Percy Jackson- Die letzten Krieger

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  • -Percy Jackson-
    Die letzten Krieger



    Wenn Tod und Zwietracht sich zusammenschließen, der Himmel grollt und die Natur zerbricht, steht der letzte Kampf kurz bevor. Doch die Götter selbst können nicht kämpfen. Sie brauchen Helden, um den Frieden wieder zurückzubringen.
    Zwei Jahre nach dem Ende der Titanenkriege kehrt endlich etwas Ruhe in die turbulente Welt der modernen, griechischen Mythologie ein. Doch gerade, als der Friede trügerisch wurde, steht den Menschen eine Katastrophe bevor.
    Doch dieses Mal können die Kinder der großen Drei nicht eingreifen, sie sind gezwungen mit anzusehen, wie die Welt dem Abgrund näher entgegen rückt. Doch da trifft eine Prophezeiung in Kraft, die längst vergessen schien. Und mit ihr beginnt für jene der Kampf, die nicht mit Ruhm geschmückt sind. Es ist ihre Chance sich zu beweisen, in einem Kampf gegen die wohl tückischsten Gegner. Zwietracht und Tod.




    Herzlich Willkommen...

    zu meiner ersten Fanfiction hier im Board, die nichts mit Pokémon zu tun hat. Wie ihr am Titel schon erkennen könnt, dreht sie sich um das Percy Jackson Universum, das auch in Deutschland eine riesige Fangemeinde hat, zu der ich mich ebenfalls zähle.
    Selbst wenn ihr nicht alle Bücher gelesen habt wird diese Story für euch verständlich werden, da ich mir mit Hilfe einiger Freunde eigene Charaktere ausgedacht habe, die hier ihre Abenteuer erleben. Percy und Co werden daher nur am Rande vorkommen.


    Die Idee...

    entstand im Grunde durch Fangirling und Gesprächen mit anderen Usern hier im BB, diese werden dann auch noch in der Widmung erwähnt. Ich habe schon lange vorher mit den Gedanken gespielt, eine PJ-Fanfiction nur für mich selbst aufzuziehen, nur in meinem Kopf und aus Spaß. Dazu musste natürlich auch eine ordentliche Story her. Ich hab das auch eine ganze Weile durchgezogen, aber jetzt werde ich es auf Anraten auch aufschreiben und teilen.


    Fantasy. Mystery. Griechische Mythologie. Romance.


    Die Widmung...

    Geht in erster Linie an zwei User, die mir auch etwas mit den Charakteren ausgeholfen haben:
    Buxi und Trishna. Vielen Dank dafür, dass ich eure Idee für meine bösen Machenschaften zum Teil verwenden und verändern durfte.


    Die Zeit und der Ort...

    Diese FF spielt sich zu unserer Zeit in Amerika ab. Die Gruppe wird viel herumkommen, wichtige Orte und dergleichen werden genannt und beschrieben.
    Die Story spielt nach der Percy Jackson Reihe, allerdings vor Rick Riordans Fortführung „Der verlorene Halbgott“. Sie ersetzt die zweite Staffel also und hat keinerlei Verbindung dazu.


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    Die Charaktere...

    werden nur im Ansatz beschrieben, daher besteht keine wirkliche Spoilergefahr. Die Steckbriefe sollen eine Orientierung sein, die es euch Lesern einfacher macht, nachzuvollziehen, wer wer ist.
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    Feliz Benett.
    Die Knospe
    17


    Tochter des Apollon- Licht, Heilung, Weissagung, Künste


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    Leon Dale
    Der Löwe
    14


    Sohn des Apollon- Licht, Heilung, Weissagung, Künste


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    Celine Chirac
    Die Himmlische
    15


    Tochter der Hekate- Magie, Theurgie, Nekromantie, Wächterin der Tore zwischen den Welten


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    Thabatha Chirac
    Die Gazelle
    15


    Tochter der Hekate- Magie, Theurgie, Nekromantie, Wächterin der Tore zwischen den Welten


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    Noá Carter
    Der Ruhe Bringende
    18


    Sohn des Hypnos- Schlaf


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    Levin Rail
    Der, der das Leben liebt
    17


    Sohn der Iris- Regenbogen, Wind, Götterbotin


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    Arian Parker
    Der Reine
    19


    Sohn der Aletheia- Wahrheit


    [subtab='VIII']
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    Shirin Kahla
    Die Schöne
    17


    Tochter des Zephyr- Westwind, Frühlingsbote


    [subtab='IX']
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    Gina Blake
    Die Königin
    16


    Tochter des Hephaistos- Feuer, Schmiedekunst


    [tab='Freunde, Verbündete und Neutrale'][subtab='Freunde']
    Chiron, Alter unbekannt - Zentauer und Leiter von Camp Halfblood.
    Dionysos (Mr. D), Alter unbekannt - Gott des Weines und Leiter von Campf Halfblood.


    Percy Jackson, 18 - Sohn des Poseidon, Held aus den großen Titanenkriegen
    Annabeth Chase, 18 - Tochter der Athene, Heldin aus den großen Titanenkriegen
    Grover, Alter unbekannt- Faun und Held aus den großen Titanenkriegen
    Rachel Elisabeth Dare, 17- Sterbliche, Orakel von Delphi
    Clarisse, 19 - Tochter des Ares, Heldin aus den großen Titanenkriegen


    Will Solace, 18- Sohn des Apollon, Anführer der Apollo-Hütte
    Miriam, 15- Tochter des Apollon
    Haley, 18- Tochter des Apollon
    [subtab='Verbündete']
    Wird im Laufe der Story ergänzt.
    [subtab='Neutrale']
    Wird im Laufe der Story ergänzt.
    [tab='Feinde']
    Wird im Laufe der Story ergänzt.
    [tab='Disclaimer']

    Disclaimer...

    Das Universum rund um Percy Jackson, also Camp Halfblood und die Charaktere stammen von Rick Riordan und gehören daher nicht mir.
    Feliz, Celine, Thabatha, Noá, Levin, Arian, Shirin und Gina, sowie alle anderen erfundenen Charaktere sind dagegen meine Erfindung.
    Die Bilder der Charaktere sind nicht von mir gezeichnet; Leider ist es mir zum größten Teil nicht möglich, die Quellen wiederzufinden.


    Das Bild von Shirin: Cacaoa (c) By Meago auf Deviantart
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    Die Kapitelübersicht...

    Jedes Kapitel wird nach einem Lied oder einem klassischen Stück benannt werden. Der Interpret oder die Quelle darunter ist automatisch auch ein Youtube Link, damit man es sich dabei anhören kann.


    Prolog- Die Mondscheinsonata
    I. Kapitel- Sunlight Filtering Through The Trees
    II. Kapitel- Spectrum
    III. Kapitel- Applause


    Die Benachrichtigungen...

    [color=#000000]Kleio

  • -Prolog-
    Die Mondscheinsonata



    Sehr gehasstes Tagebuch,
    ich denke, ich muss dir nicht schon wieder klar machen, dass du mein Downlight des Tages bist. Ich verstehe ja immer noch nicht, warum Mum mich dazu zwingt, in dich hineinzuschreiben, aber okay. Diskussionen mit ihr bringen nichts, also habe ich es irgendwann einfach aufgegeben und füge mich ihrem Willen.
    Aber zum Glück bin ich dich ja bald los. Dann liegst du wieder fürs nächste halbe Jahr in irgendeinem Staubfach unseres Wohnwagens und gammelst vor dich hin, bis ich dich dann herausholen darf und dich noch einmal komplett durchlese. Dann werde ich wieder völlig frustriert darüber sein, was für einen Mist ich damals geschrieben habe und dich noch mehr hassen als ohnehin schon.
    Aber gut, was soll ich machen?


    Fangen wir also mit dem letzten Bericht vor deiner Zwangspause an.
    Wir sind gerade auf dem Weg Richtung Camp, meine Mum sitzt am Steuer und trällert Lady Gagas neuen Hit mit, ich hocke auf dem Beifahrersitz und schreibe. Deswegen wird das Ganze hier auch so krakelig.
    Oh, hey, ich erkenne diese Straße. Ist nicht mehr weit, bis ich endlich von dir erlöst bin.
    Mum wirft mir einen kritischen Blick zu, weil ich dich im Takt der Musik auf das Armaturenbrett schlage, also muss ich wohl damit aufhören. Könntest ja kaputt gehen.
    Na gut, ich gehe das jetzt etwas ernster an. Zumindest fürs Erste.
    Wenn ich nur wüsste, was ich schreiben soll...
    Ah, ich habs. Ich erzähle einfach etwas davon, wie aufgeregt ich bin, dass ich endlich wieder ins Camp komme. Das kommt sicherlich gut, hm?
    Also, warum genau freue ich mich aufs Camp..?
    Meine Freunde. Oh ja, die stehen ganz oben auf der Liste.
    Ich frage mich, ob Gina neue Kostüme gemacht hat. Obwohl das eine dumme Frage ist. Natürlich hat sie das, sie ist immerhin Gina.
    Ob Leon sich wohl gut eingelebt hat? Muss schwer gewesen sein, direkt nach diesem blöden Krieg mitten während der Aufräumarbeiten ins Camp geschafft zu werden.
    Apropos Aufräumen und Bauarbeiten... Ob die Hütten der anderen schon fertig sind? Sicherlich, wenn Annabeth die Konstruktion übernommen hat. Bin echt gespannt wie die aussehen. War eine gute Idee von Percy, das von den Göttern einzufordern.
    Hoffentlich bekomme ich Mr. D dazu überredet, heute Abend eine Party schmeißen zu dürfen. Das dürfte recht einfach sein, schließlich-
    Ach, Mist, Mum hat einen Hubbel überfahren. Jetzt habe ich mich verschrieben...


    „Fahr doch vorsichtiger!“, grummelte Feliz mit einem tödlichen Blick auf den schwarzen Tintenstrich, der sich quer über ihre Tagebuchseite erstreckte.
    „Magst du die Hubbel für mich einebnen?“, erwiderte ihre Mutter zwischen zwei Liedzeilen. Ihre Finger klopften rhythmisch auf das Lenkrad und auch ihr Kopf wippte zur Musik. Die Liebe dazu lag deutlich in der Familie, und das auch nicht nur auf der mütterlichen Seite.
    Das Mädchen mit dem dichten, goldblonden Haaren antwortet nicht mehr. Nein, darauf hatte sie wirklich keine Lust. Draußen erhellten nur die Scheinwerfer des Wohnmobils die Straße ein wenig, rund herum verschwanden hohe Tannen und Laubbäume im Schatten der Nacht. Als sie sich vorbeugte konnte sie einen leichten Schimmer des Mondes durch die grauen Wolken erkennen. Hier und da waren die Himmelsmeere mit Löchern versehen, aus denen kleine Sterne hervorlugten und vorsichtig Licht spendeten.
    Es war März und für Feliz Geschmack einfach viel zu kalt. Pfützen spiegelten auf dem Asphalt die Wolkendecke wieder oder reflektierten den Mond, die Frontscheibe begann langsam zu beschlagen. Sie griff herüber zum Armaturenbrett und drehte die Lüftung an, die ihr und ihrer Mutter die Haare wie wild aus dem Gesicht trieben.
    „Kennst du den Weg noch?“, fragte die jung gebliebene Frau mit den dunkelbraunen Augen.
    „Es ist erst ein Jahr her“, entgegnete ihre Tochter und klappte das Tagebuch zusammen, steckte es ins Handschuhfach, wo sie auch gleich eine Packung Kaugummi entnahm.
    „Kennst du ihn?“
    „Ja, Mum.“
    Sie verfielen wieder in Schweigen, das nur durch die Bässe der Lautsprecher unterbrochen wurde. Wax sang gerade von seiner sexy Hausfrau Rosana.
    Feliz streckte ihre müden Knochen von sich und versank tiefer in ihrem Sitz. Mit einem Blick in den Seitenspiegel stellte sie fest, dass keiner ihnen auf den Fersen war. Natürlich nicht, wer um drei Uhr nachts einem Wohnmobil hinterherfährt muss verrückt sein.
    Aber es beruhigte sie trotzdem. Ihre Mutter war nicht in Gefahr. Zwar hatten beide ihre Spuren bisher recht gut verstecken können und die häufigen Ortswechsel taten ihre übriges, aber letztlich war es doch nur eine Frage der Zeit bis man sie finden würde.
    Da war es gut, wenn Feliz für die nächste Zeit von ihrer Mutter getrennt war. Der Geruch würde schnell verschwinden und sie wäre wieder eine ganz normale Sterbliche.


    Sie fuhren an den Straßenrand, als sie ein kleines, unauffälliges Schild passiert hatten. Für Sterbliche stand darauf nur unverständliche Buchstaben mit viel zu vielen Kanten, aber vor Feliz Augen verschwammen die Letter. Sie tanzten im Takt der Musik, bis sie ihre Plätze gefunden hatten und nur noch leicht vibrierten.
    „Wir sind da.“
    Feliz sah ihrer Mutter in die braunen Augen, die auch sie hatte. Sie lächelte zwar, aber das Mädchen wusste nur zu gut, wie schwer ihr es fiel, sie gehen zu lassen. Die beiden hatten sich ja nicht einmal auf einen Zeitpunkt geeinigt, an dem sie sich wieder treffen würden. Irgendwann würde Feliz ihr eine Botschaft schicken, und dann würde ihre Mutter alles stehen und liegen lassen, die Wohnung in New York mit ein paar Koffern verlassen und in ihrem Wohnmobil hierher düsen, um ihre Tochter aufzulesen. So war es bisher immer.
    „Ich melde mich bei dir“, versprach Feliz, drückte ihre Mutter an sich und schlängelte sich an den beiden Sitzen vorbei ins hintere Abteil. Das Mädchen schlüpfte in ihre gefütterte Jacke und stülpte sich Mütze und Handschuhe über. Sie griff über ihre Bettdecke nach zwei großen Sporttaschen, die sie sich über die Schultern warf und schulterte dann noch einen Rucksack.
    Ihre Mutter lehnte an der Türe zum kleinen WC und bedachte sie mit einem kleinen Lächeln.
    „Du bist so groß geworden, seit ich dich zum Ersten Mal hier herausgelassen habe.“
    „Das ist ja auch schon sieben Jahre her“, entgegnete Feliz, als sie ein letztes Mal überprüfte, ob alles Wichtige in ihren Taschen verstaut war.
    Sieben Jahre. Eine unglaublich lange Zeit. Wie schnell sie vergeht.
    Natürlich waren diese sieben Jahre immer wieder unterbrochen worden. Feliz und ihre Mutter reisten mit dem Wohnmobil kreuz und quer durch Amerika und Europa. Deswegen war sie vor zwei Jahren auch nicht dabei gewesen, als die großen Kriege begonnen hatten.
    Sie hatte nicht an der Seite ihrer Freunde stehen können. Es war ein unglaubliches Glück, dass die meisten unbeschadet herausgekommen waren.
    „Pass auf dich auf, ja?“, bat ihre Mutter sie und legte ihr sanft ihre Hand auf die schwer bepackte Schulter. Feliz nickte ihr leicht lächelnd zu.
    „Du auch. Lass dich nicht von den Monstern fressen.“ Sie pikste der Älteren leicht in die Seite, sodass sie etwas zurückwich.
    „Du auch nicht!“, kicherte sie.
    Die beiden Frauen schauten sich einen Moment lang stumm lächelnd an. Dann wandte sich Feliz ab und drückte die Klinke des Wohnmobiles herunter. Ein kalter Luftzug brach in das Innere des Wagens hinein, wirbelte die Gardinen und die Bettdecke auf. Einzelne Schneeflocken rieselten auf Feliz sonnengebräuntes Gesicht.
    „Ich bin dann weg“, verkündete sie bei ihrem ersten Schritt aus dem Wagen.


    Die Tür schlug zu, und alles was zurückblieb war eine Mutter, die sich vor Kälte über die Arme rieb. Sie starrte mit tränenden Augen durch die Windschutzscheibe, an der Feliz vorbeiging und ein letztes Mal winkte.
    Die Frau biss sich auf die Lippen und schickte ein stummes Gebet an die Decke des Wohnwagens.
    Nach sieben Minuten leuchteten die Strahler des Wagens wieder auf und er brauste davon.


    Feliz kämpfte sich durchs Dickicht. Sie mochte die Nacht noch nie. Viel zu dunkel, da konnte doch niemand etwas bei sehen.
    Und genau deswegen zeichnete sich auf ihrer rechten Wange schon ein kleiner, aber blutender Kratzer ab, weil sich ein Zweig in ihr Gesicht verirrt hatte.
    Fluchend stapfte sie durch die schlammige Erde. Jedem Schritt folgte ein ekliges Geräusch und ihre Beine fühlten sich immer schwerer an. Die drei Taschen machten das Ganze auch nicht besser, denn sie blieb ständig irgendwo hängen und musste dann erst gereizt an den Riemen ziehen, damit die Äste abbrachen und sie ihren Weg fortsetzen konnte.
    Sobald sie im Camp war würde sie von Chiron fordern, einen ordentlichen Pfad einzuführen. Er musste ja nicht direkt an der Straße anfangen.


    Ein Knacken im Unterholz, das diesmal nicht von ihr stammte, ließ Feliz innehalten. Mit einem vorsichtigen Blick nach rechts entdeckte sie zwei riesige, gelbe Augen, die sie gefährlich anstarrten.
    „Peleus?“, entkam ihr, als sie sich aufrichtete und die Augen zusammenkniff, um besser sehen zu können.
    Flammen tanzten aus den Nüstern des Wesens und erhellten die roten Schuppen der riesigen Echse für einen Moment. Der gigantische Leib des Drachen war um einen Baum geschlungen, der bis hoch in den Himmel wuchs.
    Über Peleus Kopf strahlte schwach etwas im ersten Laub der Baumkrone.
    Feliz begann zu lächeln. Jetzt wusste sie auf jeden Fall, wo sie war.
    Vorsichtig entfernte sich das Mädchen von dem alarmierten Drachen, der mit jedem Schritt das Interesse weiter verloren und sich wieder zur Ruhe bettete. Als sie den letzten Schimmer aus den Augen verloren hatte, wandte sich Feliz nach links und setzte ihren Weg fort.


    Es dauerte nicht mehr lange, da sah sie ihr eigentliches Ziel.
    Inmitten von Bäumen und Sträuchern hob sich ein Bogen aus Marmor ab. Er stand da wie ein Relikt aus längst vergangenen Zeiten, in das kunstvoll Figuren hineingeschlagen worden waren. Ranken aus Stein wickelten sich um die Säulen, die einen Marmorbalken trugen, auf dem die gleichen, eckigen Buchstaben eingeschlagen waren wie zuvor auf dem Schild.
    Feliz konzentrierte sich auf die Lettern, die auch diesmal wieder verschwammen, aus der Reihe tanzten und sich einen neuen Platz suchten. Und als sie sich beruhigt hatten, leicht vibrierend auf einer Stelle verharrten, da konnte sie endlich lesen, was auf dem großen Bogen stand.


    CAMP HALF-BLOOD


    Feliz atmete erleichtert auf und lächelte mit pochendem Herzen. Sie war endlich wieder da.
    Sie war zu Hause.

  • -I. Kapitel-
    Sunlight Filtering Through The Trees.



