(Kurzgeschichte BW) Die Heldin und der Prinz - White x N

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  • Die Heldin und der Prinz


    Quelle: Deviantart


    Klappentext

    Als Kind liebte sie Märchen, doch diese Geschichten waren veraltet.
    Heute waren Heldinnen in Mode, die ihren Prinzen retteten.


    Genres
    Romantik, Drama


    Allgemeines
    Ich heiße euch herzlich willkommen. =)
    Als BW erschien, habe ich eine FF namens Colorful begonnen, die ich leider nie fertiggestellt habe, doch diese "Kurzgeschichte" aus Colorful liegt mir noch immer sehr am Herzen. In der FF war sie der Prolog, aber sie kann auch für sich alleine stehen und soll nicht untergehen, da N einer meiner Lieblingspokemoncharas ist. Er ist in meinen Augen auch der interessanteste Spielecharakter.
    Isshu / Unova / Einall ist, wie in den Spielen bereits angedeutet, von amerikanischer Kultur geprägt.
    Daher habe ich Touko / White Hayley genannt (sie wird in meiner Trilogie "Die Chroniken Johtos" erwähnt werden =D) und Touya / Black trägt nun den namen Lucas.
    N... ihr werdet sehen. =D (Wusste damals seinen "echten" Namen noch nicht)
    Wundert euch nicht, wenn sich der Schreibstil von meinem Jetzigen etwas unterscheidet.
    Ich wünsche euch allen viel Spaß beim Lesen!


    Part 1


    „Du Verrückter!“ Ihre vor Zorn fast schrill gefärbte Stimme verhallte im prachtvollen Marmorsaal, als wäre sie nur ein leises Piepsen gewesen. Über ihr erstreckte sich der freie Nachthimmel. War das nicht grotesk? Ein Prunksaal und ein Schloss ohne Dachgemäuer?
    Die Fassade des Raums, dessen Größe sie nicht ausmachen konnte, strahlte im gedämpften Licht der mittelalterlichen Kronleuchter ein mattes Gold ab und zeigten geflochtene Teppiche, welche Banner darstellten, die sie keinem ihr bekannten Staat zuordnen konnte.
    Wenn sie ihren Blick nach vorne richtete, nahm sie eine unklare, menschliche Silhouette wahr. „Nate?“ Etwas verhaltener, sanfter und doch hörte sie sich wie ein knurrendes Yorkleff an. Es war genug von allem, das hier musste endlich zu seinem Ende finden – das würde es auch, ohne dass die ganze Geschichte, die ihr selbst noch immer unwirklich erschien, mit einem großen, epischen Knall endete. So endeten nur Filme.
    Hayley hatte die Elite Four bezwungen, jedes seiner Mitglieder, aber hier wollte sie keine Kämpfe austragen. Sie glaubte daran, dass man jene Probleme mit anderen Mitteln anging als roher Gewalt. In ihren Gedanken hatte sich bereits ein Ausgang festgefahren, in dem sie Nate nur den Klauen seines machtgierigen, kalten Vaters zu entreißen brauchte. So einfach. Als Kind hatte sie Märchen geliebt, doch diese Geschichten waren veraltet. Heute waren Heldinnen in Mode, die den Prinzen retteten.
    Die Silhouette am anderen Ende des Saals, die sie definitiv als Nate ausmachen konnte, entfernte sich erst unsicher einen Schritt von ihr. Also lag es an ihr, auf ihn zuzugehen.
    Sie atmete tief durch und umfasste mit zierlichen Fingern den Dunkelstein, in der Hoffnung, dass sie ihn nicht benötigen würde, doch das glatte Gestein in ihren Händen ließ sie sich in Sicherheit wiegen.
    Niemand sonst hätte für sie die letzten Treppen hochlaufen können. Ihre Freunde hatten nicht von ihrer Seite weichen wollen; Lucas, Cheren und Bell hatten sogar noch die Siegesstraße mit ihr gemeinsam bestritten. Dort unten warteten sie auf Hayley, schlugen dort mit einigen Arenaleitern an ihrer Seite ihre eigenen Schlachten gegen die sechs der ‚Sieben Weisen‘, alte Männer, die zum Gefolge Ghetsis gehörten und ihr den Weg versperrt hätten. Sie waren ihre Freunde, die Besten. Seitdem sie denken konnte, waren sie immer an ihrer Seite gewesen.
    Und nun stand sie dennoch alleine hier, in den Weiten dieses scheinbar endlos großen Saales und fror. Der weiß-gesprenkelte Marmor ließ Parkett und Säulen edel erscheinen, fraß sich jedoch mit seiner Kälte bis zu ihren Knochen vor. Nur ein dünner Stoffmantel bedeckte ihren Körper über der freizügigen Sommerkleidung, die sie der Jahreszeit angemessen trug, und ließ ihre nackten Beine der Kälte und dem Wind über. Dann griff auch die Nervosität nach ihr, Unsicherheit, die sie eigentlich mit allen Mitteln vertreiben wollte. Was wäre, wenn ... So begann jeder Gedanke, der ihr den Mut nahm. Da in ihr der Wunsch aufkam der gesamten Szenerie den Rücken zu kehren und davonzulaufen, zwang sie sich Nate entgegenzukommen. Im letzten Jahr hatte sie deutlicher denn je zu spüren bekommen, dass sie gegen ihre Angst ankämpfen und handeln musste. Sonst war sie ihr Sklave.


