Fremde Welten

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

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  • XXXIII


    Es hat mal wieder eine ganze Weile gedauert. Ich schreibe einfach zu wenig. Irgendwann gibt es auch noch ein Update mit meinen Schreibturnier-Texten, nehme ich an, weil ich mir ein paar davon ganz gut in dieser Sammlung vorstellen kann - und ja offensichtlich nicht genug ohne diesen Druck schreibe, um hier wirklich Neues auszustellen. Vielleicht sollte "mehr schreiben" ein Vorsatz für nächstes Jahr sein. Jetzt aber hatte ich die Idee, eine meiner Wichtelgeschichten vom letzten Jahr hier auszustellen. Ich hab an dieser Stelle für Rusalka eine Geschichte über einen vergessenen Mythos geschrieben, weil ich das Bild von dem Schloss so hübsch fand. Das war aber nicht das einzige Geschenk, dass er in jenem Jahr von mir bekommen hat. Das andere findet ihr hier. Und in diesem Sinne: Frohe Weihnachten!


    Sondervorstellung


    Die Menge vor den Türen des Stadions drängte sich dicht an dicht, denn alle wollten sie einen guten Blick auf den großen Monitor erlangen. Die Plätze im Stadion selbst waren schon seit Monaten ausverkauft. Immerhin hatte man nicht jeden Tag die Chance, bei einer Sondervorstellung eines Top-Koordinators dabei zu sein. Noch dazu einer, bei der er sein gesamtes Team einsetzen würde. Mit sechs Pokémon gleichzeitig wollte er eine nie dagewesene Vorführung zeigen und diese wollte sich niemand entgehen lassen.


    Hinter der Bühne nahm Manuel sich noch einen Moment, um tief durchzuatmen und seine Vorstellung zu visualisieren. Seine Pokémon und er hatten lange daran gearbeitet. Seit er das Große Festival gewonnen hatte, hatte er etwas Großes machen wollen. Etwas, mit dem er sich bei seinen Fans und seinen Pokémon gleichermaßen bedanken könnte. Etwas, dass die Schönheit der Pokémonwettbewerbe und den Zauber dieser Zeit einfangen konnte.

    Mit einer Geste zeigte die Praktikantin an, dass es nun Zeit wäre, auf die Bühne zu gehen. Manuel erinnerte sich noch daran, wie aufgeregt sie ihn beim ersten Mal begrüßt hatte – wenn sie diese professionellere Arbeitshaltung beibehielt, konnte sie es noch weit bringen.

    Manuel erhob sich und stellte sich hinter dem Vorhang bereit, der den Backstage-Bereich von der Hauptbühne trennte. Draußen hörte er das Publikum johlen, als Vivian ihn ankündigte: „Der hellste Stern am Koordinatorenhimmel und Sieger des Großen Festivals: Begrüßt mit mir Manuel!“


    Manuel setzte ein Lächeln auf und trat durch den Vorhang. Er hatte schon an vielen Wettbewerben teilgenommen, aber dennoch überwältigte es ihn jedes Mal, in das gleißende Licht der Scheinwerfer zu treten und von den Jubelrufen regelrecht erschlagen zu werden. Dennoch störte es ihn nicht; im Gegenteil, die Bühne war seine Welt.

    „Hallo!“, rief er in die Runde. „Seid ihr bereit für eine Show?“

    Auch wenn es fast unmöglich erschien, so wurde der Applaus des Publikums tatsächlich noch einmal lauter und jagte Manuel einen wohligen Schauer über den Rücken. Jetzt war es endlich so weit.

    „Na dann“, rief er und warf alle sechs Pokébälle gleichzeitig in die Höhe, „raus mit euch! Verzaubert die Bühne!“


    Die Ballkapseln, die er von seiner Sinnoh-Reise mitgebracht hatte, verfehlten ihre Wirkung nicht. Jedes seiner Pokémon wurde perfekt in Szene gesetzt und trotzdem ergaben die Seifenblasen, Sterne, Herzen und Bänder eine harmonische Einheit. Jedes Pokémon wusste genau, wo es zu stehen hatte; Banette in der Mitte, alle anderen in einem perfekten Halbkreis drumherum. Diesen Auftritt hatten sie viele Male üben müssen, bis alles perfekt saß. Manuel wusste, der erste Eindruck war immer der wichtigste, obwohl seine Vorführung noch gar nicht begonnen hatte.


    Einen Moment ließ Manuel seine Pokémon in dieser Position verweilen und den Applaus abebben, ehe er mit dem eigentlichen Kunststück begann.

    „Banette, wirbeln und Watteschild“, rief er seinem Geistpokémon zu. Dieses breitete die Arme aus, ehe er der Aufforderung nachkam. In immer breiteren Kreisen umschloss die wattige Schicht das Banette, hatte aber noch nicht seine endgültige Form. Manuel wartete noch einen Moment auf den richtigen Augenblick, dann rief er: „Banette jetzt: Spring!“ Der Geist schoss mit einer unglaublichen Geschwindigkeit aus der Mitte des Wattekreises hinaus und zog die Form in die Höhe, sodass sie nun einen fast perfekten Kegel formte.


    Manuel spürte, dass das Publikum gebannt und voll Erstaunen zuschaute, doch sie hatten gerade erst angefangen. Noch während Banette sich aus seinem Watteschild befreite, gab Manuel den nächsten Befehl: „Mantidea, Blütenwirbel!“ Sofort war die Bühne erfüllt von hellblauen, wirbelnden Blütenblättern, die Banettes Auftritt noch einmal unterstützten und ihm eine sanfte Landung ermöglichten. Gleichzeitig waren sie allerdings noch für etwas anderes gut. „Konzentrier es und dann Blattwerk“, sagte Manuel zu seinem Pokémon und Mantidea wusste genau, was zu tun war. Der alles einnehmende Blütensturm, wurde zu einem immer engeren Wirbel, der schließlich nur noch den Wattekegel einfasste, bis die Blätter in der wattigen Schicht hängenblieben und im Licht der Scheinwerfer glitzerten. Dann wiederholte Mantidea die Vorführung mit Blattwerk und legte hellgrüne zu den strahlend blauen Blättern, sodass das Watteschild nun schon fast wie ein Baum aussah. Das Publikum klatschte begeistert.


    Ein Lächeln umspielte Manuels Lippen, als er sich zu seinem Intelleon wandte, das neben ihm stand. Er hatte es aufgezogen, seit es ein kleines Memmeon gewesen ist und es war neben seinem Starter Flunkifer schnell zu seinem Signaturpokémon geworden. „Jetzt bist du dran“, flüsterte er, ehe er mit fester Stimme die Attacken ankündigte: „Intelleon, Präzisionsschuss! Snibunna, du setzt Eisstrahl ein!“

    Es hatte sie viele schlaflose Nächte gekostet, aber inzwischen war das Zusammenspiel der beiden Pokémon perfekt. Gerade Snibunna hatte viel dafür tun müssen, das von Intelleon geschossene Wasser genau zu treffen. Einen Moment war Manuel nicht sicher, ob das Kunststück auch heute gelingen würde, doch er hatte sich keine Sorgen machen müssen. Intelleon lief im Kreis um die Baumstruktur und schoss mal hierhin, mal dorthin. Snibunna folgte ihm und ließ ebenso präzise jeden Wasserstrahl zu Eis erstarren und gestaltete so die unglaublichsten Formen, die nun zwischen den Blättern entstanden.


    Nachdem Manuel sich sicher war, dass diese beiden gut arbeiteten, wandte er seine Aufmerksamkeit dem nächsten Teil der Darbietung zu. „Luxtra, setz Donnerwelle ein!“ Das Elektropokémon schien froh, endlich etwas zu tun zu haben, denn augenblicklich sammelte sich die Elektrizität in seinem Fell. Dennoch musste es behutsam vorgehen. Luxtra durfte nur den Baum, nicht aber die noch daran hantierenden Pokémon Intelleon und Snibunna treffen. Dafür hatten sie sich einen speziellen Trick überlegt. Luxtra wartete, bis Intelleon und Snibunna gerade an ihm vorbei waren, dann sprang es auf ein Zeichen von Manuel in die Höhe und ließ seine Donnerwelle sich von oben nach unten ausbreiten und den Baum in einem herrlichen Glanz erstrahlen.


