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Information | Vote | Gewinner
Ähnlich wie im letzten Jahr gibt es auch dieses Jahr wieder eine bestimmte Anzahl an Punkten, die ihr den Texten geben könnt. Dabei ist zu beachten, dass ihr frei wählen könnt, wie genau ihr die Punkte verteilt und welche Texte mehr Punkte als andere bekommen. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten. Es ist außerdem hilfreich, euch das "How to vote-Topic" anzusehen. Schreibt ihr in dieser Saison besonders viele Votes, habt ihr die Chance auf einen individuellen Benutzertitel. Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen und Regeln zur Wettbewerbssaison 2014
Zitat von AufgabenstellungZukunftsvision
Die Welt von morgen - in allen erdenklichen Zeitaltern haben sich Menschen Gedanken darüber gemacht, wie sie aussehen könnte. Von (post-)apokalyptischen Visionen über das Leben nach einer großen Katastrophe über technische Wunderdinge, wie sie vor allem im Science-Fiction-Genre bekannt sind bis zu fantastischen Elementen oder gar der Vorstellung einer Welt ganz ohne Menschen: die Vorstellungen sind grenzenlos. Umso spannender ist die Herausforderung, eure eigene "Zukunftsvision" zu Papier zu bringen!
Verfasst eine kurze Erzählung, die eine Vorstellung über die Zukunft thematisiert. Was ihr euch als genaue Handlung (z.B. Alltagsgeschichte, spannender Kampf oder Reiseerzählung) aussucht und ob ihr einen Pokémonbezug verwendet oder welche "Welt"/welches Fandom ihr als Handlungsbühne nehmt, ist dabei freigestellt. Der Bezug zum Wettbewerbsthema muss aber klar erkennbar sein und ihr solltet darauf achten, dass das Ganze nachvollziehbar und in sich stimmig bleibt.
Ihr könnt 19 Punkte verteilen
Beachtet dabei, dass maximal 12 Punkte für einen Text vergeben könnt.
Der Vote läuft bis Sonntag, den 02.03.2014, um 23:59 Uhr.
Fandom: ''Fringe''
„Sie kommen!“ – Es ist schon so viel Zeit vergangen, als mir dies mein Freund berichtete. Mittlerweile ist die Welt nicht mehr ansatzweise, wie sie einst war. Pulver mit künstlichem Lebensmittelgeschmack und die Menschen die sich in ihren Häusern verstecken, um niemandem aufzufallen. Ein Leben voller Angst und Verzweiflung, wie konnte es nur so weit kommen …
Es war ein Tag wie jeder andere die Welt fühlte sich für mich zum ersten Mal an als wäre alles in Ordnung, doch dann stand er vor mir – mein Freund mit dem schwarzen Hut und dem Anzug. Immer wenn er auftauchte, geschah etwas Fürchterliches und so war es auch an jenem Tag der Fall. An diesem Tag marschierten sie ein, fingen an unsere Welt zu zerstören und unterwarfen die menschliche Rasse. Es waren keine normalen Menschen sie kamen aus einer Zukunft Hunderte Jahre von unserer entfernt, er war auch einer von ihnen aber er war anders. Er war gut – Er war menschlich. Er half mir und den anderen Mitgliedern des Widerstandes einen Plan zu entwerfen der sie abhalten sollte je zu uns in die Vergangenheit zu reisen, schließlich kamen sie ja aus der Zukunft also müsste es einen Weg geben ihre Existenz zu verhindern. Leider blieb unser Handeln nicht unbemerkt und wir waren gezwungen uns selbst in Eis einzufrieren, um uns vor ihnen zu schützen und in einer entfernten Zukunft dennoch unseren Plan durchsetzten zu können.
Doch jetzt ist es soweit, wir wurden von den übrigen Mitgliedern des Widerstandes befreit – 40 Jahre später. Unsere Mitstreiter behaupten sie hätten uns nicht früher befreien können, da es zu gefährlich gewesen wäre, nach uns wurde überall gefahndet. Zu meinem Verwundern hat sich die Situation in den letzten Jahren viel schlechter entwickelt als ich gedacht habe. Mittlerweile kontrollieren sie sogar den Sauerstoffgehalt in der Luft, um die Lebenserwartung der restlichen Menschen zu minimieren. Es wird Zeit das wir endlich handeln und den Plan vervollständigen, um die Welt – UNSERE WELT – endlich von diesem Abschaum zu befreien.
Unsere Leute haben mir bereits berichtet, dass sie mit Hilfe meines Freundes den Bauplan für die Maschine schon fertiggestellt haben und die Teile angefertigt haben, aber zur Sicherheit haben sie die Teile an verschiedenen Orten versteckt. Orte – die mittlerweile zu ihrem Gebiet gehören. Wer ihr Gebiet betritt wird festgenommen und wie ein Versuchstier untersucht und experimentiert. Diese armseligen Kreaturen ohne Sinn für Schönheit und ohne Gefühle denken ernsthaft sie wären uns Menschen weit überlegen. Sie haben ihre Gefühle für Intelligenz eingetauscht und sind der festen Meinung, dass Intelligenz alles ist was zählt. Ohne je Gefühle besessen zu haben, haben sie jedoch nie erfahren wie stark Rache sein kann – und das wird zu ihrem Ende führen. Sie haben uns unsere Freiheit gestohlen und ist die Maschine erst komplett werde sie unsere Rache zu spüren bekommen.
Sie werden sich wünschen nie existiert zu haben!
Eigentlich ist es ein ganz normaler Klassenraum. Es gibt eine Tafel, die Schüler befinden sich mit gesenkten Köpfen auf ihren Plätzen und der Lehrer sitzt am für in vorgesehenen Pult. Doch es ist nicht mehr so, wie es einmal war. Die Tafel ist schon seit einiger Zeit nicht mehr benutzt worden, die Schüler starren nicht auf Schulhefte, sondern auf Handys und der Lehrer tippt eine Frage an alle in das seine. Es ist still.
Nachdem der Lehrer auf den „senden“-Button gedrückt hat, fangen seine Schüler sofort an zu schreiben. Niemand kann sich mehr dem Unterricht entziehen. Wer einer Antwort schuldig bleibt, oder ein Wort sagt, bekommt zunächst eine Verwarnung gesendet. Falls das nicht hilft, sieht der Störenfried sein Handy für den Rest der Stunde nicht mehr wieder. Dann darf er sich alleine mit der Stille auseinandersetzen.
Deshalb durchbricht auch nichts das Schweigen. Wörter und Schulsachen sind überflüssig geworden. Sie wurden für keine schweren Schulranzen mehr und maximale Unterrichtsbeteiligung eingetauscht.
In der WhatsApp Gruppe kann jeder die Beiträge der anderen sehen. Schüler können Schüler berichtigen und Diskussionen anstoßen. Der Lehrer wirkt nur noch bedingt (z.B. um das heutige Thema zu verkünden) mit. So ist es geschafft worden, die Quote von Schülern, die sitzenbleiben zu minimieren.
Die vollständige Digitalisierung, die schon im 21. Jahrhundert ihren Anfang genommen hatte, wurde abgeschlossen. Fast jeder kann sich mit jedem vernetzt. Es gibt keinen mehr, der nicht mindestens ein Handy, Tablet oder Laptop sein Eigen nennt.
Nachdem diese Schüler ein erfolgreiches Abitur gesendet haben werden sie selbst fahrende Autos, Roboter-Diener und viele andere technische Geräte, die das Leben erleichtern, besitzen. Nur die analoge Kommunikation wird der Leidtragende sein. Aber die Parole lautet: Kein Fortschritt ohne kleine Opfer.
Ich ziehe durch die leeren Straßen, berühre sanft die grauen, zerstörten Wände. Staub liegt auf meiner Haut, lastet schwer auf mir, so schwer, dass meine Schritte sich verlangsamen, weil ich ihn tragen muss. Aber ich muss weitergehen, immer weitergehen.
Während ich weitergehe, sticht mir das flackernde, grelle Neonlicht ins Auge, das einen Schriftzug zeigt, den ich durch meine verklärte Sicht nicht mehr lesen kann. Es ist das erste Elektronische, das ich seit einiger Zeit gesehen habe – wenn die Wolkenkratzer, die in den grauen, besiegten Himmel ragen, noch voll Leben gewesen wären, so wie vor langer, langer Zeit, wäre das wohl anders. Doch die, die sie hatten bevölkern sollen, sind schon fort, noch der letzte von elendig erstickt.
Man sollte meinen, ich vermisse sie nicht. Die Narben, die sie auf meinem Körper hinterlassen haben, reichen tief bis in mein Innerstes, und es gibt auch jetzt, nachdem die Auslöser verschwunden sind, keine Hoffnung auf Heilung; ich liege im Sterben, das tue ich schon seit langem. Wegen ihnen. Sie wussten selbst, dass sie Schuld trugen.
Doch auch, wenn sie es waren, die mein Todesurteil unterzeichnet haben, kann ich sie nicht hassen. Ich schenkte ihnen ihr Leben, und das hat mich stolzer gemacht als alles andere. Mutter hat immer gesagt, ich sei ihr wichtigstes Kind, weil ohne mich diese Welt nicht so hätte existieren können, und dann wäre sie furchtbar einsam gewesen.
Aber Mutter ist tot. Beinahe jedes einzelne ihrer Millionen und Abermillionen Arme und Beide verbrannt, damit sie sich weiter ausbreiten konnten. Nur einige wenige bewahren mir noch meinen allerletzten, schwachen Atem.
Als sie begonnen, diese Maschinen zu bauen, ist Mutter besorgt gewesen. Sie hat gesagt, das würde kein gutes Ende nehmen, und dass sie uns wehtun könnten. Ich habe ihr nicht geglaubt, sondern mich gefreut, weil sie so schlau und erfinderisch waren.
Jetzt erst sehe ich, dass Mutter recht hatte. Es blieb ja nicht bei Fortbewegungsmitteln und Arbeitshilfen. Es wurden Waffen entwickelt, die unzählige von ihnen in den Tod rissen und Mutter und mich ebenfalls verwundeten. Harte Zeiten des Krieges, gegen sie selbst und gegen uns.
Der Staub in meinen Augen tut weh, aber ich habe gelernt, ihn zu ertragen. Viel schlimmer ist es, nur noch Farben zu erkennen – die wenigen Farben, die es noch gibt. Das Grau des Himmels, niemals mehr wolkenlos, geht über zum dunkleren Grau der riesigen Gebäude, die einst vielleicht einmal farbenfroh angestrichen wurden, aber die die Farbe des Staubes angenommen haben, und das dunkelste Grau ist der Boden, fast schwarz, der, wie ich weiß, von zahlreichen Erdbeben und anderen Katastrophen zerstört wurde, Asphalt aufgebrochen, verdeckt von abgekühlter Lava, so wie auch die Spitzen der Häuser, von denen jedoch viele eingebrochen sind.
Das alles sind nur Erinnerungen an eine Zeit, in der ich noch genauer sehen konnte, auch wenn mein Blick schon lange nicht mehr klar ist. Und die schrecklichsten sind die, in denen ich Mutter schreien hörte, aber warum war ich denn der Einzige, warum war ich nur der Einzige? Hätten sie es auch gehört, mehr von ihnen, hätten sie dann anders gehandelt? Hätten sie aufgehört, uns zu vergiften? Hätten sie ihre eigene Zukunft gerettet oder wäre es ihnen egal gewesen?
Ich weiß es nicht. Ich wusste es nie. Als sie auf die Welt kamen, sind sie schon unberechenbar gewesen, und ich kann bis heute nicht ergründen, warum sie so waren, wie sie waren. Ich habe das immer schön gefunden – sie konnten sich aussuchen, wer oder was sie sein wollen, nicht so wie ich, dessen feste Rolle von Beginn an feststand. Sie haben mich fasziniert, noch mehr als die anderen Arten, weil sie so viel mehr geschafft haben in ihrer Lebenszeit.
Vielleicht war ich dumm deswegen. Vielleicht.
Im Grunde ist es doch einfach traurig. Früher war alles hier so farbenfroh und fröhlich und voller Vielfalt.
Aber dann kamen sie und haben alles kaputt gemacht. Sie sind der Grund, warum ich jetzt alleine durch ihre toten Städte ziehe und mich auf meinen Tod vorbereite. Sie sind der Grund, warum Mutter tot ist und warum ich durch all das Grau des Himmels den Rest meine Familie nicht mehr erkennen kann.
Doch trotzdem kann ich sie nicht hassen. Sie sind fort und mit ihnen die unschuldigen Anderen, ihr Größenwahn, ihre Taten, auch wenn die Folgen mich dahinraffen.
Das Ende der Menschheit ist schon längst vorbeigezogen. Und in den Trümmern einer Welt aus Staub und Grau und ewig nicht wolkenlosem Himmel, und nicht einmal Tod, denn Tod bedeutet Erlösung, sondern Unleben, ziehe ich meine Bahnen. Nicht, weil ich noch kann, sondern, weil ich muss. Mein Zweck ist es, Leben zu schenken, auch, wenn niemand mehr da ist, der mich braucht.
