Beim diesjährigen Game of the Year-Wettbewerb wurde es mal wieder überdeutlich: Ein Problem, das schon viel zu lange vorherrscht. Viele Leute waren mit dem subjektiven Voting, das stattfand nicht einverstanden. Prinzipiell kein Problem, denn Geschmäcker sind nun mal unterschiedlich. Das eigentliche Problem, das hier herrscht, ist die Tatsache, dass viele Leute nicht einsehen, dass sie über eine Frage des persönlichen Geschmacks streiten, sondern tatsächlich glaubten, dass ihre persönlichen Ansichten die richtigen sind. Ein häufig vorgebrachtes Argument war natürlich, dass man sich doch nur mal die Reviews auf anderen Seiten ansehen müsste und dann würde man sehen, dass sie Spiele, die beim Voting nicht so stark berücksichtigt wurden eigentlich ja besser sind. Ist das wirklich der Fall? Inwiefern sind Reviews für Videospiele wirklich eine Instanz?
Zunächst stehen wir als Gamer vor demselben Problem: Unsere Zeit und/oder das Geld sind zu knapp, um sie für miese Spiele zu verschwenden. Videospiele sind heutzutage alles andere als günstig, aber das ist wieder ein anderes Thema, für das ich vielleicht bei Zeiten eine weitere Kolumne bemühe. Um zu verhindern, dass man sich ein schlechtes Spiel zulegt, muss man sich vorher schlau machen. Zum Glück gibt es ja zu vielen Spielen Demoversionen zum kostenlosen Herunterladen, so dass man sich eine persönliche Meinung zum Spiel bilden kann. Das Problem an Demoversionen ist allerdings, dass sie im Vergleich zum eigentlichen Spiel deutlich kürzer sind und deswegen viele wichtige Sachverhalte nicht ausreichend wiedergeben. Über die Langzeitmotivation kann man sich auf alle Fälle kein Urteil bilden. Hinzu kommt, dass Demoversionen natürlich gezielt die Stärken demonstrieren wollen und die Schwächen eines Spiels gekonnt kaschieren sollen. Letztendlich reichen Demos bestenfalls dazu, sich einen groben Eindruck zu schaffen, ob man mit einem Spielprinzip grundlegend etwas anfangen kann oder ob man von vornherein eher abgeneigt ist. Viel zu sehr ist eine Demo eben kein neutrales Mittel, ein Spiel zu beurteilen, da die Entwickler absichtlich die positiven Eigenschaften ins Rampenlicht drängen.
Da ist es nachvollziehbar, dass man als Gamer eine neutrale, ja sogar objektive Quelle sucht, über die man sich ein Spiel bewerten lässt. Auf diesem Sachverhalt basiert die Existenzberechtigung von Videospielekritikern beziehungsweise Reviewschreibern. Ich möchte von vornherein klarstellen, dass ich ganz klar die Bezeichnung Reviewschreiber bevorzuge, denn ein Kritiker ist in meinen Augen jemand, der tatsächlich den Grundgedanken des kritischen Denkens vertritt, etwas das viele Review-Schreiber in meinen Augen nicht schaffen. Befassen wir uns jedoch erst mit der Rolle des Reviewschreibers:
Vor über einem Jahr erschien auf Spiegel Online ein interessanter Artikel zum Einfluss von Reviews. Hierbei wird erläutert, dass dank Websites wie metacritic und gamerankings, die Bedeutung von Reviews nicht nur für den Konsumenten extrem hoch ist, sondern auch für die Publisher von Videospielen. Diese Websites machen nichts weiter, als eine Vielzahl an Reviewwertungen zu normieren und eine Durchschnittswertung („Metascore“) zu errechnen. Die Qualität eines Videospiels wird heutzutage nahezu ausschließlich anhand seiner Metascore gemessen. Gamer verlassen sich relativ blind auf Reviewwertungen, insbesondere wenn sie sehr einheitlich sind. Der kommerzielle Erfolg eines Videospiels wird maßgeblich durch seine Metascore geprägt. Das haben natürlich auch die Publisher längst erkannt. Entlohnung und etwaige Bonuszahlungen für Entwickler hängen nun von Metascores ab. Kann eine bestimmte Metascore nicht erreicht werden, muss das Entwicklungsstudio die Konsequenzen dafür tragen. Damit es gar nicht erst dazu kommt, wird von vornherein versucht, insbesondere bei den ersten Reviews eine positive Grundhaltung zu bewirken. Wenn die ersten Reviews über ein Spiel positiv ausfallen, werden viele weitere Reviewschreiber diese Wertung eher bestätigen als abweichende Reviews zu verfassen. Es ist scheinbar tatsächlich ein Phänomen zu beobachten, wonach Reviewschreiber bedacht sind, bloß keine Wertungen zu vergeben, die allzu sehr von der Metascore abweicht. Bekommt ein Spiel also in seinen ersten Reviews eine eher schlechte Wertung, werden auch nachfolgende Reviews eher in diesen Tonus verfallen und das Spiel wird mit relativ hoher Wahrscheinlichkeit ein finanzieller Misserfolg.
