Kapitel 10: Can´t turn back.
Erst nachdem der ahnungslose Mann außer Sichtweite war, wagte Ryan es, sich von der Wand zu lösen und erleichtert aufzuatmen. Für solche Dinge fehlen ihm auf Dauer doch die Nerven. Das würde er sicher kein zweites Mal überstehen. Seine Brust schmerzte tatsächlich vom Herzschlag. Ein Wunder, dass der Rocket ihn nicht gehört hatte. Andrew war bereits ein paar Schritte voraus gegangen und riskierte einen Blick um die Ecke in die zwei anderen Gänge. Links führte der Weg ganz normal weiter geradeaus. Eine Tür oder eine weitere Abzweigung war nicht in Sicht. Auf der rechten Seite jedoch endete der Gang nach einigen Metern in Form einer Holztür, wie sie sie zuvor bereits gesehen hatten. Zwar gab es keine stichhaltigen Hinweise, dass sich dort drinnen die gestohlenen Pokébälle oder auch nur ein paar von ihnen befanden, doch wenn der Raum nun schon so nahe lag, konnte es sicher nicht schaden, ihn einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Kurz drehte Ryan sich um, um die zwei Nachzügler wissen zu lassen, welche Richtung sie einschlagen würden. Sie nickten, als er in den rechten Flur deutete. Möglichst lautlos huschten sie um die Ecke und positionierten sich in gebückter Haltung vor der Tür. Sie besaß ebenfalls ein Glasfenster und auch wenn im Inneren die gleiche Dunkelheit wie hier draußen herrschte, blieben sie vorsichtig. Immerhin könnte ein weiterer Rocket Agent dort drinnen auf das Wiedereinschalten des Stromes warten. Wenn dieser erst einmal wieder lief, dann wäre eine offene Begegnung mit einem solchen überaus kontraproduktiv. Ryan schloss zu den anderen Beiden auf und spähte durch die Scheibe. Der Raum, der dahinter lag, war sehr klein und beherbergte keine Schreibtische, Schränke oder ähnliches. Jedoch standen einige aufeinandergestapelte Kisten herum, was einen kleinen Hoffnungsschimmer aufkeimen ließ. Ein Lagerraum lag hier verborgen. Vielleicht waren sie hier fündig geworden. Ohne Weiteres öffnete er die Tür und winkte gleich danach Andrew und Birk herein, sah sich vorsichtshalber nochmal auf dem Flur um, ehe er sie gleich wieder schloss. Sofort machten sich alle daran, die Kisten zu inspizierten. Verschiedene Formen und Größen waren unter ihnen, doch allesamt bestanden aus festem Eichenholz. Die Oberseite war nicht zugenagelt, stattdessen waren die Deckel einfach nur darauf abgelegt worden, ohne die Kisten zu schließen. Eine überaus günstige Tatsache, denn so konnte man deren Inhalt in Erfahrung bringen, ohne Lärm zu verursachen. Neugierig öffnete Andrew eine besonders große Kiste in perfekter Würfelform. Was er darin fand, konnte er jedoch zunächst nicht richtig einordnen.
„Seht euch das mal an“, forderte er mit nicht mehr ganz so stark unterdrückter Stimme. Ryan und der Professor traten heran, wie ihnen geheißen war und schauten nicht weniger verwundert als es Andrew tat. In der Kiste befand ich eine Art Statue, scheinbar aus Marmor. Es handelte sich dabei um eine Skulptur des legendären Mew. Die Farbe war durch die Nachtsichtgeräte nicht zu bestimmen, da man durch diese hindurch alles nur in Grüntönen sah, doch allein von der Detailreichen Feinarbeit her wirkte es beinahe lebensecht. Zweifellos die Arbeit eines überaus begabten Künstlers.
„Das habe ich schon mal gesehen“, warf Professor Birk plötzlich ein. Neugierige und überraschte Blicke der beiden Trainer legten sich auf den Kittelträger.
„Ja, das stammt aus der Ausstellung in Wurzelheim“, bestätigte er deren stumme Frage. Richtig, eine solche hatte er vorhin erwähnt.
„Ein überaus wertvolles Stück. Die Statue wurde erst kürzlich in einer Ruine gefunden, die seit tausenden von Jahren niemand mehr betreten hatte. Doch trotz ihres Alters hat sie nicht einen Kratzer.“
Nun kam es auch Ryan wieder ins Gedächtnis, dass Officer Rocky zuvor erwähnt hatte, dass einige antike Stücke aus Wurzelheim verschwunden waren. Für eine Sekunde fragte er sich, welchen Zweck solche Überbleibsel ausgestorbener Kulturen für Team Rocket haben sollten, doch wahrscheinlich hegten sie mit dem Diebstahl solcher Gegenstände nur die primitive Absicht, sie für viel Geld zu verkaufen. Oder aber die Polizistin hatte mit ihrer Vermutung, Team Rocket wolle sich endgültig in Hoenn niederlassen, geirrt und sie verfolgten ganz andere Ziele. Vielleicht vermuteten sie irgendwo in Wurzelheim einen Gegenstand, der von anderem Interesse war, als von finanziellem. Immerhin besaß manch ein reicher Sammler auf dieser Welt sicher Dinge, deren wahrer Zweck und Bedeutung viel tiefer reichten, als sich erahnen ließ. Doch das waren nur Vermutungen. Eine solche Kenntnis über alte Artefakte traute er einer Diebesbande nicht zu. Sie wollten nur Macht und Geld. Von letzterem bekam man für ein Stück wie dieses hier auf dem Schwarzmarkt sicher eine hübsche Stange.