    Langsam erahnte das Publikum, was sie vorhatten, und ein Raunen ging durch die Menge. Manuel grinste. Das Beste kam erst noch. Und an diesem Baum fehlten noch die Kugeln! Intelleon und Snibunna beendeten nun auch ihre Arbeit und Manuel konnte sich so schließlich dieser Aufgabe annehmen. „Flunkifer, Banette, Spukball! Luxtra, Elektroball!“

    Die drei Pokémon standen in einem perfekten Dreieck und liefen langsame Kreise um den Baum und erzeugten immer wieder neue Bälle, sodass sich ihre Attacken vermengten und überall die glitzernden Kugeln platzierten. Manuel wusste, dass die Attacken nicht ewig halten würden, aber doch lange genug, denn auch dafür hatten sie lange trainiert. Doch vorher wollte er noch etwas mehr Glitzer hinzufügen.

    „Snibunna, jetzt deine Kratzfurie“, sagte er zu dem Eispokémon, das sofort einzelne der Kugeln in ihre Einzelteile zerlegte und dadurch ein besonderes Leuchten erzielte, das durch den Glanz der Donnerwelle noch zusätzlich strahlte. Auch hierfür musste Snibunna lange seine Genauigkeit üben, bis es, selbst in seiner grandiosen Geschwindigkeit, nur die Attacken seiner Kameraden, nicht aber die Grundstruktur des Baumes traf. Aber auch dieses Manöver gelang perfekt.


    Stolz betrachtete Manuel seine Pokémon, während das Publikum staunend zusah. „Und jetzt das Finale“, sagte Manuel zu seinen Freunden. „Mantidea, Sonnentag! Intelleon, Blizzard!“ Es war mehr ein Zufall gewesen, dass er die Schönheit dieser Attackenkombination erkannt hatte, aber es war einfach unbeschreiblich, wie wunderschön die Schneeflocken von Intelleons Blizzard im Sonnenlicht glitzerten.

    Mit glänzenden Augen betrachtete das Publikum diesen selbstgemachten Weihnachtsbaum, geschmückt mit den schönsten Attacken von Manuels Pokémon, wie er in Schnee und Sonnenschein leuchtete. Doch Manuel war noch nicht fertig.

    „Flunkifer“, wandte er sich an seinen ältesten Freund, der hinter dem Baum stehengeblieben war, „beende es. Knuddler und dann Feenbrise!“ Flunkifer nickte seinem Trainer verschwörerisch zu, dann nahm es Anlauf und sprang mit vollem Schwung in den Wattebaum, der um es herum vielfarbig explodierte. Dann sammelte es seine Kräfte und schickte die glitzernden Überreste mit einer Feenbrise direkte in die Zuschauerränge.


    Nun war das Publikum nicht mehr zu halten. Ein tosender Jubel brach aus, noch einmal lauter als zu Beginn seiner Show. Und immer noch umhüllt von einem Rest des glitzernden Staubes, reihten sich Manuel und seine Pokémon von den Rängen auf und verbeugten sich unter dem Applaus und Standing Ovations. Alle waren begeistert von Manuels Weihnachtsaufführung.

    Auch Manuel selbst war begeistert von der Leistung seiner Pokémon, seiner Partner. Ohne sie hätte er niemals am Großen Festival teilnehmen, geschweige denn es gewinnen können. Ohne sie stünde er heute nicht hier und so trat er einen Schritt zurück, um ihre Leistung noch etwas mehr zu würdigen. Doch da hatte er seine Rechnung ohne seine Freunde gemacht. Als hätten sie sich abgesprochen, nahmen sie ihren Trainer in ihre Mitte und demonstrierten ihre Zusammengehörigkeit. Manuel versuchte vergeblich, die Tränen zurückzuhalten. „Ich hab euch auch lieb, Leute“, flüsterte er.

  • XXXIV

    Ist nicht immer noch das Ausstellen meiner Schreibturnier-Texte geplant? Ja. Aber wir unterbrechen das laufende Programm für eine Sondermeldung: Unser wunderschönes Maskottchen wünscht sich mehr Texte. Das kann ich ihm ja nicht abschlagen. ^-^



    Eine Ode für Dedenne


    Ich erwache in einem kleinen, lichtdurchfluteten Zimmer. Obwohl es nicht sehr groß ist, ist es doch einer der gemütlichsten Orte, die ich kenne. Vermutlich liegt das daran, dass ich es nach meinen Belieben eingerichtet habe. Helle Farben lachen mir entgegen und überall scheint Musik in der Luft zu schweben, selbst wenn sie nicht zu hören ist.

    Ich stehe auf und strecke mich ausgiebig. Es war eine kurze Nacht. Viel zu lange habe ich gestern Abend noch am Lagerfeuer gesessen und mich mit den anderen unterhalten. Wieso müssen wir auch immer so gute Gespräche haben. Ich versuche die Müdigkeit zu verscheuchen, indem ich mich waschen gehe, aber so ganz gelingt es mir nicht. Na ja, was soll’s, ich werde eh meistens erst zum Nachmittag hin wach.

    Zurück in meinem Schlafzimmer blicke ich mich kurz um. Der Schreibtisch, der gegenüber von meinem Bett steht, ist ein einziges Chaos. Wenn auch ein halbwegs organisiertes. Auf der linken Seite liegen diverse Zettel mit Ideen für meine nächsten Schreibprojekte, die rechte ist voll von Klebezetteln, die alle mit den Worten „To-Do“ beginnen. Dazwischen steht der Laptop, an dem ich die meiste Zeit meiner Arbeit verbringe. Ich seufze und richte die Mitarbeits-Nadel an meinem Revers. So ein Timerball verleiht schon einige Verantwortung. Dennoch würde ich ihn nicht hergeben. Nicht bei einem so wundervollen Team.

    Trotz des Chaos beschließe ich, den Tag nicht mit Arbeit zu beginnen. Ich habe eh das Gefühl, nichts auf die Reihe zu bekommen, weil keine meiner bisherigen Ideen wirklich Platz zum Wachsen hätte. Was ich brauche, ist frische Luft.

    Neben dem Schreibtisch, in der Ecke unter dem Fenster steht eine edel aussehende Kiste. Ich öffne sie und gehe die Pokébälle durch, die ich darin finde. Durch besondere Leistungen kann man Pokémon geschenkt bekommen. Sie lieben es in ihren Bällen, aber ich nehme sie auch immer wieder gerne auf meine Spaziergänge mit, sodass ich mich weniger verloren fühle in den Weiten dieser Welt. Heute fällt meine Wahl auf Togetic, meinen ersten Partner. Mit einem fröhlichen Quieken erscheint die Fee und fliegt eine Runde um mich herum.

    „Ich freue mich auch, dich wiederzusehen“, entgegne ich dem Togetic und gemeinsam machen wir uns auf den Weg nach draußen. Zuvor kommen wir jedoch durch meinen Vorraum, ein wirklich winziges Zimmer, das hauptsächlich von der riesigen Pinnwand zu meiner Rechten eingenommen wird – allerdings hat auch irgendjemand mal ein schickes Sofa dazugestellt, auch wenn ich bis heute nicht herausgefunden habe, wer es war.

    Obwohl mein Bisaphone mir keine Benachrichtigung über neue Einträge mitgeteilt hat, lasse ich den Blick trotzdem über die Notizen auf der Pinnwand schweifen. So viele nette Gespräche habe ich auf diese Weise schon geführt. Ich beschließe, auf dem Weg nach draußen noch bei mindestens einer anderen Pinnwand ein Herzchen anzupinnen. Allein schon aus Prinzip.


    Ich bin immer wieder erstaunt, wie schnell man doch die langen Korridore des Wohnheims hinter sich lassen kann. Hier leben mehrere hundert, vielleicht sogar tausend Menschen und nie bekommt man in den Gängen irgendwelche Probleme. Meistens trifft man erst in den Gemeinschaftsräumen irgendwelche anderen Leute. Aber meistens halte ich mich von ihnen fern. Diese Räume sind genau wie der Rest unserer Welt jedes Mal anders. Manchmal gehe ich durch die verwinkelten Gassen einer Stadt, mal erblicke ich nur einige wenige, wenn auch riesige Häuser, manchmal gleicht die Welt einer wilden und unberührten Naturlandschaft – und manchmal ist sie all das gleichzeitig und man weiß nie, was einen erwartet, wenn man um die nächste Ecke kommt. Und dennoch habe ich mich noch nie verlaufen.

    Ich trete ins Freie und atme tief durch, spüre den Zauber, den diese Welt versprüht. Man landet immer genau dort, wo man sein möchte, kann durch die Bereiche streifen oder landet sofort an einer anderen Stelle.

    Ich lande im Bereich der Geschichten und der Feen. Heute ist er eine weite Wiese. Sie spannt sich über eine sanfte Kuhle und überall wachsen bunte Blumen, welche sich selbst zu kleinen oder größeren Gruppen zusammenfinden. Ich weiß, egal welche ich anstupse, sie wird mir eine Geschichte erzählen oder ein Gedicht rezitieren. All diese Worte auf ewig konserviert. Ich liebe diesen Anblick, egal in welcher Form es sich mir bietet. Heute aber bin ich nicht hier, um mir die Geschichten anzuhören. Ich brauche nur einen ruhigen Platz zum Denken.