Bis der Staub mich vollends erstickt, wird es so weitergehen.
Und vielleicht, auf einem fernen Planeten, gibt es jemanden der ist wie ich, und der einen Weg gefunden hat, seine ganz eigene Menschheit vor diesem Schicksal zu bewahren.
Ich hoffe es.
Die kursiven Zeilen stammen aus dem Lied ''Safe and sound'' von Taylor Swift.
…I remember tears streaming down your face…
… When I said, I’ll never let you go…
… When all those shadows almost killed your light…
~
Serkan David Rain blickte aus dem Fenster. Die Sonne neigte sich dem Horizont zu, tauchte den Himmel in ein goldenes Feuer. Es schien, als stünde der Himmel selbst in Flammen, lichterloh glühend und leise zischend. In wenigen Minuten jedoch würde das Feuer wieder erlöscht sein; zurück bleiben würde nun nur noch die Erinnerung daran.
Die Erinnerungen waren immer das Letzte, was blieb. Wenn alles andere in Asche zerfiel, überdauerten sie jeden Brand.
Serkan wandte sich ruckartig vom Fenster weg. Er spürte, wie die Trauer ihn zu übermannen drohte und er wollte seine Tränen nicht im Spiegelbild des Fensterglases sehen. Viel zu oft wachte er nachts auf, schluchzend, schreiend und wie wild um sich schlagend. Manchmal begriff er erst nach Minuten, dass alles nur ein Traum gewesen war. Die Gesichter der anderen Soldaten, die bodenlose Angst, den nächsten Morgen nicht mehr zu erleben, die Gewissheit, dass er würde töten müssen… Sie waren Abbilder seiner Vergangenheit. Dennoch wirkten sie, in der allumfassenden Dunkelheit der Nacht, erschreckend real.
Morgen waren es auf den Tag genau acht Jahre. Acht Jahre, in denen ihn die Schrecken des dreijährigen Weltkrieges immer noch heimsuchten. Acht Jahre, in denen er versucht hatte, so weiterzumachen wie bisher.
Er war kläglich gescheitert.
Seufzend ließ er sich auf seinem Bett nieder und streifte die Schuhe von den müden Füßen. Nachdenklich betrachtete er die kleine, schimmernde Narbe am rechten Fußballen. Es war ein Messer gewesen, so scharf, dass es seine Lederschuhe durchtrennt und ihm das Fleisch aufgeschnitten hatte. Er konnte sich nicht mehr genau an die Waffe selbst erinnern, jedoch noch sehr genau an die Trägerin dieser Waffe. Vielleicht, weil er ihr, Sekunden nachdem sein Blut den Boden beschmutzt, eben dieses Messer in die Kehle gebohrt hatte.
Kriege änderten einen Menschen. Selbst, wenn man mit dem Versprechen, niemals ein Leben auszulöschen, das Schlachtfeld betrat, tat man es dennoch. Denn irgendwann stand man jemand gegenüber und hatte nur Augenblicke, um sich selbst zu retten.
Dann zählte dieses Versprechen nicht länger.
Müde schloss der Schwarzhaarige seine Augen.
Seit dem Krieg war alles voller Zweifel. In der Bevölkerung herrschte Hunger, die Regierung war durch eine Monarchie ersetzt worden und obwohl von überall her das Versprechen von Veränderung erschallte, war es noch nicht aufgetaucht. In dem dritten Weltkrieg waren ganze Völker ausgelöscht worden – der Staat Amerika existierte nicht mehr. Die Zukunft war dunkel und wolkenverhangen. In ihrer Finsternis starb die Hoffnung.
Manchmal fragte er sich, wofür er denn noch lebte.
Für die Angst? Für die Albträume?
Für den Krieg?
Er lebte für eine Zukunft in der ewigen Nacht.
~
… I remember you said…
… Don’t leave me here alone…
… But all that’s dead and gone and passed tonight…
~
“Ivy! Verflucht, Ivy, wo steckst du nur schon wieder?”
Das zierliche Mädchen mit den dunkelblonden Haaren antwortete nicht; stattdessen verkroch sie sich nur noch tiefer unter die Holunderbüsche. Sie wuchsen überall im Dorf, an jeder Ecke und jetzt, kurz vor der Ernte, standen sie in voller Blüte. Wie jedes Jahr. Während andere Mädchen Tag des Krieges mit Herbstsonne verbanden, verband Ivy sie mit den gelb-weißlichen Blüten der Pflanze.
„Ivy!“ Wieder erschallten die Rufe ihrer Mutter, dennoch hörte Ivy nicht auf sie. Jetzt war es bereits zu spät.
Eigentlich durfte sie nicht hier sein. Sie war keine Überlebende, noch gehörte sie einer Familie von Überlebenden des Krieges an. Demnach überschritt sie eine verbotene Grenze, weil sie dieses Gebiet betrat. Das Mädchen hielt sich öfters hier auf, manchmal kam sie direkt nach dem Schulunterricht hierher. Ivy mochte keine Menschenmassen, sie hasste den Lärm auf dem Schulhof und sie unternahm auch nicht gern etwas mit Gleichaltrigen. Man konnte guten Gewissens behaupten, dass es eigentlich kaum Menschen gab, die sie wirklich mochte. Ihre Mutter verzweifelte mehrmals am Tag an ihrer Tochter, die so gar nicht wie die anderen Mädchen aus dem Dorf war.
Als sich Ivy sicher war, dass ihre Mutter woanders nach ihr suchte, streckte sie vorsichtig ihren Kopf aus dem Busch. Sie blickte sich um, doch da war niemand. Erleichtert erhob sie sich, klopfte sich den Dreck von ihrer grünen Hose – und erstarrte.
Ganz in ihrer Nähe erklang eine Männerstimme. Zuerst war sie leise, dann jedoch schwoll sie an. Ivy brauchte eine Weile, um festzustellen, dass die Stimme sang. Ein wunderschönes Lied, sanft und liebevoll wie ein Schlaflied.
Doch sie konnte die Worte nicht verstehen, die gesungen wurden, also machte sie sich auf den Weg, immer in die Richtung, aus der das Lied kam. Schließlich blieb sie stehen. Sie legte den Kopf in den Nacken und blickte zu einem Fenster auf, welches sich ein paar Meter über ihr befand. Sie kniff die grauen Augen zusammen.
Der schwarzhaarige Mann hatte die Arme auf das Fensterbrett gelegt und sich aus dem Fenster gelehnt. Er beobachtete den Sonnenuntergang, während er mit betörender Stimme sang. Es war das Lied, welches Ivy schon von weitem vernommen hatte und jetzt verstand sie auch die Worte.
I remember tears streaming down your face
When I said, I’ll never let you go
When all those shadows almost killed your light
I remember you said
Don’t leave me here alone
But all that’s dead and gone and passed tonight…
Ivy kannte das Lied nicht. Sie hörte es heute zum ersten Mal. Es war wunderschön; die Stimme des Sängers bahnte sich seinen Weg zu ihrem Innersten. Die Worte waren altes Englisch, eine sprache, die schon seit Jahren nicht mehr gesprochen wurde. Als Russland den Krieg gewann, verboten sie die alte Weltsprache.
Doch die Worte waren ausdrucksstark, besaßen Kraft. Sie wollte am liebsten weinen und lachen.
Plötzlich verstummte der Mann. Widerwillig öffnete Ivy ihre Augen wieder und sah zu ihm auf, fragte sich, warum er abgebrochen hatte.
Der Mann sah sie an.
Für einen Augenblick stand die Zeit um sie herum still. Mit vor Angst geweiteten Augen wich die Blondine zurück. Erst jetzt erkannte sie ihn. Es war Serkan David Rain, der einzige Überlebende des Angriffs auf New York, einer der vergangenen großen Städte Amerikas. Er war eine Legende! Und sie befand sich anscheinend genau auf seinem Grundstück.
Hektisch sah sie sich nach einem Fluchtweg um; wenn sie Glück hatte, war er selbst zu erstaunt über ihr Auftauchen, um nicht gleich die Wächter zu rufen. Ivy würden nur Sekunden bleiben, aber es musste ausreichen.
„Hey!“, der Ruf ließ sie innehalten. Zögernd drehte sie sich um. Serkan blickte sie für einen Moment lang unschlüssig an, dann warf er etwas zu ihr hinunter. Es segelte genau vor die Füße des Mädchens. Obwohl Ivy sich innerlich anschrie, sofort abzuhauen, siegte ihre Neugier. Sie hob das Papier auf und betrachtete es.
Viele Wörter standen darauf, in einer schwer lesbaren, schwungvollen Handschrift. Erst nach und nach entzifferte sie die Worte. Verblüfft blickte Ivy zu Serkan auf.
Der schenkte ihr ein kleines Lächeln, dann rief er ihr zu: „Das ist der Liedtext. Ich habe gesehen, wie sehr es dir gefällt. Glück dem gewonnenen Krieg!“
Sie warf ihm einen finsteren Blick zu, dann antwortete sie im Laufen: „Gewonnene Kriege sind nie glücklich. Nur grausam.“
Damit verschwand das Mädchen mit den Goldhaaren aus seinem Blickfeld.
~
… Don’t you dare look out your window darling…
… Everything’s on fire…
… The war outside our door keeps raging on…
~
Und als die Nacht sich über das Dorf senkte und alle schliefen, schlich sich das Mädchen aus dem Haus. Es lief barfuß hinunter zum Teich, dort, wo das Gebiet der Überlebenden begann. Die Sterne beleuchteten ihr schmales Gesicht.
Als ihre glockenhelle Stimme erschallte, verstummten selbst die Tiere der Nacht. Die Frösche, Füchse, Eulen und Wildkatzen stellten ihre Ohren auf und lauschten diesem melancholischen Singsang. Kein Laut war zu hören.
Ivy blickte hoch zum Fenster, wartete geduldig darauf, dass Serkan das Fenster öffnete.
Damit sie seine Einsamkeit vertreiben konnte.
~
… Just close your eyes…
… The sun is going down…
… You’ll be alright…
… No one can hurt you now…
… Come, morning light…
… You and I’ll be safe and sound…
~
Und Serkan lauschte dem Lied, während die Tränen seine Wangen hinunterliefen. Sie hinterließen Spuren hellen Silbers. Er öffnete nicht das Fenster, nicht einmal den Vorhang streifte er zur Seite. Das Lied war da, vertrieb die allgegenwärtige Dunkelheit und ließ ihn die Angst all der Jahre vergessen. Wenigstens für Augenblick lang.
Und, nur für einen Moment, konnte er sich eine glücklichere Zukunft vorstellen. In der die Dunkelheit dem Licht des beginnenden Tages weichen würde und die Musik allen Schmerz würde heilen können.
Eine Zukunft, in der er nicht länger mit den Albträumen allein sein müsste.
Diese Vorstellung zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht.
Und dann ergoss sich das helle Sonnenlicht des neuen Tages und vertrieb die beengende Finsternis der Nacht.
In diesem Moment war er sicher und wohlbehalten.
Safe and sound.
~
… Hold on to this lullaby…
… Even when the music’s gone…
… Gone…
Die Sonne brennt auf den zerlaufenen Asphalt, der mir den Weg weist. Am Himmerl ist keine Wolke zu sehen, doch das ist normal. Wir haben schon seit Jahren keine Wolke mehr gesehen. Ich helte mir die Hand an die Augen, um besser sehen zu können; in der Ferne kann ich die Häuser erkennen. Ich bin in weißen Klamotten verpackt, es ist die einzige Möglichkeit, sich gegen die Hitze zu schützen. Mein Atem schlägt sich an dem Tuch vor meinem Mund nieder. Ich bin erschöpft, fast fünfzehn Kilometer musste ich mit den großen Wasserkanister auf dem Rücken durch die Wüste laufen, um das Dorf zu erreichen, doch ich darf jetzt nicht stehenbleiben. Wer stehenbleibt, verdurstet. Außerdem muss ich meine Karawane anführen, sie verlassen sich auf meine ungeblendeten Augen. Viele von unserem Volk haben in die Sonne geschaut, seitdem brauchen sie Führer.
Als wir das Dorf erreichen, ich niemand zu sehen. Auch das ist normal, denn die Dorfbewohner haben keine Bleiche, um ihre Kleider weiß zu färben. Tagsüber wären sie nach einigen Minuten im Freien tot. Wir legen unsere Kanister in die dafür vorgesehenen Löcher im Boden, um das Wasser vor Verdunstung zu schützen, und nehmen die leeren Behälter, die an den Häusern gelehnt stehen, wieder mit. Nun heißt es wieder fünfzehn Kilometer zurück, erst dann gibt es Wasser. Wir sind die Sklaven dieser Generation.
