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Feuerwerke
Ja, ich weiß. Es gibt schon unglaublich viele Vergleiche, wie das Leben denn so ist.
Manche sagen, es ist wie eine Pflanze, die wächst und dann vergeht.
Manche sagen, es ist wie einer dieser Wunderbälle, die immer kleiner werden, je länger man sie ihm Mund behält.
Und manche sagen, es ist wie eine Pralinenschachtel. Okay, ja, nur Forrest Gump sagt, es ist wie eine Pralinenschachtel. War ja auch nur, um klarzumachen was ich damit meinte.
Ich will nicht sagen, dass ich mit meinen achtundzwanzig Jahren, die ich hier auf der Welt verbracht habe, die Weisheit mit Löffeln gefressen habe. Hab mal gehört, dass sie ziemlich bitter sein soll. Da bevorzuge ich doch eher einen guten Eisbecher.
Ich bin nicht überall hingereist, habe nicht mit allen Menschen gesprochen, bin weiß Gott kein Genie. Aber ich denke, ich habe genug Erfahrung, um mir selbst ein Urteil über dieses Ding zu bilden, das man Leben nennt.
Wann immer dich jemand fragt „Und, was machst du so?“ und du antwortest „Ach, eigentlich nichts“, dann lügst du. Vielleicht ja unabsichtlich. Ich kann mit hundertprozentiger Sicherheit sagen, dass du riechst, siehst, schmeckst und hörst. Solltest du eines dieser Dinge nicht mehr können, dann habe ich trotzdem noch ein paar Aktivitäten, die du mit Sicherheit ausführst. Du atmest, pumpst Blut durch deinen Körper und denkst.
Im Grunde fassen wir das zusammen… Du lebst.
Du lebst, wissenschaftlich gesehen, sobald der liebe Herr Doktor mit der Schere kommt und den Strohhalm, der dich neun Monate mit allem, was du so brauchst, versorgt hat, einfach so kappt. Deine Mutter entlässt dich so in die kalte, karge Welt, und Gott, du hast davon keine Ahnung. Hättest du sie, wärst du vermutlich gleich wieder zurückgekrabbelt.
Ich tendiere dazu, nach reichlichen Überlegungen, die ich so während meiner U-Bahnfahrten anstellte, das Leben mit einem Feuerwerk zu vergleichen.
Zu Beginn freut sich jeder Mensch auf das schöne Spektakel am Himmel. Jeder will die bunten Lichter dort sehen, treffen sich an einem Ort wo man es gut beobachten kann. Man unterhält sich darüber, spekuliert, wie es denn werden wird…
Das ist die Zeit vor der Geburt. Alles ist eitel Sonnenschein.
Bis die ersten Regenwolken kommen und die Freude trüben.
Die schwangere Mutter in spe bekommt schlechte Laune, lässt sie an ihrem Mann aus. Der fühlt sich ungerecht behandelt und ist wütend auf seine -hoffentlich- Ehefrau. Die beiden bekommen sich in die Haare und kriegen sich wieder ein, alles wegen einem dummen Feuerwerk… Eh, pardon, wegen dem Kind, das da in ihnen heranwächst. Es ist gleichzeitig Fluch und Segen. Es verbindet. Ob das jetzt gut oder schlecht ist, sei mal so dahingestellt.
Die Regenwolken verziehen sich dann irgendwann, zumindest im Idealfall. Falls sie es nicht tun… Naja, dann kommt es zu Fehlzündungen. Aber auf die komme ich später noch zurück.
Die erste Zeit des Lebens, Geburt bis hin zum Schulabschluss, könnte man mit dem Flug des Feuerwerkkörpers gleichsetzen. Je höher er steigt, desto größer ist das Raunen. Je mehr du lernst, desto stolzer sind deine Eltern auf dich. Je höher du steigst, desto besser lebst du. Du kämpfst dich also hoch, immer und immer höher, lernst und arbeitest wie verrückt. Und wofür?
Richtig. Die Blüte des Lebens.
Der Zeitpunkt, an dem dein Feuerwerkskörper endlich explodiert.
Manche strahlen heller als andere, manche sind schöner anzusehen und manche sind wundervoll bunt.
Strahlend sind immer die, die beliebt sind. Man bewundert sie und ihren Glanz, badet öfters mal in ihm, wenn man selbst nicht ganz so hell funkelt. Nur schwindet Beliebtheit spätestens dann, wenn deine Freund vor dir ins Gras beißen. Na Halleluja.
Die schön Anzusehenden… Na, ich denke, das erklärt sich von allein. Aber nur Schönheit an sich bringt einem im Leben nicht viel. Vielleicht ein wenig Beliebtheit, aber das erwähnte ich ja bereits.
Die letzten sind die, die wir gemeinhin „merkwürdig“ oder „Paradiesvögel“ nennen. Wir werden niemals so bunt sein wie sie, niemals so besonders. Aber stört uns das? Ich für meinen Teil bin zufrieden, dass ich braunhaarig bin und nicht jede Strähne eine andere Farbe hat. Manchmal ist es vielleicht nicht ganz so schlimm, einfach irgendjemand in der Masse zu sein. Da wird man nicht immer angestarrt als wär man ein Alien.
Feuerwerke müssen nicht immer besonders sein. Auch die traditionellen haben ihren Reiz. Du musst nicht der Beste sein. Es reicht doch vollkommen, wenn du selbst mit dir zufrieden bist. Aber manche wollen wohl immer mehr. Sie können nicht so sehr strahlen, wie es ihnen eigentlich möglich wäre.
So oder so, wenn sie explodieren, da raunen die Zuschauer. Jeder Feuerwerkskörper, den sie sehen, bereichert auf eine von tausend Arten ihr Leben, die unterschiedlicher nicht sein können. Zumindest sollte es normalerweise so sein.
Denn natürlich gibt es auch diejenigen, die ich einfach mal Fehlzündungen oder Blindgänger nenne. Menschen, die ihr Leben entweder selbst ruinieren oder es durch andere ruiniert bekommen. Ja, natürlich gibt es auch solche, die ihre Eltern nicht stolz machen, solche, die andere Leben nicht bereichern, sondern es schlechter machen, auf welche Arten auch immer.
Manche von ihnen bleiben direkt am Boden und bemühen sich nicht einmal.
Manche kommen von ihrem Weg ab und fallen auf den Boden, geben die Pracht, die sie beinhalten niemals preis.
Und manche schaffen es bis ganz nach oben… Und gehen dann zu Grunde.
Viele Dinge können passieren, die den Flug aufhalten. Regen kann den Funken löschen, Wind kann die Flugbahn verändern, eine falsche Mischung lässt ihn viel zu früh explodieren, ein falscher Abschussort kann alles ruinieren. So ist das nun mal. Manches davon lässt sich vermeiden, wieder richten, aber das Meiste hängt vom Schicksal ab. Oder Zufall. Oder wie auch immer du das nennen willst.
Und nach der Explosion? Du fragst dich, was danach kommt?
Du hast deine Schuldigkeit auf dieser Welt getan. Du sinkst wieder dorthin, woher du kamst. Erst ganz langsam. Du gewöhnst dich an deine Freiheit.
Dann schneller. Die Zeit vergeht, wortwörtlich im Fluge. Zu viel Freizeit vielleicht? Nein, du hast es dir verdient, ist doch klar. Genieße die Zeit, in der du keine Pflichten mehr hast. Sie vergeht doch viel zu schnell.
Und kurz bevor die Überreste der Explosion auf dem Boden auftreffen, da hat man sie schon vergessen. Es verschwendet doch keiner mehr einen Gedanken an die, die bald weg sind. Zu hell strahlen doch jetzt diejenigen, die in ihrer Blütezeit sind. Aber brauchst du die Aufmerksamkeit noch?
Nein, eigentlich nicht. Du hattest sie schon.
Verdienst du denn nicht noch mehr davon?
Vielleicht. Vielleicht hätte deine Blütezeit länger andauern können. Vielleicht hättest du etwas in deinem Leben anders machen können.
Aber es ist zu spät. Der Staub rieselt auf die Erde. Vielleicht tut deine Asche das ja auch? Ich weiß ja schließlich nicht, was du für deinen Körper so geplant hast, sobald du nicht mehr da bist. Vermutlich ist das auch gar nicht so wichtig.
Neue Feuerwerkskörper kommen, neue Farben und Muster, neue Leben entstehen, und neue Asche wird auf deine regnen. Das Leben geht weiter, auch wenn du nicht mehr da bist. Es wird auch dann weiter gehen, wenn niemand, der zu deiner Zeit lebte, mehr auf der Erde herumwandert.
Die Welt ist ein gigantisches Feuerwerk. Ein endloses Feuerwerk. Ein wundervolles Feuerwerk.
Genieße es, solange du noch kannst.
Neues Leben
Ein lautes Quietschen ertönte als ich aufstand, um frische Luft schnappen zu gehen. Die Betreuer schliefen vermutlich, sonst wären sie schon längst aufgewacht und hätten mich angeschrien, weil ich mal wieder von hier abhauen wollte. Langsam schlich ich mich aus dem Gemeinschaftszimmer und dackelte zur Hintertür des Waisenhauses. Der Mond strahlte hell auf das Dorf herab, die perfekten Aussichten um einen Spaziergang am Rhein zu machen. Ich schlenderte an dem Geländer entlang, das sich neben dem Waisenhaus befand und erreichte dann schlussendlich de Park vor dem Rhein. Nachts sieht er sogar noch schöner aus als tagsüber. Die Blumen funkelten im Mondeslicht, da es an dem Tag zuvor geregnet hat und sich Wassertropfen an den Blumen abgesetzt hatten. Mit nackten Füssen schlich ich über die Parkwiese bis zum Steg der sich ein Stück im Rhein befand. Die kühle Meeresluft umhüllte meine Haut mit Gänsehaut und Faszination. Ich wusste nicht warum, aber irgendwas verband mich mit diesem Ort. Ich setze mich an eine Kante und versuchte ein wenig nachzudenken. Ich wusste immer noch nicht wer meine Eltern waren und warum sie mich ausgesetzt hatten. Wollten sie nur mein Bestes oder hassten sie mich einfach nur? Ich weiss es nicht. Gekränkt ging ich zum Waisenhaus zurück und schlich mich wieder in unser Gemeinschaftszimmer, wo noch immer alle tief schliefen. Als ich dich die weiche Decke an meiner empfindlichen Haut spürte, wurde ich plötzlich müde und verfiel in einen tiefen Schlaf. Mit lautem Gebrüll weckte uns unser Betreuer Roland mit einem emotionslosen Ausruf. Immer noch nicht richtig wach versuchte ich langsam aufzustehen und mich in das Badezimmer zu schleppen. Geblendet von dem Licht im Gemeinschafts-Badezimmer sah ich in den Spiegel um meine Haare zu betrachten. Sie waren wieder zerzaust. Ich griff zu meinem Kamm und kämmte meine Haare solange, bis sie einigermassen annehmbar aussahen. Wieder ertönte die schrille Stimme unseres Betreuers Hans, der uns zum Frühstück rief. Schnell setzte ich mich an den äussersten Stuhl am Tisch, um möglichst nicht aufzufallen. Ich schnappte mir ein Stück Brot und strich die Marmelade gleichmässig darüber. Ich war mal wieder der langsamste von allen und musste die wütenden Blicke der Anderen ertragen. Nachdem ich mein Frühstück beendet hatte, ging ich in mein Zimmer, zog mich an und machte mich wieder direkt auf den Weg zum Rhein. Wieder schlendere ich an dem Geländer entlang und erreichte wieder den Park. Nachts sah er wirklich besser aus. Ich bemerkte ein kleines Mädchen, das mit ihrem Drachen spielte. Es durchrüttelte meinen ganzen Körper als ich bemerkte, dass das Mädchen direkt auf den Rhein zulief ohne nach vorne zu schauen. Wie von einer Biene gestochen rannte ich auf das Mädchen zu, doch es war zu spät. Stolpernd fiel sie in den Rhein. Ohne zu zögern sprang ich geradeaus in das kalte Wasser um das Mädchen wieder rauszuziehen. Nur mit Mühe zog ich sie und mich selbst aus dem eiskalten Wasser. Zitternd versuchte ich das Mädchen irgendwie zu wärmen, als ein grosser muskelbepackter Mann auf mich zukam.
„Du hast meiner Tochter das Leben gerettet, danke, ich schulde dir etwas.“, platzte aus dem Mann heraus.
„Nicht der Rede wert, ist doch klar, dass man kleine Kinder aus der Not rettet.“, sagte ich angeschlagen.
„Wie heisst du und wo sind überhaupt deine Eltern?“, fragte er mich, ziemlich direkt.
„Ich kenne meine Eltern nicht, ich bin ein Waise.“
Ziemlich überrascht starrte mich der Mann eine Weile an, währenddessen hielt er das kleine Mädchen, die anscheinend seine Tochter war.