    Ziellos streife ich zwischen den Blumen hindurch und lasse meinen Blick schweifen. Ein paar herzförmige Blüten scheinen frisch verdrabblet zu sein. Togetic entdeckt etwas weiter eine Gruppe Fluffeluff, die mit einem Endivie spielen und ich gebe ihm mit einem Nicken zu verstehen, dass es sich dem Spaß ruhig anschließen kann. Fröhlich fliegt es zu ihnen hinüber, während ich meinen Gang durch die Wiese fortsetze.

    Als mein Bisaphone vibriert, erkenne ich darauf die Nachricht, dass auf das Herz geantwortet wurde. Leider kann mir das Gerät nur sagen, dass die Antwort angekommen ist, nicht aber was darin steht. Ich überlege kurz, ob ich mich von der App zurück zu der mit Melonen dekorierten Pinnwand bringen lassen sollte, wo ich das Herz vorhin hinterlassen hatte, aber dann würde ich auch das Togetic von seinen Freunden wegreißen.

    Abgelenkt wie ich war, fällt mir die kleine Elektrofee erst auf, als sie direkt vor mir steht und sich mit einem Räuspern bemerkbar macht. Sie ist anders als die anderen Pokémon auf der Wiese, weil sie eine Brille trägt. Und natürlich weil sie anfängt, mit mir zu sprechen.


    DEDENNE. Ich bin wirklich enttäuscht von dir.

    ICH (überrascht). Wie bitte?

    DEDENNE. Wie lange bist du jetzt schon ein aktiver Teil dieser Gemeinschaft?

    ICH. Ähm, zwölf Jahre?

    DEDENNE. Und wann gedenkst du, mir endlich eine Ode zu widmen?

    ICH. Ich … ich verstehe nicht ganz, was du meinst.

    DEDENNE. Du weißt, wer ich bin, oder?

    ICH. Du bist Dedenne. Das Bereichsmaskottchen.

    DEDENNE. Ganz genau. Und das hier (hält einen glänzenden Anstecker in die Höhe) ist mein Abzeichen. Das kriegen all diejenigen, die ein fest verankertes Mitglied dieser Gemeinschaft sind. Aber nur, wenn sie es auch wollen. Also: Bist du ein fest verankertes Mitglied dieser Gemeinschaft?

    ICH. Ich denke schon …

    DEDENNE. Du denkst nur? An wie vielen Wettbewerben hast du teilgenommen? Wie viele Werke hast du ausgestellt? Wie viele Kommentare für andere Personen geschrieben? Wie lange hast du mitgeholfen, diesen Bereich zu etwas ganz Besonderem zu machen? Wie viel deines Herzens, deiner Seele ist unwiderruflich mit den Blumen und den Feen auf dieser Wiese verbunden? Und wie lange willst du bitteschön noch warten, bis ich dir endlich dieses Abzeichen anstecken darf?

    ICH (blinzelt überfordert). Ähm …

    DEDENNE. Nein, du musst das jetzt nicht alles rausfinden, das war nur dafür da, um meinen Punkt zu unterstreichen. Alles, was du tun musst, ist eine Ode zu schreiben und sie diesem Bereich oder mir als dessen Maskottchen zu widmen. Das weißt du doch, oder?

    ICH. Ja … ja, das weiß ich.

    DEDENNE. Und warum hast du es dann noch nicht getan?

    ICH. Ich … äh … keine Ahnung.

    DEDENNE. Hör zu, ich mag dich. Und du magst mich auch, das weiß ich. Also bitte. Tu es für uns beide. Wir können ja sagen, dass das deine zweihundertste Medaille wird. Ein echter Meilenstein. Dann hast du ein Ziel und es wird hoffentlich endlich etwas.

    ICH. Ja … (überzeugter) ja, das klingt gut. Aber was ist, wenn da irgendetwas schief geht?

    DEDENNE. Zum Beispiel?

    ICH. Keine Ahnung. Das ist einfach nur so ein Gefühl.

    DEDENNE. Dann nimm halt die 202. So wichtig ist das doch jetzt auch wieder nicht.

    ICH. Hm …

    DEDENNE. Und wenn ich im Zweifel einfach Xerneas vorbeischicke, um das Chaos komplett zu machen?

    ICH. Was?

    DEDENNE (ablenkend). Denk doch nur daran, wie viele tolle Werke du wiederfinden könntest, während du nach Inspiration für deine Ode suchst. So wie ich dich kenne, werden das deutlich mehr als zehn.

    ICH (verwirrt). Wieso zehn?

    DEDENNE. Ach, äh, nicht so wichtig. Das ist was für Leser, du bist eine Schreiberin!

    ICH. Ähm, kann ich denn nicht beides sein?

    DEDENNE (schnell). Doch doch, natürlich. Aber … diese Ode …

    ICH. Weißt du was, du hast recht. Ich bin hier. Dieser Platz ist ein Teil meines Herzens. Und ich bin beides. Also sollst du auch deine Ode bekommen.

    DEDENNE (hoffnungsvoll). Wirklich?

    ICH. Wirklich.

    DEDENNE (glücklich). Endlich! Danke, danke, danke! Endlich beschließt jemand, sich der Schreibprüfung zu stellen! Du wirst es nicht bereuen, versprochen! Ich werde dafür sorgen, dass dein Abzeichen ganz besonders glänzt!

    ICH (neckend). Na, das will ich doch hoffen!

    DEDENNE. Dann lass ich dich jetzt in Ruhe an deiner Ode arbeiten!


    Dedenne hüpft pfeifend davon und ich sehe ihm nach. Das war zwar eine eher seltsame Begegnung, aber ich muss ihm doch zustimmen. Ich sollte unbedingt etwas tun, um ihm wirklich meine Verbundenheit zu demonstrieren.

    Gedankenverloren streife ich über die Wiese und berühre mal die eine, mal die andere Blume. Mir wird ganz warm ums Herz, als ich die vertrauten Worte höre, die sie mir zuflüstern. Ja, mein Herz hängt an so vielen von ihnen. So viele haben mich geprägt und sind noch immer ein Teil meiner Gedanken. Wie könnte ich sie nicht in einem Aushang würdigen, um zu zeigen, wie viel sie mir bedeuten?

    Während ich noch hier bin, setze ich mich aber zunächst zu einer Blumengruppe, die mir Geschichten von fremden Welten versprechen. Lächelnd betrachte ich die vielen Farben um mich herum. Dann beuge ich mich zu einer winzigen Blüte hinunter. Sie ist klein und schwächlich und wartet nur darauf, dass ein neuer Text sie mit Leben füllt, also beuge ich mich hinab und flüstere ihr meine Verse zu.


    Sieh nur, welchen langen Weg du kamst

    Sieh nur, welche Umwege du nahmst

    Doch das ist egal, jetzt bist du hier

    Und aus Einzelkämpfern wird ein Wir


    Bringst Inspirationen und Ideen

    Die durch uns’re off’nen Seelen weh’n

    Und wirkst du auf and’re noch so klein

    Strahlt aus deinen Sätzen doch ein Schein


    Frei von allen Zwängen

    Malst du mit den Klängen

    Immer noch so gern

    Du kannst Welten finden

    Sie in Worte binden

    Und sie uns erklär’n


    Ich weiß ganz genau, dass es sie gibt

    Die Welt, die jenseits uns’rer Träume liegt

    Der du dich mit Macht entgegenstellst

    Und mit den Geschichten uns erhellst


    Doch dein Können endet hier noch nicht

    Ohne zögern teilst du auch dein Licht

    Hörst geduldig zu, was wir erzähl’n

    Wenn wir dies als uns’re Bühne wähl’n


    Frei von allen Zwängen

    Malen wir mit Klängen

    Lieben, was erscheint

    Fremde Welten finden

    Sie in Worte binden

    Ist, was uns vereint


    Lächelnd sehe ich auf. Das hat länger gedauert, als erwartet. Aber mir Ausnahme von ein/zwei Versen gefällt es mir doch ganz gut. Ich denke, Dedenne wird sich auch darüber freuen. Jetzt ist es aber höchste Zeit, zurückzugehen, um endlich auf den Pinnwandeintrag zu antworten.

    Suchend sehe ich mich nach Togetic um, um mit mich mit ihm auf den Rückweg zu machen, da stellt sich mir plötzlich Xerneas in den Weg. Überrascht blinzele ich. Hatte nicht Dedenne so etwas erwähnt? Aber was …?