Ich reiße mich zusammen und gebe ein Signal mit den Füßen, wir ziehen wieder ab. Noch vor einigen Jahrzehnten war hier fruchtbares Ackerland, doch die vorige Generation wollte es nicht gut. Sie wollten es besser. Doch stattdessen haben sie es schlechter getroffen. Sie hatten starke Maschinen, die für sie die Arbeit erledigt haben, und genug Wasser für alle. Sie hatten für uns unvorstellbaren Wohlstand und Luxus. Doch sie haben es zerstört. An dem Tag, als die Sonne entflammte, haben sie die Erde zerstört.
Jeder bei uns kennt die Geschichte. Die Alten, die es miterlebt haben, streiten sich, woran es lag. Einige reden von Klimawandel, andere sind der Meinung, es wäre einfach nur Pech gewesen. Tatsache ist, dass die Menschen selbst an diesem Unglück Schuld sind. Der Tag, als die Sonne entflammte, so wird der schilcksalhafte Tag genannt, an dem ein gewaltiger Sonnensturm auf die Erde zuraste. Unser Planet hatte schon Stärkere ausgehalten, aber diesmal waren die Bedingungen anders. In ihrem unermüdlichen Streben nach mehr Wachstum und Wohlstand hatten die Menschen die wichtigen Dinge übersehen: Sie hatten das Polfeld der Erde ausgeschaltet. Der Sonnensturm hatte unglaubliche Zerstörungskraft, und er kam in zwei Teilen: Auf den Äquator und auf den Nordpol. Es war verheerend. Am Äquator stiegen die Temperaturen auf weit über einhundert Grad, jeder, der sich nicht im Wasser befand, wurde verbrannt oder radioaktiv verstrahlt. Und dann brannte der Himmel. Nun, wissenschaftlich gesehen war es nicht der Himmel, sondern die Ozonschicht. Doch sie brannte, nicht nur am Äquator, das Feuer verbreitete sich rasend schnell um den ganzen Erdball. Aus unserem blauen Planeten war ein roter Planet geworden. Alles, was sich in der Luft befand, verbrannte mit unserer Schutzschicht.
Dann kam der Nachzügler. Ein kleinerer Sonnensturm, doch an einer weitaus gefährlicheren Stelle. Ohne den Schutz durch die Ozonschicht traf er mit voller Kraft auf die Eisflächen des Nordpols und setzte dabei unglaubliche Mengen Energie frei. Das halbe Polareis schmolz innerhalb von wenigen Stunden.
Das totale Chaos war eingetreten: Wer in den Himmel sash, versengte sich die Augen, auch nachdem das Feuer am Himmel erloschen war, denn die Sonne brannte nun erbarmungslos. Viele Grünflächen gingen in Wochen ein und wurden zur Wüste, die Durchschnittstemperatur auf der Erde stig innerhalb eines Monats um fünf Grad. Ich wandele nun auf dem Ergebnis davon. Die ganze Erde ist nun, zwölf Jahre nach dieser Katastrophe, eine riesige Wüste, in der es kaum noch Orte gibt, an denen man überleben kann. Wie die Dörfler in ihren kleinen Siedlungen überleben können, habe ich nie verstanden.
Die Straße, auf der ich laufe, war früher eine Hauptstraße am Stadtrand von Berlin. Nun ist der Asphalt geschmolzen und zerlaufen und um mich herum ist soweit das Auge reicht nur Wüste und das kleine Dorf zu sehen, von dem ich gerade komme. Doch ich habe es besser erwischt. Ich gehöre zu einem Teil der Bevölkerung, der vorgesorgt hat. Ich wusste immer, dass es irgendwann passieren würde. Doch ich bin alleine.
Wir wandern den langen Weg. Es ist heiß, ich bin hungrig und durstig und bald werden meine Beine einknicken, doch ich werde es noch bis zum Basislager schaffen, denn dort gibt es einen Brunnen. Wer umfällt, wird liegengelassen, und wer umfällt, hat keine Kraft mehr, selbst aufzustehen. doch auch wenn es für den Rest meiner Karawane so ist, für mich ist das Basislager nicht das Ziel. Es ist nur eine Station, bei der ich Wasser holen kann. Mein Haus steht zwei Kilometer entfernt. Und es ist besser als das Basislager, denn mein Haus ist unterirdisch. Es stammt noch aus der Zeit vor dem brennenden Himmel, als die Maschinen noch funktioniert haben. Damals habe ich viel geopfert, um dieses Haus zu bauen, doch nun sind alle meine Opfer wertlos geworden. Geld hat keinen Wert mehr. Ich handle mit wertvollerem denn mein Haus hat einen Wasserzugang. Mein Keller ist keine Wohnung, sondern eine Farm. Ich baue Essen an, das einzige, was noch wertvoller ist als Wasser. Und obwohl ich mir dafür alles holen kann, was ich will, muss ich doch Wasser zu den Dörfern tragen, wenn ich ausgelost werde.
Diese Zeit ist schlimm. Doch für viele ist sie schlimmer als für mich. Ich muss bloß ab und zu Wasser tragen. Sie müssen auf die Nacht warten, um zu trinken. Doch ich bin alt. Und meine Beine wollen nicht mehr. Ich bin fünfundsechzig Jahre alt, nach dem Zusammenbruch der medizinischen Versorgung also ein wahres Wunder. Und ich sehe das Lager. Und ich weiß, dass ich es gut habe. Ich falle um. Die Karawane zieht an mir vorbei, meine Tochter übernimmt nun die Führung. Ich schließe die Augen. Ich lege einen Streifen Stoff über mein Gesicht. Und ich schlafe ein. Vielleicht wache ich wieder auf. Vielleicht auch nicht. Und vielleicht, ja, vielleicht darf ich noch einmal wiederkommen. In einer Zeit, in der die Erde wieder grün ist. Wenn unser blauer Planet wieder blau ist und nicht gelb.
Es ist das Jahr 2099 und ich stehe gerade hoch oben auf einer kargen Felslandschaft. Von hier oben hat man einen guten Blick hinunter ins Tal. Sparks, mein Adler, umkreist die Bergwipfel und hält nach Beutetieren Ausschau. Der Krieg, der vor 50 Jahren die zivilisierte Menschheit fast völlig ausgerottet hatte zeichnete das Land und seine verbliebenen Bewohner noch immer. Es gibt nun keine Gesetzte, Politik oder irgendeine Art von Führung mehr.
Menschengruppen leben in unserem Zeitalter in Clans zusammen, um zu überleben. Ich muss zugeben, ich kannte es auch nie anders, doch ich weiß aus Erzählungen wie einst die Welt vor dem großen Umbruch ausgesehen hatte.
Großmutter sagt immer es hat uns Jahrhunderte zurückgeworfen, doch ich sehe das anders.
Die Menschen könnten ihre Welt jetzt neu aufbauen und gestalten und alles ändern. Alles besser machen. Ich bin jung, gerade einmal 13 Jahre in der Zeitrechnung, die wir beibehalten haben.
Ich möchte diese Welt mitgestalten können! Wenn ich zurückdenke an Großmutters Erzählungen als ich noch ganz klein war und dem Glauben schenke, dann war es vor dem großen Umbruch kaum mehr möglich noch etwas selbst zu gestalten. Alles klang so vorgegeben und festgefahren.
Der Schrei meines Adlers schreckt mich aus meiner Gedankenwelt.
Ich laufen an der Felswand hinter mir entlang zu Sparks, doch heute bin ich zu langsam und die Beute entkommt mir in einer nahen Felsnische.
Ärgerlich knirsche ich mit den Zähnen. „Mein Fehler.“ Ich strecke den Arm mit dem ledernen Handschuh aus und der prächtige Adler landet sanft darauf. „Ich war zu langsam, mein alter Freund.“
Ich setze mich kurzerhand mit Sparks an den Rand des Felsvorsprungs und überblicke das Tal. Schaue hinüber zum Fluss und darüber hinaus.
„Wie würdest du diese Welt gestalten?“
Sparks sieht mich mit seinen schwarzen Augen an und neigt den Kopf hin und her, dann stößt er einen hellen Ruf aus und fliegt davon, hinab ins Lager. Sicher hatte er meine kleine Schwester dort unten ausgemacht. „Verräter!“, rief ich ihm scherzhaft hinterher. Sie musste mehr Glück bei der Jagt gehabt haben als ich.
Nun bin ich allein und kann mich ganz meiner Phantasie hingeben.
Ich stelle mir eine Zukunft ohne Grenzen vor. Überall gibt es weiterhin Clans. Ich nehme meine beiden Schwestern und ziehe mit ihnen los, in die weite Welt. Wir reisen an Orte die wir nie zuvor gesehen haben und begegnen Monstern die wir mühelos bezwingen werden.
Egal auf welchen Clan wir auf unserer Reise auch treffen, sie werden uns aufnehmen und brüderlich behandeln.
Die Welt teilt ihren Atem mit uns, gibt uns Nahrung und Wasser.
Sie ist wie eine riesige Mutter, die Winde wehen lässt wenn sie Atmet und Flüsse durchziehen sie, wie Adern unseren Körper. Sie ist uns doch gar nicht so unähnlich.
Nur sie allein urteilt darüber ob wir Parasiten sind, die sie befallen haben oder würdige Organismen.
„Wir nehmen nur das was wir brauchen und sind zufrieden mit dem was wir haben“, murmele ich dösend.
„Klingt ja als wärst du völlig eins mit der Natur.“
Ich öffne die Augen und blicke in das strahlende Gesicht meiner kleineren Schwester, die mir ein Erdmännchen hinhält.
„Was machst du hier oben?“
Ich richte mich auf und deute mit der Hand neben mich. Sie setzt sich an meine Seite und seufzt tief.
„Du lässt mich allein jagen und machst hier oben einfach ein Nickerchen.“
Wegen ihres Vorwurfsvollen Blicks bekomme ich gleich ein schlechtes Gewissen.
„Ich schlafe nicht, ich stelle mir vor wie unsere Welt in Zukunft aussehen wird!“
Sie lächelt mich an. „Weißt du wie ich mir die Zukunft vorstelle?“
Ich schüttele den Kopf. Wir hatten noch die wirklich darüber gesprochen.
„Ich wünsche mir dass hier viel mehr Blumen blühen und dass wieder Gras wächst. Ich möchte Dinge erfinden die unserer Familie das Leben im Clan erleichtern. Ich möchte aber auch einmal sehen was hinter den Sternen liegt.“
„Hinter den Sternen?“, fragte ich ungläubig. „Du willst Mutter Erde Verlassen?“
Unberührt von meinem entgeisterten Ausdruck fährt sie fort. „Ja, ich möchte nicht nur diese Welt sehen sondern auch andere Welten. Wir waren bereits dort oben, wir können es wieder schaffen!“
„Hier seid ihr beide also.“
Unsere älteste Schwester hatte sich wohl Sorgen gemacht und nach uns gesucht. „Wenn man euch so zuhört glaube ich dass die Menschen überhaupt nichts gelernt haben.“
Nun sehe nicht nur ich entgeistert drein.
„Wollt ihr denn gar nicht über den Tellerrand hinausschauen? Die Welt in Zukunft… Wollt ihr wissen wie sie vielleicht aussehen wird?“
Ich nicke langsam.
„Die Menschen wird es nicht mehr geben. Eine andere Spezies wird sich durchsetzen. Die Sonne wird bald nicht mehr scheinen und die Welt wird in ewige Finsternis und ewiges Eis gehüllt.“
Trotz der warmen Sonnenstrahlen läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken bei dieser Zukunftsvorstellung. Meine kleine Schwester lehnt sich dicht an mich.
„Eine Welt in Dunkelheit?“ wiederholt sie ängstlich.
„Dunkelheit und Kälte. Was denkt ihr welche Kreaturen sie beherbergen werden?“
Ich überlegte kurz. „Ich stelle mir Kreaturen mit harten Schuppen vor.“
„Ich glaube eher sie haben ganz dickes Fell!“ widerspricht meine kleine Schwester.
„Wir Menschen sind jedenfalls nicht für einen solchen Lebensraums geschaffen also wird es uns auch in dieser Zukunft nicht mehr geben.“ Der ernste Ton, der in der Stimme meiner großen Schwester mitschwang gefiel mir nicht.
Sie kniete sich vor uns nieder und küsste uns nacheinander sanft auf die Stirn.
„Nun seht nicht so ängstlich drein. Habt ihr denn gar nichts begriffen?“
Ich tauschte einen fragenden Blick mit meiner kleinen Schwester, doch diese zuckte nur mit den Schultern.
Mir wurde jedoch plötzlich etwas bewusst.
„Jeder Mensch hat wohl eine andere und ganz eigene Vorstellung von der neuen Zukunft unserer Welt.“
Meine große Schwester nickt zustimmen.
„Aber wie ist es möglich all diese Vorstellungen zu einer zufriedenstellenden Lösung zusammenzubringen?“
Nicht nur die brütende Hitze lässt meinen Kopf hier oben langsam rauchen.
