk sah sich sporadisch in selbigem um. Wirklich viel Chaos hatte der Einbrecher nicht hinterlassen, was wohl daran lag, dass er nicht einmal dreißig Sekunden hier zugebracht hatte. Die Frage war nun, ob er in dieser kurzen Zeit gefunden hatte, wonach er gesucht hatte.


    Ryan verfluchte schon nach wenigen Metern das dichte Unterholz des Waldes. Der Dieb hatte sich ins Grüne verflüchtigt und versuchte seinen Verfolger darin abzuhängen. Das Schlimme daran war, dass er drauf und dran war, dieses Vorhaben Realität werden zu lassen. Der Schwarzgekleidete war unerwartet flink unterwegs. Nur mit größter Mühe konnte der junge Trainer mithalten. Fast ununterbrochen schlugen ihm Äste und Farne ins Gesicht, behinderten sein Vorankommen und raubten ihm den Sichtkontakt zum Einbrecher. Alle paar Sekunden konnte er einen kurzen Blick auf die schwarze Kleidung erhaschen, bevor sie gleich darauf wieder in der dichtbewachsenen Flora des Waldes verschwand. Nach einer Weile erreichte er auch einen kleinen Bach, dessen Breite es nicht ganz zuließ, ihn mit einem Satz zu überspringen. Doch das Wasser ging kaum weiter als zum Knöchel, sodass man ihn mühelos passieren konnte. Ryan trat ohne viel Federlesen einmal in das kühle Nass, welches unter seinem Fuß aufspritzte und schlug sich gleich danach wieder in das Gehölz. Ächzend spurtete Ryan der Spur aus wild wedelnden Pflanzen hinterher, folgte den Klängen brechender Zweige, ignorierte seine brennenden Lungen. Wann war er das letzte Mal so gerannt? Wenn dieser Kerl etwas in seine dreckigen Finger bekommen hatte, war es völlig belanglos, um was genau es sich handelte. Er sollte es nicht behalten dürfen.

    In seinem unglaublichen Tempo und dem immer stärker spürbar werdenden Zustand der Ermüdung passierte genau das, was in solch einer Situation nie passieren sollte. Ryan blieb mit dem rechten Fuß an einer hervorstehenden Wurzel hängen, die er zu spät realisiert hatte und geriet ins Straucheln. Mit dem linken Bein konnte er noch einmal aufsetzen, doch dann verlor er das Gleichgewicht und ging zu Boden. Der Aufprall auf dem trockenen Erdreich war schmerzhaft und frustrierend, da er Ryans Chancen, den Dieb einzuholen unscheinbar gering werden ließ. Noch bevor er zum stillen Erliegen kam, rappelte sich der energische Verfolger jedoch wieder auf die Beine und sprintete weiter. Durch den Wald echote sein wütender Schrei – das Ergebnis seines Sturzes und des damit verbundenen Frusts. Er war jedoch nicht sicher, ob er den Anschluss noch wahren konnte. Es war kaum noch eine Spur durch die Flora auszumachen.

    Egal! Von so einem Rückschlag durfte er sich nicht zur Aufgabe zwingen lassen. So etwas hatte er noch nie getan. So etwas wollte er nie tun.

    Ryan erreichte nach einigen weiteren Minuten eine kleine Lichtung, die eigentlich so gar nicht hier hineinpassen wollte. Der Wald war nach wie vor dicht und absolut undurchsichtig, doch aus irgendeinem Grund schienen die Bäume es auf dieser Fläche von etwa zehn Quadratmetern zu meiden. Hektisch sah er sich um, drehte sich mehrmals um die eigene Achse, suchte nach einem Anhaltspunkt, welche Richtung der Flüchtige eingeschlagen haben mochte. Keine Spur links, keine Spur rechts, keine Spur geradeaus. Es war nichts zu sehen oder zu hören, bis auf den sanften Wind, der das friedvolle Rascheln der Blätter an sein Ohr trug.

    „Verdammt“, brüllte Ryan wütend. Sein Echo verlor sich in den scheinbar endlosen Weiten des Waldes.

    Sekunden später ertönte dann doch hektisches Getrampel, und die Laute von brechenden oder beiseite geschlagenen Ästen. Doch der Richtung, aus der diese zu kommen schienen, sowie den gereizten Flüchen, die zwischen wütend zusammengepressten Zähnen hervorgestoßen wurden nach zufolge, handelte es sich bei der betreffenden Person ganz offensichtlich um Andrew. So wunderte es Ryan nicht im Geringsten, dass jener nur Augenblicke später auf die Lichtung gestolpert kam, sich dabei ebenfalls einmal um die eigene Achse drehte und nach Luft schnappend auf die Lichtung stolperte. Ryan kam ihm bereits mit einer bitteren Spur von Ernüchterung entgegen.

    „Ich hab ihn verloren“, tat er sogleich kund und wollte dabei auf etwas einschlagen.

    „Das is' jetzt scheiße.“


    Der Rückweg zum Labor gestaltete sich insgesamt ziemlich wortkarg. Keinem der beiden Trainer war wirklich nach einem Gespräch zumute, doch nach einer gewissen Zeit wurde das Schweigen ein wenig unangenehm, was Andrew schließlich dazu veranlasste, eine Unterhaltung zu starten. Oder es zumindest zu versuchen.

    „Glaubst du, der Dieb hat gefunden, wonach er gesucht hat?“

    Was eine bescheuerte Frage. Woher sollte Ryan das denn wissen? Wenn Andrew nichts Besseres einfiel, um die Stille zu brechen, ließ er es besser bleiben. Mit eiskalter Stimme und stur geradeaus gerichtetem Blick gab Ryan seine frustrierte Antwort.

    „Keine Ahnung, aber falls ja, werd ich dafür sorgen, dass Panzaeron ihm die Hand abhackt.“

    Das war nicht die Art von Gespräch, die sich der ältere Trainer erhofft hatte, doch bei Ryan durftet man nun mal nicht wählerisch sein.

    „Erst mal abwarten und Tee trinken. Der Kerl hatte nur wenige Sekunden, bevor wir ihn erwischt haben. Gut möglich, dass er sich mit leeren Händen verkrümelt hat.“

    Wirklich aufzumuntern schienen diese Worte ihn nicht so richtig, doch für den Moment konnte Andrew immerhin sein eigenes Gewissen durch diesen Gedanken wenigstens ein bisschen erleichtern. Mehr als ein Murren erhielt er darauf allerdings nicht. Andrew musste was Anderes versuchen.

    „Was hältst du eigentlich von Professor Birk?“, fragte er anschließend an eine kurze Pause.

    „Was soll ich schon von ihm halten? Ich kenn' ihn noch kaum.“

    „Schon, aber einen ersten Eindruck wirst du wohl von ihm haben, oder nicht?“

    Es war wirklich schwer, Konversation mit jemandem zu führen, der Gedanklich so weit weg war. Ryan schien völlig mit eigenen Gedanken oder Spekulationen beschäftigt. Vielleicht überlegte auch nur einige Methoden, wie er den Dieb gerade am liebsten bestrafen würde. Mehrere Sekunden, in denen Ryans nicht wirklich den Eindruck erweckte, eine Antwort zu liefern, verstrichen, bevor er es schließlich doch tat..

    „Er ist ein erwachsenes Kind, würd ich sagen.“

    Andrew schüttelte lächelnd den Kopf. Ja, das traf es ganz gut. Die Offenheit, die Unordnung, das Dauergrinsen – passte alles in diese Beschreibung rein. Aber unsympathisch machte ihn das aus seiner Sicht keineswegs und im Kopf hatte er sicher auch was. Sonst hätte er niemals seinen Titel als Professor erhalten und wäre schon gar nicht als der führende von Hoenn bekannt geworden.

    „Und was denkst du über Cody?“

    Dieses Thema schien Ryan deutlich weniger zu behagen. Die Falten auf seiner Stirn und der leicht abwertende Blick waren unübersehbar und sprachen wahrlich Bände.

    „Mag den Jungen ehrlich gesagt nicht besonders. Ist nichts gegen ihn persönlich, aber ich kann es einfach nicht ausstehen, wenn man mir so dicht auf die Pelle rückt. Und sein Kommentar von wegen zu schade, dass du nicht gewonnen hast – zum Kotzen.“

    Andrew musste augenblicklich gehässig lächeln. Das brachte auch nur Ryan fertig, die Menschen zu verurteilen, weil sie zu ihm aufschauten.

    „Ach komm schon, der Kleine ist noch ganz neu in der Branche. Genau genommen ist er noch nicht mal richtig drin. Da ist´s doch völlig normal, dass er beim Anblick seines Idols aufdreht.“

    Ein desinteressiertes Grunzen war alles, was Ryan darauf entgegnete. Dem sah er sich gezwungen, zuzustimmen, aber besser machte das die Situation für ihn nicht. Und dass Andrew so zwanghaft versuchte, ein Gespräch mit einem angefressenen Ryan aufrecht zu erhalten, trug auch nicht gerade zu seiner Laune bei. Hoffentlich würde der Professor gleich wenigstens mitteilen, dass ihm nichts fehlte, sonst drehte er noch richtig am Rad.


    Als die beiden Trainer wieder bei Birks Labor ankamen, erblickten sie genau diesen gerade zusammen mit der örtlichen Officer Rocky. Das Motorrad der Polizistin stand unmittelbar vor der Eingangstür und die tiefen Reifenspuren, die es in den staubigen Boden gefahren hatte, zeugten - ebenso wie die leicht zerzausten, hellblauen Haare und die zerknitterte, blaue Uniform - von der Eile und dem Stress der Frau. Anscheinend hatte sie heute einen harten Tag.

    „Und ihr Assistent war zu diesem Zeitpunkt im Obergeschoss?“, fragte die blauhaarige Frau gerade, was ihr der Kittelträger sofort bestätigte. Ryan sah sich augenblicklich nach Jürgen um und erspähte ihn an der Hauswand hockend, als er mit Cody sprach. Der Junge wirkte ein wenig verängstigt, was angesichts des Einbruchs nicht wunderlich war. Jedoch wurde das Gefühl der Angst wahrscheinlich noch von der Trauer überschattet. Eigentlich sollte er in diesem Moment mit seinem allerersten Pokémon seine Reise beginnen und nun musste er Aussagen bei der Polizei machen. Nicht gerade ein erster Tag, der nach Plan verlief.

    Gerade bemerkte Birk die Rückkehr der zwei Jungen aus Silber City, was auch Officer Rocky dazu veranlasste, sich zu den Beiden umzudrehen.

    „Tut mir leid Professor, aber er ist weg“, offenbarte Ryan sogleich die schlechte Nachricht, worauf er sich niedergeschlagen durch das braune Haar fuhr.

    „Sind das die zwei Trainer, die den Dieb verfolgt haben?“, fragte die Uniformierte an den bärtigen Mann gewandt.

    „Ja, das sind Ryan und Andrew aus Johto.“

    Daraufhin wandte sich Officer Rocky ganz an die beiden Neuankömmlinge.

    „Dürfte ich euch ein paar Fragen stellen?“

    Ihr Tonfall war sehr autoritär, aber dennoch besaß er ein gewisses Maß an Höflichkeit. Es gab schließlich keinen Grund, einen der Beiden zu verdächtigen, da sie – so hatte Professor Birk berichtet - zur Tatzeit mit ihm in einem Raum gewesen waren.

    Die Unterhaltung gestaltete sich schließlich größtenteils daraus, dass Ryan und Andrew ihre Version des Tathergangs ausführlich schilderten, wobei hin und wieder einige Zwischenfragen gestellt wurden. Diese richteten sich an die Erscheinung des Einbrechers sowie die ungefähre Route und Dauer der Verfolgung. Alles in Allem unterschied sich ihre Erzählung nicht von der des Professors. Natürlich tat sie das nicht! Sie waren schließlich alle drei beisammen gewesen. Warum verschwendete sie ihre Zeit mit so etwas, anstatt den Dieb verfolgen konnte?

    „Eine letzte Frage noch“, begann die Polizistin dann.

    „Konntet ihr eventuell ein rotes R auf der Kleidung des Verdächtigen erkennen?“

    Trotz ihrer Verwunderung über die Frage antworteten die beiden Trainer – eigentlich antwortete nur Andrew –, ohne ein Anzeichen von Skepsis zu hinterlassen.