Neugierig durchsuchte die Gruppe einige weitere Kisten. Ryan hockte gerade vor einem Exemplar in Form eines Quaders gefertigte, das ein antikes Zepter beinhaltete. Darauf war etwas in alter Icognito-Schrift eingraviert worden. Stammte dieses Relikt aus Johto? Wohl war ebenfalls Bestandteil der Ausstellung, aber auch nach vielen weiteren Versuchen fanden sich keine Pokébälle, sodass er resignierend seufzte. Schön und gut, dass das Museum sein Eigentum zurückbekommen würde, doch der Wert der Pokémon war für deren Trainer nicht mit Geld aufzuwiegen. Sie waren es, was es hier wirklich und unbedingt zu finden galt.
Dann hielt Ryan inne. Sein Blick war auf eine sehr kleine Kiste gefallen, die unscheinbar in der Ecke stand. Sie war gerade hoch und breit genug, damit er seine Hand darin vergraben konnte, also mit Abstand die kleinste in diesem Raum. Ryan konnte selbst nicht genau sagen, warum sie auf einmal seine Aufmerksamkeit erregte. Möglicherweise war ihm die geringe Größe suspekt und weckte daher seine Neugier. Vielleicht war es auch Intuition, eine Vorahnung oder sonst irgendwas in der Richtung, doch in diesem Augenblick interessierte ihn alles andere um ihn herum kaum noch. Irgendetwas ging von diesem Behältnis aus, das er nicht betiteln konnte, ihn regelrecht anlockte und dem er nicht widerstehen konnte. Er öffnete den Behälter langsam und vorsichtig. Er hatte ja keine Ahnung, welch Schicksal er damit für sich besiegelte.
Auf einem Seidenkissen thronte ein kristallener Gegenstand. Zuerst kam Ryan der Gedanke, es könnte ein einfaches Juwel, wie ein Diamant oder Smaragd sein, doch erschien das in der nächsten Sekunde bereits unmöglich. Der Gegenstand schimmerte und leuchtete von innen heraus, sonderte ein zartes Licht ab. Unter seiner Oberfläche schien förmlich ein Nebelschleier oder eine Art Rauch zu wabern, was den Orb in einen mystischen, bezaubernden Mantel der Mystik tauchte.
Ryan blickte kurz über die Schulter hinüber zu Andrew und Professor Birk, welche weiter die Kisten durchstöberten. Sie hatten ihm den Rücken gekehrt, sodass sie keine Kenntnis von Ryans Fund nahmen. So riskierte dieser es, sein Nachtsichtgerät für einen Moment abzunehmen, um den Orb mit seinen eigenen Augen betrachten zu können. Das Licht, in dem er badete, war ein liebliches Naturgrün, welches ihn zunächst doch als einen einfachen Smaragd erscheinen ließ. Doch es war mehr, viel mehr als nur das! Ryan konnten dies fühlen. Er wollte ihn berühren, seine Oberfläche spüren, ihn in seinen Händen wiegen.
Langsam streckte er seine Hand aus. Sein Herz schlug immer schneller. Fast konnte er den schnellen Rhythmus in seinem ganzen Körper spüren. Seine Augen wurden immer größer und er schluckte einmal, bevor er seine Finger vorsichtig um das herrliche Objekt schloss. Sein Licht war zu schwach, um die Aufmerksamkeit der beiden anderen zu erregen, was wohl auch den Nachtsichtgeräten geschuldet war. Die Oberfläche war glatt und hart und schien von mehreren Seiten geschliffen. Allerdings besaß er keine symmetrische Form, sondern zeigte mit diversen Ecken und Kanten willkürlich in alle Richtungen. Zwei weitere Punkte, die einen annehmen lassen könnten, dass es sich doch nur um einen Smaragd handelte - wenn auch einen riesigen, da er fast Ryans gesamte Handfläche ausfüllte. Ein Idiot musste man sein, um dies zu glauben, wenn man die vollkommene Schönheit unter der glanzvollen Fassade des schillernden Farbenspiels betrachtete. Fast war er gewillt, seine Lederhandschuhe auszuziehen, um das Gefühl auf seiner Haut spüren zu können, doch das Öffnen der Klettverschlüsse hätte wohl endgültig die Aufmerksamkeit seiner beiden Begleiter erregt. Doch nicht nur sein herrliches Aussehen faszinierte Ryan. Sein Geist wurde erfüllt von einer befreienden Sorglosigkeit. Er fühlte sich, als gäbe es kein einziges Problem für ihn auf dieser Welt, um das er sich kümmern müsste. Gewöhnliche Bedürfnisse waren fort, weggespült. Alles was er brauchte, hatte er mit dieser materiellen Verkörperung von Schönheit und Vollkommenheit erlangt, umrankt von tausend Geheimnissen, die er entschlüsseln wollte.
Seit er den Orb berührt hatte, war ihm alles um ihn herum völlig egal geworden, hatte es sogar beinahe vergessen. Wozu sich die Mühe machen, einige gestohlene Pokébälle zu finden, die nicht einmal seine waren? Für was um alles in der Welt betrieb er diesen Aufwand? Was kümmerte ihn der Verlust Anderer überhaupt? Was musste er deren Probleme zu seinen eigenen machen? Um was musste man sich denn schon sorgen, wenn man etwas so Schönes in der Hand hielt?
