Rusalka vielen lieben Dank wieder einmal für deinen Kommentar! Nin war nun erstmal das letzte Einführungs-Chapter, zumindest wenn ich meiner Planung treu bleibe. Ich habe die Welt zwar schon seit Jahren recht umfassend ausgebaut, allerdings versuche ich dennoch, alles recht realistisch bzw. zumindest nachvollziehbar darzustellen.
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Apropos nachvollziehbar: Ich weiß, dass es, historisch gesehen, eine solche Technik wie die, die jetzt im nachfolgenden Kapitel beschrieben wird, damals noch nicht so in dieser Ausführung gab. Die Idee dazu ist allerdings noch aus einer Zeit, in der ich in der Alten Geschichte noch nicht so bewandert war und aufgrund der Deutung dazu für die spätere Geschichte habe ich mich entschieden, dieses Kapitel in genau dieser Art auch so beizubehalten. Ich versuche aber, solche - auf den ersten Blick vermeintlichen - Ungereimtheiten im Laufe dieser Geschichte langsam aufzulösen, denn es ist durchaus gewollt so.
An dem Startpost sitze ich gerade, das wird aber noch etwas dauern. Nur die tabmenü-Codes sollten wirklich mal verschwinden :D
Es geschahen danach dann einige Dinge. Stürme zogen auf, Unwetter, Überflutungen. Raketen wurden abgefeuert. Zerstörung, fast überall. Strahlung, vermutlich ebenfalls. Es traf viele Menschen mehr als andere. Mich traf es nicht. Vielleicht lag es an der Abgeschiedenheit. Ich weiß es nicht. Das war aber auch nicht meine oberste Priorität in dieser Zeit.
Kapitel VIII
Beschriftet
Accums Muskeln protestierten heftig, als er seine Beine nach den Stunden des Stehens wieder bewegen durfte. Sein linker Fuß war eingeschlafen und deshalb hinkte er ein wenig, als er auf die Treppe zuging. Nachdem sich diese wieder bei jedem Schritt herunter knarzend beschwert hatte, blickte Accum zum ersten Mal dem Soldaten richtig in die Augen. Er war rund anderthalb Köpfe größer und auf seiner rechten Brust war ein weißer Nebeltiger in den Stoff eingenäht worden. Das Gesicht war rasiert und eisblaue Augen schauten ihn an. Die dünnen, hellen Lippen lächelten ihn an.
Anhand des Tigers erkannte Accum nun endlich auch das Haus, welches ihn gerade gekauft hatte: Es war das Hochadelshaus Lariel. Er wusste jedoch nicht, ob er sich darüber freuen sollte oder nicht, denn er hatte keinerlei Ahnung, wie die Menschen dort mit den Sklaven umgingen. Allerdings war er erleichtert darüber, dass er nun verkauft wurde und sich nicht Gedanken darum machen musste, wie er die nächste Zeit überleben könnte.
„Komm“, meinte er zu Accum und legte eine Hand auf seine Schulter. Accum zuckte instinktiv zusammen. Es war lange her gewesen, dass ihn jemand bewusst berührt hatte, ohne ihm dabei schaden zu wollen. Zumindest hatte er bei diesem Mann das Gefühl, dass er ihm nichts Böses wollte.
Allerdings gab ihm diese Hand auf der Schulter auch eine gewisse Kraft und Sicherheit. Sie ließen zusammen den überaus empörten Graf Edwyn hinter sich und gingen durch die Menschenmasse auf eine der Hauptstraßen zu. Viele Menschen schauten ihn an, aber die meiste Aufmerksamkeit bekam sein Käufer. Hinter vorgehaltener Hand tuschelten die höfischen Leute. Accum schnappte nebenbei so etwas wie „Schaut, die Lariels haben sich nun auch überwunden, Sklaven zu kaufen“ oder „Naja, da haben sie sich aber einen ausgemergelten Burschen ausgesucht“ auf. Anscheinend war es bis jetzt nicht sonderlich oft vorgekommen, dass sich das Haus Lariel am Sklavengeschäft die Finger schmutzig machte.