„Nun.“ Meine große Schwester streicht mir durchs Haar. „Die Zukunft wird immer ungewiss sein, egal welches Zeitalter wir haben. Lebt also im hier und jetzt ihr beiden und genießt euer Leben so wie es ist.“
Mein Blick schweift ab und bleibt auf einem beweglichen Punkt im Lager hängen.
Ich sah dort unten jemand winken.
„Mutter und Vater warten.“, sagte meine große Schwester dann und hob das Erdmännchen auf, das meine kleine Schwester erlegt hatte.
„Kommt, wir gehen ins Lager.“
Ehe ich meinen Schwestern folge sehe ich noch einmal in die Ferne und erlange eine wichtige Erkenntnis. Was heute hier stattgefunden hat, hätte in jedem Clan an jedem Ort auf dieser Welt sein können. Trotz der großen Wende waren wir noch so viele und jeder malte sich die Zukunft dieser Welt anders aus. Am Ende jedoch würde es nur eine Zukunft geben und egal welche es letztlich sein würde. Ich wollte sie erleben und so viel wie möglich daran mitwirken.
Mein Name ist Suki. Wir schreiben das Jahr 3157. Die Welt steht still. Vieles hat sich verändert, sowohl Mensch, als auch Pokémon. Die Zahl der Pokémon belief sich auf der Erde auf ca. 3500. Man hatte jedes Pokémon entdeckt. Und es gab Probleme. Viele Probleme.
Bereits meine Großeltern waren von unserem Leid geplagt. Im Jahr 3040 entschloss die vereinigte Regierung unserer Erde, dass die Menschheit auswandern müsse, da einerseits die Überzahl an Pokémon eine Bedrohung darstellte, und andererseits die Menschen und Pokémon immer verfeindeter wurde und man kaum noch einen Ort fand, an dem man wirklich sicher gewesen war. Jeder Mensch hatte die Möglichkeit, zwei Pokémon mitzunehmen. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass die vereinigte Regierung alle hinters Licht geführt hatte: Nicht alle Menschen sollten mitkommen dürfen. Meine Großeltern hatten das große Glück, dass sie Funktionäre bei den Börsen waren und somit das Anrecht auf das Verlassen der Erde hatten. Dennoch war es keine schöne Sache, denn von den 25 Milliarden Menschen durften gerade einmal eine Million mitkommen. Wie viel das ausmachte, sollte man sich also denken können.
In großen Raumschiffen verließen die Menschen die Erde, natürlich auch die vereinigte Regierung. Auf dem Planeten, den wir unser nennen durften, herrschte nach einigen technische Aufrüstungen Klima wie auf der Erde. Die Menschen hatten Sauerstoff, Pflanzen, beinahe sogar Natur. Es war der wohl schönste Ort, den man sich vorstellen konnte. Diese Ruhe hielt jedoch nicht lange vor. Die Menschen auf der Erde wurden sehr wütend, dass sie alleine zurückgelassen wurden. Und auch die Pokémon dort fühlten sich im Stich gelassen. Das führt unweigerlich zu ziemlichen Spannungen zwischen den Pokémon und den Menschen dort, wobei sich diese Spannung schnell löste. Vertreter der Pokémon-Welt und Vertreter der Menschen schlossen sich zusammen und überlegten sich einen Plan, um uns, wie sie uns nannten, „1.-Klasse-Menschen“, spüren zu lassen, wie es ist, echte Unfairness zu verspüren.
Sie schickten zunächst Porygon zu uns. Unzählige, um uns zu stören, unsere Technik zu zerstören, doch wir konnten gut gegen sie agieren. Doch das war nur der Anfang. Es waren immer mehr Aktionen, die uns den Alltag erschwerten, und eines Tages gingen sie besonders weit. Sie zündeten eine Bombe, um unseren neuen Planeten zu zerstören. Doch das wollten wir nicht auf uns sitzen lassen, sodass wir einen gigantischen Schutzschild aufbauten, der zugleich ihre Bombe auf sie lenken würde. Es war barbarisch. Die Bombe landete auch tatsächlich auf der Erde, und riss ein gigantisches Loch in die Oberfläche. Unzählige Menschen und Pokémon werden dabei gestorben sein. Das war nicht die Zukunft, wie wir sie uns wünschten. Und das sahen meine Großeltern ähnlich. In einer Nacht –und Nebel-Aktion stiegen wir in ein Raumschiff mit meinen Eltern. Wir flogen in Richtung Erde, um dort eine neue Regierung zu bilden. Meine Großeltern waren intelligente Menschen und viele wichtige Gebäude und Menschen, die meinen Großeltern folgen würden, waren noch auf der Erde. Nach kurzem Funkkontakt mit den dortigen Funktionären war man sich einig, dass meine Großeltern eine vorerst neue Regierung sein werden und sich gemeinsam mit Mensch und Pokémon darüber beraten würde, wie man die Probleme der Welt lösen könnte, ohne vor ihnen wegzurennen.
Wir wollten gerade auf der Erde landen, als wir etwas Schreckliches sehen mussten: Ein gigantischer Strahl schoss von der Erde auf den Planteten, auf dem wir einige Jahre lebten. Er wurde zerstört, mit all den Menschen und Pokémon dort.
Einige Jahre vergingen, und die neue Regierung mit meinen Großeltern brachte viel zustande. Wir fanden Lösungen für alle. Letztlich stellte sich eine Monarchie heraus, denn nur so könnte man wirklich alle Probleme ohne viel Diskussion lösen.
Mein Name ist Suki. Man nennt mich die Königin der Erde. Und ihr kennt nun die Geschichte vom Tag, an dem der Mond gestorben ist.
"Meori ... Meori, bitte wach doch endlich auf!" Die kindische Stimme eines kleinen Jungen drang in meine Traumwelt und ich öffnete die Augen. Ich lag auf einer sommergrünen Wiese und die kleinen Gänseblümchen bogen sich leicht im Wind. Es war also nur ein Traum. Erleichtert setzte ich mich auf, rieb mir die Müdigkeit aus meinen hellen, blauen Augen und schaute in das verspielte Gesicht meines kleinen Bruders.
"Du Schlafmütze! Du hast versprochen mit mir zu spielen!" sagte er und schaute mich verärgert an. "Tut mir leid", murmelte ich benommen, "Ich hatte einen komischen Traum." Mein Bruder setzte sich neben mich und war auf einmal ganz zappelig. "Bitte Bitte erzähl ihn mir!", kreischte er neugierig. Eigentlich hatte ich keine wirkliche Lust darauf, jedoch würde mein kleiner Bruder sicher nicht locker lassen, bis ich ihn alles erzählt habe. Ich seufzte: "Wenn du unbedingt möchtest .... "
"Weißt du, ich habe geträumt, dass ich eine Zeitmaschine gestiegen bin. Niemand außer ich und die Wissenschaftler wussten davon. Sie war ein Prototyp und sah aus wie einer dieser modernen Fahrstühle. Die Forscher starteten die Zeitmaschine und alles um mich herrum begann zu wackeln. Die Lämpchen in der Maschine begannen zu blinken und ich schrie vor Angst. Allerdings wurde es nach kurzer Zeit wieder ruhig und ich stieg aus der seltsamen Zeitmaschine.
Erschrocken stellte ich fest, dass ich am Rande einer futuristischen Stadt gelandet bin. Ein fremder Mann kam auf einmal zu mir. Er trug eine Art Rennfahreranzug und fragte mich, ob ich ein Tourrist aus der Vergangenheit sei. Natürlich war ich ziemlich verwunder. Waren Zeitreisende für ihn etwas ganz Normales? Nun, ich war natürlich leicht als einer zu erkennen. Ich trug wie jetzt meine braunen Stiefel, den gelben Rock und mein Cardigan über meinem weißen Oberteil.
Dieses Outfit ist in der Zukunft ja total aus der Mode. Die Passanten, die an mir vorbeiliefen trugen alle dieselben Anzüge wie dieser ominöse Mann. Sie schauten mich im Vorbeigehen an und fingen an miteinander zu tuscheln. Es war mir sehr unangenehm und ich wollte so schnell wie möglich hier weg. Plötzlich Schoss ein seltsames, schwebendes etwas pfeilschnell an mir vorbei! Ich konnte es kaum richtig erkennen aber es sah aus, wie ein Autoscooter mit einem Glasdach.
Der Mann fing an zu lachen und ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf ihn. Er erklärte mir, dass ich mich im Jahre 4078 befinde und dieses Gefährt ein Scooper sei. Sie konnten eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 500 Lichtjahren pro Sekunde erreichen. Allerdings ist es nur auf den Weltallwegen erlaubt, so schnell zu fliegen. Ich war beeindruckt, diese Scooper waren offensichtlich die Autos dieser Zeit. Jedoch meinte der Fremde, dass dies nicht alles war, was die Zukunft zu bieten hatte. Die Menschen essen und trinken nicht mehr.
Es gäbe sogenannte Nahrungspillen, die alle Bedarfe des menschlichen Körpers decken. Eine Windböe erfasste mein blondes Haar und ich schaute nach rechts zu einem Wald. Doch dieser war wirklich extrem merkwürdig. Ob man so etwas noch Wald nennen kann ist fraglich. Die Bäume, Büsche ... Einfach alles bestand aus Glas. Irritiert schaute ich mich um und musste feststellen, dass auch die Häuser und die Wege aus Glas bestanden.
Nein nicht nur das, alles um mich herum bestand aus dem durchsichtigen, glänzenden Material, was wir eigentlich hauptsächlich für Fenster verwenden. Eine Glasstadt? Mein Herz klopfte und ich spürte wie die Panik meinen Körper gefangen nahm. Was ist hier nur in all den Jahren geschehen? Wieso besteht diese Welt nur aus Glas? Konnte man so denn überhaupt Leben? Das konnte doch nicht sein! Also bin ich in den Wald gerannt in der Hoffnung, etwas zu finden das keinen durchsichtigen Glanz besaß. Ziellos rannte ich durch die Gegend.
Mir wurde klar, dass ich mich schon längst verlaufen hatte, jedoch war mir das in dieser Situation egal. Doch meine Suche war vergeblich: Einfach alles in dieser Welt wurde verglast. An einem kleinen See, der sich auf einer Lichtung befand, blieb ich vollkommen ausser Atem stehen. Das Wasser des Sees war ebenfalls mit einer dicken Glasschicht überzogen und auch der Fremde war mir gefolgt. Er lachte und sagte mir, dass die Menschen die Welt mir Glas überzogen haben, damit nichts mehr verblüht oder zerstört werden könnte.
Das Glas, mit der sie die Welt ummantelt haben, sei das härtest was das Universum zu bieten habe. Außerdem gäbe es kein einziges Tier mehr aus dieser Welt. Die Menschen hätten sie vor etwa 600 Jahren ausgerottet. Das war alles viel zu viel für mich und ich brach heulend zusammen. Die Verzweiflung machte sich in mir breit. Ich wollte zurück in meine Zeit, zurück nach Hause. Diese Zukunft war einfach schrecklich. Niemals könnte ich in diese Welt eine Minute länger ertragen. Und auf einmal hörte ich dich meinen Namen rufen...."
"... Und dann bist du aufgewacht", beendete mein kleiner Bruder den Satz und schaute mich entgeistert an. Wenn ich so darüber nachdachte, war es wirklich ein ungewöhnlicher Traum. Könnte so wirklich unsere Zukunft aussehen? Mein Bruder riss mich aus meinen Gedanken: "Man ...du träumst vieleicht Sachen. Jetzt lass uns etwas zusammen machen! Na los, wir spielen Fangen! Du bist! " Er rannte den aufgedreht den Hügel hinab und ich schaute ihn ein wenig verärgert hinterher. Kleine Brüder... Dachte ich sprang auf, um ihn zu fangen.
Ich bin froh in der Zeit zu Leben, in der ich geboren wurde.
Eiskalt fegte der Wind um Ben herum.Irgendwo in der Ferne knarrten alte Holzdielen und ein Windspiel klimperten. Der ehemalige Trainer stand auf einer Anhöhe, die Augen geschlossen, und atmete tief durch. Wie in Trance streckte er die rechte Hand aus und spürte den Wind über seine Fingerspitzen gleiten. Nur sehr langsam öffnete er die Augen wieder. Das blau-graue Augenpaar schaute blitzend unter der Schiebermütze hervor. Er blickte auf das herab, was früher mal eine Metropole gewesen war. Jetzt waren es Ruinen, zerstört durch Feuer und Explosionen. Der kargen Überrest einer Stadt, die einst lebte und pulsierte. Ben steckte die Hände in die Taschen seiner ausgelatschten Jeans und schaute neben sich.
„Hier sieht es nicht besser aus als sonst wo. Wir haben falsch gelegen, Herkules“, meinte er mit belegte Stimme.
Das Arkani, das neben ihm hockte, stieß ein lautes Bellen aus. Seit Bens Kindheit waren er und Herkules Partner, ein untrennbares Duo. Herkules blickte ihn nicht an, wackelte aber mit seinem halben Ohr. Ben seufzte nur und wandte sich halb um.