Es ist also im Interesse der Spielepublisher, möglichst großen Einfluss auf die Reviews auszuüben. Dies kann durchaus bis zur Bestechung führen, wie metacritics selbst aufdeckte. Aber auch Mittel jenseits konventioneller Bestechung sind möglich. Die Tatsache, dass die Spielehersteller und die meisten Reviewseiten in gegenseitiger Abhängigkeit leben wird gerne vergessen. Viele Reviewseiten verfassen nicht nur Reviews, sondern vor allem auch Newsmeldungen. Besonders wichtig hierfür sind exklusive Themen wie Interviews, aber auch Einladungen zum Anspielen neuer Titel. Und natürlich sind Reviews auch abhängig von Rezensionsexemplaren, die noch vor Release des Spiels eingereicht werden, um rechtzeitig einen fertigen Review zu verfassen. So kann man bei schlechten Reviews Druck ausüben, indem man die weitere Kooperation direkt an Reviewergebnisse knüpft. Zudem ist es möglich, die ersten Rezensionsexemplare eines neuen Spiels an Redaktionen auszuhändigen, die tendenziell gute Wertungen vergeben, um von vornherein gute Wertungen zu erhalten, an die weitere Reviews anknüpfen.
Jenseits von der Abhängigkeit fällt jedoch auch auf, dass die meisten Reviewschreiber auch nicht so sehr kritisch sind, wie man erwarten sollte. Die meisten Reviews haben Wertungen, die zwischen 70% und fast schon 100% liegen, wobei man ein Spiel mit 70% schon als Flop abstempeln könnte. Ein Titel, der tatsächlich mal mit 50% abgestraft wird, ist quasi unzumutbar. Die Bewertungsskala ist extrem verschoben in Richtung guter Wertungen, statt die gesamte Skala auszunutzen. So muss man eine tatsächlich Unterscheidung zwischen einem miesen Spiel und einem wirklich herausragenden Titel in einem Intervall von etwa 30%-Punkten vornehmen. Die Ursache hierfür könnte entweder bei einer allgemeinen positiven Grundhaltung gegenüber den Spielepublishern zu finden sein oder aber tatsächlich einem Mangel an kritischem Beurteilungsvermögen. Bei anderen Medien – seien es Filme, Musik oder auch Bücher – sind die Kritiker deutlich harscher. Insbesondere bei populären Veröffentlichungen fällt auf, dass Videospielereviews in der Regel deutlich positiver ausfallen. Bestseller wie zuletzt Fifty Shades of Grey bekommen die schlechten Rezensionen, die sie verdienen. Hollywood-Blockbuster werden regelmäßig von Kritikern zerrissen und auch Alben von Superstars wie Justin Bieber oder Lady Gaga werden von Kritikern tendenziell schlechter bewertet. Videospiele wie Call of Duty hingegen werden regelmäßig mit Top-Bewertungen überhäuft, so dass eine unabhängige Meinung notwendig ist, damit endlich mal auf die vielen Schwächen des Spiels eingegangen wird.
Eine interessante Meinung zu diesem Sachverhalt liefert dieser Artikel auf VGChartz, der die These aufstellt, dass Videospielekritiker relativ geringe Ansprüche haben, anders als Kritiker anderer Medien. Die Forderungen an neue Videospiele sind allgemein eher gering und so lässt sich auch erkennen, dass die gesamte Industrie seit Jahren auf der Stelle läuft ohne bedeutende Fortschritte zu machen. Diese Fortschritte sind aber auch gar nicht notwendig, wenn sowohl Konsumenten als auch Kritiker die immer gleichen Konzepte schlucken und jedes Mal wieder auf ein neues begeistert sind.