    „Nein, aber wir haben ihn auch nur von hinten gesehen. Wär schon möglich, dass er auf der Vorderseite ein rotes R gehabt hat, aber versichern können wir´s Ihnen nicht.“

    Ein tiefes Seufzen folgte, worauf sich Rocky anschließend zu einer frustrierenden Erklärung durchrang.

    „Dennoch vermute ich, dass es sich bei dem Dieb um ein Mitglied der Verbrecherorganisation Team Rocket handelt.“

    „Team Rocket? Wie kommen Sie denn auf den Trichter?“, fragte Andrew sofort ungläubig. Es stellte sich heraus, dass es unten in der Stadt zu einer ganzen Reihe von Einbrüchen gekommen war und mehrere Zeugen die Diebe mit solch einem Zeichen auf der Brust erkannt haben wollten. Wenn man den Behörden Glauben schenken konnte, arbeitete Team Rocket angeblich wenig bis gar nicht in der Hoenn-Region, was nicht hieß, dass sie hier zulande gänzlich unbekannt waren. Was aber ihre Aktivitäten in Hoenn anging, schienen sie wohl einiges ändern zu wollen.

    „Wir vermuten, dass diese Bande von Gesetzlosen sich nun in der gesamten Region breit machen will, da Team Aqua und Team Magma vor geraumer Zeit zerschlagen wurden. Und für den Anfang wollten sie sich gleich eine stolze Zahl an Pokémon unter den Nagel reißen, um dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen. Sie haben aus dem Pokémoncenter und einigen Privatwohnungen diverse Pokémon aber auch Gegenstände und Gerätschaften entwendet. Außerdem sind sie die Antiquitätenausstellung im Gemeindehaus eingebrochen und haben eine Mehrzahl antiker Artefakte gestohlen.“

    Für eine knappe Erklärung diesbezüglich schaltete sich soeben Professor Birk ein.

    „Ihr müsst wissen, dort werden einige der interessantesten Funde zur Geschichte und Evolution der ältesten Pokémon des Planeten ausgestellt. Es handelt sich also um unbezahlbare Stücke.“

    „Was sie damit vorhaben, können wir nur mutmaßen“, ergänzte die Uniformierte. Ryan gefielen diese Worte absolut nicht.

    „Was denkst du, Andrew? Ihr Plan B, weil wir ihnen die Tour auf der Fähre vermasselt haben?“

    „Gut möglich, dass sie von Anfang an vorhatten, beide Dinger zu drehen.“

    Das Trainerduo hatte sich schon in Johto für ihren Geschmack zu oft mit diesen schwarz gekleideten Langfingern herumschlagen müssen. Daher gab es nur wenige Dinge vorstellen, die, als eine Team Rocket-Basis in Hoenn. Zu ihrem Leidwesen ließ die schwarze Kleidung im Zusammenspiel mit Maske und Baskenmütze kaum eine andere Möglichkeit zu, denn genau dies war die übliche Uniform von Team Rocket. Wenn man das große Vorhaben der Verbrecherbande berücksichtigte, war der Diebstahl hier im Labor vergleichsweise nur ein eher kleiner gewesen.

    Hatte hier denn überhaupt ein richtiger Diebstahl stattgefunden? Diese Frage stellten sich Ryan und Andrew gerade und schließlich war es der jüngere unter ihnen, der sie aussprach.

    „Ist denn irgendetwas bei Ihnen gestohlen worden, Professor?“

    „Ich fürchte ja. Die drei Pokébälle, die ich für Cody vorbereitet hatte, sind verschwunden.“

    Autsch, das war bitter. Vermutlich hätte Birk es verkraften können, hätte der Dieb nur einige Bücher oder Aufzeichnungen mitgehen lassen, aber die Pokémon zu stehlen, von denen sich Cody eines hätte aussuchen sollen...

    „Na toll“, seufzte Andrew schließlich.

    „Wenn wir ihn finden wollen, sollten wir uns beeilen, Officer“, warf Ryan zur Eile drängend ein. Jetzt darüer zu lamentieren, half niemandem. Höchstens dem Dieb, da sie hier weiter Zeit vertrödelten.

    „Der Kerl ist schnell unterwegs. Nicht mehr lange und er wird in diesem Wald unauffindbar sein.“

    Einfach so losziehen und die Suche von neu beginnen konnte Rocky natürlich nicht. Allerdings musste der Wald ja irgendwo enden und sie kannten grob die Richtung, in die er geflohen war. Man könnte Patrouillen an irgendwelche Knotenpunkte entsenden, um ihm den Weg abzuschneiden oder einzukesseln. Eventuell gab es in der Umgebung auch bekannte Höhlen, Bergbauminen Jagdhütten oder Ähnliches, die als Unterschlupf dienen konnten. Solche müssten unbedingt durchsucht werden.

    Die Polizistin schlug jedoch augenblicklich frustriert die Augen nieder.

    „Tut mir sehr leid, aber das kann ich nicht.“

    Ryan wollte etwas erwidern, jedoch verschlug es ihm für einen Moment die Sprache. Hatte sie das gerade ernst gemeint? Was zum Teufel war los, dass nicht unternehmen konnte? Sie eilte sich mit der Erklärung, noch bevor Ryan die Frage ausgesprochen hatte.

    „Wie gesagt, es hat in der gesamten Stadt Diebstähle und Einbrüche gegeben. Dutzende Pokémon sind dabei ihren Trainern entrissen worden. Meine Leute sind mit der Verfolgung der Verbrecher und der Aufnahme der Zeugenaussagen überfordert. Da es sich hier lediglich um drei Pokémon handelt, kann ich dem Fall keine Priorität einräumen.“

    „Das ist nicht ihr Ernst?“, stöhnte Andrew niedergeschlagen. Ihr bitteres Nicken bekräftigte es jedoch. Ryan blieb dennoch beharrlich. Das konnte doch jetzt nicht sein, dass sie hier standen und rein gar nichts zu tun vermochten!

    „Was ist mit Hilfe von Außerhalb? Es muss doch machbar sein, in den umliegenden Städten Verstärkung her zu schaffen!“

    Der Blonde war völlig aufgebracht. Es war nicht so, dass er kein Verständnis für Officer Rockys Lage hatte, doch bekam Cody davon kein Pokémon. Und seinem persönlichen Wunsch, den Dieb mit einem tollwütigen Rattikarl in einen Käfig zu sperren, kam er so auch nicht voran.

    „Ist schon geschehen, aber so eine große Suchmannschaft zu mobilisieren, ist nicht innerhalb von ein paar Minuten erledigt. Wurzelheim ist zudem umringt von dichter Wildnis, daher wird es einige Zeit dauern, bis sie eintreffen wird.“

    „Und von wie viel Zeit reden wir hier?“, fragte er ungeduldig weiter. Ihm gefiel gar nicht, worauf das hier hinauslief. Es folgte eine nachdenkliche, abschätzende Miene von Officer Rocky, wobei sie den Blick durch das Unterholz des Waldes streifen ließ.

    „Etwa zwei bis drei Stunden.“

    Ryan seufzte frustriert. In dieser Zeitspanne war der Dieb garantiert über alle Berge und wenn alle örtlichen Polizisten mit ihrer Arbeit überfordert waren, war es auch nicht sehr wahrscheinlich, dass ihre Verfolgung von besonders viel Erfolg gekrönt sein würde. Resignierend ließ er die Schultern hängen und ging langsam auf Rocky zu. Sprach erst, als er sehr nahe bei ihr stand und auch nur mit einer leicht unterdrückten Stimme.

    „Sehen sie den Jungen da hinten?“, fragte er mit einem Kopfnicken in Codys Richtung. Er bemühte sich, selbigem nicht zu arg aufzufallen, damit der angehende Pokémontrainer die Diskussion nicht mitbekam.

    „Er sollte sich unter den drei Pokémon eines für den Beginn seiner Reise aussuchen. Gehen sie rüber zu ihm und sagen sie ihm das ins Gesicht!“

    Rocky sah zu Cody, wie ihr geheißen war. Jürgen war nach wie vor bei ihm und versuchte, ihn zu trösten. Es war jedoch sehr offensichtlich, dass der Bursche geweint hatte. Vielleicht tat er es noch immer. Schwer zu sagen, da er seinen Kopf arg gesenkt hielt und mit einer Hand an der Stirn stützte. Das wahre Opfer des Diebstahls zu sehen machte eine solche Situation immer kompliziert und brachte Die Polizistin in Konflikt mit ihrem Gewissen. Jenes Opfer nun auch noch weinend anzutreffen, wurde nicht zuletzt dadurch sehr emotional, da es sich um ein Kind handelte. Nun haderte sie mit ihrer Entscheidung, sich erst später um den Fall zu kümmern, doch besaß sie schlicht und einfach nicht den Luxus einer Wahl. In ihrem Beruf war es nicht immer einfach zu entscheiden, was nun richtig war. Von Emotionen durfte sie jene Entscheidungen allerdings nicht beeinflussen lassen. Sie hatte ihre Befehle und es half nur in den seltensten Fällen wirklich weiter, wenn man sich ihnen widersetzte. Ihr waren die Hände gebunden. Sie hatte nun mal ihre Pflichten. An besonders schlechten Tagen waren solche Erfahrungen trauriger Alltag.

    Ryan sah der Polizistin ihren innerlichen Konflikt an. Er versuchte sie eindringlich anzublicken, um sie vielleicht noch ein wenig beeinflussen zu können, doch alle Mühen blieben zwecklos.

    „Es tut mir aufrichtig leid. Ich verspreche, dass ich wiederkommen werde, sobald es geht. Bis dahin bitte ich darum, dass alle hierbleiben und warten.“

    Mit diesen Worten drehte sich die Uniformierte um, den Kopf leicht gesenkt und ganz und gar nicht mehr so Autorität wirkend, wie gerade eben noch. Es war ihr anzusehen, dass sie gerne helfen würde, es aber nicht in ihrer Macht lag. Jedenfalls nicht sofort. Das Problem war nur, dass jede Hilfe zu spät kommen würde, wenn sie nicht sofort erfolgte.

    Ryan konnte Officer Rocky keinen Vorwurf machen. Es würde sicherlich schon gute Gründe geben, wenn die Polizei einem Diebstahl von drei Pokémon keine Priorität gewähren konnte, schließlich war sie kein Unmensch. Doch all dies änderte nichts an der bescheidenen Lage, in der sie sich nun befanden.

    So kam es, dass Officer Rocky wenige Sekunden später auf ihr Motorrad stieg und in einer Geschwindigkeit, die auf Waldwegen wie diesen hier fast als wahnsinnig einzustufen war, davonbrauste. Sie hinterließ die enttäuschten Gesichter zweier Trainer, einem Professor samt Assistent und nicht zuletzt den bestürzten Cody.


    „Und was machen wir jetzt? Karten spielen oder weitspucken?“, fragte Andrew deutlich entmutigt in die Runde.

    „Du hast doch gehört, was sie gesagt hat. Wir müssen wohl in den sauren Apfel beißen und abwarten“, antwortete der herangetretene Jürgen und kratzte sich planlos am Hinterkopf. Ein bisschen unterwürfig war er schon, oder? Seiner gesenkten Stimme war aber ebenfalls deutlich zu entnehmen, dass ihm der Vorfall vor allem für Cody sehr leid tat. Ryan jedoch hielt von dem Vorschlag nicht besonders viel. Durch Warten bekamen sie die Pokémon garantiert nicht zurück.

    „Ach vergiss es“, sagte er abwertend. Durch diese unerwartete Aussage hatte er nun die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Anwesenden.

    „Wie meinen?“, erkundigte sich Professor Birk. Ryan, der der Gruppe bis eben noch den Rücken gewandt hatte, drehte sich nun um und offenbarte einen entschlossenen Gesichtsausdruck, der von eisernem Tatendrang zeugte.

    „Ich war leider schon immer schlecht darin, auf die Ratschläge anderer zu hören.“

    Wäre die Situation nicht ganz so ernst, würde Andrew das hier und jetzt laut bestätigen. Eben auf diesen zielten nun die marineblauen Augen. Sie fanden einen Trainer, der ebenso wenig den Eindruck erweckte, hier untätig rumsitzen zu wollen.

    „Ich sage, wir kaufen uns den Kollegen und seine ganze Sippe gleich dazu.“

    Sein Gegenüber rückte den Kragen seiner Jeansjacke zurecht und musste augenblicklich lächeln. Kein Zweifel – das war der hundertprozentig echte Ryan. Genau so kannte und mochte er ihn. Voller Tatendrang mit einem Hauch von Rachegelüsten. Die waren manchmal sogar gut. Sie machten ihn beharrlich und verhinderte, dass er die Flinte ins Korn warf. Und er hatte vollkommen recht. Jetzt war es Zeit, auf den Putz zu hauen.

