Wie unheimlich lange habe ich hier nichts mehr gemacht ... beschämend, Asche auf mein Haupt. @meridian, @Cyndaquil und @Musicmelon, vielen Dank für eure Kommentare, ich gehe da auch noch drauf ein, versprochen!
Erstmal möchte ich aber einen Teil eines kleinen Projektes veröffentlichen, das ich im Rahmen meiner Ausbildung betreibe. Und zwar habe ich festgestellt, dass man über unser aller Leidenschaft des kreativen Schreibens auch Lernstoff verarbeiten kann - sogar bei so etwas Abstrusem wie (Steuer-) Recht. @Wenlok Holmes, du hast es so gewollt!
§ Teil 1: Enteignung §
„Das könnt Ihr nicht machen!“, brüllte der alte Bauer, dessen Gesicht inzwischen die Farbe überreifer Tomaten angenommen hatte.
Narim seufzte. Er rutschte unruhig auf dem abgewetzten Sattel seines Maultieres herum und beobachtete von seinem erhöhten Standpunkt aus, wie ein Trupp bewaffneter Reiter sich auf dem Hof am Fuße der Senke verteilte und ein ergrauter Beamter mit angespannter Haltung auf Kleinjung einredete.
Ihm gerade erklärte, dass er nichts dagegen ausrichten könnte, dass sein Hof für den Bau einer neuen Verbindungsstraße durch das Reich geräumt werden musste.
Der Zwerg schüttelte den Kopf. Er hatte den alten Mann mehr als einmal darauf hingewiesen, dass man ihn sehr wohl von seinem Land werfen konnte, wenn es den Interessen des Staates diente. Doch die typische fingrensche Sturheit war nicht zu durchdringen. Vermutlich würde auch die Entschädigung, die die königliche Schatzkammer für eine Enteignung zu zahlen verpflichtet war, den Bauern nicht über den Verlust seines Landes hinwegtrösten, das laut eigener Aussage schon seit den Tagen der Felskriege von seinen Vätern und Großvätern bearbeitet worden war. Mit einem mulmigen Gefühl im Magen trieb er sein treues Reittier weiter den Hügel hinauf. Er würde gern etwas für den Mann tun, doch ihm waren die Hände gebunden – eigentlich war es seiner persönlichen Ansicht nach tatsächlich nicht fair, dass man einer Familie einen Beutel Geld in die Hand drückte und sie damit von ihrem angestammten Familiensitz vertrieb, sie ihrer Lebensgrundlage beraubte. Natürlich, die Entschädigung war nicht zu verachten, aber was nutzte einem das im ersten Moment, wenn man sich ein neues Heim suchen musste, dazu verdammt war, sich wer-weiß-wo eine neue Existenz aufzubauen? Von der emotionalen Belastung ganz zu schweigen.
Aber Recht und Gerechtigkeit waren nun einmal zwei verschiedene Paar Schuhe, wie der Zwerg wohl wusste.
Manchmal verfluchte er sich dafür, dass er eine für seine Rasse ungewöhnlich einfühlsame Haltung hatte. Natürlich waren Zwerge an sich keine gefühlskalten, emotionslosen Wesen, aber es ließ sich nicht leugnen, dass seine reinrassigen Verwandten eine grundsätzlich rationalere, in gewisser Weise logischere Herangehensweise an viele Aspekte des Lebens hatte. Was es ihnen leider etwas schwieriger machte, mit anderen Rassen zusammenzuleben.
Ein flüchtiges Lächeln stahl sich auf Narims Lippen. Bei seinen Eltern war es anders gewesen. Streng genommen war er ein Halb-Zwerg, und er war auf seine Weise stolz darauf. Er sagte sich immer, dass er die besten Eigenschaften seiner Eltern geerbt hatte, zumindest hatte seine Mutter ihm diese Worte immer zärtlich ins Ohr geflüstert, wenn er einmal wieder mit einem blauen Auge oder einer blutigen Nase nach Hause gekommen war.
Kinder konnten sehr, sehr grausam sein.
Schnell schob der Mann die trüben Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf seinen Weg. Als Mischling schien er nirgendwo wirklich hinzugehören, doch glücklicherweise hatte er seine Berufung genau aufgrund seines vielfältigen Blutes schließlich gefunden. Denn für das, was er tat, waren sowohl ein scharfer, logisch denkender Verstand als auch ein gewisses Einfühlungsvermögen in die Lebensumstände seiner Klienten unabdingbar.