    Mit jedem Schritt erkannte sie seine recht große, schlanke Statur besser, erkannte seine zu einem losen Pferdeschwanz gebändigten langen, gewellten Haare, die für einen Mann vielen Schmuckstücke, die er trug. Das Dämmerlicht gab sein Haar als dunkles Grün preis. Sie wusste, dass es bei Tag viel heller war. Frühling – genau, wie der Frühling. Um sein rechtes Handgelenk lagen drei lockere, viereckige Armreifen, um sein Linkes ein schwarzes Band. Um den Hals trug er eine Kette mit einem runden Anhänger. An seinem Gürtel baumelte ein würfelartiges Gebilde herab und harmonierte mit seiner schlichten Kleidung. Wahrscheinlich sah nur sie diesen jungen Mann so genau an.
    Er senkte den Blick und verbarg sich hinter Strähnen. Feigling! Sah ihr nicht einmal ins Gesicht. So oft hatte sie es mit Verständnis versucht, dieses Mal würde sie ihn nicht mehr mit Samthandschuhen anfassen. „Bist du stolz, ja? Auf Daddys Werk?“
    Noch einige Schritte näher sah sie, wie er den Mund öffnete, um etwas zu sagen und doch verließ kein Laut seine Lippen. Im Schein der Kronleuchter erschien sein Gesicht jünger als das eines Siebzehnjährigen, noch weicher als sonst, noch wärmer, noch feiner gezeichnet.
    Hayleys Unsicherheit war ungebändigter Wut gewichen, die entladen werden wollte. Mit festen Schritten überwand sie das letzte Stückchen, bis nur mehr eine Armlänge Entfernung zwischen ihnen lag. Für ein Mädchen gewöhnlich groß, musste sie den Blick heben, um direkt in seine Augen sehen zu können. Vermutlich sah es eher lächerlich aus, wenn sie ihre Hände zu Fäusten ballte und sich vor ihm aufbaute. Das war jetzt auch schon egal. „Kannst du nicht mehr reden?“, blaffte sie ihn an.
    „Das ist mein Traum, nicht der meines Vaters“, entgegnete Nate schüchtern. Seine Gestik, seine Mimik, seine Sprache, ja sein gesamtes Verhalten war innerhalb eines Jahres natürlich geworden – menschlicher, nicht mehr ganz so gekünstelt und lebensfremd wie früher. Dass er bis zu dem Zeitpunkt, an dem er Hayley und ihren Freunden begegnet war, fast nur in Gesellschaft einiger Pokemon gelebt hatte, schien tatsächlich nicht übertrieben gewesen zu sein.
    „Dein Traum ist es, mir meine Pokemon wegzunehmen, ja?“
    Fassungslos sah er sie an, vermutlich hatte er daran noch keine Gedanken verschwendet. „Dir nicht.“
    „Allen anderen schon? Warum mir nicht?“
    „Auch Lucas, Cheren und Bell nicht. Ihr seid sehr gute Menschen.“ Nate sah sie sanftmütig an, gab vielleicht etwas zu viel von sich preis. Wie hätte es auch anders sein sollen? Von jemanden, der nie gelernt hatte, wie man seine Gefühle verbarg, noch wie man sie richtig zeigte.
    Noch versuchte sie ihren Zorn hinunterzuschlucken, sicherlich war sie auch nur enttäuscht von ihm, weil sie ihn in ihre „goldene Freundesmitte“ aufgenommen hatten und dann der ernüchternden Realität entgegensehen mussten. Sie entgegnete fest: „Andere auch. Wie willst du wissen, dass es nicht so ist? Du kennst nur uns. Du warst mit uns drei Woche auf Reise. Sei‘n wir mal ehrlich.“ Sie rief sich ins Gedächtnis wie eindringlich Cheren sie gewarnt hatte, mit ihm gäbe es bloß Probleme und wegen Nate – es war schwer ihm deswegen keinen Zorn entgegenzubringen – hatten sie sich gestritten. So etwas kannte sie gar nicht von ihren Kindheitsfreunden.
    Niemals würde sie locker lassen, andernfalls blieb ihr keine andere Wahl als sich seinem Reshiram zu stellen. Daran wollte sie gar keine Gedanken verschwenden. Wer wollte schon einem dieser übermächtigen Wesen entgegensehen und wissen, seine letzte Stunde hätte geschlagen?
    „Viele Trainer versklaven ihre Pokemon.“ Wie auswendig gelernt. „Ich habe es gesehen“, fügte er hinzu. „Sonst wüsst‘ ich es nicht. Es gibt kaum gute Menschen auf der Welt.“ Hörte er ihr denn richtig zu? Wie eine Maschine wiederholte er seine Gedanken und Träume, die nicht ihm entsprangen. Worin lag überhaupt seine eigene Persönlichkeit? Existierte sie oder konnte sie bis an den Grund graben, ohne auf etwas zu stoßen? War da … nichts? Sie wollte es nicht glauben. Sanftmütig, mitfühlend und höflich, so würde Ghetsis Puppe nicht werden. Nicht, wenn sie willenlos war.
    „Was?“
    Und wieder senkte er seinen Blick. Zornig packte Hayley ihn am Handgelenk. „Ich hab gefragt ‚was‘?“
    „Menschen, die Pokemon grausam behandelt haben. Das war es.“ Er klang wie ein kleines Kind, welches versuchte seinen Schrecken in Worte zu fassen.
    Hayley wurde schlagartig bewusst, dass er tatsächliche Qualen beschrieb und keine Trainer, die sich hier und da schroff ihren Partnern gegenüber verhielten. „Das hat mir vorhin schon … die blonde Frau erzählt. Sie scheint dich gut zu kennen. Nate, ich wollte wissen, was das war.“
    Nate blinzelte, dann überkam ihn ein Ausdruck tiefer Traurigkeit, welche wohl Erinnerungen darstellten, die sie nicht erreichen würden. Zumindest nicht in absehbarer Zukunft. „So etwas darf nicht mehr passieren. Nie wieder.“
    „Du bist so dumm!“ Ein Schrei aus voller Kehle, so laut, so schrill, dass sie die Vibration und Anspannung ihrer Stimmbänder spürte. „Und naiv. Ich versteh‘ nicht, wie man so sein und werden kann wie du. Menschen sind untereinander sehr grausam, sie sind zu Pokemon grausam. Richtig bestialisch manchmal. Willst du jeden für sich auf eine eigene, kleine Insel setzen? Nur damit die Welt ein schöner, pinker Ponitahof wird? Dein Vater wollte doch, dass du diese ganzen Grausamkeiten siehst. Damit du mitspielst. Siehst du das nicht?“ Aufgelöst tigerte sie im Saal umher, warf verzweifelt die Hände in die Luft und ließ all ihren Ärger hinaus, ohne zu wissen, was sie bezwecken wollte. Hier störte sich wenigstens niemand daran, wenn sie schrie, wütete, keifte und tobte. Vielleicht benötigte Nate sogar klare Worte. „Ein Schloss, Nate, ein Schloss! Und hat Daddy dich schon ‚gekrönt‘, ja? Das ist größenwahnsinnig. Genauso wie irgendein irrer Heldenmythos und dein Plan. Ghetsis Plan. Vorhin noch, er hat es mir fast unter die Nase gerieben, dass du nur eine Puppe bist. Und mein Arceus, dein Vater hat es geschafft, du bist verrückt geworden.“
    „Ich bin nicht verrückt“, erwiderte er kleinlaut. „Es ist mein Traum, alles hier. Man muss etwas Neues versuchen, wenn das Alte nicht funktioniert.“ Nate lächelte und doch wirkten die Worte hohl. „Das alles sagst du nur, damit ich meine Ideen aufgebe. Ich hab' alles immer und immer wieder durchdacht.“
    Während sich Hayley unzählige Male mit ihm unterhalten hatte, hatte sie die meiste Zeit damit verbracht, ihm in die Augen zu sehen. Hellblau waren sie, von dünkleren Sprenkeln durchzogen. Jedes menschliches Auge wies besondere Muster auf, nur achtete sie bei anderen nicht darauf. So etwas fiel bloß auf, wenn man die Person aufmerksam betrachtete und sie konnte sein Bild bereits eins zu eins, naturgetreu, in ihre Gedanken projizieren: das hier war nicht echt.
    „Weißt du, was wir alles durchmachen mussten, nur weil dein wahnsinniger Vater anscheinend Isshu unterjochen will – oder was weiß ich, was der Verrückte noch für Pläne hat. Weil du dich ausnutzen lässt?“ Ihr war bewusst, dass sie wie eine Furie auf ihn zukam, als sie ihm die Hand mit aller Kraft gegen die Brust stieß, die Zähne fletschte und einen wütenden Aufschrei entließ. Anscheinend hatte er nie gelernt, wie er sich in einer solchen Streitsituation verhalten sollte, also sah er sie verwundert an, fing sich und versuchte zu verstehen, was sie eben getan hatte. „Weil es da draußen noch andere Menschen gibt, die einfach Ghetsis folgen, ohne nachzudenken? Weißt du, was ich alles durchmachen musste? Und Lucas? Und Cheren? Und Bell? Diese verdammte Drachenstiege sind wir raufgekrochen. Meine Mutter hat mich weinend angerufen, weil sie wollte, dass ich wieder nach Hause komme. Die Eltern meiner Freunde machen sich genauso Sorgen. Wir haben uns wegen euch durch’s Wüstenresort gekämpft.“
    „Das tut mir leid.“ Ob sie es glauben konnte oder nicht, seine Mimik war derart aufrichtig, dass seine Bekundung nicht gespielt sein konnte.
    „Leid?“, spie sie aus. „Du machst dich zu Ghetsis Spielzeug – und wir werden es auch. Es ist egal, ob wir wollen oder nicht: wir konnten ja nicht einfach Team Plasma zusehen. Auch, dass alte Knacker und ein Haufen eurer Leute den Weg versperrt haben und jetzt paar Arenaleitern und meinen Freunden das Leben schwer machen? Tut dir das auch leid?“
    „Das wollte ich nicht.“
    Aufgebracht hielt sie ihm den Zeigefinger entgegen. „Unterbrich mich nicht! Dass ich hier raufkommen muss, weil du irgendeiner dummen Sage, einer noch dümmeren Idee und Reshiram nachläufst? Und die Leute aus Isshu glauben jetzt, sie würden einen ‚Helden‘ bekommen.“ Ungläubig schlug sie sich gegen die Stirn und lachte bitter. Wenn sie all das aussprach, konnte sie es selbst nicht glauben und hielt die gesamte Situation für einen bizarren Traum.
    Da hatte sie auch in ihm ein Feuer entfacht, eindringlicher und doch nicht so explosiv wie sie, gab er ihr Konter. Wenigstens etwas. So drang sie eventuell zu ihm vor. „Der Lichtstein hat geleuchtet, als ich ihn die Hand genommen habe. Das ist doch -“
    „Der Dunkelstein hat auch bei mir geleuchtet. Jetzt haben wir hier ein Problem. Isshu verträgt keine zwei Helden, die ganz unterschiedliche Dinge wollen.“ Hayley umrundete ihn selbstbewusst und wertete ihn mit ihren Blicken ab. „So sieht kein Held aus einer Sage aus.“ Reale Märchen waren aus einem anderen Material geschnitzt. Sie waren kompliziert und handelten von Prinzen, die sich mit Händen und Füßen dagegen wehrten, dass die Heldin sie rettete. Niemand hatte sie davor gewarnt, dass das Gute verlieren konnte.
    Vielleicht hatte sie sich vorgestellt, wie alles nachher werden würde. Sie wollte Nate die Welt zeigen, ihre Welt, eine, in der man selbstverständlich jeden Tag mit Menschen in Kontakt kam und es nicht als befremdlich empfand, in der man Freundschaften pflegte, neue Bekanntschaften machte und in der es selbstverständlich war mit jemanden zusammen zu sein. Eine Welt, in der Trainer ihre Pokemon kämpfen ließen und sie als Kameraden betiteln konnten, ohne sich in einen Widerspruch zu verstricken. „Aber mir reicht schon, wenn da jemand ist, der dem Ganzen hier ein Ende macht. Auf mich hört Team Plasma nicht. Auf dich schon.“
    Etwas apathisch folgten seine Augen ihr. „Ich glaub' dir nicht. Du musst dich irren. Ich bin sicher kein Spielzeug für meinen Vater. Hayley, er ist mein Vater und er unterstützt mich …“
    Hayley wusste nicht, ob in ihr Verständnis oder Zorn reifen sollte. Auch sie würde niemanden glauben, dass ihre Eltern sie in Wirklichkeit ausnutzten und Pläne auf ihre Kosten verfolgten. Aber Ghetsis war irre, das sah man doch … etwa nicht? Als Sohn auch?
    „Und außerdem: deine Doppelmoral kotzt mich an“, warf sie provokant ein und hob herausfordernd die Augenbrauen.
    „Doppelmoral?“, echote Nate verwundert.
    „Du willst die Pokemon befreien und hältst selbst ein ganzes Team aus sechs Pokemon in Bällen.“ Besonders lange konnte sie ihren Triumpf nicht genießen.
    Daraufhin nickte er nur wissend, als hätte er diesen Einwand von vorhinein bedacht. „Wenn sie, nachdem ich Reshiram gerufen habe, bei mir bleiben möchten, geschieht das aus freien Willen. Ich habe noch nie ein wildes Pokemon gewaltsam seiner Freiheit beraubt, es vielleicht aus einem Familienverband oder Rudel gerissen, nur damit ich es für mich wie ein Kampfwerkzeug verwenden kann. Damit es für mich kämpft und ich den gesamten Ruhm für die Anstrengung meines Partners ernte. Meine Partner haben sich mir aus freien Willen heraus angeschlossen. Sie haben es mir so gesagt.“
    Es stand fest, er war anscheinend endgültig verrückt geworden. Jemand, der behauptete er könne mit Pokemon sprechen – abgesehen von einigen Ausnahmen, bei einem Simsala könnte sie sich etwas dergleichen gut vorstellen – gehörte doch in die Klapsmühle! Trotzdem verspürte sie Zuneigung wie zuvor auch.
    „Gib mir den Lichtstein, Nate“, sagte sie betont eindringlich und streckte ihm eine offene Hand entgegen. „Sei vernünftig. Du weißt nicht, was du tust.“
    „Ich weiß genau, was ich tu!“ Eisern, so wie er selten war. „Seit elf, zwölf Jahren hab ich an nichts anderes als meinen großen Traum mehr denken können! Ich habe alles durchdacht, alles.“
    Sprach sein eigener Größenwahn oder der seines Vaters aus ihm? Sie hoffte inständig auf Zweiteres, schließlich erschien ihr das auch wahrscheinlicher. „Alleine oder hat Ghetsis für dich gedacht?“, erwiderte sie spöttisch und deutete mit einer heranlockenden Bewegung ihrer Finger an, er solle ihr den Lichtstein überreichen. Tatsächlich nahm er ihn aus der Tasche und betrachtete das makellose, schneeweiße Relikt melancholisch.
    „Gib ihn mir, du willst mir sicher nicht Reshiram auf‘n Hals hetzen.“ Sie berührte mit Fingerspitzen seine Hand, öffnete sie sanft und erhielt ein vertrautes Lächeln. „Du kannst ein ganz neues Leben haben.“
    „Ich will dir Reshiram nicht an den Hals hetzen“, bestätigte er. „Ich will nicht, dass dir was passiert.“ Unsicher ließ er vom Lichtstein ab. „Vielleicht …“