    „Was stehen wir hier dann noch rum?“, entgegnete trocken, stichelnd. Wenn man keinen Rat wusste, brauchte es umso mehr jemanden, der das Gegrüble kollektiv beendete und zu entschlossenen Taten aufrief. Nur dadurch wurden Kämpfe gewonnen und er spürte bereits seinen stärker werdenden Herzschlag sowie die aufreizende Gänsehaut. Anschließend bot er diesem seine Faust dar. Ryan kam der stummen Aufforderung, diese kameradschaftliche Geste zu erwidern, nach und klopfte schließlich mit dem Rücken seiner eigenen Faust gegen die von Andrew.

  • Da schreib ich auch mal endlich einen Kommentar. ^^ Vielleicht gesellt sich dann ja noch jemand dazu? ;)


    Was mir sehr positiv augefallen ist, ist dass du den kleinen Zwerg wirklich altersentsprechend darstellst. Sprich, er heult sich dementsprechend die Augen aus, weil das Pokemon, das er hätte bekommen sollen, gestohlen wurde. Das finde ich sehr angenehm. Hebt sich echt von den Storys ab, in denen Zehnjährige Welten retten *lol*


    Zitat

    Ryan hatte damit aus dem Tiefsten seines Herzens gesprochen und war sich absolut sicher, dass er sich selbst damit nicht belog. Aber irgendwie war ihm, als gäbe es da noch einen weiteren Grund. Könnten es vielleicht die Wunden sein, die sich beim Anblick seiner Freunde, mit denen er gemeinsam gescheitert war, auftaten?

    Danke, danke, dass du das ansprichst!
    Ich finde, das wurde schon Zeit und dass er mehr oder wenig kritisch beäugt wird, von einem Fremden, das hat schon was. Das ist so wunderbar menschlich, genauso dass er Cody iwie nur nicht ausstehen kann - mehr oder weniger -, weil er erwähnt hat, dass er verloren hat.


    Das mit dem Einbruch jedoch ging mir ein wenig zu schnell, muss ich sagen. Er kam und auf einmal war er wieder weg, wurde verfolgt. Die Verfolungsjagd dafür hatte wieder etwas, die fand ich flüssiger zum Lesen. Vor allem finde ich es auch gut, dass er Ryan entwischt, sodass du einen Spannungsbogen und einen Konflikt dadurch aufbauen konntest. ^^
    Nur gegen Ende hätte ich mir irgendwie mehr erwartet. Vielleicht eine Art Cliffhänger oder so, wer weiß. Ich nicht. XD


    Nur, darf ich dir was sagen? Jürgen ist furchtbar, das ist so typisch Deutsch-Deutsch, da stellt es mir die Nackenhaare auf, haha ^^" Keine Kritik an dich, ist nur mein Empfinden und passt meines Erachtens nicht wirklich in eine Pokemonstory. Who cares? Ist nur ein Name von einer Nebenperson ^^

  • Moin, moin und hallo, Bastet
    Zeit für Kommi-Geblubber


    Zitat

    Da schreib ich auch mal endlich einen Kommentar. ^^ Vielleicht gesellt sich dann ja noch jemand dazu?


    Hätte nix dagegen. Da das nächste Kapitel voraussichtlich morgen erscheinen wird, rechne ich aber nicht mehr damit.


    Mir fällt viel positives in deiner Kritik auf. Das freut mich natürlich an sich schon, aber noch erfreulicher sind die genauen Aspekte, die du beleuchtest. War mir nämlich nicht ganz sicher, ob die wirklich gezündet haben. Am Anfang steht der Trainer-Neueinsteiger Cody. Ja, der sollte so rüber kommen, wie ein Zehnjähriger im echten Leben eigentlich ist. Euphorisch bei lang erwarteten Ereignissen (hier das Erwarten des ersten Pokémon) und - wie du noch merken wirst - verletzbar und anfällig bei Gefahr und Verlust. Hm, war das gespoilert? :blush:
    Das Thema mit Ryans zurückgelassenen Pokémon ist ebenfalls noch nicht erledigt. Diese Entscheidung seinerseits ist ja generell en Sinnbild für seine noch immer schmerzende Niederlage und dem Versuch, sie zu vergessen. Primär sollte nicht der Eindruck entstehen, die Pokémon seien austauschbar, denn bedingt durch ihre Fähigkeiten und natürlich der engen Bindung, die Ryan tief in seinem Inneren noch zu ihnen hat, sind sie das nicht. Es ist eher so, dass er unbewusst doch enttäuscht, vielleicht sogar wütend auf sie ist - das bleibt der Interpretation des Lesers überlassen. Doch wie gesagt, die Sache ist eh noch nicht vom Tisch.


    Zu deinem Statement zum Einbruch kann ich nur eine Gegenfrage stellen. Welcher Dieb hätte sich denn ein so einem Moment nicht schnellstmöglich verkrümelt? Es war durchaus beabsichtigt, die Szene nicht in die Länge zu ziehen. Gut, wenn es für dich nicht ganz flüssig zu lesen war, ist das eine andre Sache, aber anscheinend ging´s danach ja wieder besser^^. Auch freut es mich, dass dir der Spannungsaufbau zumutet. Aber diese "Phase" der FF muss einfach ein bisschen ausgereizt werden, da - so viel kann ich verraten - das wirklich entscheidende Ereignis, welches den Hauptkompott ins Rollen bringt, erst in den nächsten beiden Kapiteln geschieht. Im Zusammenhang mit dem Namen der FF und dem Gedicht im Startpost wird sich der ein oder andere evtl. was zusammenreimen können. Jetzt aber genug verraten.


    Zu deinem abschließenden Anliegen kann ich nur sagen, dass du vollkommen recht hast. Allerdings hielt ich es auch für falsch, einfach einen anderen Namen für diese Charakter auszusuchen und bedingt durch die Tatsache, dass er auf der Wichtigkeits-Skala (1 bis 10) dieser FF irgendwo zwischen = und 0,5 Punkte erreicht, hab ich mir auch nicht die Mühe gemacht, mir einen komplett neuen, eigenen Char für diese Rolle auszudenken. Aber keine Sorge. Abgesehen von den Arenaleitern und den obligatorischen Joys und Rockys plane ich keine weiteren Figuren aus dem Anime zu übernehmen. Soll heißen, keine eingedeutschten Namen mehr.


    Vielen Dank für dein Kommentar
    Wiederschauen, reingehauen

  • Kapitel 9: Spiel in den Schatten


    Ryan und Andrew waren fest entschlossen, den Dieb zu verfolgen und wenn möglich auch gleich die komplette Team Rocket Bande zu erledigen. Wahrlich keine leichte Aufgabe, wenn man nur zu zweit war und einer nur ein einziges Pokémon bei sich führte, selbst wenn sie die Banda ausfindig machen sollten. Doch die beiden Trainer wollten es wenigstens versuchen. Für die Pokémon und für Cody. Eben dieser schaute mit einem nicht zu deutenden Blick auf, als Ryan auf ihn zu ging und sich vor ihn kniete, um auf Augenhöhe mit ihm zu sprechen. Er trauerte selbstverständlich um den Verlust seines zukünftigen Partners, woran Ryans Worte wahrscheinlich auch nichts zu ändern vermochten. Jedoch hoffte er, dem Jungen wenigstens etwas Mut machen zu können.

    „Alles klar bei dir, Cody?“

    Der junge Anfänger gab zunächst keine Antwort. Er blickte Ryan nur einige Sekunden lang an und ließ die Augen schließlich schüchtern zum Boden sinken.

    „Tut mir leid, blöde Frage“, gestand er sogleich. Die Gefühlslage des Neueinsteigers war nur nachvollziehbar. Eigentliche sollte er jetzt mit seinem allerersten Pokémon an seiner Seite durch die Wälder streifen, in die sich der Dieb verflüchtigt hatte und nun saß er hier rum und hatte nichts.

    „Weißt du“, begann er dann plötzlich kleinlaut zu erzählen. Er bemühte sich um eine einigermaßen feste Stimme.

    „Ich habe mich schon vor Monaten für Geckarbor als erstes Pokémon entschieden. Meine Eltern haben mir alles über das Leben als Trainer beigebracht und mich mit unserem Pokémon daheim vorbereitet. Ich habe jede freie Minute mit Lernen verbracht, damit ich mal ein guter Trainer werde.“

    Ein schwaches Lächeln stahl sich auf Ryans Gesicht. So viel an freiwilligem Aufwand betrieben die wenigsten Trainer. Viele erledigten bloß das Mindestmaß an Pflicht, unterschätzten die Anforderungen und einhergehende Verantwortung. Jugendliche Faulheit eben. Jemand, der sich so akribisch vorbereitete, Freizeit opferte und Freunde vernachlässigte, hatte definitiv eine Chance auf seiner Trainerkarriere verdient. Aufmunternd klopfte er Cody auf die Schulter.

    „Dann werde ich dafür sorgen, dass du genau das zu tun. Ich hole dir dein Geckarbor und die anderen Pokémon selbstverständlich auch. Ich Gegenzug will ich aber, dass du mir was versprichst.“

    Der entrüstete Junge sah aufmerksam auf. Was sollte er denn bitte ein so einem Moment versprechen?

    „Wenn du stark genug geworden bist, will ich, dass du gegen mich kämpfst.“

    Cody konnte deutlich die Zuversicht in der Stimme des erfahrenen Trainers, seines Idols hören. Fragte sich, woher er diese nahm. Jedoch behielt er diese Frage für sich. Ryan war für ihn eine Person, der er mit absolutem Respekt begegnete und im Grunde wollte er vor ihm auch nicht so schwach und ängstlich wirken, weshalb er sich nun hektisch die Tränen aus den Augen wischte und versuchte tapfer zu wirken, als er fest mit dem Kopf nickte. Zufrieden stellte dieser den Willen Codys fest. Der Junge war nicht ganz so mutig, wie er es gerne wäre, doch er würde daran arbeiten und sicherlich eines Tages auch einen guten Trainer abgeben.

    Doch um dies zu ermöglichen, musste Ryan sich nun beeilen, denn mit jeder Minute, die er hier verschwendete, gewann der Dieb an Vorsprung. So stand er schließlich auf und holte Panzaerons Pokéball hervor, den er anschließend in die Luft warf. Der erhabene Stahlvogel befreite sich laut krächzend aus der Kapsel und breitete seine Schwingen aus. In der hellen Vormittagssonne glänzte sein stählerner Körper besonders hell und der rote Stahl an den Flügeln schimmerte dadurch feurig. Cody verschlug es bei diesem Anblick wortwörtlich die Sprache. Bei der Silberkonferenz hatte er dieses Panzaeron nicht bestaunen können, da es verletzungsbedingt gefehlt hatte. Und selbst wenn dem nicht so gewesen wäre, war es so nochmal eine ganz andere Erfahrung.

    Zeitgleich holte Andrew ebenfalls eine Kapsel hervor und entließ sein Schwalboss in die Lüfte. Auch der schwarz- weiße spreizte seine Flügel in der sanften Brise des Waldes. Entweder hatten die beiden Trainer den gleichen Einfall gehabt oder aber sie hatten sich durch gegenseitiges Gedankenlesen verständigt. Jedenfalls schienen sie sich einig zu sein, dass ihre Pokémon aus der Luft deutlich bessere Chancen hatten, den Verbrecher zu finden. Erwartungsvoll landeten Panzaeron und Schwalboss vor ihren Trainern und warteten darauf, dass diese sie in ihre Aufgaben einweisen.

    „Panzaeron, wir suchen einen Dieb. Er ist in den Wald geflohen und trägt schwarze Kleidung. Sieh zu, ob du ihn finden kannst“, erklärte Ryan.

    „Du hilfst ihm dabei Schwalboss und pass ein bisschen auf es auf“, befahl Andrew seinem gefiederten Freund, schenkte Ryan aber gleichzeitig einen hämischen Seitenblick. Selbst in dieser Situation konnte er seine Sticheleien nicht sein lassen.

