I'm Alive. I Will Fly!

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

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    I'm Alive. I Will Fly!


    Vorwort

    Hallo und herzlich willkommen zu meinem Kurzgeschichtentopic hier im Bisaboard. Hier werde ich neben meinen Kurzgeschichten, die nur aus wenige oder einem Kapitel bestehen auch meine Wettbewerbsbeiträge ausstellen. Ich plane in nächster Zeit mir etwas mehr Zeit für Ideen zu nehmen, die ich habe oder hatte und für die ich nie wirklich Zeit hatte, sie umzusetzen. Weiter unten findet ihr einen groben Plan, was ich in nächster Zeit umsetzen werde, oder es zumindest versuche.



    Meine Werke


    Zu meiner Person lässt sich sagen, dass ich eine leidenschaftliche Hobbyschriftstellerin bin. Ich schreibe oft und gerne und nehme mit meinen Texten auch an den Wettbewerben hier im Forum teil, wo ich schon ein paar Erfolge erzielen konnte. Meine Geschichten versuche ich so vielschichtig wie möglich zu schreiben, ein Lieblingsgenre habe ich nicht. Ich schreibe gerne Fantasy, bin aber auch Reality nicht abgeneigt.
    Zu meinen Inspirationsquellen zählen die Kunst, der ich auch gerne nachgehe, der Musik, der ich gänzlich verfallen bin, aber auch Bücher und andere Media. Ich denke, ich werde zu jeder Geschichte, die ich hier online stelle, ein paar Sätze sagen, wie ich auf sie kam.



    Das Copyright der Texte liegt bei mir. Sie dürfen ohne meine Zustimmung nicht weiter verbreitet werden. Sollte ich Bilder zur Untermalung einfügen werde ich eine Quellenangabe machen. Ist diese nicht vorhanden, so gehört auch das Bild mir und darf nicht weiter verbreitet werden.


  • Wettbewerbsbeiträge



    Erwachen
    Wenn ich springen würde...
    Der Tanz der Waldnymphen
    Einer dieser Tage
    Gras
    Mushroom of Justice







  • Wilting
    Dying Roses


    Da diese Story eigentlich mal als eigenständiges und etwas längere Projekt geplant war, habe ich einen Startpost entworfen, den ich auch mal mit einfügen werde. Ich habe mich nun entschlossen, nicht die ganze Story umzusetzen, sondern nur Teile davon, weil es einfach zu viel Zeit kosten würde und auch nicht sonderlich interessant wäre.


    Warnung: Wie das so mit schriftlichen Umsetzungen von Spielen ist, enthält diese Story natürlich auch Spoiler. Wenn ihr euch das Spiel erst selbst zu Gemüte führen wollt (was ich empfehle, weil es ein Kunstwerk ist *kicher* Badum-ts!) dann schaut euch bitte den später folgenden Link an.







  • One Shots & Anderes


    A Stranger in Wonderland
    Day 127, Aria (Radio Headless Jazz)


  • 1. Juli 2013


    Wettbewerbstexte

    • Danse Macabre
    • Pokedexeintrag: Burmi
    • Crossing the Battlefield
    • Checkmate

    One-Shot

    • Goetia (Fire Emblem: Awakening)

    Aktuell in Arbeit

    • Midnight Call (One-Shot)








    Caithy~

  • 25. August



    W E T T B E W E R B S T E X T E

    • Der Flussgeist/ Nigihayami Kohakunushi (Chihiros Reise ins Zauberland) - Epilogwettbewerb
    • Meeresschaum und Himmelsbrise - Haiku


    O N E - S H O T S und K U R Z G E S C H I C H T E N

    • Dormez-Vous? (KG)
    • Schwert und Schild (Fire Emblem Awakening One-Shot: Flavia x Basilio)


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    [tab=Wettbewerbstexte]
    [subtab=.]
    [subtab=Der Flussgeist]
    Ich war echt verdutzt, dass es doch ein paar User gibt, die mit "Chihiros Reise in Zauberland" nichts anfangen können.:D Kritik gab es vor allem daran, dass sich einige nicht sicher sind, ob es sich hierbei tatsächlich um einen Epilog handelt, was ich gut verstehen kann, da das Ende doch recht offen ist. Ein weiterer Kritikpunkt war die Überschrift, die so nichtssagend ist, und das lustige an der Sache ich, dass ich vorher auch eine andere Überschrift gewählt habe, die ihr oben nachlesen könnt. Dabei handelt es sich übrigens um Hakus wahren Namen. Da ich mir aber ziemlich sicher bin, dass dieser für Verwirrung sorgen würde, habe ich mich für den anderen entschieden. Naja, wayne.
    Knapper erster Platz.



    Der Flussgeist- (Chihiros Reise ins Zauberland)


    Es war Sommer.
    Der Wald vibrierte vor lauter Leben, Zikaden und Vögel sangen die Melodie des Lebens, begleitet vom sanften Plätschern eines Baches. Wind rauschte durch das Gras und die Blätter der Bäume, zog spielerisch an ihnen und brachte sie zum Tänzeln. Durchs Unterholz schlichen sich kleine Tiere, die neugierig den Duft der bunten Jahreszeit einatmeten.
    Unter dem dichten Blätterdach war man vor der sengenden Hitze geschützt, die die Luft über dem Asphalt verschwimmen ließ. Durch die leichte Brise war es angenehm und der Duft von wilden Blumen zauberte ihr ein Lächeln aufs Gesicht.
    Sie war noch etwas von ihrem Treffpunkt entfernt, aber schon jetzt konnte sie das Rauschen des Flusses hören.
    Das Mädchen mit den braunen Haaren musste etwas lachen. Ganz leise nur, um die Tiere nicht zu verscheuchen, die sie aus dem Gebüsch heraus beobachteten. Ihr Herz klopfte bei der Vorstellung ihn endlich wieder zu sehen. Sie schloss die Augen und rief sich sein Bild noch einmal in den Kopf.
    Schwarze Haare, die sein helles Gesicht umranden. Augen wie leuchtende Jadeperlen in einem Gesicht das so sanft erschien. Und das Lächeln, das er ihr geschenkt hatte…
    Ein Schauer fuhr ihr über den Rücken. Ob sie es heute wieder sehen würde?


    Das Mädchen bemerkte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg, als sie sich noch einmal vorstellte, wie seine Lippen ihren Namen formten. Den Namen, den sie nur wegen ihm noch wusste. Ohne diesen merkwürdigen Jungen, der ihr im Zauberland zu Hilfe geeilt war…


    Erneut fuhr ihr ein Schauer über den Rücken, diesmal aber, weil die Vorstellung einfach grausig war. Dank ihm war es nie dazu gekommen.
    Sicherlich war ihre Zeit im Zauberland nie wirklich einfach gewesen, jedoch… Sie vermisste es dennoch. Sie vermisste Lin und Kamaji, Bou und selbst die mürrische Yubaba. Sie wollte Zeniba und das Ohngesicht besuchen, wollte wieder im Badehaus arbeiten…
    Und sie wollte ihn wieder sehen. Von Angesicht zu Angesicht.


    Das Mädchen blieb am Rand eines Hanges stehen. Einzelne Bäume klammerten sich mit ihren Wurzeln in die schräge Erde. Leichtfüßig glitt sie von einem der Stämme zum anderen, ganz vorsichtig, damit sie nicht fiel. Das Rauschen des Flusses kam immer näher und mit ihm stieg auch ihr Puls in drastische Höhen an.
    Gleich.
    Sie würde ihn wiedersehen. Endlich.


    Und da rutschte die Erde unter ihren Füßen weg und sie verlor das Gleichgewicht. Wild mit den Armen wedelnd kippte die Braunhaarige vorneüber und purzelte die Böschung herunter. Dreck und Blätter blieben in ihren Haaren hängen und färbten ihr Shirt braun und grün. Sie blieb erst auf einem kleinen Stück gerader Erde vor dem Fluss liegen, als der Schwung endlich nachließ. Kopfüberlag sie für eine Weile im Wald und rührte sich nicht.
    Im Kopf des Mädchens drehte sich alles und die Kratzer auf ihrer Haut brannten jetzt schon. Etwas murrend kämpfte sie sich zurück in eine einigermaßen aufrechte Sitzposition und richtete ihre Kleidung. Wundervoll. Sie sah aus, als hätte man sie vor drei Tagen im Wald ausgesetzt. So konnte sie sich ihm unmöglich zeigen! Er würde sich wieder Sorgen machen und ihr einen Vortrag halten, dass sie vorsichtiger sein solle.


    Das Mädchen pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und stellte sich vorsichtig hin, als der Schwindel endlich etwas nachließ. Es war sicherlich noch etwas Zeit, um sich zumindest den gröbsten Schmutz herauszuwaschen. Er war immer überpünktlich, das gehörte wohl zum Beruf, aber diesmal war die Braunhaarige etwas früher losgegangen, für den Fall der Fälle. Und natürlich, wie sie ihr Glück ja kannte, war dieser auch eingetroffen.
    Sie setzte sich an den Rand des etwa zwei Meter breiten Flusses. Er war nicht wirklich tief, sodass man den steinigen Boden durch das klare Wasser sehen konnte. Kleine Fische schwammen schnell außerhalb der Reichweite des Schattens, den ihr Körper warf.
    Ihr Gesicht war nahezu unbeschadet geblieben. Sie brauchte sich nur den Pony ein wenig zu richten, die Flecken würden ihm nicht auffallen. Als sie ein trockenes Kratzen in ihrer Kehle bemerkte, tauchte sie ihre Hände ins Wasser und schöpfte etwas davon ab. Sie wollte es gerade an ihren Mund heben, da sah sie in der Reflektion des Flusses einen Jungen.
    Sein schwarzes Haar umrandete ein feines, helles Gesicht und die jadefarbenen Augen glitzerten. Er lächelte sie über die Reflektion an.
    Überrascht hob das Mädchen den Kopf, doch da stand niemand hinter ihr. Alles was sie sah war die saftige Wiese, Bäume und grünes Buschwerk. Und die Böschung des Todes, von der ihre Welt sich noch immer ein wenig drehte.


    Natürlich sah sie dort nichts. Weil er ja nicht richtig da war.
    Sie schluckte den bitteren Kloß in ihrem Hals herunter und wandte sich wieder dem Fluss zu. Sein Gesicht war immer noch da und lächelte sie an. Ein sanftes, freundliches Lächeln.
    „Hallo Haku“, hauchte sie etwas überwältigt. Sie trafen sich hier jetzt schon seit vier Jahren und trotzdem… Es war immer wieder wundervoll, ihn diese eine Woche im Sommer sehen zu können. Und dennoch war da dieses Ziehen in ihrer Brust. Ein schreckliches Gefühl, das ihr das Atmen schwer machte.
    „Hallo Chihiro.“
    Seine sanfte Stimme hallte in ihrem Kopf nach. Er konnte mit ihr sprechen, weil sie Kontakt zu einem Gewässer hatte, das direkt mit seinem Fluss in Verbindung stand. Es bereitete ihm Mühe, hatte der Flussgeist ihr einmal gesagt, weil es nicht direkt sein Wasser war. Aber es war machbar.


    Sie schwiegen sich eine Weile an und musterten einander stumm. Er hatte sich kein bisschen verändert. Haku sah noch immer genauso aus wie vor vier Jahren.
    „Du bist gewachsen“, stellte er irgendwann fest. Chihiro lächelte etwas hilflos.
    „Du nicht.“
    „Nun, das ist der Nachteil daran, ein Flussgeist zu sein“, gab er lachend zu. Und da war das Eis dann endlich gebrochen.


    „Wie geht es denn Lin?“
    Chihiro hatte sich die Schuhe ausgezogen und ging nun im kühlen Wasser des Flusses auf und ab, den Blick auf die Reflektion gerichtet, in der Haku neben ihr herging.
    „Sie arbeitet hart“, antwortete er etwas ausweichend.
    „Sie beleidigt also noch immer Kunden hinter ihrem Rücken?“, grinste das Mädchen und trat Wasser in die Höhe. Er antwortete nicht, aber sie wusste, dass sie ins Schwarze getroffen hatte. So war Lin eben. Und ganz verübeln konnte Chihiro es ihr nicht. Die Geister konnten ganz schön anstrengende Kunden sein.
    „Und was ist mit Zeniba? Und dem Ohngesicht?“
    Haku schaute etwas überrascht zu ihr hinauf, lächelte aber dann.
    „Es geht ihnen gut. Das Ohngesicht ist ihr eine gute Hilfe, soweit ich weiß.“
    „Bekommen sie und Yubaba sich immer noch so häufig in die Haare?“, harkte Chihiro weiter.
    „Nun…“, gab er von sich und schaute zur Seite.
    „Das nehme ich als ja!“
    „Sie versuchen, einander aus dem Weg zu gehen, aber manchmal funktioniert es einfach nicht. Zumal Bou seine Tante oft besuchen möchte.“
    Alleine der Gedanke an die Zwillingsschwestern, die sich wild keifend bekriegten, war einfach zu amüsant. Sie hielt sich den Bauch vor Lachen. Wie gerne wäre sie dabei. Wie gerne…
    „Du weißt, dass das nicht geht.“
    Haku sah sie ernst aus der Reflektion an. In seinen Augen konnte Chihiro sehen, dass es ihm ernst war. Und obwohl sie diese Diskussion nun schon dutzende Mal geführt hatten…


    „Warum nicht?“
    Die Worte rutschten ihr einfach heraus und in ihnen lag eine gewisse Wut. Haku zuckte etwas unter ihrem ärgerlichen Blick zurück. Sie hätte sich am liebsten dafür geschlagen. Sie wusste ja ganz genau, wie das enden würde. Nämlich in gar nichts. Irgendwann würde sich die Debatte nur noch im Kreis drehen.
    Verdammt noch mal! Warum verstand er denn nicht, dass sie ihn einfach… dass sie ihn einfach wieder in die Arme schließen wollte. War das denn zu viel verlangt?
    Vielleicht wäre es besser, nicht mehr hierher zu kommen.
    Es tat zu sehr weh.


    „Bitte nicht, Chihiro“, flüsterte er kaum hörbar direkt in ihren Kopf hinein. Sie blickte müde in seine Augen.
    „Ich möchte nicht, dass wir uns nicht mehr sehen.“
    „Ich kann nicht mehr, Haku!“, fuhr sie ihn etwas gereizt an. „Das ist nicht so einfach, weißt du? Ich hab mich hier niemals wieder gut gefühlt. Diese Welt hier ist nicht mehr mein zu Hause. Ich will bei euch sein! Ich will…“ Sie wollte bei ihm sein.


    Sie hatten so viel Zeit miteinander verbracht. Waren einander so nah gewesen.
    Wie konnte er da nur so… So kalt sein? So gefühlslos? Als würde sie gar nichts miteinander verbinden. War es doch so dumm von ihr gewesen? Zuzulassen, dass sie ihr Herz an jemanden verlor, den sie niemals haben könnte?
    Sie biss sich auf die Lippe und dicke Tränen quollen ihre Wange herunter.


    Da wurde sein Blick wieder etwas weicher. Fast schon flehentlich sprach er ihren Namen.
    „Schau mich an“, bat er sie eindringlich.
    Sie wollte ihm nicht gehorchen. Aber sie konnte einfach nicht anders.
    Seine Jadeaugen musterten sie sanft, als er die Worte mit seinen Lippen formte, die für immer in ihrem Kopf nachklangen.


    „Ich liebe dich auch, Chihiro.“


    Es war Sommer. Vier Jahre, nachdem sie aus dem Zauberland zurückgekehrt war. Und endlich war sie wieder einmal glücklich.

    [subtab=Meeresschaum und Himmelsbrise]
    Mein Beitrag zum Haiku Wettbewerb. Eigentlich kann ich gar nichts mit Lyric anfangen, schon gar nicht mit japanischer, deswegen werdet ihr hier auch eher selten Gedichte und Ähnliches vorfinden. Erstaunlicherweise, und darüber habe ich mich wirklich sehr gefreut, habe ich trotzdem damit den ersten Platz gemacht.
    Entstanden ist dieses Haiku übrigens in der Abschlussmesse meiner Schule. Aus irgendeinem Grund, den ich nicht ganz verstehe, bin ich während Messen ziemlich einfallsreich. Gottseidank konnte ich mir die Wörter so lange merken, bis ich sie endlich aufschreiben konnte.



    Meeresschaum und Himmelsbrise


    Milde und wilde,
    die stürmenden Zephyre,
    wehend und singend.


    Tosend und rauschend,
    die sanften Quellennymphen,
    glitzernd und tanzend.


    [tab=One-Shots und Kurzgeschichten]
    [subtab=Dormez-Vous]
    Kennt ihr das, wenn ich Kinderlieder hört und die euch mit einem Male nicht mehr fröhlich vorkommen sondern ziemlich gruselig? So ist es mir in letzter Zeit mit "Freres Jaques" gegangen. Ich habe ein wenig mit meinen Gedanken gespielt, ob man das Lied auch noch anders interpretieren kann, und genau darum geht es in diesem Text. Er ist zwei geteilt, deswegen wundert euch nicht über den Abschnitt.



    Dormez-Vous?


    „Hey.“
    Sein tauber Körper wurde unsanft geschüttelt. Er spürte, wie etwas in seine Rippen gestochen wurde und zuckte mit einem Zischen zusammen.
    Warum schmerzte sein Körper so sehr? Warum wollten seine Augen sich nicht öffnen lassen?
    Es war, als befände er sich in einem Kokon. Jede Bewegung wurde von einem Gefühl der Enge unterdrückt, nicht einmal ein Finger wollte zucken.
    „Hey.“
    Er hörte wieder diese Stimme. Wer war das?
    „Dormez-Vous?“
    Er verstand die Frage erst nicht. Was war das für eine seltsame Sprache? In seinem Hinterkopf wanden sich seine Gedanken wie kleine Würmer. Sie streckten sich der Lösung entgegen, doch letztlich wurden sie nur vom schwarzen Raben des Vergessens eingefangen. Kaum hatte er sie gedacht, schon waren sie auch wieder verschwunden.
    „Dormez-Vous?“
    Er spürte wieder das Zwicken in seinen Rippen. Als würde man ihm etwas hineinbohren. Ein Stock vielleicht? Nein, dafür schien es zu… Warm zu sein.
    Er fror so fürchterlich. Alles war so kalt…
    „Sonnez les martines?“
    Schon wieder diese Fremdartigkeit.
    Es brauchte eine Weile, doch mit einem Male verstand er, was ihm gesagt wurde.
    Glocken? Welchen Glocken sollte er denn hören?
    Er spürte einen warmen Lufthauch über seine Augen streichen. Verblüfft riss er sie auf, um sie gleich wieder mit einem Zischen zu schließen. Blinde Helligkeit brannte sich in seinen Iriden ein, bunte Lichter tanzten hinter seinen Lidern.
    Warum war es denn so hell?
    „Sonnez les martines?“
    Mit einem leichten Blinzeln wagte er es sich wieder, seine Augen zu öffnen. Ganz langsam gewöhnten sie sich an die Helligkeit. Leichte Schemen zeichneten sich in seiner Umgebung ab. Er sah den Marmorboden unter sich.
    Daher kam also die Kälte.
    Weit entfernt konnte er fragile Gestalten ausmachen. Waren das Gebäude? Sie schienen zu tanzen, alles bewegte sich. Aber nach Menschen sahen sie auch nicht aus.
    Als seine Finger kurz zuckten wandte er seinen Blick auf sie. Bleich und lang, wie vertrocknete Äste hinge sie auf zerschlissenen, dreckigen Ärmeln heraus. Er bemerkte die Feuchtigkeit, die seine Kleidung absonderte. Warum war er denn nass? Er schwamm geradezu in einer Pfütze aus bräunlichem Schlammwasser…
    Mit Mühe und Keuchen richtete er sich langsam auf. Sein Gleichgewicht kämpfte noch mit der verschwommenen Umgebung und so musste er sich mit seinen Armen abstützen um überhaupt einigermaßen die Balance halten zu können. Sein Körper schien ihm nicht zu gehorchen. Wie merkwürdig, nicht einmal spüren konnte er ihn.
    Als sich ein Schatten über ihn erstreckte zuckte der Mann mit einem kurzen Zischen zusammen. Er brauchte erneut etwas Zeit um den Schemen als das zu erkennen, was er war.
    Ein kleiner Junge.
    Vielleicht sechs, allerhöchstens acht. Goldblonde Locken, die ihm auf die Schultern fielen, und hellblaue, neugierige Augen. Er stand neben ihm, den Mund mit den hellrosafarbenen Lippen leicht geöffnet.
    „Sonnez les martines?“, fragte er ihn. Es war die gleiche Stimme und die gleiche Frage.
    „Welche… Glocken?“
    Er erschrak schon beinahe selbst vor den trockenen, krächzenden Lauten, die seiner Kehle entkamen und wie ein Flüstern in der Umgebung unterging. Mit verzogenem Gesicht griff er sich an seinen Hals.
    Es tat so weh! Als würde sein Kehle ihn Flammen stehen! Jeder Luftzug schmerzte wie tausend Nadeln, die sich in ihn hineinbohrten. Ein undeutliches Röcheln entfuhr ihm.
    Der Junge hockte sich neben ihm und legte seine kleine Kinderhand unvermittelt auf seinen trockenen, brennenden Mund. Er blickte ihn eine Weile aus seinen himmelblauen Augen an und führte das Gesicht des anderen dann vorsichtig in eine andere Richtung. Die andere Hand fuhr an seinem Gesicht vorbei, dorthin, wohin der Junge seinen Blick gerade hinführte, den Zeigefinger ausgestreckt.
    Erst als der Mann hinsah hörte er es auch.
    Glockenlaute, hell und klar, die den Boden und seinen Körper zum Vibrieren brachten, klangen nun in seinem Kopf nach. All seine Gedanken verschwanden in dem Moment, in welchem der Schall seine Sinne wieder aus ihrem Schlaf zu erwecken schienen.
    Er spürte die wohltuende Wärme des Kindes auf seiner eingefallenen Wange, spürte seinen beruhigenden, ausdauernden Herzschlag. Sein Körper zuckte immer dann, wenn die Glocke erneut angeschlagen wurde und seine Augen erkannten die Details des Glockenturms in weiter Ferne.
    Eine Fassade, die aus purem Gold zu bestehen schien, doch nicht blendete, obwohl das Sonnenlicht darauf zu scheinen schien, Dekorationen aus filigran gearbeitetem Silber, Marmorsäulen, die die verschiedenen Ebenen aufeinander stützten… Ein Monument aus Prächtigkeit und Eleganz, und ganz oben die Glocke, die nach rechts und links schwang.
    „Ding, dang, dong!“, frohlockte der Junge. Er schloss die Augen mit einem vergnügten Gesichtsausdruck, tänzelte um den Mann herum, der ihn mit deutlicher Verwirrung im Gesicht mit den Blicken folgte. Erst als er genau vor ihm stand hielt der Junge inne, beugte sich vor und schloss die kalten, steifen Finger des anderen in seine, die so weich und warm waren. Er stemmte die Beine in den Boden und versuchte energisch, ihn hochzuziehen. Doch egal wie stark der Junge sich auch anstrengte, er schaffte es nicht, den Kraftlosen vom Boden zu heben. Der Mann betrachtete ihn eine Weile. Es schien ihn gar nicht zu kümmern.
    „Ding! Dang! Dong!“, sang er im Einklang mit der Glocke, die die endlose Weite aus Marmor und blauem Himmel zu füllen schien. Der Lockenköpfige lachte unentwegt, immer dann wenn der Schall ihn erfasste und dem Mann ein kribbelndes Gefühl gab.
    Seine Beinmuskulatur zuckte. Er spürte noch immer die grässliche Kälte in ihnen, doch er gewöhnte sich langsam daran. Alle seine Glieder schienen von diesem Panzer aus Nässe und Kälte umgeben zu sein, doch je länger er wartete, desto mehr erschien es ihm, dass es wirklich nur eine äußere Hülle war. Eine Hülle, die er nur abzustreifen brauchte.
    Und das tat er.


    Mühevoll und unter müdem Stöhnen richtete sich der Mann aus seinem Körper auf. Er ließ die kalte Schale auf dem Marmor liegen und befreite sich mit der Hilfe des Jungen daraus. Er stemmte die jungen und kraftvollen Beine auf den Boden, rappelte sich hoch und schwankte, doch der Lockenköpfige kam ihm sofort zur Hilfe. Er war ein fragiles und schwaches Persönchen, doch seine bloße Anwesenheit verlieh dem Mann wieder Kraft.
    Und mehr war er nun auch nicht mehr. Als er an sich herunter sah, war die dreckige Kleidung verschwunden. Er trug ein blütenweißes Hemd, dessen Ärmel über seine Hände, die nicht länger schwielig und von der harten Arbeit gezeichnet waren, hervorragten. Wildes, braunes Haar wurde vom plötzlich aufkommenden Wind umhergetrieben, in sein Gesicht geblasen, sodass er nur noch wenig sehen konnte. Die Stimme und die warmen Hände des Jungen ließen in vorwärts taumeln.
    „Frere Jaques!“, sang er in seiner glockenklaren Stimme. In der Ferne schallte das Dröhnen zu ihnen, ging ihm durch Mark und Bein und brachte sein jugendliches Ich zum Lachen.
    „Frere Jaques!“
    Die Jungen tanzten Hand in Hand auf die verschwommenen Türme zu, die sich mit dem Wind zu bewegen schienen. Die Glocken läuteten aus jeder Richtung und klang in seinem Kopf nach, bis es alles war, an das er denken konnte. Nur die Glocken und der Junge an seiner Hand, sein Freund, der ihn gerettet hatte.
    Er wusste nicht mal mehr, wovor.
    „Dormez-vous? Dormez-vous?“, sangen die beiden in kindlicher Begeisterung. Das Licht am pastellblauen Himmel ließ kleine, blaue Flecken vor ihm erscheinen, die sich um ihn schlangen, im Takte der Musik und der unsicheren Schritte. Es war ein wilder und disorientierter Tanz ohne Ziel. Ohne wenn und Aber.
    Keine Gedanken daran verschwendet, was noch kommen sollte. Nur tanzen, zu den wabernden Türmen, die sie mit ihren Glocken lockten.
    Niemals zurück schauen. Immer nur vorwärtstanzen. Wohin war ungewiss.
    „Sonnez les martines? Sonnez les martines?“
    Die beiden Jungen waren längst in der endlosen Weite aus Licht, Glockenschlag und Marmor verschwunden. Sie waren nicht mehr als kleine Schemen, wie die Türme in der Ferne. Ihr Gelächter schallte über die kostbaren Fliesen.
    „Ding, Dang, Dong!“


    Und das einzige, das Zurückblieb, war die kalte Schale des Mannes, aus der er sich befreit hatte. Dreck, Schlamm und Wasser bildete eine übel riechende Pfütze auf dem Marmor, wurde langsam von der Hitze verschluckt. Die Falten auf seinem wettergegerbten Gesicht wirkten wie eingemeißelt. Seine Arme lagen steif auf seinem Körper, die Händen auf seinem Herzen.
    Und sein Gesicht zierte ein seliges Lächeln.




    Wolken, grau wie die Asche von verbranntem Holz, verdeckten den Himmel. Einige wenige Sonnenstrahlen kämpften sich ihren Weg durch sie durch. Aber sie kämpften vergeblich. Die ganze Stadt lag in grauer Einsamkeit. Qualm drang aus steinernen Kaminen, mischte sich in das tosende Meer des Himmels.
    Er erwartete, dass es regnete. Das war um diese Jahreszeit immer so. Der große Fluss, eingepfercht durch Fabriken, aus denen ohrenbetäubender Lärm drang, trat jetzt schon über die Ufer. Brücken wurden gesperrt, weil die Gefahr bestand, dass die einfachen Holzkonstruktionen brechen würden.


    Sein kleiner, fragiler Körper drängte sich durch die Menschenmassen, die in Hektik durch die Straßen eilten. Die Luft roch verpestet, drückte auf die Gemüter und verwandelte sie in Bestien aus Aggression und Angst. Die Stimmung war nicht gut. Männer blafften einander an, schlugen sich. Direkt neben ihm landete ein alter Sack mit blindem Auge auf dem dreckigen Pflaster und keuchte wütend. Er rappelte sich in ungemeiner Schnelligkeit auf und stürzte sich von Hass getrieben auf seinen Gegner.
    Der Junge duckte sich unter den Schaulustigen hinweg, die einen Kreis um die Kämpfenden bildeten, steckte hier und da seine Hand in die Einkaufkörbe und versteckte seine Beute, mickrige Kartoffeln und halb verschimmelte Tomaten, in seinem dreckigen Hemd. Er hatte die Hoffnung schon beinahe aufgegeben, da gelang es ihm, eine Brieftasche zu entwenden. Sie war klein und das Leder abgewetzt. Und zu leicht, als das viele Münzen hätten darin sein können.
    Er würde sie behalten und später nachsehen. Vielleicht hatte er ja Glück.


    Hastig drängt er sich unter den schreienden und fluchenden Massen hindurch, wich Armen und Beinen aus, die nach alles uns jedem schlugen und traten, was sie berührte. Eine Faust erwischte seine Wange und für einen Moment sah er nur noch bunte Flecken vor seinen Augen. In seinem Kopf pfiffen wilde Rufe und dumpfe Schreie, er kämpfte gegen die drohende Schwärze an.
    Der Schlag war nicht fest gewesen. Doch er hatte die richtige Stelle getroffen und den richtigen Schwächling.


    Erst als er sich blindlings aus den überfüllten Straßen herausgekämpft hatte, kam sein Herz wieder etwas zur Ruhe. Er drängte sich dicht an die hohen Steinmauern der Gassen, so, dass ihn keiner sah. Der Schatten verschluckte seine magere Gestalt und bot ihr Schutz. Nur die Kälte nagte an ihm. Ein unangenehmer Nebeneffekt.
    Doch lieber Kälte als ein Messer zwischen seinen hervorstehenden Rippen.
    Der Puls des Jungen senkte sich langsam wieder. Er näherte sich dem Fluss, dem kleinen Stück Wald, der daran noch anschloss. Sein Vater hatte ihm verboten, sich dort herum zu treiben. Er solle lieber arbeiten.
    Doch das ging nicht. Er war kränklich, nicht gut ernährt und ängstlich. Er war der Jüngste, der eigentlich gar nicht leben sollte.
    Seine Augen, die die Farbe des tosenden Himmelsmeeres über ihm hatten, fixierten den strudelnden Lauf des Wassers. Seine Füße schleiften müde über den Dreck des Trampelpfades, den er eingeschlagen hatte. Er zitterte, die Kälte drang durch das dünne Hemd und die kurzen, zerfetzten Hosen. Leichter Nieselregen hang an den völlig zerzausten Locken herunter. Sie hatten die Farbe von verwelkten Sonnenblumenblättern. Ein dreckiges, fahles blond, das vom Schmutz beinahe unkenntlich geworden war.


    Der Junge setzt sich unter eine große, alte Eiche. Er kam oft hierher, um seiner Familie zu entkommen. Sie waren zwar meist ohnehin nicht in der baufälligen Hütte am Stadtrand, denn ein jeder von ihnen ging arbeiten. Die zwei älteren Schwestern und seine Mutter arbeiteten in einer großen Fabrikhalle an diesen Fadenmaschinen. Sein Vater half immer mal wieder bei Bauarbeiten mit. Die älteren Jungen versorgten für ein paar Münzen am Tag die verwelkten Pflanzen des Bauern um die Ecke.
    Die Abenden waren für ihn kaum erträglich. Zu viele Leute wohnten in einer zu kleinen und nicht einmal dichten Hütte. Im Winter zog es durch jeden Ziegel und Erkältungen drohten den Ruin der Familie an. Denn wenn auch nur eine Münze zu wenig eingenommen wurde, würden sie nicht einmal mehr am Hungertuch nagen können.
    Aber auch die Einsamkeit während des Tages der der Hütte- er weigerte sich, es sein Zuhause zu nennen- machte ihn regelrecht panisch. Er fühlte sich in Gebäuden immer erdrückt, als würden die Wände jede Sekunde näher rücken und seinen dürren Körper zwischen sich zerquetschen. Der kleinste Laut in der Stille, ein Schatten, der über die Wand huschte, nur das kleinste Anzeichen reicht aus, um ihm einen panisch erstickten Schrei zu entlocken.
    Es war schrecklich, was für eine ängstliche Missgeburt er war.
    Aber er hatte sich damit abgefunden.


    Seine Locken kratzten ihn im Gesicht, unwirsch strich er sie weg und schloss die Augen, den knochigen Rücken gegen den großen Stamm seiner Eiche gelehnt. Die blassen und trockenen Blätter schützten ihn vor dem leichten Regen, der im Fluss unterging. In der Ferne dröhnten die Klänge der verwitterten Kirchenglocken, das dumpfe Geräusch ließ ihn zusammenzucken. Mit panischen Gesichtsausdruck wandte er sich dem Klang zu. Er konnte die Entfernung zwischen sich und der alten Kirche nicht ganz ausmachen. Er wusste auch nicht, wie viel Uhr es war. Aber er war sich sicher, dass jetzt keine Messe begann. Dafür war es bereits zu spät.
    Schon wieder ein Toter?
    Die Zeiten waren hart. Menschen wurden grausam und raffgierig. Sie stahlen und mordeten. Auch er gehörte dazu, was ihm keine Skrupel bereitete. Entweder sie oder er. Und die Menschen, die er bestahl, hatten mehr als er. Sie würden ein wenig abgeben können. Aber das taten sie nicht. Also musste er es sich holen.
    Der Junge war nicht dumm. Er hatte früh lernen müssen, was es heißt, um sein Leben zu kämpfen. Er kämpfte gegen sieben Geschwister um etwas zu essen, kämpfte gegen andere Taschendiebe um die beste Beute.
    Er war geschickt, schlau und schnell. Das allein waren die Gründe, warum er noch lebte. Ansonsten hätten auch für ihn längst die Totenglocken geläutet. Wenn sie denn für ihn läuten würden; Er wusste es nicht, ob sich die Gemeinde für einen kleinen, schwächlichen Bastard diese Mühe machen würde.


    In Frankreich gab es ein Lied. Ein Lied über einen Mönch, Bruder Jaques. Er hörte er manchmal die Knaben singen, wenn er zufällig an einer Schule vorbei kam. Er kannte den Text mittlerweile auswendig. Und er war sich sicher, dass der Komponist einen Hintergedanken gehabt hatte.
    Jaques schlief nicht.
    Und er hörte auch nicht die Glocken.
    Nein.
    Er hörte seine eigenen Totenglocken nicht mehr.


    Dem Jungen entwich ein krächzendes Lachen. Was hatte er wohl getan, mit solch einem Leben bestraft zu werden? Mit einem schwachen, kranken Körper, der zu nichts nutze war? In einer Zeit, in der die Gräue der Welt jeden Lichtstrahl verschluckte? An einem Ort, an dem Krankheit und Tod die Menschen stumpf gemacht hatten?
    Es war nicht fair.
    Aber was war schon fair?
    War es fair, dass manche Kinder in die Welt hineingeboren wurden, nur um am nächsten Morgen das Leben wieder ausgehaucht zu haben? War es fair, das andere, Glücklichere, als Spross eines Herzoges geboren wurden? Und war es fair, das uneheliche Kinder eben jenes Herzoges in der Gosse wohnten?
    Nein, nichts davon war fair.
    „Frere Jaques“, sang der Kleine vor sich hin und zog sich nervös an den Locken. „Frere Jaques.“
    Der Schall der Glocken dröhnte zu ihm herüber und ließ ihn zittern. Mit Mühe richtete er seine Konzentration wieder auf einen Flecken vor sich.
    Doch gerade, als er die Augen wieder schließen wollte, sprang ihm etwas am Fluss ins Auge.


    Ächzend erhob er sich. Schlitterte mit rutschendem Schlamm unter seinen kaputten Schuhen die kleine Böschung, die noch übrig geblieben war, herunter. Näherte sich vorsichtig dem Ding im Fluss.
    Beugte sich herunter.
    Und lächelte.


    „Dormez-vous?“
    Der Kerl war tot. Er hatte ihn angestoßen und angesprochen, doch er zeigte keine Reaktion. Die stumpfen, braunen Augen waren im Schock weit aufgerissen, der Mund zu einem Ausdruck des Erstaunens verzogen.
    Und sein Hals zierte ein blutiges Lächeln.


    Das Wasser hatte das meiste Blut schon weggeschwemmt. Er war nur noch eine leere, blasse und von der Kälte steife Leiche, die den Fluss heruntertrieb, bis sie sich hier an einem großen Ast verhangen hatte. Sie Hände glitten neben ihm an seinem Körper im Wasser, er trug viele kleine und große Wunden, vermutlich von der turbulenten Reise.
    Der Mann schien schon älter zu sein. Tiefe Furchen gruben sich in sein bleiches Gesicht, eines der Augen war merkwürdig verdreht. Er trug überall Narben.
    Vermutlich war er Fabrikarbeiter gewesen. Sein Vater hatte immerzu ähnliche Narben.
    Der Junge sang weiter sein kleines Liedchen.
    In der Ferne dröhnten die Totenglocken.
    Als wären sie für ihn bestimmt.


    Er hievte den leblosen Körper mühevoll die Böschung hoch, rutschte dabei immer wieder aus und verletzte sich an scharfkantigen Steinen und giftigen Gewächsen, die sofort Blasen auf seiner Haut warfen. Er keuchte angestrengt und ließ sich kraftlos auf dem Boden neben den Toten fallen, als er etwas Abstand zwischen ihm und dem Wasser geschafft hatte. Er war schwerer gewesen, als der Blonde gedacht hatte. Seine vom Wasser getränkte Kleidung bildete eine große Pfütze aus Dreck, Schlamm und Nässe. Strähniges Haar von einer undefinierbaren Farbe klebte dem Mann im Gesicht und verdeckte den geschockten Gesichtsausdruck.


    „Sonnez les martines?“, murmelte der Junge und blickte von der Leiche zu den schwarzen Kirchentürmen, wo noch immer die Glocken klangen. Es war wohl viele Menschen gestorben. Immer wenn er dachte, dass die Totenehrung ein Ende hatte, begannen die Klänge von Neuem. Er fragte sich, ob sie auch der Wasserleiche galten, die hier vor ihm lag.
    „Sonnez les martines?“, raunte er dem Mann zu, als er in seine Nähe krabbelte. Seine Hosenbeine waren nass, seit der getränkte Körper einen Moment zu lange auf dem des Jungen gelegen hatte. Er roch nicht so streng, wie er es erwartet hatte. Das Wasser hatte den Geruch verscheucht, die Modrigkeit der Luft wehte geradewegs von der Innenstadt herüber.


    Er hatte keine Probleme damit, den Körper zu berühren. Er war kalt und steif, hart und runzelig. Der Junge betrachtete lange Zeit die geöffneten Augen.
    Wann war er wohl gestorben? Wer hatte ihn getötet? Warum?
    Diese Fragen gingen ihm zwar durch den Kopf, jedoch scherte er sich eigentlich nicht um die Antwort. Das hier war einmal ein Mensch gewesen. Jetzt war es nur noch eine leblose Hülle, aus der jedes Leben gewichen war.
    Und als solche brauchte sie nicht mehr.


    Der Junge steckte seine zitternden Finger in die Hemdtasche des Mannes. Er ertastete eine lederne Brieftasche, zog sie heraus.
    Doch als er sie öffnete war sämtliches Papiergeld längst unbrauchbar geworden. Wortlos zog er die Scheine hervor und riss das durchnässte Papier in kleine, pappige Fetzen, die er rund um sich herum verstreute. Ansonsten waren noch ein paar Münzen zu finden, jedoch alle nicht sonderlich wertvoll. Nicht wertvoll genug.


    Er suchte weiter, richtete seinen Blick aber auf das Gesicht des Mannes. Ob er wohl auch irgendwann so enden würde? Mit einem blutigen Grinsen in einem Fluss, wo er von einem räudigen Kleinkriminellen all seiner Wertgegenstände beraubt wurde?
    Vielleicht.
    Aber was machte das dann noch?
    Er würde kein langes Leben leben, so viel Glück war ihm nicht vergönnt, da war er sich sicher. Er würde keinerlei Spuren für die Zukunft hinterlassen. Er würde vielleicht nicht einmal Kinder bekommen und vielleicht war das auch besser so.
    Er würde verschwinden. Ohne jemals wirklich existiert zu haben.
    Seine Finger schlossen sich um etwas Hartes. Als er es auch der Hosentasche des Mannes hervorzog, merkte er, dass es sich um eine Brosche handelte. Sie war schwer in seiner Hand.
    Er war sich nicht sicher, doch es könnte sich um Silber handeln. Es war eine massive, aber filigran gearbeitete Brosche mit vielerlei Verzierungen.
    Sie passte nicht zur rauen, ordinären Leiche. Ob er sie geklaut hatte?


    Als der Junge sie öffnete, entdeckte er ein kleines Bild eines Mädchens mit schwarzen Locken. Sie starrte ihn an, die Ecken des Papieres waren leicht gewölbt, doch der Rest von der Nässe verschont.
    Er nahm das Bild heraus und hielt es dem Mann neben das Gesicht.
    Sie hatten die gleiche Nase und die gleiche, niedrige Stirn.
    Aus einem Gefühl heraus wusste der Junge, dass das die Tochter der Leiche sein musste.


    Als ein Windstoß durch die Bäume fuhr, begann er zu zittern. Wenn er länger draußen blieb, würde er sich auf jeden Fall erkälten.
    Doch bevor er sich umdrehte und ging, faltete er dem Mann die Hände über die Brust. Er strich mit den zitternden Fingern über das bleiche Gesicht und schloss ihm die starren, leblosen Augen.


    Als er sich etwas torkelnd von der Leiche entfernte, sang er die letzten Takte des Liedes, das die dummen Kinder immer von sich gaben, in dem festen Glauben, das Bruder Jaques wirklich nur schlief.


    Er wusste es besser.
    „Ding, dang, dong“, verkündete er den Klang der Todesglocken. „Ding, dang, dong.“


    [subtab=Schwert und Schild]
    Mein zweiter One-Shot zu Fire Emblem-Awakening. Eigentlich habe ich auch noch einen dritten, diesen habe ich auch früher angefangen, allerdings hatte ich eher Lust den weiterzuschreiben, den ich hier hochlade. Der dritte wird aber auch noch kommen.


    Schwert und Schild dreht sich um Khan Flavia und ihren Vorgänger, Basilio. Ich konnte es kaum glauben, als ich gesehen habe, dass man die beiden nicht miteinander pairen kann. Dass das nicht klar geht ist für mich selbstverständlich, also habe ich beschlossen, mir selbst einen etwas längeren Support auszudenken. Allgemein gehören diese beiden zu meinen Lieblingscharakteren und ich hoffe, ich habe ihren Charakter getroffen. Vermutlich nicht, nehmt es mir aber bitte nicht übel. :/


    W A R N U N G!
    In diesem Text gibt es einige Passagen, die das Spiel erst etwas später behandelt. Wer sich also nicht spoilern will, sollte davon absehen, ihn zu lesen!



    Schwert und Schild


    „Khan Flavia?“
    Die Stimme eines jungen Mädchens riss sie aus dem Sekundenschlaf, in dem sie gefangen war. Hektisch richtete sich die Frau in ihrem Thron auf, bemühte sich, Haltung zu bewahren.
    „Ja?“, erwiderte sie mit starker Stimme. Sie dürfte sich jetzt keine Schwäche leisten. Schlafen könnte sie auch noch heute Nacht.
    „Eine neue Herausforderung ist eingetroffen“, erklärte die Dienerin in leichter Rüstung, verbeugte sich förmlich und näherte sich ihr dann geduckt, um dem regierenden Khan einen zerfetzten Zettel zu geben, auf dem in unordentlicher Schrift „Heute Abend, sieben Uhr“ geschrieben stand.
    Flavia rieb sich die dunklen Schläfen und stieß einige wüste Beschimpfungen aus.


    „Na wenigstens ist er pünktlich“, grummelte sie mit einem Blick auf die Uhr, von der sie kürzlich verlangt hatte, dass man sie in den Thronsaal stellte.
    „Ist es wieder der ehemalige Khan?“, fragte die junge Frau mit festem Blick.
    „Was denkst du denn?“, zischte sie ihre Untergebene an, die durch die Schärfe ihrer Worte zusammenzuckte. „Natürlich ist es wieder dieser blöde Ochse, der meint, mich herausfordern zu müssen. Das wievielte Mal ist das jetzt eigentlich?“
    „Das müsste die 43 Aufforderung seit eurer Rückkehr auf den Thron sein“, antwortete das Mädchen pflichtbewusst und erntete deswegen einen tödlichen Blick. Ihr schien entgangen zu sein, dass das eine rein rhetorische Frage gewesen war.
    „Ich habe keine Antwort erwartet“, gab sie zurück und schlug frustriert mit der Faust auf die steinerne Lehne ihres Throns. „Jedes weitere Mal ist eines zu viel.“
    Die Dienerin sah sich unsicher um. Flavia versank in Gedanken und schien sie völlig daraus zu verbannen. Einerseits war ihr das ganz recht, in solch einer Gemütslage wäre jede Provokation eine Einladung zum Duell. Andererseits…


    „Welche Antwort soll ich ihm überbringen, mein Khan?“ Sie sammelte jeden Mut, den sie hatte zusammen, und wandte sich wieder an ihre Herrscherin.
    Flavia hob die Hand von ihren durch den fehlenden Schlaf geröteten Augen und musterte sie unverständlich. Es brauchte eine Weile, bis die Botschaft zu ihr durchdrang.
    „So kann das jedenfalls nicht weitergehen“, beschloss sie mit ernstem Blick. Ihre Stimme klang tonlos und müde. „Wenn wir jeden Tag zwei feroxische Krieger gegeneinander in den Kampf schicken und jemand von außen uns dann angreift, werden unsere besten Männer nicht mehr fähig sein, uns zu verteidigen. Wir müssen diesem Unsinn ein Ende setzen.“
    Erwartungsvoll musterte das junge Mädchen ihre Herrin, die aufgesprungen war und hektisch über die Plattform schritt, ihren Blick fest auf den blutroten Teppich gerichtet. Sie murmelte Dinge vor sich hin, die die Dienerin nicht verstehen konnte. Aber sie wusste, dass sie ihr etwas Zeit lassen musste.