    Just in dem Moment ertönten schwere Schritte. „Was tust du?“, jaulte eine ältere, krächzende Männerstimme.
    Nate entzog ihr den Lichtstein und seine Hand wieder. „Vater!“ Jeder Muskel in seinem Körper verspannte sich. Sofort zog er seine Schultern an.
    „Du bist wie ein kleines Kind. ‚Daddy sagt …‘ und ‚ja, Daddy, mach ich. Wenn du willst, dass ich Isshu zerstör‘, mach ich das, weil du es sagst‘“ Sie wollte ihn provozieren, alles aus ihm herauslocken. „Nate, du bist siebzehn. Rebellier. Widersetz dich. Geig ihm deine Meinung. Sag verdammt nochmal ‚nein‘. Nein!“
    Sie wirbelte um und sah voller Verachtung Ghetsis entgegen. „Was für eine Freude, die dumme, kleine Hayley hier zu sehen, nicht? Sie gibt einfach nicht auf.“
    „Wahrlich eine Freude.“ Ein schiefes Lächeln umspielte die dünnen, alten Lippen. Der betagte Mann war in eine bodenlangen, aufwendig bestickten Robe gekleidet. Als wäre er eben aus einem Portal des Mittelalters gesprungen und im einundzwanzigsten Jahrhundert gelandet. Sein grünes Haar, welches zu beiden Seiten über seine Schultern fiel, war beinahe ergraut. Auf seinem rechten Auge prangte stets ein rotes Monokel, welches darunter nichts erkennen ließ – vermutlich hatte er es verloren –, sein Anderes fixierte sie irr und starr. Hayley hatte noch nie einen Menschen gesehen, der ihr mehr Angst bereitet hätte. Desto trotziger musste sie sich ihm entgegenstellen.
    „N, das ist also dein Dank? Du enttäuscht mich. Vielleicht hast du es tatsächlich nicht verdient, mein Sohn zu sein? Solch eine Schande, wie du bist. Solch ein undankbares Etwas. Vergiss niemals, wer dich aufgezogen hast.“
    Das Mädchen zuckte unter den Worten mehr zusammen, als Nate selbst. Vermutlich hatte er sie nur schon viel zu oft gehört.
    „Er heißt Nate“, widersprach sie. Sie erinnerte sich, wie schwer es für sie gewesen war, seinen richtigen Namen zu erfahren. Mit N hatte er sich ihr auch vorgestellt, vermutlich war er sich es nicht einmal selbst Wert gewesen, etwas Menschliches an sich sehen zu dürfen. Vielleicht hatte er sich auch bis vor kurzem als Pokemon im falschen Körper angesehen.
    Wieder dieses zynische Lächeln. „Ist zu bezweifeln.“ Egal ob er ein alter Mann war, Hayley wollte ihn am Ende dieses Tages im Staub kriechen sehen, vor ihr auf den Knien und sie um Verzeihung anflehen. Nein, nicht vor ihr, besser noch vor seinem Sohn.
    „Es tut mir leid, ich wünschte, du würdest das verstehen.“
    „Wehe dir!“, keifte sie und rieb mit der linken Hand auf Nate auf.
    „Ich werd dir nicht deine Pokemon wegnehmen – oder Lucas, Cheren, Bell. Nur den anderen Menschen, die …“