„Wie wär’s wenn ich dich adoptiere, wie wäre das für dich?“, murmelte der Mann mit einem einladendem Lächeln.
„Herzog Villain von Downwood!“
Kaum ein Gast sah auf, als der Name des wenig bekannten Herzogs des unbedeutenden Herzogtums ausgerufen wurde. Der Neuankömmling betrat den Bankettsaal, der an die Größe einer Basilika heranreichte, und ließ den Blick über die Prunksucht der Adeligen schweifen. Alle Gäste des Königs waren in Gewänder gekleidet, die eigens für diese Feierlichkeiten aus edelsten Stoffen geschneidert worden waren. Getanzt wurde über den besten Marmor, für dessen Anlieferung keine Kosten und Mühen gescheut worden waren. Magische Kronleuchter vertrieben die nächtliche Dunkelheit, die durch scheinbar himmelhohe Fenster hereindrang.
Der falsche Herzog von Downwood kochte innerlich vor Wut. Während hier ein Leben in allem Luxus geführt wurde, wuchsen Waisenkinder wie er in den Gossen der Städte auf.
Celio, erklang Lorettas Stimme in seinen Gedanken.
Ich bin drin, erwiderte Celio sogleich und beruhigte seine Partnerin: Ich wurde nicht durchschaut.
Gut. Wie vereinbart hielt Loretta ihr telepathisches Gespräch so kurz wie möglich. Sie kommunizierten zwar auf einer Ebene, die sonst selten genutzt wurde, doch Vorsicht war dennoch oberstes Gebot.
Um weniger aufzufallen, mischte Celio sich unter die Gäste und hielt nach seinem Ziel Ausschau. Die Anführer der Untergrundorganisation, für die er und Loretta arbeiteten, verlangten von ihnen den Diebstahl der Halskette, die einst der verstorbenen Königin gehört hatte und nun den Hals der Prinzessin zierte. Nicht nur die Wachen stellten dabei ein Hindernis dar; auch die Prinzessin selbst, die wie alle Frauen über die Kraft der Magie verfügte. Zugute kam Celio, dass die Königstochter dafür bekannt war, mit jedem jungen Mann, der ihr begegnete, ihre Gemächer aufzusuchen. Dies wäre die Gelegenheit, das kostbare Collier zu entwenden.
Da PrinzessinGvenvenére dazu verpflichtet war, mit jedem ihrer männlichen Gäste zu tanzen, war es nur eine Frage der Zeit, bis die Reihe an Celio war. Als sie auf ihn zukam, verneigte er sich formvollendet und küsste die ihm dargebotene Hand. Die Prinzessin war gekleidet in ein prachtvolles smaragdgrünes Seidenkleid, das mit ihrem Haar harmonisierte, welches die Farbe roter Sonnenblumen hatte. Sie trug eine Hochsteckfrisur, die ohne Klammern, dafür aber mit einem kleinen magischen Kniff in Form gehalten wurde. Bis auf die Halskette, die aus verschiedenen Edelsteinen gefertigt war, hatte sie keinen anderen Schmuck aufgelegt. Es hieß, jeder der insgesamt dreizehn facettenreichen Gemmen verstärke eine andere Form der Magie.
Das gut verborgene, aber akustisch meisterlich platzierte Orchester stimmte einen Walzer an, und wieder einmal machte sich Celios Tanzausbildung bezahlt. „Ihr tanzt, als hätten die Götter es Euch persönlich gelehrt, Herzog Downwood“, lobte die Prinzessin überschwänglich, ihre Worte dem Takt der Musik angepasst.
„Ich fühle mich geehrt, dass Ihr das so seht, Prinzessin“, erwiderte Celio, „und ich würde zu Euch gern dasselbe sagen. Aber ich fürchte, es wäre eine Beleidigung an Euer Können.“
Genvenére lachte höflich. „Ich sehe, man hat nicht versäumt, Euch auch das Schmeicheln zu lehren!“
Die beiden Tanzpartner drehten sich, und erst jetzt fiel Celio auf, dass sie sich nicht mehr unter den anderen Tanzenden befanden. Stetig, aber unauffällig führte die Prinzessin ihn zum Ausgang. „Ihr gefallt mir, Herzog“, sagte sie dissonant zum Musikstück. „Seht Euch nicht um und folgt mir.“
Ihre tänzerische Flucht endete kurzzeitig bei den Wachen, die am Ausgang des Bankettsaals patrouillierten. Eigentlich war es der Prinzessin verboten, die Feierlichkeiten frühzeitig zu verlassen, und Celio bezweifelte, dass die Gardisten sie durchlassen würden. Doch zu seiner Überraschung schnippte Gvenvenére nur mit dem Finger, und der Blick der Wachen umwölkte sich. Prinzessin und Straßendieb gelangten unbehelligt und unbemerkt aus dem Saal. „Ein kleiner Zaubertrick, den ich mir als Kind aneignete“, erklärte die Königstochter sorglos.
Sie liefen durch Korridore, die gesäumt waren von kunstvoll gewebten Teppichen und Gobelins, und Wendeltreppen hinauf, die mit meisterhandwerklichen Steinmetzarbeiten verziert waren. Alsbald erreichten sie das Schlafgemach der Prinzessin. Nachdem diese sich vergewissert hatte, dass ihnen niemand gefolgt war, schloss sie die Tür und machte eine einladende Geste. „Bitte, macht es Euch bequem und fühlt Euch wie zuhause.“
„Seid vergewissert, Euer Hoheit, meine heimatliche Schlafstatt kommt Eurer nicht im Entferntesten nahe“, erwiderte Celio. Was wie eine höfische Untertreibung klang, war angesichts seiner Herkunft leider bittere Wahrheit. Neben einer Kommode mit kunstvollen Schnitzereien und sündhaft großen Spiegel war das Gemach mit einem Bett möbliert, das mit samtenen, weinroten Vorhängen von der Außenwelt verborgen werden konnte. Auch an der zweiten Tür, die auf einen Balkon hinausführte, bauschten sich Vorhänge aus durchscheinender Seide in der nächtlichen Brise. Der perfekte Fluchtweg, entschied Celio, und Loretta bekräftigte diesen Entschluss telepathisch.
Die Prinzessin stand vor dem Spiegel und löste ihre Frisur mit kurzen Berührungen an den magisch aufgeladenen Stellen. Eine kupferrote Locke nach der anderen fiel hinab und verdeckte die Kette ihrer Mutter. Celio trat an sie heran und begutachtete den goldenen Verschluss. Es wäre ein Leichtes, ihn zu öffnen und mit dem Collier über den Balkon zu entschwinden. Die Prinzessin erblickte ihn im Spiegel und drehte sich um. Seine Augen begegneten ihren lavendelfarbenen für einen Moment.
„Ihr seid nicht Herzog Downwood.“
„Woher wisst Ihr das?“, entfuhr es Celio, obwohl er eigentlich hatte fragen wollen: „Wie kommt Ihr darauf?“ Jetzt konnte er es nicht mehr abstreiten. Seltsam. Nicht Herr über seine Zunge zu sein war eigentlich ungewöhnlich für ihn.
Gvenvenére lächelte schalkhaft. „Ich muss gestehen, ich kann mir nicht erklären, wie Ihr es geschafft habt, dass der echte Villain von Downwood nicht auf dem Bankett erscheint – aber ich hoffe doch sehr, dass Ihr ihn dafür nicht töten musstet.“
Tatsächlich hatten seine Auftraggeber im Sinn gehabt, einen der vom König eingeladenen Adelsleute zu morden, um in dessen Identität den Ball zu besuchen. Doch dann hatte der Herzog von Downwood dem König seine Absage geschickt, die von den Spionen der Organisation abgefangen worden war. Hatte nur noch eine gefälschte Einladungsbescheinigung gefehlt, und aus Celio war Herzog Villain von Downwood geworden.
„Ihr habt wohl darauf spekuliert, dass unsere Wache, die meisten der Gäste und ich verwöhntes Prinzesschen den Herzog einer so entlegenen Provinz nicht kennen“, fuhr Gvenvenére fort. „So gerissen Ihr auch seid, mein Lieber, konntet Ihr jedoch mit einer Sache nicht rechnen: Ich informiere mich regelmäßig über meine möglichen zukünftigen Ehemänner, zu denen zu meinem Leidwesen auch Herzog Downwood gehört. Aber nach allem, was mir über ihn gesagt wurde, kann er nicht halb so anziehend sein wie Ihr.“
Das so von ihr zu hören, überraschte Celio – gleichermaßen, wie es ihm versicherte, die lasterfrönende Prinzessin genau da zu haben, wo er sie brauchte. Doch er musste noch immer vorsichtig sein, sonst führe man ihn schon zum Morgengrauen an den Pranger. „Um ehrlich zu sein, Prinzessin“, sagte er, trotz der Tatsache, dass sie ihn durchschaut hatte, „wünsche ich mir im Moment, eher ausziehend auf Euch einzuwirken.“
Gvenvenére lachte ehrlich erheitert: „Humor habt Ihr auch, wie erfrischend!“ Sie stieß ihn aufs Bett und drehte sich wieder zum Spiegel. „Mit diesem Kleid könnte ich mir ein ganzes Dorf in Downwoodertauschen – wir wollen doch nicht, dass Ihr es in Eurem Ungestüm beschädigt!“ Sie hob die Faust und spreizte in einer magischen Geste die Finger. Wie von selbst öffneten sich die engen Verschnürungen ihres Mieders. Langsam entkleidete sie sich, doch unter ihrem Festtagsgewand kam nur ein weißes Unterkleid zutage, das außer den Armen und Füßen dem männlichen Blick nicht mehr freigab als das grüne Seidenkleid. Dieses warf die Prinzessin über die Lehne des Stuhls vor der Kommode, was dem Erhalt der Faltenfreiheit des Smaragdstoffs nicht gerade zuträglich war.
Gvenvenére löste noch die letzten unsichtbaren Klammern in ihrem Haar und wandte sich dann endlich an Celio. „Jetzt sind meine Kleider ganz Eure“, sagte sie, setzte sich quer auf seinen Schoß und schlang die Arme um ihn.
Möglichst ohne ihren Argwohn zu wecken, sammelte Celio ihre rotgoldene Lockenpracht vor ihrer rechten Schulter, um den Kettenverschluss besser sehen zu können. „Warum vertraut Ihr mir noch immer, obwohl Ihr wisst, dass ich kein Herzog bin?“, wollte er wissen und hielt in seinem Tun inne.
„Mir ist einerlei, welchen Titel Ihr tragt“, begründete Gvenvenére. „Euer Körper spricht für Euch.“ Sie presste die Lippen auf seinen Mund und stahl ihm einen leidenschaftlichen Kuss, den er ihr ebenso entschlossen gewährte. Mit jedem wilden Herzschlag spürte Celio, wie sein Blut heißer wurde. Er verlor sich allmählich in ihren Lippen.
Celio, wach auf, du Tor!, hallte es plötzlich in seinen vernebelten Gedanken. Loretta! Natürlich, hier lief etwas ganz und gar falsch: Er war es doch, der die Prinzessin umgarnen sollte, und nicht umgekehrt! Sofort reckte er die Fühler seines Sechsten Sinns. Ein Strom magischer Energie floss von der Prinzessin auf ihn zu, geradewegs durch den Rubin in ihrer Kette. Indem sie ihren Zauber durch den Stein der Leidenschaft verstärkte, versuchte sie, ihn zu verführen!
So wie er das erkannte, riss Celio sich von der Prinzessin los und sperrte sich gegen ihren Einfluss. Gvenvenére stand auf und seufzte unzufrieden: „Ihr habt einen starken Geist… wie bedauerlich.“ Auch Celio erhob sich eilig vom Bett. „Verzeiht mir, dass ich Euch zu etwas hinreißen wollte, für das Ihr nicht bereit seid“, entschuldigte sich die Königstochter wenig überzeugend. „Wann gedenkt Ihr nun also, mir das Collier meiner Mutter zu entwenden?“
Das Einzige, was Celio auf diese Frage tun konnte, war, die Prinzessin entsetzt anzustarren. Du musst dort weg!, warnte Loretta, doch er wagte nicht, sich zu bewegen.
„Seid nicht so überrascht, Herzog“, sagte Gvenvenére. „Ihr beleidigt mich, wenn Ihr meine Menschenkenntnis so sehr unterschätzt. Es war Euch den ganzen Abend anzusehen, worauf Ihr wirklich aus seid. Euer Blick wanderte oft von meinem Gesicht zu etwas, das unterhalb liegt. Und da Ihr, anders als die meisten Männer, nicht tief genug geblickt hat, kann es nur die Königinnenkette sein, die Ihr begehrt.“
Endlich schaffte es Celio, sich umzudrehen und auf die Balkontür zuzulaufen. Doch wie von Geisterhand schlugen die Flügel plötzlich zu, und ein magisches Knistern überzog seine Haut. Ein Schlusszauber, mächtig genug, dass er die Glastüren nicht einmal einschlagen konnte. Er saß in der Falle!
