[Blockierte Grafik: http://firefox.org/news/conten…MEN_Kitty_Pryde-small.jpg]
Quelle
Information | Vote | Gewinner
Ähnlich wie im letzten Jahr gibt es auch dieses Jahr wieder eine bestimmte Anzahl an Punkten, die ihr den Texten geben könnt. Dabei ist zu beachten, dass ihr frei wählen könnt, wie genau ihr die Punkte verteilt und welche Texte mehr Punkte als andere bekommen. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten. Es ist außerdem hilfreich, euch das "How to vote-Topic" anzusehen. Schreibt ihr in dieser Saison besonders viele Votes, habt ihr die Chance auf einen individuellen Benutzertitel. Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen und Regeln zur Wettbewerbssaison 2014
Zitat von AufgabenstellungWirklich jeder von uns kennt sie: OC's - unsere eigenen Charaktere. Ob wir sie in einer ganzen Fanfiction oder nur in einem einzelnen Werk verwenden - sie sind immer mit dabei. Und genau darum soll es dieses Mal gehen! In diesem Wettbewerb habt ihr nämlich die Aufgabe, eben jene in einer kurzen Geschichte möglichst originell vorzustellen. Inwiefern ihr euren Charakter beschreiben wollt und was genau er in der Geschichte erlebt, ist eure eigene Entscheidung. Wichtig dabei ist nur, dass man als Leser sofort weiß, dass es sich dabei um eine Charaktervorstellung von einer selbst erfundenen Figur handelt und es ein Fließtext und kein Steckbrief ist. Außerdem ist bei diesem Wettbewerb ein Pokémonbezug gefordert, es ist euch also auch frei gestellt, eine Person oder ein Pokémon für euren eigenen Charakter zu verwenden!
Ihr könnt 8 Punkte verteilen, maximal 5 an eine Abgabe
Der Vote läuft bis Sonntag, den 11.05.2014, um 23:59 Uhr.
Pferdeschwänze
Ich seufzte und streckte eine Hand ins warme Licht der Morgensonne, inmitten des gelblichen Lichts sah meine Hand fast schwarz aus, doch ich wusste, dass sie bald die helle Cremefarbe, die sie bei Tag hatte, annehmen würde.
Morgendämmerung.
Viel zu hell.
Langsam rappelte ich mich von dem weichen Teppich empor auf dem ich die ganze Nacht gelegen hatte, nahm zwei zufällige Kleidungsstücke aus meinem Schrank hervor und zog sie mir über. Mein helloranges Top passte zwar überhaupt nicht zu meinem schwarz und violett gestreiften Faltenrock, doch mir war es egal. Ich war nicht länger jemand, der für die Medien interessant gewesen wäre. Mit langsamen Strichen bürstete ich mein langes schwarzes Haar nach hinten und band es mit einem Haargummi, den ich um den Arm getragen hatte zu einem losen Pferdeschwanz zurück. Eine Frisur, wie sie jeder hatte, nicht der hohe, wippende Pferdeschwanz, den ich zu meinen Glanzzeiten getragen hatte. Die Frisur einer Verliererin.
Ich ging hinaus in den Flur meines Hauses. Der Parkettboden war geputzt, die Wand violett angestrichen, alles war wie immer. Nur eine Sache war anders: Es war nicht mehr das Haus eines Champs.
Ich öffnete die Türe meines Hauses und schaute in den Briefkasten. Das meiste war Werbung, ein paar vereinzelte Briefe und hier und da eine Rechnung, doch als ich fast den ganzen Papierstapel abgetragen hatte, erstarrte ich plötzlich mitten in der Bewegung. Da lag die neueste Ausgabe des Poké-Weekly Magazins, und obwohl ich solchen Zeitschriften normalerweise kaum Beachtung schenkte, konnte ich nicht anders, als das Cover anzustarren.
Darauf war ich abgebildet. Zweimal.
Links gab es ein Foto von mir, als ich Champ geworden war, damals war ich knapp 16 Jahre alt. Auf dem Bild trug ich ein lilafarbenes Glitzertop mit Spaghettiträgern und eine schwarze Röhrenhose. Mein Haar war in einem hohen Pferdeschwanz mit einer einzelnen violetten Strähne inmitten der schwarzen Flut und meine violetten Augen lachten in die Kamera. An meiner Seite war mein treues Absol.
Rechts jedoch war ein Junge abgebildet, der die Faust in bester „Ich habe gewonnen“-Manier in die Luft gestreckt hatte. Er hatte hellblonde Haare und blaue Augen. An seiner Seite war ein Lucario, und am Bildrand wieder ich, mein Absol vor mir am Boden liegend. Besiegt und doch stolz lächelnd über die Tatsache, dass es einen neuen Champ gab, nachdem ich den Titel über dreissig Jahre lange verteidigt hatte. War ich die Einzige, die gewusst hatte, dass mein Lächeln gezwungen war?
Langsam ging ich in mein Haus zurück und setzte mich auf die Couch, auf ihrem schwarzen Futter wurde es nur noch klarer, dass bereits vereinzelte silberne Strähnen mein Haar durchzogen.
„Ich bin kein Champ mehr.“
Es laut auszusprechen machte es nur noch schmerzhafter. Ich seufzte wieder und zog einen Pokéball von meinem Gurt.
„Absol, Bühne frei.“
Absol schlug einen kleinen Salto, ehe es elegant auf dem Teppich landete und sich kurz über die Brust leckte, seinen Kopf liebevoll an meine Seite schmiegte. Ich kraulte es leicht am Kinn.
„Weisst du noch, wie alles angefangen hat?“, flüsterte ich ihm leise zu, während meine Hand langsam auf die Couch zurückfiel und Absol antwortete indem es lautlos neben mich sprang und seinen Kopf auf meinen Schoss legte. „Du warst damals noch ganz scheu.“
Ein zehnjähriges Mädchen schaute unruhig die drei Pokémon vor sich an, die alle versuchten, es zu beeindrucken. Links stand ein Serpifeu, das seine Nase elegant in die Höhe hielt und ab und zu Rankenhieb einsetzte, um das Ottaro, das sich in der Mitte befand, daran zu hindern, ihm das Essen zu klauen. Dieses Ottaro wiederum versuchte erfolglos den dicken Ranken, die es umwickelten, zu entkommen, während ganz rechts ein Floink stand, das die Streiterei nur mit einem ausdruckslosen Blick beobachtete und teilnahmslos seinen Futternapf leerte. Das Mädchen zog die Augenbrauen zusammen und wippte unschlüssig vor und zurück. Keines dieser Pokémon war das, worauf sie gehofft hatte, keines rief in ihr ein Gefühl à la „Das ist es!“ hervor. Sie beugte sich über die drei Starter und wollte eben auf einen deuten, als sie plötzlich etwas hörte.
„A-Absol?“
Unter einem der Labortische schaute ein kleiner weiss-grauer Körper hervor, den Kopf ängstlich gesenkt und das Fell aufgestellt um grösser zu wirken. Als das Wesen den Blick des Mädchens auf sich spürte, zog es sich sofort wieder unter den Tisch zurück.
„Professor, was ist das für ein Pokémon?“, rief das Mädchen Professor Esche zu, die gerade einen Stapel Bücher durch ihr Labor trug.
Die Professorin sah sich erst suchend um, da sie durch ihren Bücherstapel kaum etwas mitbekam und antwortete dann: „Welch-, oh, du meinst Absol. Ich habe es als Junges gefunden, es wird wohl von seinen Eltern verstossen worden sein. Es ist sehr scheu und hat bis jetzt jeden einzelnen Kampf verloren, deswegen wird es oft von den anderen Pokémon gehänselt.“
Das Mädchen starrte eine Weile lange nachdenklich in die Luft, ehe es sich wieder dem Absol zuwandte und ihm eine Hand hinstreckte, die von diesem misstrauisch beäugt wurde.