    Nate riss selbst verwundert die Augen auf, als der Lichtstein zu leuchten begann. Zwischen seinen Fingern bannte sich lohendes, reinweißes Licht hindurch und erfüllte den Saal. Warum? Was hatte er dazu beigetragen? Vielleicht hatte ein sehnlicher Wunsch von ihm ausgereicht. Einer, den sie zu gerne gekannt hätte.
    Im selben Moment begann das Relikt in ihrer Hand zu glühen, heiß wie Kohlen. Fast hätte sie es von sich geschleudert. Die schwarzen Strahlen deckten sich mit denen seines Gegenstückes und malten seltsame Muster an die Wände und in ihre Gesichter.
    „Was hast du getan?“, wisperte sie fassungslos.
    In den ersten Sekunden geschah nichts, ihr pochendes Herz wollte glauben, dass sie alle nur auf einen alten, dummen Mythos hereingefallen waren, der nicht existierte. Auch als weitere Sekunden vergingen, blieben sie in Alarmbereitschaft. Hayley durfte nicht in Panik geraten.
    Dann geschah es, wie aus dem Nichts. Die Boten waren regelrecht harmlos, wenn sie daran dachten, was weiters geschehen könnte. Zwei sich überkreuzende Schatten bildeten sich am Marmorboden ab. Hayley hatte als Kind den Kopf in den Nacken gelegt, um eine landende Boeing zu betrachten. Die gesamte Welt war für sie damals einige Sekunden lang schwarz geworden, als das Flugzeug die Sonne verdeckt hatte.
    Doch diese Schatten eben konnte sie mit nichts Gesehenem vergleichen.
    Ein Orkan riss sie alle von den Beinen, wie ein schwebendes Blatt im Wind, ohne Standfestigkeit. Etwas Zierliches und Leichtes, das einfach so davontreiben konnte. Erst einige Momente nach dem Sturz, fühlte sie den Schmerz in ihren Gliedern. Am liebsten wäre sie dort liegengeblieben, mit gesenktem Blick und hätte einfach auf das Ende gewartet, jenes, welches sie Nate nicht zutraute, das er ihr bereitete. Seinem Vater umso mehr.

  • Part 2


    Hayley wollte nicht mehr, Hayley konnte nicht mehr. Sie erwartete bereits ein Erzittern der Erde, als wäre ein Meteorit neben ihr eingeschlagen und suchte bereits vergeblich Halt am glatten Parkett. Stattdessen berührten vier leichtfüßige Pfoten den Boden, elegant wie ein Kleoparda und schwerelos wie eine Feder. Waren das also Reshiram und Zekrom? Musste sie nun, wie es ihr gesagt wurde, gegen den ‚finsteren Drachen‘ kämpfen? Sie traute ihren Partnern alles zu – nur das nicht. Und sich selbst erst recht nicht. Das ging einfach nicht. Deswegen versteckte sie lieber noch ihren Kopf zwischen ihren schützenden Unterarmen, wartete, hoffte und betete.
    Sollten nicht Kampfgeräusche zu ihr durchdringen? Sollte sich Nate nicht gegen Reshiram beweisen? – obwohl er dafür lebensmüde sein musste.
    „Gib her, du nutzloses Ding“, hörte sie Ghetsis keifen. Vielleicht riss er seinem Sohn den Lichtstein aus der Hand. In diesem Moment erschallte tatsächlich ein Schrei, so wie sie sich Reshiram vorgestellt hatte. Als pompösen Drachen, gefährlich, mit fletschenden Zähnen und einem Feueratem, doch ebenso auch rein und engelhaft. So stellte man sich Reshiram, die Reine‘ vor. Es hieß, sie hatte das Gute und den Frieden in diese Welt gebracht. Vielleicht … ja hatte es einen Grund, dass sie sich Nate anschloss? Noch nie hatte sie bemerkt, wie er jemanden etwas Schlechtes gewünscht hätte.
    Hayley hob den Kopf und blinzelte. Reshiram war wunderschön. Gleich in welcher Situation sie sich befand, bei diesem Anblick blieb ihr keine andere Möglichkeit, als sich geborgen zu fühlen. Der aufrechte, schlanke Drache war in der Farbe frischgefallenen Schnees gefärbt, seine nach oben angewinkelten Schwingen sahen wie ein weiches Bett aus Federn aus, oder wie die Wolken, von denen jedes Kind glaubte, sich einmal fallen lassen zu können. Um ihren Hals waren zwei platine Ringe geschnallt. In einer Fabel war von den ‚heiligen Ringe‘ die Sprache. An ihrem prächtigen Haupt, mit einer spitzen, fast animalischen Schnauze, floss eine weiße Mähne herab, die sie von ihrer Konsistenz an Nebelschwaden erinnerte. Als der Drache erneut aufschrie, färbte sich sein Schweif glutrot. Hayley starrte ihn erstaunt an. Die olympische Fackel: Die Übereinstimmungen konnte niemand von der Hand weisen.
    Hayleys Blick wanderte weiter von Reshiram zu Zekrom. Dies war also ihr Drache. Stämmiger und furchteinflößender als sein Gegenstück, doch keinesfalls bösartig. Sein schwarzer, anscheinend aus einem dunklen Stein gemeißelter, Körper erschien ihr standhafter, mit Beinen wie Säulen. Ihm fehlte jede Eleganz, dafür besaß er etwas, das Reshiram nicht zu Eigen war: eine Ausstrahlung immenser Macht. Sein Schweif bildete einen Funken sprühenden Donnerkeil.
    „Du darfst nicht gegen Reshiram kämpfen!“, beschwor Hayley. Erst nachdem sie ihre Bitte zu Ende gesprochen hatte, bemerkte sie, dass man so nicht mit einem ehrwürdigen Wesen sprach. „Bitte“, fügte sie scheu hinzu.
    Richt‘ dich auf, erklang eine männliche, tiefe Stimme. Ohne nachzudenken, kam sie sofort auf die Beine. Zekrom wandte sich an sie. Das ist eure Angelegenheit.
    In ihrem Kopf hallte Zekroms Stimme wider! Ihr Mund war vor Schock so trocken, dass sie keinen Laut hervorbrachte. So nickte sie nur einsichtig.
    Auch Reshiram senkte ihr Haupt und stieß Nate sanft mit ihrer Schnauze an. Du darfst von mir nicht erwarten, dass ich mich benutzen lasse. Das liegt weiter unter meiner Würde.
    „Aber…“ Er unterbrach sich, schüttelte über sich selbst den Kopf und umarmte ihren mächtigen Kopf mit beiden Armen. „Warum hast du mich dann auserwählt?“
    Auserwählt? Erst dachte Hayley, die Drachendame würde ihre Zähne blecken, dann erst sah sie das Lächeln hinter den dolchartigen Fängen. Aber doch nicht, um dich zu einem ‚Helden‘ zu machen. Ihr entrann ein Seufzen, bei dem eine hellgraue Rauchwolke ihre Nüstern verließ. Menschen benötigen Schutzengel. Früher kamen die Menschen mit einem Gebitt zu mir, sie suchten Rat. Sie wollten mich für gewöhnlich nicht beherrschen. Sie bauten mir eine monumentale Stufenpyramide und legten den Lichtstein in einen Schrein. Dort kamen sie die Stufen hinauf, nur zu mir und brachten mir stets mundende Opfergaben bei. Doch viele Menschen wies ich auch ab. Ich wollte nicht, dass sie den Lichtstein berührten, sie waren mir zutiefst zuwider. Als du schließlich den Stein berührtest, war ich schon in der Annahme, dass wenigstens ein Mensch nach hunderten Jahren den tieferen Sinn dahinter begreift, zu mir zu kommen. Jedenfalls wirktest du, als suchest du Rat und da du mir sympathisch erschienst, wollte ich ihn dir schenken. Ich bin ein Orakel, kein Werkzeug. Schon gar kein Werkzeug eines anderen Werkzeugs.
    Zutiefst verletzt sah Nate auf. Schlussendlich musste er die Wahrheit erfahren. Wenn er Reshiram nicht glaubte, würde ihm niemand mehr zu helfen wissen. Er entgegnete nichts, schloss nur die Augen und versank in seiner Gedankenwelt. Vielleicht versuchte er auch mit allem umzugehen.
    Trotzdem wollte Hayley nicht, dass der Drache ihm ungeschminkte Tatsachen ins Gesicht schlug. So lange hatte er auf ihr Erscheinen gewartet, nur um mit der Wahrheit konfrontiert zu werden.
    Sie traf ein sanftmütiger, fast mütterlicher Blick aus eisblauen Augen. Riesig, wie das gesamte Wesen auch, und mandelförmig. Eine tiefschwarze Pupille und die hellblaue Iris am äußeren Rand von einem dunkelblauen Ring eingegrenzt. Genauso wenig wie Zekrom eines ist.
    Aber sie hatte doch gute Gründe gehabt! Selbst Lauro hatte ihr dazu geraten, den Dunkelstein an sich zu bringen. Auf ihn baute sie, ihre Freunde ebenso. Er wusste immer, was richtig war und was falsch - und nun hätte er sich einfach so irren sollen, wie jeder Andere auch? Selbst wenn sie ihm dieses Jahr noch den Titel abnehmen sollte, für sie würde Lauro auf ewig der einzig wahre Champ bleiben. Sie wollte Zekrom nicht glauben.