    „Ich werde ihm meine Antwort persönlich überbringen“, verkündete Flavia schließlich mit einem feurigen, wütenden Glimmen in ihren Augen, dass das Mädchen so an ihrer Herrscherin mochte. Sie sah damit bereit und zuverlässig aus. Wie ein Löwin, die ihre Familie beschützen wollte.
    „Ich werde es ihm ausrichten lassen!“, strahlte die Dienerin, nickte eifrig und huschte dann mit klappernder Rüstung zum Ausgang des Thronsaales.


    Als die schweren Türen wieder zufielen und Stille in den riesigen Saal einkehrte, stieß Flavia einen lauten Fluch aus. Sie tigerte zwischen den Säulen umher, rückte die Kerzenständer zurecht, kontrollierte die Zierschwerte, die immer noch scharf waren, für den Fall, dass sie sie im Kampf brauchten, und ging die Wand ab, an der Portraits der vorherigen Khans hingen und mit ernsten Blick auf sie herunterschauten.
    Als sie an Khan Helena vorbeikam hielt sie inne.
    Sie war eine Legende, selbst in der gesamten Geschichte Ferox galt sie als eine der mächtigsten Kriegerinnen die es jemals gegeben hatte. Sie war eine Heldin gewesen, eine Göttliche, ein Vorbild.
    Nur wegen ihr hatte Flavia überhaupt beschlossen, eine Kriegerin zu werden.


    Vorsichtig strich sie über die gemalten Gewänder der jungen Frau, die in der Blüte ihres Lebens verewigt wurde. Sie wirkte so edel, so anmutig und doch so stark. Helle, weiße Locken fielen der jungen Frau über die Schultern, lange Finger hielten ein silbernes Schwert, das dünn wie ein Blatt Papier, aber scharf wie die Fänge eines Löwen war.
    Sie wirkte einfach perfekt.
    Und was war mit ihr?


    Flavia schlug sich mit einem sturen Ochsen herum. Ihr wuchs dieses ganze Khan-Dasein langsam über den Kopf. Sie musste sich um Finanzen kümmern, um Diplomatie, um die Nahrung und die Zufriedenheit ihres Volkes.
    War sie wirklich eine Herrscherin? Manchmal wünschte sie die junge Frau nichts sehnlicher, als den Thronsaal zu verlassen und draußen mit ihren Soldaten zu kämpfen. Die Untoten zurück in ihre Gräber zu schicken…


    Wie gerne erinnerte sie sich an ihre Jugend. Und noch sehr viel lieber an ihre Zeit als Chroms Verbündete.
    Damals war sie wirklich lebendig gewesen. Damals, als ihr Schwert für Gerechtigkeit und Frieden sorgen konnte, als ihr ganzes Leben diesem Ziel gewidmet war. Ja, es war gefährlich gewesen. Wäre sie in einer Schlacht gefallen, wäre Ferox ohne Herrscherin gewesen. Gut, sie hätten den Ochsen gehabt, allerdings…


    Auf dem Schlachtfeld fühlte sie sich freier, lebendiger. Ihre Sinne sirrten und Gedanken jagten in atemberaubendem Tempo durch ihren Kopf. Und ihr Körper bewegte sich ganz von selbst, in geschmeidigen, starken Bewegungen. Sie wusste im Krieg, was sie zu tun hatte.
    Doch hier im Thronsaal fühlte sie sich mit einem Male wieder fehl am Platz.


    Einmal mehr glitt ihr Blick über das sanfte Lächeln von Khan Helena, die mit wachsamem Blick den Thronsaal beobachtete. Flavia seufzte, als sie das in den Augen der schönen Herrscherin sah, was sie bei den anderen Bildern immer vermisste.
    Die Güte und Freundlichkeit.
    Khan Helena war der einzige, weibliche Khan gewesen, der geheiratet und Kinder bekommen hatte. Alle anderen hatten sich den Männern abgeschworen oder insgeheim nur flüchtige Affären gepflegt. Sie stellten ihr Leben gänzlich in die Dienste des Landes, das sie regierten.
    Würde Flavia das auch können?
    Tat sie es nicht bereits?
    Verweigerte sie sich denn nicht selbst das, nachdem ihr Herz verlangte?


    Endlich wieder frei sein. Mit dem Schwert in der Hand auf einem freien Feld stehen und mein Volk beschützen. Alle Menschen beschützen, die Hilfe brauchen.


    Was wäre, wenn ich den Ochsen gewinnen lasse? Soll er doch den Thron haben, damit ich…


    Ein kleines Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht. Nein. Nein, nein, nein.
    Das würde er ihr ewig nachhalten. Ihr Stolz verbot es ihr, einen unerfahrenen Krieger in den Kampf zu schicken. Sie würde nicht kampflos aufgeben, auch wenn das bedeutete, dass sie in diesem Thronsaal vergehen sollte.


    Woher kamen eigentlich diese plötzlichen Zweifel? Warum konnte sie ein Jahr lang regieren, ohne auch nur einen Gedanken an das wenn-und-aber zu verschwenden? Warum konnte sie diese dummen Zweifel nicht einfach verschwinden lassen?


    Es gab kein wenn-und-aber.
    Sie war Khan.
    Sie regierte.


    Und sie wollte es nicht.


    Wenn sie den Thron tatsächlich abgab- der Gedanke war viel zu lockend- was würde sie dann tun? Zurück zu den Hirten gehen? Unmöglich, sie war eine Feroxerin. Sie gehörte hierher und sie würde ihr Volk weiterbeschützen, ob Khan oder nicht.
    Könnte sie denn nicht auch so etwas gründen, wie die Hirten von Ylisse? Eine kleine Eliteeinheit, die sie kommandierte und mit denen sie kämpfte? Sicherlich würde sie den neuen Khan davon überzeugen müssen, und doch…
    Dann könnte sie wieder auf dem Schlachtfeld stehen. Das vertraute Gewicht ihrer Klinge in den Hände, das Blut, das in ihren Adern rauscht und der Körper, der sich wieder bewegte, wie bei einem Tanz.
    Und wer weiß. Vielleicht würde sie ja sogar… Heiraten? Und Kinder bekommen?
    Wenn sie eine Tochter hätte, würde sie den gleichen, dunklen Teint haben wie sie? Würde ihr Sohn genauso stolz und kämpferisch werden?
    Würde sie… eine glückliche Zukunft mit einer glücklichen Familie haben können?


    „Hey, Flavia!“
    Sie sog scharf die Luft ein. Wie gut sie diese tiefe, wütende Stimme kannte. Und wie sehr sie sie zu hassen gelernt hatte.
    Die Tore wurden mit einem lauten Knall aufgestoßen und der dunkelhäutige Mann mit Glatze und Augenklappe stapfte herein und warf ihr mit seinem übrig gebliebenen, zusammengekniffenen Auge einen strafenden Blick zu.
    „Was willst du damit sagen, du nimmst meine Herausforderung nicht an?!“, polterte er lauthals los, während er sich ihr immer weiter näherte.
    „Hä?“, stieß Flavia verwirrt hervor. „So etwas habe ich nie gesagt!“
    „Da sagt deine kleine Botin aber etwas anderes!“, herrschte er sie an, als er direkt vor ihr stand. Er war etwa einen halben Kopf größere als sie, und Flavia hasste es, zu ihm heraufschauen zu müssen. Liebend gerne hätte sie ihm gegen das Bein getreten, damit er vor ihr auf die Knie fallen musste. Aber ihre Überraschung überwog.
    „Und dich auf den Thron lassen?“, stieß sie ebenso laut aus wie er. „Pah! Träum doch weiter!“
    „Sie hat es aber gesagt!“
    „Du hast wahrscheinlich zu tief ins Glas geschaut und halluziniert, Ochse!“
    Basilio starrte sie mit einem tödlichen Blick an. Aber es war nicht die Beleidigung, die ihn so wütend machte. Es war etwas anderes, da war Flavia sich sicher. Sie kannte den alten Khan schon viel zu lange und zu ihrem Leidwesen auch viel zu gut. Er ließ sich nicht so einfach davon überrumpeln, wenn man ihm einen fiesen Spruch die Kehle runterdrückte. So war er einfach nicht.
    „Ich habe nie gesagt, dass ich deine Herausforderung nicht annehme!“, wiederholte sie mit fester Stimme, aus der langsam die Wut wich. Oder zumindest verlagerte sie sich auf eine andere Person. Wie konnte dieses dumme Mädchen so etwas auch nur andeuten? Wollte sie ihre Herrin in den Dreck ziehen, oder was? Na, dann konnte sie sich aber definitiv auf etwas gefasst machen. Flavias Hand umschloss den Griff ihres Schwertes, das an ihrer Seite baumelte.
    „Hätte ich auch nicht von dir erwartet“, brummte der Ochse und ging einige Schritte zurück. Er wandte sich um und sein Blick fiel auf das Portrait des weiblichen Khans, das Flavia betrachtet hatte.
    Sie bemerkte, wie sich sein Auge verengte.
    „Du hältst sie für eine Idiotin, richtig?“, sprach der regierende Khan ihn an. „Dass sie ihre Position als Regierende aufgegeben hat, um sich um ihre Kinder zu kümmern.“
    Basilio schwieg und fuhr sich über die lederne Augenklappe. Eigentlich erwartete sie gar keine Antwort. Schließlich war diese offensichtlich.
    Der Ochse war ein starker Krieger. Jemand, für den nur Stärke und Kampfkraft zählt. Wie könnte er da die Gefühle einer Frau verstehen, die sich Ruhe in ihrem Leben wünscht, obwohl sie ein kriegerisches Volk regiert? Es widersprach sich ganz einfach. Es war, als wolle man ein Wiesel dazu dressieren, einen ausgewachsenen Löwen zu töten.


    „Nein.“
    Seine tiefe Stimme riss sie vollkommen aus ihren Gedanken. Flavia blinzelte verwirrt und beobachtete, wie Basilios Finger über die Pinselstriche des Portraits fuhren. Nur ganz vorsichtig, als hätte er Angst, der zarten Person darauf Schmerzen zuzufügen.
    „Sie war stärker als der Rest von uns.“
    „Und warum?“ Sie konnte ihren Ohren nicht trauen. Das hier war genau das Gegenteil von dem, was sie gedacht hatte. Warum machte er sich nicht lustig über Khan Helena? Warum konnte sie ihm dann nicht einen heftigen Schlag verpassen und ihn aus dem Thronsaal verscheuchen?
    Warum… Warum benahm er sich ganz anders, als sie es erwartete?
    Das war merkwürdig. Es verwirrte sie. Es machte ihr… Angst?
    „Weil sie den Mut hatte, ihre Vision von einem friedlichen Leben zu teilen, auch ohne ein Schwert in der Hand“, erklärte Basilio, den Blick fest in die hellblauen Augen von Helenas Abbild verhakt. „Und sie wurde dafür belohnt. Sie erntete Respekt und wahre Stärke. Und diese verwendete sie in den großen Kriegen ausschließlich dazu, ihr Volk zu beschützen. Helena ging es nie darum, als große Anführerin dazustehen. Sie wollte nur das Beste für ihr Volk.“
    „Und trotzdem verließ sie den Thron, als ein Mann um ihre Hand anhielt“, stieß Flavia aus. Wenn sie ihr Volk doch so hatte beschützen wollen… Warum ließ sie dann zu, dass ein anderer ihren Platz einnahm. Sie sah zum nächsten Gemälde herüber. Ein grimmiger Mann mit Vollbart und einer großen, groben Axt starrte ihr mit feurigem Blick entgegen. Der Unterschied war wie Tag und Nacht. Niemals hätte Khan Gladius in ihren Augen als Beschützer des Volkes gegolten. Er war ein Eroberer gewesen, beinahe so wie Wallhart. Nein, eigentlich nicht beinahe. Hätte er mehr Zeit gehabt, mehr Einfluss, dann wäre es wohl damals erneut zum Krieg gekommen. Doch die großen Kriege, die ihre Nation schwächten und den Menschen alle Hoffnungen geraubt hatten, und den Khan Helena so mühsam beendet hatte, war noch viel zu nah. Das Volk war geschwächt und müde. Sie wollten keinen Krieg mehr.
    Das war es gewesen, das Helena ihnen damals beigebracht hatte. Dass Friede ein Zustand ist, den es aufrechtzuerhalten gilt, so schwer das auch ist. Zu Khan Gladius Zeit hatte sich das Volk einfach geweigert, weiter in den Kampf zu ziehen. Weil sie das Vermächtnis der zuvor Regierenden bewahren wollten.
    „Sie hat ihr Volk im Stich gelassen“, beharrte Flavia dennoch. Tief in ihrem Inneren hasste sie sich dafür, dass sie so dachte. Wie sehr wünschte sich die Kriegerin doch etwas mehr zu sein wie Helena. Aber sie war eine Kämpferin. Jemand, der die Probleme lieber mit Waffen in der Hand regelte. Um so zu sein wie ihr Vorbild war sie einfach zu aufbrausend. Zu sehr an Krieg und Kampf gewöhnt, an die harten Sitten ihres Volkes. Denn wer hier nicht kämpfte war schwach. Und wer schwach war verdiente keinen Respekt.
    „Sie hat ihr Leben gelebt“, wandte Basilio ein. Er beobachtete jetzt schon seit einiger Zeit, wie sich Flavias Gesicht in einem wüsten Mienenspiel über Wut zu Betroffenheit entwickelte. Und immer wieder schlich sich etwas ein, was ihm nicht an ihr gefiel. Etwas von dem er nie gedacht hätte, dass er es einmal von ihr sehen würde. Angst. „Daran ist rein gar nichts Verwerfliches.“
    „Aber ihr Volk brauchte sie!“, fauchte sie ihren Rivalen an. „Wenn es sich nicht gegen Khan Gladius gestellt hätte, dann wären viele, viele Menschen gestorben! Weil sie zugelassen hat, dass jemand so machthungriges wie er an die Macht gelangt!“
    Als ihr ihre Worte bewusst wurden, wirkte Flavia, als hätte man sie geohrfeigt. Sämtliche Farbe wich ihr aus dem Gesicht und in ihren Augen lag ein ungläubiger Blick, als sie zum Portrait des gefährlichen Herrschers heraufschauten.


    Gladius war ein Krieger gewesen, ein Mensch, dessen Bestimmungsort das Schlachtfeld gewesen war. Er kämpfte und bekriegte sich mit anderen Mächten, tötete und genoss es, seine Waffe zu schwingen. In seinen Augen hatte das Feuer gelodert, eine brennende Wut, das meist das Letzte war, was seine Gegner gesehen hatten.


    Waren ihre Wünsche nicht dieselben? Hatte sie nicht vor ein paar Minuten nach darüber nachgedacht wie es wäre, endlich wieder das Gefühl zu genießen, frei zu sein und zu kämpfen? Das Schwert in ihrer Hand zu spüren, den Klang von Metall, das aufeinander schlug. Die Sturmböen, die den Boden aufwirbelte und an ihrem Körper zog?
    War sie am Ende nicht nur weit davon entfernt, ein Mensch wie Helena zu sein?
    War sie vielleicht schon längst zu dem geworden, was sie doch eigentlich verachtete?


    Sie biss sich auf ihre Lippen, bis metallisches Blut ihren Mund füllte. Ein kleines Rinnsal rann ihren Mund herunter, bis zum Kinn, wo die Tropfen sich lösten und auf den Marmorboden tropften. Schnell fuhr sie sich mit den Handrücken darüber und betrachtete verwirrt das tiefrote Lebensserum, das in wilden Striemen darauf verteilt war. Ihre Fäuste ballten sich, als sich ein kleines Lächeln auf ihr Gesicht schlich.


    Sie war ein Monster.
    So viel Blut hatte sie gesehen, dass es in ihr nicht mehr auslöste als ein müdes Lachen.
    Wie viele Leben hatte sie genommen? Wie viele Frauen warteten daheim darauf, dass ihre Männer zurückkehrten? Wie viele Kinder weinten nachts in ihren Betten, weil sie ihre Eltern nie wieder sahen?
    Wie viel Hoffnung hatte der Kampf diesem Land gekostet?
    „Das Volk ist stärker als du denkst.“
    Basilios schwere Pranke lag auf einmal auf ihrer Schulter und davon überrumpelt stolperte sie erschrocken zurück. Der ehemalige Khan hob beschwichtigend seine Hände. Erst jetzt verstand sie, dass diese Aussage sich auf ihre vorherige Aussage bezog. Wann war sie in den Gedanken so weit gereist, dass sie seine Antwort auch auf diese zutraf?
    „Helena hat sie geleitet, denn dafür sind wir Khans da. Wir leiten und führen, aber wir geben unser Leben nicht dafür auf.“
    Er hob den Kopf und sah zu dem Portrait herauf. Helena lächelte so gütig wie eh und je.
    „Dein Volk besteht nicht aus einem Haufen dummer Schafe“, brummte er. „Sie sind intelligent und können selbst denken. Unsere Aufgabe ist lediglich, sie dazu zu bringen, beim Scheidepunkt des Weges über genug Verstand zu verfügen, sich sicher sein können, was der richtige Weg ist.“
    Flavia runzelte die Stirn. Das war in seinen Augen ein Anführer? Jemand, der nicht den endgültigen Weg weißt, aber die Mittel bringt, dass das Volk es selbst tun kann?
    „Wir können nicht verlangen, dass sie ausschließlich den Weg einschlagen, den wir selbst für richtig halten. Jeder muss seinen eigenen finden. Und auch Helena war Teil des Volkes“, sprach er und deutete auf den ehemaligen Khan. „Sie hat den Weg gefunden, durch den sie Frieden finden konnte.“


    Flavias Faust traf auf die Marmorsäule, die ihr am nächsten stand. Sie spürte, wie ihre Knöchel sofort aufplatzten, und wie die Schmerzen ihren Arm zum Zittern brachten, aber sie verharrte still und ohne einen Laut.
    „Das ist also die Aufgabe eines Khans?“, flüsterte sie. „Wir sind nicht einmal die Sterne der Reisenden, die ihnen den Weg zeigen? Wir sind nur ein Kompass, mit dem sie den Stern finden können, den sie suchen?“
    Die Stille tauchte den Thronsaal in tiefe Angespanntheit. Flavias Gedanken rasten von einem zum nächsten. Sie hasste es. Sie hasste es, aber… je länger sie darüber nachdachte, desto mehr Sinn ergaben seine Worte.
    Wäre sie der Hirte, dann wäre das Volk verloren. Wie konnte sie annehmen, dass jede Entscheidung, die sie traf die Richtige ist? Wie konnte sie auch nur für einen Moment gedacht haben, dass sie mit dem Titel der Regierenden auch unendliche Weisheit erhalten hatte?
    Es war dumm gewesen, dass Flavia alleine sich um jede Angelegenheit hatte kümmern wollen. Was verstand sie schon von Steuern? Woher sollte sie über jedes Geschehnis in der Welt Bescheid wissen? Wie sollte für die Zufriedenheit des Volkes sorgen…


    Wo sie doch selbst nicht zufrieden war?


    Und dann lachte Basilio. Er lachte tief und kehlig, dass der ganze Raum von seinem Gelächter erfüllt wurde. Es halte wieder und klang, als würde ihr ganzes Volk in diesem Moment hier versammelt sein. Flavias Kopf begann zu schmerzen.
    „Lach mich nicht aus“, murmelte sie viel zu kraftlos. Sie musste sich zusammenreißen. Der beste Kompass nützte nichts, wenn er nicht stark genug war.
    „Mache ich doch gar nicht!“
    Basilio schlug seiner Rivalin leicht auf die Schulter. Sie merkte, wie sehr er seine Kraft zurückhielt. Flavia hatte sie auf dem Schlachtfeld schon so oft gesehen und war immer wieder erschrocken. Und neidisch. Sie als Frau könnte noch so sehr trainieren, niemals würde sie über seine Stärke verfügen. Doch das musste sie auch nicht. Sie war dafür wendig und schnell.
    Irgendwann verebbte sein Gelächter in leichtes Gekicher. Flavia warf ihm einen tödlichen Blick zu, doch er lächelte nur.
    Er lächelte. Nicht spöttisch, nicht hämisch.
    Basilio lächelte sie ähnlich an, wie Helena. Voller Mitgefühl und Sympathie.
    Sie atmete tief ein.


    „Wenn du es so vergleichen willst, dann kannst du das tun. Jedoch-“ Der große, muskulöse Krieger blickte über seine Schulter zu der Galerie der Portraits. „Kein Mensch kann nur ein Kompass sein. Ich würde eher sagen, dass wir diejenigen sind, die den Kompass zu den anderen tragen.“
    Sie betrachtete ihn stumm.
    Wann war er nur so… schlau geworden? So weise und intelligent?
    „Du respektierst Helena doch, oder?“ Er wandte sich ihr nicht zu, aber sie spürte seinen Blick, den er ihr aus dem Augenwinkel zuwarf. Flavia schaute wieder zum Portrait herüber. Ihr Mund stand weit offen, aber ihr fielen einfach die richtigen Worte nicht ein. Sie wusste nicht, ob sie sie nur respektierte. Helena war auch ihr Vorbild, ihr Stern den sie erreichen wollte. Aber konnte sie Basilio das sagen?
    So sein zu wollen wie Helena bedeutete auch, dass sie keinen Fehler darin sah, den Thron für einen Mann zu verlassen. Aber tat sie das auch?
    Vielleicht. Vielleicht eines Tages, wenn sie jemanden fand, den sie respektierte. Einen Mann, der ihr ebenbürtig war.
    Doch woran würde sie das erkennen können? Bisher hatte sie in keinem der Männer in der Armee jemanden gesehen, bei dem sie sich ernsthaft vorstellen könnte… Sicherlich hatte sie Basilio einmal gesagt, dass sie Chrom bewunderte. Das war auch aufrichtig, jedoch keine Antwort auf seine Frage gewesen. Sie hatte den Ochsen damals nur ärgern wollen. Denn er war das genaue Gegenteil von Chrom. Laut, ein Rüpel und wild im Kampf. Ein unverbesserlicher Sturkopf. Und fürchterlich nervig.


    Wie oft hatten sie miteinander gestritten? Wie oft warfen sie sich Beleidigungen an den Kopf und wie oft wollte sie ihm nur zu gerne den kahlen Schädel einschlagen? Flavia hatte längst aufgehört zu zählen.
    Aber auch, wenn sie sich meist fürchterlich über ihn aufregte… Er brachte Abwechslung in ihr Leben als Kahn. Zu oft schon hatte sie während einer Audienz auf die Uhr gesehen und die Stunden gezählt, in denen seine nächste Herausforderung eintreffen würde. Zu oft hatte sie in Gedanken alte Streitgespräche wieder durcherlebt und versucht, eine noch passendere Beleidigung für den alten Ochsen zu finden.
    Und zwischendurch musste sie auch schmunzeln, wenn sie an seinen entsetzten Gesichtsausdruck dachte, der immer dann bei ihm eintrat, wenn sie ihre kleine Kabbelei gewann. Er sah so lustig aus, wenn sein verbliebenes Auge sie missmutig musterte, die Augenbraue tief heruntergezogen hing und er eine Schnute zog wie ein beleidigtes Kind.


    Und obwohl sie sich doch eigentlich nicht verstanden… Er hatte ihr oft das Leben in der Schlacht gerettet. Sich zwischen sie und einen Angreifer gestellt, der sich von hinten an sie heranschlich.
    Und keinen Moment würde sie zögern, das Gleiche für ihn zu tun.
    Weil sie ihn respektierte, als Kämpfer und als Khan. Auch wenn sie sich stritten. Und auch wenn sie sich einredete, dass sie ihn hasste.


    „Ja, ich respektiere sie“, antwortete Flavia schließlich. „Helena war der Grund dafür, dass ich hart trainiert habe und Khan werden wollte.“
    „Weil sie es geschafft hat, aus der Gosse heraus hoch hinaus zu kommen?“, fragte Basilio. „Und weil du auch aus der Gosse stammst?“
    Flavia zuckte zusammen. Wann hatte er das herausgefunden? Es war ihr wohlbehütetes Geheimnis! Hatte sie etwa geplaudert, als sie miteinander getrunken hatten? Nein, niemals. Das konnte doch einfach nicht sein…
    „Ich habe gesehen, wie du auf dem Friedhof einen Straus Blumen hinterlassen hast.“
    Ihre Augen weiteten sich. Sie schluckte das mit Spucke vermischte Blut herunter, das noch immer aus ihrer Lippe herausdrang.
    Dieser Tag. Vor einem Jahr etwa, kurz nachdem sie aus dem Kampf gegen Grima zurückgekommen waren. Als Robin verschwunden war und sich alle auf die Suche machten. Flavias Gedanken waren damals Amok gelaufen. Sicherlich konnte Robin nicht tot sein. Nicht Robin.
    Aber was, wenn doch?
    Wie vergänglich das Leben doch ist. Das wurde ihr damals mit einem Schlag bewusst, der sie für einige Tage völlig unfähig zu denken machte.
    Und an einem dieser Tage war es, dass sie an ihre Eltern dachte.
    Eine Krankheit hatte sie sterben lassen, als sie noch eine junge Soldatin war. Flavia hatte versucht, sie mit ihrem Lohn zu unterstützen, doch damals war Medizin knapp. Und es war bereits zu spät, als sie das nächste Mal durch die Gossen schritt und in ihr Elternhaus hereintrat. Es war leer und die Luft roch abgestanden. Da wusste sie, dass sie nicht mehr lebten. Auf dem Friedhof der Hauptstadt hatte sie ihre Gräber schließlich finden können. Damals hatte sie nicht trauern können. Der Kampf war noch im Gange und Schwäche konnte sie sich nicht leisten.
    Doch als sie Khan wurde, konnte sie sich Traue noch sehr viel weniger leisten. Sie musste stark bleiben, eine Anführerin sein, die alle respektierten. Und so ging der Tod ihre Eltern an ihr vorüber. Flavia hatte keinen Grund mehr gehabt, die Slums zu besuchen. Sie fürchtete sich davor, was passieren würde, wenn sie es tat. Würde sie anfangen zu weinen? Würde sie nicht mehr von dort wegkommen?


    Doch vor einem Jahr wagte sie es endlich. Mit zitternden Fingern pflückte sie einige kleine Blumen vom Straßenrand. Sie ging im Schutze der Nacht, als die Menschen der Slums bereits zu betrunken waren um sie zu erkennen. Es hatte sie einige Dinge getan. Die Straßen waren sauberer, die Gegend ruhiger. Sie sah nur noch wenige Kinder auf den Straßen.
    Aber vielleicht war das auch nur dem Mantel der Nacht zu verdanken. Vielleicht war es unter ihrer Herrschaft doch schlimmer geworden.


    Als sie die Blumen ablegte, vor die simplen, kleinen Grabsteine ihrer Eltern, die in einer Masse von anderen untergingen, da fühlte sie noch immer keine Trauer. Dafür war es wohl bereits zu spät. Sie hatte genug Zeit gehabt, sich an den Gedanken zu gewöhnen.
    Alles, was sie fühlte, war Reue. Dass sie ihre Eltern so lange hintergangen hatte. Dass sie sich noch immer weigerte, sich ihre Wurzeln einzugestehen. Ihren Eltern hatte sie so viel zu verdanken. Ohne sie wäre sie keine Kriegerin. Ohne ihre Unterstützung wäre sie niemals Khan geworden.
    Und doch wartete sie bis tief in die Nacht, wartete darauf, dass keiner sie mehr sah.
    Als würde sie sich schämen.
    Doch das tat sie nicht! Sie schämte sich nicht!
    Oder doch?


    Damals hatte sie das Gefühl gehabt, dass sie jemand verfolgt. Ihre Instinkte hatten Alarm geschlagen, doch egal wie oft sie sich umgesehen hatte, da war niemand. Nur Stille und Einsamkeit, so wie es auf einem Friedhof nun einmal war. Sie redete sich ein, dass sie verrückt wurde. Dass die Ereignisse des Krieges sie paranoid gemacht hatten.


    „Du warst das?“, stieß sie ungläubig aus.
    Basilio senkte den Blick und zog an dem Pelz um seinen Hals, als drohte dieser, ihn zu ersticken. Schließlich nickte er.
    „Du hast mich verfolgt?“, fauchte Flavia fassungslos. Ihre Hände ballten sich zu Fäusten und in ihren Augen loderte blanke Wut. Wie konnte er es wagen?! Warum verfolgte er sie, tief in der Nacht-


    Moment. Nein, das konnte nicht sein. Nein, nein, nein!
    „Wolltest du mich etwa… überfallen?“ Ihre Stimme krächzte ganz fürchterlich, und die letzten Worte kamen nur noch undeutlich hervor. Nein! Niemals! Basilio war ein Ochse, ein fürchterlicher Sturkopf und er würde eher sterben, als eine Niederlage einzugestehen, aber…
    Welchen anderen Grund gab es, dass er sie verfolgt hatte?
    Es war weit hergeholt, sicher… Sehr, sehr weit hergeholt. Eigentlich würde sie ihm so etwas nicht zutrauen, jedoch… Der Krieg war gerade erst vorbei gewesen. Die Menschen waren verwirrt, nicht sie selbst. Sie taten Dinge, die sie eigentlich nicht hatten tun wollen.
    War er zu diesem Zeitpunkt etwa auch so… verwirrt gewesen?
    Ein Stich fuhr durch Flavias Körper.


    „Bist du verrückt geworden?“, fragte Basilio. Aus seinem Gesicht wich sämtliche Farbe und er sah aus, als hätte man ihn geohrfeigt. So fassungslos hatte sie ihn bisher noch nie gesehen. Er tobte nicht los. Er starrte ihr einfach in die Augen, mit einem Ausdruck tiefer Enttäuschung in seinem. Er konnte es nicht glauben, dass sie ihn verdächtigte, so etwas zu tun. Und da wusste sie, dass sie einen Fehler gemacht hatte.
    Flavia sackte gegen die Säule. Sie glitt an ihr herunter und blieb sitzen, die Knie angezogen, das Gesicht in den Händen versteckt. Die Kriegerin atmete rasselnd.
    Was war denn bloß in sie gefahren? Wie zum Teufel hatte sie denn vermuten können, dass Basilio sie hatte überfallen wollen? Ausgerechnet Basilio!
    Der Mann, der nichts mehr schätzte, als einen ehrlichen Kampf.
    Ja, er war ein Rüpel. Und ja, er wollte wieder an die Macht.
    Aber so etwas Hinterhältiges? Niemals. Nein, niemals.
    „Warum bist du mir dann gefolgt?“
    Flavia traute sich nicht, ihm ins Auge zu sehen. Sie betrachtete durch die Lücke zwischen ihren Händen seine Füße, die einen Meter von ihr entfernt standen.
    Erst schwieg er. Vielleicht hatte sie es jetzt endgültig vergeigt. Vielleicht könnte sie sagen, dass es nur ein Scherz gewesen war?
    Nein, dazu war es jetzt zu spät. Viel zu spät.
    „Weil ich mir Sorgen um dich gemacht habe.“
    Sie hörte das Rasseln seiner Rüstung, als er sich neben sie setzte. Basilio stieß einen tiefen Seufzer aus und lehnte sich zurück gegen den kühlen Marmor. Flavia hatte noch immer ihr Gesicht versteckt, doch sie beobachtete ihn weiter durch die Lücken.
    „Damals wirktest du sehr… sehr verwirrt. Du bist durch die Gegend gelaufen, warst vollkommen abwesend… Du hast dich nicht mal mehr reizen lassen, verdammt!“, stieß er frustriert heraus. „Du warst einfach nicht mehr die Flavia, die ich kenne. Und das… Das hat mir Sorgen gemacht.“
    „Dachtest du, ich könnte dein Volk nicht mehr ordentlich regieren?“, antwortete sie mit einem trockenen Lachen.
    „Das Volk kann auch eine Weile auf sich selbst aufpassen. Ich dachte, dass du, wenn ich nichts unternehme, kaputt gehst.“
    „Kaputt gehen?“ Endlich drehte sie ihren Kopf in seine Richtung und schlang ihre Arme um die Knie. Flavia hob eine Augenbraue. „Ich gehe nicht so einfach kaputt, das müsstest du eigentlich wissen.“
    „Im Kampf vielleicht nicht. Aber im echten Leben?“
    Er ließ diese Frage einfach so in der Luft hängen. War sie wirklich so… so merkwürdig gewesen? Hatte sie sich wirklich so komisch verhalten, dass Basilio es gemerkt hatte? Aber wieso hatten die anderen dann nichts gesagt?
    Weil er dich besser kennt, als die anderen. Weil er dich besser kennt als sonst jemand.
    „Ich wollte wissen, warum du so komisch warst. Also bin ich dir gefolgt. Erst dachte ich, dass du jeden Tag zum Friedhof gehen würdest, aber es war nur diese eine Nacht. Daran konnte es also nicht liegen.“ Basilio rieb sich angestrengt die Schläfen. „Ich konnte den Grund einfach nicht finden, aber dich einfach so dahinvegetieren lassen konnte ich auch nicht.“
    „Deswegen forderst du mich jeden Tag heraus?“ Flavia Mund stand leicht offen. Er wollte sie ablenken? Nur deswegen nervte er sie jeden Tag aufs Neue?
    Basilio wich ihrem Blick aus. Also hatte sie Recht. Er riskierte jeden Tag, dass einer seiner Kämpfer verletzt wurde, nur, um sie abzulenken?
    Das war so… so dumm!
    Und trotzdem lachte sie.
    „Viel gebracht hat es scheinbar aber nicht“, wandte Basilio ein, starrte auf seine massigen Hände, die einander kneteten. „Du schläfst schlecht.“
    „Du beobachtest mich beim Schlafen?!“
    „Nein!“, stieß er schnell aus. Er schien sogar etwas rot zu werden. „Du hast nur unglaublich tiefe Ringe unter den Augen. Und deine Audienzen gehen auch bis in die Nacht hinein. Wann solltest du dann auch die Chance haben, zu schlafen?“
    Es stimmte. Sie hatte schon lange keine ganze Nacht mehr schlafen können. Entweder stand eine wichtige Entscheidung an, über den sie sich in ihrem Bett den Kopf zerbrach, oder ein Bürger brauchte ihre Hilfe, ein Untoter griff die Stadt an, die Zofen stritten sich vor ihrer Tür darum, wer ihr Wasser bringen darf. Gerade im letzten Fall blieb ihr einfach nichts anderes übrig, als sich ein Kissen über den Kopf zu hauen und krampfhaft zu versuchen, den Lärm auszusperren.
    „Du übertreibst“, behauptete Flavia dennoch. Niemals könnte sie zugeben, dass es ihr tatsächlich so miserabel ging, wie sie aussah, wenn nicht sogar noch schlechter. Langsam aber sicher verfluchte sie sich dafür, so stolz zu sein.
    „Du siehst scheiße aus Flavia.“
    Sie verzog gereizt das Gesicht. Na wundervoll. Das fehlte ihr gerade noch. Sicher wusste sie das auch selbst! Das musste ihr niemand sagen, der unzählige Narben und eine Augenklappe trägt.
    „Vielen Dank auch. Das ist genau das, was ich jetzt hören will“, gab sie mit sarkastischem Unterton zurück. „Was soll ich deiner Meinung nach denn bitte tun, hm? Soll ich sagen, dass mich meine Untertanen alle Mal können, ich will jetzt lieber schlafen gehen?“
    „Vielleicht solltest du das zwischendurch wirklich tun.“
    „Das kann doch jetzt nicht dein Ernst sein!“
    „Du bist keine Maschine, Flavia! Irgendwann brichst du zusammen und was ist dann? Wer kümmert sich dann um das Volk? Da ist es doch besser, wenn du für ein paar Stunden nicht erreichbar bist, als für ein paar Wochen!“
    Sie grummelte einige undeutliche Flüche.
    „Hör zu, müde und unkonzentriert nützt du uns rein gar nicht“, wandte er sich noch einmal an sie.
    „Ich bin ein Khan. Ich muss das schaffen“, gab sie zurück und rieb sich die Schläfen. „Du hast das auch geschafft!“
    Basilio sah sie für einen Moment erstaunt an. Und dann begann er wieder zu lachen.
    „Natürlich habe ich das geschafft. Und weißt du auch, warum?“
    Jetzt war Flavia interessiert. Wenn er ihr sagen würde, wie er den ganzen Stress gemeistert hat… Vielleicht würde das bei ihr ja auch klappen. Sie schüttelte den Kopf.
    „Ich hatte jemanden, der mir geholfen hat.“
    „Wer?“
    „Denk mal ganz scharf nach“, forderte er sie auf. „Dieser jemand hat mir Ideen gebracht und mit mir über einen Haufen an Dingen diskutiert. Manchmal habe ich gemerkt, dass ich nicht richtig lag, und dass der andere Weg ein besserer ist. Das hat mir viel Zeit und Stress erspart.“
    Flavia runzelte die Stirn und sah ihn fragend an.
    „Du hast keine Idee?“ Er grinste verschmitzt.
    „Jetzt spuck‘s schon aus!“, forderte sie mit einem Augenrollen.
    „Sie ist eine gute Kriegerin und auch, wenn wir uns oft streiten, kann ich mich auf sie verlassen. Das konnte ich damals schon, Flavia.“
    Sie schluckte den plötzlich auftauchenden Kloß schnell wieder herunter.
    „Ich?“, keuchte sie mit viel zu dünner Stimme.
    „Natürlich du.“
    „Ich habe doch damals nur versucht, dir den Thron streitig zu machen!“
    „Bist du dir da sicher? Ich hatte immer den Eindruck, als würdest du dich sehr um das Volk kümmern. Woher sonst hättest du das Wissen besessen, wie man ihnen am besten helfen kann?“
    Er sah sie abwartend an.
    Ja, gut. Sie hatte mit ihren Vorschlägen auch gehofft, etwas zu ändern. Aber primär wollte sie doch eigentlich nur zeigen, dass sie ein besserer Khan war. So eigennützig das auch klang, das waren damals doch ihre Gedanken gewesen… oder etwa nicht?
    „Du hast mir damals sehr geholfen, Flavia, auch wenn du es vielleicht nicht beabsichtigt hattest“, erklärte er, während Basilio zum Thron schaute, der über ihnen hervorragte. Als er fortfuhr, richtete er seinen Blick allerdings wieder auf Flavia, die ihren Kopf auf ihren Armen aufgestützt hielt.
    „Was ich damals gesagt habe, meinte ich ernst. Wenn du Hilfe brauchst, dann biete ich mich gerne an.“
    „Du willst doch wieder Khan werden, oder nicht?“
    „Und du möchtest doch wieder etwas Freiheit spüren. Du möchtest wieder etwas Zeit für dich haben, so wie Helena damals auch.“
    Sie schwieg und starrte auf ihren Handrücken, auf dem noch immer das verschmierte Blut klebte.
    „Kann ich dir vertrauen?“ Sie starrte ihm intensiv ins Auge, aber er antwortete nicht.
    „Ich weiß, dass das eine dumme Frage ist“, fuhr sie fort und wandte sich wieder ab. „Vielleicht brauche ich ja gar keinen Berater.“
    „Flavia-“, setzte Basilio wieder an, aber sie brachte ihn mit einer Geste zum Schweigen.
    „Was ich mehr brauche, ist einen Mitherrscher. Und vielleicht auch…“
    „Du willst das Regierungssystem ändern?“ Er schaute sie verwirrt an, aber in seiner Stimme lag keine Ablehnung. Mehr Interesse.
    „Du hast doch selbst gesagt, dass der eigene Weg nicht unbedingt der Richtige ist. Wenn wir mehr Leute ins Boot holen und mehr Meinungen aufeinander treffen, dann könnte man verhindern, dass dieses Land den falschen Weg geht.“
    Er legte den Kopf schief und beobachtete die Decke.
    „Und außerdem…“
    Basilio sah wieder zu ihr und lauschte aufmerksam. Flavia hingegen konnte ihn nicht ansehen. Es war ihr unangenehm die Worte auszusprechen, die sie sagen wollte.
    „Vielleicht brauche ich dich ja nicht nur als Berater.“
    „Sondern?“
    Sie vergrub ihren Mund in ihren Händen und murmelte einige unverständliche Worte. Blut färbte ihr dunklen Wangen rot.
    Basilio sah sie auffordernd an.
    „A-Als… Als Freund, okay?“
    Basilio blinzelte sie an. „Ist das dein Ernst?“
    Ein Stich fuhr Flavia durch den Körper, als sie seinen Gesichtsausdruck sah. Sie wandte den Blick schnell ab und schluckte den Kloß in ihrem Hals herunter. Hätte sie es nicht sagen soll? Hätte sie einfach die Klappe halten sollen? Verdammt noch mal, warum musste bei ihr alles immer so schief gehen. Das lag garantiert an der Müdigkeit. Ja, genau. Die Müdigkeit.
    „Ich dachte, wir wären längst Freunde, Flavia.“


    Perplex richtete sie ihren Blick etwas zu schnell auf Basilio, der ihren intensiven Blick erwiderte. Sie erwartete schon, dass er anfangen würde zu lachen. Ja, so wie immer. Er würde lachen, dann einen dummen Witz reißen, sie könnte ihm wieder einen ordentlichen Schlag verpassen und dann wäre alles wieder so wie vorher.
    Aber er fing nicht an zu lachen.
    Er sah sie nur stumm an. Fast schon… enttäuscht.
    Und alles was sie hervorbringen konnte war eine gestammelte Antwort, die absolut keinen Sinn machte. Was zum Teufel war denn mit ihr los? Warum konnte sie sich nicht von seinem Blick losreißen? Warum fiel ihr gerade jetzt auf, dass er… ein wirklich schönes, verbliebenes Auge hatte?
    „Sind wir doch auch!“, sprach sie schließlich etwas panisch aus und kratzte sich schnell am Kopf, damit sie ihn nicht weiter ansehen musste. „I-Ich dachte nur…“
    „Hast du wirklich gedacht, ich kämpfe an der Seite von jemanden, den ich nicht mag?“
    „Naja, wir befanden uns im Krieg und…“
    „Ich habe mein Leben für dich geopfert, Flavia.“
    Das stimmte. Es war ein anderer Basilio gewesen, der, der in Lucinas Zeitverlauf im direkten Kampf gegen Wallhart gestorben war, aber… Hätte sie es ihm damals nicht gesagt, dann hätte er es wieder getan. Er war bereit dazu.
    Und damals war ein Teil von ihr zerbrochen, als sie ihn zurücklassen musste.


    Sie hatte nicht aufhören können an ihn zu denken. An sein schiefes Grinsen, als er sich zu ihr umblickte um sicher zu sein, dass sie auch wirklich floh, während auf ihn Wallharts gewaltige Axt heruntersauste.
    An die Vorstellung, wie diese Axt seinen Schädel spaltete… Sie hatte nicht hinsehen können. Flavia musste den Blick abwenden und rennen, vorbei an fallenden Kammeraden und Leichen, die im Regen schwammen, der sich mit Blut vermischte. Und mit Tränen, die ihr lautlos von der Wange tropften.


    „Das war eine ganz schöne miese Nummer von dir, weißt du das eigentlich?“, murmelte sie mit einer angespannten Grimasse.
    „Hast du dir Sorgen gemacht?“ Basilio grinste schelmisch.
    „Lucina hat gesagt, dass du sterben wirst. Es ist alles genau so passiert, wie sie es erzählt hat. Bis auf Chrom und Robin dachten wir alle, dass du tot bist.“
    „Und, hast du wenigstens ordentlich getrauert?“
    „Ja, du blöder Ochse.“
    Basilios Grinsen verschwand so schnell wie es gekommen war.
    „Ich habe mir unheimliche Vorwürfe gemacht. Habe mich gefragt, was passiert wäre, wenn ich da geblieben wäre.“
    „Dann wärst du auch gestorben. Das hätte ich mir nicht verzeihen können“, behauptete er.
    „Und wenn ich nicht gestorben wäre? Wenn wir Wallhart gemeinsam besiegt hätten? Dann wärst du noch am Leben gewesen. Dass ich dich im Stich gelassen habe, konnte ich mir nicht verzeihen.“
    „Er war zu stark für dich.“
    „Für dich auch.“
    „Ich musste es tun. Irgendwie mussten wir Valldar täuschen.“
    „Genauso gut hätte aber auch ich sterben können.“
    „Das hätte ich nicht ertragen“, murmelte Basilio mit einem düsteren Blick.
    „Und warum das?“ Flavia drehte ihren Kopf zu ihm, doch er starrte einfach in die Ferne.
    „Weil ich dann versagt hätte.“
    „Versagt?“
    „Ja Flavia, versagt. Weil ich mir geschworen habe, dass ich nicht zulasse, dass jemand stirbt, der mir wichtig ist.“
    Flavia starrte ihn sprachlos an.
    Jemand, der ihm wichtig ist? Sie?
    War sie bisher denn je jemandem wichtig gewesen? Die Kriegerin war sonst immer eine Einzelkämpferin gewesen. Sicherlich kämpfte sie während einer Schlacht zusammen mit ihren Kammeraden, sie beschützten einander und retteten sich aus ausweglosen Situationen.
    Aber dass sie jemandem wichtig ist…
    Das hatte sie bisher nie angenommen.
    „Was schaust du denn so? Du siehst ja aus, als hätte ich dir gerade dein letztes Fass Bier geklaut.“
    Der Ochse grinste wieder. Offenbar war ihm bewusst geworden, was er da gerade gesagt hatte. Und wie komisch es in ihren Ohren klingen musste. Jetzt versuchte er die Situation mit Witzen zu entschärfen.


    Ja, so kannte sie ihn.