Von seinem erschrockenen Anblick offenbar belustigt lächelte Gvenvenére. „Ängstigt Euch nicht“, beschwichtigte sie. Aber er hatte keine Angst – das konnte er sich in seinem Beruf nicht leisten –, sondern suchte berechnend nach einem anderen Ausgang. Durch die Tür auf den Flur konnte er nicht flüchten, dort würde er erst recht der Palastgarde in die Arme laufen.
Die Prinzessin sprach seelenruhig weiter: „Von mir aus, nehmt die Kette an Euch.“ Überrascht blickte Celio sie an, doch wie er erwartete, äußerte sie sogleich eine Bedingung: „Aber ohne, dass ich sie vorher ablege. Nehmt mich mit Euch!“
Celios Verwunderung demgegenüber, was die Prinzessin ihm anbot, wuchs nur noch weiter an. „Ich soll Euch… entführen?“ Seine Aufgabe war, der Kette habhaft zu werden – und nicht einer ganzen Prinzessin! Selbst wenn sie aus freien Stücken mit ihm ging, so hätte er sie doch aus dem Palast geführt, worauf unweigerlich die Todesstrafe stand. Außerdem war sie ein Leben auf ständiger Flucht nicht gewohnt. Und sie mitzunehmen und später umzubringen, um an das Collier zu gelangen, brächte zu weitreichende Konsequenzen mit sich.
Gvenvenére machte eine wegwischende Geste. „Nennt es, wie auch immer es Euch beliebt. Ich bin des immergleichen Lebens bei Hofe müde. Ich will die Welt erleben, die sich außerhalb der Palastmauern erstreckt – nicht nur in Lehrbüchern darüber lesen oder sie im Kutschwagen vorbeifliegen sehen.“
Das schien die übliche Klage der selbsternannten Gefangenen im Goldenen Käfig zu sein – und das, obwohl ihnen das Leben sie mit allem Reichtum beschenkte, den es von der einfachen Bürgerschaft stahl. Celio hatte ganze Familien den Armutstod sterben sehen. Das war die Welt, wie sie wirklich war und die Gvenvenére kennenlernen wollte!
Plötzlich zischte etwas von hinter ihm so dicht an Celios Gesicht vorbei, dass er glaubte zu sehen, wie der Gegenstand die Luft zerteilte. Er glitt so knapp über Gvenvenéres linke Schulter, dass er die Kette mit sich riss. Ein feiner Blutsfaden lief von ihrer Schulter hinab und ging in eine leicht gekippte Horizontale über, als er auf das Schlüsselbein traf. Die Kette baumelte hinter der Prinzessin an der Wand: Ein Obsidianmesser hatte eines der weichen Glieder aus Gold zerschnitten und sich durch ein weiteres mit der Spitze in den Putz gebohrt.
Alarmiert wirbelte Celio herum. Es gab im ganzen Königreich nur eine Person, die so ungeheuer präzise werfen konnte. „Loretta!“, rief er aus. „Was tust du hier?“
Aus den Schatten trat nun eine in lederne Schwärze gekleidete Gestalt. Sie verursachte kein Geräusch und bewegte sich mit der Eleganz einer Katze. Als Säugling war Loretta ein schlagendes Katzenherz neben das ihre eingepflanzt worden, sodass sie im Laufe ihres Lebens einige Eigenschaften des Raubtiers angenommen hatte. Mit einem weiteren ihrer unfehlbaren Wurfmesser zeigte sie auf Gvenvenére und fauchte: „Sie hat die Wachen gerufen!“
„Die Wachen?“ Celio verstand nicht, warum die Königstochter das hätte tun sollen, wo sie doch den Wunsch geäußert hatte, von ihm entführt zu werden. Außerdem musste sie sie noch gerufen haben, bevor sie die Balkontür magisch verriegelt hatte, sonst hätte Loretta sich nicht ins Gemach schleichen können.
„Wehe Euch, königliches Miststück“, zischte Loretta bedrohlich und schritt mit gezücktem Messer um die Prinzessin herum, „wenn Ihr auch nur eine Faser Eures zerbrechlichen Körpers bewegt, seid Ihr des Todes!“ Ihre ganze drahtige Geschmeidigkeit war zum Zerreißen gespannt. Auch ohne die Magie verstärkende Kette war Gvenvenére noch gefährlich.
Celio hoffte, dass dies nur eine leere Drohung war. Sie hatten ausdrücklichen Befehl, nur das Collier zu stehlen und keine Leben. „So war das aber nicht geplant“, sagte Celio zu seiner Partnerin.
Loretta riss zu schnell, als dass menschliche Augen die Bewegung hätten verfolgen können, das Messer aus der Wand und fing die Kette auf. Gift spuckend gab sie zurück: „Es war auch nicht geplant, dass du mit Durchlaucht um ihre Entführung feilschst!“ Noch immer mit derselben Vorsicht ging Loretta zur Balkontür und fuhr mit einem ihrer Messer die innere Kante entlang. Bläuliche Funken sprühten auf, wo sie den Schlusszauber zerschnitt. Schnell stieß sie die Flügel auf, trat auf die Veranda hinaus und pfiff durch zwei Finger. „Lass uns verschwinden!“, drängte sie ihren Partner auf den Balkon hinaus.
Celio folgte ihr und blickte sich noch einmal nach der Prinzessin um, die allein in ihrem Gemach zurückgeblieben war. Allein der finstere Blick, den sie ihnen hinterherschickte, hätte ausreichen können, sie zu töten. Loretta riss ihn am Arm, und die sprangen beide über das Geländer des Balkons. Kurz darauf sah man einen als Palastluftwache getarnten Greifen in den nächtlichen Himmel aufsteigen – auf seinem Rücken saßen zwei menschliche Gestalten.
Erst jetzt wurde die Tür zu Gvenvenéres Gemach aufgerissen, und ihre Leibwache stürmte herein. „Prinzessin, Ihr seid verletzt!“, stellte der Hauptmann sofort fest. Doch als die Gardisten ihren harschen Blick bemerkten, beugten sie ehrerbietig das Knie.
„Ihr seid spät“, meinte Gvenvenére ungerührt. „Ich hoffe, ihr habt euch auf den Feierlichkeiten nicht zu sehr gehen lassen.“ Sie presste dem Hauptmann den rechten Daumen auf die Stirn und sandte ihm das Bild der beiden Diebe. „Diese Verbrecher haben die Königinnenkette gestohlen! Findet sie und nehmt sie fest – aber unversehrt.“ Sie legte die Finger auf die Schnittwunde, die bei der Berührung leicht brannte. „Sie sollen am Leben sein, wenn sie erhalten, was sie verdienen.“ Nun wanderte ihre Hand weiter runter, wo ihr Herz bei dem Gedanken an den falschen Herzog auf eine ihr gänzlich unbekannte Weise gegen ihre Brust schlug. „Beide.“
Die Stadt endet am Horizont. Ich schaue nach rechts, ich schaue nach links – sie endet überall am Horizont. Ich schaue hinter mich und sehe nichts. Vor mir ist ein Gitter, rechts ist ein Gitter, links ist ein Gitter. Weiße Bänder, die Namen tragen, flattern im Wind – sind an den Drähten befestigt. Namen sind in die Balken des Turmes eingeritzt – auf dass sie niemals verblassen mögen. Ja, es ist wahrlich die Stadt der Liebe, die sich um mich herum erstreckt. Und ich steh auf nichts Geringerem als ihrem eigenen Symbol – ich stehe auf nichts Geringerem als dem Eiffelturm.
Und die Stadt endet am Horizont.
Aber mir gefällt es nicht, nein, ich hasse es! Wie ein Vogel im Käfig, so bin ich eingesperrt. Die Gitter sind höher als ich selbst, damit ich nicht springen kann. Damit niemand springen kann. Der Turm duldet keine Toten, er duldet nur Liebende. Der Wind ist kühl, die Menschen heiß von Liebe und Lust. Und ich will einfach nur noch weg von hier – weg von dieser Stadt. Wo sind die Treppen? Da sind sie, und ich setze den ersten Schritt. Und beim ersten Schritt sehe ich einen Mann – einen wundersamen Mann. Er lächelt, als sich unsere Blicke treffen. Ein kurzer Blick, ich lächle zurück und laufe schneller, damit ich mich nicht verliere. Stufe um Stufe, ich laufe, ich schreite, ich renne, ich fliehe! Er ist neben mir, er flieht mit mir. Seine Augen haben keine Farbe, die ich beschreiben könnte, und doch sind sie so wunderschön! So kühl, so warm, so...
Und die Stadt endet am Horizont.
Ich laufe, ich schreite, ich renne, ich fliehe! Wieso nur, wieso ist er immer da, wo ich auch bin? Wieso ist der Turm so hoch, dass die Stufen kein Ende nehmen wollen? Jetzt schaut er mich an, er schaut mir ins Gesicht und spricht - Worte, die kein Mensch versteht – ich habe sie verstanden. Waren sie deutsch oder französisch? Waren sie überhaupt? Und ich verstehe sie – verstehe jedes einzelne Wort des Mannes und mir wird klar, dass er nicht das ist, für das Menschen ihn halten. Er ist nicht aus Knochen und im schwarzen Gewand, trägt keine Sense und kein Stundenglas. Und doch ist er es – der Tod. Ja, der Tod spricht zu mir – er ist wunderschön. Augen, die keine Farbe haben.
Und die Stadt endet am Horizont.
Woher ich komme, fragt er mich. Tausend Fragen stellt er mir, in der Sprache der Toten die nur Sterbende verstehen. Doch eines fragt er nicht: Er fragt nicht, wie ich heiße. Ich seh' ihn an, er weiß es längst. Ich weiß es auch, doch niemand sonst. Die Sprache, die nur zwei verstehen. Augen, schöner als die Liebe selbst. Liebe, die unsterblich scheint. Doch nur, wenn sie bereits tot ist, kann sie nicht mehr sterben. Ich meine, mich sofort in diese Augen verliebt zu haben, dieses Lächeln, diesen Mann! Denn so ist es doch: Der Tod nimmt einen nicht gewaltsam mit in seine Welt, nein! Man verliebt sich in den Tod und geht ganz von selbst mit ihm. Jeder Mensch sieht eine andere Gestalt – Jeder sieht, was ihn am meisten anzieht. Nur die Augen bleiben gleich, diese wunderschönen Augen! Der Turm scheint endlos, die Stufen enden nicht. Der Tod flieht mit mir vor sich selbst. Und plötzlich bleib ich stehen.
Und die Stadt endet am Horizont.
Ich stehe, schaue ihn nur an. Er lächelt und weiß, dass er gewonnen hat. Seine Augen funkeln, sein Blick betastet mich. Dann nimmt er meine Hand. Sein Kuss ist kalt und heiß zugleich, mein Herz schlägt schnell, bis es verstummt. Der Kuss färbt meinen Körper bleich, der Kuss nimmt mir mein Augenlicht. Die Welt wird stumm, die Welt verblasst.
Und die Stadt endet am Horizont.
Nun erzählt ein jeder Mensch, der meine Geschichte kennt, von mir und meinem letzten Kuss, vom Tod, vom Turm, vom Lieben. Die Stadt endet am Horizont und dort endet auch mein Leben.
Ich habe ihm vertraut. Mein bester Freund hat mich verraten. Diese Gewissheit überkommt mich, als ich dort an diesem tiefschwarzen Abgrund stehe – und er fort ist. Er hat mich getäuscht. Warum auch immer. Für einige Momente stehe ich stumm am Rand des schwarzen Nichts, welch eine Ironie. Ich starre hinein, als stünde dort die Lösung geschrieben. Ich kapiere es einfach nicht. Die Wut durchfährt mich erst jetzt, so verspätet, dass ich schon dachte, sie würde nie kommen. Doch jetzt ist sie gleißender als je zuvor, solch einen Zorn habe ich noch nie verspürt. Es ist, als würde er nicht zu mir gehören. Doch das tut er, mein rasendes Knurren macht es mir deutlich. Ich spüre, wie sich mein Nackenfell aufstellt, mein langer Schweif sich bedrohlich nach oben reckt. Ich fahre herum, suche aufmerksam die Umgebung ab. Das Nichts scheint alle Helligkeit in sich aufzusaugen, ich erkenne kaum etwas in diesem spärlichen Licht.