Unverhofft und wie aus dem Nichts schlug jene Schönheit brutal zurück. Ryan war, als würde seinen Eingeweiden ein Schlag mit der flachen Hand versetzt werden. Seine Augen weiteten sich und die Pupillen zitterten, während ein elendes Schwindelgefühl seine Sinne erfüllte und ihm plötzlich ein pfeifender Ton im Ohr lag. Fast verlor er das Bewusstsein. Geradeso bewerkstelligte er es, sich nach vorne zu beugen, um sich auf die Arme stützen zu können. Ryan sog scharf Luft ein und schüttelte einen Moment den Kopf, während sein Herz, das eben noch wie wild gepocht hatte, für den Bruchteil einer Sekunde stehen blieb und gleich im Anschluss wieder einen gleichmäßigen, wenn auch unruhigen Takt annahm. Was hatte er da gerade eben noch gedacht? Die Pokébälle – egal? Dass der Verlust der anderen Trainer nicht sein eigene und daher nicht relevant war? Das konnte doch nicht er gewesen sein, der das gedacht hatte! Wurde er verrückt?
Verdutzt betrachtete Ryan erneut den grünen Orb, doch diesmal mit Skepsis und Verwunderung. Er war sich nicht sicher, was er von dem halten sollte, was er gerade erlebt hatte. Das Gefühl, dieses berauschende Gefühl als er sich dem Orb ganz hingegeben hatte... es hatte sich gut angefühlt. Er war so schön, so anziehend, so geheimnisvoll...
„Jackpot, ich hab die Pokébälle gefunden!“
Andrews Stimme riss Ryan aus seinen Gedanken. Erschrocken fuhr er hoch und blickte hinüber zu den andere Beiden. Professor Birk war sofort aufgesprungen und herangeeilt, um den Fund mit eigenen Augen bestaunen zu können. Er konnte glatt heulen vor Freude. Ryan überlegte eine Sekunde lang fieberhaft. Wenn er den Orb hier zurückließ, würde die Polizei ihn später mitsamt dem Rest wieder zurück zur Ausstellung bringen. Das wäre gut und richtig so. Aber er wollte ihn auf keinen Fall wieder hergeben, wollte nicht auf seinen Anblick verzichten müssen. Noch auf das Gefühl, ihn zu halten. Er hatte noch nie in seinem Leben etwas gestohlen. Für Ryan war es schon immer völlig unsozial und unmenschlich gewesen, Gegenstände an sich zu nehmen, die ihm nicht gehörten. So rätselte er einen Moment lang, welches Verlangen in ihm größer war – den Orb zu behalten oder an seinen Prinzipien festzuhalten. Notgedrungen traf er einen schnellen Entschluss, da sich seine beiden Begleiter ihm zu jeder Sekunde zuwenden konnten. Mit einer flinken Bewegung ließ er den Orb in die Tasche seines Sweatshirts gleiten.
Ryan schloss schnell die kleine, nun leere Kiste und stand abrupt auf. Nun wieder durch das Nachtsichtgerät blickend, sah er zu den beiden anderen hinüber. Für einen Moment hielt Ryan angespannt den Atem an und beobachtete sowohl Andrew als auch den Professor sehr präzise, stellte dann aber erleichtert fest, dass sie nichts von seinem Diebstahl bemerkt hatten. Ihre Aufmerksamkeit was völlig von den Pokébällen beansprucht. So trat er nun an die zwei heran und inspizierte ebenfalls den Inhalt der Kiste. Kein Zweifel, das mussten restlos alle sein, die gestohlen worden waren. Die Menge musste sich zumindest schätzungsweise mit der von Officer Rocky berichteten decken. War jedenfalls schwer vorstellbar, dass Team Rocket noch mehr hatte erbeuten können. Professor Birk konnte sogar einen seiner drei eigenen Exemplare wiederfinden, was wohl auf deren Zustand zurückzuführen war. Die meisten darunter waren recht zerkratzt und schmutzig, wiesen deutliche Gebrauchsspuren auf, während die des Professors nicht einen Makel besaßen. Klar, wenn man einem neuen Trainer sein erstes Pokémon überreichte, musste der dazugehörige Pokéball in einwandfreiem Zustand sein. So fischte der Pokémonprofessor den Pokéball für Cody heraus und steckte sie in seine braune Umhängetasche. Prüfend warf er einen weiteren Blick in die Holzkiste und wühlte ein wenig in dem Ballhaufen, in der Hoffnung, die anderen beiden ebenfalls zu finden. Und tatsächlich...
„Ja, hier ist noch einer aus meinem Labor“, stellte Birk freudig fest, was Ryan dazu veranlasste seine Euphorie etwas zu bremsen. Er war etwas zu laut geworden, weshalb sich Andrew gleich zur Tür begab und nach draußen spähte. Es war weiterhin niemand in Sicht. Birk suchte weiter nach dem letzten seiner Pokebälle. Sicher war er viel zu sehr in Sorge um seine Schützlinge, um sie auch nur für eine weitere Minute hier herumliegen zu lassen. Ryan kannte dieses Gefühl gut. Würde er in dieser Kiste auch nur ein einziges von seinen eigenen vermuten, würde er das Ding notgeringen auskippen, um den richtigen Ball wiederzufinden. Daher konnte er den Professor gut verstehen, was angesichts der Tatsache, dass ihm die gestohlenen Pokémon eben noch völlig egal gewesen waren, doch als recht seltsam erschien. Es half jetzt allerdings überhaupt nichts, darüber zu spekulieren und sich in Grübeleien zu verirren. Weder Ort noch Zeit waren richtig dafür. Stattdessen half er bei der Suche nach dem dritten Pokéball. Im Prinzip musste er nur den heraussuchen, der einen absolut einwandfreien Zustand aufwies. Als jedoch nach minutenlangem Wühlen weder er noch Birk oder Andrew das gesuchte Objekt gefunden hatte, machte sich ein wenig Ratlosigkeit in der Gruppe breit. Das konnte doch jetzt nicht sein, dass ausgerechnet dieser eine Pokéball fehlte!
