Die Erben von Celer

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  • Rusalka vielen lieben Dank wieder einmal für deinen Kommentar! Nin war nun erstmal das letzte Einführungs-Chapter, zumindest wenn ich meiner Planung treu bleibe. Ich habe die Welt zwar schon seit Jahren recht umfassend ausgebaut, allerdings versuche ich dennoch, alles recht realistisch bzw. zumindest nachvollziehbar darzustellen.


    -/-


    Apropos nachvollziehbar: Ich weiß, dass es, historisch gesehen, eine solche Technik wie die, die jetzt im nachfolgenden Kapitel beschrieben wird, damals noch nicht so in dieser Ausführung gab. Die Idee dazu ist allerdings noch aus einer Zeit, in der ich in der Alten Geschichte noch nicht so bewandert war und aufgrund der Deutung dazu für die spätere Geschichte habe ich mich entschieden, dieses Kapitel in genau dieser Art auch so beizubehalten. Ich versuche aber, solche - auf den ersten Blick vermeintlichen - Ungereimtheiten im Laufe dieser Geschichte langsam aufzulösen, denn es ist durchaus gewollt so.


    An dem Startpost sitze ich gerade, das wird aber noch etwas dauern. Nur die tabmenü-Codes sollten wirklich mal verschwinden :D




    Es geschahen danach dann einige Dinge. Stürme zogen auf, Unwetter, Überflutungen. Raketen wurden abgefeuert. Zerstörung, fast überall. Strahlung, vermutlich ebenfalls. Es traf viele Menschen mehr als andere. Mich traf es nicht. Vielleicht lag es an der Abgeschiedenheit. Ich weiß es nicht. Das war aber auch nicht meine oberste Priorität in dieser Zeit.