„Lil, kommst du?“
Seine beste Freundin und Begleiterin Lillian kam ein paar Meter hinter ihm den Hügel hinauf. Sie strich sich eine dunkelrote Haarsträhne aus dem Gesicht und lächelte zu
ihm hoch.
„Du drängelst ganz schön.“
„Es wird bald dunkel.“
Das Lächeln glitt von ihrem Gesicht und sie setzte zu einem Sprint an. Direkt hinter ihr rannte ein Bisaknosp. Ihr Bisaknosp, das auf den Namen Marie hörte. Thanatos, Bens Tragosso, das auf seiner Schulter hockte, schlug ihm mit seinem Knochen auf den Kopf und deutete nach vorne. Ben schaute wieder in die zerstörte Stadt hinab und entdeckte was sein Freund ihm sagen wollte. Ein Gebäude war noch zu Hälfte intakt. Da es dämmerte brauchten sie einen Unterschlupf. Nachts war es hier draußen gefährlich. Zu gefährlich für zwei junge Erwachsene mit gerade einmal fünf Pokemon. Ben lief den Hügel hinab, Herkules direkt neben ihm.
„Benny, jetzt warte doch!“, rief Lillian von oben.
„Thanatos hat einen Unterschlupf gefunden. Komm!“
Sie lief ihm nach, wobei sich ihr Froxy Johnny, das auf ihrem Kopf hockte, an ihren Ohren festhalten musste um nicht zu fallen. Nach ein paar Schritten hatte sie Ben eingeholt
und lief neben ihm her über die zerstörte Hauptstraße.
In dieser Stadt schien der Krieg besonders schlimm gewütet zu haben. Die beiden jungen Leute sahen sich vielsagend an und Lillian musste schlucken. Sie wollte sich nicht an den Krieg zurückerinnern, sie wollte es einfach nicht. Aber immer wenn sie mit Ben durch so eine Stadt lief, dann kamen die Erinnerungen zurück. Endlich erreichten sie das Gebäude, das ihnen für diese Nacht als Unterschlupf dienen sollte. Es war ein halb zerstörtes Pokemoncenter. Die Wände waren eingerissen, zum Teil zerstört. Der Boden verbrannt, das Dach fast komplett weggesprengt. Ben drückte einen alten Holzbalken zur Seite und zusammen betraten sie das Gebäude. Es gab keine Möbel mehr, alles war aus den Wänden gerissen worden. Mit geübten Augen suchten sie einen Ecke aus, die ihnen als sicher erschien. Lillian warf ihre Tasche auf den Boden und schaute wieder zu Ben. Im Abendlicht stach die Narbe in seinem Gesicht noch stärker hervor. Er sah an ihr vorbei und schien über etwas nachzudenken.
„Es scheint Regen zu geben“, meinte er schließlich ganz leise.
Lillian entdeckte ebenfalls dicke, schwarze Wolken, die unheilvoll immer näher kamen. Zum Glück überdeckte ein kleiner Teil des Dachs ihren Platz. Ben streckte mit einem Mal die linke Hand in die Luft. Die Hand, an welcher ihm zwei Finger fehlten. Wieder hörte Lillian die Explosion und seinen Schrei, sah das Feuer vor ihren Augen und ihn, wie er mittendrin stand und sein sterbendes Pokemon in den Armen hielt, einfach nur weinte. Ein schwarzer Schatten näherte sich ihnen und mit einem Rumsen landete ein Glurak mitten im ehemaligen Pokemoncenter. Vulkan, Bens Glurak und das letzte Pokemon der beiden Freunde, schnaubte einmal.
Nur gut eine Stunde später war es stockdunkel in der früheren Stadt. Das einzige Licht war das kleine Lagerfeuer, an welchem Ben und Lillian saßen. Vulkan und Herkules
hatten zusammen ein paar alte Bretter entzündet, welche jetzt langsam niederbrannte. Ben blickte in die Flammen, hob nur langsam den Kopf und sah zu Lillian, die gerade dabei war etwas Brot für ihr Abendessen aus der Tasche zu kramen. Das Feuer beschien ihr Gesicht und somit auch die Brandwunde, die sich wie Flecken auf ihrer Haut
verteilten. Überall wo er einen Blick darauf erhaschen konnte, sah er diese Wunden und Wut stieg in ihm hoch.
Der Krieg hatte nicht lange gedauert, nicht einmal ein Jahr. Und trotzdem, am Ende gab es die Welt in der Lillian und er aufgewachsen waren nicht mehr. Die Städte und Dörfer waren zerstört, tausende Menschen und Pokemon tot und noch mehr, die alles verloren hatten. Die Zivilisation war ausgelöscht worden, sie standen vor dem Scherbenhaufen dessen, was ihnen ein Wahnsinniger und seine naiven Gefolgsleute hinterlassen hatten. Lillian und er hatten nur noch sich und ihre Pokemon, alle andere waren tot. Manchmal fragte sich Ben, ob es nicht besser gewesen wäre auch in diesem Krieg zu sterben, so wie seine Eltern und seine Pokemon.
„Hier.“
Lillian riss ihn aus seinen Gedanken. Sie saß jetzt neben ihm und hielt ihm ein Sandwich unter die Nase. Um ihn herum waren die Pokemon schon am Essen. Vulkan lag vor ihnen wie ein Bollwerk, wie in einem L zu ihm Herkules. Marie und Johnny hockte in seinem Fell, was irgendwie drollig aussah. Und Thanatos hockte zwischen den Pfoten seines großen Freundes. Mit einem Lächeln nahm Ben das Sandwich an sich.
„Danke.“
„Uns gehen die Vorräte aus. Wir sollten...“
„Ich weiß.“
Er seufzte nur und biss von seinem Brot ab. Es schmeckte fad und war trocken. Nach zwei Bissen nahm Ben die Wasserflasche von seinem Gürtel und genehmigte sich einen großen Schluck daraus. Danach reichte er sie an Lillian weiter, die sie dankend annahm. Er aß weiter und sah in die Flammen. Noch immer hatte er Angst vor dem Feuer, noch immer hasste er es. Der Krieg war mit Feuer begonnen worden und hatte in diesem geendet. Der Regen schlug auf das alte Dach auf und ein paar Tropfen fielen durch die
Rillen im Beton auf sie hinab. Doch an so etwas hatten sich die beiden schon gewöhnt. Nach der Hälfte seines Sandwiches hatte Ben keinen Hunger mehr und legte es zur Seite. Lillian sah nur zu ihm auf, wirkte besorgt, verstand aber. Kurzerhand rutschte sie etwa näher an ihn heran und lehnte sich gegen ihn.
„Ich bin mir sicher, Kronos lebt noch.“
Ben nickte nur, wenn auch sehr langsam. Kronos, er hatte ihn kurz vor dem Krieg bei einer Freundin gelassen. Nachdem er fast alles verloren hatte wollte er nichts sehnlicher als wissen, dass sein alter Freund noch lebte. Die Gedanken an Kronos brachten auch Gedanken an seine anderen Freunde zurück. Freunde, die er nie wieder sehen würde. Die Flammen des Lagerfeuers schlugen hoch und Ben glaubte in ihnen die Gestalten seiner Freunde zu sehen. Seine Augen füllten sich mit Tränen und ein Schluchzen entrann seiner Kehle.
„Ares... Hades.... es tut mir so Leid“, schluchzte er.
Ares war in seinen Armen gestorben. Es war ein starkes Maschock gewesen, ein guter Freund. Und gestorben war es bei dem Versuch seinen Trainer zu schützen.
Hades, sein Gengar. Ein Solarstrahl hatte es in Fetzen gerissen. Der gleiche Solarstrahl, der das Haus von Bens Eltern zerstört und seine Familie ausgelöscht hatte. Beim
Gedanken daran begann er bitterlich zu weinen. Heiß rannen die Tränen seine Wangen hinab, er schluchzte wie ein kleines Kind. Sofort nahm Lillian ihn in den Arm und bettete seinen Kopf an ihre Schulter.
„Sch, schon gut. Wir werden Kronos finden, und dann...“
Sie stockte. Und dann? Was war dann? Sie hatten beide keinen Plan wie es weitergehen sollte.Bis jetzt hatten sie nur dieses eine Ziel. Und diesen einen Plan: Irgendwie
überleben.
Ben richtete sich wieder auf und wischte sich mit der Hand die Tränen weg. Ein Lächeln stahl sich kurz auf seine Lippen, doch Lillian senkte den Blick.
„Was machen wir dann?“, fragte sie leise.
„Wir bleiben zusammen. Das machen wir.“
Er legte sanft eine Hand an ihr Kinn und hob ihren Kopf an.
„Wir haben zusammen diesen Krieg überstanden. Du hast mich aus der Arena gerettet. Ohne dich wäre ich zusammen mit Ares gestorben.“
„Du hast mich aus dem Fernsehturm gerettet. Wir sind quitt.“
„Und ein Team. Und ein Team trennt sich nicht.“
Liebevoll legte Ben den Arm um Lillians Schulter und zog sie an seine breite Brust. Sie krallte ihre Hände in sein altes T-Shirt, drückte ihr Gesicht an ihn. Er hielt sie fest
und streichelte ihr sanft über den Rücken.
Dunkelheit lag über der Stadt, über der Welt, in welcher Ben und Lillian aufgewachsen waren. Sie hatten nur noch sich, nur noch diesen kleinen Lichtblick in der Dunkelheit.
Und irgendwie war Ben mehr als nur glücklich damit. Ja, in diesem Moment, wo er Lillian im Arm hielt, da bereute er es nicht zu leben.
„Herr Petrov?“
Mit Mühe schlug ich meine Augen auf. Das blendende Licht einer kalten Plasmaröhre schien mir entgegen.
„Können Sie mich hören?“, fragte eine harte Stimme.
Ich nickte. Mein Blick klärte sich langsam und die Erinnerung kam zurück.
„Wie lange werden die Schmerzen anhalten, Herr Doktor?“, fragte ich halb flüsternd.
„Noch mindestens bis morgen. Aber sobald Sie stehen können, dürfen Sie auch nach Hause gehen.“
Der Arzt machte keinen sonderlich vertrauenserweckenden Eindruck.
Er trug einen weißen, mit Blut verschmierten Kittel und grüne Gummihandschuhe. Genüsslich zog er an einer Zigarette, wobei sein buschiger Schnurrbart bebte.
Ich lag auf einer alten Pritsche aus Metall, mit einem Eisbeutel auf der linken Seite meines Bauches. Vorsichtig hob ich ihn an. Zum Vorschein kam eine frische, schlecht genähte Wunde. Mir wurde schlecht, also drückte ich den Eisbeutel wieder darauf. Ein zuckender Schmerz durchfuhr mich.
Stöhnend stemmte ich mich hoch.
„Na das sieht doch gut aus. Ihre Sachen und das Geld liegen dort drüben. Den Eisbeutel dürfen sie auch behalten.“, sagte er routiniert und verschwand durch die Tür.
Ich zog mich an und öffnete dann den Umschlag. Schnell zählte ich das Geld. Es waren zweitausend Dollar. Gerade genug für mein Vorhaben – aber lächerlich wenig für eine Niere. Leider war das Angebot auf dem Schwarzmarkt groß und ich musste nehmen, was ich bekommen konnte.
Beim Rausgehen ließ ich den Eisbeutel in einem Mülleimer verschwinden. Es sollte ja niemand sehen, was ich gerade getan hatte.
An der nächsten Metrostation angekommen, ließ ich mich auf die Wartebank fallen. Die Züge fuhren alle zehn Minuten. Also hatte ich noch ein bisschen Zeit.
Die Wunde brannte höllisch. Vermutlich würde sie sich bald entzünden. Ich konnte mir schon lebhaft Katharinas Reaktion vorstellen…
Gedankenverloren ließ ich den Blick nach oben schweifen. Schwere Plasmastürme fuhren über die Kuppel hinweg. Ich beneidete nicht die Menschen, die in den obersten Stockwerken der Hochhäuser lebten. Als Junggeselle hatte ich in so einer Wohnung gewohnt. Jeder Plasmasturm hatte Kopfschmerzen, Schwindel und Schlaflosigkeit hervorgerufen. Dagegen gab es zwar Medikamente, aber die konnte sich ein normaler Mensch natürlich nicht leisten.
Endlich fuhr quietschend die Metro vor. Es war so früh am Morgen – oder spät in der Nacht, dass kaum Leute in den Waggons saßen. Ich setzte mich vorsichtig auf einen der verdreckten und abgenutzten Sitze und streckte mich aus. Wenn ich mich nicht bewegte, tat es nicht so sehr weh. Langsam fiel ich dem Schlaf in die Arme.
Das Ruckeln der Magnetschwebebahn weckte mich. Ich stöhnte auf. Die Wunde brannte nun stärker. Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Zu allem Überfluss betrat auch noch ein Kontrolleur mein Abteil. Wie üblich wurde er von zwei Ordnern begleitet. Die Ordner hielten Sturmgewehre im Anschlag und trugen schwere Uniformen mit Gasmasken. Schon öfter hatten diese Soldaten Zivilisten erschossen. Die Regierung hielt die einfachen Menschen auf den neu kolonisierten Planeten in einem eisernen Griff.