Ja, Accum fand dieses Geschäft schmutzig. Er fand es absurd, dass es staatlich erlaubt war, Menschen wie Ware anzupreisen, dass man Menschen einfach so für einige hundert Duken kaufen konnte. Das war zwar eine Menge Geld – zumindest für die Plebejer und den niederen Adel. Beim Hochadel jedoch, dessen war sich Accum sicher, war diese läppische Summe an Geld, die heute für ihn ausgegeben worden war, lediglich ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Deshalb war er sich vorhin auch sicher gewesen, dass Graf Edwyn aus dem niederen Adel kam, denn ein Hochadliger stritt sich nicht mit den Sklavenhändlern um jeden einzelnen Duken, den der Sklave kosten sollte, dafür hatten sie einfach zu viel Geld. Und diese bittere Tatsache war selbst dem ärmsten Plebejer klar. Von dem Geld, für das er heute gekauft worden war, hätte er als Dieb sicherlich drei bis vier Jahre lang leben und sich sogar das ein oder andere Mal eine Kerze für die Nacht sowie Streichhölzer leisten können.
Sie waren mittlerweile dort angekommen, wo die Straße in den Platz mündete und hier standen überall hölzerne, kleine, überdachte Stände, an denen die Tätowierer saßen. Das hatte Accum völlig vergessen. Sein Begleiter anscheinend auch, denn er fluchte leise vor sich hin. Accum sah ihn stumm an. Momentan hatte er nicht einmal mehr das Bedürfnis, zu sprechen. Hätte er dem Soldaten danken sollen, dass er ihn gekauft hatte? Er war sich ja nicht einmal selber darüber im Klaren, ob es ein gutes Zeichen war, dass die Lariels sehr selten Sklaven kauften. Hieß das, dass sie wenig Verschleiß an diesen hatten? Oder dass sie einfach keine brauchten, da die Arbeiten auch die Soldaten machen mussten?
Sie reihten sich in der Schlage ein, die sich vor den Tätowier-Ständen gebildet hatte und sein Begleiter nickte denen vor ihnen freundlich zu. Sie brauchten in der Schlange nicht lange zu warten, da ertönte auch schon der Satz von einer freundlichen, weiblichen Stimme: „Der Nächste bitte!“
Accum wurde sanft nach vorne geschoben und sah einer dünnen, jungen Frau entgegen, die auf einem kleinen, drehbaren Holzstuhl saß. Sie hatte ein orangenes, knielanges Kleid an und ihre Hände waren voll von allerhand farblicher Tinte. Sie lächelte ihn an. „Komm, setz dich. Es wird nicht lange dauern.“
Accum setzte sich, merkte aber, wie sich der Soldat anspannte. „Können wir nicht mal eine Ausnahme machen?“, fragte er die Frau nervös. „Nur dieses eine Mal?“
Die Frau lachte warm. „Nur, weil das Haus Lariel mal einen Sklaven gekauft hat, können wir die Tätowierung nicht ausfallen lassen. Man soll ja schließlich sehen, dass er zu euch gehört.“
„Ja, schon …“, fing ihr Gegenüber an, doch er wurde von ihr unterbrochen.
Sie hob den Zeigefinger. „Du weißt doch, der Befehl kommt von ganz oben. Ich werde mir zur Abwechslung sogar mal Mühe geben mit dem Tattoo und ein bisschen Abwechslung reinbringen, sodass es nicht ganz so schrecklich aussieht. Mehr kann ich dir aber nicht entgegen kommen.“
Sie lächelte und strich Accum die hellblonden Haare hinters Ohr. Seine Haare waren zwar nicht lang, aber sie gingen ein bisschen über die Ohren und fielen ihm immer wieder in die Stirn, was er gar nicht mochte.
