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Ähnlich wie im letzten Jahr gibt es auch dieses Jahr wieder eine bestimmte Anzahl an Punkten, die ihr den Texten geben könnt. Dabei ist es aufgrund der Berechnung der Gesamtpunkte mit der Formel wichtig, dass ihr alle eure Punkte verteilt. Dazu findet ihr weiter unten eine Schablone, die ihr zum Voten nutzen könnt. Des Weiteren sind Sympathievotes sowie Votes für die eigene Abgabe unerlaubt. Begründungen sind keine Pflicht, aber können geschrieben werden, sofern man möchte (ihr könnt euch als Hilfe unser "How-to-vote-Topic" anschauen).
Die Aufgabenstellung war:
Zitat von Mrs. PlutoniumIn dieser Runde des Finales dreht sich alles um die Märchenwelt und ihre Wunder - also: schreibt ein eigenes Märchen. Dabei ist es vollkommen egal, ob ihr euch inspirieren lasst oder eine eigene Geschichte völlig anders als bisherige Märchen erschafft. Wichtig ist dabei nur, die typischen Merkmale eines Märchens möglichst zahlreich miteinzubinden, welche ihr weiter unten findet. Es ist dabei egal, ob ihr daraus ein trauriges, liebliches oder dramatisches Märchen macht, des Weiteren spielt es auch keine Rolle, ob ihr ein Fandom verwendet oder nicht (solltet ihr eines verwenden, ist dies in der PN anzugeben).
Denkt daran: der Pokémonbezug ist beim Saisonfinale frei wählbar in einer der drei Runden einzubringen, deshalb solltet ihr dies beim Verfassen eures Textes beachten. Wichtig ist ebenfalls, dass ihr die Form-/Formatierungsregeln einhaltet, die weiter unten aufgeführt werden, und dass das Märchen aus eurer eigenen Feder stammt.
Die Merkmale eines Märchens sind folgende:
● Zeitpunkt und Ort der Handlung sind meist ungenau/unbestimmt und werden nicht näher erläutert.
● Märchen werden meist mit Phrasen wie „Es war einmal ...“ oder „Vor langer Zeit ...“ eingeleitet und mit Phrasen wie „Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute“ oder auch „Und sie lebten vergnügt bis an ihr Ende“ beendet.
● Sie enthalten prinzipiell nichts Wirkliches und sind eher in einer wunderbaren oder abstrakten Welt angesiedelt.
● Es treten typische Märchenfiguren wie Prinzen, Prinzessinnen, Könige, Königinnen, Handwerker, Bauer, Tochter/Sohn auf.
● Die Figuren werden nicht näher erläutert, sondern auf einfache Gegensätze wie „gute Tochter - böse Stiefmutter“ beschränkt.
● Dem Helden/der Heldin wird eine Aufgabe gestellt, die er im Verlauf der Geschichte lösen muss, was ihm/ihr auch immer gelingt.
● Allerdings hat der Held/die Heldin meist eine Schwäche, die ihm/ihr mitunter zum Verhängnis wird und die Aufgabe gefährdet oder das Problem überhaupt erst provoziert.
● Tiere, Dinge und Pflanzen kommen häufig als Helfer vor und haben ganz bestimmte Charaktereigenschaften, sie werden daher nicht genauer beschrieben. Wird beispielsweise der Fuchs erwähnt, ist klar, dass dieser listig und schlau agieren wird. Das Misstrauen des Lesers ist gewissermaßen durch die Nennung des Tieres gegeben und nicht durch dessen nähere Beschreibung.
● Bestimmte Reime oder Zauberformeln spielen eine zentrale Rolle und werden oftmals wiederholt. Zum Beispiel: „Spieglein, spieglein ...“ oder „Ach wie gut, dass niemand weiß ...“
● Auch Zahlen sind in Märchen weit verbreitet. Die häufigsten sind die 3, 7 und 12.
● Das Märchen endet immer glücklich und meist wird eine Moral mit ans Ende gesetzt.
Der Vote läuft bis zum 14.12.13 um 23:59 Uhr.
Es war einmal in einem Land jenseits unserer Vorstellungskraft, in dem sowohl Magie als auch Wunder ihren Platz fanden. In diesem Land, regiert von einem gütigen und großen König, lebten alle Untertanen, die Pokémon, friedlich miteinander. Der König hatte zwei Töchter, die eine sowohl von Außen als auch von Innen rein und schön, geliebt von jedem Untertan des Landes. Die andere war der ersten äußerlich gleich, warden sie doch als Zwillinge geboren, doch innerlich hässlich und schwarz. Beide trugen sie das unverkennbare weiße Kleid, geschmückt mit Rot und Grün, wie ein jedes Guardevoir es tat. Sie wuchsen still und gesittet auf, wenngleich die eine Schwester immerzu eifersüchtig auf die andere war, wobei es hierzu keinen nennenswerten Grund gab. Die gute Schwester nahm die Missgunst ihrer Schwester an und sagte nichts dagegen, versuchte jedoch immer, ihr Vertrauen zu gewinnen.
Nun ward also der Tag gekommen, den ein jeder Untertan des Landes lange herbeigesehnt hatte: Die schöne Prinzessin sollte vermählt werden. Am Abend ihres siebzehnten Geburtstages sollte die Zeremonie stattfinden, das gesamte Reich zur Feier eingeladen. Das junge Guardevoir war dem Prinzen eines anderen Königreiches versprochen, einem ebenso schönen Galagladi, mächtig und gut. Obwohl sie beide noch nicht mehr verband als der Titel des Thronfolgers, freuten sich sowohl Prinz als auch Prinzessin mit klopfenden Herzen auf das Fest.
Die Schwester der Thronfolgerin jedoch wurde, kaum von der frohen Kunde erfahren, eifersüchtig, ihr Herz beherrscht von Rachsucht und Neid. Nach einem Wege suchend, wie sie die Hochzeit wohl verhindern könnte, fiel ihr ein Untertan ein, der ihr seither immer treu zur Seite gestanden hatte und mit Spott und Hohn der Prinzessin entgegentrat. So ließ die eifersüchtige Schwester geschwind das Alpollo herbeirufen in ihre Kammer und sprach:
"Oh Alpollo, welch Wonne dass du mir erscheinst! Alpollo, es schnürt mir die Kehle zu, meine Schwester bringt mir keine Ruh."
"Es kam in mein Ohr, sie sollt' heiraten einen jungen Prinzen. Ist das die Ursache des Übels?"
"Ja genau, eben dies. Beseitige sie. Es soll doch mein Prinz sein, mein Thron."
"Was verlangt Ihr von mir?"
"Sperr sie hinfort, in die weiteste Öde, fort von jeglichem Leben."
"Und was ist mein Lohn?"
"Du sollst Gold haben, Silber, den wertvollsten Schmuck, die schönsten Weibchen. Nur sperr sie weg!"
"Dann sperre ich sie weg."
In der Nacht darauf schlich sich Alpollo lautlos in das Gemach der friedlich ruhenden Prinzessin, und sie schlief und schlief und wachte nicht auf, selbst als es mit einer geschwinden Psychokinese fortgetragen wurde, in die weiteste Öde, fernab von jeglichem Leben. Alpollo verbandte die Prinzessin in einen Raum mit unsichtbaren Wänden, sodass sie für sich alles sehen konnte, aber niemand sie. Als das Guardevoir aufwachte, und es registrierte, dass es sich nicht mehr in seiner Kammer befand, da weinte es, und es weinte drei Tage und drei Nächte und flehte um Hilfe. Doch keine Hilfe kam.
Alsbald graute der Morgen des siebzehnten Geburtstages der Prinzessin. Das Königreich war in heller Aufregung, feierte unablässig den ganzen Tag. Die schlechte Schwester wachte auf im Gemach der Prinzessin, und sie spielte ihre Rolle gut. Da sie Zwillinge waren, war niemand in der Lage, das trügerische Spiel zu durchschauen. Während sich also Alpollo an seiner Belohnung labte, machte die Schwester all dies, was ihr sonst verwehrt geblieben wäre. Sie genoss den Luxus, das Feiern, den Spaß, genoss das Leben ihrer Schwester. Und die Sonne verschwand, langsam, beständig, und die Hochzeit rückte näher. Bald schon fuhr eine Kutsche vor, gezogen von den beeindruckendsten Gallopas, deren Mähne so ungehemmt flammten wie der einbrechende Sonnenuntergang. Und der Prinz trat aus der Kutsche hervor, und sah die falsche Braut, die glücklich war, während ihrer Schwester das Herz zerbrach.