    „In dieser Richtung haben wir ihn verloren. Beeilt euch“, fügte der Scherzbold hinzu und deutete nach Westen. In der Richtung hatte er den Dieb zuvor noch verfolgt. Erhaben begaben sich die zwei Flugpokémon in die Luft und waren wenige Moment später bereits über den Wipfeln der Bäume verschwunden. Die beiden Trainer sahen ihnen noch einige Sekunden nach, bevor der jüngere unter ihnen einen sporadischen Plan fasste.

    „Ich würd´ vorschlagen, wir versuchen unser Glück auch nochmal und nehmen die Gegend mal genauer unter die Lupe. Irgendwo müssen die sich ja verkrochen haben.“

    „Gut, dann werde ich euch begleiten.“

    Völlig unerwartet war Professor Birk an die Jugendlichen herangetreten. Er hatte bereits eine braune Umhängetasche geschultert, in der er wohl einige Sachen mitführte, die unterwegs vielleicht von Nutzen sein konnten. Keiner von ihnen hatte bemerkt, dass er sich entfernt oder ins Haus verschwunden war, was entweder bedeutete, dass dieser ziemlich flink war, oder sie an ihrer Auffassungsgabe arbeiten mussten.

    „Ich kenne diese Wälder wie mein Labor. Ich kann sicher helfen. Cody und den Pokémon bin ich wenigstens den Versuch schuldig“, fügte Birk noch hinzu. Dieser Vergleich erschien im ersten Moment nicht unbedingt als der Erfolgversprechendste. Wenn er aber über das Chaos, das im Labor herrschte, auch nur einen minimalen Überblick hatte, dann war dieser Wald ja schon fast ein Kinderspiel. So wurde die Hilfe des Professors dankend angenommen.

    „Okay, dann sollten wir endlich mal in Bewegung kommen. Andrew...“

    Jener schien die Worte gar nicht mehr zu hören. Er marschierte bereits mit flotten Schritten in das dichte Unterholz.

    „Man, wo bleibt ihr denn? Wir haben was zu erledigen“, rief er ungeduldig über die Schulter. Ryan lächelte nur stumm in sich hinein. Ja, das war Andrew. Der Professor schien eine andere Bezeichnung für Andrews Verhalten in den Sinn zu kommen, sprach sie aber nicht aus. Doch zweifellos hatte er bereits festgestellt, was für ein merkwürdiger Zeitgenosse dieser war. So tauschten die beiden Zurückgelassenen schulterzuckend einen vielsagenden Blick aus, der verriet, dass sie gerade ähnliche Gedanken hatten, und folgten Andrew schließlich.


    In etwa vierzig Metern Höhe zogen Panzaeron uns Schwalboss weiter ihre Kreise, die Augen immer wachsam auf die Erde unter ihnen gerichtet. Die nicht Flugfähigken Waldbewohner würden sie wohl kaum entdecken können. Die beiden Flugpokémon dagegen erkannten jede kleinste Aktivität mit ihren scharfen Augen. Naja, fast jede. Selbst sie hatten Schwierigkeiten, durch die dichten Baumkronen hindurch zu spähen. Da das gesuchte Ziel aber theoretisch arg herausstechen sollte, waren sie sicher, es auch ausfindig machen zu können. Wenn der verfolgte Dieb denn noch in der Gegend war. Bislang war jedoch nichts Außergewöhnliches zu entdecken gewesen.

    In diesem Meer aus Grün müsste irgendein Mann in schwarz sofort auffallen und die zwei Pokémon waren sich mehr als sicher, dass sie niemanden übersehen hatten. Sie erledigten ihre Aufgaben immer äußert gewissenhaft und sorgfältig. Dass einem von ihnen etwas entgangen sein könnte, war bereits äußerst unwahrscheinlich. Dass sie beide etwas übersahen, fast unmöglich. Panzaeron und Schwalboss hielten etwas Abstand zueinander, anstatt Schulter an Schulter zu fliegen, damit sie eine größere Fläche überblicken konnten, blieben selbstverständlich in Kommunikationsreichweite. Nein, sie konnten niemanden übersehen haben. Sie mussten einfach weitersuchen, bis sie den Dieb gefunden hatten.

    Das Landschaftsbild war Kilometerweit dasselbe. Wald.

    Wald, Wald und nochmal Wald. Das Grün dominierte die Umgebung Wurzelheims unumstritten. Hier und da waren in der Ferne mal Jagdhütten oder kleine Bäche. Häuseransammlungen jeglicher Art waren nicht in Sicht, genauso wenig wie Wiesen, Felder, Sumpf- oder Berglandschaften. Lediglich am Horizont ragten in nördlicher und nordöstlicher Richtung einige Gipfel empor. Ansonsten nur ein ausnahmslos grüner Wald – in welchem plötzlich zwei winzige, schwarze Punkte auftauchten!

    Fast zeitgleich bemerkten Panzaeron und Schwalboss die dunklen Gestalten, die sich scheinbar in ziemlicher Eile durch das Unterholz schlugen. Alle paar Sekunden verschwanden sie einen Moment lang unter den Kronen einiger Laubbäume, doch die zwei Flugpokémon verloren sie nicht aus den Augen. Dennoch senkten sie vorsichtshalber ihre Flughöhe, um sicherheitshalber einen besseren Blick erhaschen zu können.

    Zunächst waren zwar beide noch ein wenig verwirrt, da ihre Trainer nur von einem einzelnen Dieb gesprochen hatten, doch die Beschreibung passte genau. Wenn gleich mehrere solcher Gestalten durch den Wald hetzten, musste es sich um Komplizen handeln, was bedeuten würde, dass sie alle ein gemeinsames Versteck besitzen mussten. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig, dass sie zu diesem Versteck unterwegs waren, also hefteten sich Panzaeron und Schwalboss an die Fersen der verdächtigen Personen.

    Allzu lange dauerte die Verfolgung allerdings nicht an. Schon nach wenigen Minuten erreichten die vorsätzlichen Diebe eine kleine Lichtung, auf der sie plötzlich Halt machten. Aufmerksam observierten die zwei Flugpokémon die Situation am Himmel kreisend, genau darauf bedacht, keine lauten Geräusche zu machen. Natürlich würden sich die schwarz gekleideten wundern, was ausgerechnet zwei ungleiche Flugpokémopn wie Schwalboss und ein Panzaeron genau über ihren Köpfen zusammen trieben und im schlimmsten Fall gleich Lunte riechen. Da sie allerdings nicht nach oben sahen, blieben die Spione unentdeckt. So beobachteten diese schließlich, wie die eine Personen an ein kleines Gebüsch heran schritt und in die Hocke ging. Seine Hand wühlte einige Sekunden in dem Grünzeug herum, suchte scheinbar nach irgendetwas, während sich der andere nervös umsah und eindringlich mit seinem Kollegen zu sprechen schien. Es war nicht mit Sicherheit zu sagen, doch er schien den Knienden zur Eile zu drängen. Und dann offenbarte sich alles. Da war also ihr Versteck.

    Clever, doch nicht clever genug. Panzaeron und Schwalboss hatten alles gesehen. Nachdem die beiden Personen verschwunden waren, sprachen sich die Pokémon kurz ab, wie sie nun weiter vorgingen. Sie einigten sich darauf, dass der Stahlvogel zurückflog, um Ryan und Andrew hierher zu führen, während das Schwalben-Pokémon hier die Stellung hielt. So machte Panzaeron schließlich kehrt, während der gefiederte Vogel sich auf dem Ast eines Baumes am Rande der Lichtung niederließ. Er war hier definitiv der unauffälligere Observator. In diesen Wäldern lebten vermutlich hunderte seiner Artgenossen. Selbst wenn er hier erspäht würde, sollte sich niemand etwas bei seiner Anwesenheit Verdacht schopfen.


    „Verdammt, das ist doch sinnlos“, stellte Andrew mit resignierender Stimme fest. Um seinem Frust ein Ventil zu verschaffen, schlug er dem nächstbesten Baum einen vertrockneten Seitenast ab.

    „Wenn du einen besseren Plan hast, bin ich ganz Ohr“, antwortete Ryan.

    „Im Augenblick grade nicht, aber er fällt mir bestimmt ein, wenn der Mist hier vorbei ist.“

    Seit über einer Stunde stampfte das Trio nun schon durch den Wald, ohne auch nur eine Spur einer Spur gefunden zu haben. Professor Birk blickte nachdenklich in das Unterholz. Es war zu vermuten, dass er in diesem Moment abschätzte, wo sie sich in etwa befanden.

    „Hey, Professor. Sie kennen sich hier als einziger aus. Wie stehen unsere Chancen, in einem Wald, der so groß wie drei Metropolen ist, einen flinken Dieb zu finden?“

    Ryan, der die Gruppe anführte, machte augenblicklich Halt und drehte sich, auf eine Antwort des Ortskundigen wartend, um. Auch wenn sich an seiner Einstellung und der Entschlossenheit so oder so nichts ändern würde, war er doch interessiert an der Meinung von Birk. Der schürzte die Lippen und wirkte leider Gottes wenig optimistisch.

    „Wir sollten weiter gehen“, antwortete er nach einigen Sekunden einfach, wobei er nicht gerade ein hohes Maß an Zuversicht versprühte. Während er und Ryan sich augenblicklich wieder in Bewegung setzten blieb Andrew einen Moment zurück und seufzte demoralisiert.

    „So schlecht also.“

    Womöglich gar noch schlechter als er einschätzte. Schon bei ihrer Ankunft in Wurzelheim hatten die beiden Trainer die Landschaft von der Fähre aus genug überblicken können. Diese Wälder waren mehr als riesig. Eine einzelne Person zu finden, die äußerst flink unterwegs war und zudem einen enormen Vorsprung hatte, war wie die berühmte Suche nach der Nadel im Heuhaufen – nur, dass sich die Nadel immer weiter entfernte. Beim erneuten Nachdenken schien eine solche Suche daher sogar noch wesentlich einfacher zu sein.

    Schließlich folgte Andrew den beiden wieder. Natürlich wollte er den Dieb ebenso gern erwischen wie Ryan, doch wenn man ihre Erfolgschancen betrachtete, war die Situation schon ziemlich entmutigend. Wenn sie einen Fetzen seiner Kleidung oder irgendeinen Gegenstand hätten, den der Dieb am Körper getragen hatte, so hätte es sich angeboten, Magnayen nach einer Fährte suchen zu lassen. Wobei man sich davon auch nicht besonders viel versprechen konnte, da das Unlichtpokémon spätestens bei dem kleinen Bach, den die Gruppe vorhin passiert hatte, vermutlich die Witterung verloren hätte. Es war jener Bach, durch den der Dieb zuvor geflohen war.

    Im Ryans Kopf spukten ähnliche Gedanken herum. All dies hätten sie sich ersparen können, wenn er zuvor schnell genug gewesen wäre, um den Flüchtigen einzuholen. Ihre einzig echte große Hoffnung waren Panzaeron und Schwalboss.

    Als hätten sie seine Gedanken gehört, ertönte das Krächzen eines Vogels am Himmel. Jetzt fing er schon an, sie zu hören, so dachte er zunächst, doch im nächsten Moment erkannte er den vertrauten Laut. Unter hunderten hätte er die Stimme seines Panzaeron erkannt. Die Gruppe richtete ihre Blicke gen Himmel und tatsächlich erschien dort oben aufgebracht kreischend Ryans Stahlvogel. Ein durchaus willkommener Anblick, doch es galt erst abzuwarten, was Panzaeron von sich gab.

    „Was gefunden?“

    Eifrig nickte es mit dem Kopf und flog auch schon wieder davon. Das Gefühl von neu entflammter Hoffnung war in diesem Moment kaum in Worte zu fassen. Sie alle drei konnten gar nicht eilig genug folgen. Der Marsch durch das unwegsame Gelände hatte durchaus Kraft gekostet, doch mit einem Mal waren sie alle wieder geschwind auf den Beinen und folgten Panzaeron.

    „Wo zum Geier hat es denn Schwalboss gelassen?“, fragte Andrew im Spurt. Es war nur logisch, dass er sich um sein Pokémon Gedanken machte, doch der vorwurfsvolle Ton wollte Ryan nicht gefallen. Man könnte glatt vermuten, er machte den Stahlvogel für sein Verschwinden verantwortlich. Doch er entschied sich, diesen Gedanken beiseite zu legen und einfach abzuwarten. Hoffentlich stellte sich nicht heraus, dass Schwalboss was zugestoßen war. Dies anstelle einer Spur herauszufinden, wäre dann für den heutigen Tag eine Ernüchterung zu viel.