    Er war der Typ Mensch, der es hasste, jemanden unglücklich zu sehen. Besonders jemanden, der ihm wichtig ist.
    Sie konnte es immer noch nicht ganz fassen.
    Und irgendwie brachte sie es… zum Lächeln. Und dann sagte sie etwas, was sie niemals für mich gehalten hätte.
    „Ich mag dich auch, du alter Ochse. Ich mag dich… wirklich sehr gerne.“
    Er wirkte etwas überrumpelt, aber augenblicklich breitete sich ein Lächeln auf seinem kantigen Gesicht aus. Seine Auge war etwas zusammengekniffen, doch es leuchtete glücklich.
    „Auch wenn ich ein starrköpfiger Schwachkopf bin?“
    „Wer sagt denn das?“
    „Du.“
    „Ah. Gut. Ich bin nämlich die Einzige, die das sagen darf.“
    Sie kicherte. Unglaublich, sie kicherte. Wie ein kleines Mädchen, wie grässlich! Aber… Es war okay.
    „Ja, auch wenn du ein starrköpfiger, rüpelhafter, stolzer, nervtötender-“
    Er verzog das Gesicht und stieß sie mit seinem Arm in die Seite, was sie dazu brachte jäh abzubrechen.
    „Hey, das reicht jetzt aber wirklich!“
    Bei seinem leicht säuerlichen Gesichtsausdruck begann sie lauthals zu lachen. Flavia hielt sich den schmerzenden Bauch und schnappte keuchend nach Luft. Irgendwann kippte sie gegen Basilios Schulter, der sie grinsend betrachtete.
    „Luft holen!“, befahl er ihr und legte lachend seinen Arm um sie. Flavia rieb sich die Tränen aus den Augen.
    „Ich versuch es ja!“, behauptete sie. „Wenn ich den Krieg überlebt habe, dann werde ich doch hier nicht einfach so sterben!“
    Etwas erschöpft lehnte sie sich zurück und sank gegen seine Schulter. Er war so warm… Wirklich unglaublich, wie bequem eine Umarmung sein konnte.
    Warum ließ sie das eigentlich zu? Warum schubste sie ihn nicht weg?
    Weil sie es nicht wollte.
    Die Kriegerin begriff, dass es vielleicht Zeit wurde, die Waffen niederzulegen, wenn sie nicht auf dem Schlachtfeld war. Basilio hatte Recht; Sie war keine Puppe, die für immer funktionieren könnte. Irgendwann würde sie ihr Dasein als Khan so sehr auslaugen…
    Zumindest dann, wenn sie es alleine machte.
    Aber jetzt hatte sie ihn. Oder?
    „Wirst du mir helfen?“, sprach sie ihn an. Flavia drehte ihren Kopf zu ihm hoch, doch Basilio sah sie nur fragend an. Zwischen ihnen war nicht mehr Platz als eine Faust. Lustig, dass ihr ausgerechnet dieser Gedanke kam. Vielleicht war das Gewohnheit. „Beim Regieren, meine ich.“
    Er nickte und grinste breit: „Ich hab dir doch gesagt, dass ich mir geschworen habe, dass dir nichts passiert.“
    „Du hast gesagt, dass du dir geschworen hast, dass niemandem etwas passiert, der dir wichtig ist!“, widersprach sie.
    „Ja. Aber Flavia?“
    Er schien einen Moment zu zögern, aber Flavia lächelte ihn ermutigend an.
    „Du bist mir… Sehr wichtig.“
    „Du mir auch.“
    „Nein, du verstehst das nicht! Du-“
    Sie hielt ihm schnell den Mund zu und grinste frech.
    „Doch, ich glaube, ich verstehe das sehr wohl.“


    Und dann beugte sie sich vor und berührte seine Lippen mit ihren.
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  • Hallo, dein Topic ist mir seit längere Zeit aufgefallen und nun habe ich mich entschlossen (trotz meiner Faulheit), dir endlich einen Kommi zu schreiben. ^^


    Startpost
    Fangen wir mit deinem Startposten an. Mir persönlich gefällt er sehr. Die Farben harmonisieren sehr schön miteinander, auch das Bild finde ich passend zu deinem Titel, selbst wenn es ein bisschen verschwommen aussieht, aber auf eine positive Art und Weise (sehen aus wie Flügel und Feder...) und gleichzeitig hat es etwas verträumtes. An sich hast du alle Informationen zu dir und über deine Werke, zwar nicht unbedingt viel aber dennoch die wichtigsten Infos, damit man etwas über dich und deine Texte hier erfährt. Was ich auch nur loben kann, auch das du zu deinen einzelnen Werken immer eine Neben-Info hast. Mich selber interessiert es ja auch, was dem Autor bei dieser Geschichte durch den Kopf ging, was ihn vielleicht inspiriert hat usw.
    Ich werde jetzt nicht auf jedes einzelne deiner Texte eingehen, da es viel zu lange dauern würde. Allerdings habe ich mir einige Texte herausgepickt, die ich dann kommentieren werde. ich hoffe das ist okay, die anderen werde ich noch versuchen aufzuholen, wenn ich die Zeit finde. ^^


    Der Flussgeist
    An sich bin eher selten im Wettbewerb-Bereich, nur selten um mir einige Texte zu lesen bzw. wenn mich das Wettbewerbs-Thema auch anspricht, aber nur selten kommentiere ich was dort. Den Film liebe ich wirklich, ich könnte ihn mir weitere hundert Male angucken, ohne das es mir langweilig wird, umso erfreulicher war die Tatsache das deine Geschichten eben von diesem Thema handelt, wobei ich aber finde, das manchmal solche guten Filme, öfters ihren Zauber verlieren, wenn diese fortgesetzt werde. Ich weiß nicht ob du verstehst was ich meine, aber auch wenn man gerne mehr sehen würde, denke ich das vor allem Anime-Filme öfters als Meisterwerk gelten, wegen ihres offenen Endes. Sie haben etwas melancholisches.<3 Aber wie dem auch sei, ich bin gespannt wie deine Interpretation zu Chichiros Reise ins Zauberland ist.
    Was mich vor allem an deiner Geschichte begeistert hat war, das du es auch mit einer so schönen Melancholie erzählt hast, das man selber das Gefühl hatte, es sei ein niemals erschienener Teil des Filmes gewesen. Ich würde nur zu gerne erfahren, wie wohl Chichiro mit zunehmend Alter wohl aussehen würde... Zwar bist du wenig auf ihre richtiges Leben eingegangen, eher auf das Geschehen bzw. dieses Treffen, wo du selber erwähnst, das es jedes Jahr im Sommer stattfindet. Schön wäre es, wenn du auch Bezug auf ihr Leben in der Menschenwelt genommen hättest, Beispielweise am Anfang hättest du noch einige Sätze dazu packen können. Es wäre ebenfalls interessant gewesen, wenn man etwas über sie erfahren könnte, nicht nur über ihre Wehmut zu ihrem Abenteuer im Zauberland, sondern auch in der Menschenwelt. Inwiefern hat sie das damalige Ereignis geprägt? Ich denke nicht nur das sie diese Zeit vermisst, sondern das sie auch gleichzeitig glücklich ist, überhaupt so etwas erlebt zu haben. Auch wenn sie sich wünscht dort wieder zurück zu gehen, ihr Platz ist wohl doch eher in der Menschenwelt und jeder wird erwachsen und man muss sein Denken umstrukturieren, gleichzeitig aber immer noch das innere Kind von damals, in sich zu bewahren. Die Geschichte hat auch selber ein offenes Ende, ich denke das es bei einem Epilog an sich nicht schlecht ist. Schließlich kann man auch selber eine Geschichte vervollständigen und ich denke das es im Prinzip jede auch ein offenes Ende besitzt, da jedes Leben weitergeht und irgendwann endet. Selbst wenn man woanders lebt, das Leben der anderen geht weiter, so wie unseres. Aber ansonsten fand ich deinen Text sehr schön und du hast das Ganze so liebevoll beschrieben, das man diese Liebe zwischen Chichiro und Haku, deutlich beim Lesen gespürt hatte, aber ohne das es kitschig wirkt, sondern eher im richtige Maße und das schafft wirklich nicht jeder. Ich selber habe dir jetzt aber nur meine Meinung dazu gesagt, die Kommentare die zu du dem Wettbewerb erhalten hast, habe ich mir nicht durchgelesen, weswegen es sein kann das hier einige Wiederholungen oder bekannte Kritiken vorkommen könnten... Ich selber wollte mich nicht beeinflussen und gänzlich offen für deine Geschichte sein.


    Meeresschaum und Himmelsbrise
    Ich selber bin nicht unbedingt die größte Poetin und habe (ich glaube zumindest..) ernsthaft noch nie ein Haiku geschrieben. An sich finde ich diese Art des Schreibens faszinierend und wie auch bei den Drabbles und Gedichten, zwar meistens kurz, aber dennoch zeigt es sich, das es nicht einfach ist, mit Worten umzugehen und die passenden zu einem Thema zu finden. Manchmal fällt einen eben wenig ein, obwohl man sich bewusst ist, das es nur wenige Worte sind, kann doch diese Disziplin am schwersten sein. Den Titel finde ich schon sehr ansprechend, erinnern mich auch an die Elemente und ich denke das du selber auch (vielleicht?) darauf Bezug nehmen wolltest. Auch finde ich es schön, wie passend du diese Wörter mit einem ein anderen Wort kombiniert hast, so das man selber ein schönes Bild im Kopf hat, gleichzeitig auch die Elemente dadurch noch besser unterstreichst.
    Viel dazu kann ich leider nicht sagen, ich selber habe auch noch nie ein Haiku bewertet, insofern bist du sogar die erste.^^ Zwar kann ich wenig damit anfangen, aber du hast es schön beschrieben und beides ordentlich getrennt, wobei es auch nicht schlecht wäre, wenn du sozusagen einen gemeinsamen Nenner finden könntest und diesen vor allem zu verdeutlichen. Gleichzeitig lässt du es aber durch die schönen Wörter alles so verträumt wirken. Eine andere Assoziierung meinerseits wäre, das es auch wie ein Strand spaziert wirken könnte. Wenn man das glitzernde Wasser sieht, die sanfte Brise des blauen Himmels... Jedenfalls wäre das eine andere Überlegung meinerseits.^^



    Dormez-Vouz?
    Zu Anfangs habe ich das Lied gar nicht erkannt, aber beim Lesen merkte ich immer mehr, das es mir sehr bekannt vorkommt. Deine Geschichte war traurig, aber zugleich hatte sie etwas hoffnungsvolles und einen alten Flair, der mir sehr gefällt. ^^ Beim ersten Abschnitt merkte man gar nicht, das diese Person bereits tot war, mich hat es verwundert. Aber wenn man weiter liest merkt man es und auch wenn der Tot immer etwas trauriges ist, dennoch hat es sich gegen Ende so angefühlt, als würde die Person erst dann, wirklich anfangen zu leben. Der zweite Abschnitt war da etwas düsterer, aber dennoch interessant und ich denke selber, es handelt von dem Jungen, der im ersten Abschnitt, den Mann sozusagen aus seiner Leiche heraus geholfen hat. Vor allem deine Beschreibungen waren schön, sie hatten etwas fließendes, so das man bereits beim ersten lesen verstand, worum es ging. Die Handlung scheint im allgemeinen sehr abgestimmt miteinander zu sein, so das keine Unklarheiten herrschen. Das Lied das deine Inspiration dazu war, kenne ich ja eigentlich als ein fröhliches, aber du stellst es dunkel und traurig dar, wo ich nicht abgeneigt bin. Mich würde es interessieren was mit dem Jungen nach dem Ereignis mit dem toten Mann passiert und bereits das der Junge schon in sehr jungen Jahren mit solchen Themen konfrontiert wird. Den einzigen Zusammenhang zwischen den Abschnitten, kann ich mir nur in diesem Sinne vorstellen, das der Mann welcher im zweiten tot aufgefunden wird, der ist, welcher im ersten erwähnt wird. Andernfalls kann ich mir nur schlecht eine Verbindung, außer dem genannten Lied bzw. den Versen dessen, vorstellen. Aber dennoch hat es etwas melancholisches und ein typisch-offenes Ende für eine Kurzgeschichte. Du zeigst mit dieser Geschichte auch den dunklen Teil des Lebens, nicht alle haben Glück, gleichzeitig aber auch den Übergang von Leben und Tod und der kleine Junge mit den goldenen Locken, hat mich sofort an einen Enge erinnert. Vielleicht ein bissche zu weit hergeholt, aber dennoch keimte in mit dieser Gedanke auf, als ich diese Passage las. Vielleicht war dieser Charaktere daran angelegt? Vom Aussehen her, könnte ich es mir schon denken, das es so etwas wie einen Engel darstellen soll.


    Schwert und Schild
    Zwar handelte die Geschichte von einem Spiel, aber ich konnte trotzdem gut einsteigen, auch wenn es manchmal Erzählungen gab, die ein gewisses Vorwissen verlangten, damit man die Information auch besser verstehen kann. Aber im allgemeinen habe ich es gut verstanden. Flavia scheint mir sympatisch, sie gehört zu der Sorte Charakteren, die ich mag, vor allem weil sie so temperamentvoll und stolz sein können. Mir scheint es so, das sie selber zwischen zwei Seiten steht. Zwar bewundert sie Helena dafür, das sie ihr Leben leben kann und gleichzeitig trotzdem als eine starke Kriegerin gilt, dennoch aber hält sie genau dies für eine Schwäche, was sie damals getan hat. Ich denke selber das Flavia auch sehr darauf hinweisen möchte, das Frauen genauso gut regieren können, genauso gut kämpfen können wie Männer, aber auch gleichzeitig nicht will, das der Krieg die Oberhand gewinnt, selbst wenn sie Kämpfen mag und es ihr möglicherweise Spaß macht. An sich wirkt auch das Regierungssystem etwas nach Monarchie, aber dennoch denke ich spielt auch Demokratie eine Rolle, dafür gab es ja einige Anzeichen, wie das es Sitzungen usw. erwähnt wurden. Ich bin sowieso ein Fan von Kämpfen, zwar nicht unbedingt von einer grässlich-blutigen Sorte, aber dennoch bin ich Action nicht abgeneigt, da trifft eher das Gegenteil zu. Und als Basilio ankam, dachte ich zu anfangs, das ein kampf stattfinden wird, ein solch einfühlsames Gespräch habe ich selber nicht erwartet und ich finde die Konversation hast du auch sehr gut zur Geltung gebracht, zwischenduch auch passende Gedankengänge eingesetzt, die alles umso besser erläutert und gleichzeitig unterstrichen haben. Nur was mir weniger gefiel war, das du wenig Bezug auf das Spiel an sich genommen hast. Zwar hast du einige Sachen erläutert und auch Flavia gut dargestellt, das man zwar zu Beginn einen eher starken Eindruck von dieser bekommt, später sich aber auch zeigt, das sie im Grunde auch nur ein Mensch ist - eine Frau mit Bedürfnissen und Wünschen, aber dennoch hätte ich mir mehr gewünscht, wenn du mehr auch auf diese Welt, in der das Geschehen stattfindet, eingegangen wärst. Irgendwie hatte ich das Gefühl ein wichtiges Detail über das Geschehen nicht zu wissen.


    Im allgemeinen hast du wirklich wundervolle Texte geschrieben, an denen ich sehr viel Gefallen gefunden habe. ^^ Ich wusste selber nicht wie deine Geschichten sind, aber wenn man sich in einer davon bereits eingelesen hat, dann will man am liebsten gar nicht aufhören, du fesselst den Leser mit deinen wunderbaren Beschreibungen und Handlungen. Es hat mir Spaß gemacht deine Werke zu lesen. Das einzige Detail das du wirklich, meiner Meinung nach verbessern könntest, wären deine Beschreibungen für den Raum. Zwar kannst du Gefühle gut wiedergeben, das die Person umso realer wirkt, aber der Raum an sich bleibt sehr dunkel und spärlich. Beim Lesen kann man da leicht den Ort, wo sich das ganze abspielt, verlieren.
    Auf jeden Fall werde ich noch mehr von dir lesen. Ich war sehr positiv überrascht und bin auch verwundert, warum dir bisher keiner einen Kommentare da gelassen hat, denn du man merkt selber, das du lange schreibst und dies auch gerne tust.

  • 12. Oktober



    W E T T B E W E R B S T E X T E

    • Dancing in the Rain (Klanggeschichten)


    O N E - S H O T S und K U R Z G E S C H I C H T E N

    • Schon einmal.


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    [subtab=.]
    [subtab= Dancing in the Rain]
    Ich muss zugeben, ich war ziemlich enttäuscht, dass ich nicht einmal einen einzigen Punkt für diesen Text bekommen habe, wobei ich eigentlich fand, dass er ganz gut zur Musik gepasst hat. Aber gut, ich hatte mal wieder Probleme mit der Wortbegrenzung, deswegen wirkt der Text wohl auch etwas gequetscht. Und zum Thema muss ich sagen, dass er vom RL inspiriert war, allerdings nicht direkt von mir, sondern vom Hören-Sagen. Hab natürlich trotzdem so ziemlich alles erfunden, das einzige Kriterium war für mich, dass es sich um ein Mädchen handelt, das im Krankenhaus liegt, aber nicht todkrank ist, denn ganz so dramatisch wollte ich es eigentlich nicht machen. Gut, fürs nächste Mal weiß ich es besser.



    Dancing in the Rain


    Sechzehn Uhr und dreiundzwanzig Minuten.
    Warum ist er nicht hier?


    Ich ziehe mir die blütenweiße Decke über den Kopf.
    Es ist Mittwoch. Er hat heute um drei seine letzte Stunde Unterricht. Mit der Bahn ist man in einer viertel Stunde hier. Spätestens.
    Warum kommt er dann nicht?


    Ich atme tief ein, grabe meine Fingernägel in meine Handfläche. Meine Zähne zerbeißen meine Lippen. Ich spüre etwas Warmes in meinem Mund. Es schmeckt metallisch und bitter.
    Bitte nicht.
    Nicht er auch noch.
    Bitte nicht.


    „Viola?“
    Ich zucke zusammen. Mein Körper schnellt hoch und ich drehe mich mit großen Augen zur Tür.
    Meine Ärztin steht halb im Raum. Sie lächelt milde, dieses mütterliche Lächeln, das voll von Fürsorge ist.
    „Ja?“, flüstere ich.
    „Du hast Besuch.“
    Ich vergesse zu atmen, blinzle zwei Mal schnell.
    Er hat mich nicht vergessen.
    Er ist da.
    Ich vergrabe meine Hände in den Stoff meines Pyjamas und nicke.
    Das alte Gesicht verschwindet, es dauert einige Sekunden in denen ich leises Flüstern hören kann. Sie redet über mich. Warnt ihn vor. Dass es mir schlechter geht.
    Aber es geht mir besser.
    Mein Herz schlägt wieder, in die höchsten Höhen, himmelhochjauzend.
    Und da schreitet er durch die Tür.
    „Tut mir Leid, dass ich so spät bin!“ Sein Gesicht ist zu einer albernen Grimasse verzogen, er zeigt mir sein schiefes Grinsen. Seine Wangen glühen und er atmet schnell.
    Er ist gerannt. Nur für mich.
    „Die Bahn kam einfach nicht. Da habe ich den Bus genommen, aber der braucht länger.“
    Er sinkt neben meinem Bett in den mintgrünen Sessel, lehnt sich zurück und legt den Kopf in den Nacken. Strähnen seines braunen Haares kleben ihm an der schweißnassen Stirn. Aber er lächelt.
    Ich beobachte ihn, jede seiner Bewegungen. Seine Finger, die auf der Lehne auf und abfahren, ruhelos, aber sanft. Seine Brust, die sich unter der Jacke hebt und senkt. Seine Augen, die erschöpft die Decke mustern.
    Ich folge seinem Blick zur Deckenleuchte, die das Zimmer eigentlich in kaltes Licht taucht.
    Jetzt ist sie aus. Fahles Licht dringt von draußen durch die Fenster, die grünen Vorhänge färben es ein.
    Es ist nicht hell draußen. Wolken verdecken schon den ganzen Tag den Himmel, sperren ihn aus dieser Welt, stimmen die Gemüter ruhig und wehmütig.
    Aber für mich ist der Himmel blau. Er hat meine Wolken vertrieben.
    „Wie geht es dir heute?“, fragt er mich, aber ich zucke nur mit den Schultern. Ich kann ihm nie lange in die Augen sehen, die so glühen wie kleine Smaragde.
    „So wie immer“, antworte ich leise und tonlos.
    „Weißt du schon, wann du zurückkommst?“ Er richtet sich auf und beugt sich leicht vor. Er versucht, meinen Blick einzufangen. Aber ich schaue aus dem Fenster. „Die anderen vermissen dich.“
    Ich kann nur schnauben.
    Er öffnet den Mund, aber über seine Lippen kommt kein weiteres Wort.
    Das ist eine Lüge. Niemand von ihnen vermisst mich.
    Die Karte, die Blumen. All diese Genesungswünsche, nichts davon war wirklich ernst gemeint gewesen.
    Die Karte habe ich zerrissen. Habe die kleinen Fetzen aus dem Fenster geworfen wie Konfetti. Auf dass die Lügen zu Boden sinken.
    Asche zu Asche.
    Lügen zu Brennnesseln und Würmern.
    Nur ein Fetzen davon liegt noch in meiner Schublade. Aufbewahrt in dem Buch, das er mir mitgebracht hat, als er mich zum ersten Mal besuchen kam. Und neben diesem Fetzen, auf dem mit leichter, leserlicher Schrift sein Name steht, liegt eine getrocknete Blume. Meine Schätze.
    Mehr habe ich hier nicht.


    „Sie haben es nicht so gemeint“, beginnt er, aber ich schüttele nur den Kopf. Wir haben schon so oft darüber gesprochen. Er weiß, dass er sich selbst belügt.
    Aber er will einfach nicht, dass die Welt grausam ist.
    Er will eine gute Welt, eine schöne Welt.
    Die Welt, die er für mich baut, wenn er hier ist. Wenn er bei mir ist und mich aus dem Grau herausführt.
    „Willst du spazieren gehen?“
    Er lässt das Thema fallen.
    „Ja.“


    Es ist kühl auf dem Flur, durch die leicht geöffneten Türen der anderen Patienten dringt ein Lufthauch, der meinen Bademantel an meine Beine drängt. Ich wickele den Stoff enger um meinen Körper und lege meine Arme eng um meine Brust.
    Im Gang hängen kleine Bilder, Farbtupfer in endlosem weiß. Sie wirken gezwungen, unnatürlich, wie einen Sonnenstrahl im tiefsten Sturm. Aber er ist fahl und bringt nur wenig Hoffnung.
    „Haben die Ärzte irgendetwas Neues gesagt?“, spricht er mich an, als wir um die Ecke biegen.
    „Nein“, antworte ich leise, den Blick auf meine Füße gerichtet. Ich trage diese grässlichen Krankenhausschlappen. Das ist peinlich.
    Aber ihm scheint es nichts auszumachen.
    Er besucht mich jeden Tag. Vielleicht ist es mittlerweile zur Gewohnheit geworden. Vielleicht hat er auch nur Mitleid mit mir.
    Es ist mir egal. Ich bin nur froh, dass er kommt.
    „Sie sagen immer das Gleiche. Wenn ich zunehme, dann kann ich zumindest wieder nach Hause.“
    „Wie viel musst du denn wiegen?“
    Ich kichere. „So etwas sage ich dir nicht.“
    Wir gehen die Treppe hinunter. Meine Hand liegt auf dem Geländer, er steigt hinter mir herab.
    Als wir den untersten Absatz erreichen, bleibe ich stehen.
    „Wenn es noch lange dauert... Wirst du dann nicht mehr kommen?“
    Er antwortet nicht. Er geht nur an mir vorbei, einige Schritte voran.
    Und dann dreht er sich um. Und grinst.
    „So schnell wirst du mich nicht los, Viola!“, lacht er, verschränkt die Arme vor der Brust und schaut mich an, als wolle er fragen, was er nur mit mir tun soll. Ein schiefes Lächeln auf dem Gesicht. Er sieht aus, als hätte man ihn angeschossen.
    „Wenn du allerdings willst, dass ich nicht mehr komme-“, beginnt er, aber ich unterbreche ihn schnell.
    „Nein!“, antworte ich laut und hastig. Zu schnell. Zu aufgebracht. Er schaut mich kurz mit einem seltsamen Ausdruck in seinen Augen an.
    Ich berühre nur kurz seinen Arm und nicke zum Ende des Ganges. Dort ist die Tür zum Hof. Sie steht nur einen Spalt weit offen. Wind pfeift hindurch.
    Regen prasselt.
    „Ist das nicht zu kalt?“, fragt er mich und schaut prüfend an mir herunter.
    „Es geht schon“, antworte ich.
    Ich möchte einfach heraus.
    Aus diesen sterilen, kalten Fluren.
    Möchte die Kühle spüren, die kleinen Tropfen, die meine Haut hinabrinnt. Die Geräusche von Wind und Regen hören.
    Er fragt nicht weiter, er geht einfach voraus. Kurz vor der Tür dreht er sich noch einmal zu mir herum, mit einem fragenden Blick. Sein Haar wird vom Wind herumgewirbelt.
    Ich folge schnell.


    Es ist kalt, aber ich genieße das Gefühl.
    Ich bin wieder lebendig.
    Wie eine kümmerliche Pflanze, die im Regen erblüht.
    Wir stehen unter dem Vordach, starren ins Gras, das vor uns in den Böen wiegt. Meine Haare werden mir ins Gesicht geblasen, tanzen um mich herum, genauso wie meine Kleidung.
    Es fühlt sich unglaublich an.
    Als hätte ich es noch nie erlebt.
    Da mache ich den ersten Schritt.
    „Viola?“
    Aber ich gehe einfach weiter. Schritt für Schritt.
    Erst nur meine Hände und Füße.
    Schließlich stehe ich im Gras, lege den Kopf in den Nacken und warte. Die Tropfen laufen mir die Wangen hinunter, streichen über meine Haut.
    Wie Tränen.
    Tränen des Glücks.
    Ich drehe mich, erst ganz langsam. Setze meine Schritte vorsichtig um, wie ein Kind das zu Gehen lernt.
    Und dann werde ich mutiger. Und schneller. Und ausgelassener.
    Ich lache, frei und laut, als wäre ich alleine auf dieser Wiese. Als gäbe es die Klinik nicht. Als wäre ich vollkommen gesund. Als wäre dort nie jemand gewesen, der mich angefeindet hat.
    Irgendwann höre ich ein weiteres Rascheln.
    Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie er näher kommt, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, das mein Herz laut schlagen lässt. Feine Regentropfen laufen an seinem Haar herunter.
    Er wartet, bis ich vor ihm stehen bleibe, der Stoff klebt an meinem Körper und ich zittere jämmerlich. Ich schwanke, aber ich bin glücklich.
    Ich bin am Leben.
    „Warum bist du nicht immer so?“, fragt er mich leise, zieht seine Jacke ab und hält sie schützend über unsere Köpfe. Wir sind uns nah. Ich spüre die Wärme, die von ihm ausgeht.
    Meine Sonne.
    „Ich weiß nicht“, lächele ich erschöpft.
    Ich kann nicht?
    Ich will nicht.
    Nicht jeder soll es sehen.


    Als die Kraft aus meinem Körper weicht, da fängt er mich auf. Legt seinen Arm schützend um mich, als wolle er mich vor allem beschützen, was noch kommen mag.
    „Ich bringe dich besser zurück. Das war wohl zu viel des Guten.“
    „Vom Guten kann es niemals zu viel geben“, nuschele ich in sein Shirt, das ganz nass. Meine Augen fallen zu.
    Er führt mich sanft. Irgendwann spüre ich keine Tropfen mehr. Dann hören die Geräusche auf.
    Wärme umhüllt mich.
    Als ich mühevoll meinen Kopf hebe, ist sein Blick auf mich gerichtet. Er lächelt, aber er ist besorgt.
    „Bleibst du bitte bei mir?“, frage ich aus einem Impuls heraus.
    Er scheint nicht mal überrascht.
    Er streicht mir nur über meinen Arm. Sein Gesicht verschwindet in meinen Haaren, ich spüre, wie er seine Lippen sanft auf meinen Kopf drückt.
    Ich muss lächeln. Ein müdes, aber glückliches Lächeln.


    „Immer, Viola.“


    [tab=Kurzgeschichte]
    [subtab=Schon einmal]
    Eine Kurzgeschichte, die heute entstanden ist, nachdem ich Cloud Atlas gesehen habe. Ich hab mir den OST angehört, und einfach ohne konkrete Pläne drauf los geschrieben, bis sich irgendwann eine Story gebildet hat. Kann sein, dass es etwas verwirrend geschrieben ist, aber nach einer Weile ist der Text schon fast raus geflossen, ich habe nicht mehr wirklich nachgedacht.^^



    Schon einmal.


    Jeder Atemzug schon einmal getan.


    Er saß in der Bahn, das Gesicht an die kühle Fensterscheibe gelehnt. Regen prasselte dagegen, lief in dunklen Schlieren, gefärbt von Staub und Dreck, das Glas herunter. Seine Hände lagen auf seinem Schoß, völlig tatenlos. Sie zuckten, als wollten sie sich befreien, aber letztlich blieben sie doch einfach nur liegen.
    Ihm war eine Mütze tief ins Gesicht gerutscht, und obwohl sie ihm zum Teil die Sicht nahm schob er sie nicht wieder zurück. Es war egal. Er wollte sich nicht bewegen. Einfach sitzen bleiben, still und im Schatten, nicht bemerkt werden von der Mutter, die ihr Kind ausschimpfte, von dem Mann, dessen Bierflasche über den Boden kullerte, bis sie seinen Fuß traf, von den jungen Mädchen in kurzen Kleidern, die laut lachten.
    Er wollte einfach nur seine Ruhe haben. In Frieden gelassen werden.
    Wusste ja selbst nicht so genau, warum er eigentlich in die Bahn gestiegen war. Warum seine Füße ihn hierher getragen hatten, während er einfach nur gedankenversunken gefolgt war. Vielleicht, weil er alleine sein wollte.
    Paradox, wo sich die Menschen dicht an dicht in den Zug drängten. Nur neben ihm saß niemand, obwohl der Platz frei war. Vielleicht, weil man ihm ansah, dass er alleine sein wollte. Weil seine Haltung Abneigung präsentierte, einen Schutzschild gegen die neugierigen Blicke.
    Er war hier alleine. Inmitten von Menschen alleine.
    Vielleicht auch nur anonym. Ja, er war anonym. Eine Silhouette in den Augenwinkeln der Mutter, des Kindes, des Mannes, der Mädchen. Ein schwarzer Fleck inmitten der Umgebung, ein Anblick, der schon bald vergessen werden würde.
    Wenn man sie nach dem Aussteigen fragen würde, ob sie ihn bemerkt hatten.. Was würde sie sagen? Vermutlich nein. Nein, er war unauffällig. Anonym. Alleine.
    Vergessen.
    Der Zug wurde langsamer, ein Ruck ging durch die Masse, als er stehen blieb. Die Türen öffneten sich mit einem Zischen, ein kalter Lufthauch drang an seine Wange, ließ ihn frösteln. Er zog die Schultern an, drückte das Gesicht in die Jacke hinein. Seine Mütze fiel herunter, aber er hob sie nicht auf. Sollte sie doch da unten liegen bleiben. Im Dreck und Staub von Schuhen. Es kümmerte ihn nicht.


    Eine elektronische Stimme befahl, dass die Passagiere zurückbleiben sollen.
    Zurückbleiben.
    Blieb er nicht auch zurück?
    Blieb er nicht von seinem Leben zurück?
    Er versteckte sich hier in dieser Bahn, gehüllt in den Duft von Alkohol, Abgasen und Dreck, mit lauten, schrillen Stimmen, die in seinen Ohren nachklangen wie das Geschrei von einem sterbenden Tier. Seine Augen ruhten auf einem Tropfen, der langsam die Scheibe herunterglitt. Wie von automatisch fuhr sein Zeigefinger zu dem kleinen Tropfen, wollte ihn berühren, ihn auffangen.
    Aber bei der Scheibe kam die Bewegung zu einem Ende. Endstation. Weiter ging es nicht.
    Seine Hand glitt zurück auf seinen Schoß. Zurück zum Anfang, doch ohne Motivation sich wieder zu bewegen. Dieser kurze Schub, der Moment der Neugierde war wieder vorbei.
    Er wollte wieder im schwarzen Meer der Schatten versinken. Tonlos und still, nicht bemerkt werden. Nicht hervorstechen.
    Nicht existieren für die anderen in ihren schillernden Kleidern, mit ihren schillernden Lächeln.
    Sein Mund öffnet sich zu einem stummen Protest, doch alles was hervorströmt ist eine kleine, weiße Wolke. Sie wirbelt in der Luft, als die Bahn einen Satz nach vorne macht, und vergeht. Vergeht in Abgasen und Dreck.
    „Ist der Platz noch frei?“


    Jeder Blick schon einmal gesehen.


    Erst merkt er gar nicht, dass er gemeint ist. Er rührt sich nicht, verharrt still und bewegungslos. Erst als eine Hand seinen Arm berührt, langsam und vorsichtig zuckt er zusammen. Seine Muskeln spannen sich an und mit einem Blick, den man nicht anders als panisch bezeichnen kann, wendet er sich dem Gang zu.
    Da steht sie.
    Und sein Herz beginnt zu rasen.
    Ein Mädchen mit langem, braunem Haar. Sommersprossen und schon fast bläulichen Lippen. Ihr zierlicher Körper steckt in einem dicken Pullover, der ihr bis über die Fingerspitzen reicht, dicken Winterstiefeln, die vorne fast zerfetzt sind, und einer Wollmütze, die aussieht wie ein Flickenteppich, so oft wie man sie repariert hatte. Sie hatte unaufregende, graue Augen, wie die Wolken, die in hohen Türmen vom Himmel herunterragten. Sie trug ein unsicheres Lächeln, ihre Wimpern warfen Schatten auf die blassen, knochigen Wangen.
    Sie war nicht unglaublich hübsch. Und sie hatte auch keine besondere Ausstrahlung. Doch etwas an ihr brachte ihn zum Zittern. Er konnte sie nur anstarren, mit einem Blick den sie erwiderte, wachsam und verwirrt.


    Was war das für ein Gefühl?
    Dieses Stechen in der Brust, dieses Rasen.
    Die bleichen Lichter schienen zu flackern. Nur für einen kurzen Moment setzten sie aus uns überließen das Abteil der Dunkelheit.
    Nur für eine Sekunde war das Gesicht des Mädchens in tausende Kerzenflammen getaucht, ließen es strahlen und leuchten, mit einem Lächeln von dem er wusste, dass es nur ihm galt. Braune Locken umrahmten das dünne Gesicht, ein Kragen aus weißer Spitze umschlang den schmalen Hals. Sie trug ein altes Kleid in einem Grünton, und durch die Flammen strahlten die Augen in Bernstein. Er hörte ein leises Murmeln, sah wie sich ihre Lippen bewegten und musste unwillkürlich Lächeln.


    Und dann setzte das Rattern des Zuges wieder ein, die schrillen Gespräche und das laute Poltern. Er schwankte und sah, dass auch sie blass um die Nase geworden war. Prustend holte er Luft. Hatte nicht einmal gemerkt, wie seine Lungen sich schmerzhaft zusammengezogen hatten.
    Sein Blickfeld wurde umrahmt von tiefer Schwärze, der Lärm schwoll zu einem ausdauernden Murmeln an. Doch nun klang es, als würde er tief unter Wasser sein. Der Druck auf seinen Ohren schmerzte. Aber er konnte sich nicht von ihr losreißen.
    Als der Zug wieder hielt stolperte sie vorwärts. Mit einem leisen Schrei fiel sie in seine Richtung und instinktiv streckte er den Arm nach ihr auf. Sie landete sicher, gefangen von seinen Armen, die Augen vor Schreck weit aufgerissen.
    Sein Herzschlag verdoppelte sich, bis er an ihre Ohren drang. Sie starrte perplex auf den Knopf seiner Jacke, er bedachte ihren Hinterkopf mit einem erschrockenen Blick.
    „Tut mir Leid!“, stieß sie panisch aus, als sie sich schnell von ihm entfernte, die Augen in die andere Richtung gewandt. Aber sie setzte sich auf den Platz neben ihn, wenn auch so weit wie möglich von ihm entfernt.
    Es kümmerte ihn nicht, ob es unhöflich war. Er starrte sie an, ganz offen und ohne Scham.
    Etwas an ihrem Profil schien vertraut. Die hohe Stirn, die gerade, leicht nach oben gewölbte Nase, die blassen Lippen, die von ihren Zähnen bearbeitet wurde, selbst die Lücke zwischen ihnen.
    Er wollte die Arme nach ihr ausstrecken, wollte sie berühren und zu fassen bekommen.
    Sie nicht mehr gehen lassen. Dieses Mal nicht.


    Jeder Gedanke schon einmal gedacht.


    Er wusste nicht, warum er so dachte. Und er wusste nicht, warum er kein Wort hervorbrachte. Es reichte ihm, sie einfach zu betrachten, und auch wenn sie sich von ihm abwandte, er sah doch, dass ihre Augen immer wieder zu ihm schnellten, um dann wieder in die andere Richtung zu schauen. Sie spürte es auch. Diese Neugierde. Diese Verbindung, die sie sich nicht erklären konnten.
    Und je länger er sich dem Gefühl der Verbundenheit aussetzte, je länger er den Gedanken in seinem Kopf sprach wie ein Mantra, wie ein Gebet, desto schwerer fiel es ihm zu atmen. Es war, als würde jemand die Luft aus seinem Körper herauspressen. Ein Druck der nicht fassbar, nicht erklärbar war, lag auf ihm. Ein grässliches Gefühl. Doch er wagte nicht, sich zu bewegen. Er traute sich einfach nicht. Weil jede Bewegung das zerschlagen konnte, was zwischen ihnen war.
    Wie eine Scheibe aus Glas. Wie die Scheibe, die ihn von seinem Regentropfen getrennt hatte.
    Würde er wieder aufgeben müssen? Würde er wieder einsehen müssen, dass es keine Chance gab?
    Ja.
    Vielleicht.
    Nein. Niemals. Diesmal nicht.


    Und so trieb er allen Mut in sich auf, spannte die Muskeln an und drückte seine Fingernägel ins Fleisch, bis ihm die Schmerzen Tränen in die Augen trieben und öffnete den Mund.
    „Ist nicht schlimm“, brachte er hervor, mit wackeliger Stimme. Die Worte schwebten der kleinen, weißen Wolke hinterher. Sie verhallten und verschwanden. Fast glaubte er, sie wären unerhört geblieben, doch dann wandte sich das Mädchen um, die Wolkenaugen auf in seinen verhakt. Sie sah aus, wie er sich fühlte, mit angespannten Gliedern, unsicherem Blick und einem Gesichtsausdruck, als hätte man sie geschlagen. Als würde sie jetzt in einer Ecke sitzen und warten, dass der Schmerz endlich nachlässt. Aber er würde nicht nachlassen. Genauso wenig wie das Gefühl, das beide an Ort und Stelle verharren ließ, ihnen verbat sich zu bewegen. Das Gefühl der Vertrautheit.
    Und doch verhinderte der Schmerz, dass sie sich näher zu einander bewegten. Als... Als weigerten sich ihre Körper. Als kämpften sie dagegen an.
    Stumm sahen sie sich an, getrennt von einer Wand aus Glas. Der Zug ratterte und polterte, sie ließen sich in der Bewegung mitziehen, wehrte sich nicht, als sie gegen die Sitze schlugen. Sie konnten sich nur ansehen, dunkles Braun versank in hellem Grau.
    Beide Münder standen leicht offen, wollten Worte formen, Gedanken mitteilen. Die Barriere brechen.
    Aber nichts kam hervor, nur helle, weiße Wolken, die in der Luft verschwammen.


    Da flackerte das Licht erneut.


    Jede Träne schon einmal geweint.


    Sie sah ihn, getaucht in fahlem Mondschein. Sie saßen auf einem Hügel, weit weg von der Stadt. Hatten sich herausgeschlichen, denn ihre Eltern wollten nicht, dass sie sich tragen. Ihre Füße schmerzten in den unbequemen Schuhen, die neuste Mode unter den Töchtern der Mittelklasse.
    Doch ihr Schmerz war nichts in Vergleich zu seinem.
    Er rang mit dem Atem, die Hände an den Knien abgestützt, das Gesicht zu Boden gewandt. Sein Keuchen war alles, was sie hören konnte, alles, worauf sie sich konzentrieren konnte. Den kalten Wind, der ihr durch die Kleidung drang und in den Ohren pfiff merkte sie nicht. Sie spürte nicht, wie die Wärme verschwand, wie ihr Körper zu zittern begann.
    „Ich hasse es!“, stieß er irgendwann aus. „Ich hasse dieses verdammte Leben!“
    Ein Schrei, der bis in die Stadt zu hören sein würde. Die Wut und der Frust in seiner Stimme ließ sie zurückzucken, einen Schritt weg von ihm. Sie wollte nicht von ihm entfernt sein. Aber sie hatte Angst, dass sie ihn kaputt machte. Dass Glasskulptur unter ihren Fingern zerbrechen würde, wenn sie sie berührte.
    Aber sie konnte nie lange von ihm entfernt sein.
    „Was ist denn los?“, hauchte sie in die dunkle Nacht hinein. Sie streckte ihre langen, blassen Finger nach ihm aus, zögerte. Doch schließlich berührten die Spitzen seine Wange. Er zuckte zusammen und richtete ich auf, verwirrt und ängstlich. Aber ihr mühevolles Lächeln brachte sein pochendes Herz wieder zur Ruhe.
    „Sie haben mich gefeuert“, grollte er und betrachtete sie aus dem Augenwinkel. Im Mondschein leuchtete sein Gesicht fahl. Sie konnte sehen, wie seine Augen feucht wurden. Er bemühte sich, seine Tränen zurück zu halten, doch sie wusste, wie schwer es ihm fiel. Sie wusste, dass er die Schwäche ihr gegenüber nicht zeigen wollte, doch nicht, warum. Waren sie sich doch so fern, dass er nicht ehrlich sein konnte mit seinen Gefühlen?
    „Henriks hat mir die Schreibmaschine untergejubelt, die er gestohlen hat. Sie haben mich gefeuert!“
    Als könne er es selbst noch nicht ganz glauben, schaute er sie geschockt an. Vielleicht wurden ihm aber auch jetzt erst die Konsequenzen klar.
    „Ich werde auf der Straße sitzen“, hauchte er. Seine Augen wurden größer und größer im wachsenden Entsetzen.
    Und irgendwann verließen ihn die Kräfte. Er fiel einfach auf den Boden, wie einen Stein, den man fallen lässt. Unelegant und kraftlos. Und doch schien die Erde zu erbeben.
    Sie hockte sich neben ihm, ihre Hand ruhte auf seiner zitternden Schulter. Er starrte in den Himmel hinauf, mit einem leeren Blick, der ihr Angst einjagte.
    „Ich helfe dir!“, stieß sie aus, drückte seine Hand fester.
    „Du kannst mir nicht helfen“, antwortete er.
    „Ich gebe dir Geld!“
    „Deine Eltern werden es merken.“
    „Nur für die Zeit, in der du keine Arbeit hast. Du wirst schon eine Neue finden!“
    Er schüttelte stumm den Kopf, die Lippen zusammengepresst. Sie wusste so wenig. Musste sich um so wenige Dinge sorgen machen. Ihr Herz war frei von Sorgen, flatterte wie ein kleiner Vogel, vergnügt und unschuldig.
    Sie wusste nicht, wie die Welt da draußen war. Sie hatte doch keine Idee.
    „Es gibt hier keine Arbeit. Ich werde fort gehen müssen.“
    Sie atmete tief ein, den Blick ungläubig auf ihn geheftet.
    Ihre Lippen waren zusammengepresst als sie begann, langsam ihren Kopf zu schütteln. Erst nur leicht, doch der stumme Protest wurde immer heftiger, wilder, bis die Sicht verschwamm und sie im Wind schwankte.
    „Nein!“, presste sie zitternd hervor, die Augen zusammengepresst, als würde das Problem verschwinden. „Nein, nein, nein!“
    „Es geht nicht anders.“
    „Es geht immer anders!“, schrie sie, laut und verzweifelt, mit einer Kraft in ihrer Stimme, die sie aus der Panik holte, die sich in ihr breit machte. Ein Monster, das ihr die Energie raubte. Ihr Atem ging stoßweise, als sie noch einmal flüsterte: „Es geht immer anders. Es muss.“
    Er antwortete nicht. Stand auf und drehte sein Gesicht von ihr weg, damit sie ihn nicht so sah, mit Tränen, die langsam die Wangen herunterliefen, stille Zeugen seiner Trauer, seines Frustes. Warum musste es so kommen?
    Warum? Warum?
    WARUM.
    „Es tut mir Leid“, flüsterte er in die Nacht hinein. Er ging einen Schritt vor, doch ihre Arme schlangen sich um seinen, zogen ihn zurück, wollten ihn aufhalten und gefangen nehmen. Er blieb wirklich stehen, weil ihre Nähe ihm den Atem raubte.
    Doch sie machte es nur noch schlimmer.
    „Bleib.“ Es war mehr wie ein verzweifeltes Gebet an ihn, an Gott, an alles was ihnen helfen konnte, als ein Befehl. „Bitte.“
    „Ich-“
    „Bitte!“, unterbrach sie ihn mit erstickter Stimme. Ihr ganzer Körper zitterte, als sie sich an ihn schmiegte, hoffend dass sie ihn so bei sich behalten könnte.
    „Mach es mir nicht so schwer.“
    „Dann bleib doch einfach!“
    „Es geht aber nicht!“
    „Es geht immer-“
    „Nein!“
    Er riss sich von ihr los, brachte Distanz zwischen sich. Sie blieb stehen, mitten in der Bewegung, erstarrt zu einer Statue, einem Denkmal. Wie ein Engel strahlten ihre Haare im Mondlicht silbern, die Tränen in ihren Augen schimmerten. Doch er wandte sich nicht um, machte nicht den Fehler. Er wusste, er müsste hier bleiben, wenn er sie so sah. Er würde sie beide in den Abgrund reißen. Und das wollte er nicht. Das konnte er nicht. Sie hatte etwas Besseres verdient als einen kleinen Redakteur ohne Arbeit.
    „Es geht nicht!“, schrie er frustriert in den Nachthimmel, die Fäuste an seiner Seite fest geballt. „Es hätte niemals gut gehen können! Es war ein Fehler, von Anfang an!“
    Sie zuckte zurück, das Gesicht ein Bild des stummen Entsetzens.
    Es war, als hörte ihr Herz auf zu schlagen. Sie konnte nur sein in Dunkelheit getauchtes Relief sehen, eine breite, aber dünne Silhouette, angespannt und wütend.
    Ihr Fehler. Es war alleine ihr Fehler, dass er so wütend war. Ihre Schuld. Nur ihre.
    „Lebe wohl“, waren seine letzten Worte an sie, als er forschen Schrittes dem Pfad folgte, über den sie gekommen waren. Er wurde kleiner und verschwand schließlich in der Nacht.
    Nur sie blieb zurück, die braunen Haare vom Winde getrieben.
    Und das Mondlicht schimmerte in den Tränen wieder, die ihr Gesicht hinunterliefen.