    Bevor ich den Gedanken beenden kann, stößt Xerneas einen lauten Ruf aus und sein Geweih beginnt in allen Farben des Regenbogens zu leuchten. Ein starker Wind weht um uns herum und aktiviert die Blumen, die er berührt. Eine davon, beginnt ein Drama über Dedennes Weg zum Maskottchen zu erzählen. Ich muss lächeln. Ich freue mich für Dedenne, dass es jetzt gleich zwei Texte zu seinen Ehren erhalten hat.

    Doch das Gefühl hält nicht lange an, denn noch immer steht eine ungezähmte Legende vor mir, die alles in Chaos zu versetzen scheint. Ich sehe, wie Togetic sich nur schwer gegen den Wind behaupten kann und spüre quasi, wie es meine Sammlung durcheinander bringt. Dedenne hat es vorhergesagt, aber ich habe es nicht glauben wollen. Sollte Xerneas nicht Leben bringen? Warum brachte es dann Chaos?

    Als Togetic es endlich schafft, sich zu mir durchzukämpfen, lässt Xerneas Sturm langsam nach und es sieht mich bedeutungsvoll an. Dann erst erblicke ich all die vielfarbigen Pollen, die der Wind aufgeweht hat und die nun um uns herum in der Luft schweben. Alle Farben wirbeln durcheinander und ich verstehe, was Xerneas mir sagen will. Das Leben ist Chaos. Ja, wir können versuchen, eine Ordnung zu finden, aber wo Leben ist, wird immer Chaos sein. Deshalb hat Dedenne Xerneas zu mir schicken wollen, als ich zu besorgt um Ordnung war.

    Lächelnd blicke ich zu dem legendären Pokémon. Ich habe es verstanden. Und wenn die Pokémon durcheinander zu mir kommen – Hauptsache sie sind glücklich.

    Kurz lässt Xerneas den Blick über die Blumengruppe schweifen, der ich gerade die Ode für Dedenne hinzugefügt habe, dann senkt es den Kopf.

    Einen Moment bin ich völlig überfordert. Xerneas möchte sich mir anschließen? Dann entfährt mir ein fröhliches Lachen: „Aber natürlich!“ Auch Togetic schwebt glücklich um unseren neuen Freund herum.

    Zusammen mit Togetic und meinem neuen Xerneas mache ich mich schließlich endlich auf den Weg zurück zur Melonenpinnwand. Und vielleicht halte ich auf dem Weg dahin noch an anderen an. Man kann schließlich niemals zu viele Herzen verteilen.

    Dedenne

  • XXXV

    Ich habe irgendwie völlig vergessen, dass ich ja eigentlich schon vor einem Monat ein Update mit meinen NPM-Gedichten (bzw. einer Auswahl davon) vorbereitet hatte. Eigentlich sollte das im Mai kommen ... ist noch nah genug dran, oder?



    Haiku

    Unerwartetes

    Kommt immer wieder, doch ich

    Bleibe überrascht.

    Ich sehe Pferde

    Sie springen um die Ecke

    Auf kariertem Grund

    Der goldene Glanz

    Versteckt sich hinterm Nebel

    Bis die Sonne scheint

    Ein kleines Feuer

    Spendet dir trotzdem Wärme

    Und erhellt die Nacht

    Verlor'ne Lieder

    Vergessene Nostalgie

    Alles kehrt zurück

    Ich hab' Angst. - "Wovor?"

    Ich habe keine Ahnung.

    "Dann hab' keine Angst."

    Was soll ich schreiben?

    Die hübschen Verse entflieh'n;

    Zurück bleibt nur dies.

    Was will der Regen?

    Ich höre ihn, aber ich

    Verstehe ihn nicht.

    Romanzenstrophe & Wachsgedicht

    Glaube an die inn're Stärke

    Gib dich hin dem Wörterfluss,

    Dann entstehen Wunder-Werke

    Und ein jedes ein Genuss ^-^

    Blaue Himmel wehen hinter Wolken

    Starke Winde tragen keine Last

    Hat dein Sehnen wirklich mir gegolten?

    Oder hab die Antwort ich verpasst?

    Vorhersage

    Lass sie sagen, was sie wollen

    Jeder Zukunft stell' ich mich

    Sonnenschein und Donnergrollen

    Mir egal, ich hab ja dich

    Seltenheit

    Glück

    Ich habe Glück

    Ich habe heute Glück

    Ich weiß, ich habe heute Glück

    Deinetwegen

    Triolett

    Yours

    Do you feel the life in breathing

    If today is simply yours

    Ev'ry second we're receiving

    Do you feel the life in breathing

    The sun will shine, just keep believing

    If it rains or if it pours

    Do you feel the life in breathing

    If today is simply yours

    Feelings in the dark

    Close your eyes and you can see

    Right beyond the world we know

    Just how much you mean to me

    Close your eyes and you can see

    Ev'ry opportunity

    There's a way that we can go

    Close your eyes and you can see

    Right beyond the world we know

    Terzanelle

    Regentanz

    Zarte Tropfen fallen nieder

    Mich umhüllt der Regenguss

    Und es fährt mir durch die Glieder


    Eisig wie ein kleiner Schuss

    Dringt das Wasser auf mich ein

    Wieso bleib ich? Wann ist Schluss?


    Manchmal fühle ich mich klein

    Einsam steh ich so im Regen

    Und das Wasser wäscht mich rein


    Kann mich lange nicht bewegen

    Wie gefangen steh ich da

    Bis sich auch die Zweifel legen


    Und ich sehe plötzlich klar

    All die Kälte ist verschwunden

    All die Sorgen, die ich sah


    Langsam heilen meine Wunden

    Bald spür ich die Kräfte wieder

    Und der Regen fällt für Stunden

    Zarte Tropfen singen Lieder

    Zukunftsvision

    Nimm mich, denn ich bin bereit

    Und führe mich in den Raum

    Jenseits der Wirklichkeit


    Verbunden nur ganz seicht am Saum

    Die Dämm'rung von Schlafen und Wachen

    Wie ein wirklicher Traum


    Als könnte man alles hier machen

    Zephyrische Geister beschwören

    Die das Verborg'ne entfachen


    Ja! Ja, ich kann es jetzt hören

    Den sanften und lieblichen Klang

    Als wollt' uns die Zukunft betören


    Verheißungsvoll ist der Gesang

    Der sich aus dem Dunkel befreit

    Wir lauschen der Stimme noch lang


    Ich spüre, jetzt ist es so weit

    Sie kommt, die wartenden Zeit

    Wir stell'n uns der Zukunft zu zweit

    Geh'n wir, denn ich bin bereit

    Sonstiges

    Der Wind vertreibt den alten Duft

    Die Sonne blendet neu entflammt

    Junges Grün und zartes Rosa

    Reichen hoffnungsvoll die Hand


    Atmet tief und lasst uns geh'n

    Dem Frühling nun entgegenseh'n

    Im Vergangenen

    Kann die Seele leben und

    Verweilt dein Herz.


    Doch mit der Zukunft

    Kommen neue Chancen,

    Die dein Ich gestalten,


    Bis auch sie vergangen und

    Deine Geborgenheit sind.



  • XXXVI

    Ich denke, ich sollte aufhören, ein Update mit Schreibturniertexten zu versprechen. Stattdessen werde ich sie jetzt einfach aufteilen, weil dieses Update nämlich schon wieder einen anderen Grund hat. Und es kann ja nicht ewig so weitergehen. Deshalb folgen jetzt zwei Texte, die ihr vielleicht schon kennt - und einer, dessen Ursprung womöglich schon bekannt ist.^^



    Oración


    Oración

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    Der Glockenklang hallt in mir wider

    Mein Ich vibriert von blindem Zorn

    Doch schwingt die Melodie dagegen

    Bis die Rage hat verlorn


    Und das weiche Spiel der Geigen

    Umfängt mich, hat mich eingehüllt

    Löst auf, was dunkel in mir klagte

    Mit schwerer Tiefe ausgefüllt


    Jede Note reißt mich mit sich

    Ich spüre, wie die Wut zerfließt

    Es drängt und schwillt, bis es dann schließlich

    Seine Macht auf mich ergießt


    Seicht und sanft wie gold'ne Schwingen

    Mächtig wie ein neuer Tag

    Heilt es die vergess'ne Weite

    Neubeginn im Paukenschlag


    Im letzten Echo kann ich hören

    Was erwachte, bleibt noch lang

    Selbst noch in der leeren Stille

    Hallt in mir der Glockenklang.