In dem Raum, der keiner war, da saß die echte Braut, wohlwissend, was für ein Tag angebrochen war. So saß sie in dem engen Kämmerchen, weinte Träne für Träne hinfort, sodass der Sand unter ihr ganz feucht wurde. Ohne einen Ausweg aus ihrem Elend wissend saß sie da, in sich zusammengesunken, und hörte das Rauschen von Wind, Sand und Luft. Als sie merkte, wie der Abend dämmerte, da verzweifelte sie, hämmerte gegen die Wände und stieß auf starken Widerstand. Als sie schon die Hoffnung beinahe aufgegeben hatte, da blickte sie sich um, eine seichte Atmosphäre spürend, und vernahm eine Stimme, die verhallte und verlisch, kurz nachdem sie erschienen war.
Dort wo du keinen Ausweg weißt, ist dieser meist nicht fern. Die Prinzessin blickte sich fragend um, nichts sehend außer die unendliche Einöde, in welcher sie sich befand.
Wenn rechts, links und hinauf misslingt, versuch es unten, ob's was bringt!"
Die Prinzessin sah hinab, nicht ahnend, was sie mit ihren Tränen angerichtet hatte. Sogleich trat der sich unter ihr befindende Sand in ihr Blickfeld, aufgeweicht von ihren Tränen. Als sie sich abermals umblickte, um die Stimme identifizieren zu können, nahm sie nur noch einen gelben Schatten war, inmitten des Sturmes. Dann grub die Prinzessin, schaufelte ihre Hände behutsam vorbei an Stein, Holz und Sand. Überall war Sand, als nähme er kein Ende. Und als sie dann auf etwas hartes stieß, da wusste sie, dass die Stimme Recht gehabt hatte. Sie holte dieses harte Etwas hinauf, es mit Verwunderung betrachtend. Es war ein Stein in den schillernden Farben des Regenbogens, blau, gelb, rot, violett. Kaum hatte die Prinzessin den Stein in der Hand, da veränderte sich etwas, und sie konnte nicht sagen was. Doch es geschah mit ihr, mit der echten Braut. Und dann war der Stein verschwunden, indessen war das Kleid der Prinzessin festlicher geworden, sie trug nun mehr Schmuck am Gesicht und war schöner als zuvor. Und sie spürte eine zuvor nicht dagewesene Kraft, eine Kraft von solcher Macht, dass sie sie sogleich einsetzte und ein rosafarbener Funkenregen von ihr abging. Und dann war die unsichtbare Wand verschwunden. Und die Sonne ging stetig unter, neigte sich dem Horizont, und die Prinzessin war so voller Furcht, dass sie keinen anderen Ausweg wusste als ihrerseits Psychokinese einzusetzen.
Während dies alles ohne das Wissen der Zwillingsschwester geschah, trat diese dem Sonnenuntergang mit Freude entgegen. Die Stunde war gekommen, in der die Heirat vollzogen werden sollte, und das ganze Königreich war da. Und als die Schwester gerade den lang ersehnten Weg zum Altar vollführen wollte, der Prinz vor diesem wartend, da gab es einen Knall, und die echte Prinzessin tauchte auf, schöner als ihre Schwester, und jeder wusste, dass sie die echte Braut war. Das schöne Guardevoir erklärte, was vorgefallen war, und als die palastansässigen Diener die falsche Braut in den Kerker werfen lassen wollten, da verneinte dies die Prinzessin, weil ihr Herz so voller Güte war, dass sie ihrer Schwester sogleich verzieh. Galagladi war von seiner Braut so vollkommen angetan, dass sich sein Herz mit Liebe füllte und die Hochzeit ohne weitere Störungen ablief. In der grenzenlosen Güte und Barmherzigkeit der Prinzessin vergaß ein jeder Untertan die Greueltat ihrer Schwester, und fortan verstanden sich diese weitaus besser als zuvor. Nach der Hochzeit verwandelte sich die Braut abermals, so nahm sie erneut ihr altes und trotzdem prachtvolles Gewand an, den Stein trug sie ab sofort immer als Kette bei sich. Das alles wurde freudig von einem geheimnisvollen Pokémon namens Jirachi beobachtet.
Die frisch Vermählten regierten ihre Länder mit Freundlichkeit und Gerechtigkeit und ein jeder liebte sie, und sie liebten einander, und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch heute.
Es war einmal vor langer Zeit,
ein grausamer König und ein Land voll Leid.
Das Land war versteckt in den Bergen, vor Menschenaugen geschützt, und sein König war älter als die Berge selbst. Monargoras, so nannte sich das alte Pokémon, regierte sein Reich mit eiserner Entschlossenheit. Es ließ nicht zu, dass die Pokémon das Land verließen, und nahm in Kauf, dass sie Hunger litten und froren. Denn es herrschte Winter im Reich, eine ewige Kälte, die die karge Landschaft in ein weißes Leichentuch hüllte und niemand glaubte mehr, dass der Frühling je zurückkehren würde. Seit Monargoras vor vielen Jahren die Königin des Waldes, Xerneas, attackiert hatte, verwehrte sie ihm und all seinen Untertanen als Strafe den Frühling. Doch so sehr die Bürger auch baten und flehten, Monargoras schwor sich lieber zu sterben, als sich bei der Monarchin zu entschuldigen.
Und so versank das Land in Armut und Angst. Einige Pokémon versuchten, in das angrenzende Waldkönigreich zu fliehen, doch die Wachen des Königs waren stark und wachsam, sie attackierten alles, was sie sahen und nichts hielt ihrer unerbittlichen Stärke stand.
Doch die Verzweiflung der Untertanen trieb sie zu gefährlichen Taten. Einige fielen ihrer Verzweiflung zum Opfer, andere schafften es in einem günstigen Moment zu entkommen und flohen in den Wald. Dort riefen sie die Königin um Hilfe an.
„Bitte, Königin Xerneas“, flehten die Pokémon des Berges. „Gebt uns unsern Frühling zurück! Das Land ist karg und die Kälte bringt uns um.“
Doch Xerneas, so sehr ihr Herz beim Anblick der abgemagerten Wesen auch schmerzte, verneinte.
„Erst muss Monargoras um Verzeihung bitten“, grollte sie. „Er hat sein Reich in Chaos gestürzt, als er mich attackierte. Das kann und werde ich nicht vergessen.“
Doch je mehr Pokémon sie anflehte, je mehr der jämmerlichen Geschöpfe ihren Weg fanden und von den grausamen Umständen des Landes erzählte, desto weicher wurde Xerneas Herz. Sie hielt es kaum aus, die Pokémon zu sehen, deren Körper nur noch aus Haut und Knochen bestanden. In ihren Augen erblickte die Königin Trauer und Angst.
„Nichts wird diesen Tyrannen zur Vernunft bringen“, sagte sie zu sich selbst. „Dieses Land braucht einen anderen Herrscher. Doch wen?“
Xerneas grübelte und grübelte, doch lange Zeit fiel ihr keine Person ein. Keiner ihrer Untertanen würde dazu geeignet sein. Also beschloss sie, zu warten.
„Wenn ein Pokémon kommt, das zu regieren fähig ist, so wird es mit meinem Segen auf den Thron des Berglandes steigen und dem Königreich wieder Frieden bringen.“
Es kamen zahlreiche Pokémon, die von ihrem Versprechen gehört hatten. Sie alle wollten sich Monargoras stellen, doch in keinem sah Xerneas das Wesen, welches eines Königs würdig war. Doch stellte sie ihnen dennoch drei Aufgaben. Die Pokémon versagten und wurden nie wieder im Königreich gesehen.
Eines Tages im dritten Jahr kam ein weiterer Anwärter.
„Meine Königin“, sagte es, als es auf die Lichtung des Waldes schritt, welche Xerneas als Thron diente. „Ich hörte, dass ihr jemanden sucht, der Monagoras besiegt und an seiner Stelle das Bergland anführt.“
„Das stimmt“, bestätigte die Königin. Der Fremde war ein kleines Wesen, dünn und schmächtig. Es wirkte ausgezehrt, aber die Narben an seinem Körper zeigten eine gewisse Kampferfahrung. „Willst du dich dieser Aufgabe stellen?“
„Ja, meine Königin“, antwortete das Pokémon mit festem, entschlossenem Blick.