    Jedes Lachen schon einmal gelacht.


    Sie saßen am Meer. Eine leichte Brise trieb den Geruch von Salz und Algen zu ihnen, erfrischte sie, spielte mit ihren Haaren.
    Nah beieinander saßen sie. Die Hände im körnigen Sand berührten sich an den Spitzen, und beide schauten einfach nur in die Ferne, dort, wo die Sonne den Horizont in ein paar Stunden berühren würde. Jetzt schwebte sie über dem Wasser, brachte die azurblauen Wellen zum Glitzern.
    Sie schwiegen, denn es gab nichts, was sie hätten sagen müssen. Sie wollten die Ruhe nicht stören mit unsinnigem Gerede, das vom Wind hinfort geweht werden würde. Sie sahen einfach keine Notwendigkeit.


    Als sein Blick kurz über ihr Profil glitt, die hohe Stirn, die rosigen Wangen, die hellen Lippen, da musste er lächeln. Und er konnte sich einfach nicht mehr umdrehen. Er schaute sie weiter an, bis sie seinen Blick erwiderte, mit diesem hübschen Lächeln, das sein Herz zum Schlagen brachte. Er vergrub seine Finger in ihren, strich mit der anderen Hand vorsichtig über ihre Wange, als fürchte er sich, sie zu zerbrechen, diese fragile Gestalt, getaucht in helles Sonnenlicht.
    Sie zuckte unter seiner Berührung etwas zurück und er dachte schon, er hätte sie verletzt.
    „Du kitzelst mich“, kicherte sie und fuhr sich über ihre Wange. Eine Strähne ihres braunen Haares fand seinen Weg in ihren Mund.
    „Tut mir Leid“, lachte er und ließ sich zurück in den Sand fallen.
    Er liebte dieses Leben.
    Seite an Seite mit ihr an der Küste leben, die Schafe betreuen und sich keine Sorgen machen müssen. Sie waren alleine auf dieser Insel, doch sie hatten einander, und das war alles, was sie brauchten.


    Jede Liebe schon einmal gespürt.


    Sie versank in seinen Armen, ihr Kopf brummte und alle Kraft wich aus ihrem Körper. Brust an Brust schmiegten sie sich aneinander. Sein Atem ging schnell und in seinen Augen brannte helles, braunes Feuer, als er seine Stirn gegen ihre drückte und ihren Blick auffing, erschöpft, aber glücklich. Sie fuhr ihm durch das schwarze Haar, ließ es zu, dass seine Lippen über ihren Hals glitten, langsam und vorsichtig, längst nicht mehr so fordernd wie zuvor. Jetzt wollte er sie einfach nur noch neben sich spüren, sie festhalten, damit sie nicht hinfort gleitet. Er wollte sich sicher sein, dass das hier wirklich geschehen war. Dass er nicht bloß träumte.
    Sie schlang seine Arme um seinen Hals, strich über die breiten Schultern, die kräftigen Arme. Er strich ihr sanft über den gewölbten Rücken.
    „Ich liebe dich“, hauchte sie in sein Ohr, die Augen geschlossen mit einem seligen Lächeln auf den Lippen.


    Jede Erinnerung schon einmal gelebt.


    Das Licht ging wieder an. Es war, als wäre nie etwas geschehen.
    Doch das war es, und sie beide wussten es. Sahen sich sprachlos an, die Gesichter verblüfft einander zugewandt. Beide hatten es gesehen. Und beide wussten, dass der andere es auch getan haben musste.
    Fast gleichzeitig hoben sie ihre Hände an, zuckten zurück als sie die Bewegung des anderen sahen. Es vergingen drei, vier Sekunden, dann legten sie ihre Fingerspitzen aufeinander.
    Es war, als würden elektrische Funken überspringen. Sie starrten ihre Hände an, zitterten aber wagten es nicht, das fragile Band zu zerstören.
    Dafür war es zu wertvoll, zu zerbrechlich.
    Doch selbst wenn sie es gekonnt hätten, sie hätten es nie gewollt. Die Wärme des anderen ging in sie über und nach einem kurzen Augenblick des Zögerns verschränkten sie die Finger ineinander, so wie sie es am Strand getan hatten.
    Sie schluckte den Kloß herunter, er versuchte krampfhaft, seinen Atem zu regulieren.
    Sie wollten beide nicht loslassen. Wollten sich nicht trennen müssen, wie in der Vollmondnacht. Bei dem Gedanken, ihn gehen zu lassen, schon wieder, da zog sich ihr Herz schmerzhaft zusammen. Sie schob den Gedanken beiseite. Sie würde ihn nicht gehen lassen. Und er würde nicht mehr gehen.
    Sie waren verbunden.
    Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, etwas schelmisch, mit leuchtenden Augen, so ansteckend, dass sie es nur erwidern konnte.
    „Du hast es doch auch gesehen“, flüsterte sie leise. „Oder?“
    Er nickte stumm, konnte das Lächeln einfach nicht lassen. Er wollte auch gar nicht, sie sollte wissen, wie glücklich ihre bloße Anwesenheit ihn machte.
    „Henry“, flüsterte er, und auch wenn es im Zug so laut war, auch wenn das Gemurmel eigentlich ihren ganzen Kopf einnehmen hätten müssen, sie hörte seine Stimme doch laut und deutlich, als gäbe es gar nichts Wichtigeres. Sie blendete einfach alles andere aus.
    „Ich heiße-“, begann sie mit etwas nervös, mit zitternder Stimme.
    „Jennifer.“
    Ihr Herz machte einen Satz, als er ihren Namen aussprach, so weich und vorsichtig. Es klang vertraut, wie seine Stimme sie benannte, als hätte er es schon tausende Male gemacht. Aber dieses Mal war das Erste. Und es brachte ihren ganzen Körper zum Kribbeln.
    Sie sahen einander tief in die Augen.
    „Freut mich, dich kennen zu lernen“, hauchte sie, als sie sich einfach nicht mehr zurückhalten konnte.


    Der Zug rollte in die Station ein, Menschenmassen drangen aus ihm heraus und zerstreuten sich in der grauen Umgebung. Sie gingen Hand in Hand hinaus, in stummem Einverständnis.
    Die metallische Stimme verklang weit hinter ihnen.
    „Endstation. Bitte aussteigen.“

    [tab=Rekommentar]
    Hi Butterfly ^^
    Erst einmal vielen Dank für deinen Kommentar und entschuldigung, dass ich so lange dafür gebraucht habe, endlich mal zu antworten. Allerdings wird dieses Topic einfach nicht so oft geupdatet :D Ich packe deinen Kommentar einfach mal in einen Spoiler und schreibe dann zu den Punkten, wo ich etwas sagen möchte, in Fett etwas dazu ^^



    [/tabmenu]

  • Huhu Cáithlyn ^^
    Ich habe bereits gespannt erwartet, wann du neue Werke veröffentlichst, weswegen ich meinen Kommentar bezüglich zu deinen Kurzgeschichten nicht mehr auf sich warten lassen wollte (Schule und Faulheit stehen mir mal ganz gern im Weg @_@). Diesmal will ich nicht nur auf deine neuen Geschichten eingehen, sondern auch auf einige ältere, die aufgrund von Zeitmangel das letzte mal nicht lesen konnte bzw. kommentieren. Und ohne noch viel zu sagen, fange ich mal an.


    Danse Macabre
    Zu Beginn hat es noch eine sehr angenehme Atmosphäre, es wirkt alles wie ein schöner Traum, aber oftmals ist etwas liebliches, was vorrangig den Auftritt hat, auch gleichzeitig die Ruhe vor dem Sturm und gibt die Aufschluss über das spätere Geschehen. Das Mädchen wirkt wie in Trance, angelockt von den Tönen die zart klingen, doch nur den Schein an Schönheit geben und hier merkt man bereits Ansätze, das sich das Blatt wenden kann und es nur eine Illusion ist. Der einst schöne Traum verwandelt sich in ein Albtraumsszenario und die Klänge des Instrumentes klingen plötzlich schrill und die Stimmen zu laut. An dieser Stelle kam mir auch der Gedanke, das es Elfen sein könnten bzw. ich viele Geschichten mit diesen Wesen lese und sie oftmals so dargestellt werden das diese, viele anlocken, nicht nur kleine Kinder sondern generell ihren Spaß an Menschen suchen. Jedenfalls kam mir das als ich das las, in de Sinn, aber ernsthaft in Erwägung gezogen habe ich es nicht, das diese Wesen Elfen sein könnten. Aber ganz abwegig war es mir dennoch nicht. Auch merkt man das du auch hier die leichte Tendenz von Horror aufweist (dazu fällt mir noch ein Vergleich ein und zwar zu dem Visual Novel Game „Sleeples Night“, falls du es kennst, wobei es nicht unbedingt im übertriebenen Sinne gemeint ist, aber das du wohl oftmals,schöne Sachen anders darstellst und ein Traum auch nicht immer gut sein muss, sondern selbst jenes, was eine Gabe der Menschen ist, in ein negatives Licht gerückt wird. Ich fand an sich war die Traumszene durchaus gelungen (ich habe aber nicht die anderen Texte dieses Wettbewerbe gelesen um auch wirklich beurteilen zu könne, ob du in meinen Augen die beste war, wobei ich damit nicht ausdrücken möchte, das du den erste Platz nicht verdient hättest... Ich interessiere mich zu wenig für Wettbewerbe, was vor allem wohl daran liegt, das ich Schreiben für mich nicht als solch eine Sache sehe, sondern es tue, weil es mir Spaß und Freude bereitet und nicht will, das man jenes als gut oder schlecht abtut bzw. Platzierung zuordnet, sondern jedes Werk für mich – unabhängig davon ob es lang oder kurz und welch Thematik dort zu lesen ist – nicht schlecht oder gut sein kann, sondern eher verbesserungswürdig. Aber das ist nur meine Ansicht und jeder vertritt seine eigene^^...). Auch der Schluss war offen und das Mädchen erblickt den Mann noch einmal, aber diesmal im Wachzustand, wobei ich diesen Part etwas zu … vorhersehbar fand, wenn du verstehst was ich meine, aber dennoch passend.
    Vor allem schön fand ich die verträumte Landschaft, welche du beschrieben hast, eben typisch für eine Traumszene und besonders, das man sich alles bildhaft vorstellen konnte – zumindest kann ich hier für mich sprechen. Etwas was ich vor allem schade aber fand, das du nicht eher auf diesen mysteriösen Mann oder eher Etwas eingegangen bist, welcher das Mädchen durch die Töne seiner Violine angelockt hat. Wobei man muss aber auch bedenken, das es hierbei um eine Kurzgeschichte handelt, auf die man nicht immer näher eingeht, sondern meist ja vieles offen lässt und nicht alles einen bestimmten Hintergrund hat. Dennoch hätte es mich gefreut, wenn du vielleicht etwas mehr zu dieser Person, erwähnt hättest.



    Dancing in the Rain
    Die Geschichte war diesmal auch schön geschrieben worden. Mit viel Hingabe und Liebe – so schien es mir zumindest. Und unabhängig von deiner Platzierung, mochte ich diese sehr. Diesmal hast du weniger beschrieben, dich eher auf das Mädchen und deren Empfindungen konzentriert, was sie sieht und merkt. Oftmals hast du auch viele Gedankensprünge gemacht – was aber überhaupt nicht schlecht war. Im Gegenteil, ich fand das es auch die Labilität des Mädchen (sie ist wohl Magersüchtig...) unterstrichen und gleichzeitig hatte es etwas naives, süßes, gemischt mit ein bisschen Unschuld. Ich frage mich warum ihre Mitschüler (jedenfalls nehme ich mal an, das jene Menschen, welche sie angeblich vermisst haben, ihre früheren Klassenkameraden waren), so sehr verachtet und selbst all diese Karten weggeschmissen hat. Vielleicht haben diese sie aber auch gemobbt und ihre Krankheit zu ihrem Vorteil benutzt, um sie noch mehr zu verletzten. Vor allem fand ich zu deiner Geschichte auch diesen Kontrast gut, das selbst an einem Tag, in dem es regnet, für einen selber schön sein kann, wenn auch nur eine Person diesen mit einem verbringt und erhellt. Wie es dieser Junge gemacht hat. Selbst Regen muss nichts schlimmes bedeuten, für manche kann es auch etwas schönes sein und für manche kann auch selbst die Sonne, die von den meisten geliebt wird, zu grell, zu störend sein (trifft wohl eher auf mich zu^^). Der Titel passt natürlich dann noch einmal ins Bild, das sie gegen Ende vor Glück anfängt zu tanzen und sie froh ist, die Eintönigkeit des Krankenhauses zu verlassen. Außerdem hat mir dann die letzte Szene, in der der Junge zu ihr nur das Wort „Immer“ sagt, mich sehr an die Tribute von Panem erinnert. Vielleicht verstehst du auf was für eine Stelle ich anspiele (und dich möglicherweise davon inspiriert lassen?)
    Insgesamt wieder ein sehr gelungenes Werk, und bis jetzt muss ich gestehen, das mir diese von deinen bisherigen am meisten gefällt bzw. auch mehr zusagt. Du hast ein Talent dich den Situationen und Handlungen deiner Geschichte gut anzupassen und diese dann umzusetzen.



    Schönheitsfehler
    -„Vom Guten kann es niemals zu viel geben“, nuschele ich in sein Shirt, das ganz nass ist.


    Schon einmal
    Der Anfang hat mir sehr gefallen. Es hatte etwas melancholisches und wehmütig natürlich auch etwas trauriges, aber dennoch etwas typisches und selber etwas was vielleicht jeder mal verspürt haben sollte oder hatte. Einsamkeit. Selbst wenn so viele Menschen um einen herum sind, das man selbst nicht bei diesen bekannt ist und für diese nur einer von vielen ist – ein Schatten, nicht von Bedeutung für die anderen um einen herum, macht einen doch einsam. Aber dennoch war auch davor so eine gewisse Traurigkeit, die ihn dazu veranlasste, das er sich noch verlorener fühlte, jedenfalls denke ich mir das. Dann kam noch eine „schicksalhafte“ Begegnung, ein Mädchen welches vielleicht nicht unbedingt außergewöhnlich ist, aber dennoch etwas hat, was ihn faszinierte und das Gefühl wurde auch erwidert. Man merkt auch ehrlich gesagt, das du einfach drauf los geschrieben hast bzw. es einfach getan hast, alle Gedanken die dir in den Sinn gekommen sind. Die Szene wo sie ihn umarmt und festhält, als er völlig verzweifelt zusammenbricht und dann diese Stelle, wo sie sich plötzlich an einem Ort befinden... Vielleicht auch eher gedanklich, eben diese Verbindung die die beiden haben noch zu unterstreichen und etwa abzuschweifen, aber dennoch war es komisch, wenn man bedenkt das noch andere Menschen im Zug saßen und die sicherlich das merkwürdige Verhalten der beiden bemerkt haben. Ich fand das du das noch mehr ausbauen könntest, weil es vor allem sehr verträumt klang – was zwar immer wieder schön ist, wenn die Realität und die Fantasie in einer Geschichte sich vermischen – aber dennoch für Verwirrung sorgen kann und das selbst der Leser dann nicht weiß, wie es genau zu diesem Ereignis zustande kam. Vielleicht hättest du auch mehr das Aussehen des Jungen oder Mannes beschreiben können, nur anhand der Information das dieser schwarze Haare hat und schlank ist, konnte man sich die Person wage vorstellen, aber vielleicht hättest du noch was zu seinem bzw. er selber noch gedanklich etwas zu sich selber oberflächlich erwähnen könnte, zum Vergleich zu ihrem Aussehen.


    Fehler
    Hauptsächlich hast du einige Buchstaben vergessen, aber im allgemeinen machst du keine Fehler und wenn dann eher Kleinigkeiten.
    -Der Zug ratterte und polterte, sie ließen sich in der Bewegung mitziehen, wehrten sich nicht, als sie gegen die Sitze schlugen.
    -Dass die Glasskulptur unter ihren Fingern zerbrechen würde, wenn sie sie berührte.
    -Er zuckte zusammen und richtete sich auf, verwirrt und ängstlich. Aber ihr mühevolles Lächeln brachte sein pochendes Herz wieder zur Ruhe.


    ~Liebe Grüße

  • Hi Liebes :D


    Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, und ich vergesse Versprechen nie (ich verdränge sie nur manchmal , und dann dauert es eine Weile, bis es mir wieder einfällt ^^), deshalb kommt mein Kommi nicht wirklich zeitnah. Ich hoffe, du verzeihst mir.


    Dormez-vous


    Teil 1:
    Du weisst, was ich von deinen Schreibkünsten halte, und wenn nicht, dann lies nochmals nach, du weisst schon wo. Auch dieser erste Teil ist wieder wunderbar geschrieben. Gerade zu Beginn gibt es tolle Metaphern, wie die mit den Würmern und dem Raben, welche dem Text eine gute Bildhaftigkeit verleihen, es macht es dem Leser einfacher, sich die Szene vorzustellen. Genau so kann man auch bei eher wenig Handlung gute Geschichten schreiben, und ich finde, das ist dir auch ganz gut gelungen. Es wird einem nicht langweilig, wenn man es liest, es ist eine gute Unterhaltung.
    Nun, bei dieser Unterhaltung bleibt es meiner Meinung nach auch. Man kann sich zwar überlegen, wo das Ganze spielt - ich denke mal, dass dieser alte Mensch gestorben ist und von einer Art Engel, dem Jungen, in den Himmel geholt wird - aber das war's dann auch schon. Es gibt fast nichts, was einem auch nach Ende der Lektüre noch beschäftigt, sei es eine Frage, die die Story aufwirft, oder einfach ein Schock, weil es abartig ist, oder was auch immer. Es ist fertig, und man denkt nicht mehr daran, es ist nicht der Typ Geschichte, der einem auch noch in zehn Jahren präsent sein wird. Die Geschichte hätte aber durchaus das Potential, durch ein paar gezielte Anmerkungen oder Formulierungen, eine solche Wirkung hervorzurufen. Ganz im Gegensatz steht dazu zB Danse Macabre, welches erst einmal ziemlich aufrüttelnden Inhalt hat, und obwohl es nur ein Traum ist, kannst du mit der Erwähnung dieses Mannes am Markt noch ein Unwohlsein beim Leser hervorrufen, etwas, worüber er nachdenken will, etwas, dass ihn auch gewissermassen schockt. Kurz, es fehlt ein offenes Ende.
    Was ich auch noch sagen möchte, ist, dass du mir fast zu viele Absätze machst, gerade zu Beginn. Das wirkt zwar gut, es beschleunigt die Geschichte, aber man muss zwischendurch Pausen einlegen, sonst wirkt das ganze hektisch und "unvoluminös", wenn du weisst, was ich sagen will, es ist also im Prinzip nur der rote Faden. Ausserdem ist es auch anstrengend, so zu lesen.
    Man müsste nicht einmal gross etwas am bereits Vorhandenen ändern, sondern nur drei, vier Absätze weniger machen. Das wäre bedeutend weniger anstrengend.


    Teil 2:
    Teil zwei finde ich in fast allen Belangen besser als der erste. Er beginnt sehr spannend, die lebendigen Beschreibungen der schrecklichen Zustände lösen beim Leser gewisse Emotionen aus, Unwohlsein und auch ein wenig Angst.
    Ausserdem ist es wirklich viel angenehmer zu lesen mit den etwas längeren Absätzen.
    Der ganze Text ist eine interessante Zurschaustellung der Lage dieses jungen Mannes, welches wirklich sehr gut zum Lied passt (abgesehen davon, dass du den Lyricswettbewerb sowieso gewonnen hast; mit dem hättest du ihn besser gewonnen). Es werden Mechanismen beschrieben, lebendig und realistisch, und vor allem glaubwürdig. Man hat als Leser wirklich das Gefühl, dass du Erfahrung auf diesem Gebiet gemacht hast - ich hoffe natürlich, dass dem nicht so ist.
    Mit dem Lied wird eine Art These aufgestellt, es wird dem Lied eine Bedeutung unterstellt, und zwar eine völlig andere als die Grundhaltung, was wieder für deine Kreativität spricht. Es ist die Würze dieser Geschichte, etwas, worüber der Leser auch nachher nachdenken wird. So etwas fehlt im ersten Teil.
    Ist dieses Lied, dass ich mit meinem Grossvater gesungen habe, wirklich nur ein Kinderlied? Oder haben mein Opa und ich damals - sehr wahrscheinlich unabsichtlich - unseren Tod besungen? Gruselig...
    Es ist fast schon schockierend, wohin einem dann die Gedankengänge führen, und man denkt wieder mal so richtig über die Dinge ganz allgemein nach - wenn jetzt dieses für mich so selbstverständliche Lied eine völlig andere Bedeutung hat als erst angenommen; ist das auch bei anderen Dingen im Leben der Fall?
    Das finde ich sehr gelungen von dir, und macht, neben den Absätzen, auch der Hauptunterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Teil, welche sprachlich beide auf hohem Niveau sind.


    Der Zusammenhang:
    Auf den ersten Blick wirken beide Teile wie zwei völlig verschiedene Geschichten.
    Auf den zweiten fällt aber auf, dass der Junge in der ersten Geschichte doch ziemliche Ähnlichkeiten vom Aussehen hat wie der in der zweiten. Klar, sie sind unterschiedlich hygienisch, sage ich jetzt mal. Aber beide haben Locken, blonde Haare, sind Jungs - alles Dinge, die darauf hinweisen, dass es sogar die gleiche Person ist.
    Falls dies der Fall ist, fehlt mir aber ein inhaltlicher Zusammenhang. Das erste ist sehr wahrscheinlich eine Todesszene, wo dieser Frère Jaques stirbt, während das zweite einfach ein Ausschnitt aus dem Leben dieses Jungen ist. Warum du nun gerade diese beiden Teile zusammen in eine Kurzgeschichte tust, die in ihrer Gesamtheit als ein Werk betrachtet wird, verbirgt sich mir.
    Vielleicht ist der Junge aus der zweiten gestorben und hilft nun diesem Toten am Fluss, den Tod zu überwinden... Da fehlen aber eindeutig Anspielungen auf die Identität des Älteren in der ersten Geschichte, obwohl es hier einfache Möglichkeiten gäbe, gerade die Brosche bietet eine. Andererseits fehlen Hinweise auf den nahen Tod des Jungen im zweiten Teil. Er spricht zwar über sein Leben und auch dessen Ende; er sagt aber nie, dass dies in (sehr) naher Zukunft sein wird und es gibt auch keine Anzeichen dafür, dass dies der Fall sein wird. Folglich wird diese These wahrscheinlich nicht stimmen, wenngleich ich keinen besseren Zusammenhang zwischen Teil eins und Teil zwei finden kann.
    Aufgrund dieser Tatsache finde ich es etwas schade, dass Teil eins so aussagungslos ist, während Teil zwei zu guten Gedankengängen anregt.


    Noch kurz zum Ganzen: Lies es dir nochmals durch, die fünf, sechs Tippfehler springen ins Auge.


    Kurze Zusammenfassung:

    • Stilistisch und schreibtechnisch her alles absolut spitze
    • Weniger Absätze im ersten Teil
    • Überlegterer Inhalt im ersten Teil
    • Fulminater und sehr schöner Start in Teil 2, lebendig und realitätsnah
    • Mehr Zusammenhang, beziehungsweise klarerer Zusammenhang zwischen Teil 1 und Teil 2


    Das war's, ich hoffe, es ist ein nützlicher Kommentar und du kannst mit der Kritik etwas anfangen, kritische Rückfragen erlaubt und auch erwünscht, falls etwas nicht klar sein soll.
    Buxi

  • 19. Dezember
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    WETTBEWERBSTEXTE

    • Wettbewerb 19: Freie Kurzgeschichte- Cogito ergo sum
    • Wettbewerb 20: Freies Gedicht- Das Karussell


    SAISONFINALE

    • Runde 1: Long live the Queen (Kurzgeschichte zu Songtext)
    • Runde 2: Feder, Tinte und Papier (Gedicht zum Thema "Das Schreiben")
    • Runde 3: Der stählerne Ritter (Märchen)

    [tabmenu]
    [tab=.]
    Himmel, es ist echt schon ziemlich lange her, seit ich das letzte Mal hier geupdated habe. Dementsprechend hat sich auch einiges angesammelt. Durch mangelnde Zeit aber leider nur Wettbewerbstexte, die ja eigentlich schon öffentlich sind, aber möchte sie trotzdem mal hier hineinstellen, der Vollständigkeit halber.
    Ich hoffe, dass ich über die Ferien etwas mehr zum Schreiben komme; Aktuell laufen ja zwei meiner Fanfiktions, dazu habe ich noch ein Projekt geplant, das ich allerdings nicht hier hochladen werde (weil es, falls ich die Motivation zum Durchhalten finde, eventuell nämlich ein Romanversuch wird) und noch ein zwei Wochenprojekt, das ist vielleicht mal fertig stellen werde. Aber leider nur vielleicht, weil mir ja gerne die Motivation ausgeht.
    Danke auch noch einmal an Black Butterfly und meinen Buxbaum, zumindest bei letzterem weiß ich ja, dass ich schon einen Re-Kommentar gegeben habe. :)


    Jetzt geht es aber los!
    [tab='Wettbewerbstexte']
    [subtab='Cogito ergo sum']
    "I think, therefor I am... Greater than you."- Damien Sandow.


    Der Text war in dieser Art schon vorher in meinem Kopf vorhanden. Wir haben Descartes zu der Zeit in Philosophie durchgenommen und irgendwie hat sich der Spruch bei mir eingebrannt, ich wusste selbst nicht genau warum. Ich bin aber ganz froh drum, denn mit diesem Text habe ich den 1. Platz gemacht. Ich würde die Geschichte rund um die beiden eigentlich gerne noch etwas ausbauen, weil mir die Idee so ans Herz gewachsen ist, haha. :D Naja, vielleicht schaffe ich das irgendwann auch.



    Cogito, ergo sum.


    Sie trafen sich in Downtown, hinter dem Club am Ufer des Sees, wo schwarze Wellen von der Nacht in einen Strom aus übelriechendem Öl verwandelt wurden. Dicke Wolken verhangen den Himmel, Smog und Rauch aus der Umgebung stiegen auf. Von fern knallten Bässe auf ihre Ohren, als sie durch das trockene, gelbliche Gras schlenderte.
    Sie setzte sich neben ein Denkmal aus Bildern, Plüschtieren und Karten, Zeichen der Trauer und des Entsetzens. Zeichen, die bald schon weggeräumt sein würden, wenn man sie und ihn vergessen hatte.
    „Hast du lange gewartet?“
    Sie drehte das hübsche Gesicht herum. Er stand nur einen Meter hinter ihr, die langen Arme in die Hosentasche gesteckt, ein entschuldigendes Grinsen aufgesetzt. Sie schüttelte den Kopf.
    „Nein, ich bin auch gerade erst angekommen.“
    Als er sich neben sie auf den Boden fallen ließ, strich sie über das vertrocknete Gras. Ihre Hände gleiten durch die Halme, sie spürte nur einen zaghaften Hauch, als fürchtete sich die Natur davor, ihr zu nahe zu kommen.
    Dabei waren die Grashalme doch genauso tot wie sie.
    Sie beobachtete ihn aus dem Augenwinkel. Er sah genauso aus wie immer, genauso wie sie selbst. Die gleiche dreckverkrustete Kleidung, die Haare unordentlich vom Kopf abstehend. Unter seinen Augen hatten sich tiefe Ringe gebildet, zartes Violett schimmerte durch seine bleiche Haut hindurch.
    „Und, was machen wir heute?“, fragte er sie irgendwann, den Blick auf die ölige Masse gerichtet, die stetig flussabwärts rinnt, alles mitnahm, was er zu greifen bekam. Wie ein Monster, das dich an den Haaren zu Tode schleifte.
    „Ich glaube, heute bin ich mit Erzählen dran, oder?“, antwortete sie und zuckte die Schultern. Ihre bleichen Beine wirkten durch das flackernde Neonlicht der Straßenlaternen beinahe grünlich. Sie hielten sich immerzu im Schatten der Brücke auf, aber trotzdem fand es jedes Mal den Weg zu ihnen.
    „Ich meine auch“, antwortete er und setzte sich auf, die Beine leicht angewinkelt und den Rücken zu einem Buckel geformt.
    „Was willst du wissen?“
    „Erzähl mir mehr über...“, er hielt kurz inne und überlegte. Dann begann er zu grinsen: „Über deine Familie.“
    Sie legte den Kopf schief und wischte sich eine dreckige Strähne ihres nassen, dunklen Haares aus dem Gesicht. Was konnte sie ihm erzählen? Sie hatte doch längst den Überblick verloren, worüber sie sich bereits unterhalten hatten.
    „Cogito ergo sum“, sprach sie letztlich laut den ersten Gedanken aus, der ihr kam, als sie an ihren Vater dachte.
    „Das hat dein Vater immer gesagt, oder?“ Der Junge schaute kurz in den Himmel, verzog das Gesicht, als er merkte, wie Regentropfen auf sie hinunterprasselten, zuckte dann aber mit den Schultern. Sie waren eh schon nass. Und der Regen fiel durch sie hindurch, färbten den kalten, harten Boden mit dunklen Flecken ein, als wären sie Illusionen.
    Vielleicht waren sie das auch. Nur Illusionen, mehr nicht.
    Ihr Leben hatten sie schließlich schon hinter sich gelassen.
    „Hab ich das schon erzählt?“, fragte das Mädchen mit einem schiefen Grinsen. „Tut mir Leid.“
    „Ist nicht deine Schuld. Du hast dir schließlich den Kopf gestoßen, da ist das normal. Denke ich.“
    Nachdenklich und wie von automatisch griff die Hand der Dunkelhaarigen an ihren Hinterkopf. Ihre Finger tasteten entlang des Kraters, den der Felsen hinterlassen hatte, als das Wasser sie gegen ihn getrieben hatte. Sie spürte keine Schmerzen, aber es war trotzdem ein komisches Gefühl, dass dort, wo zuvor noch ihre Kopfhaut gewesen war, plötzlich ein großes Loch war.
    „Erzähl ruhig mehr von ihm“, sagte der Junge und richtete sich auf. „Der Teddy da ist auch von ihm, oder?“ Er deutete auf ein kleines Stofftier inmitten des Schreines, den Passanten, Freunde und Fremde errichtet hatten.
    Das Mädchen nickte und begann zu lächeln.
    „Den hat er mir geschenkt, als ich zwei Jahre alt war.“
    „Ja, das hast du erzählt.“
    „Tut mir Leid.“
    „Muss es nicht. Ist ja auch meine Schuld.“
    Sie lächelte schief, als er aufstand und nachdenklich auf den Schrein zuging. Er lag in leichtem Feuerschein der Teelichter und Grabeskerzen, ein rotes, flackerndes Flammenmeer. Sie folgte ihm langsam.
    „Er hat es sogar in seine Karte geschrieben“, schmunzelte er, als er sich hinunterbeugte, hinein in den roten Schein, ins Innere der Gedenkstätte, und einen einfachen Zettel betrachtete. Er war nicht eingerahmt, steckte in keiner Hülle. Er war der Natur überlassen, schon an vielen Stellen vom Regen verwischt.
    „Cogito, ergo sum“, zitierte das Mädchen, als sie sich neben ihn bewegte und sich ebenfalls herunterbeugte. „Und weil du dachtest, warst du wahr, und jeder wird wissen, du warst da.“
    „Poetisch“, kommentierte der Junge mit einem kurzen Anflug eines Lächelns.
    „So war er nun einmal.“
    „Nein, so ist er. Wir waren einmal.“
    „Da hast du wohl Recht“, hauchte sie in die Kälte hinein. Sie fröstelte, rein aus Gewohnheit. Eigentlich war ihr nicht kalt. Eigentlich fühlte sie gar nichts. Aber es gab ihr ein Gefühl der Genugtuung, dass sie sich noch daran erinnern konnte, wie es war zu fühlen. Als könnte sie es immer noch.
    „Wie lange ist es wohl her?“, unterbrach er ihren Gedankengang. Seine Augen fuhren über die Textzeilen, die ihnen gewidmet waren. Bilder der beiden, getrennt durch ein großes Gedenkschild, seine rechts, ihre links. Und doch standen sie gemeinsam vor dem kleinen Tempel. Als hätte sie schon immer zusammengehört.
    „Ich weiß nicht.“
    „Zwei Wochen?“
    „Ich kann mich nicht erinnern“, gab sie zu.
    „Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal als einer dieser Menschen enden würde“, lachte er mit ehrlicher Belustigung. Als könnte er es immer noch nicht ganz fassen. Aber er hatte es längst akzeptiert. Vielleicht konnte er deswegen Scherze darüber machen.
    „Menschen, denen man ein Denkmal baut?“, grinste sie schief und deutete auf all die kleinen, kitschigen Dinge, die man auf seine Seite gelegt hat. Briefe auf bunten Papier, eingerahmt in Plastikfolie, die die unsaubere Schrift darauf schützte. Die Kette, die er um den Hals trug, ein Armband mit Nieten, dutzende dieser Konzertbänder. Vieles davon war längst schon wieder weggenommen worden. Mal von Freunden, die ein Andenken an ihn wollten, mal von jemandem, dem gefiel, was er sah.
    „Nein, Menschen, die in der Presse stehen.“ Er formte mit seinen Daumen und Zeigefinger ein Quadrat und richtete es in den Himmel. „Junger Mann, 19, und junge Frau, 17, sterben in den Fluten. Er ertrinkt, als ihn jemand aus Spaß gegen das Brückengeländer schubst und er in den Fluss fällt...“ Er schaut sie mit einem schelmischen, provozierenden Lächeln an.
    „Und sie“, lachte die Braunhaarige. „Stürzt todesmutig hinter dem vollkommen Fremden hinterher, stößt sich den Kopf und ersäuft jämmerlich.“
    „Die ganze Nation ist geschockt, Angehörige und Freunde trauern und- Oh, einen Moment, uns erreicht die Eilmeldung! Eine Sensation! Der Berliner Zoo hat Nachwuchs bei den Pinguinen gemeldet!“
    Seine Schultern bebten vor Lachen.
    „Glaubst du wirklich, sie würden unsere Todesnachricht so unterbrechen?“
    „Pinguine sind niedlich“, meinte er leichthin und zuckt mit den Schultern. „Alle mögen Pinguine, du nicht?“
    Sie musste grinsen und knuffte ihm in die Seite. Er spürte es nicht, aber aus Reflex sprang er zurück und grinste breit. „Fies von dir.“
    „Ich und fies?“ Sie weitete die Augen und legte mit gespieltem Entsetzen eine Hand vor den Mund. „Niemals!“
    Er grinste. Er lächelte. Und plötzlich wurde der Junge wieder ernst.
    „Du solltest eigentlich gar nicht hier sein“, murmelte er und starrte abwesend in die Flammen der Teelichter. Sie strömten Hitze aus, die Beide nicht mehr spüren konnten. Wärme und Leben, das Gefühl von Schutz. Doch ihnen wurde es verwehrt. Sie waren so nahe dran, konnten es berühren.
    Aber niemals mehr spüren.
    „Du auch nicht“, entgegnete sie. Ihre Finger griffen nach dem Teddybären, der traurig das nasse Fell hängen ließ. Ein letzter Wächter der Erinnerung, unbewegt und schwach. Sie glitten hindurch ohne Wiederstand. Das Mädchen biss sich auf die Lippen.
    „Bereust du es?“ Er sah sie direkt an, mit den Augen eines Toten, weit entfernt und ohne einen Funken Licht in ihnen.
    „Ja.“
    Seine Schultern sanken etwas herunter, aber ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Natürlich bereute sie es. Jeder würde bereuen, sich für einen Fremden in den Tod gestürzt zu haben.
    Doch sie war noch nicht fertig.
    „Ich bereue, dass ich dir nicht helfen konnte.“
    „Du konntest nichts dagegen tun.“
    „Ich hätte warten können, besser nachdenken. Dann wären wir beide noch am Leben.“
    Er nickte nachdenklich, schüttelte aber letztlich den Kopf.
    „Ich bin froh, dass ich nicht alleine bin. Aber es ist schade, dass ich dich erst im Tod kennenlernen durfte“, meinte er und sah sie an. „Wir hatten wohl etwas Pech, hm?“
    Sie lächelte und legte ihren Kopf auf seine Schulter. Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, als würde sie so etwas wie Wärme spüren.
    „Cogito, ergo sum“, zitierte sie erneut. „Wir sind immer noch. Irgendwie sind wir immer noch.“
    „Ja“, lächelte er. Der junge Mann schaute in den Himmel. Durch die Wolkendecke hatte sich ein einziger Stern gekämpft. Eine einzige Hoffnung.
    Er nahm ihr Gesicht in seine Hände, und jetzt spürte auch er den Anflug von Wärme auf seiner Haut.
    „Was heißt lieben auf Latein?“, fragte er, und berührte ihre Stirn mit seiner.
    „Amare“, antwortete sie schmunzelnd.


    „Te amo, ergo sum.“
    [subtab= Das Karussell]
    Das ich ausgerechnet bei Gedichten in letzter Zeit so hoch im Kurs stehe, kann ich gar nicht verstehen. :X Ich schere mich nicht um Jambus oder Daktylus, ich schreibe einfach so, wie ich denke, es sich eben gut anhört, haha.
    Was mich auch etwas verwirrt hat, war die Tatsache, dass in dieses Gedicht so viel hineininterpretiert wurde. Sogar von Drogen war zwischenzeitlich die Rede, wo ich doch eigentlich nur andeuten wollte, dass man sich nicht immer an die Vergangenheit klammer soll, so schön und bunt sie auch war.
    1. Platz.



    Das Karussell


    Rund herum, immer schneller,
    Lichter verschwimmen in der Nacht
    strahlen schöner, bunter, heller
    in der zuckersüßen Pracht.


    Du folgst dem schnellen Schwung,
    lachst und drehst dich weiter,
    fühlst dich wieder frisch und jung,
    dein Körper wird endlich leichter.


    Zarte Gestalten tanzen im Kreis,
    leichte Klänge flüstern dir zu,
    dass die Flocken in hellem Weiß
    dich leiten werden zur ewigen Ruh.


    Spürst den kalten Wind im Gesicht,
    doch bleibst du auf dem hohen Ross.
    Auch als der schöne Schein zerbricht,
    eine Ruine wird aus dem Schloss.


    Siehst nicht die dicken Risse im Glas,
    und die schwindenden Lichter,
    bist gefangen im ew’gen Spaß,
    die Schatten werden dichter.


    Rund herum, immer schneller,
    Lichter verschwimmen in deinen Augen,
    strahlen grässlich, kälter, greller,
    als sie dir dein Leben rauben.

    [tab=Saisonfinale]
    [subtab=.]
    Hier folgen also die Texte, die mich letztlich zur Fanfictionistin 2013 gemacht haben. Mit dem ersten Text habe ich knapp den ersten Platz gemacht, mit dem Zweiten den zweiten und mit dem dritten den... Nein, nicht den dritten, den Vierten. ;)
    Alles in allem bin ich recht zufrieden, gerade die ersten beiden Runden waren für mich mehr als nur glücklich verlaufen, bei der dritten hab ich selbst gemerkt, dass die Konkurrenz einfach unglaublich gut war. Das hätte ich nicht verdient gehabt und ich bin froh darüber, dass ich noch den vierten Platz machen durfte. :)
    [subtab=I.]
    Wie schwer es einfach war, sich für einen Text zu entscheiden. Zur persönlichen Auswahl hatte ich dieses Lied hier und "Survival of the Fittest" von Eminem. Das, was ich letztlich genommen habe, ist zu unbekannt, und hat daher keine Übersetzung (die Lyrics zu finden war schon schwer genug, haha) und Eminem war zu der Zeit noch zu neu für eine Übersetzung. Letztlich habe ich mich also an eine eigene Übersetzung gewagt, was ja auch nicht ganz unvernünftig ist. ;)



    Long live the Queen


    Style and Grace
    I'm never gonna be done,
    lean on it.
    Now welcome to the Queendom!
    The Queendom, where the kings bow down,
    then relinquish your crown.
    Y'all gonna hate me now,
    I'll just turn that around and make you
    Love me, love me, love me!


    Jim Johnston- Welcome to the Queendom



    Sechzehn Jahre. Sechzehn lange, schwierige Jahre, jetzt habe ich es geschafft.
    Nach sechzehn Jahren in denen ich gelogen, gestohlen und betrogen habe. Sechzehn Jahre lang hart erkämpfte Rache. Aber es hat sich gelohnt.
    Rache lohnt sich immer.


    Sonnenlicht dringt durch die halbtransparenten Vorhänge meines Zimmers. Als ich die Augen öffne sehe ich meine Zofe, die mich mit einem so schlecht gekünstelten Lächeln begrüßt, dass ich unweigerlich die roten Lippen zu einem spöttischen Grinsen verziehe. Sie sieht es, spürt dass ich ihren Unwillen bemerke und flieht schnell aus meinem Sichtfeld.
    Ich richte mich auf, Locken von langem, roten Haar fallen mir über Schulter und Körper, der nur umhüllt ist mit einem leichten Nachthemd, besetzt mit kunstvoller Spitze, die einen tiefen Blick in mein Dekolleté erlauben. Es ist verrutscht und am Blick meiner Zofe sehe ich, dass man mehr sieht als ihr lieb ist. Ich lächele sie an, mit meinem kleinen, verruchten Lächeln, das aus einem Engel einen Teufel macht, einen Dämonen, eine Diebin der Herzen, die schleichend kommt und alles nimmt was sie findet.
    Als ich meine langen Beine über die Bettkante schwinge und mit starken Schritten zum Fenster gehe, weicht sie mir aus. Ich schenke ihr keine weitere Beachtung. Diese Mädchen sind unfähige Kinder, neidisch auf das, was ich habe. Aber ich habe es verdient. Ich habe gekämpft. Sie kriechen nur im Staub und lecken Stiefel.
    Nichtsnützig.


    Als ich die Vorhänge beiseiteschiebe, empfängt mich eine zarte Brise. Sie umfängt mein Gesicht, liebkost es und haucht mir sanfte, bezaubernde Beschwichtigung ins Ohr. Über mir strahlt die Sonne, viel zu grell, viel zu heiß, dass die Luft über dem Boden beginnt zu verschwimmen.
    Nichts anderes hat dieses Königreich verdient. Eine Ankündigung auf das, was noch folgen wird. Denn heute ist mein Tag. Und mit mir kommt ihr Verderben.
    Unwillkürlich beginne ich zu lächeln.
    Wie dumm. Wie dumm, dumm, dumm.
    Es gibt Einige, einige Wenige, die tatsächlich ein wenig Intellekt zu besitzen scheinen. Sie stehen an meiner Seite, beschützen mich, helfen mir bei meiner Rache. Weil sie genau wissen, dass diese Rache alle in den Abyss reißen wird, in die tiefste Hölle. Ihre Angst vor mir lässt sie zu kleinen Bauern werden, die mir aufs Wort gehorchen. Hunde, die vor mir im Staub kriechen und munter meine Befehle ausführen, um mich zu unterhalten.
    Aber auch sie werden Teil werden von dem, was ich für dieses Land und seine Bewohner erdacht habe.
    Denn sie alle haben meine Rache verdient. Keiner soll übrig bleiben, der meinen Zorn nicht gespürt hat. Niemand soll diesem kranken Kopf entgehen.
    Ja, ich weiß durchaus, dass ich verrückt bin. Sie haben mich dazu gemacht, haben mich geformt wie einen Klumpen Lehm, in das verwandelt, das sie brauchten, mich zerbrochen und wieder zusammengeflickt.
    Aber nun bin ich nicht länger Dreck. Ich bin stärker geworden, fester. Ein Edelstein, ein Diamant mit scharfen Kanten. Schön und strahlend, ein blendendes Trugbild, das ich nur allzu gut aufrecht zu erhalten weiß.


    Sie dreht meine Haare zu Locken, steckt sie hoch mit Klammern, die besetzt sind mit Rubinen. Ich starre mir selbst in die Augen, kalte, harte Seelenspiegel, gezeichnet von Kummer und Genugtuung, von Hass und Arroganz, von niemals vergessenem Schmerz. Augen, die längst nicht mehr die eines Menschen sind. Augen, die andere nicht anschauen. Sie durchschauen.
    „Eure Majestät?“
    Ich hebe meinen Kopf. Vom Spiegel aus schaut mich das kleine, runde Gesicht meiner Zofe an, die zusammenzuckt als ich sie mit meinem Blick durchbohre.
    „Wir sind fertig“, informiert sie mich. Ihre Finger bearbeiten sich gegenseitig, und so sehr sie es auch will, sie kann ihre Augen nicht von meinen losreißen. Ich beiße mich an ihrem Blick fest, nehme sie gefangen, wie einen Vogel im Käfig. Ein kleines Mädchen in der Gegenwart eines Monsters. Ein Mädchen, das Angst hat, aber zu fasziniert ist um wegzuschauen.
    So war ich auch einst. Bevor ich zur Besinnung gekommen bin.
    „Das Korsett“, weise ich sie an und wende mich wieder meinem Spiegelbild zu. Die Augen eines lieblichen Pfaus, mit langen, federleichten Wimpern, gefärbt zu tiefer Schwärze, die die leuchtende Smaragde umranden. Lippen von der Farbe von Kirschen, immer leicht geöffnet um den süßlichen Atem auszuhauchen. Ein Gesicht wie ein Engel, mit hohen, starken Wangenknochen, einer vornehmen Blässe und einem Hauch von Rot.
    Und ein Gemüt wie ein Raubtier. Eine Hyäne vielleicht. Ja, eine Hyäne. Ein Aasfresser, ein schlaues Wesen. Lässt die Arbeit für sich machen und tut sich am Tode anderer gütlich.
    Ja, ja. Eine Hyäne.
    Welch glorreiche Tiere. Tödlich auf eine Weise, die schlimmer ist als der Tod selbst.