    Kapitel VIII

    Beschriftet



    Accums Muskeln protestierten heftig, als er seine Beine nach den Stunden des Stehens wieder bewegen durfte. Sein linker Fuß war eingeschlafen und deshalb hinkte er ein wenig, als er auf die Treppe zuging. Nachdem sich diese wieder bei jedem Schritt herunter knarzend beschwert hatte, blickte Accum zum ersten Mal dem Soldaten richtig in die Augen. Er war rund anderthalb Köpfe größer und auf seiner rechten Brust war ein weißer Nebeltiger in den Stoff eingenäht worden. Das Gesicht war rasiert und eisblaue Augen schauten ihn an. Die dünnen, hellen Lippen lächelten ihn an.
    Anhand des Tigers erkannte Accum nun endlich auch das Haus, welches ihn gerade gekauft hatte: Es war das Hochadelshaus Lariel. Er wusste jedoch nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht, denn er hatte keinerlei Ahnung, wie die Menschen dort mit den Sklaven umgingen. Allerdings war er erleichtert darüber, dass er nun verkauft wurde und sich nicht Gedanken darum machen musste, wie er die nächste Zeit überleben könnte.
    „Komm“, meinte er zu Accum und legte eine Hand auf seine Schulter. Accum zuckte instinktiv zusammen. Es war lange her gewesen, dass ihn jemand bewusst berührt hatte, ohne ihm dabei schaden zu wollen. Zumindest hatte er bei diesem Mann das Gefühl, dass er ihm nichts Böses wollte.
    Allerdings gab ihm diese Hand auf der Schulter auch eine gewisse Kraft und Sicherheit. Sie ließen zusammen den überaus empörten Graf Edwyn hinter sich und gingen durch die Menschenmasse auf eine der Hauptstraßen zu. Viele Menschen schauten ihn an, aber die meiste Aufmerksamkeit bekam sein Käufer. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten die höfischen Leute. Accum schnappte nebenbei so etwas wie „Schaut, die Lariels haben sich nun auch überwunden, Sklaven zu kaufen“ oder „Naja, da haben sie sich aber einen ausgemergelten Burschen ausgesucht“ auf. Anscheinend war es bis jetzt nicht sonderlich oft vorgekommen, dass sich das Haus Lariel am Sklavengeschäft die Finger schmutzig machte.
    Ja, Accum fand dieses Geschäft schmutzig. Er fand es absurd, dass es staatlich erlaubt war, Menschen wie Ware anzupreisen, dass man Menschen einfach so für einige hundert Duken kaufen konnte. Das war zwar eine Menge Geld – zumindest für die Plebejer und den niederen Adel. Beim Hochadel jedoch, dessen war sich Accum sicher, war diese läppische Summe an Geld, die heute für ihn ausgegeben worden war, lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein.
    Deshalb war er sich vorhin auch sicher gewesen, dass Graf Edwyn aus dem niederen Adel kam, denn ein Hochadliger stritt sich nicht mit den Sklavenhändlern um jeden einzelnen Duken, den der Sklave kosten sollte, dafür hatten sie einfach zu viel Geld. Und diese bittere Tatsache war selbst dem ärmsten Plebejer klar. Von dem Geld, für das er heute gekauft worden war, hätte er als Dieb sicherlich drei bis vier Jahre lang leben und sich sogar das ein oder andere Mal eine Kerze für die Nacht sowie Streichhölzer leisten können.
    Sie waren mittlerweile dort angekommen, wo die Straße in den Platz mündete und hier standen überall hölzerne, kleine, überdachte Stände, an denen die Tätowierer saßen. Das hatte Accum völlig vergessen. Sein Begleiter anscheinend auch, denn er fluchte leise vor sich hin. Accum sah ihn stumm an. Momentan hatte er nicht einmal mehr das Bedürfnis, zu sprechen. Hätte er dem Soldaten danken sollen, dass er ihn gekauft hatte? Er war sich ja nicht einmal selber darüber im Klaren, ob es ein gutes Zeichen war, dass die Lariels sehr selten Sklaven kauften. Hieß das, dass sie wenig Verschleiß an diesen hatten? Oder dass sie einfach keine brauchten, da die Arbeiten auch die Soldaten machen mussten?
    Sie reihten sich in der Schlage ein, die sich vor den Tätowier-Ständen gebildet hatte und sein Begleiter nickte denen vor ihnen freundlich zu. Sie brauchten in der Schlange nicht lange zu warten, da ertönte auch schon der Satz von einer freundlichen, weiblichen Stimme: „Der Nächste bitte!“
    Accum wurde sanft nach vorne geschoben und sah einer dünnen, jungen Frau entgegen, die auf einem kleinen, drehbaren Holzstuhl saß. Sie hatte ein orangenes, knielanges Kleid an und ihre Hände waren voll von allerhand farblicher Tinte. Sie lächelte ihn an. „Komm, setz dich. Es wird nicht lange dauern.“
    Accum setzte sich, merkte aber, wie sich der Soldat anspannte. „Können wir nicht mal eine Ausnahme machen?“, fragte er die Frau nervös. „Nur dieses eine Mal?“
    Die Frau lachte warm. „Nur, weil das Haus Lariel mal einen Sklaven gekauft hat, können wir die Tätowierung nicht ausfallen lassen. Man soll ja schließlich sehen, dass er zu euch gehört.“
    „Ja, schon …“, fing ihr Gegenüber an, doch er wurde von ihr unterbrochen.
    Sie hob den Zeigefinger. „Du weißt doch, der Befehl kommt von ganz oben. Ich werde mir zur Abwechslung sogar mal Mühe geben mit dem Tattoo und ein bisschen Abwechslung reinbringen, sodass es nicht ganz so schrecklich aussieht. Mehr kann ich dir aber nicht entgegen kommen.“
    Sie lächelte und strich Accum die hellblonden Haare hinters Ohr. Seine Haare waren zwar nicht lang, aber sie gingen ein bisschen über die Ohren und fielen ihm immer wieder in die Stirn, was er gar nicht mochte.
    Dann nahm die Frau ein feuchtes, stark riechendes, weißes Tuch und rieb damit über seine linke Halsseite. Als sie das Tuch wieder wegnahm, war es voller Schmutz und Schweiß. Accum schämte sich ein bisschen dafür, dass er so schmutzig war. Doch sie beachtete das Tuch nicht wirklich, sondern nahm eine Nadel in die Hand, die mit einem Schlauch mit der Überdachung verbunden war. Als Accum hochblickte, sah er, wie dort lauter Gefäße hingen, mit den unterschiedlichsten Farben gefüllt. Der Schlauch war momentan mit einem Gefäß verbunden, welches am unteren Rand einen dunkelgrauen Pinselstrich verpasst bekommen hatte. Es lag also nahe, dass sein Tattoo dunkelgrau werden würde.
    Sie setzte die Nadel an seinen Hals an und es piekte leicht mit jedem Millimeter, den sie sich bewegte. Um den Schmerz ein wenig zu ignorieren, schweifte er wieder ab und dachte darüber nach, warum sein Käufer versucht hatte, diese Tätowierung zu verhindern. Selbst Accum war es bekannt gewesen, dass dieser Befehl, jeden verkauften Sklaven am Hals mit dem Wappen des Käufers zu tätowieren, von dem Kaiser persönlich gekommen war.
    Es soll eine Zeit gegeben haben, wo dieses noch nicht der Fall gewesen war und die Adelshäuser das ausgenutzt hatten und den Sklaven befohlen hatten, bei politischen Gegnern einzubrechen und sogar Schlimmeres anzustellen. Seit dem gab es diese Regelung, damit im Zweifelsfall der Sklave eindeutig zugeordnet werden konnte. Andererseits wurde es den Sklaven so sehr schwer gemacht, unerkannt zu fliehen und auf der Straße zu leben. Denn anhand des Tattoos konnte er von der Stadtwache immer wieder zurückgebracht werden.
    Die Frau stand kurz auf und riss Accum dadurch aus seinen Gedanken. Sie nahm einen weiteren Schlauch in die Hand und stöpselte ihn an den Behälter mit dem orangenen Pinselstrich an. Sie wusch in einem kleinen Wasserbecken, welches neben dem Holzstuhl stand, die Nadel aus und steckte sie wieder auf den Schlauch. Sie nahm ein weiteres, weiches Tuch und wischte damit ein paar Mal über die Stelle, an der sie gerade gearbeitet hatte. Dann setzte sie die Nadel wieder an und fuhr immer nur kurz an ein paar Stellen mit der orangenen Tinte über das Grau.
    Schließlich setzte sie die Nadel wieder ab und wischte mit einem weiteren Tuch abermals über die tätowierte Stelle.
    Accums Hals kribbelte dort, wo eben noch die Nadel über seine Haut gefahren war. „Nicht anfassen“, meinte die Frau lediglich und tauchte ein neues Tuch in einen Eimer mit klarem Wasser, welcher hinter ihr stand. Damit fuhr sie abermals über die Stelle am Hals. Danach lehnte sie sich zufrieden zurück. „Sieht doch gar nicht so schlecht aus.“ Sie stand auf und kramte hinter ihr in ihren Sachen herum und fand schließlich einen alten, zerkratzten Spiegel und zeigte damit Accum das Tattoo.
    Wenn Accum ehrlich war, fand er das sogar eigentlich ganz schön. Er erkannte, dass die Frau des Zeichnen und Malens mächtig war. Sie hatte ihm den Nebeltiger in einer Größe von circa drei mal drei Zentimetern in dunkelgrau auf den Hals tätowiert. Es waren in dem Fell leichte Akzente mit Orange gesetzt worden, ebenso waren die Augen in Orange gehalten. Wider Erwarten gefiel es Accum. Er lächelte die Frau an. Er war ihr dankbar, dass sie ihm nicht seinen Hals ruiniert hatte in Form eines grausigen Tattoos.
    Sein Begleiter nickte der Frau zu und bedeutete Accum dann, aufzustehen. Er verabschiedete sich von ihr und ging dann hinter … ja, wem eigentlich her? Er wusste lediglich, dass sein Käufer ein Soldat vom Hause Lariel war. Aber wie hieß er? Woher kam er? Wo lebte er eigentlich, wenn er nicht im Dienst war?
    Vielleicht würde Accum das noch herausfinden, war momentan aber nicht besonders erpicht darauf, ein Gespräch anzufangen. Das lag nicht einmal wirklich daran, dass er nicht wusste, worüber sie sprechen sollten, denn Fragen hatte er reichlich. Nur erschien es ihm unpassend, jetzt ein Gespräch anzufangen.
    Die Stelle an seinem Hals kribbelte und fing an zu jucken. Er musste sich beherrschen, um dort nicht zu kratzen, denn er wusste nicht, ob das so gut war, wenn die Haut gerade frisch tätowiert war.
    Er blickte gen Himmel und seufzte. Die rote Abendsonne schien ihm entgegen, tauchte alles in ein tiefes Blutrot. Der Horizont glühte, vereinzelte Wolken hoben sich hell hervor, zogen unbeschwert am Himmel Richtung Süden.
    Er wünschte sich, so frei zu sein wie diese Wolken. Einfach den ganzen Tag dahin zu treiben und sich keine Gedanken darum machen zu müssen, wie man den folgenden Tag überleben sollte.
    Sie gingen die Straße runter, welche einen leichten Bogen nach links machte und dabei ein wenig zum etwas entfernten Meer abfiel. Es schimmerte ebenso rot in weiter Ferne ihm entgegen. Accum war noch nie am Meer gewesen, obwohl es nicht einmal weit weg war. Seit Jahren war er nicht mehr aus dieser Stadt herausgekommen, dafür wurde die Stadtmauer zu gut bewacht. Und da er kein Adeliger, Bauer oder sonstiger Arbeiter mit entsprechendem Ausweis war, konnte er auch nicht einfach die Stadttore so passieren, wie er es wollte. Wenn dann müsste er versuchen, nachts einmal still und heimlich zu entkommen … doch, was würde er dann machen?
    Außerdem war das reines Wunschdenken, vor allem jetzt. Er war jetzt ein Sklave und würde auf ewig dazu verdammt sein, irgendeinem Adeligen die Schuhe zu putzen.
    Sie gingen nun durch ein reicheres Stadtviertel und im ersten Geschoss der Häuser waren nun kleine Geschäfte. Zwischen Bäckereien, Metzgern, Schuhmachern und Kleidungsläden war alles dabei, wie Accum durch die Schaufenster hindurch erkennen konnte. Hier und da klingelte mal das ein oder andere Glöckchen, als eine der Ladentüren geöffnet wurde. Wohl gekleidete Menschen gingen hier ein und aus, starrten ihn teilweise abfällig oder fasziniert an, oder beachteten ihn erst gar nicht.
    Zu seinem eigenen Entsetzen fand er es hier schön. Er wusste nicht warum, aber auf einmal machte sich hier in ihm ein vertrautes Gefühl breit. In seiner Magengegend wurde es warm; er sog alles in sich auf, waren es auch nur die kleinsten Geräusche oder Bewegungen. Das hier kam ihm zumindest ein bisschen vertraut vor.
    Doch dieses Gefühl verflog schnell wieder; schneller als es ihm lieb war. Er suchte nach diesem Gefühl, es hatte ihn aufgemuntert und gezeigt, dass alles doch gar nicht so schlimm war, wie er immer dachte.
    Es hatte in ihm Emotionen und Sehnsüchte geregt, die er schon lange vergessen hatte, weil er sie sich nicht leisten konnte. Als niederstes Mitglied der Gesellschaft hatte man nicht das Privileg, sowas zu erleben. Außer - man stahl es. Den Luxus. Keine Sorgen. Das war das tägliche Spiel eines Diebes - genug stehlen, um etwas von dem Glück der Reichen abzubekommen und darin die eigenen Überlebenssorgen zu ertränken.
    Das gelang jedoch selten.