Was ich dann entdecke raubt mir den Atem. Seine sonst fröhlichen grünen Augen leuchten nun in einem dunklen, tiefen rot. Mir ist schleierhaft, weshalb ich ihn überhaupt erkenne, mit diesen grausam funkelnden Augen, aber ich weiß einfach, dass er es ist. Ich halte witternd die Nase hoch und erhalte prompt die Bestätigung; sein Geruch ist unverkennbar. Er sagt nichts, grinst nur hämisch und entblößt dabei seine langen Fangzähne. Langsam schleicht er näher. Nein, er schleicht nicht, er schiebt sich mir entgegen wie ein unbezwingbarer Sturm. Irgendetwas ist anders an ihm, etwas, das nichts mit seinen Augen zu tun hat. Als unsere Schnauzen sich fast berühren, ducke ich mich unwillkürlich, doch statt mich zu unterwerfen knurre ich noch einmal. Der tiefe, grollende Laut hallt in der Stille wider, die das Nichts umgibt.
Er blinzelt nicht einmal, erwidert stumm meinen Blick und ragt bedrohlich über mir auf. Und jetzt kracht die Erkenntnis in mich ein wie ein Donnerschlag, jetzt, als er so nah ist, dass ich die Schnauze in seinem Fell hätte vergraben können. Es ist schwarz. Nicht weiß. Schwarz.
Ich bin so schockiert, dass ich meine ganze Haltung sofort fallen lasse, mein Schwanz schlägt dumpf auf den Boden und ich richte mich auf.
Was hast du getan, Fume?!, brülle ich ihn gedanklich an, und ich weiß, dass er es hört. Ich habe keine Kraft mehr, zu sprechen, das Entsetzen hat meinen Rachen komplett ausgetrocknet. Seine Stimme hallt in meinem Kopf wider, auch sie ist anders als die meines alten Freundes es gewesen war. Sie ist… heiser. Rauchig. Er ist vollkommen ruhig, sieht weiterhin hämisch auf mich herab.
Nicht Fume. Ash. Ich habe nie zu euch gehört. Ich gehöre zu Ihnen.
Ich sinke in mich zusammen. Ich reiße meine Augen – Karamellaugen, so hat er sie immer genannt - auf und jetzt ist alle Kraft dahin. Meine Wut verraucht, lediglich das Entsetzen lässt mein Herz weiterschlagen.
Die Luft weicht zischend aus meinen Lungen, als etwas mit solcher Härte auf meine Brust schlägt, dass ich taumele. Was zur…?, rufe ich laut in Gedanken, aber alles was ich zurückbekomme ist ein triumphierendes Jaulen. Ein Luftzug, so stark, dass ich die Augen schließen muss, richtet sich gegen mich, verhindert, dass ich atme. Verzweifelt ringe ich nach Luft, versuche, nicht zu ersticken und bemühe mich gleichzeitig, mich auf meinen Beinen zu halten.
Zitternd schaffe ich es schließlich, den Kopf zu heben. Ash hat seinen rechten schwarzen Flügel hoch erhoben und ich begreife, dass das sein Werk ist. Was tust du da?!, schreie ich panisch, doch meine Stimme bricht gegen Ende des Satzes, als ich den Boden unter den Pfoten verliere. Wie wild schlage ich mit meinen Flügeln, versuche, mich oben zu halten, doch sie zucken nur kraftlos an meinen Flanken. Ich schaffe es nicht einmal, sie vollständig zu entfalten.
Und ich falle. Falle ins Nichts. Es ist nicht schwarz und nicht weiß, einfach nur nichts. Eine endlose Leere. Der Fall zerrt an meinem Fell und ich jaule, blinzele verzweifelt nach oben, während die Angst mein Herz umklammert hält. Das letzte, was ich erkennen kann, sind seine rot glühenden Augen irgendwo dort oben, und ich höre seine kalte Stimme in meinem Kopf.
Du bist zu schwach, Jay. Dagegen kannst du nicht ankämpfen!
Ich weiß nicht, wo oben und unten ist, ich werde im Fall herumgewirbelt und drehe mich um mich selbst. Meine Glieder werden taub. Zu schwach, zu schwach, zu schwach… Seine Worte und sein hämisches Lachen hallen in mir wider, wiederholen sich wie ein Echo. Mühsam schließe ich die Augen, doch sein Bild hat sich unwiderruflich in meine Netzhaut eingebrannt. Alles hängt kraftlos an mir herab, während ich vom Nichts verschluckt werde und die Wut einem dumpfen, schmerzenden Pochen weicht.
In einer Kuhle,im Schatten eines großen Sinelbeerenbaums,begann ein weißes Ei mit grünen Flecken an zu wackeln.
Ein wenig später fing es an zu leuchten,immer heller.
Am nächsten Morgen knackte die Schale und es war geschlüpft.Ein kleines Glumanda!
Es blickte sich um,sah aber niemanden außer ein paar Sesokitz,die in der Ferne durch das hohe Gras sprangen.
Die Flamme am Schwanzende des Glumandas war noch ziemlich klein,also beschloß es sie nicht dem Wind auszusetzen.Es legte sich wieder in die Kuhle in der es zuvor schlüpfte.Glumanda deckte sich mit Blättern und etwas Gras zu,dann schlief es ein.
Als der morgen graute wurde es unsanft von einer Computerstimmer geweckt. ,,Glumanda:Es ist ein kleines Feuerpokemon,dessen Flamme nach einem erfolgreich bestandenem Kampf größer und heller lodert als zuvor.
Ist es krank erlischt sie.´´ Dann sagte eine andere Stimme:,,Aha,ein Glumanda also...´´ Der Computer fuhr fort:,,Du musst ein glücklicher Trainer sein,denn dies ist ein goldenes Glumanda.Pokemon die eine andere Farbe haben als ihre Artgenossen werden als shiny bezeichnet und sind sehr selten.´´ ,,Du bist also selten mein kleiner Freund,dann lass mich dich fangen!Wenn ich dich in meinem Team habe wird mich keiner mehr besiegen können!Ich werde der allerbeste sein,wie keiner vor mir war!´´,sagte der Unbekannte.Er warf eine merkwürdig aussehende Kugel nach Glaumanda,doch dieser schreckte hoch und schlug sie mit dem Schweif zurück. ,,Mist!Ich hätte leiser sein sollen.´´,fluchte der Trainer.Glumanda rappelte sich auf und rannte davon.Der Pokemon-Trainer verfolgte Glumanda,zu einem großen See.Das schillernde Pokemon stand mit dem Rücken zum Wasser.Es hatte nur zwei Möglichkeiten:1. Ins Wasser springen und vor dem Trainer davon schwimmen(wobei es K.O. Gehen würde,wegen dem Wasser) und 2. Sich von dem Trainer fangen lassen.
Glumanda machte ein paar Schritte nach vorne und stellte sich mit offenen Armen dem Trainer.
Dieser zückte erneut einen Pokéball und tippte Glumanda damit an.Ein roter Blitz schlug in Glumanda ein und zog ihn in das innere des Balls.Der Junge hielt den Pokéball triumphierend in seiner Hand und lächelte. ,,Endlich hab ich dich...Du wirst das stärkste,größte und schönste pokemon werden was es jemals gab.´´,flüsterte er in den Ball hinein in der Hoffnung das Glumanda ihn hören konnte.Das Feuerpokemon war verzweifelt,und schluchzte,weil es lieber die weite Welt gesehen hätte und nicht in einem engen Pokéball eingesperrt werden wollte.
Der Trainer war gut zu Glumanda,er gab ihm leckeres Pokémonfutter,ließ ihn mit seinen anderen Pokémon spielen und trainierte mit ihm.So langsam mochte Glumanda seinen Trainer,doch mit einem seiner Pokémon kam er nicht zurecht:Snobilikat.
Snobilikat war eifersüchtig auf Glumanda,weil es von ihrem Trainer bevorzugt wurde.Glumanda hatte schon oft versucht diese Sache mit Snobilikat zu klären,doch es hatte sich stur gestellt und ärgerte es beim Training.
Zum Beispiel lenkte Snobilikat Glumanda ab,wenn es versuchte Flammenwurf zu lernen,manchmal sträute es ihm sogar Pfeffer in die Nase damit es andauernt niesen muss und keine Feuerattacken mehr benutzen kann.
Der Trainer zeigte kein Erbarmen und ließ Snobilikat frei
damit es das Training nicht mehr störte.Glumanda mochte Snobilikat nicht,hatte aber Mitleid mit ihm,da es die Welt ohne seinen Trainer nicht kannte und nun auf sich allein gestellt war.
Ein paar Wochen später erlernte Glumanda Metallklaue.Und dann geschah es...Es entwickete sich!
Das golden schillernde Glumanda wurde zu einem shiny Glutexo.Nachdem es sich entwickelt hatte,veränderte sich auch sein Wesen,es wurde rebellisch und wollte wieder frei sein!
Es kämpfte nur wenn es Lust hatte und griff seinen Trainer an.Trotzdem trainierte der Junge es weiter,weil es viel stärker war als alle Pokemon die,die anderen Trainer hatten.Obwohl es manchmal mitten im Kampf streikte,gewannen sie jeden.Wenn der Junge durch eine Menschenmenge lief begann hinter ihm eifriges Getuschel über sein Glutexo und seine Stärke.
Doch eines Tages nahm der Trainer an einem Tunier teil.Dem Tunier der Sieger.An diesem Tunier nahmen nur die stärksten Trainer der jewiligen Städte teil.
Die Gegner des Jungen waren harte Nüsse,doch er besiegte sie alle,bis auf seinen letzten...Im letzten Kampf griff Glutexo das Publikum,die Schiedsrichter,seinen Trainer und den Gegener an.
Officer Rocky stufte Glutexo als gefährlich ein und beschlagnahmte es.Sein Trainer wurde ins Krankenhaus gebracht und disqualifiziert.Als Officer Rocky mit Glutexo an der Polizeiwache ankam sprengte es den Käfig mit einem Flammenwurf und rannte davon.Sofort funkte Officer Rocky dies durch,sofort begann die Verfolgung.
Ein paar Stunden später,die voller Anstrengungen und Stress für Glutexo waren wurde es an der Klippe des Mondbergs gestellt.Alle Waffen waren auf Glutexo gerichtet.Es blickte ängstlich nach vorn und wägte die Möglichkeiten ab.Doch diesmal stellte es sich nicht sondern sprang von der Klippe in den Abgrund...Als Officer Rocky nach unten sah,sah sie nur eine Blutlache indem ein golden schillerndes Wesen lag...
„Jetzt gib mir diesen Keks!“
„Nö!“
Lachend riss ich meine Arme in Höhe, sodass meine beste Freundin nicht an den leckeren, mit Schokoladestückchen bestreuten Keks nicht erreichte. Doch nicht so schlecht etwas größer als die die Anderen zu sein. Meine Freundin schmolle kurz gespielt, dann ließen wir uns uns lachend auf das Küchensofa fallen. Grinsend sahen wir uns an, bekamen erneute einen Lachanfall, dann zerbrach ich den Cookie in zwei Hälften. Nachdem sie mir dankend zulächelte, ließ ich meinen Blick schweifen. Das schöne Buchenholz unseres Tisches wurde von einer weinroten Tischdecke verdeckt, welche farblich perfekt zu den ebenfalls weinroten Kissen der Stühle und denen der Couch passten.
Die Wand war in einem einladenen Orangeton gestrichen. Der laminierte Boden stach mit seinem matten Gelb nicht hervor, hielt sich dezent im Hintergrund. Ich atmete einmal erleichtert aus, dann wandte ich mich meiner Freundin zu. Ihre wunderschönen, braunen Haare reflektierten das Sonnenlicht, während ihre grasgrünen Augen wie fast immer aufgeregt funkelten.
„Und? Was machen wir heute?“ Natscha, so der Name meiner besten Freundin, blickte mir neugierig in die Augen. Bevor ich antwortete, blickte ich aus dem Fenster. Die Sonnenstrahlen schienen nach uns zu greifen, die Hitze war unerträglich, auch wenn das Sofa nur vor dem Fenster stand, wir waren nicht draußen, das wäre Selbstmord. Zumindest nannten wir beide es so. Ein Grinsen machte sich in meinem Gesicht breit. Dann stand ich, ohne ein Wort zu sagen, auf und marschierte schnurstracks in Richtung Kühlschrank. Und kramte zwei Wassereis heraus. Meiner Freundin warf ich eines mit Apfelgeschmack zu, mir selber nahm ich eines, dass nach Orangen schmeckte. Schließlich setzte ich mich neben sie und wir schwiegen erneut. Sie mussten uns einfach nur ansehen, dann fühlten wir uns geborgen. Unsere Freundschaft war stark, sehr stark. Niemand konnte es mit uns aufnehmen, wir würden für immer beste Freunde sein. Doch an diesem Tag... Es war der Todestag... Der Todestag Rahels...
Sie war damals, vor fünf Jahren, meine beste Freundin gewesen. Wir taten alles zusammen, so wie Natascha und ich...
„Rahel! Rahel, wo bist du?“ Hecktisch sah ich mich um.