    „So ein Mist.“
    Im Kamin knisterte ein Feuer, das gierig die Holzscheite verschlang. Rauch entwich hinaus in den Schornstein bis zum Himmel.
    Es war warm in der Hütte. Köpfe von getöteten Tieren und Bestien beobachteten mit funkelnden Augen den kleinen, dicklichen Mann, der frustriert auf das Glas vor ihm stand, in dem eine klar Flüssigkeit die Flammen reflektierten.
    Genau das war nämlich sein Problem. Die Flüssigkeit war klar. Nicht rot, nein, sie war klar.
    Kein Wein.
    „Wie lange will der alte Blitzheini denn bitte wütend auf mich sein“, grummelte er und warf das Glas samt Inhalt, der während des Fluges über den dicken, roten Teppich vergossen wurde, in den Kamin. Die Flammen züngelten gierig an den Scherben, die langsam schmolzen.
    Es waren magische Flammen, dazu bestimmt, den Raum immer auf einer Temperatur zu halten. Bei Bedarf konnten sie sogar kühlen, was im Sommer zwar merkwürdig schien, aber durchaus nützlich war.
    Der Mann mittleren Alters betrachtete die glühenden Scherben. Der Vorgang war in etwas so interessant, wie Gras beim Wachsen zu beobachten, aber viel mehr konnte er nicht tun. Er war jetzt schon seit Jahrhunderten auf Entzug, und seit ebenso vielen Jahrhunderten litt seine Laune darunter.
    Missmutig kickte er einen seiner Hausschuhe gegen die Wand, wo er von einem Hundekopf gefangen wurde, der sich ganz plötzlich aus seiner Starre bewegt hatte.
    „Aus!“, knurrte der Mann gereizt, erntete einen traurigen Blick und wehleidiges Winseln.
    „Schau dir diese Schnecke an, haben sie gesagt“, fauchte er und klopfte mit den Fingern auf der Sessellehne. „Die ist unglaublich heiß, haben sie gesagt. Und was hat mir das eingebracht? Einen Fluch von meinem lieben Herrn Vater. Gottverdammt, ich bin der Gott des Weines und ich kann keinen Wein trinken? Wie makaber ist das bitte?! Und zu denken, dass er jetzt da oben sitzt und-“
    Ein Klopfen an der Tür ließ ihr verstummen. Mit zusammengekniffenen Augen starrte er herüber.
    „Mr D? Sind sie noch wach?“, tönte es gedämpft durch die Mauern.
    „Wer ist da?“, rief Mr. D zurück. Die Stimme kam ihm nicht bekannt vor. Sicherlich interessierte er sich ohnehin eher weniger für die Insassen.. Äh, Bewohner des Camps, zu dessen Aufpasser Zeus ihn gemacht hatte, aber diese Stimme hatte er in den letzten zehn Tagen nicht gehört. Und weggegangen war auch keiner in dieser Zeit.
    Sowieso hatte niemand einen Grund ein Gespräch mit ihm anzufangen.
    „Feliz. Feliz Benett.“
    Der dickliche Mann runzelte verwirrt die Stirn und starrte die Tür an, die sich jetzt langsam öffnete. Er kannte keine Feliz. Zumindest erinnerte er sich nicht an diesen Namen, der nebenbei erwähnt total dämlich war. Feliz. Egal wie man ihn aussprach, in seinen Ohren klang er blöd.
    Wo waren Gertrude, Hannelore und Ludmilla nur abgeblieben?
    Hach, er erinnerte sich nur zu gerne an seine Zeiten in Deutschland. Die wussten wenigstens, wie man ein ordentliches Saufgelage veranstaltet.
    „Mr. D?“
    Er zwang sich selbst aus seinen ausschweifenden Erinnerungen über fließendes Bier und knappe Röckchen heraus, und bedachte das Mädchen, das jetzt drei Meter vor ihm stand, mit einem ausführlichen Blick von oben bis unten.
    Sie war vollbepackt mit einem Haufen an Taschen, die völlig ausgebeult waren und scheinbar kurz davor standen, vor lauter Inhalt aufzuplatzen. Über ihren blonden Haaren, in denen lauter Zweige steckten, stülpte sich eine weiße Wollmütze.
    Ihre Stiefel waren komplett schlammverkrustet, aber zumindest hatte sie sich vorher die Mühe gemacht, den gröbsten Dreck zu entfernen.
    „Kenne ich dich?“, grunzte Mr. D, als er zurück in den Sessel sank. Seit diesem blöden Vorfall mit den beinahe auferstehenden Titanen war er viel zu angespannt. Normalerweise würde etwas Alkohol das Problem lösen, aber...
    Er schickte einen tödlichen Blick Richtung Decke und sandte ein paar altgriechische Schimpfwörter gleich mit.
    Feliz zuckte nur mit den Achseln.
    „Lebe ja nur erst seit sieben Jahren hier“, meinte sie gleichgültig und strich über einen der dicken Vorhänge, die am Tag das Licht aus dem Zimmer hielten.
    „Echt?“ Mr. D hatte seinen kleinen Finger in sein Ohr gesteckt, das von seinen wilden, schwarzen Locken verdeckt wurde, und drehte ihn jetzt. Als er ihn wieder herauszog, betrachtete der dickliche Mann die Spitze interessiert. „Kann mich nicht erinnern.“
    „Ja, so wie immer“, entgegnete sein Besuch. „Ich wollte mich jedenfalls nur zurückmelden. Morgen werde ich auch noch bei Chiron vorbeischauen, aber ich habe mir gedacht, da bei ihnen Licht brennt, so mitten in der Nacht...“
    Mr. D verzog das Gesicht, als er auf die große Standuhr in der Ecke des Raumes schaute. Halb vier.
    „Warum kommst du eigentlich mitten in der Nacht hier an? Peleus hätte dich grillen können, wenn er dich erwischt hätte“, behauptete er und gab sich nicht einmal die Mühe, Besorgnis zu heucheln.
    „Gute Nacht, Mr. D“, antwortete Feliz lediglich, rückte die Riemen ihrer Tasche etwas höher und verschwand schnell durch die Tür.
    „Weiber“, grummelte der Zurückgebliebene.
    Der Hundekopf an der Wand fiepte und blickte mit seinen glänzenden, schwarzen Augen auf den Hausschuh, den der Dicke mitsamt Fuß auf den Tisch gehoben hatte.
    „Aus, verdammt noch mal!“


    Feliz hatte nicht erwartet, dass Mr. D sie beim Namen nannte. Aber es war ja wohl nicht zu viel verlangt, dass er sie zumindest am Aussehen erkannte. Dieser dauernde Alkoholentzug tat dem Gott des Weines wirklich nicht gut. Aber sie musste Zeus lassen, dass es eine geniale Idee gewesen war.
    Schnaufend wanderte sie durch das Camp, das in vollkommener Stille lag. Sie entdeckte den großen Kletterturm, auf dessen oberste Etage ein großer, goldener Kelch thronte. Die Arena verschwand beinahe ganz in der Dunkelheit der Nacht, nur hier und da erleuchteten ein paar magische Laternen die Finsternis, damit man noch ein bisschen was sehen konnte. Im Gebüsch knackte es, aber das waren vermutlich auch nur die Waldnymphen, die sich einen Spaß machen wollten, Feliz zu erschrecken.
    Dichte, weiße Wolken stiegen bei jedem Atemzug vor ihrem Gesicht hinauf. Es war fürchterlich kalt, selbst für März, aber dieser war in diesem Jahr sowieso sehr launisch gewesen. Feliz zitterte etwas unter der Last ihrer drei Taschen.
    Es war wirklich eine saudumme Idee gewesen, so viel Zeug mitzunehmen. Aber ihr war nicht viel anderes übrig geblieben. Zum Einkaufen kam sie kaum, sie könnte höchstens etwas über Amazon bestellen, aber das war immer so kompliziert. Also musste sie schon einen Haufen Kleidung mitbringen, gerade wo das Wetter so verrückt spielte. Offenbar konnten sich die Götter nicht ganz einigen.
    Es war aber nicht mehr weit. Feliz schluffte gerade an einer großen Eiche vorbei, auf der in Griechisch „Zu den Hütten“ mitsamt einem Pfeil eingeritzt war. In der Ferne entdeckte sie dunkle Schemen, viel mehr als beim letzten Mal. Percy hatte also sein Versprechen gehalten.
    Wirklich viel konnte sie in der Dunkelheit nicht erkennen. Auch hier spendeten magische Lichter ein wenig Sicht, aber Feliz war ein Kind des Tages. Ihre Augen funktionierten in der Dunkelheit einfach nicht so gut wie die von Anderen.
    Außerdem hätte sie auch morgen noch Zeit, sich genauer mit den neuen Meisterwerken auseinander zu setzen. Sie war sich sicher, dass Annabeth mal wieder eine Glanzleistung vollbracht hatte.


    Langsam schluffte das Mädchen an den neuen Hütten vorbei zu einem U-förmigen Platz. Das Gras in der Mitte knirschte mit jedem Schritt, den sie tat. Hier standen die originalen Hütten, die der Olympier. Sie sah, wie aus dem Schornstein der Hephaistos Hütte dichter Rauch quoll. Bei denen war es jetzt sicherlich schön warm. Feliz hauchte weißen Rauch in die Luft und stapfte vorbei an einer großen Marmorstatue, die in stiller Anmut auf einem Sockel stand und triumphierend den Arm in die Höhe hob. Sie schenkte dem Kunstwerk kaum Beachtung. Ihre Augenmerk galt einem Gebäude, das vielleicht zwanzig Meter vor ihr zwischen zwei anderen Hütte in der Nacht lag.
    Ihre Hütte.
    Still und unscheinbar lag sie in der Nacht, nichts daran schien auffällig. Und in der Nacht war sie es auch nicht, wenn man davon absah, dass sie etwas größer war als die anderen. Ihr Schein kam erst am Tage zur Geltung.
    Als Feliz vor der Türe stand glitten ihre Finger nur zögerlich zur Klinke. Sie musste leise sein, um die anderen Bewohner nicht aufzuwecken. Vorsichtig drückte sie die Tür auf, die leicht quietschte. Feliz fluchte in Gedanken, schlüpfte hindurch und schloss sie wieder, damit so wenig kalte Luft wie möglich hineinkam.
    Sie hatten das Innere nicht viel verändert. Es waren mehr Räume dazu gekommen, vielleicht war der Platz zu knapp für die zahlreichen Kinder geworden. Leise schlich sich das Mädchen durch den Gemeinschaftsraum, der in einen langen Flur mündete. Zehn Türen befanden sich dort. Feliz schlug von automatisch den Weg nach rechts ein. Sie fuhr mit den Fingern an den Wänden entlang und wich Statuen und Bildern aus, die die Mauern säumten und Ecken ausfüllten. Am Ende des Ganges erwartete sie eine Türe aus Ebenholz, reicht verziert und imposant. Daran hing eine Pergamentrolle, auf der in Griechisch vier Namen standen.
    Der dritte lautete Feliz Benett.


    Mit einem Lächeln drückte sie die Klinke herunter. Die Tür glitt leise auf, fahles Licht drang in den abgedunkelten Raum. Sie sah vier Betten, die an den Wänden rechts und links standen, abgetrennt durch einen Vorhang aus durchsichtigem Chiffon. In zwei Meter Höhe hing ein kleiner Holzbalkon, auf dem sich Schreibtische und große Kisten voll mit unterschiedlichem Material befanden. Photographien teilten sich die Wände mit eingerahmten Stillleben.
    In zwei Betten hoben und senkten sich die Decken, die anderen zwei waren leer.
    Feliz bahnte sich ihren Weg vorbei an einer Staffelei, einer großen Soundstation, einer halbfertigen Skulptur und einem großen Straus Blumen, der kunstvoll arrangiert auf einem Renaissance Tisch stand, der in der Mitte des Raumes viel Platz beanspruchte. Hinten rechts war ihr Bett, völlig unberührt, genauso wie die vier Quadratmeter rund um es herum.
    Möglichst leise legte das Mädchen ihre Taschen auf dem Boden ab, zog Jacke, Mütze, Handschuhe Pullover und Jeans aus und schlüpfte nur in Unterwäsche unter die Decke.
    Sie war kalt und steif, weswegen Feliz kurz fröstelte.
    Sie angelte sich aus ihrem Rucksack ein rechteckiges Kästchen. Mit einem Druck auf den großen, runden Knopf in der Mitte leuchtete das Display schwach in die Dunkelheit hinein. In kleinen Lettern stand darauf der letzte Track, der abgespielt worden war, ein klassisches Stück von Chopin.
    Feliz drehte ihren Mp3-Player um und beleuchtete damit die Decke über ihrem Bett.
    Als sie die Bilder sah, die sie an das Holz gepappt hatte, musste sie grinsen. Es waren schöne, kleine Kritzeleien, keine Kunstwerke. Portraits von ihrer Mutter und einigen Reisebekanntschaften.
    Was Kunst betraf, war sie unter ihres gleichen nur Mittelmaß. Ihre Stärke lag eindeutig in der Musik, und das war für sie auch völlig okay. Sie spielte und sang für ihr Leben gerne, und die Fähigkeit, die sie bislang unter ihren Kameraden einzigartig machte, war im Kampf zwar nicht sonderlich von Nutzen, aber mit ihr konnte man ein paar ziemlich gute Streiche spielen.
    Als das Licht von alleine verlosch, legte Feliz ihren Player auf ihren Nachttisch. Sie wälzte sich etwas hin und her, bis sie schließlich die Augen schloss und der Müdigkeit nachgab.


    Der nächste Morgen kam unerwartet.
    Und leider mit viel Geschrei.
    Feliz schreckte auf und stand halb im Bett, als das erste Kreischen an ihre Ohren dang. Wild um sich schlagend blickte sich das Mädchen nach der Quelle des Geräusches um, kam aber nicht weit, da schlang sich schon etwas um ihren Hals und drohte sie zu erwürgen.
    Panisch röchelte sie einige Flüche und versuchte verzweifelt, den Angreifer loszuwerden.
    Nur das das gar kein Angreifer war.
    „Liiiiiiiiiiz!“, quietschte eine vor lauter Aufregung viel zu hohe Stimme, die in ihren Ohren unangenehm klingelte. „Du bist ja wieder daaaaaa!“
    Jetzt wusste sie auch, wer sich da gerade in einem Wrestlinggriff vom Feinsten um ihre Kehle schlang.
    „Miriam... Bekomme... Keine... Luft!“, röchelte sie und schlug ihrer Zimmergenossin panisch auf die Schulter.
    „Lass sie endlich los!“, befahl eine zweite, tiefere Stimme. Das kleine Blondchen wurde am Kragen weggezogen, sodass sie letztlich gezwungen war, ihren Klammergriff endlich aufzulösen.
    Keuchend schnappte Feliz nach Luft. Ihre Haare standen wirr von ihrem Kopf ab, und ihre Bettdecke war noch halb um ihren Körper gewickelt. Irritiert blinzelte sie in das Licht der großen Deckenlampe, ein Kronleuchter aus filigran gearbeiteten Metalldrähten, die sich ineinander verschlangen und ein kunstvolles Muster bildeten.
    „Aber... Aber!“ Miriam plusterte halb beleidigt, halb am Boden zerstört die Wangen auf. Ihre platinblonden Engelslocken wippten, als sie ungeduldig den Kopf schüttelte. „Sie ist endlich wieder da! Nach einem ganzen Jahr! Da werde ich sie ja wohl begrüßen dürfen!“
    Das groß gewachsene Mädchen neben ihr warf dem kleinen Lockenkopf einen bedeutsamen Blick zu. Ohne jedoch ein Wort zu sagen, wandte sie sich dann aber an Feliz und setzte ein gewohnt kühles Lächeln auf.
    „Willkommen zurück, Feliz. Es erfreut mich jedes Mal wieder, deine Anwesenheit hier anzuerkennen.“
    „Schreibst du wieder einen Historienroman?“, erwiderte die Schlaftrunkene trocken und rieb sich so fest über die Augen, dass kleine Sterne vor ihnen tanzten.
    „Nein, diesmal nicht.“ Sie grinste triumphierend.
    „Ein Fantasyroman mit altertümlichen Setting?“
    Das Lächeln wich kurz aus ihrem Gesicht.
    „Ins Schwarze getroffen!“, stieß Miriam freudig aus. „Da kann man nichts machen, Haley!“
    Die Angesprochene schaute für einen Moment säuerlich, räusperte sich dann aber und zeigte das seltene, ernst gemeinte Lächeln, dass sich Feliz so hart erarbeitet hatte.
    „Schön, dass du wieder da bist.“
    „Sehr schön!“, ergänzte Miriam mit einem Kichern und warf sich gleich wieder auf Feliz, die diesmal aber vorbereitet war.


    „Gestern Nacht?“, fragte Haley ungläubig.
    „Ja“, antwortete Feliz und massierte ihre Fußballen. Sie saß im Schneidersitz auf ihrem Bett, Haley und Miriam hatten sich zwei Stühle organisiert und sich vor sie platziert. „Wir standen im Stau, und ich wollte unbedingt zurück.“
    „Heimweh?“, kicherte Miriam, die an Feliz‘ goldenen Strähnen spielte und sie zu einem leichten Zopf flocht.
    „Schon“, erwiderte das Mädchen und gähnte herzhaft. Ein Blick auf die übergroße Uhr, die in einem Rahmen aus marmornen Ranken eingeflochten war, zeigte ihr, dass es gerade mal halb sechs war. Viel zu früh eigentlich, besonders, da sie nur zwei Stunden Schlaf gehabt hatte, aber ihr war klar, dass die beiden sie nicht in Ruhe lassen würden. Also konnte sie genauso gut auch wach bleiben und ihre Neugierde befriedigen.
    Ihr Magen knurrte laut. Zumindest gab es in eineinhalb Stunden auch schon wieder Frühstück.
    „Und, wo seid ihr diesmal gewesen?“ Haley hatte wieder ihren Schreibblock in der Hand und spielte ungeduldig mit ihrem Kugelschreiber, eines dieser schwarzen Luxusmodelle, die man nur als wahrer Autor benutzte. Die Schwarzhaarige hatte die Erzählungen ihrer Zimmerkameradin schon immer als Inspirationsquelle benutzt. Sie selbst konnte nicht reisen. Ihre Mutter war gestorben, als sie noch sehr jung gewesen war, ein Autounfall, eigentlich banal, wenn man bedachte, dass ihr Leben durch ihre Affäre mit dem Sonnengott wesentlich größeren Gefahren ausgesetzt gewesen war.. Ein Satyr hatte sie damals zum Camp geführt. Für die Großgewachsene war das hier ihre Heimat, mehr hatte sie nicht übrig.
    „Deutschland, Frankreich, Großbritannien“, zählte Feliz auf. „Ich habe ein paar Fotos gemacht, wenn du willst, kannst du sie später haben.“
    Haley versuchte krampfhaft, nur neutral zu nicken, aber man sah die Begeisterung in ihren Augen deutlich. Feliz konnte nicht anders, als zu grinsen. Es hatte sich also doch nicht so viel geändert. Irgendwie... tröstlich.
    „Können wir uns eigentlich auch im Gehen unterhalten?“
    Miriam legte den Kopf schief und Haley hörte für einen Moment auf, auf ihrem Blick zu kritzeln.
    „Ich möchte einen kleinen Spaziergang machen, wenn es geht“, erklärte das Mädchen mit dem goldenen Haar.


    Am frühen Morgen war im Camp so gut wie nichts los. Hier und da reckten sich im Gebüsch und Geäst eine Waldnymphe, der Wind strich durchs Gras und trug Feliz Haare für einen Moment mit sich. Sie atmete den frischen Geruch von Erdbeeren ein, der von den Feldern herüberwehte und drehte sich lächelnd im Kreis. Die Sonne ging gerade auf und mit ihr wuchs auch ihre Lebenskraft wieder.
    Ihr Vater hatte zu viel Einfluss auf sie, stellte das Mädchen wieder einmal fest. Aber diesmal strich sie den Gedanken einfach aus ihrem Kopf.
    Egal. Sie würde sich ihren ersten Tag im Camp nicht sofort wieder verderben lassen. Sie würde die Vertrautheit genießen, das Gefühl wieder daheim zu sein.


    „Warst du auch im Louvre?“
    „Na, was denkst du denn? Wäre ja eine Schande für ein Kind des Gottes der Künste, oder etwa nicht?“
    „Und wie war es da so?“
    „Echt cool. Das Gebäude an sich ist ja schon schön, aber dazu noch die ganzen Kunstwerke... Nur die Mona Lisa war wesentlich weniger beeindruckend, als ich gedacht hätte.“
    „Wirklich? Das ist das doch Kunstwerk schlecht hin.“
    „Schon klar, aber ganz ehrlich, da gibt es Bilder, die ich weitaus interessanter finde.“
    Die drei Halbschwestern liefen Seite an Seite den Pfad herunter, der zur Arena führte. Feliz hatte sich in eine enge Jeans hineingequetscht, weil sie das erste Unterteil gewesen war, das sie in ihrer Tasche gefunden hatte, das quietschorangene Campf Half-Blood Shirt schien unter ihrem schwarzen, locker gestrickten Pullover hindurch. An ihren Haaren hatte sich Miriam ausgebtobt, sie hingen jetzt in einem brustlangen, kunstvoll geflochtenen Zopf an ihrer Seite. Das Mädchen mit den Engelslocken hatte ihr sogar noch einige Strass Steine hinein gesteckt, aber da hatte Feliz dann doch protestiert.
    „Und wie war es in Deutschland so?“
    „So lange waren wir nicht da“, erwiderte Feliz. „Wir waren nur in Berlin und haben uns da einige Dinge angesehen. Check Point Charlie, das Brandenburger Tor... Die haben da einige wirklich nette Gebäude, römisch inspiriert, mit ein paar hübschen Gravuren darin.“
    „Und England?“
    „Sagen wir, man erkennt in England deutlich, wer Tourist ist und wer nicht“, lachte Feliz schräg. „Die ganzen Anzugträger sind immerzu über die roten Ampeln gegangen, während wir schön artig stehen geblieben sind. Oh, und meine Mum hat beinahe einen Unfall gebaut. Linksverkehr und so.“
    „Eigentlich komisch, dass wir Rechtsverkehr haben, so als ehemalige, britische Kolonie“, sinnierte Haley und schob die Unterlippe vor. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte.
    „Was hat sich denn eigentlich hier so getan?“, unterbrach Feliz das Rattern in den Gehirngängen der Schwarzhaarigen.
    „Eigentlich nicht viel“, behauptete Miriam. „Wir haben ein paar Mal Fang die Flagge gespielt-“
    „Eroberung der Flagge, Miriam“, korrigierte Haley sie schnell.
    „Was auch immer.“ Der kleine Lockenkopf machte eine wegwerfende Handbewegung. Sie konnte mit solchen Spielen noch nie etwas anfangen. Alles, was sie konnte, war schauspielern. Und wenn sie sich sehr, sehr anstrengte, dann schien die Sonne etwas heller. Aber ansonsten? Für ein Kind des Gottes der Bogenschießerei war sie unterdurchschnittlich begabt und alles andere war auf dem gleichen, niedrigen Niveau. Miriam war mehr Mensch, als Halbgott. Auch das kam zwischendurch vor, und mittlerweile hatte sich das zierliche Mädchen damit abgefunden. Dann war sie eben nicht sonderlich begabt, was machte das schon? Ihr liebenswerter Charakter machte das locker wieder wett!
    „Perc-Perc hat neue Hütten bauen lassen, zusammen mit Anni!“, stieß Miriam nach einigem Schweigen begeistert aus.
    „Ja, das habe ich gestern schon gemerkt, allerdings hab ich da nicht so viel gesehen“, erwiderte Feliz. „In Planung waren letztes Jahr Hekate, Iris, Hypnos, Nemisis und Hebe.“
    „Dazu gekommen sind dann auch noch Zephyr, Nyx, Nike, Khione, Melinoe, Aletheia und Asklepios. Jedes Mal, wenn jetzt ein göttliches Elternteil eines Kindes noch keine Hütte hat, entwirft Annabeth eine und die Hephaistos Leute machen sich an die handwerkliche Arbeit“, erklärte Haley und bog rechts ein. Die Gravur im großen Baum lautete „Großes Haus“.
    „Freut mich, dass alles so glatt läuft.“
    Die drei verfielen wieder in Schweigen, bis sie am Blockhaus ankamen, in dem Feliz sich gestern schon bei Mr. D gemeldet hatte. Jetzt waren die Vorhänge aufgezogen. Obwohl es schon so früh war, schien Chiron wach zu sein.
    „Wartet ihr kurz hier?“, bat Feliz die anderen beiden, die nickten und sich auf einer Bank niederließen. Sonnenstrahlen drangen durch die Bäume und warfen Licht auf ihre Gesichter.