    Es dauerte gar nicht lange, bis Ryan, Andrew und Professor Birk den vermissten Vogel fanden. Nach nur wenigen Minuten erreichte die Gruppe eine kleine Lichtung und entdeckten Schwalboss auf einem Ast am Rande.

    „Hey, Schwalboss“, rief Andrew sogleich erleichtert. Es kam sofort von seinem Baum geflattert und landete direkt vor seinem Trainer. Auch der Stahlvogel gesellte sich nun dazu, krächzte Ryan dabei eindringlich an. Dieser sah sich kurz auf der Lichtung um.

    „Das ist die Stelle, an der ich die Spur zu dem Dieb verloren hatte“, stellte er nachdenklich fest. Zunächst wusste er nicht, was er davon halten sollte, dass sie nun hierher geführt worden waren, doch im Grunde kam nur eine Lösung in Frage. Wenn Schwalboss und Panzaeron etwas gefunden und sie anschließend zu diesem Punkt geführt hatten, musste hier irgendwo das Versteck von Team Rocket sein. Oder zumindest eine klare Spur des Diebes. Die Frage nach dem Wo und Was erübrigte sich schließlich durch die Pokémon. Beide packten ihre Trainer am Ärmel und zogen sie über die Lichtung. Sie stoppten direkt vor einem kleinen, unscheinbaren Gebüsch. Es war ein dichter Strauch mit sehr hellen, fast runden Blättern. Noch recht irritiert starrten Ryan und Andrew auf die Pflanze, ohne wirklich zu wissen, was ihre Pokémon von ihnen wollten. Doch dann schaltete sich urplötzlich der Professor ein.

    „Lasst mich das mal ansehen.“

    Birk trat einen Schritt vor und ging vor dem Gewächs in die Hocke, um seine Blätter probeweise mit den Fingern zu ertasten.

    „Hab ich es doch gleich gewusst. Die Pflanze ist künstlich, es ist eine Attrappe.“

    Der Kittelträger klang ziemlich überzeugt und da sowohl Panzaeron als auch Schwalboss eindringlich auf den Busch wiesen, nahm Ryan, nachdem er einen kurzen Blick mit Andrew ausgetauscht hatte, ihn genauer unter die Lupe. Ihm war zwar schleierhaft, warum man eine künstliche Pflanze in einem Wald platzieren sollte, aber irgendeinen Zweck musste sie ja erfüllen.

    „Was zu finden?“, fragte Andrew ungeduldig. Zunächst wurde der Suchende jedoch nicht fündig, aber dann fiel ihm zwischen Zweigen und Blättern plötzlich etwas direkt am Stiel ins Auge.

    „Wartet mal. Hier ist irgendwas aus Metall.“

    Mittlerweile steckte er fast mit dem gesamten Oberkörper im Gebüsch, doch er konnte den gefundenen Gegenstand nicht genau einordnen. Es sah nach einem einfachen Metallstab aus, gerade mal so lang wie sein Zeigefinger. Jetzt war er skeptischer denn je. Welchen Zweck sollte der erfüllen? Aus einfacher Neugierde griff Ryan nach dem grauen Objekt, doch es ließ sich nicht aufheben. Verwundert zog er stärker daran, doch es wollte sich nicht vom Boden lösen. Frustriert unterzog der er das sture Ding einer genaueren Betrachtung und versuchte es etwas frei zu graben. Er konnte so viel und so kräftig ziehen, wie er wollte, das würde nichts bringen. Und zwar, weil der Stab unter die Erde reichte! Er erkannte das Metallstück nun als eine Art Hebel oder Griff, doch da alles Ziehen und Reißen nichts brachte, versuchte Ryan etwas Anderes. Aus einem Impuls heraus drehte er den Gegenstand einmal im Uhrzeigersinn. Er ließ sich problemlos und leicht bewegen.

    Dann war ein metallenes Geräusch zu hören, dass an einen Türriegel erinnerte, der zurückgeschoben wurde und im nächsten Moment schien sich der Boden unter Ryan aufzutürmen. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah. Andrew und Birk dagegen hatten alles genau im Blick. Direkt unter Ryan tat sich eine mechanische Einstiegsluke auf, ähnlich wie bei einem U-Boot. Da der blonde Trainer jedoch genau auf ihr saß, wurde er mit dem Kopf im Gebüsch steckend vorn übergeworfen, sodass er einen unfreiwilligen Purzelbaum hinlegte. Andrew musste sich ein Lachen verkneifen, als sich sein bester Kumpel völlig irritiert mit einem Stöhnen aufrappelte. Als er anschließend sein Werk betrachtete, tauschte er erneut einen durchaus etwas beschämten, aber dennoch zufriedenen Blick mit Andrew aus und Professor Birk hätte schwören können, dass sie sich per Telepathie verständigten.

    „Na also“, war alles, was Ryan hierauf sagte. Andrew schien das zu ignorieren. Er wagte einen Blick in das Loch, das sich gerade vor ihnen aufgetan hatte. Einige angeschweißte Metallstäbe in der Wand fungierten als Leiter, ohne die ein Herauskommen gar nicht möglich wäre. Und hineinzugelangen wäre mindestens halsbrecherisch, da der Boden etwa schätzungsweise drei Meter unterhalb der Erdoberfläche lag. Ryan und Birk riskierten nun ebenfalls einen ersten Blick.

    „Und was nun?“, fragte Andrew merkwürdig unentschlossen. Ryan legte daraufhin die Stirn in Falten. Was gab es denn da noch zu fragen? Zögerte Andrew etwa, dort hinunter zu klettern?

    „Ich denke mal, die werden da nicht herausgesprungen kommen und sich ergeben“, entgegnete er sarkastisch. Von allein würde hier nicht mehr passieren. Das mussten sie schon erzwingen.

    „Das mein ich ja auch nicht. Aber ist das jetzt die beste Entscheidung, einfach so da rein zu platzen.“

    Ryan zog skeptisch eine Braue hoch. Wenn es einen Menschen gab, der gerne mit dem Kopf durch die Wand ging, dann war das definitiv Andrew Warrener. Was sollte diese unentschlossene Einstellung?

    „Du hast doch nicht etwa Angst unter der Erde, oder?“, fragte Ryan und hängte ein spöttisches Grinsen an.

    „Erzähl keinen Mist“, giftete der andere zurück.

    „Ich geh jetzt jedenfalls da runter. Wenn du hier warten willst...“

    „Oh, das könnte dir so passen“, unterbrach Andrew seinen Kameraden. Er fühlte sich sofort herausgefordert, das wusste Ryan und genau darauf hatte er auch abgezielt.

    „Ich geh´ zuerst rein“, stellte er anschließend klar. Er rief kurzerhand Schwalboss zurück in seinen Pokéball und schon war er unter der Erde verschwunden. Schnell aber dennoch bemerkenswert leise kletterte er die Leiter hinab, während Ryan nur einen neckischen Blick an Professor Birk richtete, der etwas verwirrt drein schaute. Doch er konnte wohl eins und eins zusammenzählen. Während stämmige Mann nun ebenfalls in den Tunnel kletterte, wandte sich Ryan an sein Panzaeron.

    „Ich möchte dich bitten, hier draußen zu bleiben und den Eingang im Auge zu behalten. Außer uns kommt niemand da rein oder raus, verstanden?“

    Wären seine Flügel gelenkiger, würde der Stahlvogel glatt salutieren.

    „Sollten noch mehr Leute in Schwarz auftauchen, dann hau sie um.“

    Diese Anweisung schien Panzaeron gar zu erfreuen. Das würde er mit dem größten Vergnügen erledigen. Aus den topasfarbenen Augen heraus las Ryan, kurz bevor sich sein Partner in den Baumwipfeln versteckte, dass er regelrecht auf diesen Fall hoffte. In dem besonders dichten Dach eines Laubriesen ließ es sich nieder und richtete seinen scharfen Blick auf die Lichtung. Die Stelle war perfekt, um ungebetene Gäste sofort aus dem Hinterhalt anzugreifen. Gleichzeitig war er selbst kaum zu sehen. Sein glänzender Panzer war vollkommen im Schatten hinter einem Schleier aus Zweigen und Blättern und würde seine Präsenz nicht durch reflektiertes Sonnenlicht verraten.

    Ryan wusste, dass er seinen Job gut erledigen würde. Panzaeron liebte das Kämpfen, vor allem gegen Kriminelle. Als Jungtier war es illegal gewildert und schließlich von Ryan befreit worden. Nach einem erbitterten Kampf, infolgedessen sie auch dutzende weitere Pokémon hatten befreien können, war es nicht mehr von ihm zu trennen gewesen. Manchmal glaube er noch, Panzaeron wollte seine Schuld für die ihm zurückgegebene Freiheit begleichen, doch letztlich hatte es schon weit mehr für Ryan getan als umgekehrt. Trotzdem hielt es im wahrsten Sinne eisern zu ihm. So einen Partner an seiner Seite zu wissen, war besonders in Momenten wie diesem hier, ein echter Rettungsanker.


    Ryans Solen trafen schließlich auf harten Stahl, als er als letzter im Bunde das untere Ende der Leiter erreiche. Er achtete ebenso sehr wie Andrew und Professor Birk darauf, leichte und leise Schritte zu machen, um keine unnötige Aufmerksamkeit zu erregen. Gleich darauf sah er sich um. Sie befanden sich in einem schmalen Gang von etwa zwei Metern Breite. Die Wände waren, genau wie der Boden mit Stahl verkleidet. Gleiches galt für die Decke, an der in relativ großem Abstand einfache, nackte Glühbirnen angebracht waren. Nur spärlich beleuchteten sie die Umgebung und manche flackerten, als seien sie ihrem Lebensende nahe. Alle paar Meter war ein großes, rotes „R“ an den Wänden abgedruckt. Falls es noch Zweifel gegeben haben sollte, ob es sich bei den Dieben wirklich um Team Rocket handelte, waren diese nun wohl restlos beseitigt.

    „Wer hätte gedacht, dass hier so ein Ort existiert?“, grübelte Birk vor sich hin. Er war schon hundert Mal in diesem Teil des Waldes gewesen und hatte nie auch nur eine Spur von Grabungsarbeiten entdeckt. Einerseits war es eine respektable Leistung, hier unbemerkt ein ganzes Tunnelsystem anzulegen, allerdings war hier alles relativ unsauber verarbeitet. An einigen Stellen bröckelte Erde zwischen den teilweise recht schlampig verschweisten Stahlplatten hervor, wobei die ein oder andere sogar leichte Dellen nach innen aufwies. Auf lange Sicht schien es nur eine Frage der Zeit zu sein, bis das gesamte Tunnelsystem einstürzen würde. Kein sehr beruhigender Gedanke. Team Rocket hatte wohl nicht vor, es über längere Zeit zu besetzen. Alles war mehr schlecht als recht zusammengeschustert worden, was Grund zur Vermutung ließ, dass es in großer Eile getan worden war. Dies wäre garantiert nicht der Fall, wenn sie vorhatten, das Versteck dauerhaft zu nutzen.

    Zu Ryans Rechten - die Richtung, in der er Osten vermutete – verlief der Gang nach wenigen Metern in eine Sackgasse. Es ging also nur in westlicher Richtung weiter. So würde der Tunnel irgendwann an der Küste enden, doch bis dorthin konnte sich der Weg in nördlicher Richtung nahezu unbegrenzt fortsetzen. Es war jedoch anzuzweifeln, dass hier wirklich über mehrere Kilometer gegraben worden war. Dass es der Westküste auch nur nahekommen würde, erschien ihm zwar möglich, aber ebenfalls unwahrscheinlich.

    „Willst du die nicht lieber schließen?“, fragte Andrew plötzlich und deutete auf die Einstiegsluke über Ryan, die nach wie vor offenstand. Dieser verneinte die Frage allerdings recht beiläufig.

    „Und was ist, wenn noch mehr von denen kommen oder jemand abhauen will?“

    „Dann werden die eine schmerzhafte Begegnung mit einem Panzaeron haben.“

    Eine gute Antwort. Andrew stellte sie sich sehr gerne bildlich vor und nickte zufriedenen.