Der Kontrolleur erreichte mich.
„Ausweis!“, blaffte er harsch.
Umständlich kramte ich in meiner Hosentasche.
„Sie sehen beschissen aus, Mann. Haben Sie vielleicht etwas zu verbergen?“, witzelte er.
„Nein, niemals, Herr Kommissar.“, entgegnete ich mit ironischem Unterton und reichte ihm den Fahrschein.
„Du bist wohl ein ganz Mutiger, was? Glaubst du, deine Schwarzmarktgeschäfte bringen dir etwas? Was hast du gemacht? Eine Niere gespendet?“
„Nein, Herr Kommissar. Das ist doch verboten.“, antwortete ich mit einem gezwungenen Grinsen.
Der Kontrolleur nickte einem Ordner zu. Dieser rammte mir daraufhin den Gewehrkolben genau auf die frische Wunde. Der aufflammende Schmerz ließ mich für einen Moment die Besinnung verlieren. Als ich die Augen wieder öffnen konnte, waren die drei Männer zum Glück verschwunden.
Die Metro erreichte wenig später meine Haltestelle und ich schleppte mich keuchend nach draußen. Nur knapp schlüpfte ich noch durch die sich automatisch schließenden Türen.
Bis zu unserem Hochhaus waren es nur ein paar hundert Meter. Der versiffte Aufzug brachte mich ins Stockwerk 216. Ich schloss die Tür auf und war endlich zu Hause.
„Pjotr! Endlich. Ich habe mir schon Sorgen gemacht! Wo warst du nur?“
Katharina fiel mir schwungvoll in die Arme. Mit ihrem Ellenbogen traf sie meine Wunde. Ich ging in die Knie und riss uns beide fast um.
„Was hast du, Schatz?“, rief sie entsetzt.
„Es ist nichts. Alles ist gut. Wir drei kommen bald von hier weg.“
Mit Katharinas Hilfe legte ich mich auf unser Schlafsofa. Sie setzte sich zu mir. Liebevoll streichelte ich über ihren kugelrunden Bauch und flüsterte: „Du wirst es besser haben als wir.“
„Bitte reg dich nicht auf, mein Engel. Ich habe heute meine Niere verkauft.“
Hilflose Wut sammelte sich in ihren wunderschönen blauen Augen.
„Denk an unser Kind…“, flüsterte ich.
Die Wut verschwand und stattdessen rannen Tränen über ihre zarten Wangen. Sie schlug die Hände vors Gesicht.
„In solchen illegalen Praxen sterben täglich Menschen.“, presste sie zwischen zwei Schluchzern hervor.
„Ich weiß. Aber jetzt habe ich endlich genug Geld zusammen, um uns einen Flug zu einem besseren Planeten zu verschaffen. Es ist schon alles organisiert. Wir fliegen noch heute Abend.“, erklärte ich.
Vorsichtig nahm ich ihre Hände weg und wischte ihre Tränen fort.
Sie lächelte mich an und beugte sich zu mir, um mich zu küssen.
„Wir sollten dann wohl besser packen.“, sagte sie lächelnd.
Unsere erbärmliche Wohnung war leer geräumt. Nichts darin würde ich vermissen. Zugegeben, die Reise würde anstrengend für Katharina werden, aber danach würde alles besser! Es musste einfach besser werden…
„Schatz, kommst du? Die Metro wartet nicht.“, rief Katharina aus dem Aufzug.
„Ich bin schon fast da.“
Nun war die Metro vollkommen überfüllt. Die Menschen waren auf dem Weg zur Arbeit oder von dort nach Hause. Niemandem lag hier ein Lächeln auf den Lippen. Nur wenige Leute unterhielten sich miteinander. Doch trotz allem machte man Katharina und mir Platz und überließ ihr einen Sitzplatz. Wenn die Regierung uns schon versklavte, so war doch zumindest der Umgang zwischen den Leuten rücksichtsvoll.
Ich beugte mich zu meiner Frau hinunter und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn.
Sie hielt mich fest und fragte flüsternd: „Wie wird das alles ablaufen?“
„Wir fahren zum Hangar. Da wartet ein Freihändlerkapitän auf uns. Ich bezahle ihn und dann bringt er uns zu einem besseren Planeten.“, antwortete ich leise.
„Und wohin genau?“, hakte sie nach.
„Das weiß ich nicht…“, gab ich zu.
„Was?“, stieß sie hervor.
„Leise, mein Engel. Es wird schon gut werden. Schlimmer als hier kann es doch sowieso nicht werden.“
„Das hoffe ich für dich!“, knurrte sie.
Bis zum Ende der Fahrt sprach sie kein Wort mehr mit mir.
„Wir müssen hier raus. Komm mit. Ich verspreche dir, dass alles gut wird.“, versuchte ich sie zu beruhigen.
„Versprich lieber nichts, das du nicht halten kannst.“ Aufregung schwang in ihrer Stimme mit.
Mir ging es da nicht anders. Zudem brannte die Wunde in meiner Seite furchtbar. Die Naht hatte sich bereits entzündet.
Da kam mir eine gute Idee. Ich holte einen dieser Gepäckwägen - die große Ähnlichkeit mit Einkaufswägen hatten – und hob meine Frau hinein. Den Koffer legte ich in das untere Fach.
„Pjotr, was tust du denn da?“, rief sie lachend.
Ich zog meinen Mantel aus und polsterte den Wagen noch etwas aus.
„Ein Gefährt, einer Königin würdig.“, tönte ich grinsend.
Nur wenige der umstehenden Leute bedachten uns mit einem Blick. Niemand kam uns auf dem Weg zum Hangar 13B in die Quere, doch je näher wir dem Ziel kamen, desto nervöser wurde ich.
Wir trafen auf eine Familie mit zwei kleinen Mädchen. Sie hielten Kuscheltiere in den Händen und husteten lautstark. Auch diese Familie hatte ihr ganzes Hab und Gut bei sich. Wir blieben zurück, um keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Kurz vor den Toren von Hangar 13B wurde die Familie von einer Patrouille aufgehalten.
„Halt! Zeigen Sie ihre Papiere vor. Was ist Ihr Anliegen?“, überbrüllte ein kleiner, kahlköpfiger Kommissar die Menge.
Ich hielt inne, unschlüssig, was ich tun sollte. So war unser Weg abgeschnitten. Die arme Familie hatte keine Chance mehr, aber mein Gewissen sträubte sich, sie ihrem Schicksal zu überlassen. Andererseits musste ich auch an meine eigene Familie denken.
„Die Papiere sind sauber.“, hörte ich den Kommissar zu einem der Ordner sagen.
„Aber was wollen Sie jetzt hier. Haben Sie keine Arbeit?“, schnauzte er weiter.
„Was? Sie wollen ihren Töchtern eine Raumfähre zeigen? So ein Unfug! Ich glaube, sie wollen fliehen. Kann das sein? Zeigen sie ihre Gesundheitsdokumente. Sie haben keine? Eine Epidemie beutelt die ganze Galaxie und sie wollen einfach so auf einen anderen Planeten? Solche Leute wie Sie sind an all dem schuld! Nehmt sie fest.“, befahl er schließlich.
„Ich muss ihnen helfen. Ich liebe dich, mein Engel“, sagte ich zu Katharina und rannte auf die Ordner zu. Zwei riss ich zu Boden, den dritten schubste ich um und den vierten verwickelte ich in ein Gerangel um seine Waffe.
„Lauft!“, brüllte ich.
Die Mutter nahm ihre Kinder an die Hand und rannte los. Sie griffen den Wagen mit meiner Frau auf und flüchteten zum Hangar.
Der Mann stürzte sich auf den Kommissar und schlug ihn nieder.
Ich hatte plötzlich das Gefühl, meine geliebte Katharina und mein Kind niemals wieder zu sehen…
Morgengrauen. Einmal mehr hat uns die Nacht den Rücken zugekehrt. Ein weiterer Tag, den wir erleben dürfen. Kalt und trostlos. Ich wünschte, Gott wäre an unserer Seite, doch fürchte ich, wir sind noch immer allein. Gute Nachrichten sind rar dieser Tage. Bei jedem Kommuniqué schüttelt es mich innerlich, die Nackenhaare sträuben sich, die Haut kribbelt unangenehm, der Puls rast. Die Furcht, bekannte Namen auf der beinahe täglichen Liste der Gefallenen vorzufinden, ist allgegenwärtig. Heute Morgen erwachte ich und blickte in die leblosen Augen zweier Soldaten der Nachtfalken, einer Späher-Einheit. Wer auch immer der Schütze gewesen war, verstand sein Handwerk. Lungenschuss - in doppelter Ausführung. Der letzte nächtliche Flug dieser stolzen Falken. Ich hoffe, der Angriff ereilte sie schnell. Aber dennoch in der Gewissheit, dass diese tapferen Männer im Kampf fielen, in der Ausübung ihrer Pflicht. Eine Ehre. Doch nur ein geringer Trost für uns Hinterbliebene. Endlich haben sie Frieden gefunden. Unser Kampf aber soll weitergehen. - Dabei fällt mir ein, Francis Carter, einer der gefallenen Nachtschatten, hinterlässt eine Witwe. Als sein befehlshabender Offizier ist es meine Pflicht, der Hinterbliebenen die traurige Nachricht zu überbringen. Ich wünschte, es wäre das letzte Mal ...!
Das Verzagen in den narbigen Gesichtern meiner Einheit verfolgt mich auf Schritt und Tritt. Während meiner Patrouillen über den verbrannten Außenring unserer Bastion, dem notdürftigen Lazarett, der Suppenküche, einfach überall. Seuchen greifen um sich. Unser Widerstand bröckelt. Man zermürbt uns. Unersetzbare Menschenleben werden geopfert ... für eine paar Laibe trockenen Brotes, den kümmerlichen Resten unserer medizinischen Versorgung und einer Handvoll Munition, rostiger Schwerter und Streitäxte. Gleichzeitig macht sich unter den Zivilisten verstärkt der Unmut breit. Mit jedem weiteren gefallenen Soldaten rückt die Waagschale zwischen uns und ihnen mehr und mehr ins Ungleichgewicht. Besorgniserregende Gerüchte schleichen umher, so wie beunruhigenden Schatten, die man dieser Nächte verstärkt auf den Straßen der Bastion beobachten konnte. Gerede von einem drohenden Aufstand. Mir gefällt nicht, wie Hauptmann West mich in letzter Zeit beobachtet. Ein Blick wie ein gewetztes Messer. Wie lange noch, bis wir untereinander auf uns losgehen würden? Wir gar keine Feinde mehr brauchen, um unseren rechtmäßigen Platz in dieser Welt endgültig zu verlieren? So weit darf es nicht kommen. Dem Wahnsinn muss endlich Einhalt geboten werden!
Späher berichten von Truppenbewegungen im Osten. Die blaue Einheit zieht nordwärts. Handelsrouten und ein kleiner Außenposten liegen gefährlich nahe, bereits zu oft schon von unabhängigen Splittergruppen geplündert. Ich hoffe, unsere Warnung erreicht sie rechtzeitig! Im Westen bahnt sich dagegen eine neue, größere Gefahr an: dort rührt sich die grüne Einheit. Unsere Befestigungen hatten die letzten Angriffe überstanden. Doch wie lange noch, bis auch sie in sich zusammenfallen, wie vor ihnen bereits etliche andere Festen? Hoffnung und Entmutigung liegen unter den Männern und Frauen, die die Stellung verbissen halten, nicht weit entfernt. Ungefähr so weit, wie man einen Stein vom Hauptplatz aus werfen musste, um das notdürftig geflickte Tor zu treffen. Die dicken Eisenverschläge straften den einzigen Zugang Lügen. Ein winziger Angriff noch und es würde in sich zusammenfallen. Die Holzpalisaden - ein notdürftig zusammengeschustertes Provisorium, kaum der Rede wert. Ich bete dafür, dass die dunklen Wolken am Himmel kein schlechtes Omen sind, wir noch Zeit haben. Die Wunde an meinem Knie feiert ihr einwöchiges Bestehen. Vielleicht tut sie deshalb so weh. Einen Fingerbreit in die falsche Richtung - der Schaden wäre irreparabel, das Bein verloren.
Die Schrecken von Krieg und Leid sind mir nicht neu. Von klein auf war ich nichts anderes gewohnt. Der Krieg dauerte zu damaliger Zeit bereits zwei Jahrzehnte an. Kummer und Angst gehörten zu meinem Alltag. Schreie und Schüsse waren meine Wiegenlieder. Die Nachricht von weiteren Brandschatzungen, nur ein paar Orte entfernt, unser alltägliches Tischgespräch. Nachts säuselte man uns falsche Hoffnungen ein. Von möglichen Verhandlungen längst vergessener Verträge. Langfristiger Frieden? Eine Mär, wie Kindergeschichten über Zauberwesen, Gnome und Trolle. Nichtangriffspakte waren es, nichts weiter. Eine nette Umschreibung dafür, dass es wieder zum Aufrüsten an der Zeit war, bevor der nächste Schlag ausgeführt werden konnte. Ein weiterer Schuss einer 24-Pfünder Kanone, der die Nacht zerreisen und mich morgens aus dem Schlaf wecken sollte, war nur eine Frage der Zeit.