Dann nahm die Frau ein feuchtes, stark riechendes, weißes Tuch und rieb damit über seine linke Halsseite. Als sie das Tuch wieder wegnahm, war es voller Schmutz und Schweiß. Accum schämte sich ein bisschen dafür, dass er so schmutzig war. Doch sie beachtete das Tuch nicht wirklich, sondern nahm eine Nadel in die Hand, die mit einem Schlauch mit der Überdachung verbunden war. Als Accum hochblickte, sah er, wie dort lauter Gefäße hingen, mit den unterschiedlichsten Farben gefüllt. Der Schlauch war momentan mit einem Gefäß verbunden, welches am unteren Rand einen dunkelgrauen Pinselstrich verpasst bekommen hatte. Es lag also nahe, dass sein Tattoo dunkelgrau werden würde.
Sie setzte die Nadel an seinen Hals an und es piekte leicht mit jedem Millimeter, den sie sich bewegte. Um den Schmerz ein wenig zu ignorieren, schweifte er wieder ab und dachte darüber nach, warum sein Käufer versucht hatte, diese Tätowierung zu verhindern. Selbst Accum war es bekannt gewesen, dass dieser Befehl, jeden verkauften Sklaven am Hals mit dem Wappen des Käufers zu tätowieren, von dem Kaiser persönlich gekommen war.
Es soll eine Zeit gegeben haben, wo dieses noch nicht der Fall gewesen war und die Adelshäuser das ausgenutzt hatten und den Sklaven befohlen hatten, bei politischen Gegnern einzubrechen und sogar Schlimmeres anzustellen. Seit dem gab es diese Regelung, damit im Zweifelsfall der Sklave eindeutig zugeordnet werden konnte. Andererseits wurde es den Sklaven so sehr schwer gemacht, unerkannt zu fliehen und auf der Straße zu leben. Denn anhand des Tattoos konnte er von der Stadtwache immer wieder zurückgebracht werden.
Die Frau stand kurz auf und riss Accum dadurch aus seinen Gedanken. Sie nahm einen weiteren Schlauch in die Hand und stöpselte ihn an den Behälter mit dem orangenen Pinselstrich an. Sie wusch in einem kleinen Wasserbecken, welches neben dem Holzstuhl stand, die Nadel aus und steckte sie wieder auf den Schlauch. Sie nahm ein weiteres, weiches Tuch und wischte damit ein paar Mal über die Stelle, an der sie gerade gearbeitet hatte. Dann setzte sie die Nadel wieder an und fuhr immer nur kurz an ein paar Stellen mit der orangenen Tinte über das Grau.
Schließlich setzte sie die Nadel wieder ab und wischte mit einem weiteren Tuch abermals über die tätowierte Stelle.
Accums Hals kribbelte dort, wo eben noch die Nadel über seine Haut gefahren war. „Nicht anfassen“, meinte die Frau lediglich und tauchte ein neues Tuch in einen Eimer mit klarem Wasser, welcher hinter ihr stand. Damit fuhr sie abermals über die Stelle am Hals. Danach lehnte sie sich zufrieden zurück. „Sieht doch gar nicht so schlecht aus.“ Sie stand auf und kramte hinter ihr in ihren Sachen herum und fand schließlich einen alten, zerkratzten Spiegel und zeigte damit Accum das Tattoo.
Wenn Accum ehrlich war, fand er das sogar eigentlich ganz schön. Er erkannte, dass die Frau des Zeichnen und Malens mächtig war. Sie hatte ihm den Nebeltiger in einer Größe von circa drei mal drei Zentimetern in dunkelgrau auf den Hals tätowiert. Es waren in dem Fell leichte Akzente mit Orange gesetzt worden, ebenso waren die Augen in Orange gehalten. Wider Erwarten gefiel es Accum. Er lächelte die Frau an. Er war ihr dankbar, dass sie ihm nicht seinen Hals ruiniert hatte in Form eines grausigen Tattoos.