„Ab…sol?“
Das Mädchen kicherte leise. „Keine Angst, meine Hand ist nicht giftig, noch verbrennt sie dich.“ Das Absol legte bei diesen Worten den Kopf schräg als wolle es sagen „Wirklich? Das wusste ich nicht.“ und schnupperte leicht an der ihm dargebotenen Hand, ehe es zaghaft daran leckte.
Wieder kicherte das Mädchen. „Hey, Absol, das kitzelt!“ Und dann rief es an Esche gewandt: „Könnte ich statt einem Starter dieses Absol haben?“
„Bist du dir sicher?“, kam die Antwort gedämpft hinter einem Bücherstapel hervor, „Es ist weder ein Starter, noch ein besonders guter Kämpf-“ „Jedes Pokémon kann stark sein, wenn es nur genug Selbstvertrauen hat. Stimmt‘s, Absol?“ Das Absol schaute zuerst verdutzt zu seiner neuen Trainerin auf, ehe es zuerst ungläubig und dann fröhlich den Kopf hob. Als hätte es nur auf dieses Signal gewartet, nahm das Mädchen eine von Absols Tatzen in die Hand und flüsterte: „Egal wie unmöglich es scheint, wir beide werden es schaffen und eines Tages werden die, die dich gehänselt haben in unserem Staub bleiben. Versprochen? Wir schaffen das, egal wie unmöglich es scheint.“ „Ab-Absol!“
„Ab-sol!“
Verwirrt tauchte ich aus meinen Erinnerungen auf und blickte in Absols besorgtes Gesicht. „Entschuldigung, ich bin in Gedanken versunken. Was ist los, Absol?“
„Ab-sol!“, sagte Absol auffordernd und hielt mir eine Tatze hin. Ich legte fragend den Kopf schräg, doch ehe ich Absol fragen konnte, was es damit bezweckte, legte es seine Tatze auf meine Hand und sah mich vorwurfsvoll an. „Was-“, setzte ich an, doch da dämmerte es mir.
Als hätte es nur auf dieses Signal gewartet, nahm das Mädchen eine von Absols Tatzen in die Hand und flüsterte: „Egal wie unmöglich es scheint, wir beide werden es schaffen und eines Tages werden die, die dich gehänselt haben in unserem Staub bleiben. Versprochen? Wir schaffen das, egal wie unmöglich es scheint.“ „Ab-Absol!“
„Wir schaffen das, egal wie unmöglich es scheint. Es tut mir Leid, ich habe unser Versprechen gebrochen. Aber ich werde versuchen, es wiedergutzumachen. Absol, wie wäre es mit ein wenig Training?“ „Absol!“
Zwei Wochen später war ich wieder auf der Titelseite des Poké-Weekly. Die Schlagzeile lautete: „Hatte sie vielleicht nur einen schlechten Tag? Noir DeLaurent hat den Titel des Champs im Handumdrehen zurückerobert.“
Darunter war ein Bild von mir und Absol. Absol stand stolz über einem ohnmächtigen Lucario, während meine schwarzen Haare in einem Pferdeschwanz zusammengebunden waren. Einem wippenden, hohen Pferdeschwanz.
Mit einem unnatürlichen Fauchen stürzte sich die wolkengraue Puppe auf ebenjene junge Frau, welche vor nicht mehr als fünf Sekunden versucht hatte, den bösen Geist zu exorzieren – ohne Erfolg, wie die hasserfüllte Attacke des Dämons bezeugte. Von rasendem Zorn geleitet, riss das besessene Wesen sein Maul unnatürlich weit auf und bombardierte die Frau, welche es gewagt hatte, seine Ruhe zu stören, mit Kugeln reinster Höllenexistenz. Diese allerdings hatte nur auf das alles verzehrende, blaue Irrlicht gewartet, und in dem Augenblicke, da der Geist erneut eine der lodernden Sphären nach ihr schicken wollte, preschte sie voran, an dem Dämon vorbei, und versiegelte seine Bewegungen, indem sie einen Bannsticker auf seinem Rücken fixierte.
„Das nächste Mal könntest du mich ruhig vorwarnen“, sagte sie, an einen Jungen gerichtet, der das Spektakel aus sicherer Entfernung – genauer: der Zimmerecke, versteckt hinter einem Bücherregal, aus dem zur besseren Sicht einige Wälzer entfernt waren – beobachtet hatte. „Dann würde ich hierfür nicht ganz so lange benötigen.“ Der Junge grinste verlegen und sie verdrehte die Augen. Wie war sie nur wieder in diese Situation gelangt?
Der Tag – ein vierzehnter Januar im Jahre 2096 – hatte so schön angefangen. Izanami Houshin, ihres Zeichens Dämonenjägerin, letzte Überlebende ihres Clans der Houshin und jüngste Vertreterin der Geister exorzierenden Zunft seit der großen Katastrophe von vor über hundert Jahren, war mit der Gewissheit aus ihren Träumen erwacht, dass dieser Tag ein ganz besonderer werden würde. Noch bevor ihr Blick in den Spiegel fiel, wusste sie bereits, dass sie erneut umwerfend aussah, mit ihren rückenlangen silberblonden Haaren, den gletscherblauen Augen, der so unschuldig wirkenden Körpergröße von einem Meter und siebenundfünfzig Zentimetern und –
„Was zur Hölle?!“ Ungläubig betrachtete Izanami das Vogelnest, welches sich über Nacht in ihren Haaren gebildet hatte und von dem sie nicht wusste, wie es dorthin hatte gelangen können. Die dunklen Ringe unter ihren Augen bestätigten allerdings ihren langsam aufkeimenden Verdacht, dass sie wieder einmal unruhig geschlafen und vermutlich allerlei unnütze Träume gehabt hatte. Wie schon viel zu oft in letzter Zeit.
„Wenn ich mich denn wenigstens an meine Träume erinnern könnte“, knurrte sie genervt, mit flinken Händen das Chaos ihrer Haare entwirrend, während sie unruhig vor dem Spiel auf und ab ging. Tatsächlich fragte sie sich schon seit langem, weswegen ihr keiner ihrer nächtlichen Ausflüge in das Traumreich im Gedächtnis blieb, zumal ihr dies als kleines Kind stets möglich gewesen war. Was war es also, das ihr die Fähigkeit nahm, sich nach dem Aufwachen an die Träume der vergangenen Nacht zu erinnern?
Vor allem aber quälte sie die Frage, was das überhaupt für Nachtmahre sein konnten, die zur Folge hatten, dass sie sich am Morgen in einem solch desolaten Zustand wiederfand.
„Ach, ist ja auch egal.“ Mit einem resignierten Seufzen verbannte Izanami die unliebsamen Gedanken in die hinterste Ecke ihres Geistes, um sich – nachdem sie das Vogelnest in ihren Haaren letzten Endes doch noch hatte bezwingen können – stattdessen jenen Dingen zu widmen, für die sie eine Erklärung hatte. Wie zum Beispiel den Nebulak, welche seit dem vergangenen Abend ein paar Häuser weiter für Unruhe sorgten und die Anwohner dort in Angst und Schrecken versetzten. Aufgewühlt und voller Furcht waren sie zu ihr, der berühmten Dämonenjägerin und Exorzistin Izanami Houshin gekommen, und sie hatte versprochen, sich gleich am Tage darauf um die Geistererscheinung zu kümmern.
Einen letzten Blick warf sie auf den zerknitterten Kalender und die Speisekammer, in der ein leckerer Schokoladenkuchen nur auf sie zu warten schien; dann griff Izanami nach einem kleinen Stoffbeutel, deren Inhalt zur Austreibung der Nebulak reichen sollte, und verließ kopfschüttelnd das Haus.