    Wie aus heiterem Himmel ging eine Energiesalve auf Reshiram nieder. Hayley wollte bereits vorstürmen und nach Nate sehen, da hörte sie bereits das belustigte Gurren der Drachendame, welche die rechte Schwinge schützend über ihn gehoben hatte und sich unbeeindruckt zeigte. Ihre Augen fanden Ghetsis Trikephalo und fixierten die dreiköpfige Hydra. „Ich werde das also übernehmen müssen“, rief Ghetsis atemlos, mit weit aufgerissenen Augen, aus und griff sich mit gekrümmten Fingern an die Stelle seines Herzens. „Mein gesamter Traum …“
    Wärst du so gut und würdest diese Angelegenheit für mich regeln, Nate?, sagte sie sanft. Wenn ich mich diesem Trikephalo entgegenstelle, bedeutet das seinen sicheren Tod. Ich weiß, dass du ein solches Szenario nicht ansehen möchtest. Darauf möchte ich Rücksicht nehmen.
    „Ich kann nicht.“
    „Natürlich kannst du!“, blaffte Hayley, lief zu ihm, packte ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich. „Komm, wir machen das zusammen.“
    Sträubend stemmte er sich erst gegen sie. „Aber… das war doch auch mein Traum. Und dann …“
    „Hast du Reshiram nicht richtig zugehört?“, knurrte sie ihn an. Langsam reichte es dann auch mit ihm.
    Mit neuem Mut ausgestattet – sie musste nicht gegen die Drachen kämpfen, jetzt schien alles gut zu werden! –, betätigte sie den dritten Ball in ihrer Tasche. Die Reihenfolge kannte sie auswendig. Ein roter Strahl suchte seinen Weg aus der Tasche und formte sich zu ihrem stämmigen Stalobor, beinahe so groß wie sie. Sein Kopf mit der spitzen, langen Schnauze war von einem stählernen Visier geschützt, welches er bei Bedarf hinunterklappen konnte. Der Maulwurf richtete bereits feindselig seine Metallscheren auf die feindliche Hydra.
    „Du auch“, forderte sie Nate auf.
    Unsicher griff er an seinen Gürtel und hielt bereits einen Ball zwischen den Fingern, ohne dessen Mitte zu berühren. „Vater, vielleicht ist es wirklich falsch. Reshiram …“
    „… ist auch nur ein Pokemon. Man kann es ebenso wie jedes Andere auch in Bälle sperren.“
    Lasst es ihn doch versuchen, kicherte Reshirams Stimme in ihren Köpfen.
    Nein, mischen wir uns nicht in die Angelegenheit der Menschen ein, erwiderte ihr Pendant, sodass sie sich schnaubend abwandte.
    Spöttisch lachte Ghetsis. „Niemand stellt sich mir in den Weg. Ich werde die Herrschaft über Isshu übernehmen. Ich weiche nie von meinen Zielen ab, sonst würde ich heute nicht hier stehen. Ein Pokemon wird mich daran nicht hindern.“ Der alte Mann lehnte sich auf seinen Stock vorne über und stierte Hayley aus einem starren, aufgerissenen Auge an. „Wie Marionetten werde ich die ahnungslosen Menschen steuern; ganz wie es mir beliebt und N sollte für mich seine Rolle als König bei Team Plasma erfüllen. Du wirst mir nicht länger im Weg stehen. Wenn sich N ebenso weigert, werde ich mir eine neue Puppe suchen.“
    „Machen Sie Ihre Drecksarbeit doch selbst!“, schrie ihm Hayley entgegen. „Aber damit haben Sie keinen Erfolg und darum haben Sie Nate gebacht. Lassen Sie ihn endlich mal in Ruhe!“
    „Das konnte ich nicht. Ja, verstehst du denn nicht?“ Sein Blick wurde melancholisch, aber verlor nicht an seinem Wahnsinn. „Mir war es leider nicht vergönnt, als Held angesehen zu werden. Der Lichtstein verschloss sich vor mir, ich durfte ihn nicht noch nicht einmal anfassen. Dafür und nur dafür habe ich N benutzt.“
    „Nate“, warf Hayley trotzig ein.
    „Spiel dich nicht so auf, deine Mühe ist ohnehin vergebens. N ist meine Schöpfung und dort, wo bei anderen ein menschliches Herz pocht, herrscht bei ihm gähnende Leere. Er ist sozusagen das Resultat eines Experimentes, ein unvollkommenes und unzulängliches Zerrbild von einem Menschen. Du glaubst doch nicht tatsächlich, dass so einer je begreifen wird, was du oder Reshiram von ihm wollen.“
    Sie wusste nichts mehr zu entgegen, da waren ihr alle Worte vergangen und so drückte sie nur Nates Hand. Er zitterte, mit seiner Anderen wischte er sich über sein Gesicht.
    Eine Frage lag ihr auf der Zunge und obwohl das auf keinen Fall der richtige Moment dafür war, musste sie eine Antwort erhalten. „Verstehst du jetzt, was ich gemeint hab‘?“
    „Ja“, murmelte er zwischen zwei schweren Atemzügen, in denen er wahrscheinlich versuchte seine Tränen im Zaum zu halten.
    „Du glaubst doch nicht, was er sagt?“
    „Aber er hat doch Recht.“ Er fasste sich mit einer Hand an die Schläfe. Es hätte sie nicht gewundert, wenn all die wirren Gedanken in seinem Kopf, die Enttäuschung und Traurigkeit in ihm für ein Ohnmachtsgefühl gesorgt hätten.
    „Hat er nicht!“, entschied Hayley und erlaubte keinen Widerspruch.
    Trotzdem glaubte er ihr nicht, das spürte sie.
    „Ab diesem Moment ziehe ich eine andere Saite auf. Wenn sich Reshiram weigert, in mir einen Helden zu sehen, werde ich sie dazu zwingen.“
    „Reshiram wird zu gar nichts gezwungen werden!“ Endlich meldete sich Nate zu Wort und schnitt ihm mit einer harschen Handbewegung das Wort ab. Den Zorn in seinem Blick, den kannte sie nicht, aber es gefiel Hayleys rebellischem Herzen.