Sein Begleiter nickte der Frau zu und bedeutete Accum dann, aufzustehen. Er verabschiedete sich von ihr und ging dann hinter … ja, wem eigentlich her? Er wusste lediglich, dass sein Käufer ein Soldat vom Hause Lariel war. Aber wie hieß er? Woher kam er? Wo lebte er eigentlich, wenn er nicht im Dienst war?
Vielleicht würde Accum das noch herausfinden, war momentan aber nicht besonders erpicht darauf, ein Gespräch anzufangen. Das lag nicht einmal wirklich daran, dass er nicht wusste, worüber sie sprechen sollten, denn Fragen hatte er reichlich. Nur erschien es ihm unpassend, jetzt ein Gespräch anzufangen.
Die Stelle an seinem Hals kribbelte und fing an zu jucken. Er musste sich beherrschen, um dort nicht zu kratzen, denn er wusste nicht, ob das so gut war, wenn die Haut gerade frisch tätowiert war.
Er blickte gen Himmel und seufzte. Die rote Abendsonne schien ihm entgegen, tauchte alles in ein tiefes Blutrot. Der Horizont glühte, vereinzelte Wolken hoben sich hell hervor, zogen unbeschwert am Himmel Richtung Süden.
Er wünschte sich, so frei zu sein wie diese Wolken. Einfach den ganzen Tag dahin zu treiben und sich keine Gedanken darum machen zu müssen, wie man den folgenden Tag überleben sollte.
Sie gingen die Straße runter, welche einen leichten Bogen nach links machte und dabei ein wenig zum etwas entfernten Meer abfiel. Es schimmerte ebenso rot in weiter Ferne ihm entgegen. Accum war noch nie am Meer gewesen, obwohl es nicht einmal weit weg war. Seit Jahren war er nicht mehr aus dieser Stadt herausgekommen, dafür wurde die Stadtmauer zu gut bewacht. Und da er kein Adeliger, Bauer oder sonstiger Arbeiter mit entsprechendem Ausweis war, konnte er auch nicht einfach die Stadttore so passieren, wie er es wollte. Wenn dann müsste er versuchen, nachts einmal still und heimlich zu entkommen … doch, was würde er dann machen?
Außerdem war das reines Wunschdenken, vor allem jetzt. Er war jetzt ein Sklave und würde auf ewig dazu verdammt sein, irgendeinem Adeligen die Schuhe zu putzen.
Sie gingen nun durch ein reicheres Stadtviertel und im ersten Geschoss der Häuser waren nun kleine Geschäfte. Zwischen Bäckereien, Metzgern, Schuhmachern und Kleidungsläden war alles dabei, wie Accum durch die Schaufenster hindurch erkennen konnte. Hier und da klingelte mal das ein oder andere Glöckchen, als eine der Ladentüren geöffnet wurde. Wohl gekleidete Menschen gingen hier ein und aus, starrten ihn teilweise abfällig oder fasziniert an, oder beachteten ihn erst gar nicht.
Zu seinem eigenen Entsetzen fand er es hier schön. Er wusste nicht warum, aber auf einmal machte sich hier in ihm ein vertrautes Gefühl breit. In seiner Magengegend wurde es warm; er sog alles in sich auf, waren es auch nur die kleinsten Geräusche oder Bewegungen. Das hier kam ihm zumindest ein bisschen vertraut vor.
Doch dieses Gefühl verflog schnell wieder; schneller als es ihm lieb war. Er suchte nach diesem Gefühl, es hatte ihn aufgemuntert und gezeigt, dass alles doch gar nicht so schlimm war, wie er immer dachte.
Es hatte in ihm Emotionen und Sehnsüchte geregt, die er schon lange vergessen hatte, weil er sie sich nicht leisten konnte. Als niederstes Mitglied der Gesellschaft hatte man nicht das Privileg, sowas zu erleben. Außer - man stahl es. Den Luxus. Keine Sorgen. Das war das tägliche Spiel eines Diebes - genug stehlen, um etwas von dem Glück der Reichen abzubekommen und darin die eigenen Überlebenssorgen zu ertränken.
Das gelang jedoch selten.