„Ein ganz besonderer Tag«, murmelte sie, während sie ein letztes Mal ihr noch immer widerspenstiges Haar betastete, »dass ich nicht lache!“
Der Dämon in Form einer harmlosen Puppe nutzte den Augenblick der Unachtsamkeit, dem Izanami sich hingab, um den Jungen scherzhaft zu rügen, und entledigte sich mithilfe des ihm zuvor noch zum Verhängnis gewordenen Irrlichtes. Schmerzhaft löste sich der bannende Gebetsstreifen von dem, was wohl als seine Haut bezeichnet werden könnte, und das besessene Wesen fauchte ärgerlich über die Probleme, die ihm diese Frau eingebracht hatte. Dafür – und für die Tatsache, dass sie so ekelerregend von sich selbst überzeugt schien – sollte sie büßen!
Sich nach den Schatten in den finsteren Zimmerecken ausbreitend, bereitete der Geist seine finale Attacke vor, nicht ahnend, dass Izanami – die nicht zu Unrecht den Titel der jüngsten Exorzistin seit der großen Katastrophe trug – nur auf seinen Angriff wartete. Während sie dem Jungen Vorbehalte gemacht hatte, war ihre Konzentration immer wieder kurz zu der besessenen Puppe geschweift, und so hatte sie natürlich gesehen, wie es sich von ihrem Bannsticker hatte lösen können. Zunächst voller Erstaunen, dass es dem Dämon gelungen war, sich ihrer Macht zu widersetzen, hatte sich rasch die endgültige Gewissheit herauskristallisiert, dass die Götter an diesem Tage wohl alles taten, um sie, Izanami Houshin, zu peinigen.
„Happy Birthday“, murmelte sie mit einem Seufzen, bevor sie herumfuhr, einen weiteren ihrer Gebetsstreifen zückte und die Finte des Shuppet in einer einzigen fließenden Bewegung verhinderte. Ein weiterer Handgriff, eine geflüsterte Bannformel, ein letzter Blick an die hölzerne Decke und durch diese hindurch geradewegs in die Gefilde der Götter – und das Geistpokémon wand sich unter den Einwirkungen des exorzierenden Papieres und der austreibenden Worte wie unter grauenvoller Pein.
„Heute ist echt nicht mein Tag.“ Izanami dachte einen Moment lang sehnsüchtig an den süßen, schokoladenen Geburtstagskuchen in ihrem Küchenschrank, dann schüttelte sie diesen Gedanken energisch ab und wandte sich ein letztes und endgültiges Mal an den Dämon.
„Irgendwie tut es mir ja fast schon leid, dass du meine ganze schlechte Laune abbekommst“, sagte sie mit einem Schulterzucken und trat auf das Shuppet zu, dessen wachsamen Augen jede einzelne ihrer Bewegungen sorgsam beobachten. Einen Atemzug lang schien so etwas wie Furcht in ihnen zu liegen, als Izanami ihre Gebetsperlen hervorholte, um mit diesen den Geist ein für alle Mal zum Teufel zu jagen – und als die junge Frau dies sah, den Bruchteil einer Sekunde lang zögerte und schließlich ihren Fehler erkannte, war es bereits zu spät.
„Königin!“ Die dämonische Puppe zuckte unter dem herrisch klingenden Tonfall zusammen und schaute schuldbewusst zu einer jungen Frau von gerade einmal achtzehn Jahren auf, die streng auf das Geistpokémon hinab starrte. Frostig blau wie kühlstes Eis blitzten ihre Augen, als sie den Blick des Shuppet erwiderte, der zwischen reuevoll und schelmisch zu changieren schien, und wenngleich viel zu spät, so versuchte es doch, die verräterische Schokoladencreme aus seinem Mundwinkel verschwinden zu lassen – ohne Erfolg.
„Sag mir nicht“, begann Izanami, die Stimme weiter erhebend und anklagend mit einem Finger auf das Geisterwesen vor ihr zeigend, „dass du es gewagt hast, meinen Geburtstagskuchen zu essen!“
Ohne Zweifel war dies eine rhetorische Frage, stand doch bereits fest – nicht zuletzt durch die zu spät entfernten Überreste der schokoladenen Umhüllung des Gebäckstückes –, wer sich an dem mit viel Liebe zubereiteten Backwerk gütlich getan hatte. Das Königin genannte Shuppet wagte es dennoch, ohne auch nur einen Anflug von Reue zu zeigen, den Kopf zu schütteln und zugleich einen vagen Blick gen Speisezimmerfenster zu werfen.
Ich habe ja noch versucht, den Tunichtgut aufzuhalten, schienen ihre so unschuldig dreinblickenden Augen sagen zu wollen, und für einen Moment erlag der Dämon der widersinnigen Hoffnung, ihre Partnerin doch noch überlistet zu haben.
„Hältst du mich ernsthaft für so bescheuert?“ Die Stimme Izanamis überschlug sich beinahe, während sie, vor Wut schnaubend, auf die Geisterpuppe zutrat, und bereits einen ihrer unheilvollen Bannsticker zückte. Bedrohlich ragte das Menschenmädchen trotz ihrer doch eher geringen Körpergröße vor dem Shuppet auf, und auch wenn ihr Haar wie so oft wild in alle Richtungen abstand – die Träume, welche sie seit nunmehr zwei Jahren heimsuchten, brachten sie inzwischen fast jede Nacht um ihren Schlaf –, wusste der Dämon namens Königin, dass mit ihr nicht zu spaßen war.
Aber sonst wäre es ja auch irgendwie langweilig. Der plötzlich aufkommende Gedanke durchzuckte das besessene Wesen wie ein Blitzschlag, und für einen Moment schienen Zeit und Raum zu verharren. Ungläubig ließ es sich das Gedachte noch einmal durch den Kopf gehen und auf der Zunge zergehen, bevor wohlig warme Erkenntnis sich in seinem Inneren breitmachte.
Wer hätte gedacht, dass du trotz deiner selbstverliebten Art so etwas wie Sympathie in mir wecken könntest, dachte das Shuppet bei sich und erinnerte sich an ihre erste Begegnung, die der momentanen Situation nicht unähnlich war. Genau ein Jahr war bereits seit jenem schicksalshaften Tage vergangen, und auch wenn sie nie genauer über ihre Beziehung zueinander nachgedacht hatte, musste sich Königin nun eingestehen, dass ihr dieses vorlaute Menschenmädchen mit der Fähigkeit, Geister auszutreiben und Dämonen zu exorzieren, inzwischen längst ans Herz gewachsen war.
Ein brennendes Ziehen riss das Geistpokémon aus seinen melancholischen Gedanken, und verwirrt betrachtete es einige Sekunden lang den Gebetsstreifen, der quer über seinem Angesicht prangte, bevor es seinen Mund zu einer frohlockenden Fratze verzerrte.
„Machst du dich etwa gerade über mich lustig?“, fauchte Izanami erbost, doch unter ihrer Maske der Empörung blitzten die gletscherblauen Augen belustigt auf. Flink griffen ihre Hände nach dem Shuppet, das auf den liebevoll gegebenen Namen Königin hörte, und schlossen es in eine warme, herzliche Umarmung.
Hach, ist das alles kompliziert, dachte sich Kalli. Bis hier war es ja recht einfach gewesen den Fragebogen auszufüllen, den ihm die Octillery-Datingagentur zugeschickt hatte. Vieles konnte man mit Ja oder Nein beantworten oder mit einer eindeutigen Antwort. Dazu gehörten natürlich Fragen nach dem Alter, in seinem Fall acht Jahre, dem Gewicht, bei dem Kalli 47,9 Kilogramm eintrug, obwohl es nach dem letzten Wiegen irgendwo knapp über fünfzig gelegen hatte, aber wem sollte so etwas schon auffallen? Dafür gab er bei der Größe statt der tatsächlichen 89 Zentimeter 101 an, das hörte sich sehr gut an, und hey, mogelte nicht jeder ein bisschen? Nicht mogeln hingegen konnte er bei der Frage nach dem Shiny-Status. Aber bitteschön, wer erwartete denn ernsthaft, dass ein shiny Pokémon die Hilfe einer Datingagentur in Anspruch nahm? Solche Octillery konnten doch an jedem Tentakel zehn Ladys haben. Jedenfalls hatte Kalli alles nach bestem Wissen und Gewissen ausgefüllt. Anhand dieser Liste würden sie ihm dann eine Partnerin heraussuchen, die möglichst viele Übereinstimmungen mit ihm aufwies.