    „Ich hab die Elite Four besiegt“, teilte sie Ghetsis großspurig mit. Selbstbewusst zeigte sie auf den Drachen. Seine schwarzen, dreipaarigen Schwingen hoben ihn bereits wieder in die Luft. Die drei Köpfe reckten ihre langen Hälse und betrachteten ihren Kontrahenten von allen Seiten.
    „Lichtkanone!“ Stalobor formte seine Scheren zu einem kreisähnlichen Gebilde, in welchem sich gleißendes, silbernes Licht sammelte. Eine Kugel ging auf den rechten Kopf der Hydra nieder, als diese zu langsam reagierte. Jedes ihrer Köpfe brüllte und schüttelte sich.
    Eine schlanke, aufrechte Gestalt kam aus einem dunklen Eck hervorgeprescht. So hatte sie nicht gewettet! „Eisenabwehr, Stalobor!“ Da der Maulwurf weder besonders flink war, noch gut sah, hatte sie seit je auf andere Stärken als der Schnelligkeit setzen müssen.
    Ihr Pokemon klappte das Visier herab und kreuzte die Scheren vor seinem Körper, um einen weit ausgeholten Hieb abzufedern. Sie erkannte ihren zweiten Kontrahenten als Caesurio. Die Gestalt hob abermals beide Klingenarme über den Kopf und stach abermals auf ihren Maulwurf ein. Der Stahl kreischte, als Eisen auf Eisen auftraf.
    „Spukball.“ Nates Stimme. Deutlich, selbstsicherer als sonst und er bombardierte für sie das samuraiähnliche Wesen von ihrem Pokemon weg.
    Hayley sah dankbar zu ihm – nicht, dass ihr Stalobor nicht selbst damit fertiggeworden wäre – und erkannte, wie er sich darum bemühte, die Fassung zu wahren. Er presste die Lippen zusammen und fixierte sein eigenes Pokemon. Sein Symvolara? Ein Psychopokemon? Das war entweder eine besonders dumme oder kluge Wahl. Da sie ihm einen solchen Patzer nicht zutraute, vertraute sie darauf, dass er wenigstens in dieser Angelegenheit tatsächlich wusste, was er tat. Wendig und geschickt wich das Wesen, das aussah, als wäre es der Fantasie eines Menschen und nicht der Natur entsprungen, den kombinierten Strählen beider Feinde aus.
    „Schütz Symvolara. Erdbeben und Steinkante!“
    Der Marmor zerbarst unter Stalobors Gewicht, sodass der Maulwurf einen Felsen aus dem Erdboden trat, welcher sich wie eine riesige, massive Wand vor ihnen aufbaute. Hayley kannte ihre große Stärke in Pokemonkämpfen: Sie war kreativ. Das zulaufende Ceasurio prallte daran ab und sprang an die Seite seines Trainers zurück.
    Überlegend sah sie das Symvolara an, sein Körper war eine Kugel. Sein gesamtes buntes Erscheinungsbild mit ausgefransten Flügel, welche nicht genug Tragefläche besaßen und trotzdem flog es, sein exotisches Erscheinungsbild. Weshalb setzte man so etwas gegen einen Drachen ein?
    „Und jetzt schmeiß ihm die Steinkante an den Kopf!“
    Ein Schlag genügte, der Felsen zerbarst und kam in tausenden, spitzen Splittern auf Ghetsis Pokemon zu.
    „Schafft euch dieses Gräuel vom Hals“, befahl Ghetsis knurrend. „Finsteraura.“
    Über das Kampffeld legte sich eine Böe, welche schwarze Nebelfetzen mit sich machte.
    „Greif Trikephalo an.“ Wenn Nate seinen Pokemon Anweisungen gab, klang es in ihren Ohren viel mehr wie eine Bitte, die sie ihm abschlagen konnten, ohne mit Konsequenzen oder Empörung rechnen zu müssen. Trotzdem war es für sein Pokemon selbstverständlich, im gleichen Moment noch auf den Gegner zuzupreschen. Ein Symvolara gegen ein Trikephalo? Nate war ja tatsächlich durchgeknallt, schickte sein Pokemon, um das er sich angeblich so sehr sorgte, mitten in eine Unlichtattacke.
    Aus dem dunklen Dunst, der vorhin ihre Steinspitzen fortgeweht hatte, ragten plötzlich rote, dolchartige Krallen heraus. Warum hatte sie nicht früher daran gedacht? Natürlich, sein Zoroark. „Fokusstoß.“ Der Schattenfuchs streckte eine Pfote aus und sammelte umherschwirrende Energiefunken in ihr, die er als Salve auf Trikephalo entlud. Wieder schrie die Hydra auf und biss verzweifelt um sich. Der Fuchs sprang zwischen den herumwirbelnden Köpfen hindurch und landete in sicherer Entfernung. Als Nate sein Zoroark in Sicherheit glaubte, ging ein Feueratem auf das Pokemon nieder. Der Fuchs wirbelte knurrend um und gab ein Geräusch von sich, das Hayley an ein Bellen erinnerte.
    „Kannst du aufstehen?“, fragte er besorgt.
    „Lichtkanone!“ Stalobor grub sich unter den Klingen Caesurios hinweg und kam zwischen beiden Kontrahenten zum Vorschein, einen Arm auf den Drachen gerichtet, der sofort von Zoroark abließ, einen Anderen auf den stählernen Krieger, welcher ihm entschwand, bevor die Mischung aus Eisen und Licht ihn treffen konnte. Das Adrenalin schoss durch Hayleys Adern. Gewinnen! Weiter reichten ihre Gedanken nicht.
    Solange, bis sie Ghetsis zynisches Grinsen sah. Das passte gar nicht in diese Situation, jetzt, da er im Nachteil war, da sie und Nate so gut zusammenarbeiteten. Sie wurde unsanft aus der Situation gerissen, als sie spürte, wie neben ihr etwas vorbeischoss. Verwundert sah sie neben sich und erblickte Caesurio. Nate atmete rasselnd und riss erschrocken die Augen auf. Das Pokemon hielt ihm den Dolch an seinem Arm an den Hals. Das Metall berührte bereits kaum merklich und trotzdem bedrohlich seine Haut.
    „Pokemon zurück. Ihr übergebt mir brav die Steine. Und keinen Unfug.“ Höhnend und spöttisch.
    Stalobor kehrte von selbst wieder in seinen Pokeball ein.
    Dann sah sich der alte Mann nach den sagenumwobenen Drachen um. „Ihr werdet mich nie wieder ablehnen. Ihr werdet auch noch sehen, was ihr davon habt, mich zu schmähen.“
    Hayley hätte gedacht, dass eine solche Tat selbst für ihn zu weit gehen würde. Den eigenen Sohn mit dem Leben zu bedrohen, das war starker Tobak.
    Sie versuchte Ruhe zu wahren und wog fiebrig die Vor- und Nachteile einer Finte ab.
    Anscheinend gab es keinen anderen Ausweg, als ihm tatsächlich die Steine zu übergeben. Alles andere war ihr zu riskant.
    Als sie bereits einen Fuß vor den anderen setzen wollte, vorsichtig, vielleicht würde er auch sie in die Enge treiben, hörte sie bereits schnell auf sie zukommende Schritte. Wer war das? Nicht das auch noch. Plötzlich drehte sich alles und wurde wieder wirr.