Feuer. Nichts als Feuer und Rauch. Nirgends meine beste Freundin. Schnell hielt ich mir mein Halstuch vor den Mund und rannte in die geöffnete Zimmertür. Die riesigen Flammen verschlangen alles, was sich ihnen in den Weg stellten. Plüschtiere, Bücher, Fotos, alles... Ich musste mitansehen, wie die liebsten Sachen meiner Freundin verbrannten, ich konnte nichts dagegen tun. Und mein Fotoalbum! Ich hatte mein Fotoalbum mitgenommen, als ich sie besuchte, nun nagten die Flammen auch an ihm. Schnell duckte ich mich, denn das Bücherregal krachte zusammen.
Und neben diesem Möbelstück lag sie. Das Gesicht schwarz, ohnmächtig. Sie rührte sich nicht mehr. Panisch schmiss ich mich neben sie und versuchte sie wach zu rütteln. Aber nichts.
„Nein...“ Meine Augen füllten sich mit Tränen. Sie durfte jetzt nicht tot sein. „Rahel!“, schrie ich und presste meinen Kopf weinend an ihre Brust. Ich wollte nicht hier weg, nicht ohne Rahel. Es kostete mich ungeheure Mühe Luft zu holen. Immer wieder wurde mein Atemzug von einem Husten unterbrochen.
Es war keine Absicht gewesen. Wir beide spielten mit dem Kamin im Wohnzimmer. Ein Tuch, welches wir auf der Straßen fanden, sollte brennen. Wir wollten es verbrennen, um zu sehen wie dies aussah. Doch es war viel zu schnell. Als Rahel das Halstuch ins Feuer schmeißen wollte, traf sie ein Funke, sie schrie und ließ es fallen. Das Feuer jedoch, nutze den Stoff als eine Art Brücke. In Sekundenschnelle erreichte es den Teppich, der doofer Weise direkt vor dem Kamin stand. Auch dieser fing augenblicklich Feuer. Wir schrien, dann rannten wir. Beide in eine andere Richtung. Sie in ihr Zimmer, ich ins Badezimmer. Ihre Eltern waren nur kurz einkaufen, an den Ersatzschlüssen kamen wir nicht. Ich weiß nicht, wie lange ich im Bad verweilte, doch es war nicht zu lange. Das laute Knistern war nicht zu überhören und als ich dann noch den lauten Aufprall eines Möbelstückes vernahm, welches wohl auch durch das Feuer umstürzte. Ich fasste den Entschluss meine Freundin zu retten, koste es was es wollte!
Ich hielt den Atem an und spurtete aus dem Badezimmer. Der Rauch erschwerte mir die Sicht, wie Nebel. Die Feuerwehr würde bald kommen, doch solange würde Rahel nicht aushalten. Der Flur brannte kaum. Dafür aber das Wohnzimmer und der Raum, in dem meine beste Freundin lag. Als ich diese betrat sprang ich, kniete mich neben sie und drehte zu mir, in der Hoffnung, sie würde gleich aufspringen und würde anfangen zu lachen. In der Hoffnung, dass all das Feuer verschwand.
Doch Rahel stand nicht auf. Es war kein böser Traum.
Es war Realität!
Sie lag neben da, regungslos, bewegte sich nicht... Langsam aber sicher wurde auch mir Schwarz vor Augen und ich fiel in eine Welt aus nie endender Dunkelheit...
„Amalia? Amalia.“ Als ich meine Augen wieder öffnete, sah ich in die erleichterten Augen meiner Mutter. Sie drückte meine Hand. Fest. Ich blinzelte langsam, dann kam auch schon ein Arzt rein. Er untersuchte mich, ich nahm all dies nicht mehr richtig war. Doch schließlich fiel mir meine Freundin ein.
„Rahel! Wo ist Rahel!“ Schnell suchte ich Blickkontakt mit dem Arzt. Seine anfänglich fröhliche Miene war wie weggeblasen. Er sah nun sehr traurig aus und er schluckte, bevor er mir die erschreckende Wahrheit sagte.
„Es tut mir so leid. Aber sie ist vor wenigen Stunden verstorben!“
„Sie ist vor wenigen Stunden verstorben...“ Diesen Satz wiederholte ich tagtäglich. Ich konnte es nicht glauben, meine beste Freundin... Meine beste Freundin war tot, einfach gestorben.
Man gab mir noch ein Foto, welches sie bei ihrem ableben in der Hand hielt. Es war Eines von uns beiden. Wir saßen als Kindergartenkinder auf dem Rand eines Sandkasten, in kleinen Latzhosen und zwei große Lollies in der Hand.
Ich erinnerte mich nun gerne an die Tage zurück, an denen wir beide zusammen Spaß hatten, spielten und malten. Natascha war damals für mich da gewesen. Ich war am ertrinken und sie das rettende Land. Nicht das sie Rahel ersetzten konnte, nein, niemand konnte dies. Aber ich wusste, dass sie nicht böse sein würde, würde ich eine ''zweite'' beste Freundin haben. Rahel war immer noch der Mensch, den ich als meine beste Freundin bezeichnen konnte, auch wenn ich nun eine Zweite hatte.
Ich seufzte einmal, Natascha schien zu wissen, an was ich eben dachte, doch das störte sie nicht, kein bisschen. Ein leisen Schluchzen konnte ich nicht unterdrücken. Tränen liefen über meine Wange, ungehindert. Doch Natascha nahm mich in den Arm.
„Hey...“, flüsterte sie. „Du weißt, ich bin immer für dich da... Du weißt, du kannst mir alles erzählen, was dich betrügt.“ Ich nickte nur stumm. Ich wusste, ich konnte ihr alles anvertrauen. Doch mein größtes Geheimnis behielt ich für mich, es hätte ihr das Herz gebrochen...
~ * ~
Wenn ich nun daran zurückdenke, wird mir klar, ich hätte es ihr sagen sollen.
Aber hätte sie es verkraftet? Ich weiß, wie schwer es ist, seine beste Freundin zu verlieren...
Ich wollte ihr dies nicht antun... Doch ich weiß, sie wird es erfahren, spätestens wenn sie diesen Brief hier ließt...
Liebste Natascha,
es tut mir leid, so Leid. Aber... Es ist soweit...
Du wirst dich jetzt bestimmt fragen, was es ist, doch... ich sage dir Eines: Es ist nichts Schönes.
Ich möchte auch nicht lange um den heißen Brei herum reden...
Es ist nur so... Ich habe Krebs. Dies weiß ich schon lange.
Es tut mir Leid, schrecklich Leid, ich habe es dir nicht sagen können, hatte Angst, dich zu tiefst zu enttäuschen.
Doch ich wusste, du würdest es bald erfahren...
Erinnerst du dich an den Fünften Todestag von Rahel? Einen Monat zuvor gaben mir die Ärzte noch sechs Monate. Und nun... Es ist soweit. Ich bin sehr schwach geworden. Morgen werde ich höchstwahrscheinlich nicht mehr aufwachen... Selbst diesen Brief zu schreiben, kostet mich viel Kraft.
Ich möchte nur das du weißt, wie wichtig du mir geworden bist, wie dankbar ich bin, dass du für mich da warst. Es ist vorbei, es tut mir Leid. Auch wenn es schwer fällt... Vergiss unsere gemeinsame Zeit nicht, für mich, ja? Du bist unendlich wichtig für mich, lebe dein Leben, erfülle deine Träume, für mich.
Danke... Danke, dass du meine Freundin bist. Denk immer daran. Beste Freundschaft hält ewig... Über den Tod hinaus...
Vielleicht sehe ich ja Rahel wieder? Wer weiß...
Ich lege mich nun schlafen, werde meine Augen wahrscheinlich niemals mehr öffnen...
Ich sage es noch einmal. Danke. Pass auf dich auf. Bleib so wie du bist, okay?
Ich war alleine... Und du warst für mich da... Danke dafür, wie soll ich dir jemals danken?
Lebe wohl,
Amalia~
Ein Seufzen, Tränen in meinen Augen, mein Blick gedankenverloren zum Fenster.
Das leise Zwitschern der Vögel, Musik in meinen Augen. Meine Mutter... Neben mir... Sie hält meine Hand, wird dies hier mit mir durchstehen. Ein Blick in die Augen meiner Mutter. Ich weiß, es fällt ihr schwer, mich gehen zu lassen, sie ermöglicht es mir, ohne große Sorgen in die ewigen Jagdgründe einzugehen... Sie ist bereit, bereit mich gehen zu lassen...
Die Hoffnung stirbt zuletzt...
So sagt man. Doch was, wenn das Schicksal etwas Anderes mit dir vorhat? Was ist, wenn dein Leben nur fünfzehn Jahre dauert und du mit zehn deine beste Freundin verlierst? All dies ist mir passiert... Gleich hat dies ein Ende...
Die Ärzte sagten es mir, sie sagten, die Hoffnung, der Glaube könnte Berge versetzen, sagten, es würde sich lohnen zu kämpfen, es würde immer Hoffnung geben... Doch mein Hoffnungsfeuer ist erloschen, dass weiß ich.
Meine Mutter streicht mir sanft über meine Hand, flüstert mir zu, mir sehr sie mich liebt. Ein Lächeln, dieses zeigt ihr, dass ich auch so fühle, sie niemals vergessen werde auch wenn ich tot bin. Meine freie Hand klammert sich an die drei Fotos, die auf meinem Bauch liegen, dort würden sie auch bleiben.
Das halb verbrannt Bild von Rahel und mir...
Ein Bild von meiner Familie...
Und eines von Natascha...
Sie werden mir fehlen...
Die Hoffnung stirbt zuletzt...
So sagt man.
Doch dies trifft nicht mehr auf mich zu...
Denn meine Hoffnung ist schon lange tot...
„Alles Gute zum Geburtstag, Sarah!“ Freudestrahlend drückte mir mein Papa das mit buntem Geschenkpapier umhüllte Paket in die Hand. Natürlich hatte ich schon eine Vorstellung davon, was sich darin befinden könnte: Alle Mädchen aus meiner Klasse waren in jenem Sommer begeistert von Tamagotchi, und meine Eltern wussten das.
Welches würde ich wohl bekommen? Endlich könnte ich mit den anderen Mädchen und ihren Tamagotchi zusammen spielen, das würde so toll werden!
Erwartungsvoll riss ich das mit süßen Tieren verzierte Geschenkpapier von der Verpackung, gleich würde das aus der Werbung bekannte eiförmige Gerät in meiner Hand liegen – doch irgendwas war anders. Auf dem Karton waren unzählige seltsame Schriftzeichen abgebildet, und an der Seite stand in schwarzen Buchstaben das Wort DIGIMON geschrieben. Als ich das Ding auspackte, erblickte ich auch nicht die erwartete ovale Außenhülle, sondern etwas Rechteckiges. Das war kein Tamagotchi! Das war irgendwas anderes!
Ruckartig drehte ich mich zu meinen Eltern um, die mich beobachteten.
„Gefällt es dir, Sarah? Dein Vater hat dir bei seiner letzten Geschäftsreise das neueste Tamagotchi direkt aus Japan mitgebracht.“
„Aber, das ist kein Tamagotchi! Die sehen anders aus.“ Hitze stieg mir in den Kopf, ich errötete und wusste nicht, was ich noch sagen sollte. Papa hatte mir extra aus Japan ein Geschenk mitgebracht, aber ich konnte mich nicht darüber freuen. Die anderen Mädchen würden sich bestimmt über mich und mein seltsames Monster-Tamagotchi lustig machen. Und miteinander verbinden konnten wir sie sicher auch nicht.
Papa blickte mich an. „Sarah, glaub mir, das hier ist ein Tamagotchi, es ist von der gleichen Firma und enthält ebenfalls ein virtuelles Tier, das du großziehen kannst.“
Nachdenklich starrte ich auf die kleine Maschine in meiner Hand. Sie war leuchtend rot, auf der linken Seite befand sich der quadratische Bildschirm, die drei Knöpfe auf der rechten Seite waren gelb.
„Wie wäre es damit: Jetzt schaltest du es ein, und brütest das Ei erst einmal aus. Und in ein Paar Tagen, wenn es dir wirklich nicht gefällt, gehen wir zusammen in den Laden und kaufen dir ein ganz normales Tamagotchi, du kannst es dir aussuchen. Wie klingt das?“ Er streckte mir die Hand entgegen. Ich schlug ein. „Okay, Papa. Das klingt gut.“
Aus dem Ei schlüpfte ein kleines schwarzes Wesen; es sah zugegebenermaßen ziemlich süß aus. Zum Glück konnte Papa fließend japanisch. Er las mir die Gebrauchsanweisung oft genug vor, bis ich sie auswendig kannte. Auch wenn ich einige Funktionen noch nicht wirklich verstand, bekam ich raus, dass ich das kleine Tierchen füttern konnte, entweder mit Vitaminen oder mit Fleisch. Und, dass ich hin und wieder seine Häufchen aufräumen musste. Das unterschied sich wirklich nicht sehr von den Tamagotchi der anderen Mädchen.