„Warum denkst du, dass du geeignet bist, Monargoras zu bekämpfen?“, fragte Xerneas. „Du bist klein und scheinst nicht sehr stark zu sein.“
„Ich bin zwar klein, doch ich bin schnell“, erwiderte der Anwärter. „Ich habe viele Kämpfe geschlagen mit Pokémon, die größer waren als ich. Und alle habe ich besiegt. Ich werde nicht scheitern, das schwöre ich.“
Xerneas nickte und wies eine ihrer Zofen an, dem Fremden die Karte zu geben, die ihn zu den Prüfungen führen würde. Er wandte sich mit einem Dank um und wollte gehen, da sprach ihn die Königin noch ein letztes Mal an.
„Wie ist euer Name?“, fragte sie.
„Gladiantri“, antwortete das Pokémon mit den Klingenhänden. Dann war es verschwunden.
„Viel Glück“, sprach die Königin, auch wenn Gladiantri sie schon längst nicht mehr hören konnte. Xerneas überlegte noch lange, ob es ein Fehler gewesen war, dieses kleine Pokémon geradewegs in sein Verderben zu schicken. Aber etwas an seinen Augen hatte ihr das Gefühl gegeben, dass Gladiantri es schaffen könnte.
„Viel Glück“, wünschte sie noch einmal leise. „Viel Glück.“ Es würde es gebrauchen können.
Gladiantri kämpfte sich durch den tiefen Wald des Reiches. Mit jedem Schritt wurde die Umgebung dunkler, denn das Blätterdach über seinem Kopf war so dicht, dass es alles Licht verschluckte. Das kleine Pokémon konnte die Hand schon nicht mehr vor Augen sehen, da erhellte plötzlich ein Lichtblitz die gesamte Umgebung. Mit einem Schrei schloss das Pokémon die Augen und wagte es erst wieder, sie zu öffnen, als ihn jemand rief.
Der Wald war verschwunden und Gladiantri stand nun in der Mitte einer Lichtung. Vor ihm schwebte ein Wesen, das aussah wie eine Fee, die sich an einer Blume festhielt.
„Willkommen zur Prüfung der Klugheit“, sprach das Pokémon und tänzelte um seinen Gast herum. „Mein Name ist Flabébé.“
Gladiantri nickte nur und wartete darauf, dass das Pokémon ihm seine Aufgabe erklärte.
„Spielen wir etwas Verstecken!“, rief das kleine Feen-Pokémon aber nur aus.
„Verstecken? Das erscheint mir nicht wie eine Prüfung, um meine Klugheit zu testen“, wandte Gladiantri ein.
„Ich werde mich in einem von zwölf Blumenbeeten verstecken“, erklärte Flabébé. „Du hast drei Versuche, mich zu finden. Und weil dies die Prüfung des Klugheit ist, werde ich dir einen Tipp geben: Ich verstecke mich dort, wo sich die zwei Freunde niemals gegenüber stehen.“
Dann leuchtete das Feld auf und als Gladiantri wieder sehen konnte, waren rund um es herum zwölf Büsche mit lauter bunten Blüten aufgetaucht, wohingegen das Flabébé verschwunden war.
„Was nun?“, fragte sich das Pokémon. „Woher soll ich wissen, wo es sich versteckt?“ Es wusste nichts mit dem Hinweis des Wesens anzufangen, Auf dieser Wiese gab es keine Freunde, denn er war ganz alleine.
Letztlich entschloss sich Gladiantri, sein Glück zu versuchen. Er ging zu einem Busch, der rechts von ihm stand und schaute hinein.
Doch Flabébé war nicht dort. Noch zwei Versuche blieben.
Gladiantri wählte nun den Busch, der südwestlich von seinem Ausgangspunkt gelegen war. Er schob die Blätter beiseite.
Doch auch hier war Flabébé nicht. Nur noch ein Versuch.
Es verging ein Tag und eine Nacht, in der Gladiantri nur schwieg und dachte. Die Sonne ging vor seinen Augen auf, wanderte über den Horizont und verschwand wieder. Und da öffnete es die Augen und ging geradewegs auf den Busch im Norden zu. Es schob die Blätter beiseite.
Und dort war Flabébé und lächelte ihn an.
„Die Sonne und die Erde“, sagte der Krieger. „Zwölf Büsche, und die Sonne ist nur im Norden niemals zu sehen. Dort stehen sich Sonne und Erde nicht gegenüber.“
„Sehr gut!“, frohlockte Flabébé. „Du hast die Prüfung bestanden.“
Bevor sich Gladiantri von der kleinen Fee verabschiedete, reichte ihm diese eine Blume aus dem nördlichsten Busch. Sie sagte, es wäre ein Beweis dafür, dass er die Prüfung bestanden hatte.
Dann leuchtete die Lichtung wieder auf und als der Krieger die Augen endlich öffnen konnte, stand er an einem kleinen See, den er zuvor noch nicht gesehen hatte.
Die nächste Prüfung sollte entlang des Flusses finden, der in den See mündete. Gladiantri folgte dem Verlauf bergaufwärts, doch die Sonne stand hoch am Himmel und die Hitze erschwerte den Weg. Es wusste, er dürfte keine Zeit verschwenden, doch als er keinen Schritt mehr schaffte, setzte sich das Pokémon an den Flusslauf um eine kurze Rast zu machen. Gladiantri beugte sich über das Wasser und trank.
Auf einmal explodierte die Oberfläche des Flusses. Wasser spritzte in die Höhe und sofort sprang Gladiantri zurück. Im seichten Nieselregen entdeckte es eine lange, blau geschuppte Wasserschlange, mit riesenhaften Fängen und wütenden, roten Augen.
„Wer wagt es, aus meinem Fluss zu trinken?“, grollte das Pokémon und seine Stimme ging dem Krieger durch Mark und Bein. „Wer wagt es, sich mit dem großen Garados anzulegen?“
„Das bin ich!“, stieß das kleinere Wesen aus und trat vor.
„Du Winzling wagst es?“ Für einen Moment schwieg die Wasserschlange, und im nächsten brach sie in schallendes Gelächter aus. „So klein und winzig und trotzdem wagst du es?“ Die Erde bebte unter dem bellenden Lachen, doch Gladiantri wich keinen Schritt zurück. Es stand vor dem großen Ungetüm, den Blick fest auf seinen Gegner gerichtet. Als dieses bemerkte, dass es nicht floh, egal wie stark sein mächtiger Schweif hin und her schlug, hörte es auf zu lachen.
„Du wagst es, weiter vor mir zu stehen?“, brüllte es wütend. „Du hast es gewagt mich zu stören und dafür wirst du zahlen!“
Ohne ein weiteres Wort öffnete die Wasserschlange ihren riesenhaften Schlund und ein Schwall Wasser stieß darauf hervor. Dich Gladiantri war längst ausgewichen und sprang um seinen Gegner herum. Der kleine Krieger war wendig und schnell, ließ über den riesigen, schuppigen Körper des Garados und lockte den Kopf immer weiter vorwärts. Irgendwann allerdings blieb es stehen.
„Du wagst es, anzuhalten?“, grollte Garados. Sein Kopf kam Gladiantri immer näher. „Das war ein Fehler! Jetzt habe ich dich!“ Es öffnete den Schlund und wollte nach dem Krieger schnappen, doch kam es nicht weiter. Es steckte fest in einer Schlinge seines eigenen Körpers.
„Du warst so kampffreudig, dass du nicht mitbekommen hast, dass ich dir eine Falle stellte!“, stieß Gladiantri aus, während sich Garados verzweifelt brüllend windete. Doch egal, was es tat, es war viel zu sehr mit sich selbst verknotet, als dass es sich auch nur einen Zentimeter weiter hätte bewegen können.
„Hilf mir!“, jaulte es entsetzt und panisch. „Wie soll ich denn meinen Fluss bewachen, so wie ich jetzt bin?“
Gladiantri überlegte.