    Tatsächlich war Chiron schon wach. Er stand auf seinen vier Hufen an einer Theke, auf der mehrere Bücher aufgeschlagen waren und blätterte nachdenklich in ihnen herum. Er bemerkte Feliz nicht, als sie leise die Tür schloss und darauf wartete, dass er aufsah.
    Irgendwann wurde es ihr also zu bunt. Feliz räusperte sich leise und machte den Mund auf.
    „Du wagst es, mich zu ignorieren?!“, donnerte eine tiefe, grollende Männerstimme durch den Raum, so laut und schallend, dass die Bilderrahmen etwas klapperten und die Luft vibrierte. Der Zentaur schreckte aus seinen Überlegungen auf und starrte entsetzt an die Decke.
    „Beim Gütigen...“, stieß er mit bleichem Gesichtsausdruck aus. Er wartete angespannt auf eine Antwort aber die ließ auf sich warten.
    „Hier drüben, Chiron“, verkündete die Stimme, diesmal ohne Halleffekt und vibrierende Luft. Sie klang wesentlich weniger bedrohlich. „Ich stehe bei der Tür.“
    Beim dritten Wort veränderte sich die Männerstimme plötzlich wieder in eine weibliche, hell Klingende. Feliz Stimme.
    „Feliz Benett“, schnaufte Chiron, als er sie erblickte. „Hätte ich mir auch denken können.“
    Er machte ein säuerliches Gesicht, aber sobald sie entschuldigend grinste, wich der wütende Ausdruck einer freundlichen Miene.
    „Wie ich sehe, hat sich deine Fähigkeit weiter verbessert“, lobte er sie. „Nur bitte ich dich, mich nicht mehr so oft zu erschrecken. Ich dachte schon, Zeus selbst würde zu mir sprechen.“
    „Hast du ein schlechtes Gewissen?“, fragte Feliz mit einer lustigen Grimasse.
    Er ging aber nicht darauf ein. „Seit wann bist du wieder hier?“
    „Heute Nacht, drei Uhr. Hat dir Mr. D nicht Bescheid gesagt?“ Es war eine rein rhetorische Frage, natürlich hatte er das nicht. Vermutlich hatte der Gott des Entzuges ihren Besuch längst wieder verdrängt.
    Chiron warf ihr einen fragenden Blick zu. „So spät?“
    „Ich wollte einfach wieder zurück.“
    „Nun, das freut mich. Wie ist es deiner Mutter ergangen?“ Er wandte sich wieder den Büchern zu, diesmal jedoch um sie zu schließen und auf einen ordentlichen Stapel aufzutürmen.
    „Ganz gut“, erwiderte Feliz, und lehnte sich gegen den Sesselrücken, von dem aus heute Nacht noch Mr. D missmutig sein Glas beäugt hatte. Bei dem Gedanken musste sie grinsen. „Flippig und aufbrausend wie eh und je.“
    „Das freut mich zu hören. Es fiel Marina noch nie leicht, dich in jemand anderes Obhut zu lassen, aber mittlerweile scheint sie Vertrauen zu uns gefasst zu haben.“
    „Sie weint immer noch jedes Mal“, seufzte Feliz und frimelte an dem losen Stoff.
    „Sie macht sich eben Sorgen.“
    „Ich bin aber keine zehn Jahre mehr alt“, stöhnte das Mädchen und verzog das Gesicht zu einer albernen Grimasse. „Damals habe ich das ja verstanden...“
    „Ich kann sie verstehen. Die großen Titanenkriege sind gerade einmal zwei Jahre her. Es muss sie schockiert haben, dass die Gefahr noch so präsent ist“, murmelte Chiron nachdenklich und fuhr sich durch den Bart. Feliz wollte antworten, dass sie auch bei einem Autounfall sterben könnte, so wie ihr Mutter manchmal fuhr, verkniff es sich aber.
    Sie liebte ihre Mutter, keine Frage. Aber manchmal war sie einfach fürchterlich anstrengend.
    „Ich bin dann mal wieder weg“, informierte Feliz den Campleiter, der in Gedanken versunken auf den Schreibtisch starrte. Er nickte und murmelte als Signal, dass er verstanden hatte, und war dann wieder vollkommen unansprechbar.
    Es hatte sich wirklich kaum etwas verändert.


    Bis zum Frühstück verbrachten die drei Mädchen die Zeit am See. Sie setzten sich ans Ufer und tauschten Neuigkeiten aus, mal was die Weltwirtschaft betraf, mal aber auch nur die Gerüchte einer Turtelei zwischen zwei Camp Bewohnern. Sie lachten und kicherten ausgelassen wie kleine Mädchen, bis das laute Horn sie aus ihren Blödeleien herausriss.


    Sie kamen fast als Letzte an, nur die gesamte Hypnoshütte fehlte noch geschlossen, vermutlich hatten sie allesamt verschlafen, meinte Haley mit einem gleichgültigen Achselzucken. Das war offensichtlich Gang und Gebe.
    „Geht mal vor“, wies Feliz ihre Halbschwestern an, kurz bevor sie um die Ecke zum Essenspavillion bogen. Sie konnte den überlangen Tisch ihrer Hütte sehen, all ihre Geschwister, wie sie lachten und aßen, und ihr Herz wurde weich.
    Es begann zu rasen. Das hier war ihre Familie. Das war ihr zu Hause.
    Miriam begann zu kichern, als sie Feliz glücklichen Gesichtsausdruck sah und schob Haley neben sich voran, damit der Neuankömmling von den beiden verdeckt wurde.
    „Wo wart ihr denn?“ Feliz zog den Kopf ein, denn Miriam war um ein paar Zentimeter kleiner als sie. Ihr kam die Stimme nur zu gut bekannt vor. Unwillkürlich musste sie grinsen.
    „Ihr seid doch sonst keine Frühaufsteher!“, behauptete die männliche Stimme nun etwas verwundert.
    „Hat Miriam wieder zu viele Süßigkeiten gefuttert und ist vom vielen Zucker zu früh aufgewacht?“, mischte sich nun ein Mädchen ein.
    „Hab ich nicht!“, presste der Lockenkopf beleidigt hervor und pustete ihre Wangen auf. Das wirkte nur sehr viel niedlicher, als eigentlich gewollt.
    „Ach, tu doch nicht so“, gab nun eine dritte Jungenstimme von sich. „Du hast gestern Abend doch wieder genascht! Ich habs genau gesehen!“
    „Ga-h-ar nicht!“, behauptete Miriam stur und verschränkte die Arme vor der Brust.
    „Dann erklär mir doch mal, warum du heute Morgen so gekreischt hast!“
    Feliz Herz machte einen Satz. Sie schluckte den Kloß herunter, der sich in ihrem Hals gebildet hatte und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, sodass ihr Kopf zwischen Miriams und Haleys Schultern auftauchte.„Tschuldigung, war meine Schuld!“
    „Liz!“ „Oh mein Gott, Feliz!“ „Du bist ja wieder da!“
    Die Goldblonde setzte ein schiefes Grinsen auf, als es am Tisch turbulent wurde. 28 Gesichter blickten sie freudestrahlend oder aber auch nur vollkommen verblüfft an, aber alle redeten sich durcheinander. Die anderen Tische schauten verwundert herüber, doch als sie Feliz entdeckten, die entschuldigend grinste, wanken die meisten von ihnen ihr lächelnd zu und warfen gleich noch eine Begrüßung hinterher.
    „Ruhe, verdammt noch mal!“, stieß der älteste Junge irgendwann aus, als absehbar wurde, dass sich die Jugendlichen einfach nicht mehr beruhigen wollten. Er warf ihnen der Reihe nach einen mahnenden Blick zu, doch als er aufstand und auf Feliz zuging änderte sich dieser wieder in reine Zuneigung.
    „Willkommen zurück“, murmelte er ihr zu und hielt die Hände weit von sich gestreckt. Feliz grinste breit, musste die Träne, die sich ihren Weg herunterbahnen wollte, aber stark verkneifen. Erst zögerte sie noch, aber als das Brennen in den Augen schlimmer wurde und der erste Tropfen ihren Augenwinkel verließ, ging sie eilig auf ihn zu und stürzte sich schon fast in seine Arme.
    Ein Raunen ging durch die Hütte, und einige Mädchen kicherten.
    „Ihr wisst, dass das technisch gesehen Inzest ist?“, grinste ein Junge mit blondem Haar, das ihm wild vom Kopf abstand, schelmisch.
    „Ach, halt die Klappe Leon“, lachte Feliz und fuhr ihm unwirsch durch die Haare. Ihr Halbbruder protestierte schwach, ließ es aber über sich ergehen. „Ich bin einfach froh, wieder da zu sein. Und das bekommt Will jetzt eben als Erster ab!“
    „Gruppenumarmung!“, stieß Miriam freudig aus und sprang an Feliz‘ Rücken hoch, die unter ihrem Gewicht gefährlich schwankte. Erst zögerten die anderen einen Augenblick, aber spätestens als Feliz laut auflachte, setzten sie sich ebenfalls in Bewegung. Innerhalb von Sekunden war sie in einem Pulk von jungen Menschen verschwunden, die sich immer näher an sie heranpressten. Lautes Stöhnen und Murren verkündete schließlich das Ende, denn irgendwann traten sie sich gegenseitig nur noch auf die Füße und ihnen ging langsam die Luft aus.


    Es dauerte nicht lange, da war das Frühstück vergessen und der Tisch auch von anderen Halbgöttern umringt. Feliz konnte Gina ausmachen, die mit ihrem feuerroten Haar aus der Masse hervorstach, selbst Noá, der mit seiner Hütte auch endlich mal eingetrudelt war, lauschte ihren Erzählungen von haarsträubenden Essgewohnheiten, merkwürdigen Begegnungen mit Einheimischen und den Sehenswürdigkeiten, die Feliz und ihre Mutter besucht hatten. Hin und wieder ging ein Raunen durch die Menge, manchmal warf jemand einen Kommentar in den Raum, oft wurde gelacht.
    Feliz spürte die Blicke von vierzig, vielleicht auch fünfzig Leuten auf sich, und auch die, die nicht in den Massen standen sondern weiteraßen, hörten ihr zu.
    Es war ein wundervolles Gefühl so umringt zu sein von Menschen, die genau so waren wie sie auch.


    Sie erzählte gerade vom Eifelturm, da mischte sich eine deutlich ältere Stimme ein.
    „Hast du ihn noch genau im Kopf?“ Annabeth kämpfte sich erst durch die Masse, als diese jedoch bemerket, wer da drängelte, machten sie freiwillig Platz. Im Schlepptau hatte die Percy, der entschuldigend grinste.
    „Klar“, erwiderte Feliz.
    „Wie hat es sich angefühlt, darunter zu stehen?“ Die Augen der Tochter der Athene glänzten silbrig vor Begeisterung. Architektur war schon immer ihr Steckenpferd gewesen.
    „Umwerfend. Du schaust nach oben, und zwischen den Streben strahlt dir die Sonne entgegen, das Metal glänzt und leuchtet, als hätte man alles frisch poliert. Ich konnte die Spitze nicht sehen, so hoch erschien er mir von unten“, erzählte Feliz und hob die Arme. Annabeth nickte eifrig, und sprach lautlos ihre Worte nach, als wären sie ein Mantra.
    „Meinst du nicht, wir sollten ihr etwas Ruhe gönnen?“, mischte sich Percy auf einmal ein und berührte seine Freundin sanft am Arm, die erst etwas perplex schaute, dann zerstreut nickte.
    „Das sehe ich genauso“, verkündete Will Solace lauter. „Feliz ist gerade erst zurückgekommen und das auch noch mitten in der Nacht. Gebt Ruhe, Leute.“
    Das Murren wurde lauter, aber schließlich kehrten die Jugendlichen langsam, wenn auch widerwillig, zu ihren Plätzen zurück. Im Vorbeigehen wurde Feliz noch auf die Schulter geklopft oder flüchtig umarmt, begleitet von Bekundungen, wie schön es ist, dass sie wieder da ist. Sie fing kurz Ginas Blick auf und formte mit den Lippen ein „Wir sprechen uns später“, bevor der Hüttenälteste wieder ihre Aufmerksamkeit forderte.
    „Gut, dass du wieder da bist. Die Abende ohne dich waren wirklich langweilig“, raunte er ihr leise zu und stieß ihr spielerisch in die Seite.
    „Ach, tu doch nicht so. Ihr hattet sicherlich viel Spaß“, antwortete sie mit einem schiefen Grinsen.
    „Niemals!“, gab Will mit gespieltem Entsetzen zurück.
    „Hey, du Schleimer!“, sprach Leon ihn an. Er hatte sich in dem Trubel den Platz gegenüber von Feliz sichern können und grinste jetzt provozierend. „Nehmt euch doch ein Zimmer!“
    Will verdrehte die Augen und Feliz trat ihm gegen das Schienbein, das ruhelos vor und zurückschwang.
    „Benimm dich, Leon“, tadelte sie ihn mit einem mahnenden Blick aus leicht zugekniffenen Augen. Erst wollte der Jüngere etwas darauf erwidern, doch als er den Mund öffnete hob Feliz schnell die Hand und streckte den Zeigefinger heraus. Leon protestierte nur mit einem halbherzigen Murmeln, er wirkte sogar etwas schuldbewusst.
    Feliz musste resignierend lächeln. Wie schön, dass er so aufgeblüht war.
    Leon und sie verband mehr als nur der gemeinsame Vater. Sie hatte ihn kurze Zeit nach den Titanenkriegen auf ihrem Weg zurück ins Camp gefunden, als er gegen eine Harpie kämpfte, die in Folge der Nachwehen der Schlacht noch zurück ins Leben gekommen war. Wären sie und ihre Mutter damals nicht zufällig dort vorbei gekommen, wäre er jetzt wohl nicht mehr am Leben, so gänzlich ohne Kampfausbildung. Leon war damals gerade mal elf gewesen, ein verschüchtertes, ängstliches Kind, das sich an die einzige Person klammerte, die ihn verstand.
    Und das war Feliz gewesen.
    Für sie als Einzelkind fühlte es sich eine Weile so an, als hätte sie einen Bruder. Einen richtigen Bruder, nicht nur ein halber. Sie verbrachte im ersten Jahr viel Zeit damit, ihn dazu zu bringen, sich den anderen gegenüber zu öffnen, und versetzte sogar ihre Mutter dafür, was diese ihr nicht einmal lange übel nahm.
    Und jetzt saß er hier, ein kleiner Frechdachs, der strahlt wie die Sonne selbst. Er ist gewachsen in diesem letzten Jahr, sicherlich einen ganzen Kopf, vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein.
    Feliz griff über die Teller nach Leons Hand, der überrascht den Kopf hob. Er schaute sie für einen Moment verwirrt an und zog sie dann schnell wieder weg.
    „Hör auf, Liz“, grummelte er. „Ich bin kein Kind mehr.“ Feliz lächelte milde und stellte zufrieden fest, wie sein sonnengebräuntes Gesicht sich rötlich verfärbte.
    Und wie er noch ein Kind war.


    Nein. Innerhalb der Apollo Hütte hatte sich wirklich nichts verändert.

  • -II. Kapitel-
    Spectrum



    Die Luft vibrierte vor Hitze, Konturen verschwammen in undeutliche Schemen, als die Flammen hochschlugen und sie in der Höhe mit lautem Knistern in violette Funken zerstoben.
    Die feuerroten Haare klebten dem Mädchen an der schweißnassen Stirn, sie schob sich die viel zu großen Handschuhe noch ein Stück höher über die Arme. Sie griff nach einer Substanz in einem Reagenzglas, schirmte ihr Gesicht, das mit einer Schutzbrille versehen war, mit der anderen Hand ab und kippte die Flüssigkeit in die Flammen.
    Für einen Moment passierte nichts, und sie wog sich schon in Sicherheit, doch plötzlich färbte sich die giftgrüne Substanz in ein dunkles Mitternachtsblau und mit einem lauten Knall zerbarsten die Flammen.
    Funkenregen ergoss sich über die Feuerstelle, die Ambosse und nicht zuletzt das Mädchen selbst, das verzweifelt das Gesicht verzog.
    „Was war das denn gerade?“ Ein Junge, dessen braune Haut von Ruß schwarz gefärbt wurde, tauchte neben ihr auf und beugte seinen deutlich höher gewachsenen Körper über ihre Schulter.
    Das Mädchen schniefte und keuchte als sie den dichten Rauch einatmete.
    „Hab versucht-“, begann sie, wurde aber von einem heftigen Hustenreiz unterbrochen. Der Junge ging zu den Flammen, die nun mehr nur noch leicht flackerten, als hätte man ihnen die Luft abgeschnitten. Er nahm sich eine Zange und stocherte in der blau gefärbten Asche herum.
    „Du hast einfach munter Chemikalien in die Flammen gekippt?“ Er wirkte nicht aufgebracht, eher verwundert. „Gina, du bist wirklich nicht für die Schmiede geeignet. Bleib bei Elektronik, das ist besser für uns alle.“
    „Ich wollte nur helfen“, seufzte das Mädchen mit dem Flammenhaar. „Tut mir Leid. Ich räume gleich auf, versprochen.“
    Der hispanische Junge klopfte ihr aufmunternd auf die Schulter und schenkte ihr ein resignierendes Lächeln.
    „Mach dir keine Gedanken. Beim Schmieden hast du vielleicht ein paar Defizite, aber du bist ein Genie was Elektronik betrifft.“
    „Danke Alex“, murmelte Gina noch einmal bestürzt und wandte sich von ihm ab. Er öffnete noch einmal den Mund, um etwas zu sagen, aber kein Wort der Welt würde jetzt helfen. Sie haderte schon seit Jahren mit sich, dass sie als Tochter des Gottes der Schmiedekunst absolut unzureichend war. Sie hatte keinerlei Talent im Umgang mit Feuer, was in einer Schmiede definitiv nicht vom Vorteil war.
    Gina streifte die Handschuhe ab und legte sie auf eine Werkbank, zusammen mit der Schutzbrille, die einen Abdruck in ihrem Gesicht hinterließ.
    Müde fuhr sich das Mädchen mit den Händen über die Augen, die sofort zu Tränen begannen, als Rauch an sie drang. Sie zog das Haargummi, das eng um ihr Handgelenk geschlungen war, ab und begann damit, ihre Frisur wieder alltagstauglich herzurichten.
    Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass es gerade mal halb zehn war. Noch nicht viel Zeit vergangen seit dem Frühstück. Feliz war sicherlich noch nicht beim Bogenschießen fertig, zu dem Chiron die Apollohütte heute verdonnert hatte. Sie und ihre Halbgeschwister dagegen hatten keinen konkreten Auftrag bekommen, und aus der irren Hoffnung heraus, dass ihr Vater vielleicht doch endlich Mitleid mit ihr gehabt und ihr etwas mehr Macht verliehen hatte, war Gina zur Schmiede gegangen und hatte sich der Aufgabe ihrer Hütte zugewandt.
    Das Mädchen mit dem feuerroten Haar hatte mit einem einfachen Schwert angefangen, da war die Form übergelaufen und sie hätte sich beinahe die Füße versengt.
    Also beschloss sie, es mit einer Speerspitze auszuprobieren. Hier war die Mischung des Metalls so aus dem Gleichgewicht geraten, dass selbst die Brennöfen es nicht mehr ganz flüssig machen konnten.
    In einem letzten Anflug von Motivation hatte sich Gina also dem Experimentieren hingegeben. Und was war dabei herausgekommen?
    Eine Menge Rauch, eine Menge Hitze, viel verschwendete Zeit und ein bunter Funkenregen.
    Zumindest könnte man die Mischung mal in einem Feuerwerk verwenden.


    Die Hände in den Hosentaschen trottete Gina den kleinen Hang, der zur Schmiede führte, hinunter, den Blick stur auf ihre Füße gerichtet. Sie biss auf ihrer Lippen herum und verzog das Gesicht zu wilden Fratzen.
    „Es kann doch nicht sein, dass ich das gar nicht kann“, grummelte sie ohne jemand bestimmten zu meinen. Es war aber ohnehin niemand in ihrer Nähe, der sich hätte angesprochen fühlen können.
    Je länger sich darüber nachdachte, desto schmerzhafter pochte ihr Herz. Sie war eine verdammte Versagerin. Wie könnte sie ihren Vater stolz machen, wenn doch alles schief ging, wenn Feuer in der Nähe war?
    Elektrizität, alles kein Problem. Sie konnte ganze Motorräder auseinander nehmen, tunen und dann wieder zusammenbauen, aber wehe es ging sich um Schmieden. Da stellte sie sich an, als hätte sie zwei linke Hände. Oder besser noch, zwei glibbschige Tentakel.
    Missmutig kickte sie einen faustgroßen Stein den Hang herunter. Er brachte andere ins Rollen. Gina sah ihm hinterher, bis ihr zwei Paar Füße auffielen, die sich ihr näherten. Die einen steckten in schwarzen Sandalen, das andere in rüschenbesetzten Plateauschuhen, die Art, die man sich bei kleinen Prinzessinnen vorstellt. Noch bevor sie aufblickte, wusste die Tochter der Hephaistos, wer da vor ihr stand.
    „Guten Morgen, Gina!“, stieß die Blonde der beiden aus und wank ihr freudig zu. Sie hielt ihre Augen wie immer etwas zusammengekniffen, aber man sah die rosane Färbung trotzdem deutlich. Neben ihr ging ein Mädchen mit langem, schwarzen Haar und großen, aber kalten blauen Augen. Beide schienen sehr blass, aber durch die dunklen Haare wirkte das zweite Mädchen sehr viel kränklicher.
    „Hi Thaba“, grüßte Gina etwas matt, auch wenn sie sich bemühte, ein überzeugendes Lächeln aufzusetzen. „Hi Celine.“
    Die Schwarzhaarige nickte ihr zu.
    „Was treibt euch her?“, fragte das Mädchen mit den Feuerhaaren in der Hoffnung, dass sie das etwas ablenken würde. Thabatha setzte zu einer ausführlichen Erklärung an, dass sie Pflanzen sammeln gehen wollten, Celine dagegen schnitt ihr nach zehn Sekunden mit einer Handbewegung den Mund ab und fragte, mit ihren klaren, wasserblauen Augen in Ginas graue: „Ist mit dir alles in Ordnung?“
    Wie immer war Celines Stimme ruhig wie das Wasser eines Bachs. Sie war immerzu eine gefasste Person, ruhig und intelligent, als könnte nicht einmal ein Sturm sie beeindrucken.
    Dagegen war ihre Zwillingsschwester Thabatha, die jetzt schnell mit den Augen klimperte, und völlig verwirrt zwischen ihr und Gina hin und hersah, wie ein kleines, wärmendes Feuer. Sie war ein liebenswürdiges, herzensgutes Mädchen, doch viel zu naiv für diese Welt. Celine und Thaba hielten sich im Gleichgewicht, und obwohl sie so unterschiedlich waren, stritten die Töchter der Hekate doch niemals. Ihr Band war sogar so stark, dass sie sich nur über Blicke verständigen konnten, genauso wie sie es jetzt auch taten.
    Die beiden hatten ihre Gesichter zueinander gedreht, verzogen aber keine Miene. Thabas Gesicht zierte noch immer ein fröhliches Lächeln, Celines Mund dagegen war leicht geöffnet, mit einem kleinen Ausdruck der Überraschung darin.
    Irgendwann nickte die Blonde und drehte sich wieder zu Gina herum, die gewartet hatte, dass die lautlosen Gespräche abgeschlossen waren. Sie kannte die Prozedur bereits und auch wenn es anfangs komisch gewesen war, einfach unbeteiligt daneben zu stehen, so war es mittlerweile Gewohnheit geworden.
    Es war eine Eigenart, mit der man zurechtkommen musste, wenn man mit den Magiekindern befreundet war.
    „Lass uns zur Wiese gehen!“, stieß Thabatha aus und strahlte das Mädchen mit den feuerroten Haaren an. „Vielleicht gibt es ja da etwas Eisenkraut.“
    „Wofür braucht ihr denn Eisenkraut?“, fragte Gina interessiert. Sie war kein Mensch für übernatürliche Dinge, und stand den Fähigkeiten ihrer Freundinnen damit eigentlich genau entgegengesetzt, aber sie akzeptierte, dass manche Dinge auch ohne Formeln und Elektrizität funktionierten.
    „Wir probieren gerade einen neuen Zauber aus“, erklärte Thabatha und klatschte begeistert in die Hände. Es müsste eigentlich albern wirken, aber das tat es nicht. Vermutlich deswegen, weil Thaba wirklich so war, wie sie sich gab. An ihr war nichts geschauspielert, deswegen konnte sie auch gar nicht falsch wirken, so einfach war die Sache.
    „Es ist für einen Schutzzauber gegen Eindringlinge“, fügte Celine noch hinzu, beobachtete dabei aber etwas im Gebüsch.
    „Dringen die etwa in eure Hütte ein?“, fragte Gina leicht entsetzt. Das ironische daran war, dass ihr die Eindringlinge mehr Leid taten als die beiden Mädchen, die gemeinsam das kleine Häuschen, das umgeben war von dichtem Efeu, bewohnten. Erfahrungsgemäß explodierte jedes zweite Objekt, das man anpackte. Manche von ihnen sogar dann schon, wenn man sie nur schief ansah, was äußerst verstörend war. Man musste selbstmordgefährdet sein, freiwillig ohne Begleitung da hineinzugehen.
    „Wir haben Spuren gefunden, die darauf hindeuten“, murmelte Celine leise.
    „Na, um genau zu sein, haben wir von Hugo nur noch seine Federn gefunden, und du weißt ja, wie verzauberte Raben reagieren, wenn sie jemanden entdecken, den sie nicht kennen“, kicherte Thabatha.
    Gina verzog angewidert das Gesicht. Oh ja, da wusste sie definitiv. Sie hatte nach ihrem Besuch ausgesehen, als hätte man sie geteert und gefedert. Verzauberte Raben hatten nämlich die nervige Angewohnheit, sich auf den Eindringling zu stürzen, sich festzukrallen und sich dann in eine klebrige, schwarze Substanz zu verwandeln, mit denen sie ihre Federn an ihrem Opfer festklebten und ihn dadurch für mindestens zwölf Stunden markierten. Denn so lange brauchte man erfahrungsgemäß, bis auch wirklich die letzte Feder verschwunden war.
    „Langsam gehen uns aber die Raben aus, also haben wir uns überlegt, auf etwas anderes umzusteigen“, erklärte Thabatha. Gina konnte es immer noch nicht ganz fassen, aber ganz entgegengesetzt zu ihrem kindlichen Verhalten war der Tod für sie nicht einmal ansatzweise Angst einflößend.
    „Kann ich helfen?“, fragte Gina schließlich, weil Celines Blick sie schon dazu zu drängen schien.
    Die Zwillinge nickten synchron, und sogar die Schwarzhaarige konnte sich zu einem kurzen, freundschaftlichen Lächeln durchringen.