Ich saß in meinem Zimmer am Schreibtisch und schaute konzentriert auf den kleinen Bildschirm. Vor ungefähr einer Stunde war das kleine schwarze Wesen ausgeschlüpft, doch nun sah es anders aus. Es war ein wenig größer und ganz weiß, die Ohren waren auch viel länger, wie bei einem Hasen! Gab es einen Fehler, war das Gerät etwa kaputt?
Papa schaute mir über die Schulter, dann warf er einen Blick in die Anleitung. „Haha, sieh an, es hat sich weiterentwickelt.“ Noch ein kleiner Spicker auf den Zettel. „Glückwunsch, jetzt hast du ein Koromon.“ Das mysteriöse Tier hatte sich verwandelt! „Kann es sich noch weiter verwandeln? Noch größer werden?“
„Ja, wenn du dich gut um es kümmerst.“
Auf dem Bildschirm sah es so aus, als ob Koromon herumhüpfte. Ich weiß bis heute nicht wieso, aber mir kam es so vor, als ob es mich anlächelte. Und ich lächelte zurück. „Ich werde gut auf dich aufpassen, Koromon. Fest versprochen!“
Am nächsten Tag nahm ich mein Digital Monster, wie es scheinbar hieß, mit in die Schule. Dank des Schlüsselanhängers hatte ich es hinten an meiner Schultasche festgemacht. Die anderen Mädels würden staunen. Ja, es war kein normales Tamagotchi, aber ich fand Koromon mindestens genau so süß wie die Tierchen der anderen.
Da Papa, so lange er zu Hause war, darauf bestand mich persönlich zur Schule zu fahren, den Weg aber kaum kannte, verfuhren wir uns, und ich kam erst ganz kurz vor Beginn der ersten Stunde in die Schule.
Es war an jenem Tag äußerst heiß im grauen Schulgebäude, man könnte fast sagen, dass es unter der Morgensonne brutzelte. Und da es in unserem Klassenzimmer keine Klimaanlage oder so was gab, konnte sich kaum jemand auf die erste Stunde, Mathe, konzentrieren. Nicht einmal die Lehrerin. Um ehrlich zu sein sah sie sogar so aus, als ob sie bald in Ohnmacht fallen könnte. Arme Frau Wolle, sie kam aus dem Norden Deutschlands, wo es angeblich kühler war als hier im Süden, und dann herrschte seit ein Paar Tagen auch noch so eine unzumutbare Rekord-Hitze. Der Uhr zufolge war es erst acht Uhr fünfzehn, aber trotzdem zeigte das Thermometer bereits dreißig Grad an.
Nach fünf Minuten, in denen Frau Wolle sich während ihrer halbherzigen Versuche uns etwas über Division beizubringen, ihrer Anzug-Jacke entledigt hatte, gab sie schließlich auf. Der Schweiß rann ihr von der Stirn, und mit einem Seufzer lies sie das Mathe-Buch auf ihren Tisch fallen. „Kinder, entschuldigt bitte kurz, ich muss dringend mit dem Rektor reden. Bei solchen Temperaturen ohne Klimatisierung zu arbeiten, das bringt doch nichts.“
Mit jenen Worten verließ sie das Zimmer. Natürlich begannen sofort alle durcheinander zu plappern. Papierflieger durchquerten das Klassenzimmer in verschiedensten Richtungen, und ich drehte mich zu meiner Banknachbarin, Mathilda, um, die mich sofort umarmte. „Ich wünsche dir nachträglich alles Gute zum Geburtstag“, flüsterte sie mir ins Ohr. Mathilda war ziemlich schüchtern, ich glaubte sie würde sich am liebsten immer hinter ihren langen schwarzen Strähnen verstecken. Aber sie war auch nett, und hatte mich ein Paar Mal mit ihrem Tamagotchi spielen lassen. Ich mochte sie sehr.
„Ich hoffe, dein Geburtstag ist gut verlaufen? Immerhin ist dein Papa extra früher aus Japan gekommen deswegen.“
Mühsam löste ich mich aus der Umarmung, das war mir an ihr immer ein wenig komisch vorgekommen. „Ja, es war alles toll. Ich habe auch ein Tamagotchi bekommen, und zwar sogar das allerneueste Modell aus Japan!“ Mit diesen Worten löste ich das rote Gerät von meinem Ranzen und lies es zwischen meinen Fingern baumeln. „Ziemlich cool, was?“
Schweigend nahm Mathilda es mir aus der Hand und betrachtete es konzentriert. „Das, das sieht wirklich interessant aus. Es ist tatsächlich total neu, und das Wesen sieht auch süß aus.“
Die Tatsache, dass es einen anderen Anschluss hatte als ihr Tamagotchi, und wir sie deshalb nie miteinander verbinden können würden, übersah sie freundlicherweise und dafür war ich ihr sehr dankbar. In der Pause würden die anderen Mädels mich damit noch genug nerven.
Mathilda schaute weiter interessiert auf die verschiedenen Knöpfe und das herumhüpfende Koromon, bis sie es beinahe erschreckt aus der Hand fallen lies und mir schnell in die Hand drückte.
„Das, das Lämpchen leuchtet. Aber ich schwöre, ich habe nichts angefasst, keine Ahnung, was da los ist.“ Tatsächlich hatte der Alarm wieder einmal zu blinken begonnen, das war ich inzwischen schon gewohnt.
„Haha, sei nicht so ein Angsthase, das Blinken bedeutet nur, dass wieder Fütterungszeit ist.“ Ich legte das DIGITAL MONSTER auf den Tisch, direkt zwischen uns und drückte vor Mathildas Augen die entsprechenden Knöpfe. „Was darf es sein, Fleisch oder Vitamine? Das heutige Tagesmenu besteht aus... Fleisch.“
Wir sahen zu, wie Koromon es sich einverleibte und wieder putzmunter wurde.
Frau Wolle kam zurück in die Klasse..
„Es tut mir Leid, Kinder, aber wie es scheint, haben wir keine Ventilatoren mehr, die wir in der Schule aufstellen könnten, ich habe den Hausmeister gefragt. Aber der Direktor wird in wenigen Minuten wahrscheinlich sowieso verkünden, dass es heute Hitzefrei gibt.“
Also blieben wir alle, Frau Wolle inklusive, mit gepackten Taschen sitzen und warteten, dass aus dem Lautsprecher die Stimme der Direktors ertönte. Doch sie kam nicht, während es mit jeder Minute heißer wurde. Alle waren ganz still, inzwischen hatte keiner mehr Lust sich zu unterhalten, wir wollten nur noch raus aus dem stickigen Zimmer.
Jemand schien sich auf dem Gang vor dem Klassenzimmer zu befinden, mit schweren, schlurfenden Schritten, die zu laut klangen, um von einem Schüler oder Lehrer stammen zu können, bewegte die Person sich voran. Jetzt begann es von draußen auch noch zu knistern, fast so als ob etwas brannte!
Aber, wenn das wirklich der Fall wäre, dann hätte doch der Feueralarm losgehen müssen, versuchte ich mich zu beruhigen. Vor unserer Tür blieb die Person stehen und klopfte an die Tür, ich weiß bis heute nicht, wieso sie das getan hatte.
„Herein,“ antwortete Frau Wolle, die sich mit einer Mappe Luft zufächerte. „Ich hoffe, sie haben Eistee dabei,“ witzelte sie.
Langsam wurde die Türklinke umgelegt, in der gleichen Sekunde begannen alle Lampen im Klassenzimmer wie verrückt zu flimmern, bis die Glühbirnen reihenweise durchbrannten. Ein Paar Schüler schrien auf, aber jeder blieb sitzen, als das, was ich anfangs fälschlicherweise für einen Menschen gehalten hatte, den Raum betrat. Es war humanoid, das stimmte, aber sein gesamter Körper brannte lichterloh, und es wirkte durch das von ihm ausgehende Hitzeflimmern ein wenig verschwommen. Gebückt zwängte es sich durch den Türrahmen, wir konnten sehen wie der Griff durch das Feuer seine Stabilität verlor und sich leicht verformte, während die Tür selbst verrußt zurück blieb.
Niemand sagte ein Wort, alle waren wie gelähmt, starrten auf das brennende Ungetüm mit den seltsam klaren blauen Augen, das den Kopf gebeugt halten musste, um sich nicht an der Zimmerdecke anzustoßen. Der brennende Mann starrte zurück, wenn man genau hinsah konnte man sogar sehen, dass sein Mund teilweise zugenäht war.
Es schaute jedem in der Klasse, angefangen bei Frau Wolle, tief in die Augen; dass hinter ihm die Wände zu kokeln anfingen, schien es nicht zu interessieren. Sprachlos starrten wir auf das Monster, teils weil es nichts gab, was man so einer Kreatur entgegensetzen konnte, teils weil allmählich im Raum die Luft knapp wurde.
Schließlich, nach einer halben Ewigkeit, wandte es sich der verschwitzten Frau Wolle zu, und presste hinter den zusammengenähten Lippen ein Paar Worte hervor: „Where is it?“
Die Lehrerin starrte es entgeistert an. Niemand rechnete in seinem Leben damit jemals einem brennenden Ungeheuer zu begegnen, aber dass es auch noch anfing Englisch zu reden? Keine Chance.
Wimmernd brachte sie ein kurzes „Where ist what? What are you looking for?“ hervor, während sie versuchte, möglichst unauffällig auf ihrem Stuhl an die dem Monster gegenüberliegende Wand zu rutschen.
Falsche Entscheidung. Von einer Sekunde auf die andere rastete das Feuerungetüm aus und fing an zu brüllen: „The food, you fool! I need food! I'm hungry and I can smell it!“ Suchend lies es wieder seine schauderhaften Augen über uns wandern, und entdeckte schließlich Mathilda und mich in der ersten Reihe. Fordernd streckte es die Hand aus. „Give it to me! I know that you have it!“
Mathilda fing an zu wimmern und blickte mit tränenden Augen auf den Feuermann, bis mir eine Idee kam. Wenn der Typ so hungrig war, konnten wir ihn bestimmt mit ein Paar Pausenbroten besänftigen! Das flüsterte ich meiner Freundin auch sogleich ins Ohr, die nickte. Sie hatte verstanden. Langsam zog sie ihr Essen aus der Tasche und ließ es ganz vorsichtig, um sich nicht zu verbrennen, in die Hand des Mannes fallen.
Mit einem Happen verschlang er es, ich war erstaunt darüber, wie er zwischen den ganzen Nähten die seinen Mund bedeckten überhaupt etwas in seinen Rachen hineinschieben hatte können, dann machte er mit der Hand eine kreisende Bewegung zum Rest der Klasse hin.
Scheinbar wollte er mehr. Der Reihe nach übergab ihm jeder Schüler seine Mahlzeit, und genüsslich verleibte er sich alles ein. Immer wenn ihm jemand ein Wurstbrot gab, nickte er dem Kind sogar aufmunternd zu, so was mochte er scheinbar am liebsten.
Aber dummerweise hielt der Zustrom an Broten nicht lange an, und wir konnten deutlich hören wie der Magen des Mannes knurrte. Hoffentlich würde er nicht als Nächstes auf die Idee kommen, uns aufzufressen!
Mein Digimon-Gerät hatte schon wieder zu blinken begonnen, und geistesabwesend nahm ich es in die Hand. Scheinbar wollte Koromon unbedingt erneut gefüttert werden, also gab ich ihm per Knopfdruck noch eine Mahlzeit. Meramon bemerkte das und flippte so richtig aus. Die Flammen aus seinem Körper, die sich während des Essens auf ein Minimum reduziert hatten, schossen wieder kräftig hervor.
„Give it to me! Your Digimon! Now!“
Der Mann war mit einem Schritt bei mir und sein Körper war so heiß, dass ich reflexartig zurückzuckte. Dabei fiel mir Koromon aus der Hand, und innerhalb von einer Sekunde hatte das Monster es in der Hand. Geschickt drückte es ein Paar Knöpfe, und kurzzeitig schien sein Arm darin zu verschwinden, als würde er in das kleine Gerät hineingesaugt. Ich hatte einerseits Angst, dass der Feuermann Koromon etwas antun könnte, aber andererseits fürchtete ich mich noch mehr vor dem was passieren würde, falls er darin nicht fand, wonach der suchte. Doch gleich danach zog er seine Hand wieder heraus, und zwischen den Fingern hielt er mehrere gewaltige Stücke Fleisch umklammert. Bei der bloßen Berührung mit dem brennenden Körper des Mannes fingen sie an zu brutzeln, und genüsslich riss er sie in mundgerechte Happen, die er sich zwischen den Nähten in den Mund schob.