  • Hallo,


    ich hätte die Tätowierung nicht einmal hinterfragt, allerdings lasse ich mich in Geschichte auch gern eines Besseren belehren. Jedenfalls, wieder das Haus Lariel. Von Nins Kapitel abgesehen, wo der Hausherr höchstpersönlich in Erscheinung tritt, wird es immer wieder erwähnt und daher bin ich gespannt, wie alle Charaktere zueinander finden werden. Accums Ängste, Sorgen und Erwartungen hast du in diesem Kapitel anschaulich vermittelt und mit der nicht vermeidbaren Tätowierung ein Rätsel in Aussicht gestellt, das vielleicht noch gelöst wird. Für den Moment ist der Grundstein gelegt, ein besseres Leben zu führen. Hoffen wir, dass es ihm zusagt.


    Wir lesen uns!

  • Rusalka : Vielen lieben Dank für Deinen Kommentar! Ja, hoffen wir, dass es Accum zusagt - ich hoffe es auch. Mit seiner Geschichte geht es nun etwas weiter, ebenso bei Kyrill. Zumindest ein bisschen. Das Haus Lariel ist in der Tat recht häufig erwähnt, was an seiner Stellung innerhalb des Reiches liegt - vielleicht finden irgendwann mal alle Charaktere zusammen, die ich bisher vorgestellt habe. Ich hoffe es zumindest!





    Es war eigentlich nur als Forschungsurlaub gedacht. Also eher ein Urlaub für mich und meinen Freund und mein Vater ging seinen Forschungsarbeiten nach. Ja, nun gut - es endete anders als erwartet. Ein bisschen was habe ich ja bereits geschildert.




    Kapitel IX

    Ein neues Zuhause?


    Der Abend schritt immer weiter voran. Accum hatte nach den Erlebnissen des ganzen Tages mittlerweile große Mühe, sich weiter auf den Beinen zu halten. Es war, als würde ihm mit jedem Schritt weiter die Kraft aus seinen Muskel gesaugt werden, er wollte sich einfach nur noch hinsetzen.