    Die Drei marschierten hintereinander durch das Geäst des Waldes, der das Camp umgab. Hohe Fichten und vereinzelte Laubbäume verschluckten das Sonnenlicht, Rascheln im Gebüsch brachte Gina dazu, sich etwas angespannt umzusehen.
    Celine und Thaba dagegen unterhielten sich, mehr einseitig, weil die Ruhige der beiden ihrem Ruf alle Ehre machte und nur hin und wieder mehr als ein gerauntes „Hm“ dazu beitrug.
    „Schön, dass Feliz wieder da ist. Gina hat uns ja so viel von ihr erzählt, da freue ich mich darauf, sie dieses Jahr endlich mal etwas näher kennen zu lernen. Letztes Jahr hatten wir ja keine richtige Gelegenheit, richtig?“
    „Hm.“
    „Sie ist ziemlich hübsch und ich habe gehört, dass sie ihre Stimme verstellen kann. Oh, und sie soll eine gute Musikerin sein, hoffentlich zeigt sie uns das heute Abend!“
    „Hm.“
    „Hey, was glaubst du, könnte noch zu Eisenkraut passen? Ich bin ja führ Lavendel, weil es so angenehm riecht, die meisten Zauber stinken ja ganz grässlich. Oder vielleicht doch etwas Rosenwasser? Obwohl, das könnte die Magie verwirren und nachher stehen wir als Blumentöpfe in unserer Hütte. Dann vielleicht Vanille? Dann riecht es immer nach Pudding und Essen!“
    „Ich finde Lavendel gut.“
    „Lavendel? Ja, ja, das ist das Beste!“
    Thaba kicherte und begann ein französisches Kinderlied zu singen. Sie schwang die Arme hin und her und hüpfte jeden zweiten Takt ein Stück vorwärts.
    Sie vermisste Frankreich nicht. Frankreich war interessant, aber kein schöner Ort zum Leben. Sie hatte die schönen Plätze allerdings auch nie zu Gesicht bekommen.
    Thaba blieb stehen und sah zurück zu Celine, die den Kopf kurz schief legte.
    Was ist?, hallte die ruhige Stimme ihrer Schwester in dem blonden Köpfchen nach.
    Ich habe nur gerade an zu Hause gedacht, informierte Thabatha sie. Sie schüttelte lächelnd den Kopf, als wolle sie den Gedanken wieder loswerden.
    Ich frage mich, wie es Papa wohl geht, warf sie dann trotzdem noch ein, auch wenn sie es erst vermeiden wollte.
    In Frankreich gibt es nicht so viele Monster, behauptete Celine. Da sind die Straßenräuber sehr viel gefährlicher.
    Weißt du noch, wie uns damals jemand ausrauben wollte?, kicherte Thaba in Celines Kopf.
    Ja. Wir haben ihn weggezaubert.
    Und wir wissen immer noch nicht wohin, die arme Socke.
    Er hatte es verdient, murmelte die Stimme der Schwarzhaarigen. Sie senkte den Kopf und schaute auf ihre schlichten, schwarzen Sandaletten. Er hat es gewagt, Mums Talisman anzufassen.
    Ja...
    Ich hoffe, er ist in der Arktis gelandet, unter der Eisfläche, ist langsam ertrunken und schwimmt jetzt als übergroßer Eiswürfel unter dem Wasser, grollte sie mit einem finsteren Blick, der nur von dem kleinen Kaninchen, das sich unter dem Strauch versteckte, gesehen wurde. Das Kleintier flüchtete schnell außer Sichtweite.
    Vielleicht haben wir ihn ja auch in eine verschlossene Höhle geschickt, wo ihm langsam die Luft ausgegangen ist, schlug Thaba vor und nickte mit einem begeisterten Lächeln. Das wäre sicherlich qualvoller, oder?


    Gina unterbrach die beiden während ihres lautlosen Gesprächs nicht. Sie sah das Mienenspiel der Zwillinge und konnte sie nur zu gut vorstellen, worüber sie sprachen. Wahrscheinlich versuchte die Blonde ihre Schwester wieder davon zu überzeugen, niedlichere Sachen zu tragen, so wie sie lächelte, und Celines grimmiger Gesichtsausdruck war Antwort genug. Thaba hatte einen Faible für diese ultraniedlichen Klamotten aus Japan, übertrieben rüschig und pink. Celine dagegen mochte es eher simple und feminin, obwohl ihre Kleidung sie älter wirken lassen sollte, sah sie doch durch ihren schmächtigen Körperbau aus wie ein halbes Kind, was ihr gerne von den Jungs gesagt wurde. Sie ignorierte das andere Geschlecht und schien auch kein Problem mit ihrem durch und durch flachen Körper zu haben. Thaba dagegen versteckte ihn unter weiten Röcken und rüschigen Tops, die sie ausstopfte.
    Als die Baumdecke über ihnen langsam Löcher bekam, strahlte helles Sonnenlicht in kleinen Flecken auf die drei Mädchen. Irgendwann verschwand das Blätterdach dann gänzlich und eine kleine Wiese tauchte vor ihnen auf, ein flacher Hügel mit saftig grünem Gras, zwischen dem zarte Blüten in Weiß, Gelb und Orange leuchteten. Am Rand der Lichtung zu den Wurzeln der gigantischen Bäume schossen Pilze, Moose und Kräuter in die Höhe, deren Blätter aussahen, als hätten Insekten sie angefressen. Sie schimmerten in dunklem Smaragdgrün und Thabatha eilte sofort auf sie zu.
    „Hier, hab das Eisenkraut gefunden!“, stieß sie aus, als sie sich trotz ihres Reifrocks, der jeden anderen behindert hätte, erstaunlich flink und ohne zu schwanken, hinhockte. „Ich pflücke ein paar Blätter, und dann machen wir ein Picknick, ja?“
    „Ein Picknick?“, fragte Gina und legte den Kopf schief. Celine nickte, griff in ihre Hosentasche und hielt auf einmal einen Zipfel rot karierten Stoff in der Hand. Sie zog daran und immer mehr der Decke tauchte aus, so viel, dass es unmöglich in diese kleine Seitentasche hätte passen können. Gina formte ihre blassen Lippen zu einem erstaunten „Oh“, sagte aber nichts. Eigentlich dürfte sie nicht überrascht sein.
    Als knappe vier Quadratmeter karierter Stoff an die Luft gefunden hatten, half die Tochter des Hephaistos der jungen Hexe dabei, ihn auf dem Hügel auszurichten. Auch Thaba stieß dazu, die ihre Tasche fallen ließ und der Reihe nach eine Brot Box, eine Flasche Sprudel und einige Äpfel aus dem kleinen Behältnis herauszog, in dem normalerweise nur Platz für eine kleine Geldbörse war.
    „Ich denke, das reicht, Mary Poppins“, grinste Gina schief und klappte die Tasche zu.
    „Und ich brauche dafür nicht einmal Special Effects!“, stieß Thaba stolz aus und zeigte ein breites, fröhliches Lächeln.
    „Sei froh, dass wir im 21. Jahrhundert wohnen“, warf die Rothaarige ein.
    „Damals hätten sie uns verbrannt“, steuerte Celine mit einem ausdruckslosen Blick auf die rot leuchtenden Äpfel bei. „Manche vermutlich auch heute noch.“


    Die ungleichen Schwestern genossen die Gespräche mit Gina. Sie war eine ausgeglichene, logisch denkende Person, die sich nur ungern auf Ungewisses einließ. Gina analysierte ein Situation in Sekundenschnelle und arbeitete dann daran eine Lösung zu finde, die für alle Beteiligten die Beste war. Die Rothaarige war der Ruhepol, ein Mensch, der einen beruhigte, alleine durch ihre Anwesenheit und ihre freundliche, ruhige Persönlichkeit. Nur sah sie das nicht. Alles was Gina dachte, wenn sie in den Spiegel sah, war, was für eine Versagerin sie doch war.
    Celine und Thabatha wussten das. Sie hatten schließlich mal aus Spaß ihre Gedanken gelesen.
    Seitdem fühlten die die Zwillinge mit ihr verbunden. Sie waren die einzigen Töchter der Hekate, viele wohnten in fernen Ländern, als Töchter von magiebegabten Vätern. Söhne hatte Hekate nicht. Die Hexenmeister, die damals, zur Zeit der Hexenverbrennung, gelebt hatten, waren in zweiter Generation entstanden und nicht ansatzweise so mächtig wie die direkten Töchter der Göttin. Denn auch, wenn es viele Normalsterblichen unter den Toten gegeben hatte, einige der Hexen waren tatsächlich Sprosse der höchsten Magierin.
    Thabatha und Celine waren Töchter der neuen Generation, hatte ihre Mutter ihnen in Gestalt einer Wahrsagerin mitgeteilt. Hekate hatte den Tod ihrer Töchter nicht ertragen und aufgehört, Kinder zu zeugen, weil sie ihnen den Schmerz ersparen wollte. Erst, als sie gemerkt hatte, dass die Inquisition längst vorüber war, hatte sie Gefühle für Sterbliche wieder zugelassen.
    Und trotzdem hatte man die Mädchen in der Schule als Hexen beschimpft. Weil Gerüchte aufgekommen waren, dass sich die Natur in ihrer Nähe merkwürdig verhielt. Das Meerwasser wich vor ihnen zurück, wenn sie sich ihm näherten, Flammen züngelten rund um ihre Finger herum, als gäbe es eine unsichtbare Barriere.
    Irgendwann waren sie nicht mehr zur Schule gegangen. Ihr Vater war immerzu auf Tournee mit seinem reisenden Zirkus und bekam nichts mit. Es gab nur diese eine, alte Frau, die sich nicht um die merkwürdigen Vorkommnisse scherte.
    „Ihr könnt doch auch nichts für eure Abstammung“, behauptete sie immerzu. Sie hatte mehr gewusst, als sie zugegeben hatte, aber Celine und Thabatha hatten ihr gegenüber niemals Angst empfunden. Sie war kein Monster gewesen, denn dieses hätte sie längst in Fetzen gerissen. Vielleicht hatte sie ja durch den Nebel blicken können... Die beiden hatten es nie herausgefunden. Seit drei Jahren lebten sie jetzt in Amerika, seit zwei im Camp-Halfblood. Während der Titanenkriege hatten sie abgewartet, um nicht in die Schussbahn zu geraten.
    Sie hatten den Fernseher in ihrem Hotelzimmer verzaubert um eine Sicht auf die Geschehnisse bekommen. Und während Körper zerschlagen, Blut vergossen wurde, Schreie in die Nacht hinaushallten, hatten sich die beiden an den Händen gehalten.
    Celines Gesicht war vor Entsetzen bleich geworden, und egal wie sehr sie versucht hatte, sich vom Bildschirm zu lösen, es war ihr einfach nicht gelungen.
    Thabatha dagegen lächelte, was ihrer Schwester einen Schauer über den Rücken jagte. Es war ein gleichgültiges, wissendes Lächeln gewesen. Sie genoss den Tod nicht, der in zahlreichen schmerzverzerrten Gesichtern junger Halbgötter über den Bildschirm flackerte, doch sie akzeptierten ihn. Es war ihr nicht egal, doch sie war daran gewöhnt.


    Bei dem Gedanke an dieses Grinsen schloss Celine die Augen. Ihre Zähne gruben sich in die rote Haut des Apfels und süßer und säuerlicher Saft spritzte in ihren Mund.
    Wie gerne würde sie das Joch übernehmen, mit dem ihre Mutter Thabatha belegt hatte. Sie wusste, dass es ihrer Schwester schwer fiel, es zu ertragen, und sie würde unter dem Druck wohl zusammenbrechen, doch... Sie hasste es, dass dieser Schatten ihr sonniges Gemüt unterdrückte. Auch wenn sie es anderen nicht zeigte, manchmal, wenn sie dachte, sie wäre alleine, dann brach es aus der Blonden hinaus. Celine war immer in der Nähe, um zu helfen, wenn etwas geschah. Aber das tat es nicht. Es dauerte immer nur ein paar Minuten, dann war es wieder in Ordnung. Und alles, was zurück blieb, war eine erschöpfte Halbgöttin, aus deren Mund und Nase ein leichter Strom Blut quoll, der bald versiegte. Nichts weiter.
    Als Celine aufsah, merkte sie, dass Gina sie mit einem fragenden Blick anschaute. Sie blinzelte leicht und wandte sich dann wieder von ihr weg.
    Die Rothaarige öffnete gerade den Mund, um etwas zu sagen, als ein weit entfernter Schrei alle drei zusammenfahren ließ. Ihre Gesichter wandten sich in die Richtung des Camps.
    „Habt ihr das gehört?“, fragte Gina überflüssigerweise. Celine nickte mit geweiteten Augen. Ihre Hände vergruben sich ins Gras und sie biss sich auf ihrer Lippe herum. Monster? Nein, das kann nicht sein. Niemals. Sie hatten die Barriere und Peleus. So einfach würde ein Monster nicht ins Camp eindringen können. Es musste eine andere Möglichkeit geben.
    „Hey, vielleicht läuft Peleus ja Amok, weil jemand vergessen hat, ihn zu füttern?“, schlug Thabatha begeistert lächelnd vor. „Hoffentlich fackelt er unsere Hütte nicht ab!“ Und obwohl das Szenario durchaus Stoff für Panik bot, schien Thaba ziemlich angetan davon zu sein. Sie freute sich regelrecht über etwas Action.
    „Ach, Unsinn. Peleus entfernt sich nicht vom Baum“, erklärte Gina. Ihr Blick ruhte auf dem Himmel über den Bäumen. Sie konnte nichts sehen, keine Flammen und kein Rauch. Also auch kein schlecht gelaunter Peleus. „Dafür gibt's bestimmt eine Erklärung.“


    „Verdammt noch mal, Arian!“
    Der Junge mit den hellbraunen Haaren und grün strahlenden Augen baumelte wild zappelnd, nur mit einem Seil um den Knöchel an einen hohen Ast einer Fichte befestigt, einen Meter über dem Boden. Sein sonnengebräuntes Gesicht lief langsam aber sicher rot an, das konnte aber auch einfach nur seine Wut sein die es färbte. Wild fluchend versuchte er sich an seinem Bein hochzuziehen um sich an dem Tau festzuhalten, es gelang ihm aber nicht. Immer wieder verließ ihn die Kraft, er fiel ruckartig zurück in seine hängende Position und vom Schwung prallte er gegen den Stamm der Fichte.
    „Arian!“, schrie er noch einmal so laut er konnte. Dieser verdammte Mistkerl! Was hatte er denn bitte getan? Dieses Mal hatte Levin doch wirklich nicht gelogen.
    Na gut. Er hatte nicht ganz die Wahrheit gesagt. Ein bisschen geflunkert hatte er schon. Aber nur ein wenig. Was ging es ihn denn auch bitte an, was zwischen ihm und dieser Wassernymphe lief?
    „Arian!“
    „Du hast mich gerufen?“
    Levin spürte etwas an seiner Seite und gleich darauf wurde er in schnellen Kreisen um die eigene Achse gewirbelt. Sein wütender Schrei kam nur verzerrt an die Luft und die gesamte Umgebung verschwamm schnell ineinander. Übelkeit stieg in ihm hoch. Oder besser herunter, er hing ja kopfüber.
    Irgendwann, als sein Gesicht eine leicht grünliche Färbung aufwies, so wie seine Iris, nahm die Rotationsgeschwindigkeit langsam ab. Seine Augen zuckten wie verrückt von rechts nach links, und bunte Sterne tanzten vor ihm auf und ab. Die Drehung wurde beendet und vor ihm sah er das grinsende, blasse Gesicht des Übeltäters.
    Innerhalb einer Sekunde griff Levin wütend fluchend nach Arians Hals, der tänzelnd auswich, freundlich lächelnd seinen Zeigefinger hob und mahnend sagte: „Ah, ah, ah! Ich kann ja verstehen, dass du dich mir an den Hals werfen willst, aber das erlaube ich nicht jedem.“
    „Oh, stell dir vor, ich wollte dich ja auch nur erwürgen“, schnaubte Levin mit einem tödlichen Blick, der seinen Freund absolut kalt ließ. „Und das will so ziemlich jeder, den ich kenne.“
    „Ah, das ist gut!“
    „Was ist daran gut?“, fragte der Braunhaarige keuchend. Er versuchte wieder sich eigenhändig zu befreien und jetzt wo der Übeltäter vor ihm stand und die Möglichkeit ihm ernsthaft weh zu tun zum Greifen nah war, schöpfte er noch einmal etwas Kraft.
    „Du lügst zumindest nicht mehr!“, grinste Arian.
    „Lass mich hier herunter“, gab Levin mit einem drohenden Blick von sich, denn egal was er machte, er konnte die Schlaufe nicht lösen.
    „Das waren gerade mal drei Minuten“, murmelte der Schwarzhaarige und verzog das Gesicht. „Noch nicht lange genug, finde ich.“
    „Arian!“ Levin begann wieder zu zappeln und schlug sich dabei den Hinterkopf am Baumstamm an. Er fluchte so wüste, dass selbst die Partyponies, Chirons feierwütige Verwandtschaft, Augen gemacht hätten.
    „Mh...“ Sein Freund legte den Kopf in den Nacken und schien abzuwägen, ob er ihm diesen Gefallen tun sollte. Irgendwann grinste er breit und lachte: „Nö. Keine Lust.“ Mit diesen Worten drehte er sich um, wank Levin noch einmal zu, der nur für einen Moment perplex still hielt. Er brauchte diesen Moment um zu begreifen, dass Arian ihn hier tatsächlich hängen lassen würde.
    „Komm zurück!“, schrie er und wand sich wie wild, bis sich er sich wieder um die eigene Achse drehte. „Arian!“


    „Was tust du da?“
    Levin hing nun seit einer geschlagenen halben Stunde kopfüber vom Ast. Mittlerweile war sein Kopf hochrot und er hatte genervt die Arme vor der Brust verschränkt, als ihm klar geworden war, dass es keinen Zweck hatte. Dummerweise kam auch einfach niemand vorbei, der ihm hätte helfen können. Und langsam begann seine Stimme zu krächzen.
    Er befürchtete schon, dass er für den Rest seines Lebens, was nicht mehr lange wäre, kopfüber von einer Fichte hängen würde, weil auch Arian keine Anstalten machte, wieder aufzutauchen, da sprach ihn eine weibliche, nur zu gut bekannte Stimme an. Levin hob den Kopf an und schaute in den Himmel.
    „Shirin!“, stieß er deutlich erleichtert aus. „Hilf mir runter!“
    „Erst wenn du mir sagst, was du da tust“, antwortete das Mädchen mit der kakaofarbenen Haut. Sie schwebte über ihm in der Luft, schwerelos und elegant, die Beine etwas angewinkelt. Das Mädchen flog kopfüber Richtung Boden, bis sie etwa auf Augenhöhe waren. Ihre Haare, die in einem leichten Zopf zusammengebunden waren, ragten von ihm aus gesehen nach oben.
    „Och, ich häng hier nur rum“, grummelte Levin und begann dann wieder zu zappeln, sodass Shirin schnell zurückweichen musste, um keine Kopfnuss zu kassieren. „Und jetzt hilf mir endlich!“
    Sie drehte sich wortlos wieder richtig herum und betrachtete die Schlinge um seinen Fuß eindringlich.
    „Dann musst du kurz still halten.“
    Levin gehorchte murrend und stieß einige unschöne Morddrohungen in eine unbestimmte Richtung aus, in der Hoffnung, dass Arian sie irgendwie mitbekommen würde.
    Mit einem Mal ging ein Ruck durch sein Bein und er stürzte schreiend einige Zentimeter gen Boden, da wurde sein Fall aber auch schon wieder gebremst. Shirin hielt ihn etwa eine Faustbreite von den Tannennadeln am Boden entfernt in der Luft, musste dabei allerdings vor lauter Anstrengung die Luft anhalten. Levin stützte sich nach einem kurzen Schrecken mit den Händen auf und schwang sein zweites Bein nach unten, als Zeichen, dass sie loslassen konnte.
    Ihm wurde leicht schwindelig, als er sich ausrichtete. Sein Kopf pochte vor lauter Blut, das nur langsam zurück lief, also griff Shirin seine Schulter um ihn etwas zu stützen.
    „Besser so?“, fragte sie nach einer Weile, in der er einfach nur die Backen aufgepustet und wie wild geblinzelt hatte. Er nickte matt, schüttelte seine Glieder und setzte den hasserfülltesten Blick auf, der ihm mit einer hochroten Birne gelang.
    „Ich schwöre, ich bringe ihn um“, flüsterte er und vergrub seine Fingernägel in seine Handflächen, bis es weh tat.
    Shirin schenkte ihm ein resignierendes Lächeln. Sie hatte nicht vor, sich einzumischen, wo sie doch genau wusste, dass die beiden sich etwas prügeln würden, und danach wäre alles wieder in Ordnung. Sie konnten manchmal nicht miteinander, aber trotzdem hielt ihre Freundschaft bestand.
    Wie in „La Vie“, dachte sie. Da haben Frederic und Louis sich auch immer gestritten, aber wo es drauf ankam, war alles in Ordnung. Das ist das Wundervolle an Jungen. Sie sind so simpel gestrickt.
    „War es das?“, fragte sie mit einem milden Lächeln. Levin antwortete nicht, sondern stürmte mit festen Schritten davon.
    Shirin sah ihm hinterher. Vielleicht waren Jungen doch nicht ganz so wundervoll.