Ebenfalls bemängelt der Artikel, dass viele offensichtliche Mängel an Spielen nicht kritisiert oder gar erkannt werden. Auf Grund seines Alters verwendet der Artikel GTA IV als Paradebeispiel für ein Spiel, bei dem eklatante Mängel einfach unter den Tisch fallen gelassen wurden und die Reviewwertungen lächerlich hoch ausgefallen sind. GTA IV erhielt seinerzeit Wertungen im sehr hohen 90%-Bereich, teilweise auch 10/10 (z.B. von IGN). Nirgendwo werden die platten Dialoge und billigen Klischees erwähnt, die jedem klar denkenden Mensch nach kurzer Zeit auf die Nerven gehen dürften. Nirgends wird das repetitive Gameplay kritisiert. Nicht dass GTA IV ein schlechtes Spiel ist, ich selbst habe ihm einen sehr wohlwollenden Review gewidmet. Auch wenn ich im Nachhinein noch ein paar weitere Kritikpunkte, wie eben die platten Dialoge finden würde und dem Spiel ein paar Pünktchen mehr abziehen würde, ist dieser Review doch weit davon entfernt, was damals an Wertungen vergeben wurde. Ähnliche Parallelen kann man aber auch für aktuellere Spiele ziehen, ich nehme als populäres einfach mal die Call of Duty-Serie, die mittlerweile als alljährliche Cash Cow zum Weihnachtsfest erscheint. Und so kann man jedes Jahr das selbe Theater beobachten, wenn Reviewschreiber die Spiele in höchsten Tönen loben, ohne auch nur ein Wort darüber zu verlieren, wie unkritisch das Spiel mit dem Thema Krieg umgeht, Krieg sogar mit viel Pathos glorifiziert. Es wird nicht erwähnt, wie plump die scheinbare Sensationsgeilheit des Klientels mit immer bombastischeren Explosionen und gescripteten Events befriedigt wird. Vermutlich weil der Reviewschreiber selber zu diesem effektgeilen Klientel gehört. Ist von jemandem, der dafür bezahlt wird, kritische Bewertungen zu Videospielen zu verfassen, nicht eine gewisse Differenziertheit zu erwarten? Es handelt sich hier immerhin um einen erwachsenen Menschen. Es ist eine Sache, wenn plumpe Videospiele zu Verkaufserfolgen werden. Dies ist bei jeder Art von Medium zu erkennen. Es ist jedoch beunruhigend, wenn Reviewschreiber oder eben doch Kritiker ihrer Rolle als Kontrollinstanz nicht gerecht werden.
Viel schlimmer ist dann aber auch noch die Art und Weise, wie Reviews als objektive Analysen von Videospielen verkauft werden. Letztendlich sind Reviews nichts weiter als das in Worte fassen der persönlichen, subjektiven Eindrücke von Videospielen. Die Rolle des Reviewschreibers sollte hierbei sein, zu erläutern, welche Aspekte an einem Spiel ihm gefallen haben und welche nicht, welche Gründe dies hat, welche Auswirkungen auf das Spielerlebnis als Ganzes das hat und wie einem das Spiel letzten Endes gefällt. Stattdessen überbieten sich Spieleredaktionen mit immer ausgeklügelteren Wertungssystemen, um den Eindruck von Objektivität, also etwas Endgültigem zu vermitteln. Viele Gamer nehmen solche Reviews dann für bare Münze, weil der Autor ja sehr detailliert dargelegt hat, weshalb ein Spiel gut oder schlecht ist und weshalb da jetzt am Ende diese Prozentwertung steht. Insbesondere im deutschen Raum kann man beobachten, dass Reviews ein Spiel akribisch sezieren, statt vor allem die Aspekte, die Spaß und Frust ausmachen zu beleuchten. Da werden dann über mehrere Absätze hinweg das Erfahrungssystem, die Waffenvielfalt oder das Balancing analysiert. Auch dies verstärkt den Eindruck, dass Reviews tatsächlich objektiv sind, geht aber weit über das hinaus, was ein Review leisten soll, meist auf Kosten der wirklich wichtigen Fragen. Einen sehr interessanten Kommentar hat vor einiger Zeit Christian Schmidt – selbst jahrelang leitender Redakteur bei der Game Star - verfasst, in dem er mit seinen Kollegen abrechnet und eben intelligentere Reviews fordert. Eine Antwort folgte prompt. Darin wird darauf verwiesen, dass Gamer eben diese Art von Reviews wünschen.
Sind also doch wir Gamer ein geistig beschränkter Haufen? Sind wir nicht in der Lage, uns mit unserem eigenen Hobby kritisch auseinander zu setzen? Trauen wir eher akribischen Analysen eines Spiels, statt Ausführungen, welche Aspekte eines Spiels letztendlich Spaß machen und welche weniger? Haben Reviews zu viel Macht und werden sie ihrer Position gerecht?