    Das war jedoch nicht möglich. Der Soldat schaute ihn an. „Alles in Ordnung?“, fragte er. „Durst?“

    Accum wollte erst nicht. Er war auf der Straße aufgewachsen. Da nahm man nicht einfach etwas zu trinken oder essen an. Alles konnte vergiftet sein. Alles konnte ihm schaden.

    Aber der Tag war zu lang gewesen. Und – diese Person war Untertan seines nun neuen Herrns. Wieso hätte jener ein Interesse daran, ihn zu töten, nachdem er so viel Geld für ihn ausgegeben hatte?

    Der Gedanke leuchtete ihm ein. Oder es war sein trockener Hals, der ihn dazu drängte. Sonderlich klare Gedanken waren schwierig geworden – nach all der Hitze des Tages.

    Er nickte. „Ja, bitte.“ Zu mehr war er nicht in der Lage. Er fühlte sich lethargisch, während ihm der Wind durch die blonden, verschwitzten Haare fuhr. Sein frisches Tattoo pochte. Die Hautstelle am Hals fühlte sich warm an, wärmer als in dem mediterranen Klima hier üblich.

    Dankbar nahm er die Flasche des Soldaten an und trank gierig aus dem offenen Verschluss.

    „Danke, Herr“, sagte er und gab die Flasche nach einigen Zügen zurück.

    Der Soldat zuckte zusammen. „Natürlich. Als Teil des Hauses Lariel wird immer für Dich gesorgt sein.“ Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: „Das ist doch selbstverständlich.“

    Accum wusste nicht, was er davon halten sollte oder gar – wie er auf diese Aussagen reagieren sollte. Er war jetzt Teil eines Hauses aus dem Adel. Hochadel sogar. Wenn man die als Dieb bestehlen konnte, war man auf der Versorgungsleiter ganz weit oben angekommen. Also nahm er an, dass ein Nicken als Reaktion ausreichen würde.

    Sie gingen eine Weile schweigend nebeneinander her und Accum folgte dem Soldaten Schritt auf Schritt. Er betrachtete seinen Käufer eingehend. Kurz geschorene Haare, kantiges Gesicht, das aber noch relativ jung war. Älter als 25 Jahre konnte der Mann nicht sein, der ihn erworben hatte. Nun, als er Zeit hatte, sich darüber Gedanken zu machen, verwunderte es ihn. So jung und schon so viel Entscheidungsgewalt, so viel Geld ausgeben zu dürfen? Oder waren die Lariel einfach so unfassbar reich, dass ein etwaiger Fehlkauf nichts ausmachte?

    Der Soldat war muskulös. Er sah gut aus - in Accums Augen. Und wie man es für einen Soldaten erwarten würde: Trainiert in der hofeigenen Ausbildung. Seine Rüstung glänzte in der runtergehenden Sonne. Seine Schwertscheide war leer. Es war nicht gestattet, in Rom Waffen zu tragen, wenn man nicht dem Kaiser direkt untergeordnet war. Lediglich in der eigenen Festung war die Bewaffnung gestattet. Das hatte Accum schon am eigenen Leib bitterlich erfahren müssen. Dafür waren dann aber auch die Festen des Hochadels bis an alle Zähne bewaffnet. Und in der Nacht galten sowieso inoffiziell andere Gesetze. Nachts, vor allem wenn es Nebel- und Staubwolken gab.

    Diese Nächte hatte er geliebt. Sie boten Sicherheit. Aber man sah dort auch allerlei Dinge, die absolut komisch erschienen. Das hatte er immer als eine Sache der Hochgeborenen abgetan und sich nicht weiter gekümmert. Nicht umsonst geisterte im Volksmund der Spruch umher: „Bei Asch‘ und Nebel – setz die Segel“. Im übertragenen Sinne - man sollte sich nicht draußen aufhalten, wenn solche Nächte auftraten.

    „Accum?“, hallte es über die Straße. „Hier entlang, bitte.“

    Bitte? Hatte er wirklich bitte gesagt? Accum schüttelte sich kurz.

    Er war zudem so sehr in seine Gedanken abgeschweift, dass er beinahe falsch abgebogen wäre. Als er nun den Berg hinaufblickte, der vor ihm lag, sah er oben auf der Kuppel eine große Festung. Weiß. Sie glänzte im Tiefrot der untergehenden Sonne. Die Dächer waren aus blauem Ziegel. Und – soweit er es erkennen konnte – bestand die Feste aus sieben dünneren Türmen, die im Kreis um einen dickeren Turm angeordnet waren. Um die Türme herum erhob sich eine dicke steinerne Mauer, die weiß-gräulich war und für seinen Geschmack als Dieb viel zu hoch. Die Lariel wurden in der Diebesgesellschaft gemieden – ihre Verteidigung schien schier unüberwindbar für Diebe wie Accum. Viele Diebe starben eines unnatürlichen Todes beim Erklimmen der Mauern. Das geschah zwar bei anderen Festen des Hochadels ebenfalls – bei den Lariel jedoch so oft, dass es sich in der Schicht der Diebe weithin nicht nur als Gerücht verbreitet war. Jeder kann jemanden.

    Nun sollte er genau in dieses Herz des Hochadels vorstoßen. Irgendwie wurde ihm warm vor Aufregung und gleichzeitig auch mulmig zumute. Die Fahnen waren gehisst – auf allen Türmen. Das hieß – so munkelte man im Plebs – dass die Adeligen auch anwesend waren. Ob er jemanden davon zu Gesicht bekommen würde? Immerhin war er der erste Sklave, den die Lariel je gekauft hatten.