„Ich werde dich befreien“, sprach es schließlich. „Aber nur unter der Bedingung, dass du nicht jedes Pokémon angreifst, das daraus trinkt, denn dieser Fluss ist für alle da.“
Wimmernd stimmte Garados zu und der metallene Krieger machte sich an die Arbeit. Es dauerte lange, doch letztlich war die Wasserschlange befreit und lag erschöpft im Wasser.
„Gut gemacht“, grollte die Schlange. „Du bist der erste seit langer Zeit, der die Prüfung des Mutes bestanden hat.“
Gladiantri blickte sie fragend an, doch erhielt er als Antwort nur eine Schuppe, die sich die Bestie aus dem Körper riss und vor ihm auf den Boden legte.
„Um ein Anführer zu sein, bedarf es nicht nur Stärke. Man muss mutig sein um den Feind zu besiegen, und niemals zurückschrecken.“
Die Wasserschlange tauchte im Fluss unter, bevor Gladiantri etwas sagen konnte, und war verschwunden.
Als es auf die Karte blickte, hatte sich eine neue Linie darauf eingezeichnet. Und ihm war dieser Ort nur allzu bekannt. Mit den Geschenken der Wächter in der Hand machte es sich auf zum Thronsaal der Königin.
„Willkommen“, begrüßte Xerneas den Wiederkehrer. „Wie ich sehe, hast du die anderen Prüfungen bestanden.“
„Ja“, antwortete Gladiantri. „Ich bin beinahe bereit. Wie lautet die letzte Prüfung?“
Xerneas trat auf den Krieger zu. Sie senkte den Kopf und schaute dem Pokémon in die Augen. Für einen Moment hatte es das Gefühl, dass die Königin seine Gedanken lesen konnte, doch das war absurd.
Es vergingen Minuten, bis die Herrscherin sich wieder aufrichtete.
„Du hast die Prüfung des Herzens bestanden“, sprach sie und ihrer Stimme schwang Stolz mit.
„Wie meint Ihr das?“, fragte Gladiantri verwirrt. Er hatte doch nichts anderes getan, als der Monarchin in die Augen zu sehen.
„Ich habe in deine Vergangenheit geblickt“, erklärte sie. „Du warst einst einer der Kriger von König Monargoras. Du warst ihm treu ergeben und hast viele grausame Dinge getan, weil er es dir befahlr.“ Gladiantri senkte den Kopf, als die Erinnerung auf es hereinbrach. Es schämte sich für seine Vergangenheit, doch es wünschte nicht, sie zu vergessen. Die Bilder würden ihn immer an seine Fehler erinnern und dafür sorgen, dass er sie nicht wiederholte.
„Und genau deswegen bist du geeignet.“ Xerneas schien auf seine Gedanken zu antworten. „Wir werden uns aufmachen und Monargoras Handlanger außer Gefecht setzen, damit du Zeit hast, es zu bekämpfen“, sprach die Waldkönigin. Sie senkte ihren Kopf auf die Blüte und die Schuppe, die Beweise für Gladiantris Klugheit und Mut, und sofort erleuchteten die beiden Objekte. Als das Licht schwächer wurde, befand sich in der Hand des Kriegers nur noch ein kleiner Talisman.
„Dies ist der Waldtalisman. In Zeiten großer Not wird er dir helfen“, sprach Xerneas. Gladiantri nickte und dankte der Königin. Doch innerlich war es schon in Gedanken bei Monargoras. Es schwor sich, den Monarchen zu stürzen, egal was es auch kosten möge.
Die Waldarmee überrumpelte die Wachen der Berge. Es waren zu viele, als dass die Wächter sie alle hätte aufhalten können. Und so gelang es Gladiantri über die Grenze zu treten. So schnell wie nie zuvor stürmte es die Berge empor.
Der Krieger wusste, dass er Monargoras im Thronsaal finden würde. Als es eintrat, schien der alte König nicht überrascht.
„Ich wusste, ich hätte dich töten sollen“, knurrte das Urwesen missgelaunt. „Ein dreckiger Deserteur will mich stürzen. Aber du bist klein und schwächlich. Ich werde dich zerquetschen!“
Und so begann der Kampf. Monargoras war groß und stark, aber zu langsam um den wendigen Krieger zu treffen. Es griff immer wieder an, aber Gladiantri wich aus und attackierte den schwerfälligen König. Doch seine Attacken nützten kaum etwas gegen den uralten König, denn seine Haut war wie aus Stahl und die Klingen des Kriegers prallten daran ab.
Sieben Tage und sieben Nächte kämpften die Kontrahenten gegeneinander. Sie waren erschöpft, doch Stolz und Wut trieben sie weiter an.
„Bist du schon am Ende?“, grollte Monargoras abfällig.
„Niemals!“, rief Gladiantri, doch ging es in die Knie. Der Monarch lachte und stapfte auf den Krieger zu. Es wollte ausweichen, doch sein Körper war am Ende seiner Kräfte. Jedes Zucken schmerzte.
Es wollte noch nicht aufgeben, doch je näher das riesenhafte Pokémon kam, desto mehr schrumpften seine Hoffnungen und sein Mut. Vielleicht war es doch niemals dafür geeignet gewesen, den König zu stürzen.
„Es tut mir Leid“, murmelte der Krieger mit erstickter Stimme.
Als Monargoras‘ Schweif auf ihn niedersauste, begann der Talisman um seinen Hals zu leuchten. Das Licht hüllte Gladiantri ein, schickte pulsierende Energie durch seine Adern.
Es fühlte sich stärker und größer, mächtiger und voller Kraft, als das Licht verebbte. Die Klingen an seinen Händen waren größer geworden und seine Muskeln stärker.
Monargoras stieß einen erschrockenen Schrei aus.
„Wie kann das sein?“, jaulte der König und wich zurück, als der Krieger auf ihn zukam.
„Mit Xerneas Segen“, sprach das Pokémon mit neuer, kräftigerer Stimme. „Und nun stell dich mir oder verschwinde für immer aus meinem Königreich!“
So schnell seine mächtigen Beine es tragen konnte, eilte Monargoras davon, von Angst und Schmerz erfüllt.
Ein Jahr verging, in welchem der Frühling zurückkehrte. Der neue König sorgte sich gut um sein Volk und alle liebten ihn für seine Klugheit, seinen Mut und sein freundliches Gemüt. Jeden Abend feierten sie ihre Freiheit und ihr gutes Leben und sangen seinen Namen: „Hoch lebe König Caesurio!“
Und wenn er nicht gestorben ist,
dann führt er das Königreich noch heute zu immer neuem Glanz.
Es war einmal vor langer Zeit, ein tüchtiger Junge namens Nils, den plagte die Einsamkeit. Seinem Vater half er immerzu auf dem Felde und wenn der monatliche Markttag näher rückte, trug er Körbe voller Ernte bis hin zur nächsten Stadt. Es war dort gewesen, dass ihm das Herz geraubt worden war, als er eines Tages auf einen fahrenden Künstler traf, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die schönsten Motive zu malen, die er auf seinen Reisen zu Gesicht bekam. Eines seiner Gemälde zeigte das Porträt einer wundersamen, edlen jungen Frau, deren Antlitz sofort innige Liebe in dem Herzen des Jungen erweckte. Doch das hübsche Gesicht gehörte der Königstochter Marie, die für den Sohn eines Bauern auf ewig unerreichbar sein würde.
Seit jenem Tag war Nils nicht länger immerzu vergnügt, wie er es sonst zu tun gepflegt hatte. Als die Wochen ins Land zogen und die Blätter der Bäume sich in goldener Pracht zu zeigen begannen, sorgte sich die herzliche Mutter sehr um ihn, da sich seine Laune noch immer nicht verbessert hatte. Die bedrückte Stimmung ihres Sohnes schmerzte sie sehr, denn sie liebte ihn innig und uneingeschränkt. Schon oft hatte sie zu dieser Zeit versucht, herauszufinden was ihn so sehr beschäftigte, doch der gute Junge wollte ihr keine Sorgen bereiten und schwieg eisern ob seines Liebeskummers. Allerdings war ihre Fürsorge für ihn zu groß und bald schon erkrankte das mütterliche Herz, verzweifelt darüber ihrem Kind keine Hilfe sein zu können. Als Nils dies bemerkte, traf er einen schweren Entschluss.