    Der Tag ist heiß. Ein Vorbote des Höllenfeuers, das ausbrechen wird.
    Die Hitze erinnert mich an die Öfen, die schwielige Luft, die damals wie eine dichte Decke über mir gelegen hat. Funken von knisterndem Feuer, die aus den pfeifenden Metalldingern stoben, sobald ich zitternd einen Holzbalken nachschob.
    Rote Striemen über meinen Händen, wenn ich mich verbrannt habe.
    Oder wenn der Koch dachte, ich hätte es verdient.


    Er war der Erste, der meine Rache zu spüren bekommen hat. Irgendwann war er einfach verschwunden, still und heimlich, nie wieder aufgetaucht. Wie denn auch?
    Die Öfen hatten ihre Arbeit gut getan. Alles was blieb war ein Häufchen Staub, ein schwarzes Zeugnis seiner Existenz, das von den Winden auseinander gerissen wurde.


    Es dauerte lange, bis ich die nötigen Beziehungen hatte. Ein Mädchen unehelicher Abstammung, die Mutter einer hübschen, doch verzweifelten Zofe. So verzweifelt und so voller Trugbilder, dass ich entstand, in einer einsamen Nacht mit dem Monarchen. Eine Nacht, die mein Leben bestimmte. Mein Leben als kleine, schutzlose Zofe im Schloss, dann ausgesetzt in der Gosse, an die falschen Leute geraten, süßen Worten gelauscht, vertraut und verloren. Niemand an meiner Seite.
    Ich war alleine. Eine Waise, eine Schande, ein bittersüßes Geschenk an andere, das sie auspacken und nutzen konnten, wie es ihnen beliebte. Bis ich irgendwann zurückschlug. Bis ich begriff, dass ich auf meine eigene Art mächtig war.
    Denn Macht ist alles in dieser Welt.
    Und ich bin im Inbegriff, jene Macht zu erhalten, die ich mir erarbeitet habe. Durch dieses unfaire Spiel, das sich Leben nennt. Und wenn es unfair ist, warum sollte ich es dann nicht auch sein?


    „Eure Majestät!“
    Ich bleibe im Gang stehen, doch drehe mich noch nicht um. Als die große Gestalt an mir vorbeieilt und sich mit gebührendem Abstand vor mir aufstellt, da verziehen sich meine Lippen zu einem kleinen, spöttischen Grinsen.
    „Sir Lance“, zwitschere ich mit einer Stimme, die vor lauter Zucker trieft. „Ihr habt mich in der letzten Nacht schon viel zu früh verlassen, wie mir erscheint.“
    Er wirkt peinlich berührt, kann mir nicht in die Augen sehen. Sie bleiben auf meinem Ausschnitt haften.
    „Verzeiht mir“, raunt er mir leise zu. Seine Stirn wirft Falten und sein Mund ist merkwürdig verzogen, durch seinen Bart ziehen sich graue Strähnen, die er noch nicht hatte, als ich ihm das erste Mal begegnete.
    Ich bereite ihm offenbar Sorgen und Kummer. Ein wundervolles Gefühl.
    Er ist nur eine kleine Schachfigur, von doppelter Verwendung, denn er ist vom Volk geschätzt und dazu ein willkommenes Vergnügen am Rande für mich.
    „Ich empfand es nicht als angemessen, ein Tag nach dem Tode des Königs…“
    „Ja, in der Tat. Mein armer Edward“, säusele ich und streiche mir mit dem Finger über die Lippen. „Eine Tragödie, nicht wahr?“
    Ich gebe mir nicht einmal die Mühe zu verbergen, wie gelegen mir das ach so tragische Ableben meines Ehegatten kam. Er war ein alter Sack gewesen, senil und ein Lüstling. Und ich weiß, wie ich mit solchen Menschen umzugehen habe.
    „Es ist in der Tat eine Tragödie.“
    Ich verdrehe die Augen, als ich diese Stimme höre. Doch als ich mich ihrem Ursprung zuwende, trage ich meine perfekte Maske, ein Ausdruck von nüchternem Wohlwollen.
    „Lord Aster“, begrüße ich den Troll mit Schweinsgesicht. Seine speckigen Wangen sind mit roten Flecken besetzt und seine kleinen Äugelein mustern mich feindselig. Ich lächele nur.
    „Was für ein Zufall, dass der König- Gott habe ihn selig- so kurz nach eurer Hochzeit verstirbt“, raunt er mir zu, als er die Distanz zwischen uns mit harten, schweren Schritten überbrückt. „Und was für ein Zufall, dass auch sein Bruder erst kürzlich verstorben ist, was euch zur direkten Nachfolgerin macht.“
    „Wollt ihr mir etwas sagen, Lord Alistair?“, zwitschere ich. „Nur zu. Ich bin mir sicher, dass sich diese Art von Problemen mit einem netten Plausch aus dem Weg räumen lassen. Und wenn nicht, dann bleibt ja immer noch der Henker, nicht wahr?“
    Als ich ihn anstrahle, ein wundervolles, unschuldiges Lächeln, da weicht jede Farbe aus seinem Gesicht.
    „Es ist noch nicht vorbei!“, prustet er atemlos, die Worte hervor gepresst als bereiten sie ihm Mühe.
    „Das stimmt“, antworte ich und lege meine Hand zärtlich auf seine bleichen Wangen. Als ich mich herunterbeuge beginnt er zu zittern. „Es ist erst dann vorbei, wenn ich meine Krone trage. Und, oh, Schreck. Wo wir gerade davon reden… Sir Lance?“
    Der Schwarzhaarige, der bisher an der Seite gestanden hat und versuchte, nicht zuzuhören, richtete sich sofort auf.
    „Würdet ihr mich zum Thronsaal begleiten?“
    Ich hake mich bei ihm ein, als er mir seinen Arm anbietet.
    „Auf Wiedersehen, Lord Aster“, raune ich dem kleinen Adeligen zu. „Und ich bin mir sicher, dass dieses Wiedersehen sehr erfreulich wird.“


    Ich liebe den Thronsaal. Die hohen Decken, besetzt mit Fresken tobender Schlachten und rauschender Feste, Marmorsäulen, die sich in die Höhe schrauben, rot leuchtende Teppiche und Fenster, die die glänzenden Fliesen in ein Meer aus Silbern verwandeln.
    Jetzt ist er gefüllt mit Menschen, gekleidet in Rüschen, Schleifen und Spitze, Seide und Satin, ein buntes Heer aus Schachfiguren, die mich mit aufgesetztem Lächeln still beglückwünschen.
    Es ist still im Saal, eine Anspannung liegt in der Luft und dämpft alle Geräusche, wie die Erde das Geschrei eines Menschen.
    Ich schreite durch ihre Mitte, alle Blicke ruhen auf meiner Gestalt, die sich langsam vorwärts bewegt, hoheitlich und anmutig, die Augen auf den Schatz gerichtet, den sie so lange erseht hat.
    Es spielt keine Musik, denn heute ist kein fröhlicher Anlass. Ich habe Trompeten und Posaunen verboten. Sie nahmen an, ich täte es aus Respekt gegenüber meinem toten Gatten.
    Doch ich verbat es, weil sie nicht feiern sollten. Weil es für sie keinen Grund zum Feiern gibt.


    Bei jedem Schritt pocht mein Herz. Die Gesichter um mich herum verschwimmen, meine Sicht ist getränkt in Farben und Licht.
    Dort vorne wartet sie. Wartet auf mich.


    „Ihre Majestät, Königin Elisabetha Luciana Katharina.“
    Es ist nicht mein Name, doch meine Schachfiguren wissen es nicht.
    Ich lächele dem alten Geistlichen zu. Auch uns verbindet eine gewisse Vergangenheit. In seinen Augen glänzt das Wissen um mich.
    Ich beuge mich herab, sinke auf meine Knie und falte die Hände vor meiner Brust, den Blick andächtig zur Decke erhoben, wo zwei Jünglinge die Schwerter kreuzen. Dunkles Blut sickert aus ihren Wunden. Blut, das die Erde wieder fruchtbar machen wird.
    „Schwörst du, dass du alles in deiner Macht stehende tun wirst, um dieses Land in eine Zukunft voll Glück und Ehre zu führen, mein Kind? So antworte mit ‚Ja, so wahr mir Gott helfe‘.“
    Ich öffne den Mund, die Augen geschlossen.
    „Ja“, spreche ich laut und deutlich. Das Herz in meiner Brust rast vor Aufregung und Begierde. „So wahr mir Gott helfe.“
    „So nenne ich dich bei deinem Titel, Königin Elisabetha Luciana Katharina, auf dass du regieren wirst mit Anstand und Würde.“
    Ich spüre das Gewicht der Krone auf meinem Kopf, als er sie langsam auf mein Haupt setzt. Spüre die Kälte die von ihr ausgeht, die Schwere, die nun auf mir lastet.
    Langsam öffne ich meine Augen und richte mich auf, mit einer einzigen, geschmeidigen Bewegung, drehe mich um und blicke in die Gesichter meiner Untertanen.


    „Lang lebe die Königin!“, verkündet der Geistliche hinter mir.


    „Lang lebe die Königin!“, rufen die Menschen.


    Ja. Lang, sehr lang lebe die Königin.
    Und schnell brenne ihr Reich.
    [subtab=II.]
    Schon wieder ein Gedicht. Und diesmal war ich genauso erfolgreich, haha, und wieder hat es mich sehr gewundert.
    Mein Fokus lag bei diesem Gedicht vor allem auf dem, was ich am Schreiben so mag: Das Erschaffen eigener Welten. Es braucht nur ein paar Worte und etwas Vorstellungskraft und schon können wir das tun, wozu wir Lust haben, egal wie abwegig es eigentlich ist. Das fasziniert mich am Schreiben, und deswegen liebe ich auch Bücher sehr.



    Feder, Tinte und Papier


    Mit dem Heer bin ich geritten,
    in der Hand die Feder,
    kam mit großen Schritten
    dem Abgrund immer näher.


    Reiste Seite an Seite
    mit Elfen, Feen, Kriegern,
    als ich die Geister befreite,
    mit einem Tintenstrich.


    Lag im dichten Gras,
    hinein gemalt in meinen Kopf,
    als ich in den Wolken las,
    die Letter auf blauem Papier.


    Keine Grenze tut sich auf,
    wo mein Stift das Blatt berührt.
    Niemand stoppt mehr meinen Lauf,
    meine Welt erscheint vor mir.


    Und diese Welt ist aus Papier,
    aus Wörtern und Tinte gemacht.
    Die Letter sind die Zier,
    von meinem Wunderland.


    Doch lege ich sie einfach fort
    vergesse ich schnell meine Welt,
    denn schließlich war dieser Ort,
    nur ein Traum auf meinem Papier.

    [subtab=III.]
    Jaaaa, das Märchen. Letztlich wollte ich einfach zu viel in den Text hineinbringen. Ohne Wortbegrenzung wäre das wohl auch besser aufgegangen, so musste ich knapp 200 Wörter irgendwie wieder herauslöschen, weswegen meiner Meinung nach der Text etwas gelitten hat. Aber das Problem habe ich ja sowieso immer. :D
    Allgemein bin ich aber recht zufrieden, immerhin habe ich es geschafft, ziemlich viele Merkmale mit in den Text hineinzubekommen. :) Das Ganze erinnert mich aber irgendwie an The Legend of Zelda, haha. :D



    Der Stählerne Krieger


    Es war einmal vor langer Zeit,
    ein grausamer König und ein Land voll Leid.


    Das Land war versteckt in den Bergen, vor Menschenaugen geschützt, und sein König war älter als die Berge selbst. Monargoras, so nannte sich das alte Pokémon, regierte sein Reich mit eiserner Entschlossenheit. Es ließ nicht zu, dass die Pokémon das Land verließen, und nahm in Kauf, dass sie Hunger litten und froren. Denn es herrschte Winter im Reich, eine ewige Kälte, die die karge Landschaft in ein weißes Leichentuch hüllte und niemand glaubte mehr, dass der Frühling je zurückkehren würde. Seit Monargoras vor vielen Jahren die Königin des Waldes, Xerneas, attackiert hatte, verwehrte sie ihm und all seinen Untertanen als Strafe den Frühling. Doch so sehr die Bürger auch baten und flehten, Monargoras schwor sich lieber zu sterben, als sich bei der Monarchin zu entschuldigen.
    Und so versank das Land in Armut und Angst. Einige Pokémon versuchten, in das angrenzende Waldkönigreich zu fliehen, doch die Wachen des Königs waren stark und wachsam, sie attackierten alles, was sie sahen und nichts hielt ihrer unerbittlichen Stärke stand.
    Doch die Verzweiflung der Untertanen trieb sie zu gefährlichen Taten. Einige fielen ihrer Verzweiflung zum Opfer, andere schafften es in einem günstigen Moment zu entkommen und flohen in den Wald. Dort riefen sie die Königin um Hilfe an.
    „Bitte, Königin Xerneas“, flehten die Pokémon des Berges. „Gebt uns unsern Frühling zurück! Das Land ist karg und die Kälte bringt uns um.“
    Doch Xerneas, so sehr ihr Herz beim Anblick der abgemagerten Wesen auch schmerzte, verneinte.
    „Erst muss Monargoras um Verzeihung bitten“, grollte sie. „Er hat sein Reich in Chaos gestürzt, als er mich attackierte. Das kann und werde ich nicht vergessen.“


    Doch je mehr Pokémon sie anflehte, je mehr der jämmerlichen Geschöpfe ihren Weg fanden und von den grausamen Umständen des Landes erzählte, desto weicher wurde Xerneas Herz. Sie hielt es kaum aus, die Pokémon zu sehen, deren Körper nur noch aus Haut und Knochen bestanden. In ihren Augen erblickte die Königin Trauer und Angst.
    „Nichts wird diesen Tyrannen zur Vernunft bringen“, sagte sie zu sich selbst. „Dieses Land braucht einen anderen Herrscher. Doch wen?“
    Xerneas grübelte und grübelte, doch lange Zeit fiel ihr keine Person ein. Keiner ihrer Untertanen würde dazu geeignet sein. Also beschloss sie, zu warten.
    „Wenn ein Pokémon kommt, das zu regieren fähig ist, so wird es mit meinem Segen auf den Thron des Berglandes steigen und dem Königreich wieder Frieden bringen.“


    Es kamen zahlreiche Pokémon, die von ihrem Versprechen gehört hatten. Sie alle wollten sich Monargoras stellen, doch in keinem sah Xerneas das Wesen, welches eines Königs würdig war. Doch stellte sie ihnen dennoch drei Aufgaben. Die Pokémon versagten und wurden nie wieder im Königreich gesehen.
    Eines Tages im dritten Jahr kam ein weiterer Anwärter.
    „Meine Königin“, sagte es, als es auf die Lichtung des Waldes schritt, welche Xerneas als Thron diente. „Ich hörte, dass ihr jemanden sucht, der Monagoras besiegt und an seiner Stelle das Bergland anführt.“
    „Das stimmt“, bestätigte die Königin. Der Fremde war ein kleines Wesen, dünn und schmächtig. Es wirkte ausgezehrt, aber die Narben an seinem Körper zeigten eine gewisse Kampferfahrung. „Willst du dich dieser Aufgabe stellen?“
    „Ja, meine Königin“, antwortete das Pokémon mit festem, entschlossenem Blick.
    „Warum denkst du, dass du geeignet bist, Monargoras zu bekämpfen?“, fragte Xerneas. „Du bist klein und scheinst nicht sehr stark zu sein.“
    „Ich bin zwar klein, doch ich bin schnell“, erwiderte der Anwärter. „Ich habe viele Kämpfe geschlagen mit Pokémon, die größer waren als ich. Und alle habe ich besiegt. Ich werde nicht scheitern, das schwöre ich.“
    Xerneas nickte und wies eine ihrer Zofen an, dem Fremden die Karte zu geben, die ihn zu den Prüfungen führen würde. Er wandte sich mit einem Dank um und wollte gehen, da sprach ihn die Königin noch ein letztes Mal an.
    „Wie ist euer Name?“, fragte sie.
    „Gladiantri“, antwortete das Pokémon mit den Klingenhänden. Dann war es verschwunden.
    „Viel Glück“, sprach die Königin, auch wenn Gladiantri sie schon längst nicht mehr hören konnte. Xerneas überlegte noch lange, ob es ein Fehler gewesen war, dieses kleine Pokémon geradewegs in sein Verderben zu schicken. Aber etwas an seinen Augen hatte ihr das Gefühl gegeben, dass Gladiantri es schaffen könnte.
    „Viel Glück“, wünschte sie noch einmal leise. „Viel Glück.“ Es würde es gebrauchen können.


    Gladiantri kämpfte sich durch den tiefen Wald des Reiches. Mit jedem Schritt wurde die Umgebung dunkler, denn das Blätterdach über seinem Kopf war so dicht, dass es alles Licht verschluckte. Das kleine Pokémon konnte die Hand schon nicht mehr vor Augen sehen, da erhellte plötzlich ein Lichtblitz die gesamte Umgebung. Mit einem Schrei schloss das Pokémon die Augen und wagte es erst wieder, sie zu öffnen, als ihn jemand rief.
    Der Wald war verschwunden und Gladiantri stand nun in der Mitte einer Lichtung. Vor ihm schwebte ein Wesen, das aussah wie eine Fee, die sich an einer Blume festhielt.
    „Willkommen zur Prüfung der Klugheit“, sprach das Pokémon und tänzelte um seinen Gast herum. „Mein Name ist Flabébé.“
    Gladiantri nickte nur und wartete darauf, dass das Pokémon ihm seine Aufgabe erklärte.
    „Spielen wir etwas Verstecken!“, rief das kleine Feen-Pokémon aber nur aus.
    „Verstecken? Das erscheint mir nicht wie eine Prüfung, um meine Klugheit zu testen“, wandte Gladiantri ein.
    „Ich werde mich in einem von zwölf Blumenbeeten verstecken“, erklärte Flabébé. „Du hast drei Versuche, mich zu finden. Und weil dies die Prüfung des Klugheit ist, werde ich dir einen Tipp geben: Ich verstecke mich dort, wo sich die zwei Freunde niemals gegenüber stehen.“
    Dann leuchtete das Feld auf und als Gladiantri wieder sehen konnte, waren rund um es herum zwölf Büsche mit lauter bunten Blüten aufgetaucht, wohingegen das Flabébé verschwunden war.
    „Was nun?“, fragte sich das Pokémon. „Woher soll ich wissen, wo es sich versteckt?“ Es wusste nichts mit dem Hinweis des Wesens anzufangen, Auf dieser Wiese gab es keine Freunde, denn er war ganz alleine.
    Letztlich entschloss sich Gladiantri, sein Glück zu versuchen. Er ging zu einem Busch, der rechts von ihm stand und schaute hinein.
    Doch Flabébé war nicht dort. Noch zwei Versuche blieben.
    Gladiantri wählte nun den Busch, der südwestlich von seinem Ausgangspunkt gelegen war. Er schob die Blätter beiseite.
    Doch auch hier war Flabébé nicht. Nur noch ein Versuch.


    Es verging ein Tag und eine Nacht, in der Gladiantri nur schwieg und dachte. Die Sonne ging vor seinen Augen auf, wanderte über den Horizont und verschwand wieder. Und da öffnete es die Augen und ging geradewegs auf den Busch im Norden zu. Es schob die Blätter beiseite.
    Und dort war Flabébé und lächelte ihn an.
    „Die Sonne und die Erde“, sagte der Krieger. „Zwölf Büsche, und die Sonne ist nur im Norden niemals zu sehen. Dort stehen sich Sonne und Erde nicht gegenüber.“
    „Sehr gut!“, frohlockte Flabébé. „Du hast die Prüfung bestanden.“
    Bevor sich Gladiantri von der kleinen Fee verabschiedete, reichte ihm diese eine Blume aus dem nördlichsten Busch. Sie sagte, es wäre ein Beweis dafür, dass er die Prüfung bestanden hatte.
    Dann leuchtete die Lichtung wieder auf und als der Krieger die Augen endlich öffnen konnte, stand er an einem kleinen See, den er zuvor noch nicht gesehen hatte.


    Die nächste Prüfung sollte entlang des Flusses finden, der in den See mündete. Gladiantri folgte dem Verlauf bergaufwärts, doch die Sonne stand hoch am Himmel und die Hitze erschwerte den Weg. Es wusste, er dürfte keine Zeit verschwenden, doch als er keinen Schritt mehr schaffte, setzte sich das Pokémon an den Flusslauf um eine kurze Rast zu machen. Gladiantri beugte sich über das Wasser und trank.
    Auf einmal explodierte die Oberfläche des Flusses. Wasser spritzte in die Höhe und sofort sprang Gladiantri zurück. Im seichten Nieselregen entdeckte es eine lange, blau geschuppte Wasserschlange, mit riesenhaften Fängen und wütenden, roten Augen.
    „Wer wagt es, aus meinem Fluss zu trinken?“, grollte das Pokémon und seine Stimme ging dem Krieger durch Mark und Bein. „Wer wagt es, sich mit dem großen Garados anzulegen?“
    „Das bin ich!“, stieß das kleinere Wesen aus und trat vor.
    „Du Winzling wagst es?“ Für einen Moment schwieg die Wasserschlange, und im nächsten brach sie in schallendes Gelächter aus. „So klein und winzig und trotzdem wagst du es?“ Die Erde bebte unter dem bellenden Lachen, doch Gladiantri wich keinen Schritt zurück. Es stand vor dem großen Ungetüm, den Blick fest auf seinen Gegner gerichtet. Als dieses bemerkte, dass es nicht floh, egal wie stark sein mächtiger Schweif hin und her schlug, hörte es auf zu lachen.
    „Du wagst es, weiter vor mir zu stehen?“, brüllte es wütend. „Du hast es gewagt mich zu stören und dafür wirst du zahlen!“
    Ohne ein weiteres Wort öffnete die Wasserschlange ihren riesenhaften Schlund und ein Schwall Wasser stieß darauf hervor. Dich Gladiantri war längst ausgewichen und sprang um seinen Gegner herum. Der kleine Krieger war wendig und schnell, ließ über den riesigen, schuppigen Körper des Garados und lockte den Kopf immer weiter vorwärts. Irgendwann allerdings blieb es stehen.
    „Du wagst es, anzuhalten?“, grollte Garados. Sein Kopf kam Gladiantri immer näher. „Das war ein Fehler! Jetzt habe ich dich!“ Es öffnete den Schlund und wollte nach dem Krieger schnappen, doch kam es nicht weiter. Es steckte fest in einer Schlinge seines eigenen Körpers.
    „Du warst so kampffreudig, dass du nicht mitbekommen hast, dass ich dir eine Falle stellte!“, stieß Gladiantri aus, während sich Garados verzweifelt brüllend windete. Doch egal, was es tat, es war viel zu sehr mit sich selbst verknotet, als dass es sich auch nur einen Zentimeter weiter hätte bewegen können.
    „Hilf mir!“, jaulte es entsetzt und panisch. „Wie soll ich denn meinen Fluss bewachen, so wie ich jetzt bin?“
    Gladiantri überlegte.
    „Ich werde dich befreien“, sprach es schließlich. „Aber nur unter der Bedingung, dass du nicht jedes Pokémon angreifst, das daraus trinkt, denn dieser Fluss ist für alle da.“
    Wimmernd stimmte Garados zu und der metallene Krieger machte sich an die Arbeit. Es dauerte lange, doch letztlich war die Wasserschlange befreit und lag erschöpft im Wasser.
    „Gut gemacht“, grollte die Schlange. „Du bist der erste seit langer Zeit, der die Prüfung des Mutes bestanden hat.“
    Gladiantri blickte sie fragend an, doch erhielt er als Antwort nur eine Schuppe, die sich die Bestie aus dem Körper riss und vor ihm auf den Boden legte.
    „Um ein Anführer zu sein, bedarf es nicht nur Stärke. Man muss mutig sein um den Feind zu besiegen, und niemals zurückschrecken.“
    Die Wasserschlange tauchte im Fluss unter, bevor Gladiantri etwas sagen konnte, und war verschwunden.
    Als es auf die Karte blickte, hatte sich eine neue Linie darauf eingezeichnet. Und ihm war dieser Ort nur allzu bekannt. Mit den Geschenken der Wächter in der Hand machte es sich auf zum Thronsaal der Königin.


    „Willkommen“, begrüßte Xerneas den Wiederkehrer. „Wie ich sehe, hast du die anderen Prüfungen bestanden.“
    „Ja“, antwortete Gladiantri. „Ich bin beinahe bereit. Wie lautet die letzte Prüfung?“
    Xerneas trat auf den Krieger zu. Sie senkte den Kopf und schaute dem Pokémon in die Augen. Für einen Moment hatte es das Gefühl, dass die Königin seine Gedanken lesen konnte, doch das war absurd.
    Es vergingen Minuten, bis die Herrscherin sich wieder aufrichtete.
    „Du hast die Prüfung des Herzens bestanden“, sprach sie und ihrer Stimme schwang Stolz mit.
    „Wie meint Ihr das?“, fragte Gladiantri verwirrt. Er hatte doch nichts anderes getan, als der Monarchin in die Augen zu sehen.
    „Ich habe in deine Vergangenheit geblickt“, erklärte sie. „Du warst einst einer der Kriger von König Monargoras. Du warst ihm treu ergeben und hast viele grausame Dinge getan, weil er es dir befahlr.“ Gladiantri senkte den Kopf, als die Erinnerung auf es hereinbrach. Es schämte sich für seine Vergangenheit, doch es wünschte nicht, sie zu vergessen. Die Bilder würden ihn immer an seine Fehler erinnern und dafür sorgen, dass er sie nicht wiederholte.
    „Und genau deswegen bist du geeignet.“ Xerneas schien auf seine Gedanken zu antworten. „Wir werden uns aufmachen und Monargoras Handlanger außer Gefecht setzen, damit du Zeit hast, es zu bekämpfen“, sprach die Waldkönigin. Sie senkte ihren Kopf auf die Blüte und die Schuppe, die Beweise für Gladiantris Klugheit und Mut, und sofort erleuchteten die beiden Objekte. Als das Licht schwächer wurde, befand sich in der Hand des Kriegers nur noch ein kleiner Talisman.
    „Dies ist der Waldtalisman. In Zeiten großer Not wird er dir helfen“, sprach Xerneas. Gladiantri nickte und dankte der Königin. Doch innerlich war es schon in Gedanken bei Monargoras. Es schwor sich, den Monarchen zu stürzen, egal was es auch kosten möge.


    Die Waldarmee überrumpelte die Wachen der Berge. Es waren zu viele, als dass die Wächter sie alle hätte aufhalten können. Und so gelang es Gladiantri über die Grenze zu treten. So schnell wie nie zuvor stürmte es die Berge empor.
    Der Krieger wusste, dass er Monargoras im Thronsaal finden würde. Als es eintrat, schien der alte König nicht überrascht.
    „Ich wusste, ich hätte dich töten sollen“, knurrte das Urwesen missgelaunt. „Ein dreckiger Deserteur will mich stürzen. Aber du bist klein und schwächlich. Ich werde dich zerquetschen!“
    Und so begann der Kampf. Monargoras war groß und stark, aber zu langsam um den wendigen Krieger zu treffen. Es griff immer wieder an, aber Gladiantri wich aus und attackierte den schwerfälligen König. Doch seine Attacken nützten kaum etwas gegen den uralten König, denn seine Haut war wie aus Stahl und die Klingen des Kriegers prallten daran ab.
    Sieben Tage und sieben Nächte kämpften die Kontrahenten gegeneinander. Sie waren erschöpft, doch Stolz und Wut trieben sie weiter an.
    „Bist du schon am Ende?“, grollte Monargoras abfällig.
    „Niemals!“, rief Gladiantri, doch ging es in die Knie. Der Monarch lachte und stapfte auf den Krieger zu. Es wollte ausweichen, doch sein Körper war am Ende seiner Kräfte. Jedes Zucken schmerzte.
    Es wollte noch nicht aufgeben, doch je näher das riesenhafte Pokémon kam, desto mehr schrumpften seine Hoffnungen und sein Mut. Vielleicht war es doch niemals dafür geeignet gewesen, den König zu stürzen.
    „Es tut mir Leid“, murmelte der Krieger mit erstickter Stimme.
    Als Monargoras‘ Schweif auf ihn niedersauste, begann der Talisman um seinen Hals zu leuchten. Das Licht hüllte Gladiantri ein, schickte pulsierende Energie durch seine Adern.
    Es fühlte sich stärker und größer, mächtiger und voller Kraft, als das Licht verebbte. Die Klingen an seinen Händen waren größer geworden und seine Muskeln stärker.
    Monargoras stieß einen erschrockenen Schrei aus.
    „Wie kann das sein?“, jaulte der König und wich zurück, als der Krieger auf ihn zukam.
    „Mit Xerneas Segen“, sprach das Pokémon mit neuer, kräftigerer Stimme. „Und nun stell dich mir oder verschwinde für immer aus meinem Königreich!“
    So schnell seine mächtigen Beine es tragen konnte, eilte Monargoras davon, von Angst und Schmerz erfüllt.


    Ein Jahr verging, in welchem der Frühling zurückkehrte. Der neue König sorgte sich gut um sein Volk und alle liebten ihn für seine Klugheit, seinen Mut und sein freundliches Gemüt. Jeden Abend feierten sie ihre Freiheit und ihr gutes Leben und sangen seinen Namen: „Hoch lebe König Caesurio!“


    Und wenn er nicht gestorben ist,
    dann führt er das Königreich noch heute zu immer neuem Glanz.

    [/tabmenu]

  • Huhu Cáithlyn ^^
    Ich bin eben über dein Topic gestolpert, als ich ein wenig durch den Bereich hier gestreift bin und dachte mir, wo ich schon hier bin kann ich dir auch gleich einen Kommentar hinterlassen. Erwarte nur bitte nicht zu viel von mir, ich sehe mich selbst als absoluten Anfänger, was das Kommis schreiben im FF-Bereich angeht, aber gut, ich will jetzt hier auch nicht um den heißen Brei herum reden und komme direkt zur Sache.


    Ich habe mich bisher noch nie wirklich mit Gedichten beschäftigt, weswegen ich mit deine Kurzgeschichte Cogito ergo sum ausgesucht habe.


    Mal angefangen mit dem Titel. Ehrlich gesagt musste ich erstmal googlen, was er überhaupt bedeutet. da ich glaube ich gerade mal ein halbes Jahr Latein hatte und davon rein gar nichts mehr weiß, haha. Jedenfalls habe ich durch die liebe Suchmaschine Google herausgefunden, dass es sich dabei um ein Zitat des Philosophen René Descartes handelt und es sich dabei um den ersten Grundsatz von eben diesem handelt. Ich hab' erstmal eine Weile gebraucht, bis ich verstanden habe, was der Satz bedeutet, wobei ich mir dabei nicht mal ganz so sicher bin. Ich schließe daraus, dass dieser Philosoph eine lange Zeit an seiner eigenen Erkenntnisfähigkeit gezweifelt hat und dadurch, dass er nicht an seinem zweifelndem Ich nicht mehr weiter zweifeln kann versucht hat seine Erkenntnisfähigkeit wieder aufzubauen. Klingt für mich alles noch sehr komplex, was wohl daran liegen kann, dass wir diesen Philosophen in der Schule noch nie durchgenommen haben, aber ich hoffe einfach mal, dass ich die Bedeutung hinter dieser Aussage wenigstens ansatzweise verstanden habe. Gut, daraus erschließt sich für mich jetzt natürlich nicht sofort, wie die Story in deiner Kurzgeschichte aussieht und wenn ich ehrlich bin habe ich nach dieser "Erkenntnis" immer noch nicht ansatzweise eine Ahnung, worum es in deiner Geschichte gehen könnte, lol. Aber ich mag den Titel, das muss ich zugeben. Ich mag so was ja, wenn man sich Zitate von Philosophen raus sucht und dann dazu eine eigene Geschichte schreibt, wirkt auf mich ziemlich tiefgründig und gut überlegt, was man bei der Titelwahl ja in meinen Augen sowieso machen sollte, statt einfach einen random Titel dahin zu klatschen. Insgesamt wirkt der Titel auf mich halt wirklich sehr komplex, wo man vielleicht erstmal ein fettes Fragezeichen vor dem Kopf hat und gar nicht weiß, was man damit anfangen soll, außer nach der Bedeutung zu suchen. Erst gegen Ende der Kurzgeschichte hat es bei mir dann Klick gemacht, worum es wirklich geht, aber das erläutere ich gleich mal näher.


    Ich war erstmal begeistert vom Schreibstil. Den Wortschatz, den du in diese Kurzgeschichte gesteckt hast finde ich echt beeindruckend, weil ich selbst beim Lesen nie auf solche Formulierungen gekommen wäre. Während des Lesens hat man dieses Zweifeln gespürt, was das Mädchen immer wieder in Besitz genommen hat, ob es wirklich richtig war dem Jungen hinterher zuspringen und dabei sein eigenes Leben herzugeben. Allerdings wusste ich nie wirklich, ob die beiden Personen noch am Leben, oder mit Selbstzweifel noch in einer Schwelle vor dem Tod verweilen. Wieso ist das Mädchen einem Fremden hinterher gesprungen? Waren ihr die Gefahren nicht bewusst? Diese Fragen habe ich mir noch sehr oft gestellt, weil sich aus meinen Gedanken einfach nicht herauskristallisiert hat, welchen Grund sie dafür hatte. Ich fand es dann zwischen drin dann doch sehr skurril, dass der Junge seinen Tod mit Humor nimmt und immer mal wieder Witze darüber macht, während das Mädchen vor ihrem Gedenkschrein sitzt und sich womöglich fragt, ob es die richtige Entscheidung war ihr Leben für diesen einen Jungen zu riskieren. Man spürt diesen großen Unterschied zwischen den zwei Charakteren, dem einen ist es egal, ob er nun tot ist oder nicht und die andere bereut es wiederum diesen einen Schritt gemacht zu haben und nun in einer vollkommenen Welt von Kälte und Tod festzusitzen. Durch diese Selbstzweifel, die das Mädchen plagen, ergab sich dann auch immer mehr die Verbindung zum gewählten Zitat, das ja auch als Titel fungiert. Man fragt sich, wieso die beiden immer noch an dem Ort festsitzen, an dem sie ihr Leben verloren haben. Mein Gedanke war da, dass beim Mädchen eben diese Selbstzweifel daran Schuld sind und sie nicht mit ihrem früheren Leben abschließen kann bzw. es nicht akzeptiert, dass sie für einen fremden Jungen in die Fluten springt, sich dabei an einem Felsen verletzt und erbärmlich ertrunken ist. Obwohl die beiden sich eigentlich fremd sein sollten, hatte ich immer das Gefühl, als wären sie sich schon vertrauter, als sie eigentlich denken. Zwischendurch fand ich wie gesagt diese Stellen recht amüsant, wo sie sich über den eigenen Tod lustig machen und das ganze so sehen, als wäre alles nur ein schlechter Scherz (das hat btw. bei mir diesen vertrauten Eindruck erweckt). Da merkt man auch, dass sich zwischen den beiden schon eine gewisse Bindung aufbaut, wobei das aber auch irgendwie verständlich ist, wo die beiden die einzigen sind, die sich an diesem Ort aufhalten.Das Ende fand ich dann ehrlich gesagt ziemlich süß, vor allem das, dass beide anfangen wieder Wärme zu spüren, nicht mehr den kalten Tod und die Ensamkeit. Da kam es für mich aber auch irgendwie überraschend, dass der Junge Gefühle für sie entwickelt hat und ihr diese auch gleich gesteht.
    Insgesamt fand ich die Kurzgeschichte wirklich schön und gefühlvoll geschrieben, gab wirklich Stellen, wo ich ins Lesen vertieft war und meine Musik im Hintergrund gar nicht beachtet habe. Verdienter erster Platz würde ich mal sagen.


    Als hätte sie schon immer zusammengehört.

    Ansonsten hier noch ein kleines Fehlerchen, was mir aufgefallen ist. Sollte glaube ich "hätten" heißen, oder?


    So, ich hoffe ich konnte dir mit meinem Kommentar ein wenig weiterhelfen, auch wenn ich wie gesagt kein Experte auf diesem Gebiet bin. :3

  • Salut. :)
    Ich hatte mir jetzt schon so lange vorgenommen, einen kurzen Kommentar zu deiner Wettbewerbsabgabe "Wenn ich springen würde..." zu verfassen, was ich durch Klausuren, Facharbeit, Freunde, etc. irgendwie immer aufschieben musste. Da der Text von den Werken, die ich noch zu kommentieren habe, mit deutlichem Abstand der Kürzeste ist, schiebe ich den jetzt einfach mal dazwischen. Wird aber auch nicht so viel Kritik, also keine Angst.
    Zunächst einmal bin ich auf deine Abgabe gestoßen, als ich alle meine Platzierungen in meinem Profil verlinken wollte. Spontan kam mir der Gedanke, auch die jeweils besten Texte zu überfliegen und "Wenn ich springen würde..." hat mich dann doch irgendwie so sehr bewegt, dass ich hier einen Kommentar hinterlassen wollte.


    Gerade zu Beginn ist auffällig, dass die Kurzgeschichte relativ realistisch geschrieben wurde, zumindest könnte ich den Anfang so auch auf mich übertragen, was wahrscheinlich auch der Grund war, warum sie mich sofort angesprochen hat. Sowohl die Beschreibungen der Gedanken von Dave, als auch die Dialoge an sich, wirkten authentisch und echt. Insbesondere die Fragestellung an sich, welche auch im Titel aufgenommen wurde, ist aus meiner Sicht sehr interessant, weil man dazu inspiriert wird, darüber nachzudenken, was man selber antworten würde. Das "Hm" als kurze, abweisende Antwort gefällt mir auch sehr, weil die Protagonistin eben kurz über eine mögliche Antwort nachdenken muss. Zudem wird auch ihr Charakter ziemlich deutlich, da sie auch zuvor eher knapp antwortet.
    Anschließend wird es schon relativ dramatisch, wobei ich auch das nicht so schlimm finde. Natürlich wirkt das Ende etwas unrealistischer, wobei es gerade im Bezug zum Thema das Wettbewerbs passender ist, als ein möglicher Sprung, der im Tod enden würde. So gesehen also nichts Negatives.
    Viel mehr stört mich, die zum Ende auftretende Hektik im Schreibstil. Alle Aktionen wirken sehr schnell und unruhig. Natürlich kann das in Verbindung zum schnelleren Geschehen gesetzt werden, aber ich denke eher, dass hier die Wortbegrenzung die Ursache war. Vielleicht hätte man also auch eine etwas längere Variante (zumindest in diesem Topic) präsentieren können, um das zu umgehen.
    Ansonsten gefällt mir das Thema aber wirklich sehr und sprachlich habe ich nichts auszusetzen. Ziemlich am Anfang des zweiten Absatzes ist mir jedoch die Stelle "beim andere Abschreiben" aufgefallen, die eventuell noch verbessert werden könnte.
    Wie gesagt, leider habe ich nicht so viel Zeit, dass ich hier auch schon wieder aufhöre. Auf so eine Idee zu kommen, ohne selbst in einer ähnlichen Situation zu sein, oder zumindest gewesen zu sein, finde ich wirklich toll. Vom generellen Thema und der Umsetzung ist es einer der schönsten Texte, den ich in der letzten Zeit gelesen habe.


    Na ya, das war es dann auch schon. Morgen eine Deutschklausur. Falls mir im Nachhinein noch etwas einfällt, editiere ich das, weil es doch irgendwie ziemlich wenig Text wurde. :)
    ~ Flocon

  • Hallo Dandelion,


    einer bestimmten Meinungsreihe zufolge habe ich mich dazu entschlossen, dein Topic einmal anzusehen und wow, du weißt ja gar nicht, wie überwältigt ich bin! Wer könnte auch schon mit so einer reichen Auswahl an Geschichten rechnen, eine besser oder interessanter als die andere und noch dazu hast du alles so wunderbar gestaltet, dass man meint, man könne an allen Ecken und Enden noch etwas Neues entdecken. Wie ein kleines Wunderland, wenn man so möchte und das ist eigentlich auch schon das Stichwort, denn spontanerweise werde ich dir genau zu dieser Geschichte etwas Kritik hinterlassen.


    Ich war ja doch etwas überrascht, als ich den Titel "Wunderland" las und dann vornehmlich Eindrücke aus unserer Welt vorgesetzt bekam. Allerdings ist gerade dieser eine Punkt wieder so ein Geniestreich, der einem wohl nur unter bestimmten Umständen einfallen kann und dieser macht die Geschichte auf seine Weise einzigartig. Normalerweise verbindet man mit dem Wunderland immer eine bunte Welt; hier ist es allerdings dreckig, eintönig und ständig das Selbe vom Selben. Was das Setting angeht, bleiben kaum Wünsche offen. Interessanterweise heißt die Protagonistin Alice, quasi um das Bild der eigentlichen Vorlage zu wahren, jedoch wird das anfangs noch eher bedeckt gehalten, da du von "der Alice" sprichst, als würde sie selbst noch nicht an dieses Wunderland glauben, sich aber trotz Allem bewusst distanzieren. Genau diese Abneigung gegenüber der monotonen Welt spürt man permanent und so ist man als Leser versucht, darüber nachzudenken, wie es wirklich in solch einer Großstadt abläuft. Wenn man genauer überlegt, besteht dort gegenüber alles und jedem Intoleranz und Ignroranz, allerdings kann man das so kaum verallgemeinern, denn das ist meist auch die beste Möglichkeit, sich irgendwie fortzubewegen, indem man seinem Ziel folgt. Und das hatte Alice eigentlich auch vor, ansonsten wäre sie nicht dort. Da wir schon bei Integrität sind, dadurch, dass sie plötzlich anfängt, Musik zu hören, zeigt sie im Prinzip selbst ihre Ignoranz gegenüber alles und jedem und integriert sich damit selbst unbeabsichtigt für kurze Zeit dem bunten Treiben. Ob das nun beabsichtigt war oder lediglich zum Nachdenken, das soll hier aber nicht von Belang sein.
    Bemerkenswert sind ab diesem Punkt allerdings die Gedankenspiele um Leben und Tod und besonders die fünf Phasen der Todesverarbeitung sind mir dabei entscheidend aufgefallen. Schließlich beleuchten sie dieses Treiben wohl besser, als es je irgendein Erlebnis schildern könnte und da ist es schade, dass du dich eigentlich nur auf die Akzeptanz gestürzt und diese weiter erwähnt hast. Ich könnte mir vorstellen, dass Alice auch einmal in diesem Kreis des Vergessens gefangen war und hier wäre, neben dem offensichtlichen Ausbruch aus der Realität gegen Ende, ein charakterspezifisches Ereignis gut gewesen, um ein besseres Bild von ihrer Vorstellung zu bekommen. Im Grunde ist die Akzeptanz dieser Welt bereits ihr eigenes Urteil, wie sich während des Lesens herausstellt, nur wird das meines Erachtens zu kurz und oberflächlich angegriffen.
    Ihrem kämpferischen Charakter hat Alice schließlich zu verdanken, dass sie sich fortbegibt, raus aus der monotonen Realität, um die Schönheit des wahren Lebens festzustellen. Das ist ein netter Zug, wenn man überlegt, dass ausgerechnet die Natur das meiste Leben mit sich bringt. Allerdings, auch hier wieder die Musik; sie endet zwar, um der Stille zu weichen, allerdings wirkt es etwas aufgesetzt. Auch das Ende ist nicht perfekt und so finde ich es schade, dass du das letzte Bild mit dem Sonnenuntergang, dem Schiff auf dem Meer und überhaupt diesen wunderbaren Sinneseindrücken relativ kurz abgehandelt hast, um schließlich wieder Alice zu weichen, die wieder mehr über ihr Schicksal und ihre Aufgabe spricht. Dass der größte Teil der Geschichte das Aussehen der Stadt ausgemacht hat und der eigentliche Clou der Natur eher nebenbei eingeflossen ist, ist wohl dein größte Schnitzer, denn, auch wenn man als Leser die Botschaft sicher versteht, so fühlt man sich bzw. fühlte ich mich zumindest etwas alleingelassen, als es plötzlich vorbei war.
    Und so nebenbei, darf ich annehmen, dass das Wort "Resistance" aus dem Französischen kommt? Da bin ich eher geteilter Meinung, ob das so im Text gut klingt und ich würde dir eher zu seinem verwandten deutschen Wort, "Gegenwehr", raten, falls du das möchtest.


    Und so beschließe ich die kurze Kritikrunde. Alles in allem hat mich deine Geschichte, okay, mich haben so ziemlich alle Geschichten hier in diesem Topic beeindruckt, du bist toll! Aber auf "Wunderland" bezogen hast du einen eigentlich guten Ansatz geliefert und auf angenehme Weise eine sehr wahre Botschaft versteckt, die mich durchaus unterhalten hat.
    Von daher belasse ich es dabei und ich hoffe, dass dir die Kritik hilfreich ist. Man liest sich sicher wieder einmal!