    „Legt an!“
    Sehnen wurden gespannt, die Mittel- und Zeigefinger hielten den Pfeil fest und berührten die Wangenknochen der Schützen.
    „Feuer!“
    Die Pfeile sirrten gleichzeitig durch die Luft, segelten zielsicher im Wind auf die Strohballen zu. Fast synchron versanken die Metallspitzen ins Ziel, manche trafen genau den Mittelpunkt, andere landeten leicht daneben.
    „Gut, Gruppe eins macht jetzt eine Pause“, verkündete Will Solace, als er den Bogen an einen Halbbruder übergab, der sich an seine Position stellte. Sie mussten zum Training in Gruppen aufgeteilt werden, weil sie mittlerweile einfach zu viele waren, um gleichzeitig zu schießen.
    Feliz reichte ihren Bogen an einen größeren Jungen, der ihr kurz dankte und dann Haltung annahm. Leon schlenderte zu ihr herüber und schubste sie spielerisch zur Seite.
    „Kommst du mit?“, fragte er, sah ihr aber nicht ins Gesicht.
    „Wohin?“
    „Bisschen herumgehen“, nuschelte Leon und kratzte sich am Kopf.
    Feliz grinste breit und schlang dem deutlich Kleineren ihren Arm um den Hals. Mit der anderen Hand zerwuschelte sie ihm die blonden Haare. Leon protestierte und versuchte sich aus ihrem Griff zu befreien, aber er schaffte es nicht.
    Feliz merkte, dass er an Kraft zugelegt hatte. Er war allgemein breiter geworden und sämtliche Kindlichkeit war aus seinem Gesicht gewichen. Jetzt kamen seine hohen Wangenknochen erst recht zum Vorschein, seine gerade Nase, die einen Knick auf Augenhöhe hatte, weil er sie sich einmal gebrochen hatte, und seine schmalen Lippen, die niemals wirklich rot waren, sondern immer nur rosé.
    „Fe!“, nörgelte er, ließ die Hände aber sinken.
    „Ach, lass mich doch!“, kicherte sie und kniff ihm in die Wange, während sie den Weg entlang zum See liefen.
    „Du bist ein Jahr nicht da, und das ist das Erste, was du tust?“
    „Quatsch. Das Erste, was ich getan habe, war, Peleus beinahe dazu zu bringen, mich zu rösten.“
    Leon hob erstaunt den Kopf, begann dann aber zu grinsen.
    „Na das wäre mal etwas gewesen.“
    „Tu nicht so, als ob du nicht der Erste wärst, der sich wegen mir die Augen ausheult!“, grinste Feliz zurück und merkte zufrieden, wie seine sonnengebräunten Wangen rosa wurden.
    „G-Gar nicht!“, stotterte er etwas zu laut, als dass sie es ihm glauben könnte.
    „Mh, das ist komisch“, stieß Feliz laut aus und schaute in den Himmel, als würde sie über etwas nachdenken. „Ich bin mir ziemlich sicher, dass es da vor zwei Jahren jemanden gab, der in Tränen ausgebrochen ist, als ich mit meiner Mum in Urlaub gefahren bin...“
    „Fe!“, stieß Leon nur halb gedroht aus.
    „Warte, ich glaube, ich erinnere mich. Es war ein kleiner Junge, gerade 12 Jahre alt...“
    „Fe, es reicht jetzt!“
    „Er hatte blondes, strubbeliges Haar, und seine Augen waren himmelblau. Kennst du ihn vielleicht?“
    „Feliz!“ Die Blonde zuckte etwas zusammen. Leon nannte sie nur bei ihrem ganzen Namen, wenn es ihm ernst war. Er blickte sie mit einer Mischung aus Wut und Enttäuschung an, und wand sich dann aus ihrem Griff, ging ein paar Schritte vor.
    Feliz legte den Kopf schief und runzelte die Stirn. Sonst war er doch nicht so... So empfindlich gewesen.
    „Hey, Leon, jetzt warte doch mal“, rief sie ihm hinterher, aber er zügelte das Tempo nur noch weiter an. Trotzdem hatte sie die längeren Beine, also holte das Mädchen ihn schnell ein und legte ihm ihre Hand zärtlich auf die Schultern. Endlich blieb er stehen.
    „Du weißt doch, dass ich das nicht ernst meine“, raunte sie ihm sanft zu und beugte sich etwas zu ihm herunter. Er schaute demonstrativ auf den Boden und kratzte sich an den braunen Armen, die voll mit hellen, blonden Haaren waren.
    „Bist du wirklich wütend?“, fragte sie zögerlich. Das wollte sie nicht. Leon war für sie wie ein Bruder, sie hasste es, wenn jemand, der ihr wichtig war, wütend auf sie war.
    Leon ließ sich einige Sekunden Zeit mit der Antwort. Dann hob er auf einmal den Kopf und zeigte sein strahlendstes und durchaus freches Grinsen.
    „Nö!“, lachte er und schlug ihr mit der Faust gegen die Schultern. „Hab dich angeschmiert! Du bist!“
    Mit diesen Worten drehte er sich um und rannte laut lachend von ihr weg, zurück in Richtung der Schießstände.
    Feliz lächelte resignierend. Mit diesem Satansbraten würde sie noch einiges an Spaß haben, das wusste sie jetzt schon.

  • -III. Kapitel-
    Applause




    Der Abend brach schnell herein.
    Über dem See verschwand der helle Sonnenball in stetigem Tempo am Horizont zwischen den Bergen, die er in goldenen Schimmer tauchte. Das blaue Wasser verwandelte sich in ein seichtes Feuer, das bei jedem Windhauch glitzerte.
    Nach und nach trafen die Jugendlichen am großen Theater ein. Massive Marmorstufen bildeten eine gigantische Treppe, auf der jeder Halbgott und auch eine große Anzahl an Nymphen und anderen Geistern Platz fanden, am Fuße der Treppe bildete eine Platte, bestückt mit einem farbenprächtigen Mosaik, ein Podium auf dem nun große, schwarze Boxen standen, ein Schlagzeug und einige Verstärker. An den großen Marmorbögen, die sich über der Bühne beugten und an denen durchsichtige Stoffe befestigt waren, die im letzten Licht bunte Flecken auf das Theater warfen, hingen Scheinwerfer.
    Die Halbgötter setzten sich in kleinen Gruppen auf wahllos ausgewählte Plätze. Sie unterhielten sich, was dank der guten Akustik wie das geschäftige Summen eines Bienenstocks klang.
    Mr. D und Chiron nahmen in den unteren Reihen Platz. In der Hand des ins Exil geschickten Gottes befand sich ein Weinglas, wieder einmal nur mit Wasser gefüllt, das er argwöhnisch betrachtete.
    Auf der Bühne wuselten noch einige Kinder des Apollon herum, die die letzten Vorbereitungen abschlossen.
    „Wollen wir?“, fragte Feliz ihre Halbgeschwister, die sich hinter den Bäumen versteckt hatten. Sie erhielt eifriges Nicken als Antwort und grinste. „Also dann, denkt dran. Das hier wird die diesjährige Premiere. Ich reiße euch den Arsch auf, wenn das nichts wird, capiche?“
    Sie fingerte noch kurz an der Kette herum, die sie heute mit der siebten Perle bestückt hatte. Sie alle baumelten an einem langen, schwarzen Lederband um ihren Hals. Feliz atmete noch einmal kurz durch und ging dann voran, die Gitarre in der Hand.


    Als sie den ersten Schritt auf die Bühne tat, klackten ihre Absätze auf dem Mosaik. Sie trug schwarze Bikerboots mit Absatz und Nieten an den Seiten, eine schwarze, leicht durchscheinende Strumpfhose, einen knallroten Rock und eine ärmellose Bluse, deren nietenbesetzten Schulten im Licht, dass Gina für sie mit einem erhobenen Daumen in ihre Richtung anschaltete, funkelten. Ihre blonde Mähne hing in wilden Locken über ihre Schultern.
    Sie räusperte sich kurz, als sie an ihre Position, ganz vorne am Mikro, ging und sprach dann mit einem leichten Zittern in der Stimme hinein, sodass sie von den Boxen durch das ganze Theater geschickt wurde.
    „Hey, Leute!“
    Das reichte schon, um die Aufmerksamkeit der andere Camper zu bekommen. Feliz zögerte etwas, aber als sie sah, wie Gina neben Celine und Thabatha- sie winkte ihr wie wild zu und schenkte ihr ein strahlendes Lächeln-, die sie beide nur vom Namen her kannte, Platz nahm und ihr ein aufmunterndes Lächeln zeigte, schluckte sie ihren Kloß herunter.
    „Also, diesjährige Premiere, ich hoffe ihr seid gut drauf!“
    Zustimmendes Gemurmel ging durch die Menge. Feliz verzog das Gesicht, nahm das Mikrophon aus der Halterung und hielt es sich dicht vor den Mund.
    „Ich kann euch nicht hören!“, stieß sie in einem leichten Singsang aus. „Seid ihr gut drauf?“
    Sie streckte den schwarzen Stab in Richtung des Publikums, das jetzt etwas lauter wurde. Einige riefen laut, doch immer noch hielten sich die meisten zurück.
    „Ich sagte: SEID IHR GUT DRAUF?!“, schrie Feliz ins Publikum, das jetzt endlich anständige Jubelrufe hervorbrachte. Die Blonde nickte zufrieden, steckte das Kabel in ihre Gitarre, das eine ihrer Halbschwestern ihr reichte. Statisches Rauschen und ein leichtes Zischen schallte durch das Stadion.
    Probeweise strich sie über die Saiten. Ein Brummen erfüllte das Amphitheater und brachte ihren ganzen Körper zum Vibrieren. Die Boxen bebten.
    Feliz Herz begann zu rasen. Sie liebte dieses Gefühl, wenn die Musik ihr in den Körper überging, kräftig und stark, wie ein zweiter Herzschlag. Sie drückte das Mikro zurück in die Halterung, richtete die Gitarre und gab dem Schlagzeuger mit einem Handzeichen das Signal, das alles bereit war. Der grinste nur breit und begann, mit seinen Füßen einen Takt zu klopfen, während sein Kopf auf und ab wippte.
    Und irgendwann, als er letztlich bereit war, drosch er auf seinem Instrument ein, als würde er es zu Brei verarbeiten wollen.
    Feliz stieg ein. Ihre Finger glitten über die Saiten, ganz instinktiv, als hätte sie noch nie etwas anderes getan. Die Vibrationen gingen ihr durch Mark und Bein, Bass kam dazu, eine zweite Gitarre, ein Syntheziser. Es ergab sich eine Melodie, hart und rockig, das sie am liebsten aufspringen wollte, nur noch tanzen.
    Sie beugte sich vor, nah ans Mikrophon heran und brüllte ihre Freude heraus. Das Publikum stimmte mit ein.
    Und sie begann zu singen.


    Nach sechs Songs verlangten ihre Geschwister eine Pause. Feliz stand der Schweiß auf der Stirn, ihre Haut glühte vor lauter Aufregung und Anstrengung aber sie strahlte übers ganze Gesicht. Ihre Hände zitterten vor lauter Adrenalin.
    „Ach kommt schon!“, lachte sie schon beinahe lallend. „Nur noch ein Song.“
    „Gib uns mal ne Pause, Liz!“, stöhnte der Drummer, dessen Beanie ihm tief ins Gesicht gerutscht war. Er strich sich mit einem Grunzen über die Stirn und ließ die Arme kreisen.
    „Nur für zwei Minuten“, bat der Bassspieler. Sein Instrument hing ihm um den Oberkörper und er prustete mit hochrotem Gesicht. „Du legst echt ein Mordstempo vor.“
    „Ihr könnte ja von mir aus Pause machen!“, grinste Feliz und drückte ihr Instrument einem jungen Apollokind in die Hände, das herbeigeeilt war, um ihnen etwas zu trinken zu spendieren. Er starrte sie beinahe ehrfürchtig an und nickte eifrig, als sie ihm anwies, vorsichtig damit umzugehen. „Gebt mir die Playbacks, die hinten liegen.“
    Mit diesen Worten schubbste sie ihre Bandkollegen sanft von der Bühne und lief mit leichten, federnden Schritten zurück zum Mikrophon, das sie aus der Halterung herausnahm.
    Sie wurde von lautem Jubel begrüßt, der gar nicht mehr verebben wollte.
    „Hey, jetzt beruhigt euch doch mal!“, lachte sie ins Mikro rein, aber das Publikum dachte gar nicht daran. Einige waren aufgesprungen und brüllten Liebesbekundungen, andere verlangten scherzhaft ein Kind von ihr. Feliz strich sich lachend durch die Haare und hob dann den Arm. Als wolle sie etwas nicht Existentes aus der Luft herunterholen, drückte die ihre Hand herunter, als Zeichen, dass sie endlich mal ruhiger werden sollen.
    Dann schnippte sie mit den Fingern und stellte sich gerade vor das Mikro.
    Als die ersten Takte begannen, ein Chorus aus einem Militär-Chant, da stimmte sie mit ein.
    „Candyman! Candyman!“, hauchte sie ins Mikro und bewegte ihren Körper im Rhythmus, die Hüfte auf und ab, die Schultern von rechts nach links und wieder zurück, immer etwas abgehackt.
    „Sweet, Sugar, Candyman!“
    Die Menge begann zu jubeln, als sie ihre Hüften langsam kreisen ließ und ihnen zuzwinkerte. Feliz sammelte sich kurz. Als sie die ersten Worte ins Mikro sang, da war ihre Stimme dunkler, älter. Sie spürte die Vibration in ihrem Brustkorb, das Kribbeln in ihrem gesamten Körper, die Vibrationen der Boxen.
    Sie gab sich der Musik hin, bewegte ihre Arme und Beine so, wie sie gerade dachte, dass es passte, wirbelte herum, flirtete mit dem Publikum und strahlte über beide Ohren.
    Das hier war es, was sie brauchte. Die Spannung, das Gefühl richtig lebendig zu sein! Die Scheinwerfer, die ihren Körper zum Kochen brachten, die wogenden Massen, die in ein Meer aus Farben und Gesichtern verschwamm, je länger sie auf der Bühne stand und einfach nur sang!
    Scheiß auf Schule. Scheiß auf deinen Vater!
    Hier bist du lebendig und das ist alles, was zählt!


    Ein Schrei riss sie aus ihrer Ekstase. Feliz riss die Augen auf und ihre Stimme änderte sich mitten im Wort von der sinnlich tiefen Aguilera zurück in ihre eigene, hellere. Sie verharrte mitten in der Bewegung und suchte das Publikum nach der Quelle ab.
    Ein Teil von ihnen starrte sie fragend an, ein anderer schaute auf die höchste Stufe des Amphitheaters.
    Dort stand ein junger Halbgott, das Gesicht zu einer Maske des Schreckens verzerrt. Er gestikulierte wie wild, stammelte unzusammenhängende Worte, die vor lauter Panik munter die Stimmlage wechselten.
    Chiron galoppierte zu ihm hoch und scheuchte alle aus dem Weg, die sich um ihn scharrten.
    „Was ist los?“, fragte der Zentauer den aufgelösten Halbgott, dem die Tränen in den Augen standen. Er zitterte am ganzen Leib und schüttelte wild seinen Kopf. Chiron nahm ihn sanft an den Schultern und schaute ihm ernst ins Gesicht. Er wiederholte seine Frage, diesmal langsamer, eindringlicher, und endlich schaffte es der Halbgott, eine Antwort zu formulieren.
    Seine Stimme zitterte noch immer, aber seine Worte waren laut und deutlich zu verstehen.
    „Beim Eingang! Neun Frauen... Sie sind schwer verwundet!“
    In Chirons Gesicht bewegte sich kurz etwas. Entsetzen? Wut? Man konnte es nicht genau deuten.
    „Eine von ihnen war noch kurz bei Bewusstsein!“, stieß der junge Halbgott aus. „Sie sagte, ihr Name sei Polyhymnia!“
    Feliz zuckte zusammen. Dieser Name... Nein, das konnte nicht sein! Das durfte nicht sein!
    Sie warf das Mikrophon auf den Boden, ein statisches Rauschen drang aus den Boxen, doch während die meisten Halbgötter sich stöhnend die Ohren zuhielten, rannte Feliz die Stufen herauf, achtete nicht auf diejenigen, die ihr im Weg standen, stieß sie einfach um. Als sie im Wald verschwand, der das Theater von den Trainingsgründen trennte, starrten ihr die anderen Jugendlichen.


    „Wo will sie hin?“, fragte Thaba, die von der ganzen Situation vollends verwirrt war. Sie blinzelte wild und schaute perplex zwischen ihrer Schwester und Gina hin und her, als erwartete sie eine Erklärung.
    „Ich habe keine Ahnung“, antwortete Gina, sprang aber nun auch auf. „Sie schien aber nicht gerade erfreut zu sein.“
    „Sie wirkte eher erschrocken“, merkte Celine an.
    „Bist du dir sicher, dass sie diesen Namen genannt hat?“, sprach Chiron den Halbgott an, der immer kleiner zu werden schien. Er hatte ganz offensichtlich Angst, dass man ihn dafür verantwortlich machen würde. „J-Ja!“, stotterte er und nickte hektisch.
    Chiron fuhr sich murmelnd durch das graue Haar und trabte dann davon, in die gleiche Richtung, in die auch Feliz verschwunden war. Gemurmel erhob sich, als sich die Halbgötter gegenseitig perplex anschauten.
    „Polyhymnia?“, wandte sich schließlich ein Kind der Demeter an den Boten, der noch immer wie angewurzelt mitten auf der Treppe stand. Er nickte eifrig.
    „Ist das nicht der Name einer Muse?“
    „Ja“, antwortete eine Stimme von weiter weg.
    „Die Muse des Gesangs, oder?“
    Zustimmung raunte durch das Theater. Die Jugendlichen wagten nicht, sich von hier fort zu bewegen. Sie wussten nicht, was sie jetzt tun sollten. Wenn eine Muse beim Eingang gefunden worden war, dann mussten die anderen acht Frauen die restlichen Musen sein. Doch was machten sie hier? Und vor allem, warum waren sie verletzt?
    „Apollohütte!“ Wills Stimme schallte durch das Theater. Er war aufgestanden und hatte einen ernsten Gesichtsausdruck aufgesetzt. Aber da lag noch etwas in seinem Blick. „In eine Reihe aufstellen. Wir gehen zurück.“
    Zuerst murrten die Kinder, protestierten laut. Doch mit einem giftigen Blick in die Menge, der gekonnt jedes der Geschwister ausmachte, verstummten sie schnell wieder. Etwas widerwillig folgten sie Wills Order und waren schon bald mit ihm an der Spitze verschwunden.
    Langsam taten die anderen Hüttenältesten es Will gleich. Mit und mit verschwanden die Hütten. Athena mit Annabeth an der Spitze, Demeter mit Miranda Gardiner, die Kinder der Aphrodite geleitet durch Dustin Tell, und die Hermesleute mit den Stollzwillingen, die sich leise beratend vorneweg bewegten. Nach und nach leerten sich die Stufen, bis nur noch einige, wenige übrig blieben. Gina war mit Alex Grown mitgegangen, der ihr zwar erlaubt hatte, bei den Hekatetöchtern zu bleiben, sich aber auch nicht dagegen sträubte, sie mitzunehmen.


    „Was war das denn?“, murrte Levin mit einem verzogenen Gesicht. Sein Blick traf den des Boten, der sofort in sich zusammensackte und umwandte, als hätte man gerade sein Leben bedroht.
    Arian zuckte nur mit den Schultern. „Keine Ahnung. Aber er hat die Wahrheit gesagt. Diese Frau scheint wirklich eine Muse zu sein.“
    „Und was macht sie dann hier?“ Der Junge neben ihnen, der sich bisher nicht bewegt hatte, öffnete mit einem Male die Augen. Gelbliche Iriden blinzelten ihnen müde entgegen.
    „Du hast also doch etwas mitbekommen?“, grinste Arian. „Ich bin begeistert, Noá.“
    „Bei dem Lärm kann doch auch niemand schlafen“, murmelte Noá und rieb sich über die Augen. Seine braunen Haare standen ihm wie wild vom Kopf ab, als er sich aufrichtete und herzhaft gähnte.
    „Du ja offensichtlich schon“, zischte Levin und schlug ihm leicht gegen die Schulter.
    „Ich habe nicht geschlafen“, beteuerte Noá stirnrunzelnd. „Ich hatte nur die Augen geschlossen.“
    „Sicher, sicher“, grinste Arian ihn an und beugte sich dann zurück. Der Nachthimmel war bedeckt mit dichten Wolken, die sich zu hohen Türmen aufgebaut hatten. Das Licht der Scheinwerfe, das vom Mosaik in den Himmel geworfen wurde, tauchte die Dunkelheit in gespenstischen, hellen Nebel, der über ihnen hing wie eine dichte Decke.
    „Warum sollte jemand die Musen verletzen?“, sprach Noá letztlich die Frage aus, die sich jeder von ihnen stellte. Levin und Arian sahen sich kurz an.
    Wenn sie das wüssten, wären sie schon ein ganzes Stück weiter.