    Sie gingen auf das Tor der Außenmauer zu. Ein großes Gittertor aus massivem Metall setzte sich langsam in Bewegung. Der Soldat drehte sich zu Accum um. „Ich bin übrigens Appius. Es war mir eine Ehre“, sagte er und verbeugte sich kurz. Verbeugen? Das war ungewohnt für Accum. Was sollte diese Geste? Er war ja nur ein Sklave. Und was? Es war ihm eine Ehre? Wer sagte so ein Satz zu einem Sklaven? Accum verwirrte diese Aussage ersichtlich. „Ähm … danke? Mir auch?“, erwiderte er sichtlich verwirrt. „Was passiert denn nun mit mir?“, traute er sich, trotzdem zu fragen.

    „Das wird sich sicher klären“, meinte Appius und schaute Accum in die Augen. „Bitte hier entlang“, fuhr er fort und führte Accum durch das Tor – hinein in eine ganze andere Welt hinter den Mauern, als er sie von außerhalb dieser bisher kannte.



    ***



    Kyrill mäßigte seinen Gang, während er die Kirche hinauseilte. „Was ist los?“, verlangte er, zu wissen.

    „Euer Vater“, schnaufte der Hauptmann der Soldatengruppe, die ihn geholt hatte. „Ihre Gnaden verlangt nach Euch.“

    Kyrill verdrehte die Augen. „Schön und gut – aber ich war im wöchentlichen Austausch. Das ist wichtig für die Gemeinde“, merkte er – sichtlich verwirrt – an. Er hatte sich noch betont stressfrei von den Gemeindemitgliedern verabschiedet, er musste als Nachkomme schließlich Contenance und Autorität bewahren, selbst wenn es dringend war. Kyrill wusste aber auch, dass sein Vater nicht ohne Grund nach ihm schicken würde. Er wusste um die Bedeutung des wöchentlichen Austausches der Gemeinde in Rom. Die Wichtigkeit war jedem bekannt. Sie hielt die Lariel in Rom zusammen. Außerdem wusste er auch, dass Kyrill nach dem wöchentlichen Austausch immer schnell in die Feste zurückkehrte, schließlich gab es noch andere Aktivitäten an den jeweiligen Tagen. Der wöchentliche Austausch war obendrein fast zu Ende gewesen – wieso hatte sein Vater also die Garde zu ihm geschickt?

    Kyrill stieg in eine schwarze, luxuriös aussehende Kutsche. Der Hauptmann setzte sich ihm gegenüber und klopfte gegen die Hinterwand. Die Peitsche schnellte nieder und die Pferde schnauften, die Kutsche setzte sich in Bewegung und wurde schnell.

    Kyrill musste erst etwas durchatmen, so viel Tempo beim Laufen hatte er schon lange nicht mehr mithalten müssen. Sein eigener Puls klopfte in den Adern seines Halses, er spürte die Wärme auf seiner Stirn, Schweiß bildete sich.

    Er sah den Soldaten fragend an, legte den Kopf schief. „Also? Was ist der Grund?“

    Der Soldat schien unsicher. „Ich … habe selbst keine genaueren Informationen. Es soll eine … Familien-Angelegenheit sein.“

    Kyrill nickte, war mit der Antwort jedoch alles andere als zufrieden. Was für eine Familien-Angelegenheit sollte das bitte sein? Es gab nichts Brisantes zurzeit. Gut, bald sollte wieder ein Ball stattfinden. Und der sollte von dieser einen Familie ausgerichtet werden, die sich unter der Herrschaft seiner Familie neu in Rom angesiedelt hatte. Aber das konnte absolut nicht diese Dringlichkeit haben.

    Die Kutsche rauschte durch die Stadt, die Fahne der Lariel flatterte im Fahrtwind. Er war auf dem Weg zu seinem Vater.



    ***



    Der Innenhof war prächtig. Accum verschlug es beinahe die Sprache, als er durch das große Tor der Außenmauer ging. Die Symmetrie war atemberaubend. In der Mitte der Große Bergfried aus weißem Marmor, der sich in die Höhe der Sonne entgegen reckte. Um ihn herum die dünneren Türme, die jeweils mit einer überdachten, massiven Brücke eine Verbindung zum zentralen Turm hatten. Am Fundament war die ganze Konstruktion mit einem eingeschossigen Bau ebenfalls miteinander verbunden. Auf jedem Turm wehte die Flagge der Lariel. Der ganze Bau strahlte eins aus: Macht. Hier wohnte der Hochadel. Und das zeigte man auch.

    Accum wurde still. Er hatte Respekt. Allein dieser Anblick war ihm fast zu viel. Es war hier sauber. Es war hell, selbst in der untergehenden Sonne, denn es waren Fackellampen aufgehangen worden, die den Hof in ihr weiches, flackerndes Licht tauchten. Und es war – ruhig. Im Gegensatz zur herkömmlichen Straße waren hier keine großen Hintergrundgeräusche. In der Ferne hörte man das Schleifen eines Steins in der Schmiede und das Klappern von Rüstungen auf der Mauer oben. Aber das war es auch schon.

    Es schüchterte ihn ein. Hier schien alles organisiert, geordnet und beherrscht. Ganz anders als sein bisheriges Leben. Hier gehörte er nun also hin. Hier war er hineingekauft worden. Gegen seinen Willen.

    Er schaute sich um, sog alles auf, was er an Eindrücken bekam. Diesen Reichtum hatte er schon lange nicht mehr gesehen. Und er war kein Vergleich zu dem, was er bei Raubzügen in anderen Festen des Hochadels gesehen hatte. Es stimmte also – die Lariel spielten in einer ganz anderen Liga. Nicht umsonst waren sie bei seinen Freunden so berüchtigt und nur selten wagte sich jemand von ihnen in die Festung hier.

    Er blickte hoch in die Zinnen und sah auch den Grund dafür. Eine ganze Reihe an Soldaten patrouillierte dort, mit gezogenen Schwertern. Die Lariel konnten es sich leisten, das war allgemein bekannt. Das Tattoo an seinem Hals kribbelte, er wollte kratzen, doch er erinnerte sich an die Anweisung der Frau, die ihm das hier verpasst hatte. „Nicht kratzen“, sagte er zu sich selbst und widerstand dem eigenen Verlangen. Disziplin. Das war wichtig.