    ~Rusalka


  • 5. Juli 2015





    Texte zur BisaBoardOlympiade



    • Kometenschauer (Kurzgeschichte zum Thema "Sterne")
    • Memento Mori (Kurzgeschichte zum Thema "Gut vs. Böse")
    • Wanderer im Wind (Kurzgeschichte zum Thema "Wind")
    • Lieber Julian... (Text zum Video, Thema "Sommer")



    Anderes


    • Midnight Call (Shortstory, Romance)


    [tabmenu]
    [tab=*]
    Oh wow. Über ein Jahr kein Update, das ist schlimm. Ich muss definitiv wieder etwas mehr Zeit zum Schreiben freischaufeln...
    In diesem Update gibts zum einen die ganzen Texte, die ich für die BBO geschrieben habe, zum anderen auch eine Kurzgeschichte, dich ich vor Urzeiten angefangen habe und wohl nicht mehr zu Ende führen werde. Aber das, was ich habe, möchte ich trotzdem mal zeigen, warum auch nicht? Und ich habe sie doch noch zu Ende geführt weil ich es nicht so stehen lassen wollte.


    Vielen lieben Dank an die Kommentatoren, ich habe euch ja allen schon auf anderem Wege gedankt und geantwortet. Zumindest glaube ich das. Wenn nicht, feel free to poke me. (:


    Jetzt aber genug des Geschwätzes- Enjoy!
    Cáithlyn
    [tab= Kometenschauer]
    [subtab=Entstehung]
    Eine Kurzgeschichte zum Thema "Sterne". Ich finde das Thema wundervoll und habe es mir deswegen direkt reserviert. Die Story ist recht kitschig, schätze ich, aber hin und wieder brauche ich sowas auch, haha.
    [subtab=Text]
    Kometenschauer



    „Und das da oben ist Orion.“
    „Wo?“
    „Siehst du die drei Sterne, die direkt nebeneinander stehen? Das ist sein Gürtel.“
    Sein Großvater beugte sich zu ihm herunter. Er hob den Arm Richtung Himmel, einen Finger ausgestreckt. Der wohl vertraute Geruch von Minze stieg dem Jungen in die Nase. Blinzelnd folgte er dem Fingerdeut in den Nachthimmel, der wie schwarzer Samt über den beiden lag. Ein, zwei Sekunden vergingen, dann stieß er einen kleinen Laut aus.
    „Gefunden?“ Das leichte Schmunzeln in der alten Stimme entging ihm nicht. Der kleine Blondschopf nickte eifrig.


    Orion strahlte auch heute noch über ihm. Als er nach oben sah, fand er die drei kleinen Sterne schnell wieder. Sie standen genau an der gleichen Stelle wie damals auch schon. Klein und hell und strahlend. Noch ein paar Schritte durch das hüfthohe Weidegras und er würde bei der großen Eiche stehen, dem schönen, alten Baum, der hier schon gestanden hatte, als sein Großvater noch jung gewesen war.
    Mit seinen Armen teilte er die Gräser vor ihm, setzte einen Schritt vor den anderen. Rund um die Eiche herum war das Grün viel niedriger. Die Umhängetasche glitt von der schlanken Schulter des jungen Mannes hinab zu den mächtigen Wurzeln. Er sah für einen Moment hoch zu den dicht belaubten Ästen, die im sanften Wind leicht wankten. Als er die Augen schloss, spürte er die leichte Berührung der Sommersonne auf seiner Haut.


    „Aber ich mag keinen Käse!“ Er plusterte seine Wangen auf, während er das Sandwich in seiner Hand in Grund und Boden starrte. Die blonden Locken hingen dem Jungen im Gesicht.
    Unwirsch fuhr sein Großvater ihm über den Kopf.
    „Sei nicht so wählerisch“, ermahnte er den Jüngeren. Sein Enkel konnte ein solcher Dickkopf sein. Mit einem lautlosen Seufzer nahm er dem Jungen das Sandwich aus der Hand und überreichte ihm sein eigenes. Dabei mochte er selbst doch auch keinen Käse.
    „Was tue ich nicht alles für meinen kleinen Finn“, sprach er seine Gedanken aus, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Für ihn hatte er immer alles getan.


    Er hatte sich fest vorgenommen, nicht in Erinnerungen zu schwelgen. Weil ihn das traurig machen würde, und das würde sein Großvater nicht wollen. Aber es fühlte sich so gut an, sich in vertraute Bilder zu flüchten. Der Gedanke, dass er nie wieder ein Sandwich mit ihm teilen würde, nie wieder mit ihm in die Sterne sehen könnte… Er war noch nicht greifbar. Schien fern, wie die strahlenden Lichter über ihm.
    Seit sechzehn Sommern war er immer für zwei Wochen zum Haus auf dem Land gefahren, in dem sein Großvater wohnte. Es war eine Tradition geworden und in diesen Jahren war er von einem kleinen, bockigen Kind zu einem erwachsenen Mann geworden. Er studierte in der Großstadt und seinen Großvater sah er nur im Sommer. Schon Wochen vor der Reise hatte er sich immer wieder dabei erwischt, wie er darüber nachdachte, was er ihm erzählen könnte. Großvater war immer da gewesen, ein ruhiger, weiser Zuhörer, dessen Lachen so ansteckend gewesen war wie sonst nichts.
    Dass er ihm jetzt nicht mehr von seinen Fortschritten erzählen konnte, von seinen Freunden und seinem Vater, von seinen Gedanken, Wünschen und Ängsten… Finns Inneres krampfte sich zusammen, wann immer er daran dachte. Und er hatte das Gefühl, dass es niemals ganz aufhören würde.


    „Nächstes Jahr um diese Zeit gibt es einen Kometenschauer“, hatte er dem Älteren im letzten Sommer gesagt. Sein Großvater hatte in den Himmel gesehen, eine lange, lange Weile, mit einem Lächeln auf den Lippen.
    „Den sehen wir uns zusammen an“, sagte er dann und blickte Finn in die Augen. „Abgemacht?“
    Zu gerne hatte sein Enkel die alte, faltige aber warme Hand ergriffen. „Abgemacht.“


    Auf diesen Kometenschauer hatte er sich ein Jahr lang vorbereitet. Ein Teleskop hatte er gekauft, Sternenkarten, Hightech-Kameras, die ein technikversierter Freund ihm empfohlen hatte. Es wären nur noch zwei Wochen gewesen, in Gedanken hatte er die Koffer schon gepackt.
    Da erreichte Finn ein Anruf. Die alte Frau, die schon so lange neben seinem Großvater lebte, die für ihn Kekse und Kuchen gebacken hatte. Mit tränenerstickter Stimme sagte sie ihm, dass Erik nicht mehr am Leben sei. Sie habe ihn heute Morgen gefunden, friedlich schlafend in seinem Sessel. Finn konnte nichts sagen, denn der Gedanke drang einfach nicht zu ihm durch. Er legte mit einem knappen „Verstehe. Danke“ auf, wanderte für einige Minuten ziellos durch die Wohnung und verließ sie dann fluchtartig, um ebenso ziellos durch die Straßen der Großstadt zu ziehen. Erst in der tiefen Nacht fand er sich wieder vor der Haustüre wieder. Was er getan und gedacht hatte, wusste er nicht mehr. In seinem Kopf war nur noch Platz für die Stimme der lieben, alten Dame.
    „Er lebt nicht mehr. Erik ist tot.“
    Aber richtig verstehen konnte Finn es noch immer nicht.


    Und obwohl die Erkenntnis langsam kam, packte er wie gewohnt seine Sachen. Stieg ins Auto, fuhr vier Stunden zum Haus auf dem Land. Öffnete die Tür mit dem Ersatzschlüssel, den sein Großvater ihm mal gegeben hatte, trat hinein und atmete den vertrauten Geruch von Minze, Brot und alten Büchern ein. Da holte ihn die Leere wieder ein. Ziellos wanderte er durch das Haus, strich über den alten Eichenholz-Schreibtisch, an dem sein Großvater immer geschrieben hatte, setzte sich auf das Bett, in das er manchmal gekrochen war, wenn er Albträume gehabt hatte, feuerte den Kamin an, vor dem sie gesessen hatten, wenn es abends kühler wurde.
    Und in der Schublade des kleinen Nachttisches, in dem Raum, der nur für ihn bestimmt war, fand er einen Umschlag. Sein Name stand darauf, in der geschwungenen Schrift seines Großvaters.


    Dieser Umschlag lag jetzt in seiner Tasche, eingeklemmt zwischen Sternenkarten und dem Koffer für das Teleskop. Er hatte sich nicht getraut, ihn zu öffnen. Es ging einfach nicht. Nicht dort, wo sein Kopf so leer war wie der Himmel weit, wo das Gefühl von Tod unterdrückt wurde von warmen Erinnerungen. Warme, wohlige Erinnerungen an die lieb gewonnenen Sommer.


    „Was passiert mit Menschen, die sterben?“
    Es war der dritte Sommer gewesen. In den ersten zwei Jahren nach dem Tod seiner Mutter hatte er sich nicht getraut, diese Frage zu stellen. Er wusste selbst nicht warum.
    Sein Großvater antwortete lange nicht. Der alte, weise Mann sah einfach in den Sternenhimmel, wie immer, wenn er nachdachte.
    „Sie werden zu Sternen“, antwortete er irgendwann schlicht. Finn wollte protestieren. Menschen wurden nicht einfach so zu Sternen, das wusste doch jeder. Aber sein Großvater ließ es gar nicht so weit kommen.
    „Auch wenn sie weg sind“, begann er in der Stille der Nacht. „Auch wenn wir denken, dass sie ganz fern sind, eigentlich sind sie immer bei uns. Genauso wie die Sterne. Unendlich weit weg, so weit, dass wir sie niemals berühren können. Aber ihr Licht können wir beobachten und dann wissen wir, dass sie bei uns sind.“


    Finn lehnte sich gegen die Eiche. Ein grimmiges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Jetzt war auch sein Großvater zu einem Stern geworden, unendlich weit weg von ihm, niemals wieder in seiner Nähe, um ihn zu trösten, um mit ihm zu lachen.
    Der Tod seiner Mutter war schwer gewesen. Er war noch sehr jung gewesen und hatte kaum verstanden, was passiert war. Aber wirklich erinnern konnte er sich nicht an sie. Nur das Gefühl, das etwas fehlte, war immerzu da gewesen. Sie und seine Großmutter waren an der gleichen Krankheit gestorben. Beide waren sie zu Sternen geworden, ohne lange in Finns Leben geblieben zu sein.
    Aber richtig weh tat nur der Tod seines Großvaters. Weil sie so viel verbunden hatte. Bänder, die nichts jemals trennen würde.


    Er blickte kurz auf die Uhr an seinem Handgelenk. Bald war es so weit.
    Sein Blick fiel auf die Tasche, die sich geöffnet hatte. Der blütenweiße Umschlag lugte darauf hervor. Finn starrte ihn an wie eine giftige Schlange. Wollte er den Brief wirklich lesen? Das würde bedeuten, seinen Großvater endgültig an den Sternenhimmel zu verlieren.
    Er rang mit sich, einige Minuten lang, dann hockte der junge Mann sich hin, griff sich eine Taschenlampe und öffnete mit zitternden Händen den Umschlag.


    Er las den Brief einmal, zweimal. Aber erst beim dritten Mal verstand er das Gelesene wirklich.
    Sein Großvater dankte ihm, dass er so viel Zeit mit ihm verbracht hatte, schrieb ihm, dass er glücklich gewesen ist, seinen Enkel zu einem so wundervollen Menschen aufwachsen zu sehen. Aber das, was ihn wirklich rührte, waren die Zeilen am Ende des Papieres.


    Wenn du das hier liest, konnte ich mein Versprechen nicht halten. Ich konnte nicht lange genug bleiben, um den Kometenschauer mit dir zu beobachten. Aber sei nicht traurig, Finn. Denn ich werde einen der Sternschnuppen sein, die nur für dich erstrahlen.


    Als eine einzelne Träne auf das weiße Papier fiel, da zischte der erste Komet durch den Nachtsamt, groß und strahlend. Und als Finn mit einem Lächeln zuließ, dass Träne um Träne über seine Wangen lief, da stellte er sich vor, dass diese erste Sternschnuppe sein Großvater war, der ihn ein letztes Mal tröstete.
    [tab=Memento Mori]
    [subtab=Entstehung]
    Okay, hier bitte nicht so kritisch sein. Dieser Text entstand innerhalb einer Stunde auf eineinhalb am Tag der Deadline, weil kurzfristig abgesagt worden ist. Dementsprechend ist der Text auch nicht allzulang. Die Idee mag ich dennoch. Angelehnt an die große "Pokémonkrieg"-Theorie aus Gelb/Blau/Rot, den Major Bob erwähnt, beschäftigt sich der Ich-Erzähler mit seiner Rolle darin und der Rolle seiner "Feinde".
    Achtung: Tod spielt eine Rolle, so wie es beim Krieg nun einmal bitterer Alltag ist.
    [subtab=Text]
    Memento Mori (Bedenke, dass du sterblich bist)


    Schreie.
    Seit Monaten höre ich nichts mehr als Schreie. Am Morgen, wenn die ersten Attacken unsere Linien erreichen, am Mittag, wenn die Schlacht voll entbrannt ist, am Abend, wenn der Staub sich legt. Wenn wir uns in den Gräben verstecken, die verletzten Körper gegen den harten Dreck pressen und dumpf vor uns herschauen, fallen unsere starren Blicke auf die Erdwälle vor uns. Die ganze Nacht starren wir sie an, bewegen uns kaum. Das Stöhnen unserer Kameraden bewegt uns nicht mehr. Die Schreie sind nur noch Nebengeräusche.
    Ich habe längst aufgehört die Tage zu zählen. Irgendwann hatte ich die Zahl in meinem Kopf einfach vergessen. Dieser Krieg wütet schon viel zu lange. Ich weiß nicht, wie lange er noch andauern wird. Ich weiß nicht, wie er enden wird. Es ist mir egal. Einfach egal, ob wir gewinnen oder Jotho. Ich will nur endlich die Schreie nicht mehr hören müssen.
    Ich zucke zurück, als ich eine Berührung an meiner Schulter spüre. Ein kleiner, trockener Schrei entkommt mir und alle meine Muskeln spannen sich an. Aber es ist nur Glurak. Nur Glurak, sage ich mir. Mein Kamerad, mein letzter. Ich zwinge mein Herz zur Ruhe und lehne mich wieder zurück. Der Drache starrt mich aus stumpfen Augen an.
    Dann bricht er zusammen.


    Ich erschrecke mich kaum, als sein massiger Körper vor mir in den Staub fällt. Ich sehe heißen Dampf aus seinem Maul quellen, sehe seine Krallen rastlos den Boden bearbeiten. Die orangene Haut ist mit Wunden überzogen, blutige Krallenabdrücke, Schnitte, große, schmerzhafte Schürfwunden, alles nur notdürftig versorgt. Aber am schlimmsten hat es seinen Flügel getroffen. Ein großes Loch klafft in der ledrigen Flughaut. Eine Wunde, erlitten im Kugelhagel, die aber niemals wieder heilen wird. Glurak wird nie wieder fliegen können, sagten unsere Sanitäter, als ich es damals zu ihnen brachte. Der Drache probierte es dennoch. Einmal, zweimal, hundert Mal. Aber irgendwann gab er auf. Die Gewissheit machte sich in meinem Pokémon breit. Der Glanz in seinen Augen verschwand. Aber er blieb an meiner Seite.


    Ich drücke mich von dem Erdwall hinter mir ab, krieche kraftlos auf meinen Partner zu. Als ich über seinen kräftigen Hals streiche wird er panisch und schlägt um sich. Die Rückseite seiner Pranke schlägt gegen meinen Arm, aber ich spüre es kaum. Er ist zu geschwächt und ich zu abgestumpft.
    „Ich bin es nur“, raune ich ihm mit meiner staubigen Stimme zu. Glurak erstarrt, als es sie hört. Es dreht den Kopf, legt ihn in meinen Schoß. Vorsichtig lege ich meine Hand auf seine flatternden Augen. Glurak ist müde und erschöpft. Und trotzdem rafft es sich jeden Morgen auf. Weil die Höhergestellten es so wollen. All diese Würdenträger. Drei meiner Kameraden waren ihnen schon zum Opfer gefallen. Drei meiner Pokémon-Freunde, die ich mit in diesen Krieg genommen hatte, diesen sinnlosen, dummen Krieg. Ich hatte sie losgeschickt, auf Geheiß unseres Majors. Aber zurück kamen nur noch ihre leblosen Hüllen. Rasaff, dessen Körper verbrannt war, so stark, dass ich es kaum mehr erkannte, Tauboga, das doch nur einen Brief überbringen sollte, doch vom Donnerblitz eines Elekteks getroffen wurde, nur wenige Sekunden, nachdem es sich in die Lüfte erhoben hatte. Und Maschok... Maschok war einfach nicht mehr zurückgekommen. Gefallen hinter den feindlichen Linien.


    Es ist meine Schuld. Erst wollte ich mich damit herausreden, dass ich es doch nicht habe ahnen können. Aber das war eine Lüge. Eine dreiste, dumme Lüge.
    Ich hätte es wissen müssen, als ich mich für die Armee einschrieb. Als ich die Plakate sah, die überall im Prismania hingen. „Kämpfe für dein Land“ stand darauf, darunter Bilder von mutigen Männern in Uniformen und Pokémon, die stolz neben ihnen standen. Und ich? Ich starrte die Plakate an, träumte davon, endlich meinen Platz zu finden. Träumte davon, dass ich bejubelt wurde, sobald dieser Krieg gewonnen war. Ein Held würde ich sein, strahlend und rechtschaffend und gut. Immerhin waren wir im Recht. Und das Gute siegt doch immer.
    Wie naiv. Wie furchtbar naiv.


    Aber Naivität war ein Luxus, den ich schnell verloren hatte. Als der erste Körper tot neben mir zu Boden fiel und ich erstarrte, direkt in den Lauf eines Gewehrs schauend. Schon damals hätte ich sterben müssen. Aber Glurak war zur Stelle. Es stürzte sich aus der Luft auf den Schützen herunter. Ich erinnere mich an diesen Anblick, wie seine Krallen sich in den Körper des Feindes schlugen. Damals konnte ich nur starren, der Kopf war vollkommen leer. Ein Kamerad zog mich zurück in den Graben und schrie mich an, dass ich lebensmüde wäre. Meine Antwort war ein hässlicher, stinkender Fleck auf seiner Uniform.
    Mittlerweile schockieren mich diese Bilder nicht mehr. Man stumpft ab, so grausam das auch klingt. Wunden, Blut, verstorbene Kameraden. Ich fühle nichts mehr, wenn ich es sehe. Nur eine Kälte, die mir selbst Angst einjagt.


    Ich atme aus. Die Nacht bricht herein, der Staub legt sich. Glurak zittert im Schlaf, aber nicht vor Kälte. Ich bin müde und erschöpft, aber ich habe es aufgegeben, zu schlafen. Die Albträume sind wenig erholsam.


    Ich wollte ein Held sein. Derjenige, der für die Guten kämpft. Aber das hier ist es nicht wert. Das hier war es niemals wert. All die Leben, die ausgelöscht wurden, all die Männer die ich eigenhändig erschoss. Soldaten, die Glurak mit seinem Feuer in Brand steckte. Wie viele hatten wir gemeinsam wohl getötet?… Ich möchte um sie trauern, aber ich kann es nicht. Ich weiß ja nicht einmal mehr, was mich selbst noch am Leben erhält. Die Angst vor dem Tod vielleicht. Die Angst davor, durchbohrt zu werden von einer Kugel, am Boden aufzuschlagen und mir das Genick zu brechen oder bei lebendigem Leibe verbrannt zu werden.
    Ich möchte mich nur noch verstecken hier im Graben. In dem Graben, den wir erobert hatten, nicht lange, nachdem ich hierher versetzt wurde. Feindliche Leiche lagen in ihm, als ich ihn zum ersten Mal betrat, den Kopf eingezogen im Kugelhagel. Sie sahen alle ganz anders aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Viel zu sehr wie ich selbst. Gestopft in eine zu große Uniform, die Gesichter im Schock verzogen. Sie hatten genauso viel Angst vor dem Tod gehabt wie ich auch. Diese kleine, kleine Erkenntnis hätte nichts ändern sollen. Aber das tat sie. Sie änderte alles.


    Was ist schon gut, was ist böse? Warum bekämpfen wir Jotho?
    Weil unser Major es uns sagt. Weil unser Land sagt, dass sie die Bösen seien. Aber warum sind sie das? Was haben sie getan?
    All diese Fragen kamen zu spät. Ich hätte sie mir stellen sollen, bevor ich mich einschrieb. Bevor ich meine Pokémon und mich in den sicheren Tod verfrachtete, aus dem egoistischen Wunsch heraus, ein Kriegsheld zu werden. Bevor ich vor dem ehrenwerten Major Bob salutierte, die Waffen in die Hand nahm und in den Krieg zog. Bevor ich hinnahm, dass sie die Bösen sind.


    Glurak zuckt. Aus meinen Gedanken gerissen schaue ich mich um. Ist das gerade ein Geräusch gewesen? Die Augen des Drachen öffnen sich. Er richtet sich auf, sieht sich um.
    Ich habe mich nicht geirrt.
    Mein Puls rast. Es ist mitten in der Nacht. Der Kampf ruht. Der Feind hat sich zurückgezogen, formiert sich und-


    Ein Schuss. Ich bemerke es zu spät. Glurak nicht.
    Das Gewicht des Drachen drückt mich zu Boden. Ich höre sein Brüllen, seinen letzten Schrei, als die Kugel in seinem Hals einschlägt. Aller Atem entweicht meinen Lungen. Er liegt direkt auf meiner Brust. Ich strampele und schlage um mich, panisch und angsterfüllt, aber ich weiß schon längst, dass ich es nicht schaffen werde. Der Schütze steht über mir am Rande des Grabens. Ich kann sein Gesicht nicht genau erkennen. Nur die Emotionen darin. Seine Unterlippe zittert, seine Hand auch.
    Ich atme heftig. Tränen steigen mir in die Augen.


    Ich wollte doch nur einer der Guten sein. Genauso, wie er es wohl sein wollte.
    Aber am Ende sind wir bloß Mörder. Dumme Menschen mit Waffen in der Hand, die mit ihren Pokémon an der Seite in den Krieg ziehen und töten, was auch immer auf der anderen Seite steht. Weil wir die Guten sind, und die anderen die Bösen.


    Der feindliche Soldat schaut mich für einen letzten Moment an. Dann wendet er sein Gesicht von mir ab. Er zuckt zusammen, als der Knall der Pistole ertönt.


    Der letzte Laut, den ich höre, ist mein eigener, verzerrter Schrei.
    [tab=Wanderer im Wind]
    [subtab=Entstehung]
    Hach, griechische Mythologie. Ich liebe sie <3 So voller Dramatik, Bitchfights, Mord und Totschlag. Und genau das wollte ich hier aufgreifen. Mit Aiolus habe ich einen Gott gewählt, das nicht so bekannt ist, obwohl er als Gott des Windes doch viel Einfluss hätte haben müssen. Kritik gab es für den Einstieg, den ich aber bewusst so gewählt habe. Imo braucht eine Kurzgeschichte einen Aufhänger. Alles andere lässt den Leser schnell gelangweilt werden, der Erfahrung nach.
    Weiterhin hätte ich mehr zu Ariane schreiben sollen... Wenn ich Platz gehabt hätte, hätte ich das wohl. Aber es ist eben eine Kurzgeschichte und 2500 Wörter sind schneller erreicht, als man so denkt, haha.
    Insgesamt bin ich zufrieden mit dem Text, auch wenn es einige Stellen gibt, die man hätte besser lösen können.
    [subtab=Text]
    Wanderer im Wind



    Ich rief nach ihr. Aber noch bevor meine Winde meine Stimme zu ihr tragen konnten, zuckte eine grelle Schlange aus reiner Energie vom Himmel herunter und verschlang sie.


    Mein Arm war noch nach ihr ausgestreckt. Das Licht verebbte, der Donner fuhr mir durch Mark und Bein, brachte die Luft um mich herum zum Vibrieren. Alles was blieb war schwarze Asche. Für einen kurzen Augenblick schien sie in der Luft zu schweben, eine schwarze Silhouette des Mädchens, das gerade vom Antlitz der Erde verschwunden war. Die schlanken Schultern, die hohe Figur, der erschrockene Gesichtsausdruck.
    Und dann zerfiel sie.


    Ich stand einfach nur dort. Starrte. Und starrte länger. Meine Gedanken waren ein wilder Tornado, der mich blind und taub machte. Ich begriff nicht, was gerade geschehen war. Ich konnte es nicht begreifen. Und das, obwohl ich doch lange wusste, wie es irgendwann einmal enden würde. Aber ich hatte entschieden, es einfach zu ignorieren. Die Gefahr anzunehmen. Und sie hatte jetzt den Preis dafür bezahlen müssen.
    Die grauen Wolkentürme über mir verschwanden so schnell, wie sie sich geformt hatten. Sie schienen sich einfach aufzulösen. In sich zusammen zu fallen, wie der Körper des Mädchens vor mir. Ich sah in den Himmel, suchte nach einem Zeichen darin. Aber nichts kam.
    Langsam bewegte ich mich zu der Stelle, in der die schwarze Asche ein kleines Häufchen bildete. Rund um es herum waren die Fließen zerbrochen, als hätte Hephaistos mit seinem Hammer darauf geschlagen. Aber er war es nicht gewesen, der sie mir genommen hatte. Der gekommen war, gesehen hatte und nichts weiter übrig ließ als kleine Fragmente.
    Ich kniete mich hin. Die Kraft in meinem Körper wich hinaus. Alle Winde verebbten. Als würden meine Kinder um sie trauern. Die Luft selbst hielt den Atem an.
    „Ariane.“ Meine Stimme war nicht mehr als ein leises, atemloses Flüstern. Meine zitternde Hand tauchte in die schwarze Asche ein. Erst da verstand ich wirklich, was passiert war. Eine salzige Träne vermischte sich mit dem, was noch von ihr übrig geblieben war.


    Zeus hatte sie mir genommen. Ariane. Meine einzige Freude in den letzten eintausend Jahren. Weg. Einfach weg. Verbrannt. Ausgelöscht. Nie wieder an meiner Seite.
    Er hatte einfach einen seiner Blitze gesandt. Sich selbst nicht einmal die Finger schmutzig gemacht. Doch was es noch schlimmer machte, war, dass er nicht erschien. Er tauchte nicht vor mir auf, sagte mir, dass es meine eigene Schuld sei. Er tat, als wäre niemals etwas passiert. Als wäre dieser kleine Zwischenfall seine Zeit gar nicht wert.
    Die Luft um mich herum vibrierte.
    Warum war es ihm erlaubt, sich hunderte menschlicher Geliebte zu suchen? Warum durfte er seine Pflichten vernachlässigen, seine Gemahlin verärgern, Kinder mit ihnen zeugen und andere töten, wie es ihm beliebte?
    Die Antwort war einfach. Weil er den Thron innehatte. Weil ihm die Stürme und Gewitter gehorchten. Nicht einmal ich konnte mich ihm entgegen setzen. Weil er unser König war. Herrscher über uns alle.


    Er war schon da gewesen, als ich begann zu existieren. Er nannte mich beim Namen, den mir die Menschen gegeben hatten. Aiolos. Der Gott der Winde. Der endlose Wanderer.
    Er war es, der mir sagte, was meine Aufgabe war. Und schon am ersten Tag meiner Existenz sagte er mir, dass ich die Menschen nicht beachten solle. Zu klein seien sie, zu unwichtig, zu zerbrechlich. Und alle anderen Olympischen stimmten ihm zu.


    Daran hielt ich mich. Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte.
    Ich beobachtete sie nur im Stillen. Wanderte durch alle Winkel der Erde zusammen mit meinen Söhnen und Töchtern.
    Ich war launisch wie der Wind selbst. Wechselhaft, niemals konstant, immer im Wandel. Und deswegen konnte ich nie lange an einem Ort bleiben. Es war wieder meiner Natur. Denn der Wind bleibt auch niemals für lange Zeit. Und so bereiste ich die Welt. Durchstreifte smaragdgrüne Wälder, stürmte stumme Gebirge hinauf, tanzte im Norden mit dem Schnee… Und überall fand ich Menschen. Es war schwer, sie nicht zu beachten. Sie waren so laut, so ungezähmt. Sie kämpften und stritten und weinten und lachten. Sie versuchten, sich gegen mich zu stellen und sie ließen sich von mir treiben.
    Manchmal erschlug ich sie mit Hagel, manchmal zerstörte ich ihre Häuser mit heftigen Sturmwinden, vernichtete eine Ernte und löschte Leben aus. Aber meist schenkte ich ihnen den Wind in ihren Segeln, die Frische bei langer Hitze, den Regen für ihre Felder. Sie hatten mich erschaffen. Und auch, wenn ich ihnen gegenüber keine Dankbarkeit empfand, brachte es mir mehr Freude wenn ich half statt zu vernichten.
    Und so lebte ich mehrere Jahrhunderte lang. Ein stiller Bekannter. Tückisch und unbeugsam. Wanderte durch die Welt, beobachtete und lernte, befahl und führte.
    Bis mich Ariane fand.


    Ich wusste nicht, warum ich nicht gemerkt hatte, dass sie damals plötzlich hinter mir stand. Sie war plötzlich einfach da.
    „Spring nicht!“, rief sie mir zu. „Was auch immer los ist, lass uns darüber reden!“
    Ich begriff erst nicht, was sie meinte. Erst als sie sich mir näherte, den Blick ängstlich auf den Rand des Hochhausdaches geheftet, verstand ich. Sie dachte, ich wolle mir das Leben nehmen.
    „Hör zu, komm bitte vom Rand weg!“
    Für einen Moment spielte ich mit dem Gedanken, einfach zu springen. Ich würde mich in Wind auflösen, noch bevor sie die Chance hätte zu schreien. Dann würde sie zur Kante stürzen und sehen, dass ich fort war. Aber noch bevor ich die Gelegenheit hatte, griff sie mich schon bei der Hand und zerrte mich weg. Sie stolperte zurück und wir fielen auf den Betonboden. Ich spürte ihren heftigen Herzschlag, der sich in die Luft übertrug. Sie atmete heftig, das Gesicht vor Anspannung verzerrt. Als sie merkte, dass ich sie ansah, da zwang sie sich zu einem aufmunternden Lächeln. Und ich lächelte zurück.


    Ich sagte ihr nie, dass ich gar nicht springen wollte. Dass ich gar nicht Selbstmord begehen konnte, selbst wenn ich es wollte. Nicht, als sie mich am Arm packte und immer weiterredete , nicht, als sie mich in einen Aufzug buchsierte und mich in ein Café schleppte. Auch nicht, als sie erzählte, dass es ihr selbst auch eine ganze Weile schlecht gegangen war.
    „Der Trick ist, sich nicht zu ärgern“, lächelte sie resignierend. „Auch wenn es einfacher gesagt ist, als getan.“


    Ich weiß bis heute nicht, was mich an ihr so faszinierte. Warum ich mich ihr ein zweites, drittes, zehntes Mal zeigte. Warum die Zeit so schnell verging, wenn ich mit ihr sprach, und warum ich ihr von meinen Reisen erzählte, von meinem Leben. Natürlich in abgewandelter Form. Niemals hätte ich ihr sagen können, dass ich ein Gott war. Sie hätte es vielleicht für einen Scherz gehalten oder wäre vor mir geflohen.
    Ich verstand damals nicht, warum ich nicht mehr das Bedürfnis hatte, weiterzuziehen. Ich war ein einsamer Wanderer, war ich immer schon gewesen. Aber mit ihr an meiner Seite schien der Sturm in mir sich zu legen. Es gab dann nicht mehr als ein laues Lüftchen. Ich liebte diese Momente. Ich liebte ihr Lächeln, ihre kleine Gesten, die sich anfühlten wie eine leichte Sommerbrise. Wenn sie von ihren Wünschen erzählte, die Aufregung in ihrer Stimme, dann erinnerte sie mich an einen jungen Windgeist.
    Vielleicht war es das, was mich so anzog. Ihr ganzes Wesen war meinem so ähnlich. Rastlos, immer in Bewegung, im Geiste und im Körper. Niemals gänzlich still. Mal sanft, mal fordernd, mal gefährlich. Und immer mit dem Kopf in den Wolken.


    „Du warst in Sibirien?“, stieß sie einmal aus. Ich musste leise lachen, als ihre Augen zu leuchten begannen.
    „Ich war in Sibirien“, bestätigte ich und nippte an dem Kaffee, den ich mir bestellt hatte.
    „Da ist es doch irrsinnig kalt, oder nicht?“ Sie rutschte auf ihrem Sitz herum und strich sich eine Strähne ihres braunen Haares hinter die Ohren. Arianes Augen hielten meine gefangen.
    „Ist es.“
    Da seufzte sie. Die junge Frau sah aus dem Fenster. Menschen strömten daran vorbei, vertieft in Gedanken. „Ich bin so neidisch auf dich. Du warst ja wirklich schon überall.“ Ariane wusste nicht, wie richtig sie damit lag. „Wenn ich könnte, dann würde ich das auch machen.“
    „Willst du wirklich so sehr reisen?“ Natürlich wollte sie das. Sie erzählte es mir immerhin jedes Mal, wenn wir uns sahen.
    „Und dabei die Welt sehen? Tausende neue Menschen? Neue Tiere und Pflanzen?“ Ihre Stimme überschlug sich fast vor Aufregung. Der Honig in ihren Augen schimmerte. „Da fragst du noch?“
    Ich lehnte mich zurück und schloss die Augen.
    „Ich könnte dich mitnehmen, weißt du“, stieß ich dann irgendwann aus. Ariane blieb erst still.
    „Wie willst du das machen? Reisen kosten doch so viel. Ich könnte dir das niemals zurückbezahlen.“
    „Meine Art von Reisen kosten aber nichts.“
    „Meinst du so wie Trampen?“
    Ich lachte leise. „So ungefähr.“
    Sie glaubte mir nicht. Tat es erst einmal als Scherz ab. Aber als wir uns an diesen Tag verabschiedeten, da lehnte sie sich vor, hauchte mir einen Kuss auf die Wange und raunte mir zu: „Nimm mich das nächste Mal bitte mit. Ganz egal wohin. Nur weit weg. Versprochen?“
    Dann huschte sie mit einem glücklichen Lächeln durch die Tür.


    Es kam nie dazu. Ich plante, wie ich ihr all die Orte zeigen würde. Wie ich sie in die Tiefen der Urwälder tragen würde, wo Bäume so hoch waren wie die Hochhäuser dieser Stadt. Zu den höchsten Gebirgen mit ihrer eisigen Kälte, den weitesten Wiesen mit ihrem saftigen Gras. Ich plante und Plante, malte mir all diese Momente aus. Stellte mir vor, wie Ariane lächeln würde. Wie sie mit großen Augen all das sehen würde, was sie sich so lange gewünscht hatte.
    Und vergas dabei, meine Söhne und Töchter zu befehligen. Und das war Arianes Todesurteil. Zeus hatte mich zu Beginn meines Lebens gewarnt. Ich existierte nur, um meine Pflicht zu erfüllen. Die Pflichten eines Gottes.
    Als sich die Wolken am Himmel zusammenbrauten wusste ich schon, was passieren würde. Trotzdem eilte ich zu ihr, in der verzweifelten Hoffnung, sie doch noch retten zu können. Aber Zeus hatte genau darauf gewartet. Er hätte sie lange vorher vernichten können. Doch er wählte diesen Zeitpunkt, wissend, dass ich meine Lehre so niemals vergessen würde. So nah und doch so fern.
    Und hier war ich nun. Saß auf zerbrochenen, schwarz gefärbten Fliesen, die Gedanken stürmisch und unstet. Trauer in meinem Herzen und in meinen Tränen, die sich mit der Asche in meinen Händen vermischten.
    Ariane war weg. Und nichts würde sie wieder zu mir zurückbringen. Die Endgültigkeit in diesen Worten erschütterte meinen Körper und brachte ihn zum Zittern. Aber ich schrie nicht. Ich blieb still. Denn zum Schreien fehlte mir die Kraft.
    Als ich meinen schweren Körper erhob, beschwor ich alle Winde zu mir. Sie versammelten sich in wildem Treiben, umarmten mich und tanzten leicht mit der Asche in meinen Händen.


    „Ariane. Ich kann dich nicht wieder zum Leben erwecken. Du bist fort und alles was mir bleibt, ist schwarz und verkohlt. Ich kann dir deinen Wunsch nicht mehr erfüllen. Zumindest nicht so, wie du es wolltest.
    Du wirst die Welt nicht sehen. Aber die ganze Welt wird dich sehen. Und ich werde immer an deiner Seite sein.“ Ich wusste nicht, warum ich diese Worte laut aussprach. Sie würde sie nicht hören. Doch ein Teil von mir hoffte es dennoch.


    Ich atmete ein. Die Winde um mich herum wurden wilder, ungezähmter. Sie stürmten und tobten. Ein letztes Mal sah ich die Aschen in meinen Händen an. Dann ließ ich meine menschliche Hülle fallen, löste mich auf in der Luft um sie herum. Das schwarze Pulver wirbelte in meinem Innersten.
    Für einen Moment tobte ein kleiner Orkan hoch oben über den Dächern dieser Stadt. Im nächsten stob er auseinander, jede Böe in eine andere Richtung. Und jede Böe nahm einen Teil ihres Körpers mit sich. Ein Partikel der Asche, der noch vor wenigen Minuten ein Mensch gewesen war. Sie trugen sie fort von hier, hinaus in die weite Welt. Dort, wo Ariane hingehörte. Meine geliebte Ariane.
    Verzeih mir für meine Ignoranz. Und wisse, dass ich dich immer bei mir trage, wohin ich auch gehe.
    Für dich reise ich weiter um die Welt und erkunde jeden Winkel.


    Denn vielleicht bist auch du immer noch bei mir.
    [tab=Lieber Julian]
    [subtab=Entstehung]
    Folge diesem Link zum entsprechenden Video. <3
    Ja... eigentlich war das Video ein wenig anders gedacht. Eigentlich sollte die süße Luna nämlich den Text vorlesen, damit man auch versteht was Sache ist, aber... Naja. Technik und so halt. Technik, die ein Talent dazu hat, genau dann zu streiken, wenn es wichtig ist. Aber hey, nicht so dramatisch.
    Idee dahinter war eine kleine Sommerbekanntschaft. Etwas platonisches, keine Jugendliebe sondern einfach eine Freundschaft, an die sich erinnert wird. Ich mag solche Erinnerungen gerne, weil sie einen aufheitern. Deswegen auch dieses Schwelgen in Erinnerung. ^^
    Am Ende des Videos schickt Julian das Freundschaftsband zurück, um ihr zu beweisen, dass er sich a) an sie erinnert und b) das Geschenk immer in Ehren gehalten hat.
    [subtab=Text]
    Lieber Julian,



    vermutlich erinnerst du dich gar nicht mehr an mich. Vielleicht bist du auch umgezogen und dieser Brief wird dich nie erreichen. Wer weiß das schon? Ich nicht.


    Ich schreibe diesen Brief einfach drauf los. Ich habe nicht wirklich geplant, was ich sagen will, das merkst du sicher. Aber ich wollte dir einfach schreiben. Weil ich mich an dich und den Urlaub damals erinnert habe. Willst du wissen, warum? Als ich heute etwas im Speicher gesucht habe, ist mir unser altes Fotoalbum fast auf den Kopf gefallen. (Ich bin immer noch so ungeschickt wie früher! ) Dabei sind ein paar Fotos herausgefallen. Ich musste sie alle erst mal wieder einsortieren, das war eine ganz schöne Arbeit.


    Dabei habe ich ein besonderes Bild gefunden. Ich konnte mich gar nicht daran erinnern, dass jemand es geschossen hat. Es liegt jetzt neben mir auf meinem Tisch, während ich das hier schreibe. Du bist darauf, direkt neben mir. Wir halten ein Bündel Wiesenblumen in der Hand. Deine Mutter und meine Oma stehen im Hintergrund und sie scheinen miteinander zu reden. Erinnerst du dich an diesen Tag? Ich glaube, es war mein letzter bei euch.


    Je länger ich es anschaue, und je länger ich darüber nachdenke, was ich als nächstes schreiben soll, desto mehr erinnere ich mich an die Zeit damals. Es muss Sommer gewesen sein. Ich war sieben, vielleicht auch acht? Nein, sieben. Das waren meine ersten Sommerferien, wir sind direkt nach dem Unterricht losgefahren. Ich wusste nicht mal, wo es hingeht. Oma und Opa haben mich einfach mitgenommen und mir immer etwas anderes gesagt, wenn ich nachgefragt habe. Eine Antwort war „Das Regenbogenwunderland“. Ich war ganz schön enttäuscht, als es keine Regenbögen gab.


    Oh je, wie peinlich. Vielleicht schicke ich diesen Brief doch besser nicht ab. Vielleicht schreibe ich ihn am Ende noch einmal neu. Mit dem ganz normalen „Hi, wie geht es dir? Wie ist das Wetter so bei euch?“. Aber das ist langweilig… Du wirst es dann wohl sehen, schätze ich!
    Ich bin jetzt sechzehn. Es ist also schon fast zehn Jahre her, seit wir uns das letzte Mal gesehen habe. Du hast mir eine Postkarte geschickt, im Sommer darauf, daher habe ich auch deine Adresse. Danach kam nichts mehr. Das ist wohl auch meine Schuld. Ich kann nicht sagen, dass ich einen triftigen Grund hatte. Ich habe es einfach irgendwann vergessen. Entschuldige bitte.
    Woran kann ich mich noch erinnern?


    Ich weiß noch, wie wir uns begegnet sind! Du hast einen Erdbeerkuchen zu uns herübergebracht, kurz nachdem wir angekommen sind. Ich war noch damit beschäftigt, das Ferienhaus zu erkunden, als meine Oma mich herunterrief. Du standest an der Tür, ich glaube, du hattest ein lustiges, gelbes T-Shirt an. Irgendeine Comic-Figur war darauf. Deine Mutter kam hinterher und stellte euch beide vor. Meine Oma tat dasselbe. Danach schickten und beide los, spielen.


    Haha, wie einfach es damals war, neue Bekanntschaften zu schließen, oder? Heute ist das etwas schwieriger.


    Wir haben uns erst nicht viel unterhalten. Du bist durchs Feld gelaufen und ich bin dir gefolgt. Es war schwer, mit dir mitzuhalten. Immerhin warst du der Schnellste in der Klasse, hast du mir später erzählt.
    Wir sind den ganzen Tag durch die Gegend gelaufen, bis du endlich mal müde geworden bist. Da haben wir uns in Feld gesetzt und am Gras gerupft. Du hast mich komisch angesehen, als ich Gänseblümchen gepflückt und eine Krone darauf gemacht habe. Ich wäre voll das Mädchen, hast du gesagt. Ich muss immer noch ein wenig lachen, wenn ich mich daran erinnere.


    Wir waren nur eine Woche bei euch. Viele Sachen sind zu verschwommen, als dass ich mich noch an sie erinnere. Es sind nur noch kleine Fetzen. Vielleicht sollte ich einfach aufschreiben, an was ich mich erinnere.


    Einmal war ich bei dir zu Hause zum Essen. Es gab etwas mit Spinat, das mochtest du nicht. Du warst bockig und wolltest weiter spielen, aber ich wollte deine Mutter nicht wütend machen. Also habe ich alles aufgegessen, da wurdest du wütend auf mich, dass ich so lange brauche. Am Ende hast du mir aber verziehen. Weil du so gnädig warst, haha. Ich weiß noch, wie sehr wir gelacht haben, als mein Wackelpudding quer durch den Raum geflogen ist. Ihr hattet ein schönes Haus, glaube ich. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass dein Zimmer voll mit Bildern von Flugzeugen war. Du konntest mir alle ihre Namen nennen, und ich habe versucht, sie mir zu merken. Aber nach drei Namen hat mir schon der Kopf geschwirrt.


    Möchtest du immer noch Pilot werden? Damals hast du davon geschwärmt wie es wäre durch den Himmel zu fliegen. Die Welt ganz klein unter sich zu sehen. Einfach abhauen zu können, wenn du willst. Dorthin, wo keiner dir folgen kann.


    Ich erinnere mich auch an den Bach im Wald. Du hast mich mal mit hingenommen, als es so fürchterlich warm war. Der Bach war schön kühl. Am Anfang haben wir uns nur ein bisschen gegenseitig nassgespritzt. Aber dann bin ich reingefallen. Und als du mich ausgelacht hast, habe ich dich noch mit hineingezogen. Du hast dich an einem der Steine verletzt, da habe ich dir eines der Pflaster aus meinem Rucksack draufgeklebt. Du sagtest, du bräuchtest das nicht, aber ich habe nicht nachgelassen. Da hast du aufgegeben.
    Deine Mutter und meine Oma waren ganz schön wütend. Wir würden noch krank werden, so nass wie wir sind, haben sie gesagt. Aber wir haben uns nur angegrinst.


    Es tut mir leid, aber an mehr kann ich mich schon nicht erinnern. Ich weiß noch, dass du mir ein paar Sachen über dich erzählt hast. Deine Lieblingsfarbe war grün. Ist sie das immer noch? Aber ich weiß nicht mehr alles. Ich hatte gehofft, dass ich mich erinnere, wenn ich darüber schreibe.


    Halt, eine Sache ist da noch! Jetzt, wo ich mir das Bild etwas genauer ansehe, trägst du ein geflochtenes Band an deiner rechten Hand. Es ist rot und weiß, meine Lieblingsfarben. Das war mal mein Armband. Ich habe es in der Schule gemacht. Und dir habe ich es gegeben, an meinem letzten Tag bei euch. Du hast es erst kritisch angesehen, als ob du wieder sagen wolltest, was für ein Mädchen ich doch bin. Aber dann hast du es angezogen und „Danke“ gesagt. Das hat mich sehr gefreut.


    Ich schätze, dass du das Armband irgendwann weggeschmissen hast. Vielleicht hast du es damals weggeräumt und in den letzten zehn Jahren irgendwann mal wieder gefunden. Dann hast du dich gewundert, was das ist und es dann weggeworfen. Ich könnte dir keinen Vorwurf machen. Ich konnte mich ja selbst kaum an etwas erinnern. Schade, eigentlich.