Nun aber fehlte eben noch ein selbst verfasster Text, in dem man frei zu Papier bringen sollte, wie man sich das erste Treffen vorstellte. Dies würden die jeweiligen potentiellen Partner dann vorab zu lesen bekommen. Oh Gott, oh Gott, damit konnte man alles versauen. Aber es nützt wohl nichts, also auf geht’s:
Hallo liebe Unbekannte,
Wenn du das liest, dann passen wir laut unserer Fragebögen wohl ganz gut zusammen. Also, warum sollten wir uns dann nicht einmal treffen? Vielleicht könnte ich dir meinen Lieblingsplatz in der Ondula-Bucht zeigen und wir sehen uns gemeinsam den Sonnenuntergang an, der dort besonders romantisch ist. Wer weiß, vielleicht entdecken wir jeder ein Liebiskus, das wir uns gegenseitig schenken können. Aber vielleicht magst du auch lieber das Abenteuer und wir unternehmen einen Ausflung zur Kuh-Muh-Farm. Ich bin durchaus ein Pokémon, mit dem man Ponitas stehlen kann, wenn du verstehst, was ich meine.
Davon, dass wir einen unvergesslichen Tag verbringen werden, bin ich jedenfalls überzeugt. Wie es dann weiter geht, steht natürlich noch in den Starmies, aber man kann ja nie wissen, ob das Schicksal vielleicht gerade uns zwei füreinander bestimmt hat.
In hoffnungsvoller Erwartung.
Kalli
Sollte er das wirklich so lassen oder lieber noch mal eine Nacht darüber schlafen? Irgendwie klang das doch alles ziemlich schmalzig und vielleicht sogar ein bisschen abschreckend. Was solls, dachte Kalli. Augen zu und durch, so kann es ja schließlich auch nicht weitergehen. Wenn es nur an diesem Text scheitert, dann ist sie sowieso nicht die Richtige, schließlich kommt es doch sowieso auf den Charakter an (sagte jedenfalls jeder). Also rein damit in den Umschlag und ab damit. Der Rest war jetzt nur noch warten und hoffen.
Herbstenau, den 21.3.2018
Sehr geehrte Damen und Herren,
mein Name ist Minami Himaneru und ich würde mich gern als Pokémon-Ranger in Fiore bewerben.
Oh Mann, und jetzt sitze ich hier nur und habe keine Ahnung, wie ich das weiterführen soll ... Ich kann das doch nicht einfach so abschicken! Arceus, wo habe ich mich da nur reingeritten? Hm, was schreibt man denn in so einem Fall ...
Schon als Kind habe ich Pokémon geliebt
Nein, so nicht, das ist zu kindisch und standardmäßig, als fällt mir nichts anderes ein. Denk nach, Minami, denk nach ... Allgemeine Informationen! Allgemeine Informationen sind immer gut!
Ich wurde am 21. März 2002 in Herbstenau geboren, bin also genau heute 16 Jahre alt geworden. Ich schreibe das hier an meinem Geburtstag, weil es ein Meilensteil in meinem Leben sein soll
Um Himmels Willen, das klingt als wüsste ich schon, dass ich angenommen werde. Lieber nicht! Also nochmal ...
Ich schreibe das hier an meinem Geburtstag, weil ich zeigen möchte, dass mir Pokémon genauso wichtig sind wie ich selbst. Als normales Mädchen aus Herbstenau kam es für mich nie infrage, Trainerin zu werden, da mir vor allem die Fiore-Region sehr am Herzen liegt
Hä? Bitte was? Das stimmt zwar, aber wie klingt das? Naja, besser krieg ich das eh nicht formuliert.
und ich, um als Trainerin Erfolg zu haben, hier wegreisen müsste. Tatsächlich finde ich aber die Arbeit der Ranger hier unglaublich interessant und beeindruckend, wie sie den Pokémon und Menschen Tag für Tag helfen und in Fiore für Recht und Ordnung sorgen.
Abgesehen davon haben sie coole Outfits ... Aber das sollte ich besser nicht reinschreiben.
Mir ist durchaus bewusst, dass ihre Arbeit nicht immer einfach ist, aber das schreckt mich nicht ab. Ich habe schon immer mit Pokémon gelebt und bin bereit, für sie einige Opfer zu bringen. Das Fukano, das mich seit meiner Kindheit begleitet, und ich helfen immer wieder Anderen – auch, weil die Ranger und ihre Partner ein Vorbild für uns sind, dem wir nacheifern.
Wow, das klingt tatsächlich nach etwas! ... Ich fühl mich echt schlecht, dass ich so etwas denke, während ich das schreibe. Als würde ich hier Sachen erfinden, aber es stimmt ja, was ich in den Brief schreibe ... Leider habe ich jetzt auch schon keine Ahnung mehr, was ich hier noch sagen soll. Ohne mich zu wiederholen, versteht sich. Äh ... Ihre Arbeit!
Was mich an der Arbeit der Ranger so anzieht, ist, dass man wirklich etwas leisten kann und nicht einfach nur von außen zusieht. Das hat mich bis jetzt immer gestört, an der Seite zu stehen und nur kleine Beiträge leisten kann, es ist zwar zumindest irgendetwas, ein Tropfen im Ozean, aber ich will kein Tropfen sein. Ich will eine Welle sein, die das Böse und Schlechte wegwäscht.
Vielleicht ist das egoistisch von mir. Vielleicht sollte ich mich damit zufriedengeben, was jetzt ist. Dann ist das eben so. Daran kann ich nichts ändern, glaube ich, es liegt einfach in meiner Art, etwas tun zu wollen.
Okay, das kam jetzt irgendwie zu mir ... Sobald ich mich einmal in Rage geschrieben habe, puh, es klingt ganz anders als mein holpriger Anfang. Wie war das? Aller Anfang ist schwer?
Jetzt habe ich aber wirklich keine Ideen mehr. Die Beispiele im Internet geben auch nicht mehr Inhalt her ... Naja, man soll’s beenden, wenn’s am schönsten ist, nicht?
Deshalb wäre ich wirklich froh dankbar glücklich
Aaaach!
dankbar, würden Sie mich als Ranger-Schülerin aufnehmen oder mich zumindest beweisen lassen, dass ich geeignet bin
Äh, nein. Das klingt viel zu arrogant.
einladen, damit Sie selbst einschätzen können, ob ich geeignet dazu bin, als Ranger aktiv zu werden. Zumindest würde ich mich über eine Rückmeldung freuen.
Mit freundlichen Grüßen,
Minami Himaneru
Ach, super. Und das jetzt noch abschicken ...
Oh Arceus.
Als Alina Devor die Klinke ihres Behandlungszimmers hinunter drückte und die Tür sanft aufschob, strahlte ihr Gesicht eine gelassene Freundlichkeit aus, die in ihrem Beruf auch gerne mit Professionalität gleichgesetzt wurde. Souveränität stand in diesem Moment an erster Stelle.
Denn auf der schwarzen Couch an der Wand saß keiner ihrer üblichen Patient, niemand der unter dem Burnout-Syndrom, Verlustängsten oder Trennungsschmerz litt. Zumindest laut den ersten Informationen, die man ihr zur Verfügung gestellt hatte, nicht. Möglicherweise war er doch einer von vielen.
Immerhin sah er gänzlich anders aus, als sie erwartet hatte. Alina hatte mit einem dürren Burschen gerechnet, mit tiefen Augenringen, eingefallenen Wangen und einem Blick, aus dem nur Müdigkeit oder Wut spricht. Doch der junge Mann war hübsch und wirkte kerngesund. Er schien Anfang Zwanzig zu sein, obwohl er auf dem Papier ein paar unbedeutende Jahre älter war. Sein gepflegtes, rotes Haar glänzte im Licht der Sonnenstrahlen, die durch die Fensterscheibe traten und seine grünen Augen betrachteten sie interessiert, aber nicht feindselig.