    Appius schaute ihn an. „Ungewöhnlich, oder?“, meinte er und legte seinen Kopf lächelnd schief. „Das ist normal.“

    Accum nickte. „Alles ist so … teuer.“ Er sah sich nochmal um. „Also es sieht alles so wertvoll aus.“

    Das Lächeln seines Gegenübers wurde tiefer. „Das hier ist der Hochadel.“ Er machte eine Pause, schaute sich um. „Hier entlang bitte.“ Er zeigte auf eine Tür in einem der kleineren Türme und ging darauf zu.

    Accum eilte ihm hinterher. „Was geschieht nun mit mir?“, fragte er und - er kam sich daraufhin sofort dreist vor. Einem Sklaven stand eine solche Frage schlicht nicht zu, dachte er sich. Vor allem nicht, wenn man neu war. Und je näher er dem Gebäude kam, desto mehr nahm er ein Pulsieren wahr, das ihm fremd erschien und er nicht kannte.

  • Hallo,


    das Kapitel als Wendepunkt für Accums Leben ist eine interessante Sache. Wo er vorher nur rastlose Nächte und wenig Ordnung kannte, wird der organisierte Ablauf seinen Tag bestimmen. Am besten gefällt mir hier aber tatsächlich der Gedankengang, weswegen er so bereitwillig und freundlich in die Familie aufgenommen wird. Sklaven hatten zu der Zeit vermutlich einen wesentlich schlechteren Stand, als du hier darstellst, und sich mit ihnen gut zu stellen, gehörte wohl auch zur Strategie, dass sie nicht aufmüpfig wurden. Es ist ungewohnt, das so zu sehen, bietet dadurch allerdings auch einige Rückschlüsse, was Accum erwarten wird.


    Wir lesen uns!

  • Rusalka : Vielen lieben Dank für deinen Kommentar! Ja, Sklaven hatten einen wesentlich schlechteren Stand zu dem Zeitpunkt der Geschichte, als es hier Accum widerfährt. Lass uns hoffen, dass es für Accum gut ausgehen wird, wünschenswert wäre es auf alle Fälle bei seiner Vergangenheit.




    Abseits in den Bergen bekam man das gar nicht so mit, aber in den Wochen war es politisch schwierig. Ich war damals noch nicht so bewandert darin, musste es später aber lernen. Und im Nachhinein: Erklären kann ich es mir nicht, was alles passierte.

    Es war wie ein Resett. Die, die die Strahlung überlebten, waren jung. Nur wenige ältere oder alte Menschen lebten weiter. Und es schien, als hätte diese Strahlung in manchen von uns etwas getriggert.



    Kapitel X

    Überwältigt



    Kyrills Kutsche rauschte durch den Torbogen der Feste und kam zum Stehen. Der Soldat, der ihm gegenüber saß, öffnete die Tür. „Bitte, Euer Erben.“
    Kyrill nickte und stieg durch die Öffnung ins Freie, ein warmer Lufthauch fuhr ihm durchs Gesicht. Auf den Zinnen hörte er das Klappern der Rüstungen der anderen Soldaten und ein lieblicher Duft aus dem Garten eroberte seine Nasenflügel. Er schloss kurz die Augen, genoss die untergehende Sonne in seinem Gesicht und atmete tief durch. Danach eilte er zum Hauptgebäude der Festung, zu seinem Vater.
    Während die Schuhe auf dem Boden knirschten, machte er sich Gedanken. Das hatte sein Vater bisher nie getan. Was war los? Gab es irgendetwas Besonderes?
    Wenn ja, was?

    Er würde es gleich erfahren, sonst hätte ihn sein Vater nicht zu sich geholt, dessen war er sich sicher. Er legte den Rest des Weges zum Haupthaus zurück und betrat es dann durch eine einfach gehaltene Seitentür. Das Haupttor wurde nur zu offiziellen Anlässen geöffnet, normalerweise begnügte man sich in der Familie mit den Seiteneingängen, die weniger repräsentativ waren.

    Er trat ins Gebäude und die trockene Luft stieg ihm in die Nase, die für die Feste so charakteristisch war.


    ***


    Das Pulsieren war schwach in Accum. Manchmal wurde es stärker, manchmal war es fast nicht spürbar. Er kannte dieses Pulsieren entfernt von Situationen, in denen er in einer Notlage gewesen war. Dort war es rhythmisch mit seinem Herzklopfen gewesen und er hatte es für normal in solchen Situationen gehalten, ja – als Zeichen des Adrenalins, das dann immer durch seine Adern gerauscht war.
    Doch – das hier war keine Notsituation. Zumindest keine solche, wie er sie bisher kannte. Natürlich war sein Puls erhöht, er spürte ihn, allerdings vor Aufregung und nicht vor Angst. Er hastete in der großen Festung der Lariel seinem Käufer hinterher.