    Als Feliz durch das Unterholz preschte, sich durch Äste und Gebüsch kämpfte, schien die ganze Nacht den Atem anzuhalten. Sie hörte nur ihre Schritte und ihren keuchenden Atem.
    Kein Windhauch regte sich, kein Blatt im Unterholz. Alles war still, wie ausgestorben. Ihre Beine fühlten sich fürchterlich schwer an, jeder weitere Schritt war ein Kampf gegen die Erschöpfung. Wie lange rannte sie denn jetzt schon? Sie hatte jegliches Zeitgefühl verloren und... Auch die Orientierung. Wo war sie überhaupt? Sollte dort um die Ecke nicht eigentlich das Lager schon längst aufgetaucht sein?
    Aber gerade jetzt war ihr das egal. Sie würde weiter rennen. Es gab Wichtigeres.
    Was machten die Musen hier? Warum waren sie verletzt?
    Das konnte doch nicht sein!
    Als sie über einen Stamm sprang, stolperte sie und segelte mit einem lauten Schrei zu Boden. Sie landete mit den Ellbogen zuerst auf den Steinen. Feliz spürte, wie ihre Haut riss, sofort begannen die Schürfwunden zu brennen, als hätte man ihr Säure auf die Arme und Knie gekippt. Fluchend rappelte sie sich auf und versuchte vorsichtig, so viel Dreck aus der Wunde herauszubekommen wie sie nur konnte. Mit schlotternden Knien war es schwer, die Balance zu halten, doch sie zitterte am ganzen Körper. Panik schoss in ihr hoch.
    Ihr durfte einfach nichts passiert sein.
    Der Gedanke an die Muse trieb sie voran. Deutlich langsamer drängte sie sich vorbei an Bäumen und Büschen, bei jedem Schritt drang der Schmerz hoch in ihren Körper. Zischend bewegte sie sich vorwärts.


    Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, als endlich das Licht der Fackeln in Sichtweite kam. Als sie den Eingang des Camps durch das Unterholz entdeckte, getaucht in flackerndes Feuer, sah sie schon Chiron auf und ab traben. An seiner Seite standen Will und einige andere Apollokinder, alle Muskeln angespannt, als würden sie sich auf einen Kampf vorbereiten. Wie lange hatte Feliz denn gebraucht? Der Sturz hatte sie sehr viel Zeit gekostet.
    Als der Zentaur sie entdeckte, blieb er stehen, sein Blick war hart und ernst. Feliz schluckte nur mit Mühe den Kloß herunter, der ihr den Atem raubte. Sie ballte die Hände zu Fäusten zusammen und näherte sich ihm.
    „Sind es wirklich die Musen?“, fragte sie mit überraschend fester Stimme.
    Chiron zögerte kurz. Er rieb sich die Schläfen und nickte dann.
    „Ja. Ja, es sind die Musen. Und irgendetwas hat sie stark zugerichtet.“
    Feliz biss sich auf die Lippen. Mist.
    „Wo ist Polyhymnia?“
    „Wir wollten sie gerade in die Zeushütte bringen.“
    „Ich komme mit.“
    „Feliz, ich glaube nicht, dass-“
    „Ich komme mit!“, wiederholte Feliz mit einem giftigen Blick, der Chiron verstummen ließ. Sie wollte ihn nicht so angehen, aber gerade jetzt war es wichtig, dass sie mit Polyhymnia sprechen konnte. Da riskierte sie gerne die Wut ihres Großvaters.
    Als sie sich umdrehte, wurden neun Tragen mit bewusstlosen Frauen an ihr vorbeigetragen, in einer langen Reihe, wie bei einem Begräbnis. Feliz schüttelte sich, als sie die Körper der Musen sah. Ihre langen, blütenweißen Gewänder waren zerfetzt und in dunkle Farbe getaucht, von der sie nicht sagen konnte, ob es Blut war oder Dreck. Tiefe Wunden gruben sich in die reine, marmorne Haut der Frauen.
    Und dort war sie, als vorletzte kam Polyhymnia an Feliz vorbei. Der lange, schlanke Körper ihrer Freundin lag auf dem weißen Stoff, der an einigen Stellen schon vom Blut der Muse getränkt worden war. Ihr Gesicht verzog sich immer wieder vor lauter Schmerz, ihre Finger zuckten. Das lange, blonde Haar der Schönen hing in dreckigen Strähnen in ihrem Gesicht und ergoss sich auf der Trage wie ein See aus verunreinigtem Gold.
    Feliz Fingernägel bohrten sich in ihre Handfläche. Sie schloss die Augen und versuchte an etwas anderes zu denken, doch es gelang ihr nicht. Immer wieder sah sie Bilder, Vorstellungen, wie sie so hatte verletzt werden können.
    Ein Mensch? Nein, dafür waren die Wunden zu tief und zu wild verstreut. Außerdem konnten Menschen die Musen nicht sehen, das war nur wenigen möglich.
    Ein Monster? Möglich, aber... Wie hatte es denn alle neun auf einmal erwische können?
    Feliz Schädel brummte, als sie die Bilder an sich vorbeiziehen sah.
    Als Chiron ihr seine Hand auf die Schulter legte und sie sanft vor sich hinschob, öffnete sie ihre Augen wieder, richtete ihren Blick aber auf den Boden. Sie wollte die Musen nicht so sehen müssen. Diese göttlichen Geschöpfe, ihrer Anmut beraubt, in den Dreck geworfen und verletzt, als wären sie kleine Puppen, mit denen man spielen könnte.
    Nur für einen Moment sah sie Polyhymnia, verletzt und blutend.
    Feliz schluckte das Gefühl der Übelkeit herunter.
    Moment. Verletzt und... blutend?
    Rotes Blut?
    Als Feliz unvermittelt stehen blieb, prallte Chiron an ihr ab. Sie stolperte etwas vorwärts, fing sich aber schnell wieder, und wirbelte zum Campleiter herum, der sie fragend ansah.
    „Sie bluten rot!“, stieß Feliz aus, als wäre es die Entdeckung des Jahres. Chiron hob eine Augenbraue und legte den Kopf schief, aber er machte keine Anstalten sie zu unterbrechen.
    „Sie dürften doch gar nicht rot bluten! Sie sind Göttinnen!“ Sie fuhr sich durch die goldblonden Haare, zog an ihnen und durchstreifte sie, bis ihre Fingernägel ihre Kopfhaut zerkratzte. „Und die Wunden müssten doch auch schon längst verheilt sein!“
    Chiron richtete sich auf, spannte seine Muskeln an und starrte Feliz für wenige Momente in ihre Augen. Dann nickte er und trabte davon. Er nahm schnell an Geschwindigkeit zu und war dann in der Dunkelheit verschwunden.


    Feliz blieb nichts anderes übrig, als dem Trauerzug zu folgen. In Stille gehüllt, nur unterbrochen vom leichten Säuseln des Windes, der seltsam tröstend wirkte, wie er ungewohnt warm über ihre Wangen strich, folgte sie den Tragen. Ihre Schritte waren schwer und schmerzhaft, doch Feliz war sich sicher, dass dieser Schmerz nicht halb so schlimm war wie der, den die Musen durchlitten.
    Die Gesichter ihrer Geschwister waren leichenblass. Sie trugen wortlos die Tragen weiter in Richtung der Hütten, aber sie sah ihnen an, dass die Kräfte nachließen. Immer häufiger mussten sie die Griffe neu packen und sie ächzten auf, gingen in die Knie, als eine Steigung ihnen den Weg erschwerte.
    Sie wollte ihnen helfen, wirklich, das wollte sie. Aber sie fühlte sich so fürchterlich kraftlos, machtlos und schwach. Der Anblick hatte ihr alles geraubt, den Elan, die Motivation, selbst die Gedanken in ihrem Kopf waren verstummt. Sie kam sich vor wie in einem leeren Raum, die Wände blank gestrichen, ohne den reinsten Makel. Nichts, das es zu betrachten gibt, über das sie sich wundern könnte.
    Sie wusste nicht, dass dies die ersten Effekte sind. Ahnte nicht, dass es vielen so ging und bald jedem.


    Als sie vor der Zeus Hütte standen, ein Bauwerk aus weißen Marmorsäulen, die in die Nacht hinauf ragten, nur erleuchtet vom Fackelschein zweier hängender Schalen, in denen ein kleines Feuer brannte, da war die Stille auf einmal wie weggeblasen. Die Träger hatten den ersten Schritt durch die prachtvoll verzierten Torbögen gesetzt, da brach der Sturm hervor, wie ein Ungetüm, das man aus dem Käfig gelassen hatte.
    Winde peitschen Feliz die Haare ins Gesicht, so heftig und so plötzlich, dass ihr Körper dem Sturm torkelnd folgte. Die Halbgötter schrien auf, als die Böen sie erfassten und an ihnen zogen und zerrten, sie schlugen mit einer ungemeinen Wut, die sie beinahe zu Boden riss. Die Apollokinder schafften es gerade noch, die Tragen vorsichtig abzulegen, als die Wucht sie auf die Erde presste. Worte und Schreie wurden vom Sturm davon getragen, Steine schlugen ihnen an den Körper.
    Am Himmel bäumten sich die Wolken auf wie eine dunkle Bastion. Blitze zuckten ihnen entgegen, immer länger und gleißender, Schlangen aus tausenden Volt. Donner folgte postwendend, wie Kanonenschüsse knallten sie in ihren Ohren wieder.
    Feliz hielt sich die Arme über den Kopf, presste sich flach auf den Boden. Sie zwang sich dazu, die Augen aufzuhalten, zitterte aber am ganzen Körper. Dieser Sturm war nicht natürlich, er war zu plötzlich gekommen mit zu viel Wucht. Sie zog die Beine an, drückte sich zu einem kleinen Paket zusammen und verharrte. Schon wieder waren ihre Gedanken wie weggesperrt, ausgelöscht, als hätte sie nie etwas gedacht. Doch jetzt lag es an der Panik, die ihren Körper lähmte.
    „Vater!“, schallte eine Stimme durch den Sturm, seltsam abgehackt, voller Verzweiflung. Feliz hob den Kopf.
    Dort saß sie, die Hände zu einem stillen Gebet verschränkt, die Augen in den dunklen Himmel gerichtet. Ihr goldblondes Haar schimmerte matt und rot, doch wurde es nicht umhergerissen, viel eher glitt es sanft auf den Schwingen des Windes, wie ein leichter Vorhang. Alles um sie herum wurde still, doch für die Halbgötter tobte der Sturm weiter.
    „Sie waren es nicht! Sie retteten uns!“, schrie sie dem Himmel entgegen mit einer so melodischen Stimme, die alle in ihren Bann zog. Die Blicke der Jugendlichen waren auf die Schöne gerichtet, der Sturm schien vergessen. „Wir brauchen ihre Hilfe, Vater! Vergib!“
    Und so schnell, wie der Sturm auch erschienen war, so schnell verging er. Die Wolken standen noch immer am Himmel, aufgestellt wie ein kampfbereites Heer, doch das Donnergrollen war verklungen und das letzte Licht der Blitze verschwand ungesehen. Die Winde peitschten ihnen nicht länger ins Gesicht, der Druck wurde von ihnen genommen, doch noch immer trieben Böen das Gras auseinander, wie Tiere, die ihre Beute beobachteten.
    Atemlos rappelte Feliz sich auf. Ihre Finger vergruben sich im Boden als sie das göttliche Wesen anschaute, das neben ihr leise Gebete flüsterte, die Haute getaucht in rotes Blut.
    Ungeschickt krabbelte das Mädchen zu ihr herüber, knickte ein, streckte eine Hand nach ihr aus, wartete aber bewegungslos, bis die Lippen der Schönen endlich aufhörten, Worte zu formen. Sie sank etwas in sich zusammen, die Augen geschlossen, die Stirn in Falten gelegt. Als sie drohte umzufallen öffnete Feliz die Arme und fing sie in ihrer Umarmung auf.
    „Polyhymnia“, hauchte sie der Muse ins Ohr, die hektisch atmete. „Es ist alles gut. Ich bin da.“
    „Feliz? Ich dachte-“ Ihre Stimme brach mitten im Satz. Sie klang so müde, so verzweifelt. Feliz biss sich auf die Lippen.
    „Wer hat euch das angetan?“, brachte sie hervor, nur mit Mühe, weil ihre Stimme zitterte.
    Polyhymnia schüttelte schwach den Kopf, aber Feliz ließ nicht locker. Sie drückte die Muse sanft von sich weg und beugte sich vor, um ihr in die sonnengelben Augen schauen zu können. Sie glitzerten vor Tränen.
    „Ich weiß es nicht, es... Es war so schnell.“
    „Irgendetwas musst du doch gesehen haben!“ Frustration machte sich in Feliz breit. Sie musste einfach wissen, wer ihrer Freundin das angetan hatte!
    „Nein, ich... Vielleicht hat Klio...“ Polyhymnias Worte verloren sich im Wind, der ihr sanft die Strähnen ihres Haares aus dem Gesicht wehten. Sie starrte auf das Gras, das sich monoton von einer Seite zur anderen bewegte, wie ein Tanz. Feliz rüttelte sanft an ihrer Schulter, Polyhymnia zuckte zusammen und schaute sie mit einem verklärten Blick an.
    „Sie haben unsere Attribute, Feliz“, hauchte sie, als wäre es ihr gerade erst aufgefallen. Feliz erstarrte, die Augen weit aufgerissen.
    „Was?“
    „Sie haben unsere Tribute!“, keuchte Polyhymnia und sämtliche Anspannung verlor sich aus ihrem Körper. Sie versank in Feliz‘ Umarmung, atmete schneller und begann zu husten. Schluchzer mischten sich mit hinein, als sie mit einem Ausdruck puren Entsetzen sprach: „Wir haben keine Macht mehr. Wir sind... Sterblich.“


    „Das erklärt, warum ihr Blut rot ist.“
    Feliz schritt in der großen Hütte auf und ab, den Blick auf den Holzboden gerichtet. Ihre Lippen bluteten, aber sie hörte einfach nicht auf damit, auf ihnen herum zu kauen. Ihre Fingernägel bohrten sich in ihre Handinnenseiten und sie stampfte laut auf, bei jedem Schritt wackelte das Glas, das auf dem Kaffeetisch stand.
    „Und was machen wir jetzt?“, presste sie hervor und richtete sich damit eigentlich nur an Chiron. Mr. D lungerte zwar auch in seinem Sessel, starrte die Flüssigkeit in seinem Glas an, die- welch Überraschung- wieder einmal durchsichtig war, grummelte hin und wieder etwas Unverständliches, gab ansonsten aber keinen Laut von sich. Chiron blätterte in einem Buch, die Stirn in tiefe Falten gelegt.
    Feliz war sofort zur Hütte geeilt, nachdem sie sich versichert hatte, dass alle in Ordnung sind und die Musen nicht noch weiter zu Schaden gekommen waren. Aber natürlich hatte Zeus seine Töchter verschont, man konnte ihm zumindest nicht nachsagen, dass er sich nicht um seine Kinder kümmerte. Also zumindest um die, die nicht bei ihm in Ungnade gefallen waren.
    Jetzt trabte sie im Raum schon seit zehn Minuten auf und ab, zu keinem vernünftigen Gedanken mehr fähig. Sie sah nur Polyhymnia vor sich, wie sie begann zu schluchzen und zu weinen als ihr bewusst wurde, dass sie all ihre Macht verloren hatte.
    Nein, nicht verloren. Sie war ihr beraubt worden.
    „Wir haben keinen wirklichen Anhaltspunkt, was du Täter betrifft“, sagte Chiron gewohnt nüchtern. Er starrte auf eine Seite des dicken Wälzers, der auf einem großen Stapel anderer Bücher lag, deren Einbände allesamt verblichen waren.
    „Keinen wirklichen?“ Die Formulierung war ungewöhnlich vage.
    Chiron presste die Lippen zusammen und schenkte Feliz einen bedeutungsvollen Blick. Aber er sagte nichts, sondern wandte sich einfach von ihr ab. Die Blonde stampfte auf und wollte gerade zu einigen saftigen Flüchen ansetzen, da meldete sich plötzlich der rundliche Gott zu Wort.
    „Wir haben da etwas an ihren Kleidern gefunden, das wir... Nun, gelinde gesagt ist es merkwürdig. Es sollte nicht da sein.“
    Feliz wirbelte herum und starrte Dionysos Löcher in den Nacken, doch er betrachtete einfach das Wasser, das im Glas sanfte Wellen schlug, obwohl das Behältnis völlig still gehalten wurde.
    „Was?“, fragte Feliz scharf, als er einfach nicht weiterreden wollte.
    „Erde aus dem Tartaros.“
    „Der Tartaros?“ Ihre Stimme überschlug sich, ebenso ihre Gedanken. Aber sie drehten sich nur um dieses eine Wort.
    Der Tartaros. Heimat der Titanen. Dorthin hatten Percy und Annabeth Kronos vor zwei Jahren zurück verbannt. Aber sie konnten doch nicht einfach so wieder zurück sein. Das hätte jemand bemerkt!
    „Es sind nicht die Titanen“, gab Chiron zögerlich von sich, als würde er sich selbst nicht ganz sicher dabei sein. „Aber ich weiß nicht, ob die Konsequenz daraus uns besser gefallen mag.“
    „Chiron?“ Aber er sprach nicht weiter. Der Zentauer wich Feliz‘ Blick hartnäckig aus.
    „Jetzt sag es ihr endlich“, mischte sich Mr. D ein. „Du weißt doch selbst, dass sie sowieso mitten in dieser Sache drin steckt.“
    Chiron zuckte zusammen, als hätte man ihn geschlagen. „Das wissen wir nicht. Es ist doch noch gar nicht sicher, dass...“ Seine Stimme brach.
    Ein Kind der Musik mit tausend Stimmen, der Engel der Rache, ein Schwert geführt durch heilige Klänge“, zitierte Dionysos. Er hatte sich umgedreht und bedachte Chiron mit einem grimmigen, aber merkwürdig zufriedenen Gesichtsausdruck, mit bitterer Genugtuung. „Ich wüsste nicht, auf wen diese Verse besser zutreffen würden.“
    Chiron schnaubte verdrossen. Seine Hufe scharrten nervös über die Holzdielen und er schaffte es nicht, Feliz anzusehen, die mit pochendem Herzen zwischen die beiden Mythen hin- und hersah.
    „Die Prophezeiung trifft ein, und du kannst nichts dagegen machen.“
    „Bei den Göttern“, stöhnte Chiron, fuhr sich mit den Händen durch die strähnigen, grauen Haare. „Zeus, steh uns bei.“
    „Tut mir Leid, dich enttäuschen zu müssen“, murmelte Dionysos mit einem Blick, der die Unterwelt gefrieren lassen würde. „Aber der wird uns auch nicht helfen können.“

  • -IV. Kapitel-
    Decretum



    Es war, als hätte die gesamte Natur den Atem angehalten. Im Himmel türmten sich ungewöhnlich hart wirkenden Wolken auf, wie eine Mauer zwischen Erde und Kosmos, als wollten sie eine Barriere zwischen den beiden Welten aufbauen. Der Wind schien nur so zu lauern, streifte durch das hohe Gras am Seeufer und trieb es auseinander wie eine Armee unsichtbarer Krieger, die sich an den Feind anschlichen. Aber es kam niemals zu einem Angriff. Sie lauerten bloß, verscheuchten Geräusche und Düfte. Alles wirkte seltsam fade.
    Die Halbgötter schleiften sich mehr durch den Tag als alles andere. Jeder von ihnen merkte die schreckliche Spannung die über dem Camp lag wie ein Netz aus Fäden, das sich bei jeder Bewegung um ihre Körper wickelte und sie bewegungsunfähig machten. Gerüchte trieben umher, Andeutungen von einem nahenden Kampf und aus der Luft gegriffene Anschuldigungen. Sie wussten nicht, warum ihre Gedanken so voll waren von Zweifeln und regelrechter Furcht vor dem, was noch kommen würde, aber sie spürten alle, dass der Angriff auf die Musen nur ein Vorbote großen Übels war.