Schließlich legte er Koromon mit fast schon übermäßiger Vorsicht auf den Tisch, es war zwar total verkohlt, aber schien ansonsten wundersamerweise unbeschädigt. Er verbeugte sich leicht vor meinem virtuellen Haustier, und fing wieder an zu sprechen: „Arigato, erm, thank you for the food, Koromon. I guess I gotta go now. Have fun learning, kids. It is important for your future. Just like food.“
Mit diesen Worten drehte der brennende Mann sich um, und verließ das Klassenzimmer wieder durch die mittlerweile komplett pechschwarze Tür, während ich mich fragte, was 'Arigato' wohl bedeuten mochte, und ob das auch Englisch war. Glücklicherweise war zwar vieles im Raum verkohlt, aber kein richtiges Feuer hatte sich gebildet, sonst wären wir in echter Gefahr gewesen. Ich schaute runter zu Koromon. Es schien gesund zu sein, und nicht zum ersten Mal überkam mich das seltsame Gefühl, dass es lächelte.
„War das ein Freund von dir, Koromon?“
Keine Antwort. Natürlich nicht. Trotzdem glaubte ich, dass es mich verstanden hatte. Kichernd schaute Mathilda zu uns. „Ein brennender Mann hat mein Pausenbrot gegessen, und er ist auch noch ein Kumpel von deinem seltsamen Tamagotchi!“ Wir fingen bei dem Gedanken beide an zu lachen, konnten uns gar nicht mehr einkriegen. Das klang viel zu bescheuert, so was würde uns doch nie jemand glauben. Kurz darauf lachte die ganze Klasse, sogar Frau Wolle, der es, seit der brennende Mann und mit ihm die unnatürliche Hitze verschwunden war, wieder verhältnismäßig gut ging, stimmte mit ein.
Natürlich, die Putzkolonne würde am Nachmittag bestimmt nicht sehr erfreut über die Sauerei sein, aber im Grunde hatten wir den Tag ganz gut überstanden. Die Polizei konnte später keine Ursache für das Feuer finden, nur seltsame verkohlte Fußabdrücke im ganzen Gebäude. Niemand wusste, woher sie kamen, wo sie hinführten, schließlich hörten sie einfach auf, direkt vor der Tür zum Computerraum, als hätte sich der Verursacher in Luft aufgelöst. Und wer weiß, vielleicht war es tatsächlich so gewesen.
Krampfhaft drückte er seine Finger in den Dreck dieser verlassenen Seitenstraße, in seiner Nase lag der widerwertige Gestank des Mülls, der sich in den großen, grünen Containern vor den Backsteinfassaden der Gebäude befand. Die Häuser türmten sich eng aneinander, sodass wenig Licht diesen unheimlichen Ort traf, in der Ferne konnte man das Geräusch von quietschenden Autoreifen wahrnehmen, doch deutlich waren nur das Bröckeln der Steine und Piepsen der Ratten zu hören, was aus den braunen Kanaldeckeln drang.
Er zog seine Augenbraun zusammen, biss sich auf die Zähne und ballte die Hand mit dem Dreck darin zur Faust. Der rasende Atem zeugte die Wut in ihm. Er lag auf dem Boden der Straße, blutete an seiner linken Schläfe, um den Teenager herum lagen dessen Freunde, die sich langsam aufzurichten versuchten. Seine schwarze Jogginghose war durchnässt vom unsauberen Wasser der Pfütze, welche unter ihm lag, und erschwerte das Aufstehen umso mehr für ihn. Schrammen zierten seinen ganzen Körper, sein rostroter Kapuzenpullover wies viele Löcher auf, an denen man seinen geschundenen Körper sah.
„Ey, was geht mit dir? Chill mal lieber, dich hat’s am härtesten von uns erwischt“, sagte Lukas, genannt Luke, der seine Hand auf Nicks Schulter legte, doch dieser zuckte nur kurz zusammen und erhob sich. Er zog seine Kapuze auf, die sein mittellanges, braunes Haar bis auf ein paar Strähnen, welche seine Stirn halb bedeckten, umhüllte, und schlug die Hand seines Freundes von seiner Schulter.
„ Diese Dreckskerle!“, rief Nick und schoss eine herumliegende Dose mit dem Fuß gegen einen der Container. Der Rest der Gang stand mit den Gesichtern zum Boden gerichtet in der Straße verteilt. Die fünf Jungs waren alle vom Kampf verletzt, niemand konnte mehr die Kraft aufbringen, die Nick aus sich herausließ, wie ein Bulle dessen Hörner geraubt worden waren, scharrte er mit seinen schwarzen Schuhen, deren Sohlen von einem dicken, weißen Rand umringt waren, im Staub. Der Teenager unterdrückte die Tränen, welche ihm schon lange in den Augen lagen, doch er wollte keine Schwäche zeigen, besonders den anderen gegenüber nicht.
„Wir hätten ihr Terrain nicht betreten sollen. Warum sind wir auch nicht einfach gegangen, als sie es verlangten?“, fragte der Kleinste in der Gruppe. Vorwurfsvoll richtete sich Nicks Blick umgehend, nachdem diese Worte aus dem Mund des Jungen kamen, auf ihn. Er stürmte sofort auf den Kleineren zu, griff mit seinen Händen dessen T-Shirt und hob ihn hoch in die Luft. Der Junge sah verängstigt in die Augen seines Freundes. Fest umklammerten Nicks starke Hände die dünnen Arme des Kleinen, der mit seinen Beinen versuchte, den Boden wieder zu erreichen, aber nur in der Luft herumtrat.
„Lass ihn Nick! Du bist so drauf, dass du schon nicht mehr erkennst, wer Freund und Feind ist“, sagte Luke. Nick war einige Sekunden in Gedanken versunken, bevor er seinen Freund wieder herunter auf den Boden fallen ließ. Er spuckte von oben auf den Jungen herabschauend vor dessen Füße, um direkt danach aus dieser Seitenstraße zu verschwinden. Auf dem Weg schoss er eine weitere Dose zur Seite, die mit einem lauten Knall gegen ein paar andere stieß.
Luke bückte sich, um seine graue Wollmütze aufzuheben und über den Kopf zu ziehen, dann zog er die Ärmel seines weißgrau gestreiften Pullovers bis zu den Ellenbogen. Er steckte seine Hände in die Hosentaschen der dunkelblauen Hose, die wenige Zentimeter unter seiner Hüfte hing.
„Ich geh ihm hinterher, haut besser ab, für euch wird’s jetzt zu gefährlich“, sprach er zu den anderen. Nachdem der Teenager aus seinen Taschen zwei weiße, kleine Kopfhörer herausgekramt hatte und sich diese in seine von der Kälte erröteten Ohren gesteckt hatte, folgte er Nick, den er nach wenigen Metern bereits deutlich auf der Hauptstraße erkennen konnte. Er konnte schon erahnen, was sein Freund nun vorhatte.
Die Sonne war bereits untergangen, das Licht des Mondes und der Sterne ging jedoch in den schrillen, bunten Leuchttafeln der Stadt unter, deren Leben so grau und hart war, wie der Beton der Wolkenkratzer. Die Abgase der unzähligen Fahrzeuge ließen die Luft zu einem unangenehmen Gemisch werden lassen, das jede empfindliche Nase zum Jucken brachte. Nick musste niesen.
„Zu dem ganzen Scheiß, kommt noch ne Grippe dazu, na toll“, murmelte er in sich hinein. Der Teenager schaute sich hastig um, als würde er etwas Bestimmtes suchen. Von den Geschäften drang unterschiedliche Musik auf die Straße, von Pop bis Rock war alles dabei und an der nächsten Straßenecke wurde man von Straßenkünstlern bereits mit der Hoffnung auf etwas Kleingeld erwartet. Die Pflastersteine bebten durch die vielen Schritte der Menschen, von allen Seiten roch es nachHundekot, Parfüm und Essen. Nicks Magen knurrte, er sah auf seinen Bauch, legte seine linke Hand auf diesen und versuchte in kreisender Bewegung die störenden Geräusche zu unterdrücken.
„Nick, ich bin bei dir, alter“, erklang überraschend eine ihm bekannte Stimme. Kopf an Kopf hatte sich sein Kumpel Luke rechts neben ihm gestellt, Nick spürte seinen Atem, er muss wohl gerannt sein, um ihn noch zu erwischen. Nicks Blick richtete sich für einen Moment auf die blauen Augen seines Freundes, er schüttelte den Kopf, holte ein Feuerzeug und eine Zigarette hervor. Er spielte etwas mit dem Feuerzeug, drehte es mehrmals in der Luft, zündete sich die Zigarette an und betätigte den Feuerauslöser immer und immer wieder, bis Luke ihm diesen aus der Hand entriss. Nick seufzte. Er legte die Zigarette zwischen den Lippen balancierend seine Arme hinter dem Kopf übereinander, setzte ein paar Schritte nach rechts, dann nach links,… und blieb letztlich wieder vor Luke stehen, der ihn mit seinen Augen verfolgte und die Kopfhörer am Pullover herunterhängen ließ.
„Wo hängen diese Kerle wohl ab?“, fragte Nick seinen Kumpel, der daraufhin mit den Schultern zuckte. Zwei ratlose Gesichter starrten sich eine Weile an, ein paar mit Wintermäntel angekleidete Leute gingen an den beiden Teenagern vorbei, schauten für eine Sekunde zu ihnen, bevor sich ihr Blick rasch wieder dem Verlauf des Bürgersteiges widmete, aus Angst, von den Teenagern mit einem „Was glotzt du so?“ angesprochen zu werden.
Plötzlich lief Nick einfach los. Luke runzelte die Stirn, versuchte den Arm seines Kumpels zu fassen, allerdings konnte er ihn nicht greifen. Sich durch die entgegen strömende Menschenmenge kämpfend folgte er ihm, der ein oder andere Passant wurde von Nick rücksichtslos mit der Schulter angerempelt, ging aber stumm weiter, als wäre nichts passiert. Nicks Aussehen und seine Größe waren anscheinend für die meisten beängstigend, weshalb viele nichts mit ihm zu tun haben wollten, doch Luke fürchtete ihn nicht, er beschützte ihn sogar regelrecht. In keinem Moment ließ er seinen Blick von ihm schweifen, aufgrund der Befürchtung, er könnte sich mit dem nächstbesten Halbstarken anlegen, um seinen angestauten Zorn freien Lauf zu lassen. Luke fiel es schwer sich in den Massen fortzubewegen. Die zahlreichen Handtaschen der Frauen schlugen an seinen Körper, er wich den aufgefalteten, überwiegend schwarzen Schirmen mit dem Kopf aus, um nicht von den Spitzen am Rande dieser ein Auge ausgestochen zu bekommen. Nicks Kleidung stach wenigstens aus der Menge heraus, sodass er ihn gut verfolgen konnte, auch wenn sein Gang unheimlich schnell für einen Siebzehnjährigen war. Sie kamen an vielen Geschäften vorbei, in den Schaufenstern waren mal süße Stofftiere zu sehen, deren Knopfaugen die leicht zu beeindruckenden Kinder magisch anzogen, mal weiße, plastische Puppen, die den modischen Trend für den Winter angaben, mal ein paar Laptops der neusten Modelle. Die Stadt lebte und doch irgendwie auch nicht. Die Leute auf den Straßen schwiegen, als wären sie bereits gestorben, an den Wänden der Häuser lehnten verarmte Menschen, die mit ihrer zerrissenen Kleidung zu erfrieren drohten, vor ihnen meist ein Hut, indem sich eine geringe Zahl an Münzen befand. In den Gesichtern der Menschen war kein Lächeln zu vermerken, meist mit einem Handy am Ohr und schnellem Schritt waren sie unterwegs, gestresst von morgens bis abends.
Nach einer Weile wurde es ruhiger. Luke holte Nick auf, die beiden Teenager kamen in eine Gegend die Nähe des Flusses war. Vor ihnen führte eine stählerne Brücke über das fließende Gewässer, dass durch die Dunkelheit nur als schwarze Brühe wahrgenommen werden konnte. Der Wind blies stark, Nick drückte mit seiner linken Hand seine Kapuze auf den Kopf, während Luke seine Mütze zurecht zupfte. Er kaute auf einem blauen Kaugummi herum, den er sich an einem Automaten gezogen hatte, während Nick in seiner Rechten eine halbleere Bierflasche hielt. Sie blieben kurz auf der Brücke stehen, um den atemberaubenden Ausblick der Stadt bei Nacht zu genießen. Sobald man nicht mehr in den Straßenschluchten gefangen war, umgeben von Menschenscharen, eröffnete sich die wahre Pracht der Stadt. Das Rauschen des Flusses beruhigte die angespannte Atmosphäre zwischen den beiden wieder. Nick trank die Flasche Bier in einem Zug leer, wie er es bereits zuvor mit drei anderen getan hatte, bevor der Teenager mit seinem Arm weit ausholte und sie in hohem Bogen in den Fluss warf. Der Flasche hinterher lächelnd legte er den Arm um seinen Freund und gab lallend etwas von sich, was Luke kaum entschlüsseln konnte. Die beiden schauten mit den Unterarmen auf dem kalten Geländer der Brücke zu den Hochhäusern der Stadt. Luke wendete seinen Blick für einen Moment zu Nick, der, so benommen wie er war, die Augenlieder kaum offen halten konnte und fürchterlich nach Alkohol und Rauch stank.