»Hallo, Doktor«, kam er ihrer Begrüßung zuvor. »Sie sind doch der Doktor, oder?«
Das war nicht gerade der perfekte Anfang, wie er in einem Lehrbuch beschrieben wurde. Sie hätte ihn zuerst begrüßen sollen. Dennoch ließ Alina sich diesen kleinen Fauxpas ihrerseits nicht anmerken und reichte ihrem Patienten die Hand.
»Guten Tag, Herr Gehlen«, Ein kurzes Händeschütteln. Sein Griff war fest, aber nicht dominant. »Soll ich Sie weiterhin Siezen oder möchten wir direkt zum Du übergehen?«
Da Alina in diesem offiziellen Fall nur wenig Zeit hatte, um eine vorläufige Diagnose zu stellen, wäre der schnelle Aufbau einer freundschaftlichen Vertrauensbasis wohl äußerst förderlich. Doch der junge Mann winkte nur ab, offensichtlich tatsächlich vollkommen gleichgültig.
»Nennen Sie mich, wie sie wollen, Doktor. Ich werde mich wohl kaum beleidigt fühlen.«
Alina nickte und warf, während sie sich auf einem Stuhl gegenüber dem Sofa niederließ, einen verstohlenen Blick auf seine Akte, die in ihrer Hand ruhte. Xaver Gehlen. Sie machte sich eine kurze Notiz, betreffend seiner Gelassen -, und Freundlichkeit.
»Zuvor möchte ich, dass du weißt, dass ich dich in keiner Weise verurteile, Xaver«, sagte sie mit beruhigender Stimme. »Vielleicht möchtest du mir erst einmal ein wenig über dich erzählen?«
Xaver schlug die Beine übereinander und veränderte seine Sitzposition ein wenig. Offensichtlich, um es sich gemütlicher zu machen. Möglicherweise war er doch nervös?
»Wissen Sie«, er beugte sich etwas nach vorne und faltete die Hände ineinander, »ich denke ich weiß, was Sie eigentlich wissen wollen. Sie möchten doch verstehen, warum ich diese beiden Männer getötet habe, nicht wahr?«
Alina blickte ihm in die schlauen Augen und entsann sich plötzlich wieder der Worte ihres alten Professors, der an einer Universität gelehrt hatte. Ein wirklich gefährlicher Mensch wirke meist sehr viel normaler und intelligenter, als es wünschenswert sei.
»Wenn du möchtest, kannst du mir auch zunächst davon erzählen«, antwortete sie freundlich, wenn auch ein wenig zu spät.
Seine Mimik veränderte sich kurz, wirkte fast ein wenig traurig, als er zum Sprechen ansetzte.
»Ich verstehe ehrlich gesagt nicht wirklich, warum meine Tat so schwierig nachvollziehbar zu sein scheint. Hat man Ihnen erzählt, was vorgefallen ist, Doktor?«
Alina nickte.
»Du hast zwei Wilddiebe ermordet, als sie die Schale eines Cerapendra gewaltsam entfernen wollten.«
»Mit zwei gezielten Messerstichen, wohl gemerkt. Sie hätten eine schmerzvollere Prozedur verdient«, er zuckte mit den Schultern, »Normalerweise handle ich getreu dem Motto “Ein Leben für ein Leben“. Aber in diesem Fall konnte ich wohl davon ausgehen, dass die beiden schon mehreren Käfern dergleichen angetan hatten.«
Er schien sich über das Ausmaß seiner Tat überhaupt nicht im Klaren zu sein. Der gesunde Menschenverstand war ihm wohl schon seit längerer Zeit entglitten. Dennoch entschloss sich Alina dazu, Xaver das Gefühl zu geben, zumindest ein Stück weit auf seiner Seite zu sein.
»Deine Wut war verständlich. Was sie dem Pokémon antun wollten war grausam. Aber du hättest doch die Polizei zur Hilfe rufen können. Die beiden hätten eine angemessene Strafe bekommen. Sie …«
»Haben eine angemessene Strafe bekommen«, unterbrach er sie scharf. »Wissen Sie, wie viele Wilddiebe in diesem Wald auf Käferjagd gehen, Doktor?«
Alina ließ sich von seiner Unterbrechung nicht beeindrucken. Genau auf solche Situationen hatte sie sich jahrelang vorbereitet.
»Manche Teile des Körpers eines seltenen Käferpokémon sind sehr viel Geld wert. Das Problem ist auch den Behörden bewusst, Xaver«, verständnisvoll senkte sie ihre Stimme. »Ich weiß, dass dir die Pokémon am Herzen liegen. Immerhin studierst du sie seit vielen Jahren, nicht wahr?«
Sein plötzliches, schrilles Lachen erschrak Alina. Unwillkürlich glitt ihre Hand unter den Sitz, wo sich ein kaum bemerkbarer Alarmknopf befand.
»Sie studieren?« keuchte Xaver, sein Lachen unterdrückend, »Nein, nein, ich studiere sie nicht. Ich lebe mit ihnen. Ich will nicht herausfinden, wie ihr Leben abläuft. Ich weiß, wie es abläuft.«
Alina schielte auf seine Akte. Ihr war gesagt worden, dass dieser junge Mann stets all seine Kraft in die Erforschung von Käferpokémon gesteckt hatte. Das war ihr nachvollziehbar erschienen. Was er ihr nun erzählte, war unglaubwürdig. Es war eine Geschichte aus einem Kinderbuch, das er vermutlich einst gelesen hatte und nun mit seinem eigenen Leben vermischte.
»Xaver«, Alina legte seine Akte zu Boden um ihm zu signalisieren, dass sie sich gänzlich auf ihn konzentrierte. »Sicher bist du oft im Wald, um die Pokémon zu sehen. Aber trotzdem triffst du dich doch mit Freunden, isst mit deiner Familie, schläfst in deinem Bett. Deshalb musst du dich nicht schlecht fühlen. Jeder Mensch braucht das.«
Xavers grüne Augen funkelten sie giftig an. Sie konnte regelrecht beobachten, wie die Wut in seinem Inneren zu brodeln begann, wenngleich seine Stimme nur wenig davon offenbarte.
»Sie haben Recht, Doktor. Ich habe eine Familie und ich treffe mich mit Freunden. Nur ist beides für mich das Gleiche. Ich esse mit ihnen zusammen und ich schlafe in meinem Bett. Leider entspricht all dies aber wohl kaum Ihren Idealvorstellungen«, er atmete tief ein, als nerve ihn ihre Unterhaltung. »Ich habe mir inmitten dieses von den Menschen so gefürchteten Waldes ein Zuhause aufgebaut. Dort lebe ich. Zugegebenermaßen vernachlässige ich den Kontakt zu meinen Artgenossen wohl ein wenig. Aber das heißt nicht, dass ich einsam bin, falls Sie das notieren möchten, Doktor. Steht das denn nicht in Ihrer Akte?«
Nun machte sich doch etwas Verunsicherung in Alina breit. Den Gerüchten befragter Dorfbewohner hatte sie kaum Beachtung geschenkt. Für sie zählten immer nur die Fakten. Jede Krankheit lief nach Schema F ab, auch wenn dies nicht immer auf den ersten Blick ersichtlich sein mochte. Oder irrte sie mit dieser Vorstellung?
Sie versuchte, das Gespräch in eine andere Bahn zu lenken.
»Manche Leute nennen dich den König der Käferpokémon. Würdest du dem zustimmen?«
Xaver antwortete nicht direkt. Gedankenverloren blickte er aus dem Fenster und fuhr sich durch das Haar.