    Leon war nicht zu Späßen aufgelehnt. Seit Feliz gestern Abend in den Wald verschwunden war, sobald sie den Namen der Muse gehört hatte, tuschelte die ganze Hütte. Dass sie nicht zurückgekommen war, auch bis Nachmittag des nächsten Tages, verwirrte die Halbgötter zunehmend. Einige dachten, dass sie selbst angriffen oder auf eine Mission geschickt worden war. Aber Leon glaubte das nicht, denn Feliz wäre niemals ohne ihre Tasche gegangen, die noch unangetastet neben ihrem Bett stand.
    Er streunte durch das gesamte Lager, aber nirgendwo konnte er seine Halbschwester entdecken. Aber er merkte, wie gedämpft das Licht mit einem Mal war. Natürlich hielten die Wolken die Sonne ab, aber bisher war immer ein gewisser Grad an Licht auf das Tal gefallen. Aber jetzt? Es war gerade mal vier, da mussten sie schon die Laternen einschalten, um etwas sehen zu können. Leon schloss die Augen und sandte ein Stoßgebet an seinen Vater, dass er doch bitte die Sonne wieder anknipsen sollte, aber nichts geschah. Mit verzogener Miene lauschte er in seinen Körper.
    Dort oben in seinem Kopf und ganz nah an seinem Herzen spürte er das vertraute Gefühl aufkommender Wärme. Er ballte die Hände zu Fäusten, als die Wärme langsam zu einer Hitze wurde, die ihn von innen zu verbrennen schien, aber es schmerzte nicht, es fühlte sich ein richtig an.
    Leon fokussierte diese Wärme, so wie er es bisher immer getan hatte, wenn er das Licht um ihn herum manipulierte. Er spürte die Kraft, die von den zwei Punkten ausging, ließ sie durch die Poren seines Körpers hervorquellen…
    Und merkte, dass sie in der Umgebung vergingen, wie kleine Flammen, die von einem Windstoß aufgepustet wurden. Sobald die Energie hervortrat um seine Umgebung zu erhellen, erlosch sie einfach wieder, wurde absorbiert von der Luft. Leon öffnete verwirrt die Augen und stellte fest, dass auch das Glimmen, das seinen Körper von Innen heraus in einen goldenen Schein tauchte, nur leicht flimmerte, wie einer dieser antiken Fernseher. Mal schien es hell auf, dann war es plötzlich wieder verschwunden, als könnte sich das Leuchten nicht ganz entscheiden, was es tun sollte.
    Leon atmete aus und gab auf. Diese ganze Lichtsache bereitete ihm unheimlich Mühe, und was noch viel schlimmer war, Kopfschmerzen. Sein Schädel brummte, als hätten sich Bienen darin eingenistet.
    „Alles okay mit dir, Leon?“
    Der Apollosohn verzog das Gesicht, als plötzlich eine Stimme hinter ihm an seine Ohren drang und sie zum Klingeln brachte. Es war nicht so, dass diese Stimme unangenehm war, nur… Wenn er sich wirklich konzentrierte, dann schien alles viel klarer und näher zu sein. Gerüche, Sicht, Klänge.. Er wurde unheimlich empfindlich.
    „Klar“, murmelte Leon, als er sich umdrehte und Gina erblickte, die sich etwas zu ihm heruntergebeugt hatte, was eigentlich sinnlos war. Leon hatte einen riesigen Wachstumsschub gehabt und war nun kaum mehr kleiner als sie. Allerdings fiel es der Hephaistostochter wohl schwer, sich die Gewohnheit abzugewöhnen.
    „Du merkst es auch, oder?“, redete Gina unvermittelt weiter. Sie schaute in den Himmel und Falten breiteten sich auf ihrer Stirn aus. Leon folgte ihrem Blick in die dunkle Wolkendecke, die schwerelos im Himmel stand und sich nicht rührte, das ganze Tal mit einem grauen Vorhang verdeckte.
    „Alles ist komisch“, antwortete der Blonde und wandte den Blick von der Himmelsmauer ab. Aus irgendeinem Grund konnte er den Anblick nicht ertragen. Er hasste Regentage, weil dann sie Sonne so fern schien wie sonst nie.
    „Wir sind alle angespannt. Vielleicht solltest du dich etwas ausruhen?“, schlug Gina vor und legte ihm leicht ihre Hand auf die Schulter. Der Blonde grub mit seinem rechten Fuß eine tiefe Furche in den Kiesweg, der in Richtung des Übungsplatzes führte. Er hatte gar nicht gemerkt, dass seine Beine ihn in diese Richtung getragen hatten. Irgendwann hatte er nur noch darauf geachtet, ob Feliz da war oder nicht. Aber sie war nirgendwo zu finden gewesen, genauso wenig wie Chiron und Mr. D. Auch Percy und Annabeth hatte keiner mehr gesehen, man ging davon aus, dass alle vier in einer gemeinsamen Besprechung die Köpfe zusammensteckten. Nur wo Feliz war, blieb ihrem Halbbruder immer noch ein Rätsel.
    „Ich kann keine Helligkeit mehr erschaffen.“ Leon wusste nicht genau, warum er das der Rothaarigen anvertraute. Er kannte sie durch Feliz, weil sie beiden immer zusammen herum hangen, und sie hatte sich als ruhiger Gegenpol bewährt, der auf Dinge eine Antwort wusste, die Feliz ihm niemals hätte sagen können. Vermutlich fiel es ihm deshalb so schwer es ihr zu sagen. Weil er sich nicht sicher war, warum genau ausgerechnet jetzt seine Fähigkeit nicht mehr funktionierte. Und weil er hoffte, dass sie eine Antwort darauf hatte.
    Gina antwortete nicht, verengte die Augen einfach zu Schlitzen und starrte ihm ins Gesicht. Sie sah ihn nicht direkt an, eher durch ihn hindurch, so wie immer wenn sie über etwas nachdachte.
    „Da bist du wohl nicht der Einzige“, murmelte sie mit ihrem abwesenden Blick, zog die Hand von seiner Schulter und ging langsam die Weg entlang. Leon folgte ihr, seine Augen auf das Gesicht der Halbgöttin geheftet, auf dem sich die Ausdrücke im Sekundentakt änderten. Verwirrung, Anstrengung, sogar etwas wie Furcht und Wut… Ihr Mienenspiel war so abrupt, dass er für einen Moment dachte, ihr würde der Kopf platzen.
    „Wie meinst du das?“, fragte er um das doch ziemlich unappetitliche Szenario irgendwie zu verhindern.
    „Die Demeterkinder schaffen es nicht, neue Blumen wachsen zu lassen. Was auch immer sie versuchen, nichts wächst“, begann Gina, den Blick auf ihre Schuhe geheftet, die einige Kiesel beim Gehen vor sich her kickten. „Die Aphroditekinder verzweifeln an ihrem Aussehen. Ihnen kommt keine Idee, was sie anziehen sollen. Die meisten haben sich in ihre Zimmer verkrochen und das Licht ausgeschaltet, weil sie es nicht wagen, ohne Schminke und stylisches Outfit vor die Tür zu treten.“
    Leon stieß ein unterdrücktes Lachen aus, erntete aber einen ernsten Blick von Gina, entschuldigte sich kurz und versuchte krampfhaft, bei der Vorstellung nicht zu kichern. Er fühlte natürlich mit den armen Aphroditesprossen. Es musste furchtbar sein, sich solche Gedanken um sein Aussehen machen zu müssen. Er selbst trug immer nur eines von drei knallorangenen Camp Halfblood Shirts und eine Hose, die er wahllos aus dem Haufen an Klamotten herauszog, der sich in seinem Schrank stapelte. Manchmal war es sogar zu faul dazu, sich das Gesicht zu waschen. Von Haare bürsten mal ganz abgesehen, die waren sowieso so strubbelig, dass es sich seiner Meinung nach gar nicht lohnte.
    „Das ist wirklich nicht lustig, Leon“, murmelte Gina nachdenklich und etwas ärgerlich vor sich hin. Klar, er war noch jung im Vergleich zu ihr, aber selbst ihm müsste doch klar sein, dass ein Verlust der Fähigkeiten nicht einfach so passiert. Halbgötter unterliegen keinen periodischen Kräfteschwankungen, zumindest war ihr das nicht bekannt. Und genau deswegen machte sich die Rothaarige auch ernste Sorgen. „Es sind ja nicht nur diese beiden Hütten. Auch die Athenahütte hat plötzlich keinerlei Motivation mehr, sich Schlachtpläne auszudenken. Und die Aresleute haben mit einem Mal nicht mal mehr Lust, die Strohpuppen zu zerlegen.“
    „Okay“, murmelte Leon, dem das Grinsen langsam verging. „Das ist wirklich merkwürdig.“
    Gina antwortete nicht. Egal wie lange sie auch nachdachte, ihre Gedanken drehten sich im Kreis. Sie war sich fast sicher, dass es etwas mit den Musen zu tun haben musste. Die Apolloleute hatten im Camp schnell die Nachricht verbreitet, dass es sich tatsächlich um die Göttinnen der Künste handelte und dass diese schwer verletzt worden waren. Von wem konnten sie auch nicht sagen, dafür waren die Wunden viel zu… merkwürdig, wie sie es gesagt hatten. Warum genau sie diesen Ausdruck verwendeten wusste allerdings niemand. Darüber bewahrten sie Stillschweigen, auch wenn sich die Eingeschworenen diese wissenden Blicke zuwarfen. Und genau darin bestand für Gina Grund zur Sorge.
    Denn in diesen Blicken spiegelte sich nicht nur Wissen, nein. In den Augen glänzte Angst und Verwirrung.
    „Gina!“
    Die Angesprochenen drehten sich mit einem fragenden Blick um. Einige Meter von ihnen entfernt hüpfte Grover schnell auf sie zu. Der Satyr grinste wie üblich, aber es brauchte keinen Fachmann um zu sehen, dass in diesem Grinsen etwas lag, das dort nicht hineingehörte.
    Schlitternd vor lauter Schwung kam der Schwarzhaarige vor ihnen zum Stehen.
    „Chiron will dich sehen“, verkündete er den beiden.
    „Warum denn das?“, fragte Leon und legte den Kopf schief. Grover antwortete nicht, aber er tauschte einen intensiven Blick mit Gina, der ihr Herz dazu brachte, schneller zu schlagen. Sie biss sich auf die Lippen. Was auch immer es war, es schien nichts Gutes zu sein, Grovers Blick sagte ihr das ganz eindeutig. Doch sobald der Satyr sich zu Leon umdrehte, war die Sorge darin schon wieder verschwunden. Der Ziegenmensch grinste breit wie eh und je als er ihm antwortete.
    „Keine Ahnung, Mann. Vielleicht will er, dass Gina ihm etwas baut.“
    Wirklich überzeugt schien Leon zwar nicht, aber er zuckte mit den Achseln.
    „Ist es dringend?“
    Als Grover nickte strich sich Gina durch die feuerroten Haare und atmete lange, aber kaum hörbar aus.
    „Wir sehen uns, Leon.“ Die Hephaistostochter schenkte ihm ein kurzes Lächeln von dem sie einfach hoffte, dass es locker wirkte und drehte sich dann um. Mit klopfendem Herzen machte sie sich auf den Weg in Richtung des großen Hauses, in dem Chiron sie erwartete, während Grover neben ihr her trabte, den Blick fest in den Himmel gerichtet.
    Jetzt war sie sich sicher, dass etwas nicht in Ordnung war.


    „Irgendwie ist das schon merkwürdig, oder?“
    „Also ich finde das ja ganz normal.“
    „Du lügst.“
    „Nein, das war Sarkasmus.“
    Arian hatte nicht einmal die Lust dazu, Levin wegen seiner Lüge zu bestrafen. Er hatte auf nichts wirklich Lust, auch wenn er nicht ganz wusste, ob es ihm ging wie alle anderen, oder ob es ihm wegen der anderen so ging. Alle wirkten so schrecklich unmotiviert, als hätte man ihnen alle Freude an Aktivitäten einfach ausgesaugt, sie schleppten sich mit herunterhängenden Mundwinkeln durch die Gegend und starrten sich aus trüben, lustlosen Augen an.
    Arian saß auf einer der steinernen Stufen, die rund um das Kolosseum wie ein Mantel aus der Erde herausragten. Er beobachtete ein Blatt, das im seltsam abgehackten Wind durch die Arena getrieben wurde. Levin neben ihm lag zurückgelehnt auf einer Stufe unter ihm und starrte in den Himmel. Noá lag quer über eine Stufe, einen Pullover unter seinem Kopf und in den Ohren seine Kopfhörer. Er hatte die Augen geschlossen und atmete regelmäßig, ein sicheres Zeichen dafür, dass er schon wieder schlief. Ernsthaft, dieser Junge nahm seine Abstammung etwas zu ernst.
    „Warum, glaubst du, sind die Musen angegriffen worden?“, unterbrach Arian das Schweigen. Er grübelte schon die ganze Zeit darüber nach, doch er kam in seinen Gedanken keinen Schritt weiter. Ihm war, als würde er durch einen Sumpf waten, jeder Schritt war eine unglaubliche Anstrengung, und am Ende gelangte er doch nur wieder dorthin zurück, von wo er gekommen war.
    „Bin ich Jesus?“, fragte Levin mit einem spöttischen Unterton.
    „Nein, du bist ein Halbgott“, korrigierte der Schwarzhaarige ihn.
    „Ganz im Ernst, Arian, warum interessiert dich das?“ Levin schwang seinen Oberkörper vor, bis er Arian aus dem Augenwinkel einen leicht genervten Blick zuwerfen konnte. „Chiron wird es uns schon sagen, wenn er es für richtig hält.“
    „Und damit gibst du dich zufrieden?“
    „Klar“, antwortete der Braunhaarige und zuckte leichtfertig mit den Schultern. Arian wartete auf den altbekannten Schmerz, der durch seinen Körper fuhr, wenn jemand log. Je größere und schlimmer die Lüge, desto heftiger wurde der Schmerz, er konnte sich anfühlen wie ein leichtes Ziepen in seinem Brustkorb, aber er konnte ihn genauso spüren lassen, wie es ist, von dutzenden Schwertern durchbohrt zu werden, als würde man ihn langsam foltern. Nur konnte er von diesen Lügen nicht sterben, es schmerzte nur einfach fürchterlich.
    Aber es kam kein Schmerz. Levin war es tatsächlich vollkommen egal.
    „Du bist wirklich absolut ignorant, Levin“, stellte er ohne jegliche Überraschung fest. In den Jahren, die er seinen Freund kannte, hatte er sich immer mit dieser Eigenschaft arrangieren können. Und auch jetzt störte es ihn nicht wirklich. So war er eben, und das war ihm wesentlich lieber als dass er vorgab, etwas zu sein, was er nicht war. Schließlich war Levin keines der Aphroditekinder, die Arian lieber mied. Er war schließlich kein Masochist.
    „Und du machst dir zu viele Sorgen“, meinte Levin schlichtweg mit einer gehobenen Augenbraue. Er konnte diesen ganzen Aufruhr absolut nicht verstehen. Gut, dann waren die Musen eben angegriffen worden. Was kümmerte ihn das denn? Erst, wenn klar ersichtlich wurde, dass das Camp in Gefahr war, würde er anfangen sich Sorgen zu machen. Jetzt schon Panik zu schieben war Blödsinn. Vielleicht hatten die Musen auch einfach einen kleinen Unfall, soll vorkommen.
    Ja, vielleicht log er sich selbst an. Vielleicht hatte Arian recht damit, dass er ignorant war. Aber das war eben seine Art mit den Dingen umzugehen. Er wollte einfach seine Ruhe haben und sich keine Sorgen machen müssen, was als nächstes passiert. Das würden sie ohnehin schon früh genug herausfinden.
    „Hier seid ihr!“
    Arian und Levin hoben gleichzeitig den Kopf, nachdem sie für eine Weile stumm auf den Boden der Arena gestarrte hatten. In diese kam ein junger Mann gejoggt, mit dichtem, schwarzem Haar, das ihm an der Stirn klebte. Percy keuchte leicht, als er vor den Stufen zum Stehen kam und sich vorbeugte um etwas Luft zu holen.
    „Und auch noch alle drei“, murmelte er. „Da habe ich wohl Glück gehabt.“
    „Brauchst du etwas von uns?“, fragte Levin mit ungeheucheltem Interesse. Er war sofort aufgesprungen, als er gesehen hatte, wer ihn angesprochen hatte. Langsam stieg der Braunhaarige die Treppe herunter. Arian rutschte dagegen etwas näher zu Noá herüber und zog ihm einen der Stöpsel aus dem Ohr.
    „Aufwachen, Schnarchnase“, wies der wandelnde Lügendetektor ziemlich unsanft aus und begann damit, den Schlafenden durchzuschütteln. Noá brauchte ein paar Sekunden, bis er heftig zusammenfuhr und sich aufsetzte.
    „Ich bin wach!“, stieß er schon beinahe panisch aus. „Ich bin wach!“
    Arian grinste ihn an und deutete dann auf Percy, der darauf wartete, dass alle drei ihm zuhörten. Noá blinzelte verschlafen und gähnte herzhaft, bevor er mit Arian zu Treppen zum Poseidonspross herunterstieg.
    „Chiron will euch sprechen.“
    Die drei Jungen sahen sich verwirrt an. Nun, eigentlich sahen sich nur Arian und Levin verwirrt an, Noá drohte schon wieder, mitten im Stehen einzuschlafen. Levin boxte ihm unsanft in die Seite und stöhnte.
    „Warum?“, wollte der Sohn der Iris wissen. „Hast du schon wieder etwas angestellt, Arian?“
    „Ich?“ Der Angesprochene kratzte sich am Hinterkopf und schien in seinem Hinterstübchen zu kramen. „Mh, ich wüsste nicht, wie er das mit den präparierten Spiegeln der Aphroditehütte herausgefunden haben könnte. Also nein.“
    „Du hast die Spiegel präpariert?“, fragte Percy mit leichter Neugierde, auch wenn die Ungläubigkeit überwog. Arian zuckte nur mit den Achseln: „Ist schon eine Weile her.“
    „Hat er dir denn gesagt, was er will?“, mischte sich Levin mit den Augen rollend ein. Sie hatten jetzt wirklich keine Zeit dafür über Arians Streiche zu sprechen. Auf die war er ohnehin nicht gut zu sprechen, da jeder zweite ihm galt.
    „Ich.. Ich kann hier nicht darüber sprechen“, murmelte Percy zögerlich. Er schaute sich nach rechts und links um, die Arme seltsam angespannt. „Das müsst ihr ihn schon selbst fragen.“


    Sie liebte den Platz auf der Hütte. Dort hatte sie immer ihre Ruhe, und seit das Mädchen mit der schokoladenbraunen Haut sich ein paar Kissen und ein paar Kübel mit Blumen aufgestellt hatte, wirkte das flache Dach wie die Terrasse bei ihr zu Hause.
    Shirin lag, eingewickelt in einer Decke, die vor lauter Flicken schon gar keinen richtigen Stoff mehr zu besitzen schien, in einem Berg aus Kissen, völlig versunken in einen Fantasyroman, den sie von einem Hermeskind gekauft hatte.
    Seite um Seite verschlang sie, mit einem seligen Lächeln auf dem Gesicht, bemerkte gar nicht, wie angespannt die anderen Halbgötter waren. Wenn sie las, dann vergas das Mädchen alles um sich herum. Nichts war mehr relevant, nur die Geschichte, die Charaktere, die Zwiespalte in denen sie sich befanden. Denn auch wenn ihr eigenes Leben nicht gerade das war, was man als langweilig bezeichnen konnte, irgendwie… Shirin konnte sich einfach nicht vorstellen, nicht mehr zu lesen. Manchmal war das Lesen etwas, das sie an ein normales Leben band, ein Leben in dem sie ganz normal zur Schule ging und Mathematik lernte, nicht Schwertkampf und Taktik.


    Als sie die letzte Seite umschlug sank sie mit einem Seufzen tiefer in den Kissenberg hinein. Shirin schloss die Augen und ließ ihre Gedanken um das Ende des Buches treiben. Die Liebenden kommen zusammen, trotz aller Schwierigkeiten, und der Bösewicht wird endlich geschlagen. Ein schönes Happy Ending, ein „und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ der Extraklasse. Eigentlich schön, aber gerade schien es ihr irgendwie… unbefriedigend zu sein. Heute war alles unbefriedigend. Nichts begeisterte sie wirklich, keines der drei Bücher, die sie gelesen hatte, hatte ihr wirklich gefallen. Doch was genau fehlte eigentlich? Alles war doch da. Eine dramatische Handlung, ein schönes Happy Ending… Und trotzdem hatte sie nicht das Gefühl, als wären die Bücher wirklich gut.
    Mit einem Blick in die dichte Wolkendecke über ihr wurde sie stutzig. Sie schien still zu stehen. Hatte ihr Vater heute einen Ruhetag eingelegt? Er müsste doch eigentlich durch den Himmel streifen und die Sturmgeister anführen… Aber nein, alles war vollkommen still. Keine Brise konnte sie spüren. Die Luft hing einfach träge in der Umgebung, dick und drückend, wie eine Decke. Shirin arbeitete sich aus ihrer kleinen Ecke heraus und trat an die Kante des Daches, dort, wo die Ziegel steil abfielen. Die Halbgöttin drehte sich einmal langsam im Kreis, als könnte sie dadurch erfahren, warum sich das Wetter so seltsam verhielt. Erst dieser komische Sturm gestern Abend, der kam und dann wieder verschwand, jetzt das merkwürdige Wetter. Sehr seltsam.
    Sie schritt über die Kante, doch das Mädchen fiel nicht. Sie schwebte einfach in der Luft weiter, die Beine leicht angewinkelt. Sanft glitt sie entlang der Fassade ihrer Hütte herunter und gerade als sie aufsetzte, vom schwerelosen Zustand in den normalen überwechselte, während das altbekannte Kribbeln im Körper einsetzte, da sah sie, dass zwei Mädchen vor der Türe standen und ein drittes gerade aus dieser herauskamen.
    Sie erkannte die drei vom Sehen her. Zwei von ihnen waren Schwestern, so weit Shirin es wusste, Töchter der Hekate. Sie hatte nie die Chance gehabt, mit ihnen zu sprechen.
    Die dritte war etwas älter und ihren Namen kannte die Tochter des Zephyr.
    „Annabeth?“, fragte Shirin, als sich die Blonde mit einem erwartungsvollen Blick ihr zuwandte.
    „Ah, gut. Ich hatte eher weniger Lust, aufs Dach zu klettern“, stieß Annabeth aus, während sie zusah, wie Shirins Füße wieder auf dem Boden aufsetzten. „Chiron bat darum, dass ihr zu ihm kommt.“
    „Warum denn das?“, fragte das Mädchen mit den dunkelbraunen Haaren leicht perplex. Hatte sie etwa etwas falsch gemacht? Oder zu oft den Unterricht versäumt? Nein, eigentlich nicht… Ja, gut, ein Mal hatte sie das Buch einfach nicht aus der Handlegen können… Oder auch drei oder vier Mal.
    In Ordnung, in Ordnung. Bei acht Mal hatte sie aufgehört zu zählen.
    Nervös strich sie sich eine Strähne ihres Haares hinter die Ohren und schaute auf ihre Schuhe.
    „Es ist… Nichts Schlimmes. Zumindest nicht direkt“, behauptete Annabeth, aber ihr Tonfall ließ erahnen, dass da mehr hinter steckte, als sie zugeben wollte.
    „Das hört sich aber nicht so an“, meinte die blonde Tochter der Hekate und klimperte schnell mit den leuchtend roten Augen. Sie legte den Kopf schief und bedachte Annabeth mit einem fragenden Blick, aber die Ältere wandte sich von ihr ab, nachdem sie sich gegen eine Antwort entschieden hatte, auch wenn sie zuvor Luft geholt hatte.
    „Kommt bitte einfach mit.“


    Das große Haus war nicht klein, das sagte der Name ja irgendwie aus. Trotzdem wurde es mit neun Halbgöttern, einem dicklichen Gott, einem Satyr, einem Orakel und einem Zentaur doch etwas eng.
    Thabatha, Celine, Shirin und Gina quetschten sich auf die Couch gegenüber der von Dionysos, die dieser vollkommen für sich beanspruchte. Er starrte in das leicht glimmende Feuer und formte mit seinen dicken Lippen lautlose Worte, die keiner von ihnen nachvollziehen konnte. Arian lehnte an dem Rücken der Couch, Levin stand am Fenster und schaute hinaus auf den Platz vor dem Haus, der menschenleer war. Die Wolkendecke hatte sich noch immer nicht aufgelöst und es regte sich kein Lüftchen.
    Noá dagegen stand an der Wand, seltsam steif, die Augen geschlossen und die Arme vor der Brust verschränkt. Er dämmerte etwas vor sich hin.
    Das einzige was man hörte, waren die gedämpften Stimmen von Percy, Annabeth und Grover, die sich im hinteren Teil des Raumes leise miteinander berieten, worüber auch immer. Annabeth jedenfalls schien etwas aufgebracht zu sein, was man leicht an den verzweifelten Gesichtern der Jungen erkennen konnte, die ebenso verzweifelt versuchten, sie wieder irgendwie zu beruhigen.
    Chiron stand an seinem Schreibtisch, neben ihm ein junges Mädchen mit roten Locken und übernatürlich grün funkelnden Augen. Beide schienen versunken in ein Dokument, das ausgebreitet vor ihnen auf dem Tisch lag.
    Als die Tür sich öffnete, schnellten alle Köpfe zum Eingangsbereich.
    Feliz streckte den Kopf hinein. Ihre blonden Haare hingen in wirren Wellen von ihrem Kopf herunter, die Mascara war etwas verschmiert und sie hatte dicke, dunkle Ringe unter den Augen.
    „Tut mir Leid, dass ich so spät bin“, murmelte sie leise und angestrengt. Vorsichtig schloss sie die Tür hinter sich und blieb dann unsicher im Raum stehen, als sie sah, dass sie sich nirgendwo hinsetzen konnte.
    „Dann sind wir vollzählig“, verkündete Rachel und nickte Chiron zu. Beide stellten sich an den Tisch und auch Percy, Annabeth und Grover kamen dazu. Levin schubste Noá aus seinem Halbschlaf heraus und nickte in die Richtung der Couch.