„Ist gut Nick, lass mal nach Hause gehen, du hattest genug Rauschmittel für heute“, flüsterte Luke zu ihm, damit die Passanten so wenig wie möglich vom Zustand seines Kumpels mitbekamen. Vorsichtig drehte er sich mit ihm, der sich auf seinen Schultern stützte, zur Straße, die herunter von der Brücke und zum Viertel führte, wo Nick wohnte.
Von weitem erkannte man wie eine Gruppe angetrunkener Jugendlicher sich schwankend näherte, einer von ihnen trug ein breites Radio unter seinem Arm, von dem laute Rap-Musik die ganze Brücke beschallte. Die Jungs trugen weite Hosen, ein paar bedeckten mit modischen Kappen ihren Kopf, deren Schild zur Seite ragte, andere hatten lange, silberne Ketten um den Hals. Mit ernsten Mienen liefen sie im Takt der Musik über den Gehweg. Passanten wichen ihnen auf die Straße aus, sogar die Tauben flogen umgehend weg, wenn die siebenköpfige Gruppe nur noch ein paar Schritte entfernt war.
Luke wollte die andere Richtung nehmen, wendete sich schnell vom Sichtfeld der Gruppe ab, doch Nick fragte ihn, was los war, denn es war ein riesiger Umweg, den sie dadurch hätten nehmen müssen. Er schien die Jungs noch nicht gesehen zu haben, Luke lief der Schweiß über die Stirn, seine weit geöffneten Augen starrten in Nicks Gesicht. Er war wie verstummt, der Teenager wusste nicht, wie er seinem Kumpel die Aktion erklären sollte. Dann drehte Nick seinen Kopf kurz nach hinten und sein Blick traf die sieben Kerle, welche gerade ein paar Meter von ihnen entfernt über den Weg schlenderten.
„Das sind doch…da ist auch dieser Typ…denen zeig ich’s!“, stammelte er vor sich hin. Er schubste seinen Kumpel zur Seite, der ihn krampfhaft versuchte festzuhalten, doch Nick besaß um weiten mehr Kraft, riss sich los, stürmte auf den voranlaufenden Kerl der Gruppe mit den Händen zu Fäusten geballt zu. Er schnaufte und beleidigte seinen gegenüber mit den übelsten Schimpfwörtern, die Passanten sahen ihn entsetzt an, manche blieben kurz stehen, andere gingen einen Schritt schneller. Der Junge lachte Nick lediglich aus, zeigte mit einem Finger auf ihn und die ganze Gang geriet in ein großes Gelächter. Er produzierte einen Kampf zwischen den beiden, ihm war bewusst, dass sie in der Überzahl waren, weshalb er meinte, sich das Lachen erlauben zu können.
Mit einer heftigen Windböe, die seine Kapuze vom Kopf fallen ließ, beschleunigte Lukes Kumpel, als er ihn Reichweite war, spuckte ihm sein Gegner ins Gesicht. Er wusch sich die eklige Flüssigkeit mit seinem Handrücken von den Wangen, holte mit dem rechten Arm aus. Plötzlich schlug Nick zu. Seine Faust knallte gegen den Kiefer des vor ihm stehenden, dieser taumelte nach hinten, konnte sich kaum auf den Beinen halten. Mit seiner Rechten hielt er sich an den Mund, aus dem Blut heraustrat. Seine Freunde schauten erzürnt auf Nick, der kurz davor war, sein Bein für einen Tritt zu heben, doch die blutverschmierte Faust seines Widersachers traf ihn überraschend an der Schläfe, die ohnehin schon vom letzten Kampf mit diesem Typen verletzt war. Vom Schock erholt, ging Luke auf seinen Freund zu, der sich trotz Treffer nicht vom Fleck bewegte.
„Lass gut sein Nick, du hattest deinen Spaß und deine Rache. Ich hab kein Bock mehr auf die, lass uns von hier verschwinden, ey“, sagte er und hielt von der Seite seine Hand vor Nicks Oberkörper. Er konnte für einen Moment lang den beschleunigten Herzschlag seines Freundes spüren, die anderen lachten sie beide aus, bezeichneten sie als Feiglinge, Memmen und Schwächlinge, der Verletzte schlug mit beiden Händen auf seine Brust, als wöllte er, dass Nick erneut zuschlägt. Nick hatte es gereicht. Er schubste seinen Freund erneut zur Seite, blind vor Wut ging er auf den Boss der Bande zu, packte ihn mit den Händen an seinem schwarzen Pullover. Der Teenager drückte den Kerl mit dem Rücken ans Brückengeländer, lehnte seinen Kopf über dessen Gesicht, brüllte ihn an, hob ihn kurz vom Geländer wieder weg, stieß ihn erneut auf dieses. Langsam lösten sich die Beine seines Gegners vom Pflaster des Gehwegs, er fuchtelte wild mit den Händen herum, seine Jungs standen ängstlich daneben, während Luke an Nicks Kleidung zog und ihn darum bat, aufzuhören, aber sein Freund schien taub für seine Worte zu sein. Es brachte nichts, schließlich musste es geschehen. Der Boss der Bande schnappte elendig nach Luft, als würde er ersticken, doch es war nicht der Mangel an Sauerstoff, sondern die fehlende Balance. Bis zum Gesäß hing er schon auf dem Geländern, griff mit den Armen nach Nicks Schultern, schrie laut um Hilfe. Doch Nick öffnete seine Hände und ließ ihn fallen.
Mit einem Mark erschütternden Todesschrei stürzte der Jugendliche ins Schwarz des Flusses, seine Freunde lehnten sich über das Geländer, streckten teils ihre Hände nach ihm aus, aber es half ihm nicht mehr. Sein Körper knallte mit einem lauten Platscher auf die Wasseroberfläche, nach wenigen Sekunden unter Wasser tauchte er wieder auf, trieb allerdings bewusstlos mit dem Rücken zum Nachthimmel auf dem Fluss. Nicks Augen rissen auf, mit einem breiten Grinsen drehte er sich um, die Leute starrten ihn vorwurfsvoll an, doch er brach in tosendem Gelächter aus. Luke, der dem wegtreibenden, leblosen Körper hinterher sah, wendete sich zu seinem Kumpel, schaute ihn entsetzt an. Eine Träne lief über seine Wange.
„Du Idiot…“, schluchzte er. Nicks Lachen unterbrach schlagartig, er richtete seinen Kopf zum dreckigen Boden, langsam wurde ihm schwindelig. Er dachte über seine Tat nach, brach zusammen und lehnte sich gegen die Gitter des Brückengeländers, bevor er durch diese den Kerl, der schon weiter weg von der Brücke ans Flussufer gespült worden war, beobachtete. Er stand nicht auf, er war wohl tot. Man hörte, wie sich eine Sirene näherte und bald darauf erstrahlte das Blaulicht der Polizeifahrzeuge die Brücke. Nick klammerte sich mit den Fingern am frostbedecktem Gitter fest.
„Es tut mir leid…“
„Karippas, Surfer“, schrie ich und ließ das blaue, schildkrötenähnliche Pokémon aus dem rotweißen Ball. Ich befand mich auf der Route 18, um sie genauer zu erkunden. Auf dem Rücken von Karippas, wollte ich eigentlich zurück schwimmen, doch in der Mitte des Weges fing es an zu regnen. Erst sachte, dann immer heftiger. Die Strömungen wurden für Karippas sichtlich härter. Meterhohe Wellen türmten vor uns auf. Mit aller Kraft hielt ich an der Schildkröte. Der Sturm wollte sich einfach nicht legen. Doch irgendwann verlor ich den halt und fiel ins Wasser. Panisch versuchte ich wieder nach oben zu schwimmen. Irgendwann verlor ich all meine Kraft und mir wurde es schwarz vor den Augen.
Als ich wieder zu mir kam, lag ich an einem Strand. Langsam stand ich auf. Scheinbar war es eine der zahlreichen kleinen Inseln, die es auf der Route gab. Auf ihr war kaum was Besonderes. Der einzige Lichtpunkt war ein Haus. Mit etwas Glück war da jemand, der mir helfen könnte, denn ich hatte kein einziges Flugfähiges Pokémon dabei und das einzige Pokémon, das Surfer beherrschte war Karippas. Von dem gab es keine Spur. Mein Visor- Caster funktionierte auch nicht mehr. Beim Versuch es anzuschalten blieb der Bildschirm schwarz. So schleppte ich mich zum Haus und klingelte kurz. Nichts geschah. Nach einem kurzen Warten Pause klopfte ich an die Tür. Vielleicht war die Klingel nur kaputt. Dabei bemerkte ich, dass die Tür nicht abgeschlossen war, nur angelehnt. „Soll ich reingehen? “überlegte ich. Langsam wurde es Abend. Die Temperatur fiel spürbar. Dunkle Wolken kamen auf. Bald würde es regnen. Ein anderer Ort, um sich unterzustellen, gab es nicht. Die Versuchung war einfach zu großins Haus zu gehen.
Das Haus schien ein Labor zu sein. Drinnen gab es einen Schreibtisch mit einem Computer und einige Regale mit Büchern. Hier und da lagen Zettel rum. Neugierig schaute ich alles an. Bei einem der vielen Zetteln wurde ich stutzig. „Steht da wirklich was von N?“, fragte ich mich und las ihn noch mal durch. Ja, da stand was über ihn und über das stärkste Pokémon. Doch ein Teil schien abgerissen worden zu sein, denn der letzte Satz hörte in der Mitte auf. Ich musste unbedingt erfahren, was damit gemeint war. Als erstes machte ich den PC an, um zu schauen, ob in dem etwas darüber gespeichert ist und ob ich damit mit der Außenwelt kommuniziere kann .Beides Fehlanzeigen. Nächstes blätterte ich durch all die Bücher, die scheinbar jemand feinsäuberlich selbst geschrieben hatte. In jedes Buch war eine andere Stadt oder Route als Thema. Manche hatte auch andere Themen, wie zum Beispiel über Pokémon, Technik oder Geschichte. Aber wonach in denen stand nichts über das stärkste Pokémon. Wahrscheinlich stand was darüber in den Seiten, die sichtbar herausgerissen wurden. Als ob jemand geahnt hätte, dass ich irgendwann hier auftauche würde. Und doch wollte ich nicht aufgeben. Konnte nicht aufgeben. So fing ich an, alles genauer zu lesen. Vielleicht hatte ich nur was übersehen. Ich fing mitAvenitia an, mein Heimatdorf. Die Zeit sog sich in den Länge. Die Bücher waren alle mit Fakten überseht. Von der Größe des Dorfes bis zu der Einwohnerzahl. Alles war drinnen. Ich schaute nochmals auf Inhaltsverzeichnis. Selbst über einige Personen wurden hier verewigt. Unteranderenich. Ein leichtes Frösteln kam auf. Der Gedanke, beobachtet worden zu sein, machte mir Angst. Schnell klappte ich das Buch zu und schaute mich nochmal um. Ist hier wirklich niemand? „Team Plasma hatte sich aufgelöst. Du wirst jetzt nicht beobachtet“, versuchte ich mich zu beruhigen. Eine Stimme im Kopf sagte mir aber, dass ich es nicht weiß, ob sie noch irgendwo Unterirdisch ihr Unwesen treiben, ohne dass ich es mitbekomme. Aber ich wusste genau, das G-Cis immer noch auf freien Fuß war und mich sicherlich töten würde, wenn er mich erwischt. Plötzlich wurde es mir klar, falls man mich hier findet, hätte ich ein ernsthaftes Problem. Und hier auf der Insel würde es kein vernünftiges Versteck geben! Ich konnte einfach nur hierbleiben und hoffen, dass ich im Notfall einen Ausweg finden würde. Die Recherche nahm ich wieder auf. Da werde ich mindesten andere Gedanken haben. Wirklich beruhigen konnte es dennoch nicht. Jedes ach so winziges Geräusch ließ mich hochschrecken und doch schaffte ich es, dass ich dabei einschlief. Vielleicht lag es eben daran, dass die Bücher eben langweilig waren.
Ich wusste nicht wie lang ich geschlafen habe. Von draußen her hörte ich Stimmen, die langsam in meiner Richtung bewegten. „Was nun?“ Ich schaute mich nochmals um. „Ich könnte doch schnell aus dem Fenster steigen, wenn jemand jetzt reinkommen würde“, entschloss ich mich. Als die Tür aufging, wollte ich es in die Wirklichkeit umsetzten, aber als ich es öffnen wollte, stellte ich fest, dass dieser nur kippen konnte. Es gab keine Chance zum entkommen. So stand ich Auge zu Auge mit der Person, die ich am wenigsten erhofft habe.