Er sprach zu seinem Vater: „Vater, ich werde diesen Ort verlassen und fortgehen. Der Mutter will ich nicht länger eine Last sein, doch meine Trauer vermag ich nicht zu verbergen. So bitte ich dich, lass mich gehen und mein Glück finden, sodass ich anschließend wiederkehren und Mutters Kummer stillen kann.“
Auch der Vater liebte seinen Sohn und gab ihm fürsorglich einige Vorräte und etwas des wenigen Geldes, das er über Jahre gespart hatte, mit auf den Weg. Bevor der Junge das elterliche Haus verließ, steckte er ihm außerdem noch eine bronzefarbene Brosche in Form eines Zweiges an, die sich seit Generationen im Familienbesitz befand. Von der Mutter nahm Nils nicht persönlich Abschied, da er fürchtete, ihr Leid noch zu vergrößern. Bevor ihn die Furcht übermannen konnte, ergriff der tapfere junge Mann die Gaben seines Vaters mit großem Dank und machte sich auf, seine lange Reise anzutreten. Das Ziel war ihm wohlbekannt, auch wenn er noch nicht wusste, wie er es erreichen könnte: Marie, die wunderschöne Prinzessin aus der großen, weit entfernt liegenden Stadt.
Es vergingen Tage und Nächte, in denen Nils über viele Wege wanderte. Er ließ Wälder und Flüsse hinter sich, durchquerte kleine Städte und Dörfer und traf mehr Menschen, als je zuvor in seinem Leben. Doch keine dieser Personen, kein Ort, vermochte seine Sehnsucht nach Marie zu stillen. So erreichte er nach vielen Wochen endlich jene Stadt, deren Schloss schon von der Ferne sofort zu sehen war. Sofort zog es ihn hin zur königlichen Residenz, wenngleich seine Beine schmerzten und sein Geist von der langen Reise müde war. Doch kaum beim Schloss angekommen, versperrten dem verliebten Jungen mächtige Tore und stattliche Wächter den Weg. All seine inbrünstigen Bitten, mit dem König und seiner Tochter sprechen zu dürfen, blieben ungehört. Dem einfachen Sohn eines Bauern wurde hinter diesen mächtigen Steinmauern keine Audienz gewährt. So musste Nils sich abwenden. Mit gebrochenem Herzen zog er zurück in die Stadt, um etwas Arbeit zu suchen und einen Weg zu finden, seiner Geliebten doch noch gegenüber treten zu können.
So ging die Zeit ins Land und mit ihr verließ Nils auch die Hoffnung. Von Traurigkeit zerfressen ließ er sich eines Tages schluchzend in einer düsteren Gasse nieder, wo er glaubte, seine Tränen vor anderen Menschen verbergen zu können.
„Was treibt den Jungen von dem Feld und macht sein Herz zu einem Held?“, ertönte da eine hohe Stimme aus der Dunkelheit, so plötzlich, das Nils furchtbar erschrak und sogleich Diebe befürchtete.
„Wer ist da?“, rief er den Schatten entgegen, bereit, sich wenn nötig zu verteidigen.
Anstelle furchtbarer Räuber schlich jedoch nur ein hässliches Tier aus dem Dunkel hervor. Eine Ratte war’s, mit schwarzem Fell und leuchtenden Augen und einem Körper so groß wie ein kleiner Hund, der Schwanz so lang wie eine Schlange.
„Die Liebe ist’s, die Unbefleckte, nach der sich so manche Seel’ schon streckte“, beantworte das Untier seine eigene Frage, während es näher auf den angeekelten Jungen zu kroch und dessen Worte ignorierte.
„Halt dich fern von mir, Kreatur!“
Nils war auf seine Beine gesprungen und wollte sich aus der Gasse entfernen, doch versperrte ihm die Ratte den Weg.
„Lass dich von meinem Anblick nicht blenden, lass mich erst meinen Satz beenden. Liebe hat dich hergebracht, doch nun herrscht in deinem Herzen Nacht. Ich weiß genau, wovon ich sprech’, kenn selbst zu gut ein solches Pech. War einst unbedeutend, so wie du, doch kam mir die Idee im Nu. Der Volksmund redet Trugschluss, der Weg zum König sei einer Prinzessin Kuss. Doch anders ist es, glaube mir, werde des Königs Freund und die geliebte Tochter gehört dir.“
Die Ratte endete und blickte Nils erwartungsvoll an. Der Junge verlor ein wenig seiner Angst, schien das Tier doch klug und nicht aggressiv zu sein.
„Wer bist du, Ratte?“, fragte er, noch immer etwas vorsichtig, „Und woher weißt du, was mein Herz begehrt?“
„In jeder Gasse bin ich bekannt, werde König Mario genannt. Ich sah dich schon von Weiten, durch die Gegenden schreiten. Bis hin zum Schloss und dann zurück, so findest du niemals dein Glück. So hör des Rattenkönigs Rat und schreite bald darauf zur Tat: Bald gibt der Menschenkönig ein Turnier, ein großes Ritterfest, doch gleichsam ist es auch ein Test. Er sucht nach neuen Wachen, auf das jedem Saboteur vergeht das Lachen. Nur Macht musst du beweisen, dann kannst du das Schloss bereisen.“
Natürlich hatte Nils bereits von dem bevorstehenden Turnier gehört. Es war eine große Veranstaltung und in der Stadt seit Tagen in aller Munde.
„Dummes Tier!“, sprach der Junge, nun doch enttäuscht, „Ich bin kein Ritter, nur ein Bauernjunge. Wie soll ich, ganz ohne Rüstung, Lanze und Pferd, an einem Turnier teilnehmen?“
Der Rattenkönig namens Mario ließ sich jedoch nicht beeindrucken.
„Ich bin ein König, hab Besitz, und will dir gern was leihen. Du wirst mir wohl verzeihen, wenn ich dafür verlang’, dass du mich mitnimmst, denn der nahende Winter macht mich bang. Schau nur um diese Ecke, sieh was ich dort mit Magie verstecke!“
Nils wollte dem Tiere gerne glauben schenken, denn sein Vertrauen in das Gute war beinahe grenzenlos. Leichtgläubig blickte er somit um die Ecke und entdeckte dort, durch eine den Menschen verborgene Kraft erschaffen, ein bleich wirkendes Pferd, Lanze und eine unscheinbare Rüstung.
„Ihr beeindruckt mich, Rattenkönig“, sagte er bei dem Anblick mit ehrlichen Worten, „Doch all das vermag aus mir noch keinen Ritter zu machen.“
„Was hast du schon zu verlieren, gutes Kind? Du wirst reiten, wie der Wind. Die Rüstung dort ist zauberhaft, gibt dir Talent und viel, viel Kraft.“
Die Sehnsucht und säuselnden Worte ließen Nils den Pakt mit dem König jener Tiere eingehen, die gewitzt genug sind, um selbst dem Tod entgehen zu können. Am Tag des Turniers, so versprach die Ratte, sollte er Rüstung, Lanze und Pferd vor der Scheune finden, in der er stets die Nächte verbrachte, und nichts dafür tun müssen, als Mario mit ins Schloss zu schmuggeln, sollte ihm der Sieg gelingen.
Dennoch glaubte er, als er am Morgen des Turniers die Scheunentür öffnete nicht, dass sich die Ratte an ihre Vereinbarung halten würde. Tatsächlich fand er jedoch das bleiche Pferd, die Rüstung und eine Lanze vor den Türen vor. Da war sein Staunen groß. Er legte die Rüstung an, die erstaunlich leicht schien und perfekt zu seinem Körper passte, und obwohl Nils nie zuvor geritten war, bereitete ihm der Weg hin zum Schloss auf dem Rücken seines Rosses keine Probleme. Wie von Zauberhand geleitet wurde er von keiner Wache aufgehalten, als er den Turnierplatz betrat. Doch als er all die gut ausgebildeten, mächtigen Ritter erblickte, die unter bunten Bannern ritten da packte ihn die Furcht.
„Was treibt den Jungen von dem Feld und macht sein Herz zu einem Held?“, erklang in diesem Moment plötzlich die Stimme des Rattenkönigs.