    Wie Wind überm Meer


    Manches Mal des Nachts am Strand

    Dringt die Melodie zu mir

    Und ich lausche ihr gespannt,

    Bis ich mich in ihr verlier'.


    Zarte Klänge füll'n mein Herz;

    Die Gefühle kaum ein Hauch,

    Doch den ewig tiefen Schmerz

    Durch das Lied spür' ich ihn auch.


    Jenseits aller Wellen Pracht

    Klagt ein Wesen mir sein Leid,

    Doch den Ursprung schluckt die Nacht

    Blau wie die Unendlichkeit.


    Dennoch weh'n die Töne her,

    Und im Echo schwingt mein Sein;

    Stille Tränen fall'n ins Meer

    Für die fremde Last und Pein.


    Manches Mal da frag' ich mich:

    Welche Seele trauert dort?

    Bleibt ihr Kummer ewiglich?

    Oder wäscht die See ihn fort?



    Bärfloßwasch?


    (c) me


    KIND. Mama, Mama, was ist das? Ist das ein Bär?

    MUTTER. (überrascht) Ein Bär? Wo?

    KIND. (zeigt von der Brücke hinunter) Na da vorne, auf dem Floß!

    MUTTER. Na ich weiß ja nicht, ob das ein Floß ist ... aber wie kommst du darauf, dass da ein Bär drauf sitzt?

    KIND. Was soll das denn sonst sein? Da sitzt ein Bär auf dem Floß, um zu waschen.

    MUTTER. Das kann kein waschender Bär sein. Bären leben hier gar nicht. Außerdem hat das Tier eher Fe...

    PASSANTIN. (bleibt neben KIND und MUTTER stehen) Also ich finde auch, dass das sehr nach einem Waschbär aussieht.

    MUTTER. (entgeistert) Was?

    KIND. (singend) Bärfloßwasch, Bärfloßwasch, ...

    MUTTER. (zu ihrem Kind) Du kannst doch nicht einfach irgendwelche Wörter aneinanderreihen!

    KIND. Aber das ist nur ein Wort. Bärfloßwasch.

    PASSANTIN. Ergibt Sinn.

    MUTTER. (frustriert) Nein, tut es nicht!

    PASSANTIN. Aber was haben Sie denn? Warum sollte das Kind nicht über einen Waschbären auf einem Floß singen?

    MUTTER. Weil es nicht ... - Warum mischen Sie sich überhaupt ein?

    PASSANTIN. (kopfschüttelnd) Niemand hat mehr Manieren heutzutage ... (geht weiter)

    KIND. Mama, können wir morgen wiederkommen? Vielleicht ist da dann ein Rettich!

    MUTTER. Ein Rettich? (seufzt und lächelt) Natürlich.

  • Hallo Shiralya, seit der Wichtelaktion bzw. der Enthüllung wollte ich mal schauen ob du schon ein eigenes Thema hast. Hab ich bisher nicht gemacht, aber dein Geburtstag hat mich zumindest daran erinnert. Herzlichen Glückwunsch nachträglich, was das angeht.

    Jedenfalls sind hier mal ein paar Kommentare zu deinen Werken. Nun nicht allen, aber das geht würde ja auch nicht mehr in diesem Jahr gehen, so viel wie das ist. Da hatte ich mit der Professionalität wohl einen guten Riecher🤭.


    Da du Tabellen gut findest(vielleicht?) lies ich das mal in Tabellenform

    Glaube an die inn're Stärke

    Gib dich hin dem Wörterfluss,

    Dann entstehen Wunder-Werke

    Und ein jedes ein Genuss ^-^

    Blaue Himmel wehen hinter Wolken

    Starke Winde tragen keine Last

    Hat dein Sehnen wirklich mir gegolten?

    Oder hab die Antwort ich verpasst?

    Es ist schon immer wieder erstaunlich wie wenige Worte viel Energie geben können und diese Worte gehören dazu.

    Die lassen sich auch öfter mal ansehen, also wenn mal wieder der Entscheidungswille lähmt, sieh dir deine Zeilen ruhig noch einmal an :)

    Bei Sehnsüchten wird ja öfters in den Himmel geblickt, aber für so eine kurze Form eines Gedichtes nimmt die Umgebung zu viel Raum ein, denke ich, so dass das Problem nicht wirklich ausformuliert werden kann. Beim ersten Lesen war ich sogar leicht verwirrt, dass es nicht um den Himmel geht/gehen kann. Ich weiß jedenfalls nicht, wie ich die beiden letzten Zeilen interpretieren soll. Sie scheinen mir bis auf das „Oder“ nicht im Widerspruch zu stehen.

    Diese Romanzenstrophe erscheint mir etwas holprig. Das liegt wohl an der Silbenanzahl, die in der zweiten Zeile auch kürzer als in den anderen ist.

    Vorhersage

    Lass sie sagen, was sie wollen

    Jeder Zukunft stell' ich mich

    Sonnenschein und Donnergrollen

    Mir egal, ich hab ja dich

    Seltenheit

    Glück

    Ich habe Glück

    Ich habe heute Glück

    Ich weiß, ich habe heute Glück

    Deinetwegen

    Bei diesen Zeilen bekomme ich Romeo und Julia Vibes. Liebe trotz aller Widrigkeiten ist nicht umsonst eine Welterfolgsformel. Auch das klein gegen groß wird hier thematisiert dadurch dass die „Antworten“ silbentechnisch kleiner ausfallen. Also sehr solide, aber ich hab bei dem Titel eher ein „Augenzwinker-Gefühl“

    Das ist zwar technisch keine Romanzenstrophe, kann aber doch mit Romantik zu tun haben, wenn man den Titel außer Acht lässt. Zumindest wenn die Person nicht mit ihrem Lottoschein spricht. Mit wenigen Worten bleibt da viel Interpretationsspielraum übrig. Am Ehesten glaube ich sogar noch an den Dreck des Schornsteinfegers an der eigenen Hand, da ja von heute die Rede ist. Der kam dann auch pünktlich und früh, deswegen weiß die Person auch, dass sie Glück hat.




    Unerwartetes

    Kommt immer wieder, doch ich

    Bleibe überrascht.

    Ich sehe Pferde

    Sie springen um die Ecke

    Auf kariertem Grund

    Da ist denke ich keine Interpretation nötig. Aber Überraschend ist es doch immer mal wieder ein Wort allein in einer Zeile stehen zu sehen.

    Meine Interpretation ist ein Spaziergang im Park, in dem zwei alte Herren gerade in einem Schachspiel ihre Pferde in Position bringen.

    Der goldene Glanz

    Versteckt sich hinterm Nebel

    Bis die Sonne scheint

    Ein kleines Feuer

    Spendet dir trotzdem Wärme

    Und erhellt die Nacht

    Dieses Haiku lese ich ziemlich schnell, wenn du verstehst, was ich meine. In deinen anderen Haikus gibt es nach jeder Zeile zumindest eine kleine Pause, aber hier hört es sich wie ein ganz normaler Satz an. Das ist ja nichts falsches(glaub ich), aber es fällt zumindest auf. Interpretation: Jagd auf Honig. Der Honig ist auf einer Lichtung und du in einem Nebgelgebiet

    Placebo bei einer Kerze. Zumindest irgendwie. Das kommt natürlich darauf an, wie nah die Kerze gehalten wird. Aber manchmal ist es ja auch einfach tröstlich die Kerze zu halten und der Dunkelheit zu trotzen. Da bekommt man so ein warmes Gefühl im Bauch … ouh.

    Verlor'ne Lieder

    Vergessene Nostalgie

    Alles kehrt zurück

    Ich hab' Angst. - "Wovor?"

    Ich habe keine Ahnung.

    "Dann hab' keine Angst."

    Da ist viel Raum für Interpretation. Ich habe gehört, das soll ganz gut sein bei einem Haiku, aber ob das wirklich so ist?!? Naja egal. Damit kann sich wohl jeder auf irgendeine Art identifzieren

    Einen Dialog in ein Haiku gewollt zu pressen ist bestimmt mühsam. Dafür klingt das hier ziemlich natürlich. Eine Interpretation lass ich mal liegen. Sonst kommt die Angst noch bei mir hoch.

    Was soll ich schreiben?

    Die hübschen Verse entflieh'n;

    Zurück bleibt nur dies.

    Was will der Regen?

    Ich höre ihn, aber ich

    Verstehe ihn nicht.

    Schreibblockade :)

    Das empfinde ich sogar als das beste der Haikus. Das klingt so mystisch und doch kann man sich damit identifizieren. Jeder wollte an einem verregneten Tag schon einmal rausgehen und der Regen macht einem einen Strich durch die Rechnung. Und der Trotz ist hier auch sichtbar, wie wenn man die Aktionen( und Gedanken dahinter )einer Person nicht verstehen kann.