»Ich will Ihnen sagen, was ich denke, Doktor«, sagte er schließlich mit leiser, aber ernster Stimme. »Sagen Sie mir nur zuerst, ob es überhaupt irgendeinen Unterschied macht. Ich werde so oder so eingesperrt, nicht wahr? Es geht Ihnen doch nur darum herauszufinden, wo ich besser untergebracht bin.«
Einen Augenblick zu lang dachte die Psychologin darüber nach, wie sie ihrem Patient auf diese Frage am besten antworten sollte. Für einen wachen Geist konnte eine Sekunde Schweigen bereits die ehrlichste Antwort sein. Xaver hatte längst durchschaut, dass nichts, was er sagen würde, ihm seine Freiheit zurück geben konnte.
Das er lächelnd aufstand, obwohl er sich seiner prekären Situation bewusst war, konnte kaum ein gutes Zeichen sein. Alina tastete ein weiteres Mal nach dem Alarmknopf.
»Wissen Sie, warum ich Käferpokémon den Menschen vorziehe, Doktor?« fragte er und fuhr fort, ohne eine Antwort abzuwarten. »Sie überschätzen sich nicht. Sie wissen, wie gefährlich ihre Gegner sind und das ihr Leben immerzu auf Messers Schneide steht.
Man hat mich auf Waffen und Pokébälle untersucht, weil die Menschen denken, dass nur ein Mensch ihnen gefährlich werden kann. Weil die meisten Menschen der Meinung sind, ein Pokémon könnte keine eigenen Entscheidungen treffen.«
Plötzlich spürte Alina, wie etwas Kaltes und Hartes ihr Bein streifte. Entsetzt starrte die Psychologin auf ein nur dreißig Zentimeter großes Pokémon, das dennoch in der Lage sein konnte, selbst ein mächtiges Trikephalo zu Fall zu bringen. Augenblicklich betätigte sie den Alarmknopf. Ein schrilles Heulen ertönte. Dem Fermicula schien dies allerdings nichts auszumachen. Panisch fuhr Alinas Blick zu Xaver.
»Keine Sorge, Doktor«, beschwichtigte er sie. »Ich tue niemandem etwas, der nichts verbrochen hat. Ich weiß zwar nicht genau, wie es mit Fermicula steht, aber ich denke, dass es ihm vermutlich ebenso ergeht. Sie wissen doch, wie das ist. Einen guten Freund lässt man nur ungern allein. Man hat ihn lieber in seiner Nähe.«
Der Alarm schrillte weiter. Schwere, hastige Schritte erklangen auf dem Gang.
Alina nahm sie kaum wahr. Zitternd blickte sie zu dem Fermicula und bemerkte dabei zu spät, dass Xaver das Fenster geöffnet hatte. Ein Schwall warmer Sommerluft suchte sich zusammen mit einem groß gewachsenen Ramoth seinen Weg in das Zimmer.
»Hier haben Sie ihre Antwort, Doktor«, rief der junge Mann ihr zu, während er auf den Rücken des fast schon legendären Käferpokémon kletterte. »Ich bin nicht der König der Käferpokémon. Sie brauchen keinen König.«
Fandom: Werewolf: The Apocalpyse (Pen&Paper-RPG)
Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Jay. Jay Blackwood.
Ich bin nicht der, für den mich die Menschen halten. Meine Existenz bleibt stets im Verborgenen, denn wenn die Wahrheit ans Licht käme, würde es mich und sehr viele andere in Gefahr bringen. Neugierig geworden? Ich erzähle euch später mehr.
Ich bin Indianer. Zumindest zur Hälfte. Meine Mutter ist eine Cheyenne. Meinen „Erzeuger“ kenne ich nur von einem Foto. Ich weiß nur, dass er ein englischer Edelmann ist und meiner Mutter den Kopf verdreht hat. Neun Monate später bin ich aus diesem Vergnügen herausgekommen.
Der Fluch meines Vaters spiegelt sich in meiner Hautfarbe wieder; ich bin weder weiß noch dunkelhäutig, eher eine Mischung aus beidem. Außerdem falle ich in einer Gruppe von nahezu schwarzhaarigen Menschen durch meine kurzen, blonden Haare und die blauen Augen auf. Daher muss ich leider oft die Anfeindungen anderer Indianer ertragen, die daraus meine Abstammung erkennen.
Aber schnell haben sie meine Fähigkeiten erkannt, denn ich bin 1.90 m groß, schlank, aber kräftig gebaut – und das macht mich zu einem unentbehrlichen Krieger.
Doch da ist noch etwas anderes, was niemals jemand erfahren darf. Man würde uns jagen, für die Forschung missbrauchen oder aus Angst töten. Die Menschen nennen uns in ihren Sagen „Ghostwalker“.
Wie meine Mutter bin ich ein Gestaltwandler, dem Stamm der Pumonca zugehörig, den Werpumas. Vor vielen Jahrhunderten lebten wir noch mit den Cheyenne zusammen, aber die Pumonca zog es irgendwann in die Abgeschiedenheit, fern von den Menschen.
Doch seit dem Krieg des Zorns verging selbst der Zusammenhalt unseres Stammes. Seither sind wir rastlose Wanderer, nirgends heimisch und immer auf Reisen, jeder auf sich selbst gestellt. Die Wildnis ist inzwischen mein zu Hause geworden. Denn Gaia hat uns aufgetragen, stets von Ort zu Ort zu streifen.
Wie alle Bastet bin ich in der Lage, zwischen fünf Gestalten zu wechseln. In den Begrifflichkeiten meines Volkes heißen diese Homid, unsere menschenähnliche Gestalt; Sokto, eine Form zwischen Tier und Mensch (eher nervig, weil die Klamotten zu klein werden); Felis, unsere gewöhnliche Tiergestalt – in meinem Fall die eines Pumas -, Chatro, die Form eines Säbelzahntigers – pardon, Säbelzahnpumas -, und Crinos, ein riesiger, zweibeiniger Puma. In meiner Crinosgestalt wachse ich knappe zwei Meter in die Höhe, dennoch behalte ich meine Geschmeidigkeit bei.
Pure Muskelmasse, mächtige Stoßzähne und ungezähmte Wildheit, das sind dagegen die Merkmale der Chatroform –und ein wahrer Albtraum. Was ich an Geschmeidigkeit verliere, mache ich mit meiner neu gewonnenen Kraft wieder wett.
Allerdings wirken Werpumas zu anderen Bastet eher klein. Ich bin einer Leopardin begegnet, die in ihrer Crinosgestalt rund drei Meter groß war.
Menschen, die uns in Chatro oder Crinos – unseren Kriegsgestalten -, sehen, drehen total durch und vergessen meist, was überhaupt Sache war. Aber wir lassen uns niemals – NIEMALS – verwandelt sehen. Denn wir haben nur so lange überlebt, weil wir so verdammt gut darin sind, unsere Existenz nicht an die große Glocke zu hängen.
Jedoch haben all diese Formen etwas gemeinsam: Mein Fell ist in einem ungewöhnlich hellen Goldbraun gehalten, die Augen blau wie in meiner menschlichen Gestalt. Ansonsten unterscheidet sich meine Pumagestalt nicht von den herkömmlichen Berglöwen Amerikas. Vielleicht bin ich etwas größer und schwerer, aber wen kümmert’s? Wenn ein Mensch mich sieht, laufen diese gewöhnlich vor mir weg anstatt ihr Messband rauszuholen.
Die anderen Formen… Nun ja, ich musste auf schmerzliche Art lernen, sie zu beherrschen.
Doch nun mehr zu meiner Person. Meine Mum traf meinen Vater im November 1994, als er auf der Durchreise war. Sie muss sehr vernarrt in ihn gewesen sein, aber viel erzählte sie nicht. Nur das ich sein gutes Aussehen geerbt hätte, aber ich weiß nicht, ob ich das als Kompliment oder Beleidigung auffassen soll.
Im Juli des nächsten Jahres wurde ich geboren. Bastet und andere Werwesen kommen entweder in Tier- oder Menschenform zur Welt. Ich bin ein Felis; ich wurde als Puma geboren.