    Appius schien einen konkreten Weg vor Augen zu haben. Zumindest überlegte er nicht, wenn er irgendwo abbog. Sicher fühlte Accum sich nicht. Da draußen in der Stadt kannte er fast jede Ecke und jeden Winkel, doch das hier war Neuland für ihn. In den Gebäuden der Festung war er bisher nicht gewesen, alles war neu und fremd. Bis auf dieses Pulsieren. Er strich mit seiner Hand über die Wände, die er im Vorbeigehen betrachtete. Es schien, als wäre das Gefühl in diesen Steinen, die bereits länger hier standen, als er es sich erträumen konnte. Immer, wenn seine Hand die Wand berührte, wurde sie etwas warm, was allerdings auch an der Geschwindigkeit liegen konnte, mit der er darüber strich.
    Zwei Mal kamen Appius und ihm Leute entgegen, die seinen Begleiter förmlich grüßten. Wenn sie ihn erblickten, senkten sie den Blick und traten zur Seite, sodass er Platz hatte, an ihnen vorbei zu gehen. Accum irritierte das. Er war ja nur ein einfacher Sklave. Gut – er war, nach allem, was er wusste, der erste, den das Hochadelshaus je erworben hatte, aber rechtfertigte dies ein solches Verhalten?
    Er musterte diese Personen und sie alle hatten Kleidung an, die nicht sonderlich spektakulär oder pompös war. Sie war sehr einfach, an den Ärmeln hatten sie jeweils die Farben des Hauses. Es schien eine Art Dienstkleidung zu sein. Ob er die nun auch anziehen musste? Dessen war er sich eigentlich sicher, die Sklaven anderer Hochadelshäuser mussten sich zumindest in den Farben ihres jeweiligen Hauses kleiden.
    Sein Hals juckte bei dem Gedanken. Er musste alle innere Kraft aufwenden, um dem Verlangen, sich dort zu kratzen, zu widerstehen.

    Nach einer gefühlten Ewigkeit standen sie vor einer massiven Holztür. Zuvor waren sie viele Stufen hinauf gegangen, wovon Accum immer noch etwas kurzatmig war. Er war ja auch schließlich den ganzen Tag in der prallen Sonne gestanden, redete er sich wegen seiner schlechten Kondition ein.
    Appius öffnete die Tür und sah ihn zum ersten Mal seit dem Betreten der Feste an. „Hier hinein, bitte“, sagte er uns streckte seine Hand in Richtung des dahinter gelegenen Zimmers aus.
    Accum folgte ohne Gegenfrage der Anweisung des Soldaten und trat über die Schwelle.
    Es bot sich ihm ein Anblick sonders gleichen. Es war kreisrund, hatte große Fenster aus Glas und – eine steinerne Treppe, die sich an der Wand empor schlängelte und in der Decke verschwand. Das Zimmer war mit farbenfrohen Teppichen ausgelegt und die Wände ebenfalls mit solchen behangen, was dem Raum eine gewisse Gemütlichkeit gab. Zu seiner Linken standen zwei leere Regale an der Wand.
    Er ging zum Fenster und war sprachlos. Die Sonne war bereits hinterm Horizont verschwunden, die Stadt blinkte in der Dämmerung immer dort, wo Lichter entzündet wurden, um die Dunkelheit zu vertreiben. Die dunklen Silhouetten anderer Hochadelsfesten erhoben sich immer wieder auf den Bergen – rund herum die sich aneinander schmiegenden kleinen Häuser des niederen Adels und die Viertel der Plebs.
    Er trat einen Schritt zurück und staunte. Hier oben schien es, als wäre man in einer ganz anderen Welt. Hier war es still – da unten laut. Hier sauber – unten dreckig. Hier war alles heil – unten kaputt. Diese Gegensätze schockierten ihn. Das war ihm zwar schon immer irgendwie bewusst gewesen, er hatte es teilweise auf seinen Diebeszügen erlebt. Aber hier, jetzt – in aller Ruhe, das war schlichtweg einfach etwas … ganz anderes.
    Hinter ihm machte es klick.
    Reflexartig drehte er sich um – und sah, wie sich die Tür geschlossen hatte.
    „Appius?“, rief er erschrocken. Doch er bekam keine Antwort.

    Da stand Accum nun. Dreckig, in Lumpen, verschwitzt, ausgelaugt auf dem unfassbar teuer aussehenden Teppich des Hochadels.
    Und war allein.
    Das erste Mal seit einer unfassbar langen Zeit. So sehr, dass er vergessen hatte, wie sich das anfühlte. Und er fühlte sich wahrlich plötzlich unfassbar hilflos.