    Das Drama gefällt mir gut und das Bild gibt gleich eine gewisse Atmossphäre vor. Es ist eine Menge Bewegung in der Szene, was sie noch lebhafter macht und die Passantin trägt ihren Teil dazu bei. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass man sich bei einem Gespräch einklinkt, um sich zu profilieren, da man ja erkannt hat, was das Kind sagen wollte, und dann sauer abzischt. Schließlich wollte die Passantin ja nur helfen; ja ganz bestimmt.

    Was die Mutter angeht, so finde ich eine entgeisterte Reaktion etwas übertrieben. Zumindest ohne Erklärung. Braucht sie vielleicht eine Brille oder macht sich Sorgen darüber? :unsure:

    Naja, nach der Überrumpelung braucht sie aber noch bis die Passantin gegangen ist, bis sie sich wieder beruhigt hat. Das ist ziemlich authentisch, würde ich mal so behaupten.

    Zum Schluss interessiert mich bei dem Drama auch, was es mit dem Rettich auf sich hat. Vielleicht eine männliche Ratte? Oder ein rettender Teppich? Nee das wird es nicht sein.

  • XXXVII

    Dies ist tatsächlich ein Schreibturnier-Update. Aber anders als ursprünglich angedacht. Es folgt nämlich der zweite "angekündigte" Teil mit dem Epik-Text aus dem letzten Jahr, den ich um den Epik-Text aus diesem Jahr erweitere. Dann habe ich das auch endlich getan und kann andere Updates ohne schlechtes Gewissen posten. Yay!


    Auf ein Wiedersehen

    „Opa?“ Meine Stimme klang verloren unter dem endlosen Sternenzelt, auch wenn mein Blick sich nur für die Umgebung um uns interessierte. „Erzähl mir von früher.“

    „Früher …“ Ich hörte das Lächeln in seiner Stimme mehr, als dass ich es sah. „Du weißt, so alt bin ich auch noch nicht.“

    „Aber du bist der einzige Erwachsene, der mir davon erzählt. Der nicht sagt, ich wäre zu klein, um zu verstehen, warum die Welt jetzt anders ist.“

    „Glaub mir, das sagen sie nur, weil sie es selbst nicht verstehen. Oder verstehen wollen. Niemand will zugeben, dass es hätte verhindert werden können.“

    Er schwieg einen Moment und ich ebenso, während ich meine Finger durch die staubige Erde gleiten ließ. Das Feld, auf dem wir uns niedergelassen hatten, war trostlos, was die Möglichkeit für Leben anging, aber für mich war es dennoch tröstlich. Ich hatte es immer schon geliebt, nachts nach draußen zu gehen und echte Erde in meinen Händen zu spüren. Mein Herz wollte nicht begreifen, dass ich heute zum letzten Mal die Möglichkeit dazu haben würde.

    „Vergiss deinen Traum nicht, Rosie“, sagte Opa, der mein trauriges Gesicht bemerkt hatte. „Eines Tages wirst du Botanikerin und jeden Tag mit Erde arbeiten. Und mit Pflanzen.“

    Pflanzen. Das Wort klang verheißungsvoll. Natürlich hatten auch wir Photosynthese-Pflanzen in unserer Wohnung gehabt, aber sie kamen ohne Erde aus. Fruchtbare Erde war kostbar und Pflanzen, die darin wuchsen, kamen mir fast so unwirklich wie Einhörner vor. Aber ich wusste, als Opa jung gewesen war, hatte es noch echte Pflanzen gegeben. Auf Feldern wie diesen.

    „Erzähl mir von früher“, wiederholte ich meine Aufforderung. „Erzähl mir von den Pflanzen.“

    Er lachte. „Man sollte meinen, langsam könntest du es besser erzählen als ich.“

    Ich sah ihn mit meinem besten Hundeblick an, auch wenn man ihn in der Dunkelheit sicherlich nicht sehr gut erkennen konnte.

    „Als ich ein kleiner Junge war“, begann er, „war die Dürre noch nicht vollkommen. Die Sommer wurden immer heißer und die Winter nicht mehr kalt genug, aber die letzten Pflanzen hielten sich wacker. Ich werde nie den Anblick des Sonnenlichts vergessen, dass in goldenen Sprenkeln durch die Blätter der Bäume fiel …“

    Meine Augen mussten so groß sein wie Teller, als ich ihn anstarrte: „Du warst bei Tag draußen?“

    „Hatte ich das noch gar nicht erwähnt?“, fragte er in seiner Grübelstimme. „Damals war die schützende Schicht um unsere Welt noch so intakt, dass die Sonne uns nicht sofort verbrennen konnte. Wir trugen Hüte und Sonnencreme, um uns zu schützen, aber wir konnten tagsüber draußen spielen.“

    Ich traute meinen Ohren kaum. Wie oft hatte ich meine Eltern angefleht, die Welt einmal bei Sonnenschein erleben zu dürfen. „Es ist zu gefährlich“, war immer die Antwort. „Niemand geht bei Tag raus.“

    „Wann hat es sich geändert?“, fragte ich.

    „Deine Mutter war gerade ein Jahr alt. Die Regierung beschloss, dass das Risiko zu groß war. Man baute die Überdachungen. Und nur ein paar Jahre später starben die meisten Bäume.“

    „Wie traurig“, flüsterte ich und zerbröselte einen Erdklumpen zwischen den Fingern.

    „Ja, sehr. Ich hätte dir gern die Welt gezeigt, wie sie früher war. Wie ich sie aus den alten Geschichten kenne. Mit Wäldern und Wiesen und Feldern voll von Getreide.“

    Die meisten dieser Worte kannte ich nicht, aber ich hob mir die Fragen für ein anderes Mal auf. In diesem Moment war mein Kopf zu voll.

    Eine Weile überließ mich Opa dem Schweigen und meinen Gedanken, dann fragte er: „Und du möchtest wirklich die ganze Nacht hier bleiben?“

    „Ja.“ Ich wusste, dass zu viel Draußenluft nicht gut war, aber das war mir egal. Es wäre eh das letzte Mal.

    Während ich weiter die Erde betrachtete, schaute Opa in die dunklen Weiten über uns. „Ich weiß nicht, ob ich diese Welt vermissen werde …“

    „Ich schon“, betonte ich mit Nachdruck.

    „Ich weiß, meine Blume“, sagte er und strich mir eine Strähne aus dem Gesicht. Ich liebte es, wenn er mich Blume nannte. Laut den Beschreibungen waren es die schönsten Dinge auf der Welt.

    Ich kuschelte mich an Opa und obwohl ich mich dagegen wehrte, fielen mir die Augen zu. Wir hatten fast den ganzen Tag damit verbracht, die letzten Vorbereitungen zu treffen, und ich war einfach zu müde. Eine Hand immer noch in der Erde liegend, schlief ich schließlich ein.


    „Rosie.“ Opas Stimme drang wie durch Watte an meine Ohren. „Du musst aufwachen. Es ist fast so weit.“

    Mit einem Mal war ich hellwach. Wie konnte ich nur die letzte wunderschöne Nacht verschlafen haben? Ja, ich wusste, Draußenluft machte schneller müde, weshalb man eigentlich nicht zu lange draußen bleiben sollte, aber so hatte ich mir das nicht vorgestellt.

    „Ist wirklich schon bald Sonnenaufgang?“

    „Ja“, bestätigte Opa und hielt mir seine Hand hin. „Lass uns gehen, es ist nicht so weit. Ein letzter Spaziergang.“

    Nun klang er wehmütig und ich nahm schweigend seine Hand. Und während wir so durch die karge Landschaft gingen, überkam auch mich die Traurigkeit, die das geschäftige Treiben der letzten Wochen verdrängt hatte. Dies war wirklich ein Abschied.

    Viel zu bald tauchte das riesige Raumschiff vor uns auf, so groß wie unsere ganze Stadt! Noch immer beeindruckte mich seine Größe, auch wenn ich schon ein paar Mal mit meinen Eltern hier gewesen war. Noch unbegreiflicher fand ich, dass es nicht das einzige auf der Welt war. Überall würden sie sich heute ins Weltall erheben – ohne die Aussicht, zurückzukehren.

    Auf der Rampe, die zur nächstgelegenen Tür führte, sah ich nur wenige Menschen – die meisten waren wohl schon da oder betraten das Raumschiff über einen anderen Eingang –, sodass mein Blick sofort die hellblonde Gestalt fand, die dort wartete.

    „Mama!“, rief ich und lief zu ihr hinüber, während sie sich hinhockte, um mich in die Arme zu nehmen.