    „Wir sollten uns beeilen und hoffen, dass unsere Anwesenheit unbemerkt bleibt“, warf Professor Birk ein, was die beiden Trainer einstimmig befürworteten. Der Gedanke, dass der Ausgang gesichert war, beruhigte die nun stark angespannten Nerven ein wenig, was nicht bedeutete, dass die Gruppe keine Sorgen hatte. Jeder Einzelne von ihnen war nervös – sogar sehr nervös. Sie hatten keine Ahnung, wie vielen Gegnern sie sich hier unten würden stellen müssen und außerdem hatten sie selbst nur Andrews Pokémon zur Verfügung. Ryans einziger Begleiter hielt draußen Wache – was durchaus sinnvoll war, da er hier unten ohnehin keine Bewegungsfreiheit gehabt hätte. Aber das machte seine Anwesenheit hier eventuell gar mehr hinderlich als hilfreich. Andrews Schwalboss und Dragonir besaßen hier leider ebenfalls nicht ihren benötigten Bewegungsraum, weshalb lediglich Psiana und Magnayen als Hilfe übrigblieben.

    Ryan spürte, wie sich Schweiß auf seiner Stirn bildete und seinen ganzen Körper anspannte. Gleichzeitig bewegte er sich fast ohne nachzudenken, quasi instinktiv. Er hatte sich schon mehrmals irgendwo eingeschlichen oder hatte bei der Pokémonjagd ein Ziel leise verfolgt. So konnte er wohl von sich behaupten, dass er das Schleichen einigermaßen draufhatte. Bei seinem langjährigen Freund war es nicht anders. Auch Andrew schritt leise und vorsichtig voran, doch der letzte im Bunde war da leider etwas ungeschickter. Professor Birk konnte es nicht vermeiden, verräterische Schrittgeräusche mit seinen Sandalen zu machen. Eigentlich waren sie gar nicht sonderlich laut, doch in dieser Situation kam Ryan selbst sein Herzschlag wie ein hämmerndes Trommeln vor. Dennoch waren diese Latschen für den Moment einfach fürchterlich unpraktisch.


    Der Gang verlief ein kurzes Stück nur geradeaus, was die Nervosität nicht unbedingt senkte, da so jeder, der zufällig gerade in ihre Richtung ging, sie zwangsläufig entdecken würde. Es gab keine Winkel, Ecken oder Seitengänge, in denen man sich verstecken konnte. So saß die Gruppe quasi auf dem Präsentierteller, doch für den Augenblick waren sie noch unentdeckt. Ryan fiel auf, dass es keine Überwachungskameras zu geben schien, worüber er heilfroh war, doch verstand er nicht ganz, warum Team Rocket in diesem Punkt so nachlässig war. Die waren sich bei der Tarnung des Eingangs wohl sehr sicher. Nun ja, Ryan musste zugeben, dass auch er ihn ohne die Hilfe der Pokémon wohl in hundert Jahren nicht gefunden hätte. Schließlich hatte er bereits bei seiner Verfolgungsjagd direkt vor dem Eingang gestanden und ihn schlichtweg nicht als solchen erkannt. Er war im endlosen Grün einfach untergetaucht. Doch durch zu viel Selbstvertrauen wurde man schnell sorglos.

    Einige Meter später teilte sich der Gang dann doch. Eine Abzweigung zur Linken im 90 Grad-Winkel, sowie eine weitere zur Rechten lagen vor Ryan, Andrew und dem Professor. Geradeaus führte der Gang noch weiter und ging in eine Gabelung über, was sie nun mit der Frage konfrontierte, welchen Weg sie nehmen sollten. Zunächst drängte sich der blonde Trainer allerdings eng an die Wand und lugte um die Ecke, um festzustellen, ob jemand zu sehen war. Es zeigte sich, dass der Gang nach einigen Schritten ein weiteres Mal nach links führte, womit er in entgegengesetzter Richtung parallel zu dem Hauptgang verlief, in dem sie sich gerade befanden.

    „Tja, drei Wege“, flüsterte er so laut er es wagte.

    „Welchen nehmen wir?“, fragte Andrew darauf. Ratlos sahen sich das Trio untereinander an. Wenn sie sich aufteilten, mussten sie wenigstens dafür sorgen, dass niemand wehrlos war, sollte doch eine Begegnung mit einem schwarz gekleideten stattfinden.

    „Haben sie irgendwelche Pokémon dabei“, fragte Ryan an den Professor gewandt.

    „Leider nicht. Die einzigen Pokémon, die ich im Labor hatte, waren die drei für Cody.“

    Wäre ja auch zu schön gewesen. Somit lag es nun an Andrew. Wenn er sich vorübergehend von einem seiner Pokémon trennen würde, könnten sie mindestens zwei Gänge erkunden. Vorausgesetzt, Magnayen würde auf die Befehle eines Anderen hören. Eine knifflige Entscheidung, so oder so. Doch sie wurde dem Gespann aus Trainern und Professor abgenommen, ehe die Frage überhaupt angesprochen wurde. Aus dem geradeaus verlaufenden Gang ertönten zwei männliche Stimmen, begleitet von dem Geräusch von Schritten auf dem stählernen Boden. Augenblicklich zuckte die Gruppe zusammen und lauschte dem Gespräch. Die zwei Personen schienen sich über den Raubzug in Wurzelheim zu unterhalten, wobei sie aus der Entfernung nichts Genaues verstehen konnte. Das spielte jetzt auch keine Rolle. Sie mussten in einen der Nebengänge, sonst liefen sie den beiden genau in die Arme.

    Die Stimmen wurden allmählich lauter. Ohne noch länger zu überlegen, huschte die Gruppe in den linken Nebengang. Es ging hier scheinbar wieder sehr lange geradeaus, was ein weiteres Problem darstellte, sollten die zwei Rockets zufällig den gleichen Weg einschlagen. Doch es bot sich eine eventuelle Lösung für dieses Problem. Rechts in der Wand war eine Tür aus einfachem Holz mit einem kleinen Sichtfenster eingelassen. Einige Meter weiter fand sich eine weitere, und dann noch eine. Ryan machte einige schnelle, aber noch immer möglichst leise Schritte auf die erste Tür zu und schielte durch die Glasscheibe. Dahinter lag ein kleiner Raum mit ein paar Schränken und Spinden, sowie einem großen Tisch in der Mitte des Raumes über dem eine kleine Lampe brannte, welche die einzige Lichtquelle darstellte. In der linken hinteren Ecke war eine weitere Tür, die wohl ein einen Nebenraum führte.

    Ryan hörte die Schritte der Rockets näherkommen und biss sich auf die Lippe. Sie waren tatsächlich in ihren Gang eingebogen, was bedeutete, dass dieser Raum ihre letzte Chance war. Möglichst leise drückte er die Türklinke herunter und winkte Andrew und den Professor heran. Eilig huschten die drei in den kleinen Raum und suchten schnellstmöglich Schutz für den Fall, dass einer der beiden einen neugierigen Blick durch das Fenster riskierte. Viele Möglichkeiten gab es allerdings nicht, da sämtliche Möbelstücke direkt an den Wänden standen. Professor Birk ging schließlich hinter den Schränken in Deckung, die sich an der rechten Wand befanden. Er drückte sich eng an die Mauer, um vollends in der hinteren Ecke des Raumes verschwinden zu können. Andrew hatte in der Hektik ein riskanteres Versteck gewählt. Er saß unter dem Tisch und rückte einen der zwei anstehenden Stühle vor sich, der ihm aber keinen vollständigen Sichtschutz bot. Ryan blieb somit keine andere Möglichkeit, als sich eng an die Wand direkt neben der Tür zu drücken und in die Hocke zu gehen. Sollte einer der beiden hier hereinkommen, würde die aufgehende Tür ihn vor dessen Augen verbergen und er würde die Gelegenheit bekommen, ihn von hinten zu attackieren. Nicht ganz ungefährlich, klar, aber wenn dieser Fall wirklich eintreten sollte, gab es keine andere Möglichkeit.

    Gebannt hielt er den Atem an, sein Herz schlug unnatürlich laut als hätte es die Absicht, seinen Besitzer zu verraten. Nur mit Mühe konnte dieser sich wenigstens ein bisschen zur Ruhe zwingen.

    Da die Unterhaltung der zwei Rocket Mitglieder geendet hatte, waren nur noch ihre Schritte zu vernehmen. Hier war Ryan außerordentlich dankbar für den mit Stahl ausgelegten Boden, da dieser das Geräusch für ihn überhaupt erst hörbar machte. Er spannte jeden seiner Muskeln an, für den Fall, dass es gleich ernst werden würde. Doch er betete, dass es nicht dazu kam. Das Pochen auf den Stahlplatten näherte sich. Nervös presste er die Lippen zusammen. Die Schritte waren schließlich genau bei ihm und... stoppten. Sie standen genau vor der Tür!

    Ryan war völlig steif gefroren. Nur noch diese einfache Holztür trennte sie von den Rockets. Durch sie hindurch drangen nun wieder dumpfe Worte einer Unterhaltung.

    „Sieh mal, hab ich von so ´nem reichen Schnösel mitgehen lassen.“

    Die Stimme war männlich, klang sehr jung. Der Mann musste um die zwanzig sein. Die nächste dagegen gehörte entweder einem Mann, der mindestens doppelt so alt war oder einfach nur eine furchtbare Raucherlunge besaß. Denn sein Ton war extrem dunkel und rau.

    „Trottel. Was sollen wir mit der Geldbörse von dem Zausel? Unsere Organisation hat genug Geld und sonstige Möglichkeiten, um uns alles Nötige zu beschaffen.“

    „Weiß ich doch, weiß ich doch. Die is‘ ja auch für mich. Die Asche konnt´ ich nicht einfach zurücklassen. Wär zu schade drum gewesen.“

    Die junge Stimme verfiel in selbstgefälliges Gelächter. Die Person schien ziemlich stolz auf seine Beute zu sein. Musste ja prallgefüllt sein, das Ding. Der Andere hatte dafür nicht sehr viel übrig.

    „Du minderbemittelter Schwachkopf. Lass deine beschissenen Handtaschendiebstähle sein und konzentriere dich in Zukunft auf die Mission!“

    „Ja, ja, schon gut. Musst nicht gleich ausflippen, du seniler Sack. Au!“

    Offenbar hatte der Erste vom Zweiten eine Schelle kassiert. Das Ganze ging in eine Debatte über Disziplin gegenüber Team Rocket sowie dem Motto Gelegenheit macht Diebe über, bei dem die jüngere Stimme die Vorwürfe der anderen vehement runterhandelte. Und jene Diskussion schien sich zu entfernen.

    Geduldig wartete die Gruppe bis schließlich absolute Stille herrschte. Sie waren weg, jedoch wagte Ryan ein Aufatmen erst, nachdem die Laute vollständig verklungen waren. Was für eine Erleichterung. Beinahe dachte er schon, ihr Eindringen wäre aufgeflogen, noch bevor sie irgendeine Chance gehabt hatten, die Pokémon zu finden. Gerade wollte sich Ryan wieder aufrichten und auch Professor Birk machte Anstalten, sein Versteck zu verlassen, da ertönte ein leises Geräusch.

    „Pssst“, zischte eine stark unterdrückte Stimme vom Schreibtisch herüber. Andrew schüttelte vehement den Kopf und machte eine energische, verneinende Handbewegung. Augenblicklich erstarrten alle in ihren Bewegungen und vier der sechs Augen aus der Gruppe richteten sich nun auf den braunhaarigen Trainer. Dieser hielt sich nun Zeige- und Mittelfinger seiner rechten Hand sehr nahe vor jeweils ein Auge, hielt dann nur den Zeigefinger hoch und deutete anschließend auf die Tür, die in den Nebenraum führen musste. Da diese ebenfalls ein kleines Fenster besaß und Ryan seinen besten Freund gut genug kannte, um diese Gestik verstehen zu können, wusste er gleich, was los war. Hinter dieser Tür war genau ein weiteres Mitglied von Team Rocket. Nun noch mehr darauf bedacht, keinen Laut zu machen, erhob sich Ryan betont langsam und schlich auf Zehenspitzen zur Tür. Er traute sich kaum, durch das Fenster zu blicken, doch das Risiko musste er eingehen. Vielleicht wurden gerade in diesem Raum die gesuchten Pokébälle gelagert. Zwar stufte er diese Chance als eher gering ein, da sich wohl kaum eine einzelne Person um all diese kümmerte, doch selbst wenn sie dort nur ein einziges Pokémon finden würden, hätte es sich allemal gelohnt.