„Giebt´s denn das?“, fluchte Andrew als würde es hier um sein eigenes Pokémon gehen und krämplete abermals des gesamten Kisteninhalt um. Ryan stützte sich dagegen resignierend auf die Kante.
„Er ist wohl nicht hier.“
Obwohl Andrew und Birk längst dasselbe gedacht hatten, zeugten ihre Reaktionen nicht gerade von Zustimmung. Man weigerte sich, die Tatsachen zu akzeptieren. Während der Professor stur weitersuchte, als ob nichts gewesen wäre, breitete der ältere der beiden Trainer frustriert die Arme aus.
„Wo soll er denn bitte sonst sein?“
Der giftige Unterton gefiel Ryan überhaupt nicht. Er war schließlich nicht derjenige, der die Bälle gestohlen oder den bislang vergeblich gesuchten versteckt hatte Dafür hatte er etwas anderes gestohlen. Fast automatisch wollte seine rechte Hand nach dem grünen Orb in seiner Jackentasche tasten, doch er widerstand der Versuchung, danach zu greifen. Zu groß war die Gefahr, dass Andrew etwas bemerken würde. So schüttelte er diesen Gedanken ab und gab schließlich eine nicht minder gereizte Antwort.
„Rede nicht mit mir als wäre ich für den ganzen Dreck verantwortlich!“
Dieser leichte Ausbruch – Ryan hatte darauf geachtet, seine Stimme noch stark genug zu zügeln, damit niemand ihn von draußen hören konnte – blieb unkommentiert, doch Andrews Blick sprachen für sich. Selbst mit dem futuristischen Gerät auf der Nase. Er hatte es ebenso wenig wie er selbst verdient, wegen der aktuellen Situation beschimpft zu werden. Das realisierte Ryan nun auch, doch anstelle einer Entschuldigung wandte er sich von den Kisten ab und trat an die Tür heran. Die Situation schien ihnen langsam ans Gemüt zu gehen. Sie mussten sich zusammenreißen.
Vor seinen Gedanken flüchtend warf er nun ebenfalls einen frustrierten Blick durch das darinsitzende Fenster, der ihm verriet, dass der Strom wohl noch immer nicht wieder eingeschaltet worden war. Niemand war auf dem Flur zu sehen oder zu hören.
„Wir sollten zusehen, dass wir hier rauskommen.“
Damit zog er zwei entgeisterte Blicke auf sich. Andrew musste all seine Beherrschung aufbringen, um es mit der Lautstärke nicht zu übertreiben. Dabei war ihm fast nach Schreien zumute.
„Was soll das denn jetzt? Wir können die Pokébälle nicht einfach hierlassen! Und dem Professor fehlt auch noch einer!“
Ryan ließ keine Pause entstehen, antwortete fest und bestimmend, kaum dass die letzte Silbe des Protests geendet hatte.
„Willst du die ganze Kiste hier raustragen, oder was?“
Eigentlich müsste er von allen Kisten sprechen, da die gestohlenen Pokémon zwar Priorität hatten, aber er auch die Reliquien nur äußerst ungern Team Rocket überlassen würde. Er wollte diesen Typen rein gar keine Beute gönnen!
Ryan atmete einmal geräuschvoll aus und versuchte Andrew etwas Vernunft einzureden. Er wollte ja auch am liebsten alles sofort einpacken und zurückbringen und vor allem Birks letzten Pokéball finden. Aber er befand, dass sie es weit genug getrieben hatten. Vielleicht gingen ja auch ein bisschen die Nerven mit ihm durch, doch eingestehen würde er sich das nicht.
„Wir können froh sein, dass wir´s unentdeckt bis hierher geschafft haben. Weiter sollten wir unser Glück nicht ausreizen. Wir wissen, wo das Versteck und das Diebesgut ist. Das reicht für´s Erste. Ich halte es für klüger, wir belagern den Eingang und warten auf Rockys Polizeitruppe. Einer von uns kann zurück zum Labor und Bescheid geben.“
Es herrschte einige Sekunden Stille nach diesem Vorschlag. Ryan war sich durchaus bewusst, dass man selbigem mindestens mit einem Hauch Wiederwillen Folge leisten würde, war aber sicher, hiermit die beste Vorgehensweise gefunden zu haben.
„Die können hier schließlich genauso wenig einfach alles rausschaffen, wie wir. Und das letzte Pokémon aus dem Labor wird sich schon noch finden.“
Auch damit hatte Ryan ein stichhaltiges Argument. Wenn sich zwei Stück hier befanden, musste Nummer drei auch irgendwo sein. Schließlich waren sie alle von derselben Person entwendet worden. Birk, der die Suche mittlerweile endgültig aufgegeben hatte, richtete sich auf und sah rüber zu Andrew. Jeder Trottel konnte erkennen, dass er hier nicht bloß halb verrichteter Dinge wieder abziehen wollte. Aber was war die Alternative? Einfach alles raustragen? An so einen Schwachsinn brauchten sie gar nicht erst denken.