Von meinem werten Herrn, der sich „Vater“ schimpft“, natürlich keine Spur. Nach wenigen Monaten hatte er Amerika wieder verlassen. Damals hat meine Mutter oft geweint, aber ich habe sie immer um ihre Stärke bewundert.
Und trotz der widrigen Umstände habe ich meine Kindheit wie jedes andere Kind verbracht. Denn wir Indianer leben nicht mehr so wie es in den Köpfen der meisten Menschen verankert ist. Seit die Weißen uns mehr und mehr vertrieben haben, leben wir nun in Reservaten und haben fließend Wasser und Strom. Jedenfalls jene Stammesangehörigen, die nicht den Puma in sich verborgen halten müssen. Doch Mutter wollte, dass ich unter Menschen aufwachse und eine normale Kindheit erfahre. Wir spielten ein gefährliches Versteckspiel, ich weiß.
Und was soll ich dazu schon sagen? Ich hatte Interessen wie jedes Menschenkind. Fußball, Autos, Mädels ärgern und Videospiele. Besonders Pokémon habe ich sehr gemocht. Ich habe es geliebt, meine Pokémon zu trainieren und gegen andere zu kämpfen.
Irgendwann ist die schöne Kindheit mal vorbei. Der Ruf der Wildnis wurde zu stark und mit ihm der Puna in mir. Dadurch waren wir gezwungen, unser „Heim“ zu verlassen und kehrten zu den versprengten Pumonca zurück.
Wir kehrten in die Wildnis zurück und trafen einige Pumonca, die als Nomaden gelebt hatten. Auch wenn wir nur ein loser Verband waren, ohne eine festgelegte Rangfolge, respektierten sie Mutter als wäre sie eine Ilani, eine Bastet vierten Ranges (ein hoher Rang bei uns). Manchmal schlossen sich uns noch andere Pumonca, andere verließen uns.
An einem Ort verweilten wir nicht besonders lange. Ich gewöhnte mich sehr rasch an das raue Leben. Die Wildnis war meine vertraute Zuflucht, aber ich war jung, kräftig und außerdem ein geschickter Jäger. All das lernte ich von meiner Mutter. Sie war sehr stolz mich. Sie war besonders darauf bedacht, dass vor allem körperlich starke und kräftige Bastet unserer Gruppe angehörten, die das Rudel vor Eindringlichen schützen konnten.
Schließlich häuften sich mehr und mehr die Gerüchte, dass die Werwölfe aggressiver den Bastet gegenüber wurden und Einzelgänger angriffen. Dazu sollte man wissen, dass das Volk der Bastet und der Garou seit Jahrhunderten verfeindet sind.
Unsere fähigsten Krieger, darunter auch meine Mutter, waren auf der Jagd gewesen, als sie unser Lager überfallen hatten. Viele wurden getötet, ich habe erbittert gekämpft, aber es wäre beinahe vorbei mit mir gewesen, wenn nicht sie aufgetaucht wäre. Die Leopardin, die ich zuvor schon erwähnt habe. Und sie war nicht allein gewesen. Es waren zwei Balam – Werjaguare – und ein Werfuchs bei ihr. Aber ich hatte nur Augen für die Frau. Sie wütete mit solcher Kraft und Präzision; ihren Klauen und Dolchen entwischte kein Wolf. Sie war – oder ist – beängstigend, die ihren Körper meisterhaft beherrschte. Gerade das macht sie zu einer gefürchteten Assassine.
Jedenfalls kenne ich ihren wahren Namen nicht. Sie hat sich mir nur als „Letzter-Schatten“ vorgestellt. Dummerweise habe ich den Fehler begangen, sie zu fragen, ob es ihr Bastet-Name war. „Natürlich, du Idiot“, hatte sie nur gefaucht. Seitdem ist „Idiot“ oder „Blödkatze“ ihr liebster Spitzname für mich… Generell scheint sie meine „Happy-Go-Lucky“-Art nicht auszustehen.
Die Fremden hatten die Angreifer vertrieben, nur einem glückte die Flucht nicht. Letzter-Schatten hatte ihm die Beine gebrochen und quetschte aus ihm die nötigen Informationen raus. Wohl eher folterte sie ihn, aber nun ja…
Jemand hatte uns an die Menschen verraten. Die Garou glauben, die Pumonca wären so dumm gewesen (mal davon abgesehen, dass wir uns selbst das Messer ins Fleisch rammen würden – diese dummen Flohpelze!). Nur einen Namen hatten wir, der uns quer durch die USA führte. Ich verließ die vertrauten Berge der Rocky Mountains – und landete mit Letzter-Schatten und ihren Gefährten in New York City.
Und wofür? Für gar nichts! Alles, was wir vorfanden, war nur ein Rudel Garou, welche uns schon sehnsüchtig erwartet hatten.
Wir schlugen uns tapfer, aber es waren einfach zu viele. Durch eine kleine Unaufmerksamkeit wurde ich von den anderen getrennt. Jemand hatte mich niedergeschlagen und weggeschleppt. Später wachte ich in einem dunklen Raum auf und spürte die Präsenz einer anderen Person.
Von meinem Vater. Und noch dazu war er ein Werwolf. Da kann ich von Glück sagen, dass ich mehr von meiner Mutter als von meinem Vater habe. Welch ironische Vorstellung, wenn ich als Wolf geboren wäre, mitten in einem Stamm von Werkatzen. Nur schätze ich, dass die Realität nicht ganz so lustig gewesen wäre.
Dennoch, all die Mühen durchgestanden, weil er es wollte. Die alten Fehler wiedergutmachen, sagt er. Pah! Wegen diesen „Fehler“ war Mutter jahrelang unglücklich und ich bin ohne Vater aufgewachsen!
Wenigstens wusste er mehr über den vermeintlichen Überläufer. Auch wenn wir unterschiedliche Ideale hatten, hatten wir doch das gleiche Ziel: Den Verräter finden und töten.
Nur hatte ich keine Ahnung, was die Suche nach dem Phantom zwischen uns zutage bringen würde. Ich habe mir immer einen Vater gewünscht, niemals aber hätte ich gedacht, dass ich diesem Mann, nach allem, was zwischen uns stand, so nah sein könnte. Die Wut ist immer noch da, aber ich merke, wie er von Mutter spricht, dass er sie wirklich geliebt hat – oder es noch immer tut.
Möglicherweise kann ich irgendwann meinen Groll vergessen. Nun heißt es erstmal: Verräter töten! Vielleicht wird diese Aufgabe uns näher bringen?
(Angelique)
Ein heller Sonnenstrahl der warmen Sommersonne kitzelte meine Augenlider, welche ich kurz zuvor geschlossen hatte. Nur einen Moment lang hatte ich versucht meinen Geist aus dem Hier und Jetzt zu führen. Einen Moment lang hatte ich versucht zu träumen. Es misslang. Denn kaum hatte ich meine rostbraunen Augen geöffnet, fiel mein Blick auf die leere Schlafstelle mir gegenüber. Den Platz, der bis vor Kurzem noch mit meinen zwei besten Freunden Stephen und Ann besetzt war und die mich verlassen hatten - womöglich für immer. Ich wünschte, ich könnte behaupten, es sei nicht meine Schuld, doch dann müsste ich mich selbst belügen. Denn war ich wirklich ehrlich zu mir selbst, so wusste ich, dass es nur meiner Schwäche zuzuschreiben war, dass sie fort waren.
Schon seit ich ein kleines Mädchen war, war ich ein schwacher Mensch. Ja, ich war der Überzeugung einen schwachen Charakter zu haben. Womöglich traf es das Wort "feige" noch eher. Oft versicherten mir meine Freunde zwar, dass diese Unsicherheit meinerseits nur in meiner Einbildung Begründung fand, doch das lag daran, dass ich ihnen nur einen kleinen Einblick in mein Innerstes gewährte. Denn eigentlich war ich wie die Natur. Ich hatte viele Seiten, viele Masken, die meinen Kern schützten und mich davor bewahrten, zusammenzubrechen und in tausend Teile zu zerfallen. In meinem Inneren war ich zerbrechlich und sprühte vor Angst. Angst, die ihren Ursprung in meiner Kindheit fand.