Ein kluger Mann, Albert Einstein, ein Genie seiner Zeit, sagte einst vor langer, langer Zeit, dass er sich nicht sicher sei, mit welchen Waffen der dritte Weltkrieg ausgetragen würde, aber die Konflikte danach würden mit Stöcken und Steinen gefochten werden. In einer anderen Wirklichkeit hätte man diesen Mann spöttisch belächelt, ihn und seine beschränkten Mittel aus einer über zweihundert Jahre zurückliegenden Zeit. Ein verrückter, alter Kauz. Doch leider nicht in meiner Welt, nicht hier und heute. Das, was als dritter Weltkrieg in die Geschichtsbücher einging, und der thermonukleare Winter darauf, hatte die Überreste unserer heutigen Gesellschaft in eine surreale Version eines modernen Mittelalters zurückkatapultiert. Die Menschheit besitzt Jahrtausende lang angehäuftes Wissen, doch kaum mehr die Mittel, es einzusetzen. Sorgfältig aufgebaute Infrastrukturen sind zusammengebrochen, Prunk-Metropolen von damals zu baufällige Ruinen verkommen. Der große Krieg ist lange vorbei, die einstigen Ziele und Ursprünge der Konflikte vergessen. Jetzt kämpfen wir nur noch um das Überleben. In der Asche dieser neuen, von menschlicher Ignoranz geformten Welt keimt nichts, schon gar nicht die Hoffnung auf ein baldiges Ende unseres Elends. Was wohl würde Einstein über uns sagen, weilte er noch heute unter uns? Wenn er uns so sehen könnte, die Manifestation in Fleisch und Blut einer vor zweihundert Jahren ausgesprochenen Behauptung. Fast schon höre ich seine Worte anklagend in meinen Ohren klingeln, dass selbst ohne die zurückliegenden Fehden, wir ganz andere, modernere wirkungsvollere und - vor allem - grausamere Methoden hätten, uns gegenseitig abzuschlachten. Sicherlich würde er ein weiteres Mal recht behalten. Konflikte waren und sind seit jeher ein Teil von uns. Nur ein Narr, ein Heuchler, würde dem angesichts der unwiderlegbaren Tatsachen unserer Geschichtsbücher widersprechen.
Morgengrauen. Gerne würde ich es so nennen, könnte ich nur den Himmel sehen, einmal die Sonne am Horizont aufgehen sehen. Vielleicht, eines Tages ... Bis dahin kämpfen wir weiter. Ich kämpfe weiter. Für eine bessere Zukunft. Einen neuen Tag.
Auszug aus Coen Murtors Tagebuch, Kommandant der roten Einheit, 17. November 2150
Anmerkung des Autors/der Autorin: Es besteht die Möglichkeit, geringfügige Parallelen zu dem Online-Spiel Guild Wars 2 herzustellen.
SKYSCRAPERS
Sie stand auf dem Dach des Hochhauses und beobachtete, wie die letzten, schmutzigen Wolken gen Horizont und der blutorangen, untergehenden Sonne davonzogen und einen schmutzig graublauen Himmel zurückließen. Der Nachtwind griff mit kalten Fingern nach ihr und ließ ihr Haar sanft erzittern. Doch sie wartete Geduldig. Unter ihr erstreckte sich die leuchtende Metropole NewYork5 und ab und zu trug der Nachtwind die üblichen Großstadtgeräusche zu ihr hinauf. Doch die meiste Zeit hörte sie nur den Wind pfeifen.
Plötzlich ertönte ein Piepen und das Mädchen drückte auf einen kleinen Knopf, der sich auf einem armbanduhrartigen Gerät, dass ihr Handgelenk schmückte, befand und aus dem nun eine männliche Stimme ertönte:"Horizon? Hörst du mich? Wir haben nur wenig Zeit, also hör zu. Der Klient trifft dich im CentralPark-Reservat um 22.22Uhr und 22 Sekunden. Horizon lachte:"Der Klient ist ja ganz schön penibel. Am 2.2.2222 um 22:22Uhr! Aber ich habe verstanden.", "Gut, denn er wird dir den Schlüssel zu Getreidespeicher23898 überreichen, der 200Tonnen Getreide enthält, genug um eine weitere Plantage auf Xarox anzulegen."
"Verdammte Erdpolitiker...", murmelte Horizon "Muss man ihnen alles unter dem Hintern wegziehen!". "Ich weiß, dass das nicht deine Art ist, aber ohne kann die Kolonie nicht überleben! Du weißt, wie wichtig...", die Stimme wurde durch das laute Dröhnen eines Hubschraubers übertönt, der in diesem Augenblick über dem Dach erschien und seine Suchscheinwerfer auf das Mädchen richtete, dass seinen Arm daraufhin geblendet über ihr Anlitz hielt.
"Spoc! Keine Bewegung! Sie befinden sich auf Unbefugtem Gelände! Legen sie sich auf den Boden und halten sie ihre Personal-Card hoch!"
"Verdammt! Ich muss Schluss machen, das Spoc ist hinter mir her! Ich kontaktiere dich, wenn ich sie losgeworden bin!", "Das Scop?! Schaff sie uns vom Hals! Sie dürfen keinen Verdacht schöpfen!"
"Ich schätze das ist bereits geschehen."
Sie rannte auf den Dachrand zu, band sich im Rennen einen Zopf und sprang, während das Spoc das Feuer eröffnete. Sie fiel immer schneller und die grellen Lichter der Stadt verschwommen in ihren Augenwinkeln, während der Fallwind ihr ins Gesicht schlug und ihren Zopf immer wilder flattern ließ.
Sie würde ihren Heimatplaneten nicht enttäuschen.
Sie griff an ihren Gürtel, löste einen rot-weißen Ball aus dessen Halterund, warf ihn und ein Funkenregen ergoss sich zwei Meter unterhalb von ihr und formte den schlanken Körper eines Absols.
"Entschuldige, falls ich dich aufgeweckt habe und auch noch unter diesen Umständen...", begann sie grinsend woraufhin ihr Absol erfreut gurrte. "...aber wie es aussieht musst du mir mal wieder aus der Patsche helfen.". Sie griff nach einem regenbogenfarbenen Stein, der am Hals des Absols hing und dessen Gegenstück um ihren Hals hing und der bei der Berührung augenblicklich zu leuchten begann und eine immense Wärme ausstrahlte. Horizon schloss die Augen und beide gingen in Embryoposition, während ein kleines Licht grell zwischen ihnen aufleuchtete und eine helle Schockwelle gen Himmel sendete.
Das Mädchen hatte indessen den Hals des Absols umklammert und sich auf seinen Rücken gezogen, aus dem, als das Licht abgeebbt war, strahlend weiße Flügel sprossen, die den Sturz verlangsamten.
Als sie den Sturz schließlich gestoppt haben, musste Horizon feststellen, dass das Spoc immer noch nicht nachgegeben hatte und der Hubschrauber nun im Sturzflug und nicht Munition sparend auf sie herabgeschossen kam. "Okay, Sunrise, es wird Zeit für eine kleine Schattenreise."
Kaum hatte Horizon dies Ausgesprochen, waren sie auch schon in einer schwarzen Wolke verschwunden.
Park
Auf ihrem Weg zum Park setzte ein heftiger Regenschauer ein, der bei ihrer Ankunft jedoch zu einem unangenehmen Nieseln wurde, das von einem ungemütlichen Wind begleitet wurde. Die wenigen Passanten, die zu dieser späten Stunde noch unterwegs waren, bemerkten kaum das ca.17-Jährige, schwarz-gekleidete Mädchen mit hüftlangem,braunem Haar, das aus einer kleinen Seitengasse huschte und zum Eingangsbogen des CentralParks zuhuschte.
Horizon hatte Sunrise in seinen Pokeball zurückverfrachtet, da ihm die Erdluft nicht bekam.
Sie folgte dem schmalen Kiesweg, der sich durch den schlecht beleuchteten Park schlängelte. Sie ging etwa 15 Minuten, als sie einen dreimaligen Eulenruf hörte, auf den sie wiederum mit dem Zubinden des linken Schuhs antwortete. Als sie wieder aufstand sah sie sich einem schlacksigen Asiaten gegenüber, der einen dunkelblauen Mantel trug und sie lächelnd ansah:"Guten Abend,Miss. Wollen sie mich ein Stückchen begleiten?".
Horizon nickte und er bot ihr den Arm an, den sie auch annahm.
"Wie läuft es Zuhause?", "Nicht gut, die Omegastürme haben nahezu alle Pflanzen ausgerottet, wir brauchen Erdpflanzen, da diese stark genug sind um die Stürme zu überstehen. Aber die Erdre...", "Ich weiß, ich weiß, aber fast alles ausgerottet?! Das kann ich nun wirklich kaum glauben...", sie liefen noch eine weile schweigend nebeneinander her, bis sie einen See erreichten, über dem eine künstlich erzeugte Nebelwand schwebte und setzten sich in das nasse Gras.
"Hör zu, wenn du in den Speicher gelangen willst, bräuchtest du meine Hilfe, denn nur ich habe die ID-Card. Aber ich könnte dich reinschmuggeln..."
Das Mädchen seufzte: "Na gut, dann sind wir eben ein Team!"
STOLEN ID
Die Getreidespeicher waren endlose Reihen von gigantischen Betonbauten, die sich im Industriegebiet der Stadt lag.
Der Asiate hatte sich als Shion vorgestellt und besaß ein Nachtara, mit dessen Schattenreise sie zu den Getreidespeichern gelangt waren.
Horizon schluckte schwer:"Hier müssen wir also reingelangen?", Shion verdrehte die Augen: "Mit meiner ID-Card kommen wir ganz leicht rein aber dich reinzubekommen könnte sich als schwierig gestalten. Versuch einfach unauffälig zu bleiben und möglichst wenig zu sprechen.".
Horizon nickte und sie traten der möglichen Rettung ihres Planeten entgegen.
"Wieso schickst du nochmal das Getreide nicht dirket nach Xarox?", flüsterte sie ihm zu.
"Weil ich unmöglich eine Zollcard austellen kann. Die Regierung bewacht sowas strengstens und ihr seid professionelle Schmuggler und...", er verstummte als sie die Eingangshalle betraten, einem sterilen gefliesten Raum, der von Neonröhren beleuchtet wurde. Die Rezeption war unbelegt und so mussten sie lediglich durch ein Drehkreuz gelangen. Während sie dem kahlen Gang folgten, klopfte Horizons Herz wie verrückt:
Würden sie es schaffen ihren Planeten mit der nötigen Ernte zu versorgen?
Werden sie den Planeten der Pokémon retten können?
Neulich kam ich auf dem Weg zur Schule an einem Werbeplakat vorbei. Ganz groß war darauf auf hellblauem Hintergrund das Konterfei eines Anzugträgers abgebildet, der mit seinen glänzend zu einem Seitenscheitel gegelten Haaren und dem blendenden Strahlen in seiner Fratze ein sehr arrogantes Aussehen hatte. Neben ihm prangte in großen strahlend orangen Lettern der Slogan: „Wir sind Ihre Zukunft!“
Dieses Plakat für eine der großen Banken brachte mich zum Nachdenken. Ich war jetzt in meinem letzten Schuljahr, kurz vor dem Abitur. Und selbst die verbleibende Zeit bis zu den strengen Abschlussprüfungen war in einer atemberaubenden Geschwindigkeit verronnen. Meine Zukunft war mit Sieben-Meilen-Stiefeln in greifbare Nähe gerückt und es blieb nicht mehr viel Zeit übrig, Fortuna beim Schopfe zu packen.
Einen wirklichen Plan, was ich mit meinem Leben anfangen wollte, hatte ich derzeit allerdings noch nicht. Jeder Erwachsene, dem ich das erzählte, schlug sich die Hände über dem Kopf zusammen und schrie laut auf. Manche beschimpften mich, ich sei ein Träumer und würde nur so in den Tag hineinleben. Nun, so ganz konnte ich das nicht unterschreiben. Ich hatte immerhin ein Jura-Studium im Visier, um dann später damit eine irgendeine erfolgreiche Karriere in Angriff zu nehmen. Genügte das denn nicht als Zukunftsplanung?
Aber als ich nun so meines Weges ging und dabei über den Werbespruch der Bank nachdachte, kamen mir erste Zweifel an meinem Vorhaben, denn ich musste ja für das Studium in eine andere Stadt ziehen, wo ich direkt zur Uni Zugang hatte, ich musste meinen Lebensunterhalt irgendwie bestreiten und nicht zuletzt musste das Geld dafür schließlich auch irgendwo herkommen.