„Ich stimme Ryan zu“, pflichtete der Professor trotz einem Rest an Ernüchterung bei. Andrew, der von der neuen Situation wohl am wenigsten begeistert war, seufzte resignierend. Er hatte sich sehr gewünscht, hier gänzlich fertig zu sein, bis Officer Rocky eintraf, aber allein konnte er das ganze Versteck bestimmt nicht ausräuchern. Draußen ließe sich die Polizistin sicher auch kontaktieren. Hier unter der Erde würde das garantiert nicht funktionieren. Und wenn sie dem Fund dieses Verstecks nicht die zuvor verhandelte Priorität einräumen konnte, wüsste er auch nicht mehr weiter.
Gerade als Andrew doch seine Zustimmung geben wollte, durchzuckte ganz plötzlich ein blendender Schmerz seine Augen. Reflexartig kniff er diese zusammen und wankte für einen Moment irritiert auf seinen Beinen.
„Verdammte...“, stieß Ryan, den eigentlichen Fluch hinunterschluckend, wütend hervor, was wohl bedeutete, dass es ihm nicht besser erging und dem Professor folglich auch nicht. Es war sofort klar, warum alle drei so plötzlich geblendet wurden. Das Licht war wieder angegangen.
Zwar war die Beleuchtung hier unten lediglich auf die Kraft einiger weniger Glühbirnen an der Decke beschränkt, jedoch reichte ihre Stärke völlig aus, um das Trio dank der Nachtsichtgeräte durch ein unerträglich helles Licht für einige Sekunden zu desorientieren. Instinktiv riss Ryan sich das Gerät von seinem Kopf und rieb sich die Augen. Auch wenn der Raum, in dem sich die drei befanden, nur wenige schwache Lichtquellen besaß, konnte er zunächst nur durch schwach geöffnete Lider und stark blinzelnd seine Umgebung fahl erkennen. Team Rocket hatte das Stromproblem also behoben. Nicht dass Ryan angenommen hatte, hier ewig im Dunkeln zu bleiben, doch er hatte gehofft, dass sie wenigstens den Weg nach draußen im Schutz der Dunkelheit antreten konnten, bevor sie sich wieder bei Licht auf die Flure begaben. Eben diese Aufgabe wurde durch diese neuen Umstände erheblich erschwert, was die Moral der Gruppe spürbar drückte. Nicht weniger beunruhigend war die Tatsache, dass hier augenblicklich alle Alarmglocken angehen würden, sobald dieser Phil, wie er zuvor noch genannt worden war, wieder zu sich kam und die Anwesenheit dreier Eindringlinge ausplauderte, was nur eine Frage der Zeit war. Dies setzte das Trio zusätzlich unter Druck, doch ein Zurück gab es schon längst nicht mehr. Entweder sie boxten sich hier irgendwie durch oder sie konnten sich Team Rocket gleich stellen.
„Na gut“, seufzte Andrew schließlich. Lamentieren half jetzt auch nichts. Sie mussten die neue Situation akzeptieren und sich anpassen.
„Wenn wir hier rumsitzen, wird auch nichts besser. Sehen wir zu,...“
„Warte“, unterbrach Ryan plötzlich. Schlagartig herrschte Ruhe in dem kleinen Raum, nicht jedoch außerhalb von diesem.
„Hört ihr das?“, erkundigte er sich. Jedoch wartete er nicht auf eine Antwort, sondern trat nahe an die Tür heran und lauschte aufmerksam. Er war sich mehr als sicher, eben noch etwas gehört zu haben. Und tatsächlich konnte er die dumpfen Klänge von Schritten vernehmen, die auf den harten Stahlplatten widerhallten. Einmal mehr war Ryan froh darüber, dass der Boden derart ausgelegt war. Andrew und Birk horchten ebenfalls und schienen das anhaltende und langsam lauter werdende Geräusch ebenfalls zu registrieren. Zudem wurden sie nun von den Stimmen von mindestens zwei sich unterhaltenden Personen begleitet.
„Dieser dämliche Stromausfall versaut uns unseren ganzen Zeitplan“, motzte eine junge Männerstimme. Die zweite Person – dem Ton nach ganz offensichtlich eine Frau – schien nicht auf das Thema einzugehen, sprach dafür aber viel interessantere Worte.
„Dieses Hydropi soll also aus dem Labor dieses Pokémonprofessors sein?“, fragte sie leicht ungläubig klingend. Ryan, Andrew und Birk wurden augenblicklich hellhörig, während sich ihre Augen schlagartig weiteten.
„Wenn ich´s dir doch sage, ich hab´s schließlich selbst mitgehen lassen. Wäre dabei fast am Sack gekriegt worden, weil mich so ´n dämlicher Junge verfolgt hat.“
„Ich mein ja nur. Wenn du mich fragst, sieht dieses Hydropi schon recht alt aus, um einem neuen Trainer übergeben zu werden.“
Fragende Blicke seitens der beiden Trainer aus Silber City fielen auf Professor Birk, worauf dieser sich leicht verlegen und schuldbewusst wirkend am Hinterkopf kratzte. Ryan schüttelte diesen Gedanken gleich wieder ab und konzentrierte sich. Für so etwas war es nun bei weitem nicht der richtige Zeitpunkt. Viel interessanter war, dass sich genau dort draußen der Dreckskerl befand, der ihm bei der Verfolgung im Wald noch entwischt war. Vorsichtig lugte er aus dem Glasfenster, das in der Tür saß und spähte auf den Flur. Genau von geradeaus kamen zwei voll in schwarz gekleidete Rockets. Die Frau war Ryan gänzlich unbekannt und er musterte sie einen Moment lang. Sie war ziemlich klein und äußerst schlank. Unter ihrer Baskenmütze war lediglich ein roter Haaransatz zu erkennen, da die Frisur offensichtlich hochgesteckt war und von der Kopfbedeckung verdeckt wurde. Keine Anzeichen also, dass sie von größerer Bedeutung war. Es handelte sich nur um eine weitere kleine Diebin, also schenkte er ihr auch keine weitere Aufmerksamkeit.