    Wenn ich meine Großeltern jetzt bitten würde, wieder mit mir ins gleiche Haus zu fahren… Würde ich dich dann wohl wiedersehen? Oder wärst du dann längst weg? Vielleicht gibt es die Wiesen nicht mehr, vielleicht ist der Bach ausgetrocknet. Ich hoffe nicht.


    Ich weiß nicht einmal genau, warum ich dir eigentlich schreibe. Ich habe das Bild gesehen, und wollte dir einfach schreiben. Und ich hoffe wirklich, dass dich dieser Brief erreicht. Wenn nicht, dann ist es auch nicht schlimm. Sich zurück zu erinnern war schon schön genug.
    Vielleicht liest du diesen Brief ja auch gerade und erinnerst dich gar nicht an mich. Vielleicht denkst du „Was will diese Komische von mir?“ Nur, weil ich mich erinnere, musst du das ja nicht auch…


    Was kann ich dir noch sagen? Eigentlich nicht viel.
    Nur, dass ich die Erinnerungen an diesen Sommer jetzt immer bewahren werde. Es war ein schöner Urlaub, und ich würde ihn gerne noch einmal erleben. Dieses Mal würde ich mir dann alles ganz genau ansehen. Den kühlen Bach, die weiten Wiesen, den Wackelpudding, die Poster, dein Comic-Shirt. Und dann würde ich dir jeden Monat einen Brief schreiben. Damit ich diesen Sommer nie vergesse.
    Wenn du diesen Brief bekommst, schreibst du mir dann zurück? Ich würde mich sehr freuen. Es muss nichts langes sein. Nur, dass ich weiß, dass du ihn bekommen hast.
    Ich lese den Brief gerade und merke, dass ich dir gar nicht gesagt habe, wer ich überhaupt bin. Vielleicht hast du dich aber trotzdem an mich erinnert. Falls nicht…
    Mein Name ist Charlotte. Du hast mich aber immer Charlie genannt. Erinnerst du dich? Ich hoffe es.



    Mehr bleibt mir nicht zu sagen. Ich hoffe, dass du mir antwortest,


    Deine Charlie
    [tab=Midnight Call]
    [subtab=Entstehung]
    Ach, ich weiß selbst nicht mehr genau, warum das entstanden ist. Ich glaube, ich wollte einfach mal einen romantischen Text schreiben. Habe es mittendrin abgebrochen und es gerade noch zu Ende geschrieben, weil ich es doch nicht unvollkommen lassen wollte. Insgesamt sind es 17 Seiten, ein wenig kitschig ist es auch, aber es ist eben eine Love-Short-Story. Und ich mag sie. Denke ich. Kurz nach Vollenden mag ich meine Stories nämlich immer. :P
    [subtab=Text]
    MidnightCall


    Midnight Call
    „Hey, sag mal…“
    Meine Stimme versagt. Die kurze Hoffnung, die sich eingestellt hat, verschwindet wieder. Ich habe es doch immer wieder versucht und jedes Mal kam er mit der gleichen Ausrede.
    Vom anderen Ende der Leitung kann ich ein Rascheln hören, vermutlich Kleidung. Die Leitung knackt, leise Stimmen, vermutlich durch den Stoff gedämpft, dringen an meine Ohren, aber ich kann nicht verstehen, was er sagt. Nach einigen Sekunden hört das Rascheln auf und ich höre seinen Atem durch den Hörer.
    „Sorry, hast du etwas gesagt? Meine Schwester wollte meinen Kulli haben“, sagt er und ich meine, ein leichtes Schmunzeln aus seiner Stimme hören zu können.
    „Nein, nein“, antworte ich hastig. Vielleicht ein wenig zu schnell, denn meine Worte überschlagen sich. „Ich hab nichts gesagt.“
    „Echt komisch. Ich hätte schwören können-“
    Aber bevor er den Gedanken weiterführen kann, falle ich ihm ins Wort. „Du bist doch schlau, oder?“
    Es wird still am anderen Ende der Leitung. Ich fürchte schon fast, dass er das Thema doch nicht fallen lässt, aber da höre ich ihn etwas lachen und dann ein Räuspern.
    „Nun, dies ist durchaus eine angebrachte These, Mademoiselle“, flötet er in sein Handy, mit einer gekünstelt arroganten Stimme. „Benötigt ihr etwa meine Hilfe?“
    Ich verziehe etwas das Gesicht, schaffe es aber trotzdem nicht, das Grinsen zurückzuhalten.
    „Ich brauche Hilfe bei Englisch“, teile ich ihm mit. Das ist nicht einmal gelogen. Ich brüte jetzt schon seit einer Stunde über meinem Heft… Naja, okay, das stimmt nicht ganz. Mein Heft liegt tatsächlich aufgeschlagen vor mir, allerdings spiele ich mehr mit meinem Stift als dass ich schreibe. Er hat etwa vor fünfzig Minuten angerufen und seitdem telefonieren wir jetzt wieder miteinander. An Hausaufgaben ist da irgendwie nicht zu denken.
    „No problem“, verkündet er zuversichtlich. „What’s up?“
    „Leichte Probleme bei der Charakterisierung. Was genau bedeuten sehr rote Lippen bei einem fiktiven Charakter noch gleich?“
    Ich weiß, dass mein Lehrer es uns mitgeteilt hat… Nur ist der Englischunterricht nicht wirklich spannend. Und steht auf meiner Prioritätenliste daher auch ziemlich weit unten.
    „Okay“, prustet mein Gesprächspartner mir ins Ohr. „Aber nicht lachen!“
    „Warum sollte ich da lachen? Das sind Hausaufgaben, weißt du? Da gibt’s nichts zu lachen“, stöhne ich genervt.
    „Rote Lippen stehen für…“, beginnt er, muss dann aber wieder einen Lachanfall unterdrücken.
    „Komm schon, ich hab nicht den ganzen Tag Zeit… Chrom.“ Mir fällt es schwer diesen Namen auszusprechen, wo er nicht einmal sein echter ist. Ich beiße mir auf die Lippe. Dieses blöde Spiel läuft jetzt schon viel zu lange. Und dummerweise ist es für mich schon längst zu weit mehr als nur einem Spiel geworden.
    „Ist ja gut, ist ja gut“, seufzt er in gespielter Resignation. „Leidenschaft und sexuelle Aktivität.“
    Ich blinzele verwirrt und runzele die Stirn, bis mir wieder einfällt, dass er das nicht sehen kann.
    „Bitte was?“, murmele ich ins Telefon, in dem festen Glauben, das Chrom, oder wie auch immer sein Name auch ist, mich verarscht.
    Er zwingt sich zwar dazu, ruhig zu bleiben, allerdings höre ich deutlich das Beben in seiner Stimme.
    „Leidenschaft und sexuelle Aktivität“, wiederholt er betont ernsthaft.
    „Das habe ich schon verstanden“, gebe ich zurück. „Nur kann ich mir das irgendwie gerade nicht vorstellen.“
    „Wieso?“
    „Weil es sich bei meinem Charakter um einen etwa achtzigjährigen, kahlköpfigen Witwer handelt.“
    Chrom bleibt für einen Moment leise. Dann höre ich ein kleines Lachen.
    „Na, hör mal, Lizzy“, haucht er leise ins Telefon. „Wer weiß denn, wo der seine Bingoabende verbringt?“
    Ich schlucke kurz und breche dann in Gelächter aus.
    „Chrom!“, lache ich mit leichtem Vorwurf.
    „Was denn?“, antwortet er mir kichernd.
    „Diese Bilder werde ich nie wieder aus meinem Kopf bekommen!“
    „Mission Accomplished!“, verkündet er mit stolzem Unterton.
    „Vielen Dank auch!“, keuche ich ins Telefon, weil mir vor lauter Lachen die Puste ausgegangen ist. Ich rolle mich in meinem Bett hin und her und beobachte, wie meine Zehen wackeln. Meine Fingernägel bräuchten auch noch mal eine Feile, fällt mir auf.
    Vom anderen Ende der Leitung höre ich einen entfernten Ruf.
    „Komme!“, ruft Chrom, dann wendet er sich wieder an mich. „Ich muss Schluss machen, Lizzy.“
    Ich verziehe unwillkürlich die Miene. Mit einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass es erst sieben ist.
    „Jetzt schon?“, frage ich mit einem Kloß im Hals. Ich will mich am Liebsten dafür schlagen, dass ich so bedrückt klinge, aber das hat sich mit der Zeit einfach eingestellt. Jedes Mal wenn er auflegen muss bekomme ich schlechte Laune. Ich stelle mir nicht mal mehr die Frage warum. Das weiß ich längst, aber auch die Antwort bringt mir nicht mehr als Kopfschmerzen.
    „Sorry, ich habe gleich noch ein Spiel.“
    „Achso“, nuschele ich in mein Handy, das ich in der Zwischenzeit zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt habe. Meine Finger reißen die lose Haut an den Nagelrändern ab. „Dann viel Glück.“
    „Danke“, antwortet er, aber ich höre, dass er schon nicht mehr ganz bei der Sache ist. Im Hintergrund rascheln Klamotten. Vermutlich suchte er gerade schon ein wenig panisch nach seinem Trikot. Ich muss ein wenig verzweifelt grinsen. „Träum du schön von achtzigjährigen, kahlen Witwern, die sich ihre Zeit in Bordellen-“
    „Chrom!“, mahne ich ihn, muss aber wieder kichern. „Wegen dir habe ich noch Albträume!“
    „Tut mir Leid!“, lacht er als Antwort.
    Es herrscht kurz Schweigen, aber ich höre noch immer das Rascheln. Er hat also noch nicht aufgelegt.
    „Dann…“, murmele ich ins Telefon.
    „Hä?“
    „Ich leg dann jetzt auf.“
    „Oh, ach ja. Bis bald Lizzy!“
    Mit schwerem Herzen schaue ich auf das Display. Der Anruf ist immer noch nicht beendet und ich kann Stimmen hören. Er hat vermutlich nicht aufgelegt, weil ich das ja tun wollte. Da ist die Stimme seiner kleinen Schwester. Ich müsste eigentlich nur ein wenig zuhören, dann würde sein Name auf Dauer sicherlich irgendwann einmal fallen müssen, oder? Ich beiße mir auf die Lippe. Mehr verlange ich doch auch gar nicht. Ich muss nicht mal wissen, wie er aussieht… Sein Name würde mir doch reichen.
    Das versuche ich zwar mir einzureden, aber ich weiß, dass ich selbst dann nicht zufrieden wäre. Ich seufze kurz und drücke auf den Knopf mit dem roten Hörer. Mein Handy signalisiert mir mit einem Piepsen, dass der Anruf beendet ist und nach einer gefühlten Ewigkeit erlischt auch der Bildschirm. Mein Zimmer wird von der untergehenden Sonne in rotes Licht getaucht. Ich drücke mich gegen meine Zimmerwand und lasse die Arme auf meinem Bett liegen, schaue dumpf aus dem Fenster.
    So kann das doch nicht weitergehen!
    Muss es aber.
    Wenn ich noch länger warte, dann platze ich!
    Er will es aber nicht.
    Kann er mich doch nicht leiden?
    Vielleicht…


    Ich schüttele den Kopf. Allein der Gedanken zerreißt mein Herz. Warum sollte er denn schon seit Monaten fast jeden Tag mit mir telefonieren? Weil er nichts Besseres zu tun hat? Das war sicherlich nicht der Grund. Chrom besucht die zwölfte Klasse, steht also kurz vor dem Abitur. Er ist Fußballer und seine Mannschaft spielt scheinbar recht erfolgreich, zumindest berichtet er mir immer von seinen Siegen. Und von seinen genialen Flanken, die überhaupt nicht durch Glück im Tor gelandet sind, nein. Ich muss etwas kichern, aber das Lachen vergeht mir schnell wieder. Ich lasse mich auf die Seite fallen und starre gegen die Wand, an der die Bilder hängen, die Mitzi und ich immer miteinander schießen.
    Mitzi weiß sicherlich, was zu tun ist.
    Ich werde sie einfach morgen fragen.
    „Eliza? Essen ist fertig!“, schallt es von unten. Ich richte mich mit einem Seufzer auf und schaue bedrückt auf mein Handy. Dann schüttele ich den Kopf und stehe auf. Es hat keinen Sinn, jetzt sehr viel länger darüber nachzudenken.


    „Juhu, Liz!“ Ich zucke vor der Hand, die plötzlich wenige Millimeter vor meiner Nase auftaucht, zurück und starre sie verwirrt an.
    „Ich kann ja wirklich gut verstehen, dass du deinem Traumprinzen deine gesamte Aufmerksamkeit schenken möchtest, aber zumindest auf den Straßenverkehr solltest du ein wenig achten!“ Mitzi schaut mich vorwurfsvoll an und deutet dann auf das vorbeirauschende Auto, das mich wohl getroffen hätte, wenn sie mich nicht rechtzeitig zurückgezogen hätte. Aber nicht mal das hab ich gemerkt.
    „Sorry“, murmele ich und starre auf mein Handydisplay. Oben in der Leiste ist ein kleiner Briefumschlag abgebildet. Als ich darauf klicke, wird mein Bildschirm kurz weiß, dann erscheinen kleine Buchstaben und ein großer Smiley mit herausgestreckter Zunge. Grinsend lese ich die Nachricht.
    Und, hast du von fetten, alten Witwern geträumt, die ein wenig Spaß hatten? =P
    „Worüber redet ich bei euren Telefonaten eigentlich?“, raunt Mitzi mir ins Ohr, nachdem sie über meine Schulter die Nachricht gelesen hat.
    „Ich hab ihn um Hilfe bei Englisch gebeten. Wusste nicht mehr, was dicke, rote Lippen bedeuten“, erkläre ich ihr grinsend.
    „Ach, der Unsinn“, kommentiert Mitzi mit einem Augenrollen. „Na, dann verstehe ich das. Und ich hab schon gedacht, er würde dich mit versauten Gedanken volltexten.“
    „Nein!“, grinse ich und ramme meinen Ellbogen leicht gegen ihre Seite. „Dafür bist ganz allein du zuständig!“
    Wir lachen und kichern bis wir die Tür zur Schule passieren.
    „Und, wie lange war das Telefonat denn gestern?“, fragt sie mich, sobald unser ehemaliger Mathelehrer an uns vorbeigezogen ist.
    „Nicht einmal eine Stunde“, antworte ich mit leicht verzogenem Gesicht. „Er hatte ein Spiel.“
    „Was, Fußball? Und, wie ist es ausgegangen?“ Mitzis Interesse ist nicht einmal geheuchelt. Ihre ganze Familie steht auf Fußball und daher schauen wir die wichtigen Spiele auch meist bei ihr.
    „Keine Ahnung, ich frag ihn mal.“
    Mit flinken Fingern tippe ich die Tasten auf meinem Handy.
    Nein, Gottseidank nicht! Wie ist das Spiel gestern eigentlich gelaufen?
    Mir ist klar, dass er nicht sofort schreiben wird, trotzdem starre ich ein paar Sekunden auf das Display, bis Mitzi mich anzischt, weil ein Lehrer kommt. Schnell lasse ich es in der Jackentasche versinken.


    „Ernsthaft, Liz“, beginnt sie in der Pause. „Wie lange läuft das jetzt schon?“
    „Weiß nicht… fünf, sechs Monate?“, antworte ich betont gleichgültig. Mein Blick fällt immer wieder auf mein Handy, auch wenn ich krampfhaft versuche, ihn nur auf meinen Fingern zu behalten.
    „Himmel, Liz!“, raunt Vivi mir ins Ohr. „Schau dir mal deine Nägel an… Die brauchen ganz dringend eine Rundumbehandlung.“ Ich grinse leicht entschuldigend und lasse meine Finger unter dem Tisch verschwinden.
    Hannah streckt sich und legt sich von ihrem Platz aus über meinen Tisch, die Arme weit von sich gestreckt. „Reden wir etwa wieder von Chrom?“
    Ich seufze und will das Thema wechseln, aber Mitzi lässt es nicht zu.
    „Von welchem Prinz Charming denn wohl sonst?“
    Ich verdrehe die Augen, kann aber nicht verhindern, dass mir das Blut in die Wangen steigt.
    „Mir ist es echt ein Rätsel, dass du seinen Namen nicht weißt“, murmelt Vivi.
    „Als ob ich ihn nicht schon danach gefragt habe“, antworte ich und stampfe frustriert auf den Boden auf.
    „Und er beruft sich immer noch auf die Regeln?“, murmelt Hannah gedämpft durch ihre Arme, in die sie ihre untere Gesichtshälfte vergräbt, und zieht eine Augenbraue hoch.
    Grummelnd nicke ich. Wir schweigen für eine Weile.
    „Weißt du Liz“, beginnt Vivi. Ich sehe ihr an, dass es ihr schwer fällt, mir in die Augen zu sehen. „Vielleicht… solltest du das beenden.“
    Ich starre sie mit leicht offenem Mund an.
    „Du weißt doch selbst, dass sie das nicht tun wird“, kichert Hannah als sie mein Gesicht sieht.
    Vivi verzieht das Gesicht und fährt sich nervös durch die Haare. „Es ist ja nicht so, als ob ich es dir nicht gönnen würde…“, beginnt sie, bricht aber ab als ich den Kopf schüttele.
    Ich kann selbst nicht ganz fassen, dass ich es sage, aber…
    „Vielleicht hast du ja Recht.“
    Mitzi, Vivi und Hannah tauschen einen überraschten Blick aus.
    „Ernsthaft?“, bricht Mitzi das Schweigen. Ich hole tief Luft und schenke einem langen Seufzer die Freiheit.
    „Sechs Monate sind eine lange Zeit“, setze ich zögerlich an. „Und wenn er mir nicht einmal seinen Namen sagen will… Dann ist er auch gar nicht so sehr an mir interessiert.“
    „Ach Liz!“, stöhnt Hannah. „Du willst jetzt einfach so aufgeben?“
    Ich zucke erschöpft mit den Schultern. Eigentlich ja nicht, aber… Es machte mich einfach irgendwie fertig. Wenn er nichts von mir will, warum ruft er mich dann immer wieder an?
    „Ich habe dieses Spiel ja wirklich für eine dämliche Idee gehalten, aber schau dich doch mal an, Liz!“, beginnt Hannah wieder. „Jedes Mal wenn er dir schreibt strahlst du über das gesamte Gesicht.“
    „Ja, aber was bringt mir das?“, antworte ich.
    „Wenn du es wirklich beenden willst, dann musst du aber auch konsequent sein. Das ist dir doch hoffentlich klar, oder?“ Mitzi schenkt mir einen intensiven Blick. Ich schaue kurz auf mein Handy und nicke müde. Es hat doch einfach keinen Sinn. Nicht einmal seinen Namen zu wissen, sich aber einzubilden, dass zwischen uns etwas werden könnte… Wie gerne stelle ich mir vor, dass ich ihm per Zufall über den Weg laufe, aber selbst wenn, dann… Ich wüsste nicht mal, wie er aussieht. Alles was ich kenne ist seine Stimme, sein Alter und ein paar Details, die auf gut die Hälfte der Menschheit zutrifft. Er muss auch irgendwo in meiner Nähe wohnen, sonst hätte er nicht an dem Spiel teilnehmen können und-


    Da leuchtet plötzlich das Display auf und mein Handy bewegt sich zitternd auf der Tischplatte fort.
    Ich beiße mir auf die Lippen und tausche einen nervösen Blick mit Mitzi, Vivi und Hannah.
    „Na gut“, seufzt Mitzi leicht grinsend. „Eine letzte Nachricht darfst du noch lesen.“
    „Und eine Antwort schreiben?“, frage ich leicht hoffnungsvoll.
    „Nein, nur lesen. Wenn ihm wirklich etwas an dir liegt, dann schreibt er dich noch einmal an. Wenn nicht, dann ist es vorbei und du kommst nicht mehr in Versuchung.“
    Ich verziehe verzweifelt das Gesicht, als die SMS sich öffnete.
    6:1. Die hatten keine Chance gegen uns :D
    Ich muss etwas schmunzeln.
    „Das Spiel ist 6 zu 1 für seine Mannschaft ausgegangen“, informiere ich Mitzi, die anerkennend nickt.
    „Sag mal, 6 zu 1 ist schon eine… ungewöhnliche Leistung, oder?“, fragt Vivi uns.
    „Naja, kommt nicht jeden Tag vor“, bestätigt Mitzi.
    „Warum suchen wir dann nicht einfach im Internet nach den Spielergebnissen von gestern? Dann weißt du zumindest, in welchem Team er spielt.“
    Sie schauen mich für eine Weile an, aber ich schüttele den Kopf.
    „Wenn er es nicht will, dann sollte ich auch nicht nachschnüffeln“, meine ich, auch wenn eine kleine Stimme in meinem Kopf lauthals „Tu es!“ schreit. „Ich sollte seinen Willen respektieren.“
    „Ja, weil er deinen Willen ja auch so konsequent respektiert!“, stöhnt Mitzi.
    „Ich sehe das wie Liz. Er wird schon seine Gründe haben“, murmelt Hannah.
    „Bitte, Hannah, das sagst du doch nur, weil du hoffnungslos romantisch bist“, grummelt Mitzi.
    Vivi runzelt die Stirn: „Das Spiel ist jetzt sechs Monate her. Ein halbes Jahr, Eliza. Warum hält er sich trotzdem noch an die Regeln? Ich wette keiner außer euch hat das getan, wenn sie einander gefallen haben.“
    „Ich weiß, Vivi. Ich hab doch selbst keine Ahnung warum.“ Ich starre auf die Buchstaben auf meinem Display und stelle mir vor, wie er die Wörter sagen würde, wenn wir telefonieren. Und sein Lachen…
    „Huhu, Erde an Liz!“ Man fuchtelt mir schon wieder vor der Nase herum. „Das stupide Grinsen kannst du dir für später aufsparen.“


    Ich hielt mich an meinen Vorsatz. Ich schrieb Chrom nicht zurück, auch wenn meine Gedanken immer wieder potentielle Antworten fabrizierten. Ich will ihm gratulieren, will mir wieder vorstellen, wie er mir säuselnd antwortet und dann lacht, wie wir uns gegenseitig aufziehen…
    Mein Handy liegt neben mir auf dem Bett. Ich starre es beinahe wütend an, auch wenn es nichts dafür kann. Meine Hände fassen mein Kissen und pressen es gegen mein Gesicht, damit mein verzweifelter Tobsuchtsanfall nicht allzu laut ist. Nicht, dass es irgendwer außer die Nachbarn hören würden. Meine Eltern sind ja mal wieder arbeiten.
    Ich schaue mit einem Auge, das nicht von dem Kissen verdeckt ist, auf mein Handy. Das kleine Glühen zeigt mir, dass ich eine Nachricht habe. Ich zwinge mich dazu, es zu ignorieren, aber das Licht leuchtet die Decke im Sekundentakt an. Ich beiße mir auf die Lippen und presse die Augen zusammen. Blind greife ich nach dem Handy und drücke routiniert ein paar Knöpfe, mit denen ich die SMS öffne und wieder schließe, damit das nervige Blinken endlich aufhört. Ich schmeiße es etwas weiter von mir entfernt aufs Bett und drehe mich von ihm weg.
    Jetzt würde er sehen, was er davon hat. Ich würde stark bleiben. Vivi hat Recht… So hat das ganze einfach keinen Sinn. Das Spiel ist längst vorbei, die Extra Leben sind verbraucht.
    Game Over, Chrom.
    Und trotzdem kann ich ein Schluchzen nicht unterdrücken.


    Und dabei hatte alles nur als Scherz angefangen. Es war vor etwa einem halben Jahr gewesen, als ein Trend aus den USA sich auch bei uns breit machte. Sinn des Spieles war es, neue Leute kennen zu lernen, aber ganz anonym, wobei das wohl auch in Amerika nicht lange gehalten hat.
    Jedenfalls wurden munter Nummern gesammelt und in eine List eingetragen, die irgendeiner anfertigte. Das Ganze war recht sicher, schließlich trug man nur seinen eigenen Namen ein und erzählte auch nur Freunden davon.
    Nach Anmeldeschluss wurden die Nummern gemixt und auf die Teilnehmer verteilt und einer der Partner rief dann mit einem Nicknamen bei dem anderen an. Man plauderte ein wenig, über Gott und die Welt, die Regeln waren aber, dass man sich nur unter eigener Verantwortung traf und weder Name noch Wohnort preisgab. Sich treffen konnte man auf einer Fete, die nach drei Wochen stattfand, aber Chrom war nicht gekommen, weil er für eine wichtige Klausur hatte lernen müssen, deswegen gab es für mich auch keinen Grund, anwesend zu sein.
    Damals überredete mich Mitzi zu diesem kleinen Spiel. Sie schloss mit Vivi, Hannah und mir eine Wette ab, wer den merkwürdigsten Partner abbekam. Vivi wurde mit einem dieser typischen Machokerlen gepaart, weswegen sie schon nach zwei Anrufen seine Nummer blockierte. Hannah stritt sich mit ihrer Partnerin über ihre moralischen Wertvorstellungen, auch da brach der Kontakt schnell ab. Mitzi hingegen traf es nicht schlecht, aber irgendwann antworteten beide Parteien nur noch spärlich.
    Nur ich hielt bis heute Kontakt zu Chrom. Aber selbst nach der Fete wollte er mir seinen Namen nicht sagen.
    „Das verstößt gegen die Regeln, Lizzy“, sagte er dann immer lachend, weswegen ich es irgendwann aufgab. Ich verstand zwar nicht, warum er so lange mit mir Kontakt hielt, wenn er doch offenbar nicht will, dass etwas… das mehr aus uns wurde als bloßer Telefonkontakt und Plauderei. Er weiß genauso viel über mich wie meine Freundinnen. Und ich weiß viel über ihn.
    Ich weiß, dass er als Kind Superheld werden wollte, weil seine kleine Schwester gesagt hatte, dass ihm sein Cape an Halloween stand.
    Ich weiß, dass er immer mal wieder Gitarre spielt, aber keine Lust auf Unterricht hat.
    Ich weiß, dass er eine schreckliche Abneigung gegenüber allem Geschuppten hat, weil allein der Gedanke an glitschige Fische ihn schon zum schaudern bringen.


    Aber seinen Namen? Den weiß ich nicht.


    Mein Handy leuchtet wieder auf und ich spüre die Vibration. Der Klingelton, den ich für ihn eingestellt habe, geht los. Es ist sein aktuelles Lieblingslied.
    Maxim. Meine Soldaten.


    Ich bau eine Mauer und sprenge die Brücken.
    Systematisch jeden Gedanken an dich unterdrücken.
    Die Fotos verbrennen und die Lieder zensieren.
    Komme was wolle, ich darf die Kontrolle nie wieder verlieren.


    Wie ironisch, dass dieses Lied so gut passt.
    Ich warte ab, was passiert. Irgendwann verstummt das Lied, fängt dann aber zwei Minuten später wieder an. Klar, vielleicht habe ich das Klingeln ja auch einfach nur nicht gehört. Zumindest ist er anständig genug, es erneut zu probieren.
    Ich beiße mir auf die Lippe und presse mein Kissen gegen meine Brust. Da, der dritte Anruf. Danach wird er wohl aufgeben.
    Ja, er wird aufgeben…
    Von automatisch wandert meine Hand über die Bettdecke zu meinem Handy.
    „Hab ich es mir doch gedacht!“, ruft jemand. Ich schrecke zurück und sehe Mitzi grinsend im Türrahmen stehen. „Aber hey, das erst beim dritten Anruf. Ich hätte gedacht, dass du schon beim ersten schwach wirst.“
    Ich stöhne verzweifelt und höre die letzten Takte des Klingeltons. Stimmt ja. Alle meine Freundinnen wissen, dass der Ersatzschlüssel unter dem Blumentopf versteckt ist. Ich weiß, das ist nicht sonderlich kreativ, aber so offensichtlich, dass keiner darauf kommt.
    Mitzi nimmt mein Handy in die Hand und liest die neue Nachricht, die darauf folgt.
    „Ist es sehr wichtig?“, frage ich beinahe hoffnungsvoll.
    Nein, Eliza. Du darfst jetzt nicht nachgeben. Du hast dich entschlossen, jetzt musst du konsequent bleiben. Trotzdem…
    „Mh, nein, eigentlich nicht.“
    Mit einem gekonnten Wurf versenkt Mitzi mein Handy in einen Haufen aus Klamotten, der auf meinem Stuhl liegt und ihn blockiert.
    „Nur eine kurze Info, dass er angerufen hat, nichts weiter.“
    „Achso“, murmele ich und ziehe die Beine an. Na, wundervoll… Andererseits ist es auch besser so. Er würde mich nicht wieder einwickeln. Ich habe das Spiel beendet und so ist es auch besser.
    Sehr viel besser.
    „Jetzt häng hier nicht so rum wie ein Tropfen Wasser in der Kurve!“, mahnt Mitzi mich und zieht mich von meinem Bett. „Wir schauen uns jetzt einen Film an, das lenkt dich ab.“
    Unten warten Vivi und Hannah auf mich.
    „Hast du heute nicht Tanzunterricht?“, frage ich Vivi leicht verwirrt. Sie schüttelt den Kopf.
    „Meine Trainerin ist krank geworden.“
    Ich weiß ganz genau, dass sie lügt, aber ich sage nichts.
    „Wollen wir hier noch ewig herumstehen oder schieben wir endlich die DVD rein?“, fragt Hannah nach einer scheinbar endlosen Stille und wedelt mit den Chipstüten in der Hand durch die Gegend.
    „Die essen sich nämlich nicht von selbst, wisst ihr?“


    Ich würde ja gerne sagen, dass es mir seit meinem Entschluss, Chrom nicht mehr zu antworten und auch seine SMS nicht mehr zu lesen, besser ging. Geht nur leider nicht, denn dann müsste ich lügen. Die Tage zogen sich wie Kaugummi, jetzt, da ich niemanden mehr zum Reden hatte. Die Telefonate und SMS mit ihm haben mich immer beschäftigt, sodass ich mich nie wirklich einsam gefühlt habe. Aber jetzt?
    Meine Eltern arbeiten noch immer ganztags und kommen erst spät abends zurück. Wir essen noch zusammen und dann war es das auch schon wieder. In der Schule kann ich mit meinen Freundinnen reden, aber zu Hause ist es vollkommen still…
    Ich fühle mich einfach schrecklich einsam. Aber ich hielt mich an meinen Vorsatz.
    Die Zeit heilt alle Wunden, sagen sie. Darauf muss ich wohl oder übel vertrauen.


    Immer, wenn mein Handy zu vibrieren beginnt, muss ich darauf warten, dass Mitzi in meiner Nähe ist, denn sie hat gefordert, dass ich es ihr überlasse, die Nachrichten zu lesen. Falls es wirklich etwas Dringendes gab, dann würde sie mich informieren. Mittlerweile war ich im Ignorieren des grünen Lämpchens wirklich gut geworden.


    Es verging eine Woche, dann zwei, irgendwann hörten die Nachrichten und Antworten auf. Ich gewöhnte mich an den Gedanken, dass ich Chroms Stimme nicht mehr hören würde. Was nicht bedeutete, dass ich glücklich darüber war, ganz im Gegenteil. Aber ich wusste, dass jeder Kontakt mit ihm bedeutete, dass ich wieder anfangen würde, mir Hoffnungen zu machen. Aber die waren nutzlos, damit hatte ich mich schon längst angefreundet.


    Es ist jetzt genau drei Wochen und vier Tage her. Ich sitze in der Schule und konzentriere mich vollkommen auf den Unterricht, was mir immer leichter fällt. Chrom kreuzt meine Gedanken nur noch ein paar Mal pro Tag, meistens dann, wenn ich abends wach im Bett liege. Dann setze ich meine Kopfhörer auf und erdrücke die Gedanken mit lauter Musik. Nur hielt mich das dummerweise auch vom Schlafen ab, weswegen ich seit drei Wochen astreine, dunkle Augenringe zur Schau stelle und meine Lehrer mich immer wieder fragen, ob ich krank sei. Dazu kam noch meine Gereiztheit, die ich verzweifelt zu unterdrücken versuche, was mir aber auch nur zum Teil gelingt.


    Die Pausenglocke läutet und ich sinke in meinen Stuhl, die Arme von mir gestreckt. Meine Knochen knacken unangenehm laut.
    „Mensch, so geht das nicht weiter, Liz!“, raunt Mitzi mir zu. Sie fährt mir durch die Haare und bleibt direkt mit ihren Fingern in einem nicht gekämmten Teil stecken.
    „Das sind richtige Nester…“, murmelt Vivi, die schon auf der Suche nach ihrer Bürste in ihrer Tasche wühlt. „So kannst du doch nicht rumlaufen.“
    „Hab verschlafen“, entschuldige ich mich halbherzig, kann aber ein Gähnen nicht unterdrücken. Ich protestiere nur leicht, als Vivi mir die Bürste durch die Haare drückt und mir meinen Kopf dabei halb vom Hals reißt.
    „Ach, was ich dich noch fragen wollte“, richtet sich Mitzi wieder an mich. „Diesen Samstag ist in der Nachbarstadt das Sommerfest. Meine Eltern wollen mich dahin mitschleppen, aber ich habe keine Lust da alleine durch die Gegend zu rennen. Kommst du mit?“
    Eigentlich habe ich keine Lust. Aber ich weiß, dass Mitzi ein Nein nicht gelten lassen wird. Außerdem tut mir die Ablenkung mit Sicherheit besser als die ewige Stille zu Hause.
    „Klar, warum auch nicht“, antworte ich mit einem Schulterzucken. Mitzi will mir noch etwas sagen, aber da läutet schon die Pausenglocke und unser überpünktlicher Biolehrer knallt die Türe zu.


    In den verbleibenden zwei Tagen bis zum ersten Anlass, auf den ich mich seit langer Zeit mal wieder freuen konnte verbrachte ich viel Zeit mit Lesen und Musikhören, Hauptsache ich war abgelenkt. Jetzt, da Chrom mir gar nicht mehr schrieb, fühlte ich mich noch leerer als zu der Zeit, in der er es tat. Offensichtlich lag ihm wirklich nicht viel an mir.
    Wobei ich ihn auch nicht wirklich verantwortlich machen konnte. Immerhin war ich diejenige, die von heute auf morgen nicht mehr geantwortet hatte.
    Ich arbeitete mich einmal quer durch mein Bücherregal und beanspruchte dann auch noch das meines Vaters, das randvoll mit Thrillern ist. In diesen zwei Tagen lernte ich einen Haufen an Mordmethoden, von denen ich mir vornahm, eine davon zu verwenden wenn es mal nötig werden würde.


    Am Samstagmorgen klingelt es an der Türe. Selbst heute sind meine Eltern nicht zu Hause. Meine Mutter ist auf einer Tagung und mein Vater muss einen Vortrag für potentielle Neukunden der Firmen halten, für die er arbeitet.
    Ich öffne Mitzi, die sofort mit einer Tasche voll Make-Up und anderem Zeug hereinstürmt. Sie schminkt sich lieber bei mir, weil ihre beiden großen Brüder mit Absicht das Badezimmer extra lange besetzen, um ihr mal zu zeigen, wie das ist. Sie wirkt leicht gehetzt und aggressiv (ein Wunder, dass sie die Tür nicht aus den Angeln reißt) und rauscht auch gleich die Treppe hoch in mein Zimmer. Als ich ihr folge sehe ich, wie sie aus meinem Schrank Klamotten herausholt.
    „Was machst du da?“, frage ich leicht verwirrt.
    „Dir dein Outfit zusammenstellen“, antwortet sie kurz angebunden und erstick meine nächste Frage mit einer einfachen Handbewegung wieder im Keim. Ich zucke mit den Schultern und lasse mich auf mein Bett fallen. Aus Gewohnheit schaue ich auf mein Handy, aber ich weiß eigentlich schon, was ich da vorfinden werde.
    Gar nichts. Keine neue SMS. Nicht von meinen Eltern, nicht von Chrom.
    Ich beiße mir auf die arg malträtierten Lippen.


    „Wir gehen mal alleine auf Erkundungstour!“, verkündet Mitzi und hakt sich bei mir ein. Ihr Vater murmelt eine Zustimmung, aber vermutlich hat er eh nicht ganz verstanden, was seine Tochter ihm gesagt hat, denn er hängt mit dem Kopf über einem laminierten Stück Papier, auf dem die Daten des Autos stehen, die überall auf dem Platz verteilt sind. Ihre Mutter plaudert fröhlich mit ein paar ihrer Bekannten und Mitzis Brüder schleichen auch über den Platz und suchen nach einem neuen Gefährt.
    „Gott sei Dank, die sind wir los“, grummelt meine Freundin schlecht gelaunt. Auf der Fahrt waren munter Lieder gesungen worden, was angesichts der mangelnden musikalischen Fähigkeiten in ihrer Familie mehr ein Desaster war als alles andere. Trotzdem sang ich mit, denn mittlerweile waren Mitzis Eltern für mich mehr Familie als meine eigenen. Ich genieße die Zeit, die ich mit Bernhard und Louise verbringe, und freue mich immer auf die nächste.


    Wir wanderten eine Weile durch die Gegend, bevor wir vor einem großen, abgetrennten Bereich zum Halten kamen. Dort stehen wir jetzt schon eine Weile und beobachten den Menschenkicker. Es ist im Grunde wie ganz normaler Kicker, nur eben in Lebensgröße und mit Menschen als Spielfiguren, die an Stangen festgeschnallt werden. Dass das nicht ganz einfach ist, ist ja eigentlich selbstverständlich. Immer wieder fliegt einer auf die Nase oder tritt daneben, manche vergessen gerne auch mal, dass vor ihrem Bauch eine Stange hängt und rennen volle Kanne dagegen. Mitzi neben mir macht sich non-stop darüber lustig und auch ich muss immer mal wieder lachen.
    „Wir würden das besser machen“, raunt sie mir laut zu, dass jeder in der Umgebung es hören kann. Ich nicke mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Wie schwer kann das bitte sein?
    Der Schiedsrichter dreht sich zu uns um und pfeift das Spiel ab. Er wendet sich an die drei Jungen, die schon seit geraumer Weile spielen und immer wieder gegen andere Gegner antreten.
    „Sieht aus, als hättet ihr eine neue Herausforderung!“, grinst er sie an.
    „Na dann nur zu!“, meint der Größte von ihnen. „Glaubt nur nicht, dass wir einfach zu schlagen sind.“
    „Ach, und woher nehmt ihr das Selbstvertrauen?“, frage ich betont desinteressiert, als Mitzi und ich uns über die Bande schwingen.
    „Wir sind die Bezirksmeister unserer Altersklasse!“, tönt der Linke.
    „Ow, wir haben solche Angst!“ Mitzi hält meine Arme und tut so, als würden ihre Beine schlottern. „Halt mich fest, Eliza! Ich glaube, ich falle gleich in Ohnmacht!“
    Die Menge rund um uns herum bricht in lautes Gelächter aus.
    „Wir müssen das Ganze aber etwas fairer machen“, meint der Schiri, nachdem er sich endlich etwas beruhigt hat. „Luke, gehst du rüber?“
    Der, der sich bisher herausgehalten hat, nimmt seine Hände aus den Schnallen und stellt sich auf unsere Seite.
    „Verräter!“, tönt es von der gegnerischen Seite, aber Luke lacht nur. Ich schaue ihn aus dem Augenwinkel an. Er ist recht groß, mit wildem, braunen Haar und einer leicht schiefen Nase, als wäre sie schon einmal gebrochen gewesen. Als er meinen Blick merkt, nickt er mir aufmunternd zu.
    Ich wende mich ab und grinse frech.
    Als ob ich Angst vorm Versagen hätte.