Denn Narim Hochspross Denzel war Abgabenbeauftragter. Und diese Stellung erforderte ein nicht unerhebliches Maß beider Charakterzüge.
Er war so tief in Gedanken versunken gewesen, dass er nicht bemerkt hatte, dass sein kleines Gehöft bereits in Sichtweite war. Er hätte es sich ohne Probleme leisten können, in einer der größeren Städte eine Niederlassung aufzubauen, den reichen Handwerksmeistern und Stadtadligen bei der Verwaltung ihrer Steuern zu helfen und sich somit ein stattliches Vermögen aufzubauen. Doch die engen Straßen und zusammengedrängten Massen, die sich zwischen den hohen Mauern zusammenpferchen ließen, behagten ihm noch deutlich weniger als die Aussicht auf ein einträgliches Vermögen. Abgesehen davon war seine Profession so rar, dass er auch ohne Sitz in Nahburg oder Sippstadt oder einer anderen der großen Ansiedlungen in der Gegend ein gutes Auskommen hatte. Kaufleute aus verschiedenen Ecken der Gegend suchten seinen Rat, genauso wie die kleineren Gehöfte, die mit dem komplizierten Steuersystem des Reiches einfach nicht zurechtkamen.
Narim stieg von seinem Maultier ab, tätschelte ihm die blasse Schnauze und reichte seinem Stallknecht die Zügel, der schon diensteifrig auf seinen Herrn gewartet hatte. Früher einmal hatte Narim sich mit dem Gedanken getragen, ein stolzes Pferd zu erwerben, ein rotbraunes oder geschecktes vielleicht, irgendetwas Repräsentatives, Edles. Aber ein Zwerg auf einem edlen Zuchtpferd … der erhebliche Größenunterschied würde ihn der Lächerlichkeit preisgeben. Abgesehen davon waren kleinere, robustere Tiere für die anstrengenden Wegstrecken im Hügelland die deutlich bessere Wahl.
Dennoch … ein Steinbock wäre vielleicht auch eine akzeptable Alternative, überlegte Narim, als er nachdenklich sein gepflegtes, heimeliges Haus betrat.
Er erwog den Gedanken ernsthaft, als er seinen Mantel ablegte und gierig den Duft frischen Bratens einsog, der sich unaufdringlich in sein Bewusstsein stahl. Sein Magen meldete sich sofort lautstark zu Wort, und es erforderte ein erhebliches Maß an Selbstdisziplin, um nicht sofort in die Küche zu laufen und nachzusehen, was seine entzückende Haushälterin wieder Feines gezaubert hatte.
Ein tiefer Seufzer entschlüpfte seinen Lippen, als er seine prall gefüllte Ledertasche zurechtrückte und sich die Treppe hinauf in den ersten Stock begab. Trotz der Tatsache, dass die Leute in der Regel eher zu ihm kamen und ihn um seine Dienste baten und er viel seiner Arbeit per Post erledigen konnte, war es mitunter unabdingbar, dass er Termine außer Haus wahrnahm, um seine Klienten zu beraten. Zumindest hielt er das für seine berufliche Pflicht – einige seiner Kollegen schickten eher ihre Bediensteten oder Angestellten auf solcherlei Botengänge, doch Narim zog es vor, sich selbst ein Bild der Sachlage zu machen, sofern ihm das möglich war.
Der Papierkram, der mit seiner Arbeit einherging, war ihm allerdings weit weniger recht. Mit einem leisen Seufzen ließ er sich in seinen Arbeitssessel plumpsen und machte sich daran, die aktuellen Fälle zu bearbeiten.
'Das wird ein langer Abend ...', dachte er, nahm eine glattgestrichene Tontafel zur Hand und begann, erste Notizen in das weiche Material zu ritzen.
Ja, auch, wenn das den einen oder anderen überrascht: Theoretisch ist es in der Bundesrepublik Deutschland möglich, enteignet zu werden (wenn es “zum Wohle der Allgemeinheit“ geschieht und eine gesetzlich festgeschriebene Entschädigung erfolgt). Die entsprechende Rechtsnorm findet sich im Grundgesetz (Art. 14 (3) GG).
Das hier war nur ein kleiner Einstiegsabschnitt, mit dem ich versucht habe, das kleine Stichwort “Enteignung“ anschaulich zu machen und mir meinen kleinen Abgabenbeauftragten zurechtzubasteln.