Obwohl Nils sicher war, die Worte gehört zu haben, konnte er den Sprechenden nirgendwo ausmachen. Dennoch entfachte der Reim einen fremdartigen, fast schon leichtsinnigen Mut in ihm. Selbst als seine Lanze das erste Mal auf die Rüstung eines Gegners traf und ihn von seinem Pferd warf, hielt dieser an. Der Junge fühlte sich stark und talentiert, geradezu unaufhaltsam. Bald schon fürchteten sich seine Gegner vor seiner Entschlossenheit und man fragte sich, wer dieser fremde Ritter sein konnte. Auch der König, der dem Turnier beiwohnte und seine geliebte Tochter im Schutz des Schlosses zurückgelassen hatte, war überrascht von dem unbekannten, jungen Mann. Er konnte es kaum erwarten, mehr über diesen talentierten Ritter zu erfahren und da sein Sieg kaum noch abzuwenden war und er selbst im Falle einer Niederlage wohl kaum etwas von seiner Faszination verlieren würde, ließ er ihn noch vor dem Ende des Turniers zu einer Audienz einladen. Von der erhaltenen, guten Nachricht noch mehr beflügelt, gelang es Nils tatsächlich, auch über seinen letzten Gegner zu triumphieren. Eine tiefe Dankbarkeit erfasste ihn daraufhin, denn nur dank dem Rattenkönig Mario, hatte er überhaupt so weit kommen können. Doch egal wie laut der Junge auch rief, das Tier wollte sich ihm nicht zeigen und als er nicht länger warten konnte, betrat er ohne die großzügige Ratte das Schloss.
Der Reichtum des Königs war unübersehbar. Überall säumten rote Teppiche, Statuen und golden gefärbte Möbel Gänge und riesige Räume. Noch immer von einem leichten schlechten Gewissen geplagt, da er den Wunsch der Ratte nicht hatte erfüllen können, wurde Nils schließlich in den Thronsaal geführt, wo sich sein innigster Wunsch erfüllte. Neben ihrem Vater saß, in all ihrer Schönheit, Prinzessin Marie auf einem reich verzierten Stuhl. Ihre braunen Locken fielen in Wellen über die schmalen Schultern und ihr zögerliches Lächeln war im ganzen Land bekannt. Schon spürte Nils sein Herz schneller in der Brust schlagen und er glaubte, nicht ein Wort von seiner Zunge lösen zu können, als der König ihn mit tiefer Stimme fragte, was ihn an den Hof und schließlich zum Sieg über alle anderen Ritter geführt hatte.
„Was treibt den Jungen von dem Feld und macht sein Herz zu einem Held?“, erklang da plötzlich die Stimme des Rattenkönigs, „Es ist nicht Ruhm und auch nicht Geld, es war die Ehre stets meine einzige Lehre.“
Da der König und seine Tochter weit erhöht thronten, konnten sie nicht sehen, dass sich Nils Lippen bei diesen Worten nicht einmal bewegten. Doch er selbst wusste, dass sie von der Rüstung ausgingen, die er noch immer trug. Ein wenig verschreckt von diesem Zauber, wollte der Junge sogleich seine eigene Zunge sprechen lassen, doch sie lag, wie von einer bösen Macht betäubt, in seinem Mund.
„Diese Einstellung mag mir wohl zu gefallen“, sprach der König überzeugt, „Ich will Euch zu meiner persönlichen Wache machen, solltet ihr dies wollen.“
Nils wünschte lieber, zu der Prinzessin zu sprechen, doch die Rüstung war andere Meinung: „So sei es denn sogleich, Euer Angebot macht mich an Ehre reich.“
Bevor der arme, überrumpelte Junge auch nur ein Wort an seine Liebste richten konnte, wurde er so aus dem Thronsaal und in seine neuen Gemächer geführt. Dort angekommen riss er an der Rüstung, die sich jedoch nicht von seinem Köper lösen wollte.
„Hör auf, Junge, es hat keinen Sinn, solange ich Teil dieser Rüstung bin!“, offenbarte sich Rattenkönig Mario. „Du wirst mich noch viel weiter bringen, in meinem Namen ein Schwert schwingen! Sobald der nächste Tag erwacht, bin ich es, der auf dem Throne lacht. Ermorde den König, allein durch mich, schuldig erkennen doch alle dich!“
So entblößte das Ungetier sein wahres Gesicht und Nils erkannte seinen Fehler. Verraten ward er durch Worte, verführt von seiner eigenen Leichtgläubigkeit und der Sehnsucht nach Liebe. Doch der tapfere Junge war nicht gewillt, das Böse triumphieren zu lassen.
„Ich habe dich an diesen Ort gebracht, Dämon. Ich führe dich auch wieder hinaus!“
Doch der finstere Zauber verhinderte, dass er den ihm zugeteilten Raum verlassen konnte.
„Du kannst nicht fort, kannst nicht hinaus, ich lasse dich nicht heraus!“, triumphierte da lachend die Ratte.
Doch hatte Mario nicht damit gerechnet, dass Nils zu allem bereit sein würde, um das Schlimmste zu verhindern. Er ergriff ein Schwert, das ihm zum Schutze des Königs übergeben worden war und drohte es, in seine eigene Kehle zu stoßen, denn schon die ältesten Legenden erzählen, dass verzauberte Kleidung an ihren Träger gebunden ist. Als der Rattenkönig erkannte, dass auch er des Todes sein würde löste er sich wie ein dunkler Schatten aus der Rüstung und sprang in die andere Ecke des Zimmers. Mit ihm verließen Nils auch Kraft und Talent und das Gewicht der nun nutzlosen Rüstung drückte ihn zu Boden. Auch das Schwert entglitt seiner Hand.
„Du nutzloser Verräter, willst also nicht sein der Täter! So schlachte ich dich und nehme anschließend den Thron an mich!“, brüllte der Rattenkönig zornig und stürzte sich auf den kraftlosen Nils.
Der gewitzte Junge hatte jedoch mit einem Angriff gerechnet und ergriff, was er auch ohne besondere Stärke tragen konnte: Die Brosche seines Vaters, die stets an seiner Seite war. Sie war durchströmt von der Kraft elterlicher Liebe und dem Wunsch des guten Jungen, die Gefahr zu bannen, die er erst heraufbeschworen hatte. Die spitze Nadel der bronzenen Brosche bohrte sich direkt in das Herz der Ratte, die vor lauter Blutdurst die Wehrhaftigkeit des Betrogenen unterschätzt hatte. Sie starb noch an Ort und Stelle, vor Wut und Entsetzen schreiend. Von dem Lärm alarmiert, stürzten bald schon die Wachen in dem Raum und erkannten das als Dämon bekannte Untier. Sie führten Nils vor den König, der sogleich von dem Trick berichtete, den der Rattenkönig auf ihn angewandt hatte. Da wurde der Herrscher wütend, da der Junge beinahe sein Verderben in das Schloss geführt hatte, doch die gute Marie setzte sich herzzerreißend für Nils ein. Denn ihr Herz war aus Gold und so auch ihre Güte. Auch erkannte sie als Einzige, dass es der Bauernjunge gewesen war, der den Dämon getötet und die Gefahr somit endgültig gebannt hatte. So erlaubte der König ihm, auf Bitten seiner Tochter hin, am Hofe zu bleiben und bald schon erkannte ihn die gesamte Stadt als mutigen Helden. Mit jedem Tag, der verging, verstand Nils sich besser und besser mit Marie, die schon bald ebenfalls ihre Liebe für ihn entdeckte. So heirateten sie nach wenigen Jahren und das Glück erfüllte endlich des Jungen Herz. Er erfüllte das Versprechen, das er seinem Vater gegeben hatte und kehrte nach Hause zurück, jedoch nur um seine Eltern ebenfalls in die Stadt zu holen. Dort lebten sie von jenem Tag an, glücklich und ohne jemals wieder Furcht vor Hunger und Tod leiden zu müssen.
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
Her die Schere, schnipp und schnapp,
Schwupp, schon sind die Haare ab.
Schnippe-schnapp und schon gescheh‘n:
So kann dich keine Hexe seh‘n.
Es war einmal in einem fernen Land, da lebten eine Mutter und ihre Tochter in einer kleinen Hütte am Rande eines großen Gebirges. Fernab von jedem Dorf und jeder Stadt war diese Behausung, und Mutter und Tochter führten hier ein ärmliches, aber glückliches Leben. Zusammen bestellten sie das kleine Feld vor ihrer Hütte, zusammen hüteten sie das Vieh, das die Mutter einst in einer Stadt erworben hatte. Im Sommer sangen sie fröhliche Lieder von fernen Ländern, im Winter begingen sie das Weihnachtsfest. Vollkommen war ihr Glück und vollkommen ihr stilles Paradies.