    Tja, hätte ich den Mund mal nicht zu voll genommen.
    Tatsächlich ist dieses Spiel weitaus schwieriger, als man so annimmt. Vor allem, wenn die Freundin sich kaum reinhängen kann, weil sie auf die glorreiche Idee kam, einen Rock anzuziehen. Sie maulte die Gegner zwar schon die ganze Zeit an, sie sollen sich das blöde Grinsen vom Gesicht wischen, aber die provozieren sie noch sehr viel mehr.
    Bis dem rechten Kerl- ganz aus Versehen, versteht sich- der Ball die Visage polierte. Und Gott- der Schuss scheint echt hart gewesen zu sein, so benommen wie er gerade durch die Gegend torkelt.
    „Hupps“, meint Luke betont ernsthaft, auch wenn ich genau sehe, wie seine Lippen beben. Ich schaue ihn eine Weile an und als er meinen Blick sieht, starrt er zurück. Wir sehen einander kurz in die Augen und grinsen uns schadenfroh an.
    „Das war Absicht!“, faucht der –noch- unbeschadete Gegner ihn an. „Gibs doch zu! Du spielst jetzt schon seit Jahren Fußball! Da trifft man nicht einfach daneben.“
    „Kann passieren!“, antwortet der Hahn im Korb gelassen und nimmt die Hände aus den Schlaufen, um sie beschwichtigend hochzuhalten. Dann wendet er sich an den älteren Mann im Hochstuhl.
    „Können wir kurz eine Pause machen? Ich glaube, Jonas kippt gleich um.“
    Als der Coach nickt und verkündet, dass es in fünf Minuten weitergeht, fahre ich mir mit dem Handrücken über die Stirn. Himmel, es ist wirklich unendlich heiß. Ich schlendere zu Mitzi herüber, die sich den Faltenrock glatt streicht und mit einem überlegenen Grinsen an dem torkelnden Typen vorbeistolziert. Wir schauen uns kurz an und verkneifen uns das Gelächter, bis wir uns in etwas Entfernung unter einem Baum fallen lassen. Ab da gibt es einfach kein Halten mehr. Wir liegen uns kichernd in den Armen und wischen uns die Lachtränen aus den Augenwinkeln.
    „Hast du sein Gesicht gesehen? Gott, so schnell wird der das nicht vergessen, so einen großen, roten Fleck hat der auf der Wange!“
    „Also ich finde ja, dass das sehr stylisch aussieht!“
    „Neuste Mode!“
    „Das wird alle Laufstege erobern!“


    Wir merken gar nicht, wie sich jemand uns nähert. Erst als er sich räuspert schauen wir auf und sehen Luke, der etwas unsicher lächelnd vor uns steht.
    „Äh, die wollen mich nicht mehr bei sich haben“, erklärt er, ohne uns anzusehen.
    „Na, das kann ich vollkommen verstehen!“, kichert Mitzi mit einer ungesund roten Gesichtsfärbung. „Mode hin oder her, angenehm war das sicherlich nicht!“
    Er schaut uns etwas verwirrt an, aber sie winkt nur ab. Ich stoße ihr in die Rippen und lege meinen Kopf auf ihre Schultern, um möglichst unauffällig etwas in ihr Ohr murmeln zu können.
    „Dein Ritter in goldener Rüstung!“, flüstere ich ihr zu.
    Mitzi hebt die Augenbrauen und grinst mich wissend an.
    Hä? Hatte ich irgendwas verpasst?
    Normalerweise würde sie jetzt grinsen und ihn sich schnappen. Aber stattdessen-
    „Ah, verdammt, ich hab meiner Mutter versprochen, mal kurz Bericht erstatten zu gehen. Warte hier, Eliza, ich bin nur kurz weg!“
    Mit diesen Worten springt sie auf und rast davon. Und wenn ich rasen sage, dann meine ich das auch so. Ich schaue ihr verdattert hinterher. Hä? Wie jetzt?
    „Darf ich mich setzen?“, fragt Alex mich mit einem kleinen Lächeln. Noch immer etwas verwirrt murmele ich und schaue noch einmal zurück, dorthin, wo Mitzi gerade verschwunden war.
    Was zum Teufel…


    „Du, äh… Spielst also schon länger Fußball?“
    Ich sitze mit angezogenen Beinen auf der Wiese, etwa zwei Meter von Luke entfernt und rupfe munter Gras heraus. Die Stille war echt unangenehm, aber er machte keine Anstalten, sie zu beenden. Seine grasgrünen Augen starren aber nur zu den Ständen, wo Leute geschäftig umherlaufen und sich gegenseitig herumschubsen. Die Stadt ist wirklich hoffnungslos überfüllt, da bin ich froh, abseits sitzen zu können. Große Menschenmengen mochte ich noch nie. Leichte klaustrophobische Ansätze, schätze ich.
    „Ja, schon ein paar Jahre“, antwortet Alex dann doch irgendwann. Er fährt sich mit dem Handrücken über die Stirn und lehnt sich zurück gegen den Baum. Der arme Kerl muss vollkommen fertig sein. Ich meine, ich bin ja schon erschöpft, aber er, Mister Trendsetter und sein Freund haben schon gespielt, seit wir beim Lebend-Kicker angekommen sind. Und bevor sie gegen uns gespielt haben, haben wir vier weitere Matches beobachten können. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie ich an seiner Stelle aussehen würde. Vermutlich ziemlich tot.
    „Interessierst du dich für Fußball?“
    „Meine Freundin und ihre Familie sind ziemliche Fußballnarren“, antworte ich. „Und vor einer Weile habe ich mich etwas mehr damit beschäftig. Aus… Gründen.“ Ich muss ihm ja wohl kaum sagen, dass ich es getan habe, weil mein Telefonschwarm Fußball spielt und ich mit ihm darüber reden wollte, um Pluspunkte zu sammeln. Nein, das geht wirklich niemanden etwas an.
    „Aus Gründen“, wiederholt er mit einem leichten Grinsen.
    „Aus Gründen“, bestätige ich und merke, dass mir leicht das Blut in die Wangen strömt. Wie bescheuert sich diese Antwort anhört…
    „Ihr kommt nicht von hier, oder?“
    Oh, wow. Jetzt scheint er wirklich neugierig geworden zu sein. Ich runzele für einen Moment die Stirn. Na gut, vielleicht interessiert er sich ja auch nur für Mitzi und denkt, dass er über mich Infos zur ihr bekommt.
    „Ne, wir kommen aus einer Nachbarstadt.“
    „Dachte ich mir. Ihr wärt mir sicher aufgefallen, so laut wie ihr kichert.“
    Ich hebe eine Augenbraue. Macht er sich etwa über uns lustig? Na wenn das so ist… Was er kann, kann ich noch lange.
    „Und wo kommt unser Möchtegern-Ritter in Alufolie her?“, feuere ich zurück und lächele ihn so freundlich an, wie ich kann. Luke schaut mich für einen Moment verwirrt an, muss dann aber lachen.
    „Autsch. Eins zu null für dich.“ Na zumindest hat er Humor. Ich lockere meinen Griff um ein Büschel Gras, das mir kurzzeitig als Aggressions-Bewältigungs-Mittel gedient hat. Vermutlich meinte er es nicht einmal so. Ich bin einfach unnötig gereizt. Mit den letzten Wochen ist es etwas besser geworden… Aber eben nur ein wenig. Und jetzt, wo ich wieder an ihn denken muss, fühle ich mich, als hätte jemand den Reset-Knopf gedrückt.
    „Ich bin auch nicht von hier. Wohne in einem kleinen Kuhkaff in der Nähe.“
    „Das Dorf, hm?“
    „Wow, diese Begeisterung!“ Luke hebt beschwichtigend die Hände.
    Ich muss etwas grinsen. Er ist wohl wirklich kein schlechter Kerl.
    „Ich hab selbst mal in einem gelebt und fand‘s schrecklich. Inklusive gaffender Nachbarn und tratschender Hausfrauen.“
    Luke dreht sich zu mir um. „Wollen wir wetten, dass es bei mir schlimmer ist?“
    „Niemals“, grinse ich. Ich habe so einiges erlebt, niemals kann er das toppen.
    „Als meiner Schwester ihren ersten Freund nach Hause gebracht hat, ist das halbe Dorf Amok gelaufen. Willst du wissen, warum?“ Luke grinst siegessicher. „Weil sein Arm tätowiert war und er eine Narbe an der Augenbraue hatte. Eine ganz kleine nur. Aber du kennst das ja. In Null Komma nichts war aus Alex, dem neuen Freund, Alex das Gangmitglied, der Punk, der Verbrecher geworden.“
    Ich mache den Mund auf und blinzele kurz. Okay, ja. Das ist definitiv schon eine Nummer. Aber vollkommen glaubwürdig. Gerüchte machen in einem Dorf einfach viel zu schnell die Runde. Und gelangweilte Hausfrauen mit Schriftstellerambitionen gibt’s viel zu oft.
    „Und lass mich raten. Dabei war Alex die Freundlichkeit in Person?“
    „Absolut.“ Luke schüttelt leicht den Kopf. „Spätestens seit dieser Sache kümmert sich meine gesamte Familie nicht mehr um unsere Nachbarn. Wir ignorieren sie einfach.“
    „Ist wohl das Beste“, nuschele ich. Wir schweigen für eine Weile.
    „Also, kannst du es toppen?“, spricht er mich dann irgendwann an.
    „Schon, ja.“ Ich strecke die Beine von mir und schaue zum Lebend-Kicker. Es haben sich ein paar andere Leute gefunden, die jetzt an die Stangen gefesselt hin und herlaufen. Laute Rufe und Gelächter schallt zu uns herüber. „Bei uns ist oft das Jugendamt angetanzt, weil die alte Frau von nebenan dachte, dass meine Eltern mich vernachlässigen würden. Totaler Quatsch. Und als ich noch ganz jung war, hat sie die Polizei wegen Ruhestörung angerufen, weil ich beim Spielen im Garten etwas lauter war. Die war absolut auf Terror aus.“
    „Ätzend“, stößt Luke aus und verzieht das Gesicht zu einem schiefen Grinsen. „Manchmal habe ich das Gefühl, dass manche Menschen nur noch am Leben sind, um anderen ihres zur Hölle zu machen.“
    Ich lache trocken. Das kann er auf jeden Fall laut sagen.
    Als wir wieder in Schweigen verfallen, fällt mir auf, dass es mir jetzt nicht mehr ganz so unangenehm ist. Wir sitzen einfach nebeneinander und schauen uns in der Gegend um. Der Lärm und die Menschenmassen sind weit von uns entfernt. Zum ersten Mal seit langem ist es okay, einfach mal nichts zu tun. Zum ersten Mal seit langem schweifen meine Gedanken nicht sofort zu Chrom. Und jetzt, als sie es tun, fällt es mir leicht, sie wieder von ihm wegzubekommen. Irgendwann fällt mein Blick zurück auf den Lebendkicker. Der Junge mit dem grell rot leuchtenden Abdruck im Gesicht starrt in unsere Richtung. Ich kann nicht genau erkennen, ob er wütend ist, nur, dass er sich ein übergroßes Kühlpack auf die Wange drückt.
    „Meinst du, er verzeiht dir den Schuss irgendwann?“ Ich muss ein wenig grinsen. Ich an seiner Stelle würde es wohl nicht tun.
    „Ich weiß nicht, was es da zu Verzeihen gibt. Das war immerhin ein fürchterlicher, unglücklicher Unfall.“ Ich hebe eine Augenbraue und schaue ihm ins vollkommen ernste Gesicht. Seine Lippen sind fest aufeinander gepresst und auf seiner Stirn bildet sich eine angestrengte Falte.
    Synchron lachen wir los.
    Erst ist es nur ein leichter Kichern, dann ein Lachen, und irgendwann finde ich seinen zunehmend röter werdenden Kopf so amüsant, dass ich mir den Bauch halten muss. Ich bekomme kaum mehr Luft und kippe seitlich ins Gras.
    „Atmen!“, stößt Luke zwischen zwei Lachern angestrengt heraus.
    „Selber!“, gebe ich keuchend zurück. Erst als ich die Augen schließe kann ich mich zumindest ein bisschen beruhigen. Meine Seiten schmerzen fürchterlich und mein Atem geht nur rasselnd, aber das gute Gefühl bleibt. Es ist einfach schön, noch einmal so herzhaft lachen zu können.
    Als ich die Augen wieder aufmache und zur Seite blicke, sehe ich, dass Luke direkt neben mir liegt. Er schaut in die Äste des Baumes über uns, die leicht vom Wind hin und hergetrieben werden. Als er bemerkt, dass ich ihn ansehe, erwidert er meinen Blick. Ich will im ersten Moment schnell wegschauen, aber dafür ist es schon zu spät.
    „Wir haben dich da wohl ein wenig in Schwierigkeiten gebracht, hm?“ Ich muss etwas kichern, fühle mich aber gleichzeitig auch etwas schlecht. Wegen uns ist sein Kumpel jetzt wohl sauer auf ihn.
    „Ach, mach dir nichts draus. Jonah hatte das schon länger verdient.“ Luke zuckt mit den Schultern. „Auch wenn er mir dafür für eine Weile blöde Sprüche reindrückt, war es das vollkommen wert.“
    „Sorry wegen dem Ritter in Alufolie. Der war fies.“
    „Aber irgendwie auch verdient.“
    „Unsinn, ich bin in letzter Zeit nur etwas gereizt.“
    Für einen Moment nur schleicht sich etwas auf Lukes Gesicht, das ich nicht so recht deuten kann. Unwohlsein? Vielleicht, vielleicht auch nicht, ich bin mir nicht sicher.
    „Nicht so schlimm. Die letzten Wochen war das bei mir auch nicht viel anders.“ Er schaut etwas gequält und dreht seinen Kopf dann wieder Richtung Himmel. Leidensgenossen also, hm? Ich folge seinem Blick, schließe aber nach einer Weile die Augen. Die Hitze und die Anstrengung, vor allem aber das Gelächter haben mich irgendwie müde gemacht. Aber es ist keine schlechte Müdigkeit. Ich weiß, dass, wenn ich jetzt einschlafen würde, ich sicher gut träumen würde. Es ist schon komisch, wie wohl ich mich in der Gesellschaft eines vollkommen Fremden fühle. Aber es ist nicht schlimm. Nur komisch. Sofort muss ich an Hannah denken. Hannah, die noch immer an Romantik und Liebe auf den ersten Blick glaubt. Wäre sie hier, würde sie mir immer wieder mit leuchtenden Augen in die Rippen stoßen und mir über eindeutige Blicke sagen, dass Luke mein persönlicher Traumprinz ist. Ich muss etwas grinsen. Ach, als ob das alles so einfach wäre. Nur, weil man sich gut mit jemandem versteht, heißt das doch noch lange nichts. Aber ich muss zugeben, dass es definitiv schlimmeres gibt, als jetzt hier zu liegen und ein wenig Smalltalk zu betreiben.
    „Hey, kannst du mir bei einer Sache helfen?“
    Lukes Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Ich öffne die Augen, bemerke aber, dass er weiter nur hoch zu den Blättern schaut. Etwas in seiner Stimme war komisch.
    „Kommt darauf an, was es ist. Ich raube keine Bank für dich aus.“
    Er lacht leise. „Schade. Dabei hatte ich mich schon so darauf gefreut, mit dir wie Bonnie und Clyde quer durchs Land zu flüchten.“
    Ich kichere, höre aber sofort damit auf, als die Schmerzen in der Bauchgegend sich wieder melden. Mit einem unterdrückten „Au“ zwinge ich mich zur Ruhe. Wie Bonnie und Clyde? Waren die beiden nicht-
    „Ich hab kürzlich einen ziemlichen Fehler gemacht. Nein, eigentlich habe ich eine ganze Weile lang Mist gebaut. Ich weiß aber nicht, wie ich es wieder gut machen soll. Eine einfache Entschuldigung reicht jedenfalls nicht aus.“
    „Will ich wissen, was du getan hast, wenn eine Entschuldigung nicht reicht?“
    „Ich habe keine Bank überfallen“, versichert er mir grinsend. „Und ich habe auch niemanden umgebracht.“
    „Beruhigend“, stelle ich fest. Er kichert kurz und leise, danach verfallen wir wieder in Schweigen.
    „Also, was hast du getan?“
    Ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt helfen kann. Aber… Ich kann es ja zumindest versuchen, oder? Als kleiner Dank für seine Heldentat vorhin. Auch wenn ich wirklich keine Ahnung habe, ob ich die Richtige für so etwas bin. Zwischendurch spiele ich zwar mal Seelenklempnerin für meine Freundinnen, aber er ist nun mal ein Fremder. Ob ich mich da wirklich einmischen sollte?
    Er ist es, der gefragt hat. Auch wenn ich nicht weiß, warum. Vielleicht habe ich einfach diesen Seelenklempner-Vibe.
    „Ich…“, beginnt er, bricht dann aber wieder ab. Seine Stirn runzelt sich, er murmelt einige unverständliche Worte vor sich hin. Dann reißt er die Arme hoch und setzt sich auf. „Also, es ist so. Es gab da dieses Mädchen…“
    Oh je. Das kann ja heiter werden.
    Ich spüre, dass meine Laune schlechter wird. Hey, ich habe mir nicht wirklich vorgestellt, dass wir mal… Wirklich nicht! Aber trotzdem… Ich kann ja auch nichts daran ändern. Ich finde es ja schon schlimm, mich um die Beziehungsdramen meiner Freundinnen zu kümmern. Wegen ihm. Aber das sind meine Freundinnen. Luke dagegen ist ein Fremder, und selbst er kommt mit sowas zu mir… Habe ich „Paarberaterin“ auf der Stirn stehen? Will mir die ganze Welt zeigen, dass alle anderen jemanden haben, nur ich nicht? Wenn ja, dann leck mich doch, Welt.
    Es ist mir ab sofort einfach egal. Ich interessiere mich nicht weiter dafür. So einfach ist die Sache.
    Ja, in etwa so einfach wie es für ein Kleinkind ist, die Relativitätstheorie zu verstehen. Argh.
    „Wir haben uns auf eine etwas… komische Art kennen gelernt“, fährt Luke fort.
    „Komisch?“
    „Wir haben uns noch nie gesehen.“
    Okay. Jetzt ist es offiziell. Leck mich, Welt.
    „Okay“, sage ich leise und lang gezogen. Eine Internetbekanntschaft etwa? Oh je.
    „Wir kommen aus der gleichen Gegend, und wir haben schon über vieles gesprochen… Versteh mich nicht falsch. Ich… finde sie toll.“ Seine Stimme hört sich ein wenig dünn an, als er das sagt.
    „Aber?“ Ich sehe wie Luke schluckt.
    „Ich habe mich nie getraut, ihr das zu sagen.“
    Ich hebe eine Augenbraue. Nicht, dass ich es nicht verstehen würde. Eigentlich tue ich das nämlich ziemlich gut. Viel zu gut. Und genau das stört mich. Wie soll ich denn Rat über etwas geben, das ich selbst nicht hinbekomme?
    „Naja… Dann überwinde dich?“
    Er lacht trocken.
    „Einfacher gesagt als getan“, murmelte er und sah mich mit einem niedergeschlagenen Ausdruck in den Augen an. „Dafür ist es jetzt aber eh zu spät. Sie hat allen Kontakt abgebrochen.“
    Ich reiße die Augen auf. Okay, das ist gruselig. Das hört sich ja fast so an wie-
    „Das letzte, worüber wir geschrieben haben, war mein Fußballspiel. Sie wollte immer wissen, wie wir gespielt haben.“
    Meine Stimme klingt etwas heiser als ich mich selbst fragen höre: „Und wie viel habt ihr gespielt?“
    Luke schaut mir für eine Weile in die Augen. Ich sehe aus meinem Augenwinkel, wie er das Gras neben sich bearbeitet. Als er den Mund öffnet, schlucke ich.
    „6:1“
    Der Schluck bleibt mir als bitterer Kloß im Hals stecken. Das hier… Das ist nicht sein Ernst, oder?
    An seinem Blick kann ich erkennen, dass er genau weiß, was er gerade sagt. Er weiß, wer ich bin. Er wusste es von Anfang an.
    „Ich habe ihr immer wieder geschrieben. Hab sie angerufen und gehofft, dass sie abnimmt. Und irgendwann kam tatsächlich eine Antwort. Aber nicht die, die ich erwartet habe.“ Jetzt weicht er meinem Blick aus. Vermutlich, weil ich so fassungslos aussehe. Vielleicht auch wütend. Oder traurig. Ich kann mich selbst nicht einschätzen.
    Ich habe nie geantwortet. Habe ich wirklich nicht! Ich bin stark geblieben! Hab jede Nachricht quasi blind gelöscht! Aber warum-
    „Die Nachricht kam von ihrer Freundin, die das Drama nicht mehr mit ansehen konnte. Sie hat sich meine Nummer notiert und mich später am Telefon ziemlich fertig gemacht.“ Bei der Erinnerung daran verzog er leicht das Gesicht, musste aber trotzdem etwas grinsen.
    Mitzi. Gottverdammt. Mitzi.
    Jetzt wird mir einiges klar.
    „Aber sie hatte recht. Und ich ein unheimlich schlechtes Gewissen. Ich meine, es war schon ziemlich… blöd, nicht mehr mit ihr telefonieren zu können. Aber dass ich sie so gekränkt habe…“ Es fällt ihm deutlich schwer, mir in die Augen zu sehen. Aber er tut es. Und ich kann nicht wegsehen. Weil alles auf mich hereinbricht. Direkt vor mir sitzt er also. Und Mitzi hat das alles eingefädelt. Ausgerechnet die, die mir dazu geraten hat, den Kontakt abzubrechen. „Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, wie schlecht es ihr bei dieser Sache geht“, beendet er seinen Satz.


    Ich schlucke, aber der Kloß will einfach nicht weichen. Was soll ich tun? Soll ich mich freuen, dass er diesen Plan mit ihr ausgeheckt hat? Soll ich einfach gehen, weil diese ganze Situation einfach nur komisch ist? Soll ich mich ärgern, weil er scheinbar denkt, dass ich ihm jetzt alles verzeihe?
    Das schlimme an der Sache ist, dass es eine Mischung aus allem ist. Ja, ich bin wütend. Wütend, dass noch all diesen Wochen, in denen ich mich irgendwie von ihm losgesagt habe, er plötzlich wieder vor mir steht. Aber ich bin auch traurig, dass es so weit kommen musste. Und glücklich, dass es ihm genauso ging wie mir. Glücklich, dass ich ihm doch wichtig bin. Glücklich, dass er jetzt da ist, dass ich seinen Namen kenne, weiß, wie er aussieht. Dass er jetzt hier ist, neben mir.
    Wenn ich meinen Arm austrecken würde, dann könnte ich ihn berühren. Aber irgendetwas hindert mich daran. Stattdessen öffne ich meinen Mund und presse die Worte heraus, die in meinen wirren Gedanken herumschwirren.
    „Und wenn sie jetzt hier wäre… Was würdest du dann sagen?“
    Er sieht nicht überrascht aus. Fast so, als hätte er damit gerechnet. Chrom… Nein, Luke, kennt mich eben sehr gut.
    „Dass es mir leid tut, dass ich so ein Idiot war. Dass ich feige war und Angst hatte, was sie sagen würde, wenn wir uns wirklich begegnen würden. Dann nochmal, dass es mir Leid tut.“ Er verzieht das Gesicht. „Das kann ich eigentlich nicht oft genug sagen, ich weiß… Aber vor allem würde ich sagen, dass…“
    Jetzt ist er es, der schluckt. Und ich mache es ihm nach. Es fällt ihm nicht leicht, zu reden. Mir fällt es nicht leicht zu denken. Oder zu atmen.
    „Ich würde sagen: Bitte sprich wieder mit mir. Ich mag dich, ich mag dich wirklich. Und nicht mit dir sprechen zu können ist… ätzend. Meinst du, du kannst mir vergeben, Lizzy?“
    Ich fahre mir mit der Hand übers Gesicht. Aus irgendeinem Grund kann ich ihn gerade nicht ansehen. Ich brauche zwei, zehn, zwanzig, zweihundert Sekunden, bis ich begreife, warum.
    „Hast du eine Ahnung, wie ätzend das war?“, stoße ich aus. Ich streiche mir die Haare zurück und versuche, nicht allzu stark auf meiner Lippe herumzukauen. Luke schaut schuldbewusst drein. Wirklich schuldbewusst. Inklusive Hundeblick. Glaubt er, mich so um den Finger zu wickeln?
    „Ich weiß doch, Lizzy, aber-“
    „Da bleibt man über Wochen und Wochen standhaft, löschte die Nachrichten, ohne sie anzusehen, verbringt Tage alleine, ohne jemanden zu reden… Und dann hat man das Gefühl, dass man es endlich geschafft hat und dann tauchst du hier einfach auf und machst alles wieder zunichte!“ Es sprudelt förmlich aus mir heraus. Ich kann mich nicht mehr zurückhalten. Der gesamte Gedankenbrei kommt ans Freie. Und ich weiß nicht, ob er überhaupt Sinn macht. „Ich habe gedacht, ich wäre dir egal. Dass ich nur ein kleiner Zeitvertreib bin. Das habe ich mir irgendwann eingeredet, damit es einfacher wurde! Aber hast du eine Ahnung wie schlimm es ist, sich über alles mit jemandem zu unterhalten und dann plötzlich wieder alleine zu sein? Klar habe ich Freundinnen, aber die haben nachmittags eben zu tun. Und mit ihnen spreche ich während der Schulzeit. Ich habe mir diese fürchterlichen Reality-TV-Shows angesehen, um nicht daran denken zu müssen! ‚Das wundervolle Leben der Brights‘, Luke. ‚Das wundervolle Leben der Brights‘! So einen Mist habe ich mir deinetwegen angesehen!“
    Ich schnappe nach Luft. Luke öffnet den Mund, um zu antworten, aber ich unterbreche ihn, bevor er überhaupt erst eine Silbe ausspucken kann.
    „Mit dir zu telefonieren war mein Highlight des Tages. Weil du zuhören konntest und deine Geschichten immer schrecklich lustig waren. Und weil du gute Tipps gegeben hast. Anfangs war es noch etwas komisch, aber irgendwann wurde es immer besser und bevor ich mich versehen habe ich angefangen dich wirklich, wirklich, wirklich zu mögen und dann-“
    Ich breche ab als ich realisiere, was ich da gerade gesagt habe. Habe ich ihm nicht gerade im Grunde gestanden, dass ich…?
    Scheiße. Scheiße, scheiße, scheiße! Ich Idiotin! Ich schaffe es innerhalb von wenigen Minuten, alles wieder zunichte zu machen!
    Ich merke, wie mir das Blut in die Wangen schießt. Schnell wende ich mich ab und verstecke es in meinen Händen. Ich musste ihn irgendwie ablenken… Nur wie…?
    „‘Das wundervolle Leben der Brights‘, Luke!“, stoße ich gepresst aus. Für einen Moment ist es einfach still. Ich traue mich nicht, durch die Schlitze zwischen meinen Fingern zu schauen. Aber das muss ich auch gar nicht. Wärme Hände umschließen meine Handgelenke und ziehen sie sanft von meinem Gesicht weg.
    „Kein Wunder, dass du so schlechte Laune hattest. Wenn ich sowas schauen müsste, wäre ich wohl auch genervt.“ In Lukes Stimme schleicht sich ein leises Kichern. Langsam drehe ich meinen Kopf dann doch noch in seine Richtung. Auch wenn es mir schwer fällt.
    Aber er lächelt mich nur an. Hält meine Hände in seinen und lächelt mich milde an.
    „Ich habe dich auch wirklich, wirklich, wirklich gern, Lizzy.“
    Und plötzlich ist der Kloß dreifach, vierfach so groß wieder da.
    „Bitte was?“, krächze ich. Ich habe mich nicht verhört. Hab ich nicht.
    „Soll ich es für dich buchstabieren?“, lacht er. Bevor ich etwas tun kann, beugt er sich vor. Sein braunes Haar streift meine Wange und sein Atem mein Ohr.
    „Ich habe mich in dich verliebt, Lizzy. Ich war nur zur feige, es dir zu sagen. Weil ich ein Idiot bin.“
    „Oh“, stoße ich aus. Luke weicht ein Stück zurück und sieht mich kurz perplex an.
    „Oh?“
    „Oh“, bestätige ich. Weil ich nichts Sinnvolles sagen kann. Und „Oh“ ist doch besser als schweigen, oder?“
    „Du verarschst mich doch nicht, oder?“ Ich frage nur zur Sicherheit. Ich weiß, was ich gehört habe. Und ich hoffe, bete zum Gott an den ich nicht glaube, dass er es auch ernst meint.
    „Über so etwas scherze ich nicht“, antwortet Luke ernsthaft.
    „Du hast über das Sexleben eines fiktiven Opas gescherzt. Dir traue ich alles zu“, gebe ich matt zurück. Luke zuckt nur mit den Schultern, seinen Blick in meinen verhackt. Er wartet auf meine Reaktion. Und ich weiß nicht, wie sie aussehen soll. Soll ich mich um seinen Hals werfen? Soll ich anfangen zu weinen?
    Noch bevor ich mich wirklich entschieden habe, bewegt sich mein Körper von ganz alleine. Er dreht sich um und mein Kopf landet sanft auf seiner Schulter. Luke bewegt sich nicht. Aber irgendwann spüre ich seine Hand auf meinem Rücken und sein Gesicht in meinen Haaren. So verharren wir für eine Weile.
    „Ich war nie wütend auf dich.“ Murmele ich in sein Shirt. Er hebt seinen Kopf, und ich meinen, so, dass wir uns ansehen können. „Ich hab gar kein Recht, wütend zu sein. Du hast ja nicht wirklich etwas falsch gemacht.“
    „Ich hätte dir sagen können, was ich denke. “
    „Das hätte ich auch tun können“, erwidere ich. Wir schauen uns an. Er hat wirklich schöne, grüne Augen. Ich weiß nicht, ob ich ihn mir so vorgestellt habe. Eigentlich habe ich mir nie wirklich Gedanken darum gemacht, wie er wohl aussieht. Obwohl… Doch, eigentlich schon. Aber niemals so richtig. Ich habe es mich vielleicht gefragt, aber nie versucht, mir ein Bild zu machen.
    Ich muss etwas kichern. Es war ein Missverständnis. Etwas, das einfach passiert. Keiner von uns wollte, dass es so ausgeht.
    Schätze, ich schulde Mitzi jetzt etwas. Und das wird sie mir lange, lange nachhalten.
    Ich lehne meine Stirn gegen sein. Erst ist er etwas überrascht, aber dann lächelt er mich an. Ein wenig schelmisch, stelle ich fest.
    „Heißt das, du wirst demnächst wieder abnehmen, wenn ich dich anrufe?“, fragt er.
    „Mal sehen“, antworte ich, und lache, als ich seinen gespielt geschockten Blick sehe. „Vielleicht sollte ich erst einmal deinen Namen erfahren, Chrom.“
    „Kennst du ihn nicht schon, Lizzy?“
    „Schon, aber-“
    „Luke. Luke Schneider.“
    Ich schließe die Augen. Luke Schneider, hm? Jetzt kann ich zumindest den Namen in meinen Kontakten ändern.
    „Freut mich, dich kennen zu lernen, Luke“, raune ich ihm zu. „Mein Name ist Eliza Rein.“
    Lukes Hand streicht kurz über meine Wange. Ich spüre, wie sie unter seiner Berührung kribbelt. Er beugt sich vor und haucht mir einen Kuss darauf.
    „Es ist mir eine Freude, Eliza.“
    [/tabmenu]

  • [size=8][font=georgia]

    Wow, und ich dachte, meine Updatefrequenz sei bedenklich. '-'


    Der Kommentar hier wird nicht allzu lang (Nachtrag: und man merkt ihm definitiv die Uhrzeit an), aber ich muss ihn gerade einfach schreiben, verzeih! Hab mir nämlich grad Midnight Call gegeben bzw mich eher durchgefangirlt, weil MANN WAR DAS NIEDLICH ODER WAR DAS NIEDLICH
    Aber ähm! Kommentarstruktur, Nija, you can do it!


    [align=center]MIDNIGHT CALL


    Mein erster Gedanke war tatsächlich der an Chrom aus Fire Emblem. Liegt ja bei dem doch eher untypischen Namen nicht allzu fern, lol (er und Luke gegen Ende kommen mir zudem ungefähr ähnlich dorky vor xD), aber wahrscheinlich dann doch eher an mir (*hust* will I ever be over this game or ... *hust*) ... Luke mag ich als Name übrigens auch total, so mal am Rande, hast du gut gewählt, haha. Und als Chara auch. Der ist ja voll knuffig! owo
    Aber der Reihe nach!


    Ich hatte ein bisschen Angst vor der Länge tbh, weil 17 Seiten? Holy crap. Aber das Tolle an deinen Sachen ist, dass sich selbst 17 Seiten lesen wie 2, weil a) unheimlich flüssiger und leicht zu lesender Stil, b) ein Pacing, das weder zu schnell, noch zu langsam ist, sondern genau richtig, c) die Charas allesamt sympathisch sind und d) auch die Ereignisse so unheimlich niedlich! (Hier geht gerade draußen irgendwo eine Autoalarmanlage, wtf.) woerter-zaehlen.de sagt mir, dass der Text 9285 Wörter hat, aber wow, dafür las es sich weg wie nix. Ist auch ein Talent, gerade bei so langen Sachen kann es schnell langatmig werden, aber das war hier überhaupt nicht der Fall! Im Gegenteil, nichts schien mir überflüssig, alles hatte irgendwo seinen Sinn und was rede ich hier überhaupt, du weißt hoffentlich selbst, dass du das einfach drauf hast. ^w^)/


    Was du auch drauf hast, sind sympathische Charaktere. Zwar fand ich Eliza (toller Name! ♥) an manchen Stellen ein bisschen zu ... Hm, nicht weinerlich, aber "ängstlich" und pessimistisch, aber tbh hätte ich an ihrer Stelle auch nicht viel anders gehandelt, lol. Diese Zweifel à la "vielleicht mag er mich gar nicht" sind ja so Gedanken, die im Kontext total bescheuert erscheinen, weil keiner bringt so viel Zeit seines Lebens auf, nur um so zu tun, als würde er jemanden mögen, aber sie kommen einem ja trotzdem irgendwie. Denke ich zumindest. Bin in so einer Situation noch nicht gewesen ... Aber ich kenn diese Gedanken in Richtung "omg was wenn alle nur so tun als würden sie mich mögen" nur zu gut, auch, wenn sie so null Sinn ergeben. xD Von daher kann ich ihr das auch mal verzeihen.
    Mein persönliches Highlight war ja Mitzi, so eine Freundin braucht jeder! Ist bestimmt anstrengend, aber schlussendlich wird ja alles gut. =D Ohne sie hätten wir das Happy End gar nicht so gesehen und dafür ein Shoutout an sie! o/
    Luke ist auch so knuffig tho. Das Ende, einfach so awwwwwwwww. Was'n Dork, überhaupt die ganze Situation ist so unheimlich adorable, weil's schlussendlich nur darauf beruht hat, dass keiner von den beiden sich getraut hat, was zu sagen. Und omg, was liebe ich solche Szenarien. =,D


    Als kitschig kann man es ja durchaus bezeichnen, aber nicht ZU kitschig. Halt genau richtig kitschig. Es gibt diesen Kitsch, da will ich headdesken, weil's einfach schmerzhaft ist. Ich hab da dieses eine Buch gelesen, das ich nicht nennen werde, weil es wirklich keiner je lesen sollte, aber da bestanden jedenfalls die Konversationen zwischen den Hauptcharakteren NUR aus diesem Aua-Kitsch. Dieses überschwängliche Gesülze plus diese klischeehafte Darstellung ihrer Liebe durch einen Fluch herbeigerufenen Insta-Love ... Und wenn man's dann nicht mal shippt, dann tut's nur noch weh. ._." Was hier überhaupt nicht so war, weil OMG DIE SIND JA VOLL KNUFFIG ZUSAMMEN. Und klar, Liebesgeschichten sind immer bis zu einem gewissen Grad kitschig, duh, Sinn der Sache unso, aber ... Wow, kann man mir überhaupt noch folgen?
    Jedenfalls! Musste mich erst einmal in das gesamte Szenario reindenken, hab es erst nicht so ganz begriffen mit dem Spiel, das schiebe ich aber mal auf die Uhrzeit, lol. Schlussendlich ist das Grundprinzip dann ja doch nicht schwer zu begreifen; die beiden kennen sich nicht persönlich, das ist erst einmal das Wichtigste. xD
    Fand's dann bei dem Fußballspiel aber doch schnell offensichtlich, dass Luke Chrom ist (ungefähr bei seiner ersten Erwähnung ich so "jep, passt so" xD), das hat mich aber nicht so wirklich gestört, was mich verwundert, weil normalerweise stört mich sowas. (Beste Begründung, jo.) Hat aber hier wirklich der ... Naja, Spannung würde ich nicht sagen, die hauptsächliche Spannung hier ist ja die Lovestory selbst und wie sie ausgeht, das Geheimnis, wer er nun ist, fand ich eher zweitrangig. Mag aber hauptsächlich an meiner Grundeinstellung als Dauershipperin liegen. owo Ach, und das, äh, Fußballspiel, hab mich so weggelacht, haha. x) Hab überhaupt sehr viel gelacht, ich liebe deinen Humor so sehr. xD


    Also ähm ja. Kompetentester Kommentar, den der Bereich jemals gesehen hat. #skill
    Ich glaub, ich kommentier bei dir einfach nie mehr wieder, ist für die Allgemeinheit wohl besser aber OMG ICH MUSSTE EINFACH VERZEIH MIR. Es gibt so Momente, da liest man eine Geschichte und muss einfach was dazu sagen, auch, wenn das, was man zu sagen hat, nur Fangirlgelaber ist. '-'


    Nija ~

  • Salut. (:


    Ich bin heute aufgestanden mit dem Ziel, irgendein kurzes Werk im Einzelwerke-Bereich zu kommentieren und habe mich dann doch relativ spontan dazu entschlossen, das längste Werk zu kommentieren, das ich finden konnte. Dementsprechend möchte ich mich hier jetzt also mit deinem Werk "Midnight Call" (in der fett geschriebenen Variante am Anfang des Tabs fehlt btw ein Leerzeichen, oder?) beschäftigen, wobei ich mir vorgenommen habe, @Arythmia im Aww-Faktor ein ebenbürtiger Gegner zu sein!
    Inhaltlich geht es um ein Mädchen, das bei einer Art Spiel einen Jungen kennen lernt, und sich langsam in ihn verliebt. Auf seinen Wunsch bleiben nähere Kontaktdaten geheim, sodass ein Treffen in näherer Zukunft nicht möglich ist. Auf Rat ihrer Freundinnen kommt sie zu dem Entschluss, den Kontakt zu dem Jungen abzubrechen. Nach einer längeren Melancholie-Phase geht sie mit ihrere Freundin zu einer Veranstaltung in die Stadt und trifft dort auf ihn, ohne es zu wissen. Das ganze findet auf unglaublichen 17 Seiten statt, die mich immerhin zwei Wochen lang davon abhalten konnten, es zu lesen. Und trotzdem, es ist wirklich kein Wort zu viel. Ganz im Gegenteil, man ist als Leser so gefesselt, dass man nicht aufhören möchte, zu lesen. Den Smiley hätte man aber irgendwie anpassen können, oder die Smiley-Codes ausstellen, aber der hat das Gesamtbild irgendwie ganz kurz gestört.
    Zunächst einmal zur Idee: Diese Aktion, wie sich die beiden über Telefon kennen lernen, klingt recht spannend. Davon hatte ich so noch nie gehört, aber die Erklärung im Text war auf jeden Fall verständlich. Auf genau diese Erklärung habe ich übrigens während des Lesens die ganze Zeit gewartet und dann kam sie da einfach. Ich mag das, wenn so gezielt mit der neugier gespielt wird. Dass es bei der Mehrheit tatsächlich überhaupt nicht geklappt hat, wirkt wirklich realistisch, gerade auch wenn man sich die beschriebenen Personentypen ansieht. Die beiden, die sich wider der generellen Eindrücke und Erfahrungen gut verstehen, haben mich dann irgendwie an ein Paar aus einem Werk erinnert, das wir im Französisch-Unterricht lesen mussten (ich weiß den Titel nur nicht mehr). Aber das Grundkonzept, dass sich eine Person in eine andere, die sie im echten Leben nicht kennt, verliebt, ist vielleicht auch nicht so ungewöhnlich. Trotzdem schaffst du es, dass man einfach die ganze Zeit mitfiebert, einfach weil Eliza so sympathisch wirkt (und auch über Chrom kann man ja nichts Schlechtes sagen, haha).


    Und dennoch habe ich sogar ein ganz kleines bisschen Kritik, wobei es wohl eher auf Nachfragen hinauslaufen wird.

    „Darf ich mich setzen?“, fragt Alex mich mit einem kleinen Lächeln.

    Wer ist Alex? Ja, er tauchte kurze Zeit später noch einmal in Lukes Geschichte auf, aber in der Situation, und auch ein paar Sätze später, kam mir der Name irgendwie unbekannt vor. Zumal er wirklich nur sehr selten erwähnt wurde. Vielleicht war es ja einfach ein Tippfehler, sonst habe ich einen Charakter übersehen.
    Dazu kommt noch die Frage, warum Eliza Luke nicht an der Stimme erkannt hat? Ich meine klar, sie hatten schon etwas länger keinen Kontakt mehr, aber wenn jemandes Stimme über einen recht langen Zeitraum täglich hört, dann wird man diese Stimme doch wohl schlagartig wiedererkennen, oder? Aber gut, zumindest fühlte sie sich bei ihm direkt wohl, das mag ja vielleicht auch durch das Gefühl einer bekannten Stimme entstanden sein. Was ich mich auch noch frage ist, warum die Triller und die Mordtheorien eingebracht wurden. Sollte das lediglich ihre Gefühlslage verdeutlichen? Irgendwie hatte ich zu dem Zeitpunkt ja gedacht, dass darauf auch noch ein Rückbezug folgen könnte, Spannung hat es also auf jeden Fall aufgebaut. Das hat mich zumindest bis kurz vor Schluss beschäftigt.

    Ich lehne meine Stirn gegen sein.

    Gegen sein was? D:


    Insgesamt ist es aber ein sehr stimmiges Werk, in welchem du dich häufig und vor allem am Ende so schön auf vorige Ereignisse wie das Fußballergebnis beziehst, oder auch auf das Telefongespräch über die heiße Nacht. Alles war logisch miteinander verknüpft und auch die Auflösung, wieso sie überhaupt zu dem Treffen gekommen sind, gefiel mir sehr gut. Und dazu kommt noch dein wundervoller Schreibstil, den ich auch noch weitere 17 Seiten gelesen hätte. Und irgendwo hast du den Ausdruck "Highlight des Tages" benutzt, welchen ich einfach unglaublich toll finde, weil ich den eine Zeit lang im Chat immer verwendet habe, haha. Da hat sich das lange Warten auf ein Update doch mal gelohnt. :3


    Au revoir! (:
    Flocon


    Okay, ich war vielleicht doch kein ebenbürtiger Gegner. Aww. ;_;

  • Well. It's been a while. Oops. Anyway. Nächstes Update, ho!


    24. März 2017

    2017 und ich habe mir fest vorgenommen, wieder etwas aktiver bei den Wettbewerben mit dabei zu sein. Bisher klappt das scheinbar auch ganz gut, mal sehen, ob ich das auch beibehalten kann. In diesem Update gibt es die folgenden Texte:



    • Reingewaschen (Thema: Erinnerung)
    • Reflektion (Thema: Freies Drama)
    • Blaues Blut (Thema: Familie)
    • Das geliehene Leben (Thema: Märchen) + Lange Version






    Jep. Erster Wettbewerb und ich verwechsele direkt die Mythologie, die dem Text zu Grunde liegt. Hups. Sieht man hier jetzt nicht, da ich den Namen fürs Topic in den richtigen umgeändert habe. Vorher hieß die gute Dame aber noch Styx, was ganz einfach falsch war und auch keinen Sinn machte. Bitte ignoriert das.
    Ansonsten hier ein Link zu einem Wall of Text, der die KG noch etwas mehr erklärt. Gut möglich, dass ich die aber auch noch einmal neu schreibe, einfach, weil ich so viele Ideen für den Text hatte, aber unglaublich viel streichen musste, weil 1500 Wörter echt verdammt wenig sind, wenn man sich nicht kurz fassen kann, so wie ich. :X



    Again. Wortbegrenzung.
    In der Retroperspektive kommt mit Alexandras plötzlicher Stimmungswechsel nämlich etwas zu plötzlich, besonders, weil ich diese Idee einer möglichen Parallelwelt im Spiegel auf dem Dachboden schon sehr viel länger hatte und eigentlich mal als normale KG umsetzen wollte. Das Ganze passte aber aufgrund vom festen Ort, fester Zeit und überwiegend nur zwei Charakteren ziemlich gut in ein Drama. Ich könnte es mir zumindest gut auf einer Bühne aufgeführt vorstellen.
    Kritik gab es vor allem für die Regieanweisungen, die ich teils nachvollziehen kann, teils aber auch nicht ganz. Es gibt einige Dramen, die sich weniger auf solche Anweisungen verlassen und einem Regisseur mehr Freiheiten in seiner Interpretation lassen, was okay ist. Es gibt aber auch unheimlich viele Dramen, die sehr stark beschreiben, wie etwas zu sein hat, weil der Autor ein Bild in seinem Kopf hat und möchte, dass sein Stück mit einer spezifischen Atmosphäre aufgeführt wird. Mein Text gehört da einfach zu letzterer Gattung, auch, weil er kein ganzes Drama ist und nur ein Ausschnitt ohne Regieanweisungen es schwer machen würde, die Atmosphäre zu vermitteln.



    Yeah. Gedichte. *hust*
    Ich mag die Idee. Ich denke, dass sie in einer KG besser umgesetzt worden wäre. Ich faile in Rhythmus. Kolossal.
    Noch so etwas, das ich vermutlich irgendwann mal aufarbeite, wenn ich die Lust dazu finde. Das Gedicht hat bewusst kein Reimschema, weil es ziemlich utopisch für mich gewesen wäre, das irgendwie durchzuziehen. Mir ging es mehr darum, die Geschichte zu vermitteln als ein hübsch klingendes Reim-Gedicht. Da die Message des Gedichts zum Teil nicht so gut herausgekommen ist, hier nochmal eine Erklärung:


    Aber wenn man so eine ellenlange Erklärung schreiben muss, dann ist der Plan mit dem Geschichtenerzählenden-Gedicht wohl einfach nicht aufgegangen, haha.



    Kurze Erklärung (jeesh, so viele Erklärungen in diesem Update). Ja, die junge Frau, die Herzog und Herzogin zum See geführt hat, war Jirachi. Nur eben in Menschenform. Wo soll die denn sonst hin sein, nachdem das Licht weg ist? :'D
    Außerdem: Jirachi ging es in erster Linie darum, Herzog und Herzogin eine Lektion zu erteilen, in dem Sinne, dass es hoffte, dass die beiden auf den Trichter kommen, dass nichts so wertvoll ist, wie ein Leben. Hätten sie das geschafft und einen Teil ihres Lebens geopfert, so, wie die Pokémon es am Ende taten, wäre sie den Handel gerne eingegangen. Stattdessen haben sie materielle Dinge geopfert und damit bewiesen, dass sie den Wert des Lebens ihrer Tochter nicht so hoch hielten, wie sie sollten. Dafür kann das Kind jedoch nichts, weswegen Jirachi gerne bereit war, ihr diese zwölf Jahre zu geben und zu hoffen, dass ihre Eltern es doch noch begreifen. Nach zwölf Jahren musste sie ihren Handel aber abschließen, wie versprochen, denn wenn sie inkonsequent mit ihren Wünschen ist, dann würden wohl haufenweise Menschen kommen, um zu schnorren. Sie ist in diesem Sinne also durchaus eine gute Fee, aber mehr im Bezug zur Guten Fee in Pinocchio, die auch nicht alles durchgehen lässt.
    Die Eltern sind nebenbei gestorben. Sie haben im Endeffekt also doch ihr ganzes Leben für ihre Tochter aufgegeben, angefangen vom Verlassen ihres Schlosses und der eigenhändigen Suche nach der Fee, bis zu ihrem Tod. Nur haben sie ihr Leben eben an der falschen Stelle verloren. Aber trotzdem sind sie keine schlechten Menschen, immerhin haben sie alles versucht, was sie konnten.
    Funfact: Das Märchen war schon bis zur Hälfte geschrieben, da fiel mir ein, dass Pokémon-Bezug Pflicht war. :X
    Funfact 2: Ich bin fest davon ausgegangen, dass die Wortobergrenze 2000 Wörter ist, deswegen hatte ich von anfangs 2200 Wörtern erst auf 2000 runtergesetzt und dann abgeschickt, nur, damit mir der liebe @#shiprekt mitteilt, dass das immer noch zu viel ist. Hups. Anyway, wie versprochen packe ich hier auch mal die 2000 Wörter-Version mit rein. Die gefällt mir persönlich auch einfach besser. :X





    Sou. Das wars auch schon wieder. In der Hoffnung, dass das nächste Update nicht wieder über eineinhalb Jahre dauert. :X


    Cáithlyn~

  • Hallo Cáithlyn!


    Jetzt komm ich spontan daher und lass einen Kommi da. Zwar hab ich 2017 doch recht viel bei den Wettbewerben gevotet, weswegen ich die Texte eigentlich schon kenne, aber die lange Version von „Das geliehene Leben“ interessiert mich natürlich sehr! Let’s a go!


    Das geliehene Leben


    Ich mag dieses Märchen noch immer und ich denke auch, dass diese lange Version besser passt. Freut mich trotzdem, dass du mit der kurzen Version damals teilgenommen hast, weil das wirklich eine so schöne Geschichte ist. Zum einen hast du einen schönen Schreibstil und erzählst diese Geschichte auch sehr ruhig. Das find ich, ist so etwas was Märchen an sich haben, so eine ruhige Erzählweise. Ja, manchmal können sie auch etwas brutal werden, aber ich find, sie zeichnet trotzdem so eine ruhige Erzählweise aus. So etwas „altes“ irgendwie — schwer zu beschreiben. Jedenfalls hast du das für mich hier sehr schön getroffen. Dass es sich um Jirachi handelt hat mir gefallen, weil das bissl mit dem klassischen „es taucht nur alle 1000 Jahre auf“ bricht. Das Wünscheerfüllen hast du hier aber übernommen und ich find’s gut, dass Jirachi eben eine Gegenleistung erwartet. Mir war da ja schon klar, dass das mit den materiellen Geschenken nichts wird. Ein Leben ist natürlich nur mit einem Leben aufzuwiegen und da bringen keine noch so teuren Dinge etwas. Letztendlich ist ein Leben ja das Kostbarste überhaupt! Und es ist schade, dass sie das die ganze Geschichte über nicht verstanden haben, auch wenn sie am Ende — wie ich in deiner Erklärung zum Text gelesen hab — trotzdem ihre Leben für ihre Tochter gegeben haben. Das ist hier schon ein tragischer Teil, aber vielleicht auch menschlich.
    Man könnte jetzt meckern, dass die Tochter ein bissl zu „perfekt“ ist, ohne Schwächen und alles. Aber ich denke, das trifft die kindliche Unschuld ganz gut. Und in der Umgebung, in der sie groß wird, hat sie ja auch mit all den Pokémon vor allem viel Frieden mitbekommen. Trotzdem ist es da bemerkenswert, wie sie bei den drei wichtigen Momenten genau das richtige tut, ohne groß zu verzagen. Da ist schon so eine Dankbarkeit für ihr Leben dabei und das hat mir sehr gefallen.
    Das Ende ist dann schon sehr emotional, wie die geretteten Pokémon ihr Leben für das Mädchen geben wollen. Hier hat Jirachi aber letztendlich sehr weise gehandelt, find ich. Das Mädchen war ohnehin eine Waise und hatte mit der Menschenwelt nie besonders viel zu tun. Da ist die Verwandlung in ein Milotic und somit ein Leben bei ihren Pokémon-Freunden eine gute Entscheidung. Und ich mag auch diese kleine Moral am Schluss. Das macht einen wirklich dankbar und auch ein bissl demütig. Mich zumindest. (:


    Dann bleibt mir nur noch zu sagen: Fröhliches Schreiben!

  • Thrawn

    Hat das Label Sammlung hinzugefügt.