Der Mann war im Grunde auch nur ein schmieriger Handtaschendieb, doch war er eben jener aus dem Labor des Professors. Nun, da er ihn einer genaueren Betrachtung unterziehen konnte, erkannte er, wie klein der Mann tatsächlich war. Wirkte selbst neben der rothaarigen Frau schlank und fast schon etwas zerbrechlich. Auch waren beide noch sehr jung. Die Volljährigkeit konnten sie vor nicht allzu langer Zeit erlangt haben. Seinem Äußeren widmete sich Ryan allerdings nur sehr kurz, denn viel mehr interessierte ihn das, was er in seinen Händen hielt. Es war ein kleiner Metallkäfig in dem ein kleines, blaues Pokémon saß. Auf dem Gehäuse lag ein Pokéball – wohl der des gefangenen Wesens.
„Und was sollte die Untersuchung vorhin jetzt eigentlich bringen?“
„Nur den allgemeinen Zustand checken. Der Doc will keine schwachen oder kranken Pokémon für die Forschung“, antwortete der junge Mann.
„Heißt das, wir müssen jeden einzelne von den Viechern ins Labor schaffen?“
„So sieht´s aus.“
Das genervte Stöhnen der Frau war unüberhörbar. Ryans Augen waren während der Unterhaltung groß geworden. Die trugen die Pokémon also zu einem Doktor und wieder zurück. Was bedeutete, sie würden gleich den Lagerraum öffnen, in dem er sich zusammen mit Andrew und Birk aufhielt!
„Na wenigstens müssen wir die anderen nicht im Käfig hinschleppen“, seufzte die Frau noch.
„Wie hast du´s eigentlich hingekriegt, den Pokéball von dem Vieh zu beschädigen?“
Den faden Ausreden und Erklärungsversuchen schenkte Ryan schon gar kein Gehör mehr. So, so. Beschädigt also. Das erklärte, warum das Pokémon in einem Käfig transportiert wurde. Es konnte vorkommen, dass ein solcher Pokéball das entsprechende Pokémon nicht mehr einzuziehen vermochte. Nur vor dem Fang durch einen anderen Trainer war es dann noch geschützt und meist ließ sich der Schaden leicht beheben.
Nun stellte sich die Frage, was sie tun sollten. Eine Konfrontation mit den Beiden schien ab hier unausweichlich. Sich hinter oder gar in den Kisten zu verstecken, schien aussichtslos. Die waren nicht groß genug. Fand sich hier vielleicht erneut ein Gegenstand, mit dem man die zwei K.O. schlagen könnte, wie Ryan es bei Phil getan hatte? Oder sollten sie doch das Risiko mit Psiana eingehen?
Durch stumme Blicke tauschten die beiden Trainer und der Pokémonprofessor diese Fragen aus und wirkten dabei recht ratlos. Aus der Not heraus langte Andrew jedoch bereits nach einem Pokéball.
Die Entscheidung wurde ihnen nur eine Sekunde später abgenommen, da sich ihre Tarnung von alleine auflöste. Eine schrille Sirene dröhnte urplötzlich laut an ihre Ohren, während von irgendwoher eine Stimme aus einigen nicht sichtbaren Lautsprechern ertönte.
„Achtung, Alarmstufe Rot! Mehrere Eindringlinge im Komplex gesichtet! Wiederhole. Eindringlinge gesichtet, Alarmstufe Rot!“
Anscheinend war dieser Phil wieder zu sich gekommen und hatte sie verpfiffen. Ihre Anwesenheit war nun allgemein bekannt, was bedeutete, dass sie hier schleunigst die Kurve kratzen mussten. Jedoch nicht ohne dieses Pokémon, welches die Frau eben noch als Hydropi benannt hatte, zu befreien. Allerdings befand sich die Dreiergruppe nun gewaltig unter Druck, da die beiden Rockets sich nun aufmerksam auf dem Flur umsahen und der Blick des Mannes schließlich an eben jener Tür hängen blieb, hinter der sie sich verbargen. Ryans Herz schlug nun wie ein Hammer gegen seinen Brustkorb. Er konnte zwar nicht wissen, was in dem Kopf des Rockets vorging, doch so eindringlich, wie er zu ihnen herübergesehen hatte, musste er ihn bemerkt haben oder war möglicherweise von selbst auf den Trichter gekommen, dass sich in dem dahinter liegenden Raum jemand verstecken könnte. Damit läge er ja auch goldrichtig und eben dies schien auch Andrew gerade zu erahnen. Anders konnte Ryan sich die überstürzte Reaktion seinerseits nicht erklären.
Er stieß nämlich urplötzlich die Tür auf und rannte hinaus auf den Flur, direkt auf die beiden schwarz gekleideten zu. In den Augen der zwei Diebe spiegelte sich deutliche Überraschung und Verwunderung, was Grund zur Annahme ließ, dass sie die Gegenwart der Eindringlinge wohl doch nicht bemerkt hatten. Umso ärgerlicher war die Tatsache, dass Andrew seine Begleiter nun ebenfalls mit in die Scheiße ritt. Doch der schien gar nicht mehr zu denken, schien gar in einem Rausch zu sein, als er auf das Ziel zu stürmte. Einer Dampfwalze ähnlich warf er sich mit der Schulter in seine Ziele und stieß beide in den Torso. Alle drei fanden sie sich auf dem Boden wieder, aber nur zwei Drittel der Beteiligten stöhnten wütend. Der Käfig mit Hydropi war laut krachend auf den Stahlboden aufgeschlagen. Aufgeregt und ängstlich schrie das Pokémon auf und kauerte sich in Anbetracht des plötzlich herrschenden Lärms zusammen.