    „Warum ihr hier seid…“
    Chiron presste die Worte ungewöhnlich mühsam hervor, mit einem gewissen Widerwillen. Mr. D. bedeutete ihm mit einer ungeduldigen Handbewegung endlich fortzufahren, als das Schweigen unangenehm wurde.
    „Ihr wisst sicherlich alle, dass die Musen gestern Abend verwundet im Camp gefunden wurden“, ergriff letztlich aber Rachel das Wort, mit starker Stimme und einem ersten Gesichtsausdruck, der sie sehr viel älter wirken ließ. Vielleicht lag es aber auch an dem generellen Respekt gegenüber der jungen Frau. Immerhin war sie das Orakel, auch wenn sie seit zwei Jahren keine Prophezeiung mehr gemacht hatte.
    „Was?“ Shirin saß mit einem Male kerzengrade auf der Couch, die Augen ungläubig geweitet. „Die Musen? Verletzt?“
    „Stimmt, du warst ja nicht da“, bemerkte Annabeth.
    „Sie saß wahrscheinlich in ihrem Zimmer und hat gelesen“, murmelte Levin eigentlich kaum hörbar, aber dadurch, dass alles ruhig war, verstand man ihn klar und deutlich.
    „Haben sich die Musen an etwas erinnert?“, wandte sich Chiron an Feliz, die angestrengt auf den Boden starrte. Erst nach drei Sekunden bemerkte sie, dass der Zentauer mit ihr gesprochen hatte.
    „Ich…“, begann sie, verstummte dann und fuhr sich durch das zerzauste Haar. „Nein. Sie sagten, es ging zu schnell. Es war dunkel und der Angriff kam plötzlich. Klio sagt, sie kann sich an einen Geruch erinnern, als wäre etwas verbrannt gewesen, aber mehr auch nicht.“ Feliz ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Lippe. „Die Verletzungen sind ihnen erst zugefügt worden, als sie schon ohnmächtig waren.“
    Für eine Weile herrschte betretenes Schweigen. Die Beteiligten starrten einfach eine Stelle des Raumes an, ohne ihn wirklich wahr zu nehmen. Alle schienen in Gedanken versunken zu sein, in einem dunklen Loch, bis Rachel sich räusperte.
    „Wir haben einen Anhaltspunkt, wer es sein könnte“, teilte sie ihnen mit.
    „Du meinst die Erde aus dem Tartaros?“, fragte Feliz jetzt mit mehr Interesse. Ihre Augen waren zu Schlitzen verengt und ihre Muskeln angespannt, als mache sie sich bereit dazu, jede Sekunde loszulaufen und denjenigen zu finden, der den Musen Leid angetan hatte.
    „Aus dem Tartaros?“ Celine richtete sich auf. Auch die anderen Halbgötter schauten teils verwirrt, teils ungläubig zum Orakel. Nur die älteren Anwesenden reagierten kaum. Sie wirkten bestürzt, blieben aber ruhig.
    „Ich dachte, dass Kronos während der Titanenkriege im Tartaros versiegelt worden ist!“, stieß Gina etwas ungehalten aus. Sie wusste es. Sie hatte es die ganze Zeit über gewusst. Irgendetwas stimmte hier nicht!
    „Das haben wir ja auch“, erklärte Percy. „Nur haben wir es hier nicht mit Kronos und seinen Freunden zu tun.“
    „Haben wir nicht?“ Arian beugte sich über die Couchlehne, das Gesicht direkt zwischen Celine und Thabatha. „Ein andere Titan, vielleicht?“
    „Nichts dergleichen“, mischte sich jetzt auch noch Mr. D. ein, ohne den Blick vom Kamin zu nehmen. „Kein Titan.“
    Das „Was dann?“ stand allen deutlich ins Gesicht geschrieben, doch keiner wagte sich, es auszusprechen. Wenn es kein Titan war… Wer dann? Wer wohnte sonst noch im Tartaros, dem Verbannungsort im Hades? Dort kamen nur die schlimmsten Verbrecher hinein, es war… eine Hölle in der Hölle.
    Aber, was das größere Problem war… Im Normalfall kam aus dem Tartaros niemand heraus. Wer einmal darin war, wird nicht mehr entlassen, das war einfach nicht möglich. Zumal jeder, der dort unten lebte, eine von den Göttern auferlegte Qual durchlebte. Eine ewige Folter, die niemals endete.
    „Vor mehreren Jahrzehnten“, setzte Rachel an. „Gab es eine Prophezeiung.“
    Percy verzog bei dem Wort leicht das Gesicht und schaute an die Decke.
    „Diese Prophezeiung ist eventuell der Schlüssel zu dieser Sache.“
    „Okay, Prophezeiung“, murmelte Levin missmutig. „Schön und gut, aber was genau haben wir damit zu tun?“
    „Das ist der Knackpunkt. Wir wissen nicht genau, ob ihr etwas damit zu tun habt.“
    „Hä?“ Noá sprach das aus, was alle dachten. Irgendwie nahm dieses Gespräch eine Wendung, die ihn so interessierte, dass er tatsächlich wach blieb.
    „Die Prophezeiung ist unglaublich lang“, fuhr Rachel fort, ohne auf ihn einzugehen. „Sie geht über mehrere Seiten. Grob zusammengefasst stehen wir einem Problem gegenüber, das sich leider nicht so einfach lösen lässt.“
    „Ein bisschen präziser vielleicht?“, forderte Levin das Orakel auf und fuhr sich durch die Haare. Langsam aber sicher wurde das ganze hier… unangenehm aufregend. Er begann daran zu zweifeln, dass das mit den Musen wirklich nur ein Unfall war. Und was das bedeutete… Nun, noch wusste er es nicht, aber er glaubte, dass man ihnen das schon bald mitteilen würde. Ob ihn das jetzt freuen sollte oder nicht…
    Wenn Zeus Töchter sich treffen in tiefster Nacht,
    ein Schatten durchstreift die Dunkelheit,
    mit glänzenden Krallen rauben sie dies,
    was Macht ihnen bringt.

    Ich denke, wir verstehen ganz gut, was hiermit gemeint ist. Der Angriff auf die Musen warf längst vorhergesagt. Aber jetzt kommt der Teil, der uns Kopfschmerzen bereitet.
    Getrieben von Hass und Wut,
    geblendet von Trauer und Streit,
    wird die Menschheit vergehen im Kriege,
    geleitet von den Töchtern des Tartaros,
    schöner und mächtiger durchs Blut,
    dass andere vergießen.

    Rachel schaute den Jugendlichen einem nach den anderen in die Augen, stumm und abwartend.
    „Moment!“, stieß Levin aus. „Was soll das heißen? Die Menschheit vergeht im Krieg? Ich dachte, der Krieg wäre vorüber!“
    „Die Prophezeiung klingt eindeutig“, murmelte Feliz, die Arme vor der Brust verschränkt. Sie sah auf den Glastisch, der zwischen den beiden Couchen stand und beobachtete, wie sich das Kaminfeuer darin spiegelte. „Gibt es noch ein Aber?“
    „Ja, das gibt es. Wenn sich zehn Krieger, die nicht mit Ruhm geschmückt sind, auf machen um die Töchter des Tartaros zu besiegen, dann… Naja, dann gibt es eben keinen Krieg, in dem die Menschheit vergeht.“
    „Und wie kommt ihr nun darauf, dass wir diese Krieger sind?“, fragte Celine ruhig, auch wenn es in ihrem Kopf nur so brodelte. Das Ganze machte doch überhaupt keinen Sinn. Und genau deswegen war es auch so… so furchteinflößend, so bedrohlich. Nichts in ihrem Leben machte je Sinn.
    „Ich zähle auch nur acht und nicht zehn“, klinkte sich nun auch Arian ein.
    „Nun, zum einen gibt es diesen ‚nicht mit Ruhm geschmückt‘-Aspekt. Keiner von euch hat an einer wichtigen Mission teilgenommen“, begann Rachel.
    „Und keiner von euch war an den Titanenkriegen beteiligt“, fügte Annabeth hinzu.
    „Wie man’s auch dreht und wendet, ihr habt absolut nichts, was Ruhm auch nur ähnlich ist“, behauptete Grover. Als er einen ärgerlichen Blick von Annabeth kassiert, murmelte er leise: „Was denn? Ist doch wahr.“
    „Aber wir sind doch sicherlich nicht die Einzigen, die nicht an den Titanenkriegen teilgenommen haben!“, stieß Feliz aus. „Nach dem Krieg kam eine Vielzahl von Kindern erst zu uns. Weil Percy von den Göttern verlangt hat, dass sie ihre Kinder kennzeichnen.“
    „Jedenfalls“, setzte Rachel ihren Vortrag fort, ohne auf den Einwand einzugehen. „Es gibt da noch etwas, dass den Kreis der Beteiligten deutlich schmälert. In einem Abschnitt wird erwähnt, dass die Kinder der großen Zwölf an diesem Kampf nicht teilnehmen können. Im Grunde kann niemand teilnehmen, nur die Erwählten.“
    „Und warum das?“, Thabatha machte große Augen.
    „Das wissen wir selbst noch nicht genau. Was wir aber wissen, ist, dass ein weiterer Vers zutrifft.
    Halbblute der Großen,
    lange habt ihr gekämpft, Siege errungen,
    doch nun seid ihr machtlos,
    denn es ist an den Kriegern zu kämpfen,
    deren Kräfte stärker sind.

    Für einen Moment herrschte Schweigen, dann keuchte Gina mit einem Mal auf.
    „Deswegen können die Demeterkinder keine Blumen mehr zum Wachsen bringen! Ihre Kräfte verschwinden langsam!“
    Rachel nickte: „Das ist uns auch aufgefallen.“
    „Jedem Kind der Zwölf geht es so“, erklärte Percy mit einem leicht säuerlichen Unterton. „Ich habe kaum mehr Macht über das Wasser. Die Wunde vom Training hat sich erst nach drei Minuten vollständig geschlossen, obwohl es nur ein kleiner Schnitt war.“
    „Aber warum genau?“, fragte Feliz, während sie sich die Stirn rieb. Das hier bereitete ihr fürchterliche Kopfschmerzen.
    „Weil die Götter sich zurückziehen“, antwortete Rachel, als wäre es das Natürlichste der Welt.
    Die Halbgötter starrten sie an, die Augen weit geöffnet, genauso wie den Mund.
    „Bitte was?“, hauchte Levin schon beinahe fassungslos. Sie zogen sich zurück? Was genau bedeutete das denn jetzt schon wieder?
    War das etwa… Die Wolkendecke? Waren die Wolken wirklich eine Barriere?
    „Wenn wir das wüssten“, murmelte Chiron müde. „Dann wären wir schon einen großen Schritt weiter. Fakt ist, dass wir keinerlei Verbindung mehr mit ihnen zu haben scheinen. Auf Gebete folgt keine Antwort mehr und auch Mr. D. dringt nicht mehr zum Olymp durch. Es ist, als hätten sie die Verbindung gekappt.“
    „Aber wir haben die Prophezeiung und ein recht gutes Bild davon, wer unsere Krieger sein können“, meinte Rachel mit einem versöhnlichen Tonfall, als wolle sie die anderen davon überzeugen, dass das alles doch nicht so schlimm ist. „Zu jedem Krieger gibt es eine kurze Beschreibung und wir denken, dass sie nur zu euch passen kann.“
    Sie wandte sich Feliz zu, die dem Orakel einen unsicheren Blick schenkte.
    Ein Kind der Musik mit tausend Stimmen, der Engel der Rache, ein Schwert geführt durch heilige Klänge“, zitierte Rachel. Für einen Moment schien es, als klänge ihre Stimme anders. „Damit ist Feliz gemeint.“
    „Bist du dir sicher?“, fragte die Angesprochene mit dünner, müder Stimme. „Ich weiß wirklich nicht…“
    „Aber es passt. Du hast keinen Ruhm und du hast nicht mitgekämpft“, wandte Rachel ein.
    „Aber sie ist auch ein Kind des Apollo, genauso wie ich ein Kind des Hephaistos bin. Und beide gehören zu den olympischen Zwölf, die eigentlich ihre Kräfte verlieren sollten“, antwortete Gina an Feliz Stelle.
    „Wir wissen nicht genau, warum ihr eine Ausnahme bildet. Aber auch bei dir stimmt die Prophezeiung überein.
    Ein Kind des Feuers, doch mit Angst vor der glühenden Kraft, die Macht bestehend aus hellem Schein und reiner Energie.
    „Und wie genau passt das jetzt zu mir?“, fragte Gina nach einer kurzen Schweigepause.
    „Wir wissen, dass deine Stärke nicht in der Schmiedekunst liegt, sondern in der Mechanik und Elektronik“, begann Chiron.
    „Reine Energie“, murmelte Noá. „Strom.“
    „Ganz genau“, Rachel nickte. „Du siehst also, dass du auch mit drin steckst. Denn auf keinen anderen trifft diese Prophezeiung zu. Und es gibt eine dritte, die mit einem Kind der olympischen 12 zusammenhängt.
    Ein Kind des Krieges, stark und gewandt, doch fern von den anderen, ein strahlendes Schwert aus Mut und Kraft. Das Problem ist nur, dass es weder in der Athenahütte noch unter den Aresleuten einen Halbgott gibt, der nicht mit in den Titanenkriegen gekämpft hat.“
    „Und was genau heißt das?“
    „Irgendwo muss dieser Krieger sein, nur nicht in diesem Camp. Fern von den anderen Kriegern.“
    „Gut, nehmen wir mal an, dass es diesen Krieger da draußen irgendwo gibt und diese Prophezeiung Gina und Feliz meint.“ Levin stieß sich von der Wand ab und platzierte sich neben Arian. „Warum kommt ihr jetzt darauf, dass wir auch Teil dieser Sache sind?“
    Ein Kind des Regenbogens, geleitet von sanften Schwingen, mit Augen die sehen was anderen verborgen bleibt“, zitierte Rachel. „Das bist du.“
    Levin zuckte zurück und warf dem Orakel einen Blick zu, den man nicht recht deuten konnte. Eine Mischung aus Fassungslosigkeit und Unwille, es zu akzeptieren. Es wussten nur weniger von dieser Fähigkeit und aus seiner Hütte konnte niemand das, was er… Und trotzdem stand es in diesen Versen…
    Ein Kind der Wahrheit, der Spiegel der jedes Schauspiel aufdeckt, die Kraft den Schmerz der Lüge zu ertragen. Arian.“
    Arian schaute auf. Er wusste, dass sie nicht log, denn der Schmerz blieb aus. Rachel glaubte tatsächlich, dass er derjenige war, für den dessen Prophezeiung gemacht wurde. Er fand keinen Widerspruch darin, denn es stimmte, was sie aussagte. Und dazu war er auch der einzige Halbgott seiner Hütte, bisher hatte Aletheia ihm keine Geschwister geschickt. Er musste also gemeint sein. Aber glücklich war er damit nicht.
    Zwei Kinder der Magie, eines das Geben, eines das Nehmen, eine Münze, unterschiedlich geprägt, doch verbunden auf ewig.
    Rachel brauchte ihre Namen nicht auszusprechen. Celine und Thabatha griffen sich wortlos bei den Händen. Und selbst in Gedanken waren sie verstummt. Geben und Nehmen. Erschaffen und vernichten. Celine schluckte den bitteren Kloß in ihrem Hals herunter und auch Tabatha rutschte unruhig auf ihrem Sitz herum.
    Ein Kind des Windes, ein sanftes Gemüt, leicht und schwerelos wie die Schwingen des Vaters, der Geist der Vernunft und Hoffnung. Shirin.“
    Shirin biss sich unwillkürlich auf die Lippe. Bei den Zephyrkindern war ein sanftes Gemüt eher unwahrscheinlich. Drei von den vier, die ihren Weg ins Camp gefunden hatten, waren aufgedreht und laut, nur Shirin hob sich von ihnen ab. Für sie gab es kaum einen Zweifel und das bedeutete, dass… Dass sie tatsächlich gemeint war. Sie schüttelte sich leicht.
    Ein Sohn des Schlafes, ein ruheloser Wanderer im Traum, getrieben durch die dunklen Tiefen, der Prophet der Nacht. Noá.“
    Auch wenn er weiter an der Wand lehnte und die Augen geschlossen hielt, er hörte die Worte laut und deutlich. Und zu seiner Überraschung akzeptierte er sie, nahm es hin. Ihn überraschte es nicht. Seine Träume in letzter Zeit waren merkwürdig gewesen, er hatte sich bereits gewundert, aber dass es zu so etwas kam…


    Die Halbgötter tauschten Blicke, mal besorgt, man entsetzt. Sie wollten es alle nicht ganz fassen. Ausgewählt sein? Die Menschen vor einem Krieg bewahren?
    Warum ausgerechnet sie?
    Warum nicht die Helden der Titanenkriege?
    „Moment mal.“ Percys Stimme riss die Jugendlichen aus ihren Gedanken. „Das waren nur neun.“
    Feliz zählte in Gedanken nach. Sie, Gina, die Zwillinge, Noá, Arian, Levin, Shirin und der unbekannte Halbgott… Tatsächlich. Neun. Neun Halbgötter.
    Sie wandten sich an Rachel, die ein schiefes Grinsen aufsetzte.
    „Nun, was das betrifft… Ich muss gestehen, dass die Prophezeiung… nicht ganz vollständig ist.“
    „Wie meinst du das?“, sprach Annabeth sie an, die Augen zu Schlitzen verengt.
    „Ich gehe davon aus, dass das damalige Orakel während der Prophezeiung… Naja, gestorben ist.“
    „Wir haben überall gesucht, aber es gab keine weitere Aufzeichnung, die vollständig war. Zwei weitere Texte ja, aber auch diese brachen an der gleichen Stelle ab“, erklärte Chiron. „Daher liegt es nah, dass sie niemals zu Ende ausgesprochen wurde.“
    „Nichts hält ein Orakel davon ab, eine Prophezeiung auszusprechen“, murmelte Rachel mit einem Blick auf den Schreibtisch. „Außer der Tod.“
    „Das heißt, wie kennen gar nicht das ganze ‚Aber‘?“, fragte Levin.
    „Und wir wissen auch nicht, wer der zehnte Halbgott ist“, murmelte Feliz.
    „Nein und nein“, antwortete die Rothaarige mit grimmiger Miene.
    „Na wundervoll!“ Levin riss die Arme hoch. „Besser kann es ja gar nicht kommen!“


    Und er sollte sich nicht irren.

  • Hallo Cáithlyn, ich bin durch Zufall auf diese Fanfiction gestoßen und war schon ein bisschen begeistert. Da ich gesehen habe das du kein einzigen Kommentar bekommen hast, möchte ich dir, sofern du es möchtest, ein. Kommentar als verspätetes Weihnachtsgeschenk geben.


    Starpost


    Wie ich bei anderen auch immer sage, dein Startpost gehört dir und besser kannst du ihn auch nicht machen da es dein Geschmack ist und auf jede Weise sieht ein Startpost schön aus, weil er selbstgemacht ist. Der Startpost ist, nach meiner Meinung sehr gut geworden. Er ist auch kein bisschen un übersichtlich geworden, was natürlich Super ist. Das du über Percy Jackson schreibst, finde ich auch sehr gut da ich diese Serie liebe <3 Das schöne Blau, dass du als Hintergrundfarbe genommen hast passt Super zu deiner Story. Du gehst auch gut in das griechische ein was du auch bei dieser Story beachten musst.


    Kapitel


    Ich konnte mich schon im ersten Kapitels sehr gut in deine Story einfinden. Du beschreibst alles gut und man kommt richtig ins Schwitzen weil man einfach wissen will was als nächstes passiert, Respekt. Die Sache mit den griechischen Zahlen bei jedem Kapitel passt auch sehr gut. Das einzige was ich vermisse sind einfach die Percy-Crew die ja nur als Freunde da stehen und nicht mehr im Mittelpunkt sind, schade. Und ein weiterer Grund den ich noch kritisieren möchte ist: Du gehst nicht direkt auf das Percy. Jackson geschehen ein. Du weißt schon, dass schnell etwas spannendes passiert und so wird der Leser ans Buch gefesselt und er weiß: Wenn jetzt etwas unerwartetes kommt, was kommt jetzt? Das fehlt mir an deiner Story, das Fesseln. Guck mal drüber und vielleicht kannst du es ja verbessern.


    Fazit: Sehr gute Story die jedoch noch ein paar kleine Punkte hat die zwar nicht sehr schlimm sind aber mir fehlen, trotzdem Super gemacht!


    PS: Ich möchte eine Benachrichtigung haben!