    Den Ersten, den sie erkannte, war Cheren. Schlank, fast schlaksig, kinnlange, schwarze Haare, eine Brille. Unverkennbar und sie kannte seinen Anblick, seitdem sie sich zurückerinnern konnte. „Bleib stehen!“, rief sie ihm entgegen, als sein erster Fuß den Saal betrat. Sie wusste nicht, wie Ghetsis auf ihn reagieren würde.
    In seinem Vertrauen zu ihr, hielt ihr Kindheitsfreund abrupt inne und starrte voller Erstaunen und Demut die legendären Drachen an.
    Beim Zweiten handelte es sich um Lauro – auch das feuerrote Haar und die Kleidung des indianischstämmigen Mannes war nicht zu verwechseln –, dem Champ der Isshuregion. Cheren legte ihm eine Hand auf die Brust und auch er verharrte auf den Stufen. Sie sah, dass Lauro keuchte, war auch nicht mehr der Jüngste.
    „Du hast gewusst, dass sie noch heraufkommen würden“, warf ihr Ghetsis vor. „Du hast von Vorhinein für Verstärkung gesorgt.“
    „Nein!“, beschwor sie verzweifelt, hob beschwichtigend die Hände und ließ ihren Blick zu Nate schweifen. Wenn ihr dieser Wahnsinnige nicht glaubte, stand es nicht gut um ihn. „Ich war selbst ganz überrascht.“
    „Wer soll dir das nun noch abnehmen? Du bist ein Fluch, du dummes Weib, du kleine, ungezogene Gör‘. Erst verdirbst du die Gedanken meines Experiments, an dem ich siebzehn Jahre lang gearbeitet und alle Müh‘ hineingesteckt habe. Dass meine Geduld mit diesem Nichtsnutz so weit reichte, ist alleine meiner unendlichen Güte zu verdanken. Dann zerstörst du all meine Träume. Mein Leben arbeitete ich auf sie hin.“
    Neben Cheren grub sich eines seiner Pokemon in den bereits von Stalobor aufgewühlten Boden. Hayley spürte plötzlich ihre Aufregung wie starkes Fieber, hoffte dass Ghetsis in seinem Wahn kaum noch etwas mitbekam. Sie durfte keinen Verdacht auf ihren Freund lenken. Seinem wie zumeist kühlen-analytischen Blick schwang ebenso Sorge bei. Nur Sekunden vergingen, die sie schon zu zählen begann, neun waren es, doch sie kamen ihr wie Minuten vor, bis sich ein beige-braun gestreiftes Wieselpokemon, das sie gar nicht kannte, aus dem Erdboden grub und Caesurio tackelte. „Wiesenior, Feuerschlag“, wies Cheren selbstsicher an, worauf die Pfote seines Partners zu glühen begann und Caesurio aus der Bahn brachte.
    Nate eilte sofort einige Schritte zur Seite und griff sich schockiert an den Hals, an die Stelle, an der das Metall ihn berührt, nur um sicherzustellen, dass es ihn nicht verletzt, hatte.
    „Brüller, Bissbark.“ Er befreite seinen treuen Hund und schickte mit einem sonderbaren Gekläff alle Pokemon im Saal in ihre Bälle zurück. Bloß Reshiram und Zekrom blieben. „Ende“, kommentierte er trocken.
    Sie wusste, was er meinte. Das war nicht nur das Ende dieser wahnsinnigen Szene, die ihnen allen bereitet wurde, sondern allen Schreckens, den sie durchlebt hatten.
    Freunde von euch?, fragte Reshiram. Und oh, Lauro. Schön dich wiederzusehen.
    Cheren zuckte kurz zusammen, während Lauro der Drachendame sanft die Seite klopfte.
    „Ja, Freunde von uns.“
    „Von uns“, wiederholte Nate und suchte eine Bestätigung.
    „Mehr oder weniger“, erwiderte Cheren.
    „Geht es dir gut, Nate?“, fragte Lauro schließlich.
    „Ja, mir ist nichts passiert. Danke.“ Er konnte ihm nicht ins Gesicht sehen, seine Schuld war wohl zu groß.
    „Geht es dir wirklich gut? Dass dir nichts geschehen ist, sehe ich.“
    „Nicht so besonders“, erwiderte er gezwungenermaßen.
    „Benötigst du Zeit zum Verdauen?“
    Er nickte. „Nehmen Sie mich auch mit, ich bin genauso Schuld wie mein Vater.“
    Lauro legte ihm beide Hände auf die Schulter, war vielleicht der Erste, der tatsächlich väterlich zu ihm war. „Genau das wäre der größte Triumpf für Ghetsis. Du hast dazugelernt, das zählt. Du hast viel Gutes in dir, das zählt noch mehr.“


    Als der Champ Ghetsis abführte, wollte sein Sohn nicht hinsehen. Egal, was er ihm angetan hatte, er schien ihn nicht hassen zu können, vielleicht nicht noch einmal verachten. Der alte Mann revoltierte, versuchte sich loszureißen und ließ dafür seinerseits ein Schwall an Verachtung und Abscheu für Nate auf ihn herabprasseln. Jedes seiner Worte nahm er hin. Hayley wusste nicht, ob er womöglich dachte, dass er sie verdienen könnte.