Äußerst schnell, wenn auch schmerzvoll grunzend machte der schlanke Mann Anstalten, wieder aufzustehen, wobei er bedrohlich auf Andrew herabsah. Was der sich wohl gerade für einen Racheakt im Kopf zusammenschusterte? Geradeso konnte er aus dem Augenwinkel noch erkennen, wie ein zweiter Jugendlicher auf ihn zu rannte, bevor ihm dieser sein Knie in die Seite rammte. Erneut stöhnte er auf, hielt sich mit beiden Händen die getroffene Stelle und krümmte sich auf dem Boden. Der Treffer hatte ihm ein, zwei Organa durchgeschüttelt und bewirkte fast einen Brechreiz. Professor Birk war ebenfalls herangeeilt und bückte sich sofort nach dem Käfig des verängstigten Hydropi sowie dessen Pokéball.
„Keine Angst mein Freund, du bist gleich wieder in Sicherheit“, sprach der dem Pokémon zu. Die kläglichen Laute verstummten augenblicklich. Natürlich erkannte Hydropi das Gesicht des Professors wieder und das fürsorgliche Lächeln, das dieser ihm nun schenkte, schien es ein wenig zu beruhigen. So machte sich ein wenig Hoffnung in seinem Gesicht breit. Hoffnung auf baldige Freiheit, fort von deisem ominösen Gestalten.
„Finger weg“, kreischte die rothaarige Frau ihn an, als auch diese sich nun langsam aufrappelte. Sie wirkte wie ein rasendes Snobilikat und der Professor erstarrte für einen Moment angesichts dieser Furie. Doch gerade als sie auf ihn zuspringen wollte, griff Andrew, der noch immer am Boden lag, nach ihrem Standbein, sodass sie zu Fall kam und mit dem Gesicht ungeschützt auf den Stahl knallte. Schmerzvoll hielt sie sich die Hand vor den Mund und krümmte sich neben ihrem Partner auf dem Boden zusammen. Wäre wenig verwunderlich, wenn sie sich bei dem Sturz die Nase gebrochen oder einige Zähne verloren hatte. Tatsächlich tropfte etwas Blut durch ihre Finger. Doch Mitleid ließen Ryan und Andrew dem Diebesgesindel nicht eine Sekunde lang zukommen. Eher würden sie noch einmal nachtreten. Stattdessen ergriffen sie aber lieber die Flucht.
Von dem Jüngsten im Bunde angeführt rannten sie den Gang entlang, den sie hierher gekommen waren. Birk hielt nach wie vor den Käfig mit Hydropi in seinen Händen, während Andrew die Nachhut bildete. Sie passierten sehr bald die Tür, welche zu dem Raum führte, in dem sie die Nachtsichtgeräte gefunden hatten. Nun lagen selbige achtlos auf dem Boden des Lagerraumes und leisteten den gestohlenen Stücken aus dem Museum Gesellschaft. Folglich knickte der Weg nun ab und führte zurück die die Kreuzung, von welcher aus die Gruppe zu Beginn ihrer Suche in den Nebengang gezwungen worden war. Natürlich erinnerten sich noch jeder an die Richtung und so bogen sie allesamt nach rechts ab.
„Hey, stehen bleiben!“, ertönte auf einmal eine kraftvolle Männerstimme hinter ihnen. Ein weiteres Team Rocket Mitglied hatte die Flüchtenden erspähte und die Verfolgung aufgenommen. Mit dem im Schlepptau rannten Ryan, Andrew und Birk den quälend langen Gang entlang und beteten innerlich, dass sie bald den Ausgang erreichen würden. Das Adrenalin quoll nun geradezu über. In seiner Hektik hatte Ryan beim Laufen kurzzeitig das Atmen vergessen, weshalb er bereits geräuschvoll schnaufte und nach Luft rang. Doch energisch wie er war, verlangsamte er seinen Lauf nicht, versuchte sogar noch, sein Tempo zu steigern. Andrew ging es ähnlich. Er drehte sich gar nicht erst nach dem Verfolger um. Abhängen würden sie ihn sowieso nicht und sein Gesicht zu sehen, brachte ihm keinen Vorteil. Letztlich erreichte das Trio nun die Einstiegsluke, durch die sie das Versteck betreten hatten. Sie war nach wie vor offen und erlaubte den Einlass von hellem Tageslicht, welches das der spärlichen Deckenbeleuchtung bei weitem übertrumpfte.
„Sie gehen zuerst Professor“, forderte Ryan selbigen auf, welcher nicht widersprach und sich sofort an den mühsamen Aufstieg machte. Damit er beim Erklettern der Leiter beide Hände benutzen konnte, übernahm der junge Trainer für einen Moment den Käfig. Sobald Birk oben angelangt war, warf er das Gefängnis kurzerhand nach oben, wo der Professor es auffing. Auch wenn Hydropi das nicht gerade gefallen hatte.
„Lasst sie nicht entkommen“, brüllte einer lautstark. Keiner hatte bemerkt, dass sie inzwischen von drei Rockets verfolgt wurden, obgleich ihr ältester Anhängsel noch einen leichten Vorsprung den beiden anderen gegenüber hatte.
Andrew überlegte mal wieder nicht lange und zückte einen Pokéball. Dem weißen Lichtschein entsprang erneut seine geliebte Psychokatze, die für den vorherigen Stromausfall verantwortlich war.