    So schielte Ryan vorsichtig durch die leicht verdreckte Scheibe, um in den Raum blicken zu können. Er war ähnlich angelegt, wie der, in dem sie sich gerade befanden, nur dass keine Spinde darin standen, sondern gleich mehrere große Schränke mit technischem Equipment, wie an einer offenen Tür zu erkennen war. Aktenschränke und Schreibtisch waren ebenfalls vorhanden und wieder war letzterer in der Raummitte platziert. Der Mann, der an besagtem Tisch saß, trug die typische Kleidung der Organisation, abgesehen von der fehlenden Baskenmütze und der schwarzen Maske. Er wühlte sich gerade durch einen Haufen von Unterlagen. Er wirkte sehr beschäftigt und auch ein wenig gestresst, da er sich krampfhaft mit der Hand durch sein dünnes, rotes Haar fuhr. Bemerken konnte er seinen Beobachter allerdings nicht, da er ihm den Rücken zudrehte. Außerdem schien er viel zu sehr in seine Arbeit vertieft.

    Ryan grinste innerlich. Er wandte sich den beiden anderen zu und machte Andrew mit einem recht sorglos wirkenden Abwinken zur Tür deutlich, dass der Typ sie wohl nicht bemerken würde. Allerdings entschied er sich gleich darauf dazu, vorsichtshalber alle nochmals zur Ruhe zu mahnen und vorzuschlagen, den Rocket auszuschalten. Dies machte er ganz einfach deutlich, indem er einen Finger hinter sein Ohr und anschließend auf seinen Mund legte. Dann ballte er eine Hand zur Faust und deutete einen Schlag in die offene Fläche der anderen, geöffneten Hand an. Andrew nickte zustimmend. Einen einzelnen Gegner, der obendrein unachtsam war, sollten sie problemlos handeln können. Dann könnten sie ruhigen Gewissens die Räume durchsuchen und weitere Pläne schmieden, wie man am besten weiter vorging.

    Professor Birk wirkte ziemlich beeindruckt. Ihm wäre glatt nach lachen zumute, wenn er sich gerade nicht in einer Team Rocket Basis befinden würde. Die Beiden brauchten echt keine Worte, um sich zu verständigen. Es war jedenfalls unübersehbar, dass sie einander sehr gut verstanden und Aktionen wie diese hier wohl auch nicht zum ersten Mal machten.

    Andrew wagte nun ebenfalls einen Blick durch die Glasscheibe. Er grinste breit und holte anschließend einen Pokéball hervor. Nun war es Ryan, der nickte und sich nun in eine hockende Position vor der Tür begab. Vorsichtig legte er eine Hand auf die Türklinke, während Andrew das Pokémon aus der Kapsel befreite. Es handelte sich dabei um das Katzenwesen Psiana. Augenblicklich begriff das kluge Wesen den Ernst der Lage und blieb ebenfalls völlig still.

    „Hallo?“, rief eine fragende hinter der Tür. Hatte der Mann wohl doch das Geräusch des sich öffnenden Pokéballs gehört, was aber wenig verwunderte. Bei der Totenstille, die eben noch geherrscht hatte, war das zu erwarten gewesen. Sein Stuhl wurde ächzend zurückgezogen. Er musste sich gerade der Tür nähern, doch die beiden Trainer ließen sich nicht verunsichern und reagierten schnell. Ryan zählte mithilfe seiner Finger stumm bis drei, wobei er mit dem Kopf mit wippte, um das Zähltempo zu vermitteln. Als er bei der Drei angekommen war, stieß er die Tür nach innen auf und ging sofort wieder zur Seite, um Psiana nicht im Weg zu stehen.

    „Psystrahl“, befahl Andrew schlicht, wobei er zwar nicht mehr flüsterte, seine Stimme aber weiterhin unterdrückte. Das rote Juwel auf Psianas Stirn leuchtete hell auf und entfesselte einen gleißenden Strahl in allen Farben des Regenbogens, gemischt mit einem blendenden Weiß. Der Plan der Jugendlichen war an und für sich ein guter gewesen, nur wollte die Schlüsselperson nicht mitspielen. Erschrocken war er, und wie. Aber im Gegensatz zu den meisten, die an seiner Stelle gewesen wären, erstarrte er nicht, sondern reagierte reflexartig. Mit einem schnellen Schritt zur Seite schaffte er es, dem Psystrahl zu entgehen, jedoch fiel er dabei zu Boden. Doch was nun mehr kümmerte, war das, was die Attacke an Stelle des Rockets traf. Es war ein kleiner, grauer Blechkasten an der Wand, von welchem aus einige Kabel in der Mauer verschwanden – ein Sicherungskasten, wie sich herausstellte. Kaum war der Strahl auf das blecherne Gehäuse getroffen, sprühten und knisterten einige helle Funken und die Klappe sprang auf, sodass mehrere Schalter sichtbar wurden. Im nächsten Moment war es stockdunkel.


    Psianas Attacke hatte für einen Stromausfall gesorgt und nun konnte man nicht mal mehr die Hand vor Augen sehen. Draußen auf den Gängen ertönten einige genervte und irritierte Rufe, was denn mit dem Licht los sei. Dem am Boden liegenden Team Rocket-Mitglied hatte es wohl die Sprache verschlagen. Vielleicht hoffte er auch, durch die Dunkelheit den Augen der Eindringlinge entkommen zu können. Stimmte auch. Zumindest bei den menschlichen. Psiana stand auf einem anderen Blatt.

    „Nochmal“, wies Andrew selbstsicher an, obwohl er selbst nicht wusste, wo der Feind war. Erneut schoss Psiana einen Psystrahl ab, der den Raum für einen Moment erleuchtete und sein Ziel diesmal perfekt traf. Er schrie glücklicherweise nicht. Sein Klagelaut erinnerte and das verkrampfte Glucksen bei einem elektrischen Schlag. Und direkt hierauf wurde er auch schon bewusstlos. Einige Sekunden lang horchte die Gruppe auf, um festzustellen, ob sich ihnen jemand näherte, jedoch waren keine Schritte zu hören. Ebenso wenig wie verdächtige und besorgniserregende Rufe auf dem Gang. Nur allgemeine Verwirrung und Unmut. Zum Glück in einiger Entfernung und keines der Geräusche näher zu kommen.

    Das katzenartige Pokémon erhellte den Raum weiterhin, indem es mit seinem Juwel auf der Stirn ein rötliches Licht absonderte. Es setzte sich reumütig vor seinen Trainer, den Kopf gesenkt und die Ohren eingeklappt. Es wirkte schuldbewusst, bat um Verzeihung, doch Andrew streichelte es gleich sachte am Kopf und schenkte ein ruhiges Lächeln. Das war jetzt zwar nicht ganz nach Plan verlaufen, doch so etwas konnte auch den besten passieren. Psiana war des Öfteren mal etwas hochnäsig und arrogant, jedoch gestand sie sich ihre Fehler immer offen ein und stand für sie gerade.

    „Ein blöder Ausrutscher, das kommt vor“, meine Andrew beschwichtigend, doch war sein Tonfall nicht mahnend oder gar vorwurfsvoll. Er wirkte aufbauend und voller Verständnis. Er und Ryan waren schon immer der Ansicht gewesen, dass, wenn ein Pokémon einen Fehler machte, es allein daran lag, dass sein Trainer noch nicht genug mit ihm gearbeitet hatte. Sie waren in ihrer Position mitverantwortlich für alles, was ihre Pokémon taten.

    „Sicher werden hier sehr bald einige von denen aufkreuzen“, warf Professor Birk geistesgegenwärtig ein. Wie er feststellte, hatte Ryan klug reagiert und sein Sweatshirt rasch ausgezogen, welches er nun gegen die Fensterscheibe in der Tür drückte, sodass nur noch ein graues T-Shirt seinen Oberkörper bedeckte. Für den Fall, dass jemand den Gang draußen passieren sollte, wäre dieses Licht ein mehr als deutlicher Hinweis und gleichbedeutend mit ihrem Todesurteil. Vorsichtig schob er das Kleidungsstück einige Zentimeter zur Seite und blickte aus dem Fenster der Tür, die er hinter sich geschlossen hatte. Es war nichts zu sehen. Die Stimmen von draußen waren fort und Lichter von Taschenlampen oder Ähnlichem waren da auch keine.

    „Richtig, wir sollten schnell die Biege machen“, entgegnete Andrew trocken. Ryan jedoch atmete einmal geräuschvoll aus, womit er die allgemeine Aufmerksamkeit auf sich zog. Der laut hatte fast spöttisch geklungen.

    „Kann einer von euch denn im Dunkeln sehen?“

    Das beklommene Schweigen, das auf die Frage folgte, war Antwort genug. Sie konnten es natürlich nicht und wenn sie vorhatten, die Psychokatze den Gang beleuchten zu lassen, könnten sie sich den Rockets genauso gut mit einer Leuchtreklame gegenüberstellen und winken. Das rote Licht, das Psianas Stirnamulett absonderte war einfach viel zu auffällig und verdächtig. Doch im nächsten Moment stahl sich ein schelmisches Grinsen auf Ryans Gesicht.

    „Damit könnt ihr es“, sagte er, wobei er auf die offenstehende Tür eines Schrankes wies. In den unteren Regalen lagen ziemlich wirr und ungeordnet mehrere Funkgeräte, anscheinend sogar welche von der modernsten Sorte. Doch Ryan spielte nicht auf die kleinen Kommunikationsgeräte an und auch nicht auf die übergroßen schwarzen Taschenlampen im Mittelfach, sondern auf die Apparate, die sich im oberen Regal befanden. Da das rote Licht Psianas hier noch immer die einzige Lichtquelle war, traten Andrew und der Professor interessiert einen Schritt näher heran, um einen genaueren Blick erhaschen zu können. Die Geräte erinnerten zunächst an eine futuristische Brille mit schmalen, elektrischen Röhren vor den Augen. Ein Gurt samt Schnalle verlief in einem in verschiedenen Größen einstellbaren Radius von einem seitlichen Ende zum anderen, sodass man es sich um den Kopf schnallen konnte.

    Die beiden brauchten einige Sekunden, um die merkwürdige Apparatur einordnen zu können, doch schließlich traf der Professor den Nagel auf den Kopf.

    „Nachtsichtgeräte!“

    „Gut ausgerüstet sind die Typen, das muss man ihnen lassen“, ergänzte Andrew und warf seinem Trainerkollegen ein Exemplar zu. Dieser setzte es sogleich auf, wobei er mit dem Rücken noch immer sein Sweatshirt gegen die Scheibe stemmte. Wahrscheinlich verwaltete der nun ohnmächtig auf dem Boden liegende Rocket diese Geräte für die Männer vom Außendienst und im Nebenraum waren wohl Gegenstände persönlicherer Natur verstaut. Diese Entdeckung war mit Abstand einer der größten Glückstreffer, an den sich Ryan in jüngerer Vergangenheit erinnern konnte.

    Als die beiden anderen es ihm gleichgetan hatten, befahl Andrew seiner Gefährtin, das Licht zu löschen. Ein leises Klicken war in dreifacher Zahl zu vernehmen, als die Nachtsichtgeräte eingeschaltet wurden. Augenblicklich erkannten die drei wieder jedes einzelne Detail des Raumes, wenn auch nur durch ein grünliches Sichtfeld.

    Das war einfach perfekt! Auf diese Weise konnte das Trio unbemerkt durch den Komplex schleichen, ohne aufzufallen. Sie mussten sich lediglich von etwaigen Lichtquellen fernhalten.

    „Klasse, jetzt wird das hier doch noch spaßig“, kommentierte Andrew deutlich ermuntert, wonach er sein Psiana zurück in seinen Pokéball verfrachtete. Ryan und Birk hatten ebenfalls ein breites Lächeln aufgesetzt. Der Ausrutscher mit dem Stromkasten hatte sich in einen Glücksfall verwandelt. Mit den Dingern waren sie nun sogar im Vorteil. Der Jugendliche wandte sich noch einmal dem Schrank zu. Einige Sekunden schien er über irgendetwas nachzudenken, doch schließlich griff er entschlossen nach unten und holte drei der dort liegenden Funkgeräte heraus. Anschließend reichte er Andrew und Professor Birk jeweils eines davon und nickte ihnen wortlos zu. Bestimmt konnte es nicht schaden, zur Sicherheit auch über Distanz in Kontakt bleiben zu können. Gerade wollten sie den Raum endlich verlassen, als sie hörten, wie die Tür, die hinaus auf den Gang führte, geöffnet wurde.