    „Cheren, lässt du uns bitte eine Minute alleine? Ich komm‘ gleich nach.“ Ihr langjähriger Freund ließ Nate feindselige Blicke zukommen, wandte sich um und ging Lauro nach, welcher Ghetsis so schnell es ihm möglich aus Nates Blickfeld schaffte. „Wir warten auf dich.“
    „Gut, ich komme gleich.“
    Einige Zeit herrschte Stille, sie beide mussten sich anscheinend erst wieder sammeln und alles überdenken. So blieben sie einige Zeit stumm und sahen sich den bizarren Saal an. Verwüstet, Schutt und Asche. Reshiram und Zekrom harrten an ihren Seiten aus und schienen bloß abzuwarten.
    „Glaub Lauro. Wirklich. Und Reshiram und mir.“
    „Das funktioniert nicht von Jetzt auf Gleich“, wehrte Nate ab. „Ich würde gerne, aber…“
    Wie würde sie sich denn fühlen, wenn sie realisierte, dass ihr Vater sie hassen und für größenwahnsinnige Zwecke ausnützen würde. Das wäre unvorstellbar für sie.
    „Was willst du jetzt tun?“ Besinnliche Ruhe war in ihr Innerstes eingekehrt. Sie hatte es geschafft. Geschafft! Die Siege gegen die Elite Four waren lasch hierzu gewesen. Dies war ein Sieg auf einer ganz anderen Ebene.
    „Die Menschen in Isshu hassen mich doch bestimmt. Ich weiß nicht, ich will …“ Mit einer Hand verdeckte er die ihr zugewandte Gesichtsseite. Hayley wusste, was sie nicht sehen sollte und akzeptierte seinen Wunsch.
    Reshiram beugte ihr Haupt. Abstand, erhallte die weise Frauenstimme. Herausfinden, welche Zauber das Leben tatsächlich für dich bereithält.
    Eindringlich schüttelte sie den Kopf, hier lief etwas vollkommen schief. „Wir alle werden dafür sorgen, dass dich die Menschen in Isshu nicht hassen werden“, ereiferte sie sich. „Sie werden das verstehen. Wir erzählen die ganze Geschichte. Ich meine, die Echte. Das muss man doch verstehen.“
    „Sie werden mich trotzdem hassen, das möchte ich nicht. Und alle von Team Plasma. Reshiram hat Recht.“
    „Was willst du rausfinden? Dir einen eigenen Dschungelfleck suchen und dort bis an dein Lebensende meditieren? Das macht gar nichts besser. Glaubst du, wenn du noch länger von Menschen abgeschottet bist, wird etwas besser für dich? Du musst dich mitten ins Leben stürzen. Du kannst alles nachholen. Du kannst zum ersten Mal in einer normalen High School sein und mit uns zusammen pauken.“ Hayley lachte fast überdreht, kannte sich selbst nicht mehr. „Wenn wir genug gepaukt haben, gehen wir uns amüsieren. Und ich, oder wir, zeigen dir, wie man das bei uns so macht. Wir schauen Filme, wir gehen tanzen und in Rayono in den Vergnügungspark. Von mir aus fahren wir den ganzen Tag Riesenrad. Von mir aus picknicken wir mitten in der Elektrolith-Höhle. Und jeder, der vorbeikommt, sagt: ‚die sind verrückt‘. Aber das stört uns nicht, weil wir eh schon wissen, dass wir etwas durchgeknallt sind.“
    Diese Gedanken ließen ihn schwach lächeln. „Könnte Spaß machen.“
    „Na eben! Und wir stellen dir auch unseren Freundeskreis vor. Das sind alles nette Leute. Weißt du was? Du kannst mich anfeuern, wenn ich gegen Lauro kämpfe.“ Egal, ob er beteuerte, dass er Pokemonkämpfe nicht mochte. So wie er vorhin sein Zoroark gelenkt hatte, hatte er wohl doch öfter gekämpft, als es notwendig gewesen wäre. „Die Kamera läuft, ganz Isshu schaut zu.“ Verträumt sah sie in den nächtlichen Himmel, breitete die Arme aus und drehte sich langsam im Kreis. Sie sprach lauter und schneller als sonst, so sah er hoffentlich nicht, dass ihre Lippen bebten. „Und der Moderator sagt: ‚Dieses Jahr fordert die erst fünfzehnjährige Hayley Caroll unseren Champ heraus. Er ist seit vier Jahren ungeschlagen. Wird sie es schaffen?‘ Und sie schafft es, das Publikum ist außer Häuschen, klatscht, pfeift und gibt eine Standing Ovation. Neben mir stehen meine ganzen Pokemon und ich hab den Pokal in der Hand. Und dann kannst du ganz stolz sagen: ‚Meine Freundin ist der Champ‘.“
    „Das glaub ich dir. Sie werden dich sehr mögen.“
    „Und du wirst stolz sein, wie die andern auch“, fügte sie hinzu. „Cheren wird so eifersüchtig auf meinen Titel sein, aber er wird sich trotzdem freuen.“ Innerlich beschwor sie sich, sich zu beruhigen. Ihr Kopf brummte und sie konnte sich nicht zusammenreißen. „Aber du gehst, egal was ich sage, was?“, nuschelte sie.
    Aus Eigeninitiative heraus umarmte er sie. Zuerst blieb ihr Körper starr, sie musste erst verinnerlichen, was geschehen war. Dann erwiderte sie seine Umarmung und genoss den Moment. Ihre Finger berührten sein Haar. Sie spürte seine Wärme. „Aber du rufst mich daweil wenigstens an.“
    „Ich hab' aber kein Handy“, sagte er betreten.
    „Hallo? Münztelefone wirst du ja wohl irgendwo finden, oder?“ Ausreden ließ sie keine mehr gelten, keine Einzige!
    „Ja, natürlich. Mach’s gut.“
    Langsam löste er sich von ihr. Reshiram beugte bereits ihren Oberkörper vor, damit er aufsetzen konnte.
    „Mach’s gut?“, schnaubte sie. „Mehr ist da nicht, als so ein dummes ‚mach’s gut‘?“
    „Tut mir leid, ich weiß nicht wie…“ Beschämt sah er einen imaginären Punkt an der Wand an. „Ich hab' das einmal so im Fernsehen gesehen, ich dachte, das … macht man so.“
    Hayley musste unweigerlich schmunzeln. „Tu einfach das, was du für richtig hältst.“
    Erst wandte er sich an Reshiram und Zekrom, doch sie beide blieben stumm. Nach einigen Sekunden des Nachdenkens griff er sich in den Nacken und öffnete den Verschluss seiner Kette. Sie verstand, nahm ihr Haar hoch und senkte den Kopf, spürte seine etwas nervösen Hände um ihren Hals und hörte schließlich, wie der Verschluss wieder zuschnappte. Sofort fiel ihr Blick hinab. „Warum schenkst du mir die Kette? Hat sie dir etwas bedeutet?“ Ihre Finger griffen nach der Kugel, welche von einem gelben Ring umgeben war, der sie an den Saturn erinnerte. Der Planet war gläsern blau. In ihm steckte etwas, das sie an eine kleine, goldene Nadel erinnerte. „Was stellt es dar?“
    „Ich weiß es nicht. Kate und Aileen haben sie mir geschenkt. Also … die Musen, du hast sie vorhin getroffen.“
    Hayley nickte.
    „Das ist ein Schutzamulett. Ich möchte, dass du es trägst.“
    Mit einer fahrigen Bewegung wischte sie über ihre feuchten Augenwinkel. „Danke, werd‘ ich.“ Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Siehst du, so verabschiedet man sich. Jetzt kannst du gehen.“
    Na komm, mein Lieber, sagte Reshiram herzlich.
    Einige Male sah er unsicher zurück, bevor er auf Reshiram aufsetzte. Auf wiedersehen, Hayley. Das, was du für ihn getan hast, wird man dir ewig danken. Die Drachendame schlug mit ihren Flügel und erzeugte einen wahren Sturm. Hayley hielt sich an ihrem Stalobor fest und spürte, wie ihr das eigene Haar ins Gesicht peitschte. Und danach war da niemand mehr. Sie war mit ihrem Pokemon alleine. Im selben Moment hatte sich der verschwiegene Zekrom in seinen Dunkelstein zurückgezogen.
    Verloren wirkend sah sie abermals in den Nachthimmel. Das Bild vor ihren Augen verschwamm und ihre Augen brannten. Sie hielt sich eine Hand vor den Mund und biss sich leicht in die Haut, um ihre Tränen zurückzuhalten. Doch sie siegten und Hayley hörte ihr eigenes, unterdrücktes Schluchzen.
    Niemand hatte sie davor gewarnt, dass sich gerettete Prinzen aus dem Staub machten.

  • Hallo Chari,


    nachdem ich Colorful damals nicht wirklich verfolgt habe, möchte ich dir zumindest etwas Feedback zur Geschichte um N mitgeben. Allem voran finde ich es gut, wie du dich mit dieser finalen Szene in der Liga beschäftigst und weiter ausführst, als es die Spiele getan haben, da so die Charaktere um einiges greifbarer werden.
    Allem voran N hat es gut getan, mit einer so starken Persönlichkeit wie Hayley aufeinanderzutreffen, um schließlich einmal zurechtgewiesen zu werden. Dass seine Gedanken nichts weiter waren als das Gewäsch seines Ziehvaters und dass er selbst eigentlich nur wenig Meinung zum eigentlichen Konflikt hat. Sein Charakter und seine Eigenarten kommen dabei wirklich gut zum Vorschein; da er kaum Zeit mit anderen Menschen verbracht hat, wirkt er hier eher kindlich, zurückhaltend, schüchtern. Immerhin nicht weinerlich, das hätte auch zu seinen Vorstellungen absolut nicht gepasst. Dass er sich dann gegen Ende doch etwas zu beherrschen scheint, deutet auf eine gute Zukunft hin. Auch in der Hinsicht, dass er sich zu dem Thema und auch um sich selbst Gedanken macht.
    Auf der Gegenseite natürlich Hayley, die ihre Ideale vertritt und ihn auch umstimmen will. Man möchte schon sagen, sie ist die Hauptakteurin und dafür verantwortlich, dass die Geschichte läuft. Dass sie vieles in Frage stellt, was N für selbstverständlich hält. Das alles macht sie zu einem starken Charakter, der auch seine Meinung durchsetzen kann und generell wie ein richtiger Lead wirkt. Und das wirkt sich auch positiv auf das Leseerlebnis aus. Wie von dir eigentlich gewohnt erwartet man hochwertige und abwechslungsreiche Kost, der man sich kaum entziehen kann und die zum Weiterlesen anregt.


    Eine Sache noch: Weißt du zufällig, wer das Titelbild gezeichnet hat? Da wäre es nämlich toll, wenn du denjenigen verlinken könntest, aber sonst ist es auch nicht weiter schlimm. Und da ich mehr als begeistert von der Geschichte war, würde ich mich freuen, wenn du das Projekt Colorful irgendwann wieder einmal aufnehmen könntest, um es zu beenden. Ich bin mir sicher, dass dabei Großartiges herauskommen wird.
    Und damit hoffe ich, dass wir uns bald mal wieder lesen. Bis dahin!


    ~Rusalka