    „Deine Tochter ist schon in der Wohnung“, sagte sie zu Opa, als sie seinen besorgten Blick sah. „Ich habe nur noch auf euch gewartet.“

    „Wollte Mom sich denn nicht verabschieden?“, fragte ich überrascht.

    „Das hat sie schon, meine Süße“, antwortete Mama und ich hörte die Trauer in ihrer Stimme.

    „Ich muss das noch machen“, sagte ich bestimmt. Dann drehte ich mich wieder dem schwächelnden Planeten zu, verließ die Rampe und hockte mich auf die Erde. Fast schon vorsichtig, nahm ich einen staubigen Klumpen in die Hand und zerbröselte ihn mit den Fingern.

    „Ich komme wieder“, flüsterte ich in den Wind, der den Staub davontrug. Nur das letzte Bisschen ließ ich in meiner geschlossenen Faust, ein letztes Andenken. Dann drehte ich mich um und betrat mit Mama und Opa das Raumschiff.

    Obwohl wir den Start schon oft geübt hatten, wirkte alles irgendwie hektisch, aber ich klammerte mich an den letzten Rest Erde, behielt ihn ich in der Hand, selbst als der Planet schon winzig klein unter uns erschien.

    „Dies ist kein Lebewohl“, sagte ich mir immer wieder. „Dies ist ein Auf Wiedersehen!“


    „Oma?“ Thilos Stimme klang gedämpft in dem kleinen Projektionsraum, der immer wieder Bilder von verschiedenen Pflanzen zeigte. „Erzähl mir von früher.“

    „Früher …“ Ich konnte das Lächeln in meiner Stimme nicht unterdrücken. „Du weißt, so alt bin ich auch noch nicht.“

    „Aber du warst da. Du kannst davon erzählen, wie es früher ausgesehen hat!“

    „Als ich klein war, hat die Welt nicht so ausgesehen wie auf den Bildern“, begann ich, „aber ich fand sie trotzdem wunderschön.“

    Ich hatte meinem Enkel bestimmt schon hundertmal erzählt, wie es früher war, aber er war so neugierig, dass er immer wieder fragte. Und so erzählte ich ihm erneut von all den Dingen, die man schon längst nicht mehr kannte. Und noch immer hoffte ich darauf, es ihm irgendwann tatsächlich zeigen zu können. Ich hoffte auf ein Wiedersehen mit meiner geliebten Erde.



    Tor der Hoffnung

    Langsam balanciere ich auf einer Schiene entlang, immer einen Fuß vor den anderen. Ich genieße die Ablenkung, die ich mir zugestehe. Keine Gedanken.

    „Sei vorsichtig“, ruft Mina zu mir herüber. Sie hat es sich im weichen Gras bequem gemacht und lehnt mit dem Rücken gegen den Bahnsteig.

    Leichtfüßig springe ich über einen dünnen Baum, der wohl im letzten Sturm über die Gleise gefallen ist. Zwar schwanke ich ein bisschen beim Aufkommen, aber dann drehe ich mich um und grinse meine Freundin an. „Was soll passieren? Soll ich umknicken und mir den Knöchel brechen?“

    „Zum Beispiel“, erwidert sie, doch ich springe trotzig wieder zurück. Mina verdreht die Augen. „Wir werden auch nicht jünger …“

    „So alt sind wir auch wieder nicht!“

    Trotz der leichten Worte hing die Nervosität zwischen uns, also mache ich mich auf den Weg zu ihr zurück, drücke mich am Bahnsteig nach oben und lasse meine Beine baumeln. Früher, als noch die Züge ins Unbekannte fuhren, hatte ich das alles immer mal machen wollen. Ich würde mich nicht davon abhalten lassen, es jetzt zu tun.

    Die Geschäftigkeit genau wie die Trostlosigkeiten scheinen heute weit weg. Das frische Grün des Grases, das die Gleise eingenommen hat, die jungen Blätter der Bäume … Heute ist alles hier so friedlich. Ich schließe die Augen, lasse mein Gesicht von der Sonne wärmen und versuche, mich auf den Gesang der Vögel zu konzentrieren. Doch immer wieder schleichen sich andere Bilder in meinen Kopf.

    „Er sollte langsam mal kommen, oder?“ Minas Stimme zittert leicht, also öffne ich die Augen, um sie beruhigend anzusehen.

    „Es waren zehn Jahre. Da kommt es auf ein paar Minuten nicht an.“ Ich versuche, unbeschwert zu klingen, aber ich erinnere mich nur zu gut an das letzte Mal, als ich an diesem Bahnhof auf Len gewartet habe.


    Unruhig tigerte ich in der kleinen Eingangshalle auf und ab. Ruß und Staub, die ich dabei aufwirble brannten mir in der Lunge. Bei jedem Geräusche zuckte ich zusammen. Ich wusste, dass es viel sinnvoller wäre, mich zwischen den Geröllhaufen mit Mina und den anderen zu verstecken. Aber ich konnte nicht. Und ich würde dort nur verrückt werden.

    „Jin?“

    Abrupt drehte ich mich um und entdeckte eine kleine Gestalt vor den Trümmern eines Ladens, der früher einmal süßes Gebäck und andere Leckereien verkauft hatte. Inzwischen hatte er seinen Zauber eingebüßt, was wohl nicht zuletzt daran lag, dass die Decke eingestürzt war und alles Schöne unter sich begraben hatte.

    „Lisa, was machst du denn hier?“, fragte ich und trat sofort ein paar Schritte auf sie zu. Das kleine Mädchen wirkte winzig vor den riesigen Trümmern des Bahnhofs. Die Sonne stand tief und die Schatten des Zwielichts ließen es fast wie einen Geist erscheinen, trug es doch noch immer das helle Nachthemd. Seit der Evakuierung.

    „Du machst dir Sorgen“, antwortete Lisa, ohne wirklich zu antworten. Sie konnte nicht älter als sieben sein, aber in ihren blaugrünen Augen lag eine Weisheit, die von einem Leben in Schlachten und Kriegen zeugte. Wir alle hatten zu schnell erwachsen werden müssen.

    Als ich vor ihr ankam, ging ich in die Hocke, um ihr direkt in die Augen sehen zu können. Sofort fühlte ich mich an meine Kindheit erinnert, wie verloren ich mich gefühlt hatte, selbst als dieser Bahnhof noch nicht in Trümmern lag. Schnell schob ich die Erinnerung beiseite und konzentrierte mich wieder auf das Mädchen vor mir. „Mina macht sich bestimmt auch Sorgen, wenn sie merkt, dass du nicht mehr da bist.“

    Lisa machte einen Gesichtsausdruck, der mir zwar zustimmte, aber gleichzeitig zeigte, dass ihr das gerade nicht wichtig war. „Auf wen warten wir?“, fragte sie schließlich.

    „Sein Name ist Len“, begann ich zu erklären. Warum sollte ich auch nicht. Ich musste nur darauf achten, aufmerksam zu bleiben. „Er findet einen Weg hier raus.“

    Ein einziger Blick in Lisas Augen sagte mir, dass sie mir nicht glaubte. Ich konnte es ihr nicht verdenken. Der Schotter um uns, der Staub, der durch die Luft wirbelte, der Geruch von Qualm, der nie ganz verschwand, nichts davon ließ viel Optimismus zu. Aber ich vertraute Len. Ich wusste, dass er es schaffte.

    „Wir sind zusammen hier angekommen, weißt du? Len, Mina und ich. Bevor der Kampf bis hierher vorgedrungen ist. Damals stand Len vor uns und hat gesagt, wir würden Zug fahren. Er hätte einen Ort gefunden, an dem wir sicher waren. Dies war unser Endbahnhof.“

    Ungläubig sah Lisa sich um. Vielleicht versuchte sie den Ort als sicheren Hafen zu sehen. Ob sie sich überhaupt an funktionstüchtige Züge erinnern konnte?

    „Hattet ihr auch keine Eltern?“, flüsterte sie schließlich.

    Ich schüttelte den Kopf, weil ich es nicht schaffte, die Lüge auszusprechen. Meine Eltern waren einverstanden – ich hatte mich trotzdem davongestohlen. Und ich wurde das Gefühl nicht los, sie niemals wiederzusehen.

    Tröstend legte Lisa eine Hand auf meinen Arm und ich musste Lächeln. Sie versuchte immer noch Trost zu spenden, egal wie einsam und verwirrt sie sich selbst fühlen musste.