Der Tochter Name war Amelie und sie war eine Schönheit sondergleichen. Nicht nur hatte die frische Bergesluft ihren Teil dazu beigetragen, dass Amelies Haut von jeher hell und ihre Augen klar waren, sie verfügte außerdem auch über silbernes Haar von solch irisierender Intensität, dass es einem jeden, der sie erblickte, wie das Erstrahlen der nächtlichen Sterne anmutete. Alt und jung, arm und reich kamen zu jener Zeit vor ihrem Leben am Rande des Gebirges, abgeschnitten vom Rest der Welt, um diese herrliche Pracht zu bewundern, und wenngleich erst neugeboren, ward Amelie doch schnell im ganzen Lande bekannt.
Eines Tages kam jedoch auch eine Hexe zum Elternhause Amelies und verlangte das Kind im Tausche gegen unermesslichen Reichtum und große Macht. Amelies Mutter aber war nicht gewillt, diesem Angebote zuzustimmen, und aus Angst vor der Rache der alten Frau schnitt sie ihrer Tochter die silbernen Haare ab und floh mit ihr in jene ferne Berghütte, in welcher sie für viele Jahre lang verweilen sollten.
Doch dann, an jenem Tage, da sich Amelies Geburtstag zum fünfzehnten Mal jähren sollte, trug es sich zu, dass ein Fremder die in den Ausläufern des Gebirges liegende Hütte aufsuchte. Es war ein Prinz aus fernen Landen, der seit langer Zeit schon unter einem grauenvollen Fluche litt, den einst eine Hexe über ihn verhängt hatte. Allerlei Wunderliches an Wissen hatte er seitdem zusammengetragen, um einen Weg zu finden, dem Fluche zu entgehen, und schließlich ward er jenen Schriften habhaft geworden, laut denen ein Mädchen mit silbernen Haaren ihm zur Hilfe würde eilen können. So hatte er sich auf die lange Reise gemacht, jenes Mädchen zu suchen, und so trat er in die Hütte Amelies und ihrer Mutter ein, ohne das Wissen, sein Ziel genau hier gefunden zu haben.
„Was ist es, das Ihr auf Eurer Reise zu finden hofft, mein Herr?“, fragte die Mutter gerade, als Amelie, verkleidet als Knabe und mit einer Mütze auf dem Haupte, die Kammer betrat, in welcher der Reisende zu Tisch gebeten worden war. Dies Schauspiel der Verkleidung hatte Amelie schon oft begehen müssen, und niemals ward ihre Tarnung durchschaut und sie als dem weiblichen Geschlechte angehörig erkannt worden. Sobald jedoch der Blick des Mädchens das erste Mal den des Prinzen traf, da bemerkte sie, wie Verwirrung in ihm aufstieg, gefolgt von einem schelmischen, wissenden Blick, fast so, als würde er ihre Verkleidung durchschauen können.
„Ich bin auf der Suche nach einem Mädchen mit silbernen Haaren“, beantwortete er schließlich nach einem Augenblicke die ihm gestellte Frage, und sowohl Mutter als auch Tochter erstarrten ob der Schwere dieser Worte. Wie nur hatte er von ihrem Geheimnis und von ihrem Verstecke erfahren können, denn dass er hier war und auf der Suche nach ihr, nach Amelie, konnte doch keinerlei Zufall sein. Sie konnten ja nicht ahnen, dass der reisende Prinz nichts von der Wahrheit, die dort vor ihm lag, zu wissen vermochte, und während die Mutter ein weniger heikles Thema zum Gespräche einzuleiten versuchte, pochte in Amelie bereits die Panik, zusätzlich geschürt noch durch jenen Blick, den der fremde junge Mann ihr zugeworfen hatte. Schauermäre, die ihr einst die Mutter erzählt hatte, darüber, wie ein jeder sie würde ausnutzen wollen, um an ihr silbernes Haar zu gelangen, kamen ihr in den Sinn, und noch ehe der Augenblick der vermeintlichen Erkenntnis gänzlich verflogen war, da rannte Amelie bereits von dannen, fast so, als ginge es um mehr als nur ihr Leben.
Lange Zeit rannte Amelie so fort, getrieben von ihren eigenen Ängsten, und als schließlich die Nacht hereinbrach und die Welt in tiefe Schwärze getaucht wurde, da war sie fern ihrer Heimat und fern jeglicher Orte, die sie kannte. Einige wenige Ansammlungen hölzerner Häuser hatten ihren Weg der Flucht gesäumt, doch stets hatte sie sich gehütet, diesen zu nahe zu kommen, und war stattdessen immer tiefer in die Wälder gelaufen. Weiter und weiter hatten ihre Füße sie getragen, und noch bevor der Mond über ihrem Kopfe den Himmel erklomm, da ward Amelie schließlich an einer kleinen Hütte angelangt, die ihrer eigenen nicht unähnlich war. Von ebenso unscheinbarem Aussehens wie ihr eigenes Heim vermochte ihr Antlitz es sogleich, Amelies Vertrauen zu gewinnen, und ohne weitere Überlegungen beschloss sie, einzutreten und nach einer Schlafstatt für die Nacht zu bitten.
„Ist hier jemand?“, fragte sie leise, indem sie die hölzerne Türe öffnete, wohl in dem Wissen, dass inzwischen tiefste Nacht herrschte, und in dem widersprüchlichen Versuch, niemanden aus seinem Schlafe zu reißen. Umso erstaunter war sie, als vor ihr ein altes Weib erschien, von gedrungener Gestalt und mit faltigem, warzigem Gesicht, in dem die Augen dunkel funkelten. Forschend sah diese Amelie an, in der Hand eine flackernde Kerze auf einem kleinen Teller, und schließlich leuchtete Wohlwollen in ihrem Blicke auf.
„Komm schon rein, junges Ding“, murmelte sie und wandte sich um, ehe sie noch einen kurzen Blick über ihre gekrümmte Schulter warf. „Ich habe ein Zimmer, in dem du diese Nacht verbringen kannst.“ Mit diesen Worten schritt sie von dannen, und wenngleich Amelie einen Augenblick lang Misstrauen überkam, verwarf sie dieses doch sofort wieder, zu heimelig und vertraut schien ihr diese Hütte. Sie folgte der Alten über den Flur und ergötzte sich an den kleinen Dingen, die sie an ihr eigenes Heim denken ließen, fast so, als wäre dies Haus als Abbild ihres eigenen geschaffen worden. Dies ließ sie jegliche Furcht vergessen, und als sie der greisen Frau eine Treppe hinab in den Keller folgte, an dessen Ende sich eine kleine Kammer befand, war es bereits zu spät. Schneller, als es einer Alten hätte gelingen sollen, war diese an die Seite Amelies geeilt und hatte sie ohne große Mühen in das Kämmerchen gezerrt und gestoßen. Schon war die Türe geschlossen, schon der Schlüssel gedreht und Amelie gefangen.
„Ich weiß, wer du bist, kleines Mädchen“, sagte das alte Weib und griente durch das vergitterte Türenfenster. Im flackernden Licht der Kerze erschien ihr Gesicht mit einmal Mal hässlich und böse, und als sie sprach, war ihre Stimme gehässig und rau. „Du bist das Mädchen mit den silbernen Haaren. Welch Ironie, dass du schlussendlich den Weg zu mir gefunden hast, nachdem deine Mutter doch so viele Jahre lang versucht hat, dich vor mir zu verstecken.“ Und mit diesen Worten und keckerndem Gelächter verschwand sie und nahm das Licht mit sich fort.
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Mein lieber Mond, erscheine hier,
Erscheine und berichte mir,
Sag, hast du einen Trost für mich,
Sprich, lieber Mond, ich bitte dich.