Mein Blick schweifte in die Ferne zu ein paar alten Birken, die sich im Wind bogen. Später, wenn ich eine feste Stelle hätte, müsste ich ja auch irgendwo mein Geld anlegen. Meine sauer verdienten Euros müsste ich in die Obhut von irgendwelchen fremden Bankern geben. Nur... welchen Leuten konnte ich vertrauen, wenn überhaupt irgendjemandem? Ich kannte mich doch gar nicht aus mit dem ganzen Kram. Kaum bist du aus der Schule raus, wirst du eiskalt in die Welt von BaFög, Bankzins und Bausparvertrag geschmissen, ohne auch nur im entferntesten mal etwas davon gehört zu haben. Und diese ganzen hochgestochenen Reden von irgendwelchen Sesselfurzern machten mich ja auch nicht klüger. Ich hatte schon einigen Vertretern dieser Sorte Mensch zugehört, aber irgendwann im Dickicht zwischen Dividenden, Daueraufträgen und Darlehen die Ohren auf Durchzug gestellt.
Kurz nach meinem achtzehnten Geburtstag zum Beispiel hatte mich ein Bankberater zu sich in die Filiale eingeladen und mit mir über Finanzverträge gesprochen. Hatte mir tausend Angebote gemacht und mit seinen Ausmalungen meiner Zukunft in astronomische Höhen gegriffen. Wollte mir lauter Sachen andrehen, von denen ich nicht mal den geringsten Hauch eines Fünkchen Ahnung hatte. Was ich doch alles mit seinen Verträgen anstellen könnte, hatte er dann wild mit den Armen rudernd weiter ausgeführt, und wie viel doch dabei am Ende für mich als kleinen Sparer herauskäme! Hm. Wenn diese Angebote doch so toll sind, wieso sind denn dann nicht alle kleinen Sparer in diesem Land stinkreich, wie es hier vorgegaukelt und spekuliert wird, hatte ich mich danach gefragt. Wie viele Menschen hatten wohl schon ihre Zukunft blindlings diesen windigen Quacksalbern überlassen und es später bitter bereuen müssen?
Und – noch viel entscheidender: Wollte ich denn überhaupt mitmachen und diese Bank meine Zukunft sein lassen? Diese Bank, die wie jede andere das Paradies versprach und am Ende doch der kleine Sparer der Gelackmeierte war und als Melkkuh für die Misere aufkommen musste, weil die Bank sich mit nicht bar existentem Geld in irgendwelchen riskanten Geschäften verrannt hatte? Warum müssen denn überhaupt die Steuerzahler dafür blechen, dass Banken in finanziellen Nöten gerettet werden? Weshalb kriegen die Manager, die das alles verbockt haben, auch noch lächerlich hohe Abfindungen? Wieso untersagt eigentlich niemand den raffgierigen Aasgeiern in ihren Ledersesseln und Luxuskarossen den Zugriff auf das Geld fremder Leute? Ich lange ja auch keinem nackten Mann ungefragt in die Tasche, und damit auch ins Portemonnaie, und erzähle ihm dann was vom großen Vermögen.
Das Schlimmste an der ganzen Sache war vermutlich, dass das Ganze nicht nur meine Zukunft sein würde, sondern schon die Gegenwart war. Wenn ich schon die abendlichen Nachrichten hörte mit ihrem Gesülze über den DAX und was den Aktienanlegern jetzt gerade Beine macht, und wie viele Arme jetzt wieder Geld verloren haben. Was soll das mit den Aktien überhaupt? Da ist ein Stück Papier gerade für drei Euro verkauft worden, ist eine Stunde später schon sieben Euro wert und am Tag drauf wieder nur zwei fünfzig? Wer legt das fest? Woraus errechnet sich das? Will ich mein Geld in einfaches Papier stecken, um hinterher mit dem nicht gerade geringen Risiko leben zu müssen, vom einen Tag auf den anderen eine obszön zu nennende Summe verloren zu haben, weil in irgendeiner anderen Ecke der Welt wieder ein Atomkraftwerk in die Luft geflogen ist?
Andererseits wäre meine finanzielle Existenz ganz ohne Geldgeschäfte auch nicht gesichert. Wenn ich meine Knete im Sparstrumpf hütete wie meinen Augapfel und unter dem Bett verstecken würde, brächte mir das auch nicht mehr. Alle redeten immer davon, dass das Geld 'arbeiten' müsse. Das Konto scheint eine Art Arbeitsplatz zu sein. Oder ein Kreißsaal, wenn sich das Kapital vermehrt. Wie dem auch sein mochte, es war gewissermaßen Zwang, sich für irgendein Institut zu entscheiden, das dann über die schwarzen und roten Zahlen wachte und sich damit eine goldene Nase verdiente.
Ich bekam an diesem Tag das Gefühl nicht mehr los, dass eben diese Bank, die mit einem so aalglatten, widerlichen wie realitätsnahem Typen Werbung machte, eben doch meine Zukunft werden würde. Vermutlich würde ich wie der Großteil unserer Gesellschaft jeden Tag ackern gehen für ein bisschen hart verdiente Kohle, würde jeden Monat schauen müssen, wie ich über die Runden käme; und am Ende vom Lied würde mich dann doch der Schlag ins Gesicht treffen, wenn es hieße, dass die Bank mit Immobilien oder mit Wertpapieren so dermaßen hoch gepokert hätte, dass sämtliche theoretischen wie auch tatsächlichen Bargeldbestände nun in die Schuldentilgung fließen müssen würden. Was bliebe mir da? Die Privatinsolvenz?
Wozu überhaupt arbeiten? Damit später alles für Steuern, Sozialabgaben und Spenden für bettelarme Broker draufgeht? Damit sich alles, was eigentlich mir zusteht, vor meinen Augen in Luft auflöst? Damit ich von der Hand in den Mund leben muss?
Eigentlich sollte ich genauso weitermachen wie bisher. Einfach ohne große Pläne jeden Tag einzeln auf mich zukommen lassen, mich nicht groß um die Probleme scheren. Ein bisschen Geld hier verdienen, ein bisschen Geld da verdienen, und einfach friedlich in einem Zelt auf einer Wiese vor der Stadt wohnen. Ich glaube, das wird meine Zukunft.
Das Gras war feucht und die Halme kitzelten sanft, als meine Fußsohlen es vorsichtig berührten. Ich spitzte die Ohren. Zu hören war ein leises Rascheln, das der Wind mit seinen zahlreichen milden Brisen hinterließ, während er Tag und Nacht durch Wald und Wiesen zog. Ich spürte, wie der leichte Hauch meine Wangen immer wieder für einen Moment streifte, um wenig später so schnell zu verschwinden, wie er gekommen war.
Langsam hob ich meinen gesenkten Kopf, nahm noch einmal einen tiefen Atemzug und öffnete bedächtig die Augen. Was ich nun sah, während ich meinen Blick schweifen ließ, brachte mein Innerstes zum Stillstand - vor Ehrfurcht. Alles drehte sich in mir. Schwindel machte sich breit und zwang mich in die Knie. Grün, überall Grün! Überall... Zu meinen Füßen, an den Gemäuern, selbst den Himmel bedeckten gigantische, majestätisch anmutende Baumkronen, die die luftigen Höhen zu ihrem Reich ersonnen haben. Lang war's her, als ich diesen Ort zuletzt besuchte und einen Blick auf ihn warf. Damals, als die Menschheit noch in ihrer vollsten Blüte stand, am Höhepunkt ihrer Zivilisation. Diese Zeiten sind vorbei. Nun hat sich Mutter Natur wieder genommen, was ihr entrissen wurde.
Plötzlich durchzuckte meinen Kopf ein stechender Schmerz. Übelkeit machte sich breit und ich ich bemühte mich, nicht zu würgen. Der bittere Geschmack aufsteigender Galle durchzog daraufhin meinen gesamten Mund. Er war bereits völlig ausgetrocknet. Viele durstige Tage und Nächte waren ihm vorausgegangen. Ein starkes Zittern übefiel meine Beine und brachte mich ins Straucheln. Nun verlor ich endgültig den Halt und ließ ich mich auf den Boden fallen, einen Boden, den die Menschen einst scharenweise betraten. Die vielen Gräser, die nun Besitz von ihm ergriffen hatten, dämpften den Stoß ein wenig und linderten den Aufprall. Meine Augen geschlossen legte ich den Kopf zwischen die Knie und schaukelte mich hin und her. Ein Versuch, mich selbst zu beruhigen. Er war vergebens. All meine Gedanken, zu deren Fassung ich noch imstande war, kreisten Momente später wirr umher und meine Gefühle fuhren Achterbahn. Verzweifelt drückte ich meine Finger gegen meine Schläfen und versuchte, mich zu sammeln - zwecklos. Zu lange hatte ich mich vor der Realität verschlossen, selbst, als sie sich offensichtlicher nicht hätte zeigen können, und umso gnadenloser wandelte sich meine lang währende Resignation nun geballt in pure Verzweiflung. Nach monatelangem Umherirren auf hunderten Kilometern, nach dem Ertragen tausender lebloser Körper auf dem zurückgelegtem Weg, die nunmehr als Aas den gescheiterten Überlebenskampf ihrer Besitzer dokumentierten, nach unzähligen Tagen und Nächten, an denen ich entkräftet nach Wasser und Nahrung lechzte, war es genau dieser Ort und dessen Wandlung, dem es gelang, meinen Willen zu brechen, den ich die gesamte Zeit aufrecht zu erhalten versuchte. Dieser Ort war der Fleck, an dem ich einst behütet meine Kindheit verbrachte. Eine Kindheit inmitten prunkvoller Fassaden, Fassaden, die nun - Jahre später - vom Regen zerfressen, von Pflanzen umschlungen und von Kakerlaken bewohnt wurden. Ich erkannte sie wieder, diese Fassaden, Ritze für Ritze und Stein für Stein, und doch waren sie mir so fremd geworden... Wir waren so naiv. In diesem Moment sackte ich noch weiter in mich zusammen, spürte den pochenden Herzschlag in meiner Brust und lauschte dem Wind, der mittlerweile lauter geworden war.
“Höchste aller Rassen” nannten sie sich, “Höhepunkt der Evolution”, “Krone der Schöpfung”. Die Menschheit gab sich viele Namen. Namen, die nichts weiter waren als Schall und Rauch und hohle Phrasen, welche die einzigen beiden Gemeinsamkeiten waren, die zu ihren Namensträgern bestand. Ich war einer von ihnen. Und einer von jenen, die den schleichenden Krieg zwischen Mensch und Natur überlebten und nun über die ganze Erde verstreut durch die Trümmer ihrer einst prachtvollen Existenz liefen, einzig und allein angetrieben vom Überlebenswillen und der leisen Hoffnung auf eine bessere Zukunft. So, wie es sich für die Krone der Schöpfung gehörte. Ein leises Kichern verließ meinen Mund. Während ich so vor mich hin gluckste, fanden Tränen den Weg zu meinen Lippen. Sie schmeckten salzig.
Dabei war das Ende schon seit langer Zeit so absehbar. Mit jedem Atemzug fanden Unmengen Gift den Weg in die Lungen von Mensch und Tier, Meere waren leergefischt, Wälder vernichtet, ganze Landstriche verseucht. Sie nannten es Zivilisation, sie nannten es Unterwerfung, sie nannten es Erfolg. Sie schafften Platz für prächtige Bauten, riesige Fabriken und wahnwitzigen Luxus. Sie hatten bereits so viel und dachten nicht daran, aufzuhören, sie verloren sich in Wünschen und Illusionen. Irgendwann besaßen sie nichts mehr. Es war nichts mehr da. Keine Ressourcen, kein sauberes Wasser, keine Nahrung, und die Luft, die vorhanden war, versorgte einen Menschen nur noch einen Bruchteil seiner tatsächlich möglichen Lebensspanne – danach war der entstandene Schaden größer, als der von ihm doch so dringend benötigte Sauerstoff von Nutzen war. Bluteten sie zunächst für Erdöl und Diamanten, für Macht und für Reichtum, so kämpften sie nun um ein Stück trockenes Brot. Arme und Reiche, Männer, Frauen und Kinder, sie alle verfielen einem irrsinnigem Wahn und nutzten jedes erdenkliche Mittel, sich die Dinge zu beschaffen, die sie zu beschaffen brauchten. Die Welt versank im Chaos. Und die Menschheit in ihm annähernd ganz. Sie hatte sich selbst fast vollkommen ausgelöscht.
Ein durchdringender Schrei schreckte mich aus meinen Gedanken. Es war ein Adler, der am Himmel seine Runden drehte. Seine erhabenen Schwingen weit ausgebreitet, segelte er von Wolke zu Wolke und schließlich von dannen. Ich seufzte. So wie der Vogel kontinuierlich seine Runden drehte, so musste auch ich weitermachen. Es gab keine andere Wahl. Langsam richtete ich mich auf, nahm noch einmal tief Luft und taumelte davon.
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