    ***


    Kyrill setzte sich in den Besprechungsraum seines Vaters im Hauptbergfried. Sein Vater, Ayko Lariel, stand am Kopf des Tisches. Nach und nach kamen auch die anderen hinzu, die zum Beraterstab seines Vaters gehörten.
    Da war Mikkus, ein drahtiger Soldat mit kahlgeschorenem Kopf, der dem Haus bereits seit fast dreißig Jahren in Rom diente. Sein Blick war eisig, und Kyrill traute sich oft nicht, mit ihm zu reden. Doch wenn er mal Hilfe brauchte, konnte er sich auf Mikkus verlassen.
    Seine Tanten Amelia war ebenfalls da. Sie war das komplette Gegenteil und eher die Gemütliche, die sich auch mal ein Glas Wein zu viel einschenkte, wenn der Tag lang gewesen war. Doch ihre blauen Augen blitzten auf, wenn sie einen ansah und es schien immer, als wüsste sie genau, was in einem selbst vorging.
    Auch in ihrem Gefolge dabei war: Sit, ein Nebeltiger aus dem Königreich. Er war gerade in seiner Jungtier-Form und sah aus wie ein kleines, flauschiges Etwas – wie ein Welpe. Er saß auf der Schulter von Kyrills Tante und gähnte ausgiebig. Ohne ihn ging sie nie aus dem Haus, er war immer bei ihr, zu ihrem Schutz.
    Denn Nebeltiger waren sonderliche Geschöpfe; Geschöpfe, denen man nicht im Kampf begegnen wollte. So sehr auch ihr samtiges Fell gemütlich war – ihre Reißzähne erschienen umso furchteinflößender. Und in einer Art Transformation waren sie in der Lage, sich von einem niedlichen, kleinen Schmusetiger hin zu einem angsteinflößendem Killer zu entwickeln. Kyrill selbst fühlte sich in der Gegenwart immer unwohl, obwohl er selbst vermutlich auch mal mit einem verbunden sein würde.
    Das waren die Lariel. Ihre Verbundenheit mit der Natur. Das machte sie – anders. Anders zu den Häusern, die aufgrund ihres Geldes dem Hochadel angehörten. Ja, die Lariel hatten ebenfalls einen unfassbaren Reichtum angehäuft – sie kontrollierten schließen das Mare Nostrum. Aber – dafür waren die Lariel nicht bekannt. Sie waren bekannt für die Nebeltiger, die dem Haus folgten. Die Rudel, die um die Festen im eigenen Königreich herumstreiften und die in den vergangenen Kriegen für das Haus mitgekämpft hatten.
    Kyrill konnte sich dies nicht erklären, aber er nahm es hin. Auf ihn wirkte es surreal, solch ein Monster bei sich zu haben. Denn so sah er die Nebeltiger: Er fand sie furchteinflößend, gefährlich. Was würde nur passieren, wenn die Geschöpfe sich ein Mal gegen das Haus wenden würde? Wäre dann die ganze Macht verspielt? Wären sie dann dem Untergang geweiht?
    Er schüttelte sich. Daran sollte er nicht denken.
    Sit gähnte wieder und schüttelte sich. Kyrill beobachtete ihn eingehend. In dieser Form schien er beinahe … ja, süß zu sein.
    „Ayko. Weswegen hast du uns gerufen?“, fragte Amelia, als Kyrill sich auf seinen Stuhl an den Tisch gesetzt hatte. Sie warf ihm einen seitlichen Blick zu und lächelte kurz.
    Ayko wartete mit der Antwort einige Sekunden.
    „Nun“, begann er. „Es ist viel passiert in den letzten Stunden.“ Er drehte sich um und ging zu seinem Stuhl an der Spitze des Tischs. „Wir haben einen Sklaven gekauft.“
    Kyrill wurde kalt, eiskalt. Und auch der Raum schien plötzlich um einiges ungemütlicher geworden zu sein.
    Amelia atmete hörbar ein. „Du hast … was?“, entwich es ihr mit einem leichten Entsetzen. Sit wurde unruhig, er bemerkte die Anspannung seiner Herrin.
    Mikkus rückte sich in seinem Stuhl unbequem zurecht. Ihm schien die Aussage nicht zu gefallen.
    Und auch Kyrill war schockiert. Sein Vater hatte … ja, was? Einen Sklaven gekauft.
    Das stellte einen Bruch mit der Tradition dar. Das Haus Lariel kaufte keine Sklaven. Es war keine Option. Das Haus kaufte einfach keine Sklaven. Nein.

    Doch es oblag nicht ihm, das zu beurteilen.
    „In der Tat“, erwiderte sein Vater. „Ich habe einen Sklaven gekauft.“ Er setzte sich auf seinen Stuhl. „Ich weiß“, fuhr er fort, „das machen wir normalerweise nicht. Es ist gegen unsere Philosophie des Hauses.“
    „Du hast …“, setzte Amelia an.
    „Fahre fort“, versuchte Ayko, seine Schwester zu ermutigen.
    „… wir unterstützen das System des Kaisers nicht“, sagte Amelia scharf. In ihrem Gesicht spiegelte sich ihr Unglauben über das, was sie gerade gehört hatte. Kyrill konnte das verstehen. Der Sklaven-Kauf war nicht das Geschäft der Lariel. Sie hatten es nicht nötig, war ihre ureigene Mentalität.
    „Ich respektiere deine Meinung, Amelia.“ Ayko nickte bei seinen Worten. „Und ich nehme deine Ungläubgikeit zur Kenntnis. Bis gestern hätte ich dir auch vollumfänglich zugestimmt.“
    „Aber…?“ Amelia nahm einen Schluck aus ihrem Weinglas und runzelte die Stirn. „Du weißt, was das für eine Wirkung auf unsere Politik hat, die wir seit drei Jahrhunderten verfolgen?“
    „Natürlich.“ Das wars – das war die schlichte Erwiderung seines Vaters.
    Natürlich?, dachte sich Kyrill. Das sollte es gewesen sein? „Vater?“, wagte er vorsichtig zu fragen.
    „Ja, mein Sohn?“ Ayko wandte sich ihm zu. „Sprich.“
    „Warum?“, war Kyrills einzige Frage. Er verstand es nicht. Sein Vater warf eine immerwährende Tradition des Hauses über Bord. Die Lariel unterstützen die Politik des Kaiser nicht. Das taten sie schlichtweg nicht. Das war gegen alles, was Kyrill gelehrt worden war. Er konnte es nicht fassen.
    „Nun…“, begann sein Vater und stützte sich auf dem Tisch ab. Er zeigte auf die Karte, die in den Tisch gemeißelt war. „Das hier stellt die Hauptstadt dar – Rom.“ Er fuhr mit dem Finger über den Tisch – hin zu einer Gegend, die außerhalb der Stadtmauern lag. „Und das...."
    Amelia schien perplex bei dem Anblick. Sie hatte aufgehört, Sit zu streicheln. „Nein“, war ihre einzige Reaktion.
    „Doch.“ Ayko kratzte sich am Hinterkopf, während Kyrill auf diese Stelle starrte. Was war dort geschehen? Dunkel schienen ihm manchen Erinnerungen, bis es plötzlich hell vor seinen Augen wurde.
    „Nein“, fuhr es nun auch aus ihm heraus.

  • Hallo,


    überwältigt trifft es gut, wenn man sich Accums Reaktion auf sein neues Zuhause und die anderen Menschen ansieht. Es war sicher schon der Gedanke, nicht mehr auf der Straße leben zu müssen, nicht einfach zu verstehen. Daher empfinde ich hier auch die Verwirrung und Sprachlosigkeit situationsbedingt passend.

    Interessant ist auch die Einbringung der Nebeltiger als mythische Geschöpfe. Das könnte wohl mit ein Grund sein, warum das Haus Lariel so einen guten und ehrfurchtsvollen Stand in der Umgebung hat. Ich bin jedenfalls gespannt, was den schlussendlichen Kauf eines Sklaven rechtfertigt und welche Rolle Accum dabei ausfüllen wird.


    Wir lesen uns!