Amelies Lippen formten wieder und wieder jene Worte, die sie seit ihrer Ankunft im Haus der Hexe jede Nacht an den Himmel gerichtet hatte. Anfangs voller Verzweiflung und Furcht, so waren diese Verse nun vielmehr das letzte Mittel, sie die Hoffnung nicht verlieren zu lassen. Nichts war ihr geblieben außer der kargen Kammer, in welcher sie tagein, tagaus zu verweilen hatte, und der Blick in den Himmel durch das kleine Fenster, das ihr in den immer kalten und sternenklaren Nächten den Mond zeigte. Schnell war die große hellweiße Scheibe schließlich zu ihrem einzigen Verbündeten geworden, und so manches Mal war es Amelie fast so, als würde er tatsächlich zu ihr sprechen und ihr antworten. Wie es auch in dieser Nacht nicht anders sein sollte:
Mein liebes Kind, so weine nicht,
Ich sag‘ dir, ich vergess dich nicht,
Die Rettung ist schon nicht mehr weit,
Geduld‘ dich nur noch kurze Zeit.
So schienen die Worte des Mondes zu jener späten Stunde und schürten in Amelie wieder die Hoffnung, dass in Bälde jemand kommen und sie aus den Klauen des alten Weibes befreien würde. Diese indes hatte, wie sie Amelie selbst eines Abends berichtete, große Pläne vor mit dem jungen Mädchen, und oftmals murmelte sie sonderbare Sprüche, die nicht selten von silbernem Haare handelten, die man im Feuer versengen, in Wasser tränken oder gar in der Erde vergraben sollte. In jenen Augenblicken war Amelie wie erstarrt vor Furcht, hegte sie doch keinerlei Zweifel daran, dass es der Hexe daran gelegen war, mit ihren bereits geschwind nachwachsenden Locken allerlei dunkle Zauber zu wirken. Und so flehte sie jede Nacht erneut den Mond an, ihr Trost zu spenden und sie zu erretten, und mal schien er zu antworten und dann wieder stumm zu bleiben. Viele lange Wochen und Monate zogen so in die Lande und ein jeder Tag wirkte unverändert auf Amelie und so auch jede Nacht. Eines stillen Abends jedoch, als der Mond bereits voll und weiß am Himmel aufzusteigen begann, trug es sich schließlich zu, dass ein Geräusch wie das Zerbersten eines ganzen Berges aus den Wäldern zu hören war, und die Hexe eilte hinaus in die dunklen Schatten der Bäume, um nach dem Rechten zu sehen. Amelie jedoch verblieb wie stets in ihrer zugesperrten Kammer und suchte das Gespräch mit dem Mond:
Mein lieber Mond, erscheine hier,
Erscheine und berichte mir,
Sag, hast du einen Trost für mich,
Sprich, lieber Mond, ich bitte dich.
Und der Mond schien zu antworten:
Mein liebes Kind, so weine nicht,
Ich sagte, ich vergess dich nicht,
Die Rettung, sie ist endlich hier,
Sie hat gefunden nun zu dir.
In ebendiesem Momente erklang ein grauenerregendes Heulen, und noch ehe es zur Gänze verklungen war, da erschien bereits ein düstrer Schemen zwischen den ausladenden Schatten des Waldes und trat beständig auf die kleine Hütte zu. Amelie indes spürte, wie die Furcht sie zu übermannen drohte, und als das Wesen, von tierischer Gestalt und mit schmutzigem Felle bewehrt, doch auf zwei Beinen aufrecht gehend, schließlich das Heim der Hexe betrat, da war ihr, als wäre ihr Leben nun zu einem Ende gekommen. Umso mächtiger war dann jedoch ihr Erstaunen, als sich die hölzerne Tür ihrer Kammer mit einem langgezogenen Knirschen öffnete und sie in die Augen jener wolfsähnlichen Kreatur blickte, die ihr erschreckend bekannt waren. Hatte sie ebendieses Funkeln nicht schon einmal gesehen, damals, bevor sie von daheim fortgelaufen war? Die Worte, die sie nun ganz klar vom Monde zu vernehmen mochte, bestätigten ihre Vorahnung:
Mein liebes Kind, so fürcht‘ dich nicht
Und blick dem Wesen ins Gesicht,
Dem Wesen, das du einst geseh‘n
Als Mann dir gegenübersteh‘n.
Und wenngleich noch immer die Angst sie zu überwältigen drohte, gedachte sie des schrecklichen Scheusales vor ihr, so konnte sie doch des Mondes Äußerung nicht verdrängen, weswegen sie schließlich einen Schritt in Richtung des Wesens wagte und fragend in seine Augen blickte.
„Seid Ihr nicht“, begann sie zu sprechen, in der Hoffnung, die Kreatur würde sie verstehen, „jener junge Mann, welcher dereinst auf der Suche nach einem Mädchen mit silbernen Haaren durch die Lande reiste und Rast machte in einer Hütte am Rande des Gebirges?“
Ein unmenschliches Grinsen zog sich über die Fratze des Scheusales, doch zugleich vermochte Amelie darunter das erfreute Lächeln eines Menschen zu erkennen. Mit den geflüsterten Worten des Mondes in ihrem Herzen schwand ihre Furcht vor diesem Wesen nach und nach, und schließlich hatte sie genügend Mut zurückerlangt, um einen weiteren Schritt zu wagen und direkt vor die Kreatur zu treten. Mit äußerster Vorsicht hob sie ihre Hand und legte sie auf die klauenbewehrte Tatze der Bestie, und wo in den vergangenen Wochen und Monaten der Wunsch nach Freiheit in Amelie geherrscht hatte, war es nun der Wunsch nach Erlösung für diese Kreatur. Im Stillen flehte sie den Mond an, diesen Bann, der über den jungen Mann verhängt worden war, zu brechen, und nach schier endlosen Momenten des bangen Wartens, da antwortete der Mond mit sanfter, wohlwollender Stimme:
Mein liebes Kind, dein Wunsch gewährt,
Doch nicht umsonst sei sie genährt,
Die Wirkung kostet dich dein Haar,
Nie wieder wird’s, was einstmals war.
Amelies Herz erstarrte für einen Augenblick lang in Entsetzen, doch dann gewann das Gewissen die Oberhand, dass dieses Wesen, wenngleich von grauenerregendem Äußeren, ihr die Freiheit geschenkt hatte. Und sollte es tatsächlich jener junge Mann sein, der sie und ihre Mutter aufgesucht hatte, in der Hoffnung, einst ein Mädchen mit silbernen Haaren zu finden, dann wäre vielleicht dies genau die rechte Art, ihm ihren Dank auszusprechen. Denn aus welchem Grunde sollte jemand seine Heimat verlassen und einem Märchen nachjagen, wenn nicht, um einen finsteren Fluch oder ähnliches Unheil zu bannen?
So stimmte Amelie schließlich dem Handel mit dem Monde zu, und noch ehe sie zu blinzeln vermochte, da ward aus der Kreatur vor ihr bereits der junge Mann und Prinz von einstmals, der sie dankbar ansah und ihr sogleich berichtete, dass vor vielen Jahren eine Hexe ihn verflucht hatte, auf ewig mit dem Gang des Mondes seine Gestalt zu wandeln. In der Hoffnung, Erlösung zu finden, hatte er sich seitdem auf Reisen begeben und jegliche Mythen untersucht, bis er schließlich vom Monde höchstpersönlich heimgesucht wurde. Dieser hatte ihm noch in der gleichen Nacht, da Amelie von daheim fortgerannt und der alten Hexe in die Fänge geraten war, von ihrem traurigen Schicksal berichtet, und er hatte sich sogleich aufgemacht, sie zu erretten, ohne zu wissen, dass sie das gesuchte Mädchen war. Eine Verkettung von Zufällen, die zweifelsohne zu ihrer beider Freiheit geführt hatte.
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Noch in der gleichen Nacht machten sich Amelie und der Prinz schließlich auf den Weg zu ihrem Heim, und als sie dort ankamen, da fielen Mutter und Tochter sich glücklich in die Arme. Viele Stunden lang lachten und weinten sie über das vergangene Abenteuer, und die Mutter erzählte die ganze Geschichte ihres ärmliches Daseins in dieser Hütte, davon, wie eine Hexe sie kurz nach Amelies Geburt dazu gebracht hatte, ihre Heimat aufzugeben, um ihrer Tochter Sicherheit zu schenken. Nun jedoch, wo Amelies Haar durch das Gewähren ihres Wunsches nicht mehr länger silbern, sondern anstelle dessen flachsblond schimmerte, hatten sie nichts mehr zu befürchten. Und so reisten sie alle gemeinsam in das Königreich des jungen Mannes, wo Amelie und er heirateten und glücklich wurden. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.
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