    „Len kommt. Und er findet einen Weg“, versicherte ich noch einmal. „Und jetzt bringen wir dich zurück zu den anderen.“

    Es war mühsam, zu dem Gleisbett zu gelangen, in dem sich Mina mit den anderen Kindern des Waisenhauses versteckt hielt. Wir mussten über verschiedene Trümmerhaufen, aber auch noch fast intakte Abgrenzungen klettern und ich begann mich zu wundern, wie Lisa diesen Weg überhaupt alleine geschafft hatte. Vielleicht kam auch das vom zu schnellen Erwachsenwerden.

    Minas Augen wurden riesengroß, als sie uns schließlich entdeckte. Alle anderen Kinder hatte sie vorsorglich hinter sich geschoben, bereit mit ihnen über einen anderen, versteckteren Weg zu fliehen.

    „Lisa!“, flüsterte sie mit schulderfülltem Blick. „Ich hatte gar nicht bemerkt, dass jemand fehlte …“

    „Ist ja alles gut gegangen“, spielte ich die Situation herunter, die tatsächlich deutlich schlimmer hätte enden können. „Jetzt wird Lisa aber eh hier bleiben. Nicht wahr?“ Erwartungsvoll sah ich das Mädchen an, das bedeutungsvoll nickte und schließlich in der Menge der anderen Kinder verschwand.

    Ich wollte mich schon wieder umdrehen, da hielt Mina mich zurück. „Jin, es ist dunkel.“

    „Dann findet er uns nicht, wenn ich bleibe“, hielt ich dagegen, doch sie ließ nicht locker.

    „Du solltest nicht im Dunkeln über die Trümmer klettern. Was ist, wenn du umknickst?“ Mina war schon immer die vorsichtigste von uns.

    „Ich werde aufpassen“, versprach ich, dann wandte ich mich los und machte mich auf den Weg zurück in die Bahnhofshalle.

    Tatsächlich dauerte es länger als mit Lisa zusammen, weil ich mich immer weniger auf meine Augen verlassen konnte. Außerdem hielt ich häufiger inne, um zu lauschen. Aber alle Geräusche schienen von außerhalb des Bahnhofs zu kommen.

    Die Dunkelheit ließ den Bahnhof wie ein Monster erscheinen. Nichts mehr erinnerte an den lebhaften Ort, an dem wir vor Jahren angekommen waren. Ein bisschen erinnerte er mich an einen Zombie. Gestorben, aber noch nicht ganz tot. Zumindest hofften wir, dass er uns noch einmal ein Tor in eine neue Welt sein konnte.

    Ich wusste, es war töricht, einfach wieder in der Eingangshalle zu warten. Ohne Deckung, ohne Verteidigung. Aber mit Len hatten wir nur den Bahnhof als Treffpunkt ausgemacht. Also würde er vermutlich durch die Eingangshalle kommen. Wenn er denn an diesem Tag überhaupt noch kam. Immerhin hatten wir nicht gewusst, wie schnell wir das Waisenhaus hatten evakuieren müssen.

    Wo vorhin noch Ruhelosigkeit gewesen war, drückte nun die Erschöpfung und ich ließ mich auf einem der Trümmer des eingestürzten Daches nieder.

    Len würde kommen. Und er hätte einen Plan. Ich vertraute ihm mit meinem Leben. Das hatte ich immer. Die letzten Jahre hatten uns zusammengeschweißt. Mina, Len und ich, wir waren wie Geschwister. Er würde kommen.

    Ich wusste nicht, wie lange ich einfach nur dasaß. Mir war klar, dass ich zu Mina zurückkehren sollte. Es war nicht sinnvoll, wenn wir beide die ganze Nacht wach blieben. Meine Lider fühlten sich bereits schwer an, auch wenn an Schlaf nicht zu denken war. Langsam erhob ich mich, zögerte meine Rückkehr noch etwas hinaus, da hörte ich plötzlich ein Geräusch.

    Sofort schnellte mein Blick zu den zerbrochenen Resten der gläsernen Eingangstür. Mein Körper entspannte sich schon, ehe mein Gehirn realisiert, wessen Silhouette es dort sah. „Len“, flüsterte ich so laut, wie ich mich traute, und ohne wirklich mitbekommen zu haben, wie ich zu ihm gelangt war, lag ich in seinen Armen.

    „Jin“, seufzte er mit einer Erleichterung in seiner Stimme, die mir das Herz brach.

    Ich wusste nicht, ob er Schmerzen hatte. Gute oder schlechte Neuigkeiten. Ich gestattete uns einfach diesen Moment. Schließlich war er der erste, der sich von mir löste.

    „Wo sind die anderen?“

    „Versteckt.“ In der Dunkelheit konnte ich seine Gesichtszüge kaum ausmachen und traute mich kaum zu fragen: „Hast du einen Weg?“

    Ich spürte sein Lächeln mehr, als dass ich es sah, dann nahm er meine Hand und drückte sie fest. „Eine alte U-Bahn-Strecke zum Hafen und hilfsbereite Fischer“, antwortete er. „Es wird gefährlich, aber ihr werdet das schon schaffen. Die Einzelheiten erkläre ich, wenn wir bei den anderen sind.“

    „Moment, stopp. Du kommst nicht mit?“

    „Jin …“

    „Len!“ Das konnte er nicht ernst meinen. Wir konnten uns doch nicht trennen. Wir waren ein Team. Wir gehörten zusammen.

    „Ich kann hier noch so viel helfen.“ Er merkte, dass ich widersprechen wollte und kam mir zuvor: „Ich erkläre alles, wenn wir bei Mina und den Kindern sind.“

    Langsam nickte ich und führte ihn über die Trümmer. Wir schwiegen den ganzen Weg über, aber ich war trotzdem nicht richtig bei der Sache. Einmal knickte ich tatsächlich mit dem Fuß weg, aber der Schmerz verging schnell wieder. Anders als das Stechen in mir, weil Len uns verlassen wollte.

    „Du hast es geschafft!“ Erleichtert fiel auch Mina Len um den Hals, als wir endlich bei ihr ankamen.

    Dann beschrieb Len noch einmal, wie genau wir zum Hafen kämen und dort die richtigen Fischer fänden. „Ihr solltet sofort bei Sonnenaufgang aufbrechen, um so schnell wie möglich in die Tunnel kommen und weniger lange leicht sichtbar zu sein. Ich werde hier bleiben und weiter bei der Evakuierung helfen“, schloss er seinen Bericht.

    „Du kommst nicht mit?“, fragte nun auch Mina.

    „Tut mir leid.“ An der Art, wie er unseren Blicken auswich, merkte ich, dass er es ernst meinte. Dann aber fügte er mit fester Stimme hinzu: „Ich weiß einfach, dass ich hier so viel mehr tun kann.“

    Stumm schüttelte ich den Kopf und Mina traten die Tränen in die Augen. Aber inzwischen hatten wir beide erkannt, dass wir ihn nicht umstimmen könnten. Er hatte ja recht. Wir taten alle, was wir konnten.

    „Was ist, wenn …“ Mina schaffte es nicht, die Frage zu beenden. Ich verstand es sehr gut. Ich hatte mir nicht einmal erlaubt, daran zu denken.

    „Wird nicht passieren“, versicherte Len, auch wenn wir alle wussten, wie leicht diese Zeit ihn Lügen strafen könnte. „Wir treffen uns einfach wieder. Wenn das alles vorbei ist. Hier, im Reich der Neuanfänge. Es wird nicht mehr lange dauern.“

    „Das wird nicht so einfach“, entgegnete ich. „So schnell geht das nicht.“

    „In zehn Jahren“, sagte Mina entschlossen. „Da muss alles vorbei sein. Heute in zehn Jahren treffen wir uns wieder hier.“


    Manchmal habe ich noch immer Angst, dass der Frieden trügt. Aber die frische Luft und die sanfte Brise versichern mir, dass es wirklich vorbei ist.

    „Er wird kommen“, sage ich. Aber jetzt, da ich still sitze, holt mich die Unruhe doch wieder ein. Weder Mina noch ich haben es in den letzten Jahren geschafft, Len ausfindig zu machen. Uns blieb immer nur die Hoffnung auf diesen Tag. Nur was, wenn ich mich irre?

    Mit einem Mal springt Mina auf die Beine. „Jin!“, ruft sie noch, dann rennt sie die Gleise entlang, auf denen ich eben noch balancierte. Im nächsten Moment erkenne ich den Grund ihrer Aufregung in Form einer einsamen Gestalt, die uns entgegen kommt. Sie humpelt ein wenig, aber sie ist am Leben.

    Wieder merke ich kaum, wie ich zu ihm gelange, ich merke nur, wie wir alle ineinander verschlungen auf die Gleise sinken. Meine Wangen sind überdeckt mit Tränen.

    Lens Stimme ist rau, aber so vertraut in meinen Ohren, als er flüstert: „Endlich zuhause.“