„Psiana, Psychokinese“, befahl er selbstsicher. Das Pokémon stieß ein entschlossenes „Psi“ hervor und ließ den Vorauslaufenden der drei Feinde anschließend mittels seiner Psychokräfte in die Luft abheben. Dabei leuchteten Psianas Augen in einem mystischen Blau, während der Rocket von einer dünnen Aura in derselben Farbe eingehüllt war. Bereits im nächsten Moment spendierte sie ihm auch schon einen Freiflug in Richtung der anderen zwei schwarz gekleideten, wobei er direkt gegen sie geschleudert wurde und sich die ganze Gruppe auf dem Boden wiederfand. Andrew grinste zufrieden.
Ryan hatte inzwischen das obere Ende der Leiter erreicht. Gerade stemmte er die Arme in den Waldboden, schwang sich mit einem Ruck aus der Öffnung und rollte sich zur Seite, um rasch Platz zu machen. Somit machte sich nun auch Andrew daran, dieses dreckige Loch endlich zu verlassen und stieg die Metallstäbe empor. Um Psiana brauchte er sich nicht zu kümmern, da sich dieses einfach mittels des kürzlich erlernten Teleports an die Oberfläche beförderte. Kaum schien dem Trainer die späte Mittagssonne ins Gesicht, erschien das katzenartige Wesen auch schon in einem schwachen Lichtblitz direkt neben ihm. Das grelle Licht blendete leicht. In der letzten geschätzten halben Stunde hatten sich die Augen der beiden Trainer und es Pokémonprofessors stark an die spärliche Beleuchtung des Verstecks gewöhnt, sodass der Lichtwechsel nun einen ziemlichen Kontrast darstellte. Ryan reichte seinem Kindheitsfreund die Hand und half ihm mit einem Ruck, aus der Luke. Aus selbiger ertönte nun das wütende Gebrüll der schwarz gekleideten Verfolger.
„Sie dürfen die Lage unseres Verstecks nicht verraten“, hallte die wütende Stimme wider. Die beiden Trainer sahen sich für einen Moment stumm an und Birk hätte schwören können, dass sie sich erneut per Telepathie verständigten. Anschließend nickten sich die zwei Jugendlichen zu.
„Worauf wartet ihr?“, fragte der Kittelträger eingehend. Er drang eindeutig zur Eile.
„Lasst uns schnell hier verschwinden.“
Das kleine Hydropi, dessen Käfig er nach wie vor in den Händen hielt, schien den Rat von Birk zu unterstützen, da es ebenfalls eindringliche Rufe an Ryan und Andrew zu wenden schien. Diese allerdings schienen keine Anstalten zu machen, dem Drängen nachzukommen. Sie standen in einigen Metern Abstand zu der Einstiegsluke und blickten mit entschlossener Kampfeslust darauf.
„Sie können ruhig vorgehen, Professor“, sprach Ryan dann, ohne sich umzudrehen.
„Wir kümmern uns um die Nachzügler.“
Für eine Sekunde wusste Birk nicht, was sie damit bezwecken wollten, dabei lag die Lösung eigentlich auf der Hand. Ewig konnten sie schließlich nicht weglaufen und außerdem waren Ryan und Andrew nicht komplett wehrlos. Und er selbst nebenbei auch nicht.
Gerade reckte der erste der drei Rockets, die das Trio verfolgt hatten, den Kopf aus der Öffnung im Boden als der Professor einen Entschluss fasste. Wortlos stellte er den Käfig mit Hydropi ab und stellte sich zu Ryan und Andrew.
„Was soll das denn werden?“, fragte nun Andrew ob dieser Geste. Die Antwort des Gefragten zeugte ebenso von Entschlossenheit und Kampfeswillen wie sein Gesichtsausdruck.
„Ich werde euch ein wenig unterstützen. Meine Knochen machen so eine Rennerei sowieso nicht lange mit.“
Doch recht verwundert über diesen plötzlichen Sinneswandel tauschten die zwei Jungen einen verblüfften Blick aus. Wirklich verstehen konnten sie diese unerwartete Entscheidung nicht, doch immerhin konnte Birk tun und lassen, was er wollte. Wenn er hierbleiben und kämpfen wollte, dann sollte ihm dies nicht verwehrt werden. Nur waren sie sich nicht so sicher, ob er ihnen mit zwei Starter-Pokémon, die im Kampf nahezu unerfahren waren, wirklich eine Hilfe sein würden. Allerdings würden sie ihn wohl kaum zum Gehen überreden können.
„Sie können gerne bleiben Professor“, antwortete Andrew schließlich, strahlte nebenbei völlige Ruhe und Souveränität aus.
„Aber lassen sie uns ruhig den Spaß.“
Wieder tauschten die beiden Trainer einen Blick aus, der diesmal von kameradschaftlicher Treue zeugte, welche Birk zutiefst beeindruckte. Wirklich faszinierend, wie geschlossen und zielorientiert sie zusammenstandenm obwohl vor wenigen Minuten noch spürbare Spannungen sowie die ein oder andere Uneinigkeit zwischen ihnen geherrscht hatten. Diese spielten nun, wo man dem unmittelbaren Feind endlich offen entgegenzutreten gedachte, allerdings keine Rolle mehr. Waren bereits fast vergessen. Dies brachte Birk schließlich dazu, den Pokéball, den er in seiner Tasche bereits umfasst hatte, wieder loszulassen.
„Hey, ihr da“, knurrte die wütende Stimme, die sie schon die ganze Zeit über verfolgte.