Nie hatte mich jemand geliebt, wenn ich ihnen einen Einblick in mein wahres Ich geschenkt hatte, nie hatte ich Beachtung gefunden, wenn ich versucht hatte mir selbst treu zu sein, mich nicht zu verstellen. Gegenteiliges war der Fall. Ich hatte Verachtung geerntet, Hohn, Spott, Gelächter und Hass. Jahrelanges Mobbing hatten meine Seele geprägt und diese mit Rissen und Narben befleckt. Ich erinnerte mich an etliche Nächte, in denen ich im Schutz der Nacht meinen Tränen freien Lauf gelassen hatte und wie mein Kissen am nächsten Morgen voll Tränen getränkt war. Ich wollte nur einen Augenblick lächeln können, nur einem mein wahres Ich zeigen dürfen, doch es gab keinen. Keinen, der mich nicht mit Verachtung in den Augen angesehen hätte. Denn Eltern hatte ich keine - hatte ich nie gehabt. Mein Vater war vor meiner Geburt aufgebrochen, um Pokemonmeister zu werden und meine Mutter war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Ich war zu jung, um mich an sie zu erinnern. Vielleicht hatte ich schon damals eine Maske erschaffen, um mich zu schützen, vor dem Schmerz, den ich noch nicht kennen konnte.
Schon früh hatte ich gelernt, dass mich niemand lieben konnte, dass ich nicht liebenswürdig war. Wieso sollte es auch so sein? Wieso sollte mich jemand mögen? Welche meiner Eigenschaften war es denn, die mich so attraktiv machte? Meine angeblichen Stärken? Dass ich akzeptabel singen konnte, dass ich Tiere liebte, dass ich schüchtern war, dass ich Höhenangst hatte, dass ich nicht schwimmen konnte, dass ich eine schiefe, krumme Nase besaß, die durch meine kleinen rauen Lippen nur betont wurde? Oder war es doch mein ästhetischer Körper, der sich durch meine geringe Körpergröße, meine fetten Arme als auch Schenkel sowie meine rundlichen Wangen auszeichnete? Oh oder es war mein wundervolles, langes, schwarzes Haar, womit mir täglich der Look eines Gammlers gelang, da, egal wie sehr ich es wusch, wie sehr ich es mit Shampoos oder Spülungen vollstopfte, dennoch immer ungepflegt aussah. Ja, ich musste schon sagen, ich wies etliche fantastische Eigenschaften auf, die mich zu einer perfekten festen Freundin machen würden. Natürlich wahren das womöglich nur Äußerlichkeiten und doch fühlte ich mich mit meinen 16 Jahren erbärmlich. Was hatte ich erreicht, seit ich zu meiner Pokemonreise aufgebrochen war? Was wollte ich überhaupt erreichen? Ich wusste es nicht. Ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte.
Seit jeher waren meine zwei Freunde die einzigen Lichtblicke in meinem Leben gewesen, die mir Kraft gegeben hatten, der Finsternis zu entfliehen und den Tag so zu nehmen, wie er war. Sie waren mir beide so nahe wie sonst keiner. Sie kannten meine tiefsten und dunkelsten Geheimnisse, alle meine Erlebnisse, meine Gedanken, meine Gefühle. Wir hatten die wildesten Abenteuer erlebt, uns immer zur Seite gestanden, in guten wie in schlechten Zeiten und ich hatte gehofft, dass es vielleicht ewig so hätte weiter gehen können. Eine Freundschaft, die fähig war alles zu überstehen, da sie bereits so gut wie alles durchgemacht und erlebt hatte. Doch ich sollte irren. Denn mit dem Alter wich auch die Unschuld aus unserer Freundschaft und die brüderlichen Gefühle, die uns drei verbanden entwickelten sich weiter und erklommen die nächste Stufe. Eine Stufe, auf der drei einer zu viel waren. Und nun waren sie fort, weil ich nicht fähig war zu wählen - mich zu entscheiden.
Doch ich war nicht bereit, auch nur einen der beiden gehen zu lassen. Ich wollte nicht darüber nachdenken, was sein konnte, nicht überlegen, was sein würde. Wieso mussten Dinge sich verändern? Wieso mussten Kinder erwachsen werden? Konnten wir nicht alle die Welt weiter durch Kinderaugen sehen? Waren nicht die Augen eines Kindes die unschuldigsten und reinsten? Konnte mein Zukunftswunsch nicht lauten, wieder Kind sein zu dürfen? Natürlich spürte auch ich, dass mein Geist langsam Wege einschlug, die mir eine Rückkehr zur Kindheit verwehrten, dass ich Gefühle entwickelte, die tief waren, die intensiv waren ... und doch ... ich wusste sie nicht zuzuordnen. Ich wusste sie nicht zu benennen. Denn als mich meine beiden Freunde fragten, ob und was für Gefühle ich nun für sie hegen würde und ob es eine Zukunft für zwei von uns gäbe, so wusste ich darauf keine Antwort. Wie sollte ich ihnen auch antworten können, wenn ich selbst die Antwort nicht kannte. Ich wusste nicht, was ich fühlte, wenn ich in die ozeanblauen Augen von Ann und in die jadegrünen Augen von Stephen sah. War es Liebe, die meinen Körper durchströmte? Ja, ich liebe beide, aber auf welche Weise? War es wirklich diese Liebe wie in Filmen, wie in Shippings oder wie in Büchern? Wollte ich Hand in Hand mit einem der beiden in den Sonnenuntergang laufen? Wollte ich sie mit den Augen ausziehen, bevor wir uns in einem innigen Kuss verloren? Oder wollte ich nur gehalten werden, ewig, bis der Tod mir die Entscheidung abnahm?
Wer war ich eigentlich? Eine Frage, die ich mir schon lange stellen hätte sollen, eine Frage, deren Antwort ich nicht wissen wollte. Denn egal wer ich war, führte das nicht nur wieder dazu, dass ich eine neue Maske erschuf, in eine neue Rolle schlüpfte? Hatte ich überhaupt eine Möglichkeit, je ich selbst zu sein? Einerseits wollte ich schreien, schreien bis mir die Stimme versagte und doch blieb ich stumm. Und wieso? Wieso gelang es mir nicht zu leben, obwohl das Leben mich rief, obwohl es mir die Hand reichte? Vielleicht war ich auch nicht fähig, aus meinem Schneckenhaus zu kommen, nicht fähig zu leben. Konnte man lebensunfähig sein? Konnte man keinen Sinn haben? Nur existent, um sich genau das zu fragen? Wer bin ich.
Während ich die Stelle, an der meine beiden Freunde vor wenigen Stunden noch gelegen hatten, mit leerem Blick fixierte, bemerkte ich aus den Augenwinkeln heraus, wie ein Smettbo leise und anmutig an mir vorbeiflog, bevor es durch die Baumkronen des Waldes verschwand. Vielleicht war ich ja wie dieses Smettbo? Dazu bestimmt, einsam durch die Gegend zu streifen, um meinen Mitmenschen ein kleines Lächeln zu gönnen, bevor ich wieder verschwand und weiterflog. Weiterflog auf meiner unendlichen Reise ohne Ziel und ohne Plan. Flog nur des Fliegens willen, lebte nur des Lebens willen. War das wirklich das, was ich wollte? Wieso durfte ich nicht einfach ich sein? Nur für ein einziges Mal?
Während ich still die Stelle, an der das Smettbo im Dickicht verschwunden war, betrachtete, merkte ich nicht, wie eine einsame, kalte Träne über meine Wangen lief. Ich merkte auch nicht, wie in mir etwas zerbrach ...
[/tabmenu]