    „Phil? Bist du da?“, ertönte eine Stimme. Das war nicht gut! Ein weiteres Mitglied von Team Rocket war herein gekommen und blockierte nun den Weg der drei Eindringlinge. Eine Taschenlampe schien er zum Glück nicht dabei zu haben, weshalb der Mann – das war dank der Nachtsichtgeräte leicht auszumachen – nur langsam und mit einer Hand die Umgebung vor sich abtastend, in Richtung des Nebenraumes ging, in dem sie sich gerade befanden. Ryan wunderte sich, wie es der Typ überhaupt geschafft hatte, ohne Licht hierher zu finden. Doch wahrscheinlich kannte er sich einfach nur gut hier unten aus.

    „Was ist das für ein Idiot, der es nicht einmal schafft, eine Sicherung wieder einzuschalten?“, moserte der Mann vor sich hin. Er hatte die zweite Tür nun erreicht und drückte die Klinke nach unten.

    „Sag mal, welcher betrunkene Idiot hat dich eigentlich ins Team Ro...“

    Weiter kam er nicht, denn kaum hatte er die Tür geöffnet und war hindurchgetreten, wurde ihm ein flacher, harter Gegenstand auf den Kopf geschlagen und der Rocket sah Sterne vor seinen Augen. Allerdings nicht lange, denn schon im nächsten Moment fiel er benommen zu Boden.

    Ryan atmete tief durch. Er hatte kurzerhand eines der wenigen leeren Fächer aus einem Schrank entfernt und mit aller Kraft zugeschlagen. Schwerer Pressspan – das tat richtig weh. Für eine Sekunde betrachtete die Dreiergruppe den bewusstlosen Mann in der typischen schwarzen Uniform zu ihren Füßen und tauschte untereinander bedeutungsvolle Blicke aus. Zimperlich oder unentschlossen war Ryan schon mal nicht. Es grenzte an ein Wunder, dass der Mann keine Platzwunde am Schädel aufwies.

    Wo dieser her kam, gab es sicherlich noch viel mehr und auch wenn sie nun den Vorteil hatten, im Dunkeln sehen zu können, wären sie im Falle einer offenen Konfrontation nahezu wehrlos. Ryan musste daran denken, wie Andrew zu Beginn ihrer Reise den Sinn des Zurücklassens fast aller seiner Pokémon hinterfragt hatte. Nun wünschte er sich, er hätte wenigstens noch ein weiteres dabei. Egal welches!

    Doch daran war eben nichts mehr zu ändern und somit hatte es jetzt auch keinen Sinn, wertvolle Zeit an diesen Gedanken zu verschwenden. Er war hier, unter der Erde in einem Team Rocket Bunker. Und seine Pokémon waren es nicht. Ende der Geschichte.

    „Besser wir verschwinden hier schleunigst“, zog eine flüsternde Stimme den mit sich selbst hadernden Jungen aus seinen Gedanken. In seiner geistigen Abwesenheit hatte er gar nicht bemerkt, dass Andrew und Professor Birk bereits an die Tür getreten waren, die wieder hinaus auf den Flur führte und nur auf ihn zu warten schienen. Sofort überwand er die kurze Distanz zu den beiden und hielt fast automatisch den Atem an. Für eine Sekunde wägte er ab, ob es vielleicht klüger wäre, den Ohnmächtigen zu verstecken, doch ihnen fehlte einfach die Zeit sowie eine annehmbare Option. In einen der Schränke oder Spinde würde sie ihn nicht quetschen können. Sie mussten auf etwas Glück hoffen.

    Von draußen war zwar kein Laut zu hören, jedoch musste dies nicht zwangsläufig bedeuten, dass auch niemand in der Nähe war. Vorsichtig öffnete Andrew die Tür und spähte auf den finsteren Gang.

    „Alles klar“, flüsterte er über die Schulter. Auf Zehenspitzen trat das Trio aus dem kleinen Raum. Auch wenn es nicht in ihrer ursprünglichen Absicht gelegen hatte, hatte sich dieser Zwischenstopp doch als recht vorteilhaft erwiesen. Klar und deutlich konnten sie den Weg vor sich sehen, während jeder ihrer Feinde im Dunkeln tappte und so marschierten Ryan, Andrew und Birk spontan nach rechts. Theoretisch könnten sie zwar auch zurück gehen und in dem langen Hauptgang weiter nach den Pokébällen suchen, doch da keiner eine Ahnung hatte, wo sie sich hier eigentlich genau befanden und wie groß das Versteck war, blieb ihnen sowieso nichts anderes übrig, als den Weg zu erraten. Dieser hier war so gut, wie jeder andere.

    Langsam schlich die Gruppe voran. Ryan, der die Vorhut bildete, konnte bereits nach wenigen Minuten erkennen, dass in einigen Metern Entfernung eine Weggabelung lag. Wieder knickte der Gang in einem Winkel von 90 Grad nach links und rechts ab. Und genau in diesem Moment ertönte eine Stimme aus dem rechten Gang.

    „Verdammt, ist Phil etwa eingepennt oder einfach nur zu blöd?“, führte eine männliche Stimme ein offensichtlich verärgertes Selbstgespräch. Ryan konnte ein kurzes Schmunzeln nicht unterdrücken. Dank ihnen machte der Beliebtheitsgrad von diesem Phil wahrscheinlich gerade einen gewaltigen Satz nach unten. Jedoch wurde seine Miene wieder ernst, als er durch das Nachtsichtgerät beobachtete, wie sich die Person an der Wand orientierend in ihren Gang begab. Der Mann trug ebenfalls die typische Kleidung von Team Rocket und war ziemlich groß und schlank gebaut. Auch er versuchte die Umgebung vor sich mit einer Hand zu ertasten, während die andere an der Wand entlang glitt.


    Jetzt wurde es richtig heikel. Irgendwie mussten Ryan, Andrew und Birk an diesem Kerl vorbei, ohne dass dieser sie entdeckte. Dass er sie nicht kommen sah, machte die Aufgabe noch lange nicht einfach. Nur ein falscher Laut oder eine Berührung mit dem Typen und alles war aus. Nervös betrachtete Andrew, der an der Spitze ging, seinen Gegenüber, der langsam aber sicher näher kam. Lediglich zwei oder drei Meter lagen noch zwischen ihnen. Er hatte selbst nicht vor, auf ihn zu zugehen, um sich womöglich durch seine eigenen Schritte zu verraten. Für einen Moment wägte er ab, Psiana noch einmal einzusetzen. Es wäre ein harter gamble. Selbst wenn es diesmal gelang, ihn sofort auszuschalten, könnte die Attacke selbst die Gruppe verraten, sofern sich in der Nähe noch mehr Rockets aufhielten. Eventuell würde der Lichtblitz bei der Befreiung ihn schon zu einem alarmierenden Schrei verleiten. Andrew entschied sich daher dagegen, wartete stattdessen ab, bis er bei ihm angekommen war. Da sich der Typ von ihm aus gesehen nur an der linken Wand orientierte, war es rein theoretisch möglich, an ihm vorbei zu gelangen, indem man sich eng an die gegenüberliegende Wand drückte, was er auch augenblicklich taten. Birk und Ryan am Ende zögerten noch eine Sekunde, befanden die Strategie aber für die richtige und machten es ihm daher nach. Unmöglich war es sicher nicht, aber es war durchaus riskant, da der Mann mit der Hand, die er sich voraus hielt, ständig zur Seite schwenkte.

    Nun war er bei ihnen angekommen. Ryan hatte den Atem angehalten, da er befürchtete, er könne seien Anwesenheit entlarven. Der Rüpel prüfte abermals die Umgebung, wobei er beinahe Andrews Schulter berührt hätte. Der frohr an Ort und Stelle fest und schluckte, während sein Herz für einen Moment aussetzte. Angstschweiß hatte sich schon längst auf seiner Stirn gebildet, doch in dieser einen Sekunde floss er geradezu aus ihm heraus. Doch es war überstanden, wenigstens für ihn. Der nervenaufreibendste Teil folgte aber erst jetzt, da der Rocket nun unmittelbar neben Birk war. Der große und kräftig gebaute Professor hätte wohl keine Chance, dem Ertasten des schwarz gekleideten zu entgehen und auch bei ihm waren durch das Nachtsichtgerät dicke Schweißperlen auf der Stirn zu erkennen. Jetzt wurde ihr Glück aufs Äußerste ausgereizt. Ein einziger Schwenker zur Seite und sie wären aufgeflogen. Das durfte einfach nicht passieren. Arceus, bitte lass den Rocket sich ausschließlich nach vorn orientieren, in der Dunkelheit stolpern und auf die Schnauze fallen oder sich einfach in Luft auflösen. Jede noch so absurde Variante war akzeptiert. Nur sollte der Rocket bitte nicht nach links tasten. Ryan schloss für einen Moment die Augen und sandte ein Stoßgebet an alle ihm bekannten Götter dieser Welt. Bislang hatte sie es gut mit ihnen gemeint, das konnte doch jetzt nicht einfach so enden. Nicht ausgerechnet hier!

    Und tatsächlich. Als er seine Lider wieder öffnete, hatte der Mann in Schwarz Professor Birk passiert. Schon jetzt breitete sich große Erleichterung in ihm aus, doch noch war es nicht überstanden. jetzt war er es selbst, der die Ruhe bewahren musste, doch unerwartet machte der schlanke Mann wieder eine Handbewegung zur Seite. Krampfhaft erstarrten die beiden übrigen Gruppenmitglieder und spürten einen bösen Stoß in der Brust, als ihr Herzschlag aussetzte. Für den Bruchteil einer Sekunde sah es so aus, als würde seinen Kopf berühren. Ryan würde künftig, wenn er an diesen Moment zurückdachte oder davon erzählte, selbst nicht fassen können, wie er zu diesem Reflex gekommen war. Er ließ sich an der Wand herabgleiten lassen und entging der Berührung um Haaresbreite. Der Stoff seines Oberteils machte strich glücklicherweise fast völlig lautlos über das Metall und das leise Streichen hatte der Rocket vermutlich nur wegen seiner eigenen Schritte, die auf dem Stahlboden widerhallten, oder aber seines lauten, nervösen Atems wegen nicht vernommen. Ahnungslos setzte dieser seinen Weg fort und geriet mehr und mehr auf Abstand zu dem Trio.

  • Hu ^^


    Zitat

    Es ist eher so, dass er unbewusst doch enttäuscht, vielleicht sogar wütend auf sie ist - das bleibt der Interpretation des Lesers überlassen.

    Ich WUSSTE es. :D


    Zitat

    Ryan und Andrew waren fest entschlossen, den Dieb zu verfolgen und wenn möglich auch gleich die komplette Team Rocket Bande zu erledigen. Wahrlich keine leichte Aufgabe, wenn man nur zu zweit war und einer nur ein einziges Pokémon bei sich führte.

    Ja wahrscheinlich wird das keine Aufgabe sein. :D


    Ich muss nochmal sagen, dass Cody eben so typisch Zehnjähriger ist, dass es echt erfrischend ist. Er schaut betreten zu Boden, kämpft mit Tränen und so... ^^ Wie ich bereits in meinem vorigen Kommentar gesagt habe, gefällt mir das. ^^


    In dem Kapitel wird es wirklich spannend. ^^ Allerdings dacht ich mir am Anfang schon, dass es eigenartig ist, dass man falsche Pflanzen so schnell erkennt. Dann könnten sie gleich ein Werbeschild aufstellen: Hier geht's zu Team Rocket. =D Das finde ich, hast du ihnen ein wenig zu einfach gemacht. Obwohl das auch langweilig gewesen wäre, wenn sie da zwei Kapitel lang herumgesucht hätten, anstatt dass sie endlich die Basis auffinden.
    Okay, das ist die eine Sache, die andere ist, dass ich es gut finde, dass sie sich größteils unauffällig benommen haben und sich nicht gleich wie die bescheuersten Idioten mit denen ins Gemetzel gestürzt haben, sondern versucht haben unauffällig zu bleiben und Schritte anscheinend auch ein wenig durchdacht haben. Ryan traut sich da was, dass er selbst ohne Pokemon da hineingeht. Auch, wenn sein bester Freund bei ihm ist, er ist irgendwie trotzdem ... schutzlos. Zumindest, wenn er von den anderen getrennt wird.
    Aber da kommt ja wohl noch was, du wirst sie ja wohl ganz ungeschoren da rauslassen, denke ich.
    Das mit der Schranktür... genial. :D