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[tab='Vorwort']Hallo und herzlich Willkommen!
Schön, dass du zu meiner ersten FF gefunden hast. Ich trage die Idee zu dieser Geschichte nun schon über ein Jahr mit mir herum und habe endlich damit begonnen, sie "zu Papier" zu bringen. Ursprünglich wollte ich ja jemand anderes die Geschichte schreiben lassen, wurde aber dazu ermutigt, sie selbst zu schreiben, obwohl ich keinerlei Erfahrung damit habe. Ich lese zwar hin und wieder ein Buch, habe aber seit der, keine Ahnung, siebten Klasse, keinen fiktiven "Aufsatz" mehr geschrieben. Ich gebe mir aber sehr viel Mühe, meine Geschichte so zu schreiben, dass sie interessant und angenehm zu lesen ist. Worum geht es hier also? Nun, zuerst handelt meine Geschichte von zwei Trainern, die das Land bereisen und Orden sammeln. Sie handelt aber auch von Menschen mit besonderen Fähigkeiten, Helden und von Utilitarismus. Die Geschichte spielt in einer neuen Region der Pokemonwelt, die unsere Protagonisten nach und nach erkunden werden. Meine Version der Welt ist sehr stark an die Spiele der Hauptreihe angelehnt, allerdings versuche ich, einige unlogische Elemente der Spiele zu erklären oder abzuwandeln, damit das Setting etwas realistischer erscheint (so realistisch wie eine Welt, die von Pokemon bewohnt wird, eben werden kann :P ). Diesen Realismus lasse ich auch in die Handlung einfließen, weshalb sie nicht so sorglos und harmlos wie in den Spielen sein wird. Es wird daher definitiv brutalere Szenen und u.A. Tote geben, das bedeutet, dass die betroffenen Kapitel nichts für Leute sind, die kein Blut "sehen" können.
Es werden auch ab und zu Schimpfwörter fallen.
Ich werde natürlich rechtzeitig darauf hinweisen, sei also unbesorgt
Ich werde dir vorerst keinen tieferen Einblick in meine Charaktere, meine Welt oder Ähnliches geben, weil ich sowas etwas sinnlos finde. Ich denke, dass es besser ist, sich solche Dinge selbst zu erlesen. Allerdings will ich hinzufügen, dass es näher beschriebene Pokemon-Kämpfe geben wird. Allerdings werde ich einige Aspekte der Typentabelle ignorieren (z,Bsp dass Gift gegen Pflanze resistent ist o.ä) bzw. meinen Bedürfnissen anpassen. Wenn es mir in den Kram passt, werde ich auch die 4-Attackenregel ignorieren, außerdem werde ich gegebenenfalls Attacken- und Fähigkeiteneffekte abwandeln.
Was bleibt noch zu sagen?
Ich freue mich über jede Form für Kritik, sei es ein noch so kurzer Kommentar. Wie ich bereits erwähnte, bin ich sehr unerfahren, was das Schreiben angeht. Durch Kritik werde ich versuchen, Fehler auszumerzen und besser zu werden, also immer her damit ^^
Wer benachrichtigt werden möchte, sobald ein neues Kapitel herauskommt, kann sich bei mir melden.
Ich wünsche dir viel Spaß beim Lesen :)
LG,
Jefi
[tab='Dankaussagungen']Vielen Dank an meine Betaleserin, @White Tulip Danke dafür, dass du mir ständig in den Hintern getreten hast, bis ich mit dem Schreiben anfing. Vielen Dank auch fürs Betalesen ^^ (Deutsche Sprache schwere Sprache :D)
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Lass dich net so stressen :)
Vielen Dank auch an @Rajani. Du hast mich dazu gebracht, die Geschichte selbst zu schreiben :)
[tab='Anspielungen']Ich halte mich für zehn mal so klever, als ich eigentlich bin. Aus diesem Grund packe ich einige Anspielungen in die Namen diverser Charaktere, bzw. in fast alles, was einen Namen hat. Wenn euch also ein Name oder eine Bezeichnung bekannt vorkommt, oder euch an etwas erinnert, kann es gut sein, dass dies Absicht ist. Nahezu jeder Name hat einen Grund.
[tab='Kapitelübersicht']
Prolog ~ Zielgerade
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Beim Kleinen beginnt alles und je größer und mächtiger etwas werden soll,
desto langsamer und scheinbar mühsamer wächst es.
~ Jeremias Gotthelf
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Der Wecker fing an zu fiepen und weckte Sid aus dem Halbschlaf auf.
"Aarrgh Scheiße", stöhnte er, als er sich verschreckt aufrichtete und auf dem Nachttisch nach dem Wecker tastete.
Anstatt den Wecker wie sonst geübt auszuschalten, brachte Sid es fertig, ihn zusammen mit einer Flasche Beerensaft umzustoßen. Mit einem klong-kling fielen beide Gegenstände auf den Boden, wobei der Wecker ausging und die Flasche unter das Hochbett rollte. Nach diesem Kampf ließ er sich erschöpft zurück ins Bett fallen, sein Arm hing schlaff von der Bettkante. Er stöhnte.
"Aus den Federn, Prinzessin!", rief er, worauf er von oben ein schlaftrunkenes Grunzen als Antwort bekam.
"Ich habe gerade so schön geträumt. Von einem Knuddeluff", sagte Hiro, der anscheinend ebenfalls aufgewacht war.
"Wie war er?", fragte Sid, ohne sich für die Antwort wirklich zu interessieren.
"Ziemlich rosa", antwortete Hiro kaum verständlich.
Sid stutzte.
"Ich meinte den Traum", entgegnete er genervt.
"Ich auch", kam es von oben. "Und, mein Prinz? Wie hast du so gepennt?"
Sid stöhnte erneut.
"Die gefühlt letzten 20 Minuten habe ich hervorragend geschlafen. Davor so ziemlich gar nicht", antwortete er.
"Oh, sucks to be you", war Hiros geistreiche Antwort.
Sid richtete sich auf.
"Wir haben heute keine Zeit für Trashtalk", rief er schlecht gelaunt, sich im Bett aufrichtend. "Wir dürfen heute nicht zu spät kommen"
Sids Kopf drehte sich ein wenig, als er aufstand. Ein drückendes Gefühl machte sich in seinem Bauch breit. Er wurde langsam nervös.
"Ich weiß, ich weiß! Die Prüfung ruft", rief Hiro, als er aus dem Hochbett sprang.
Sid sah seinen Freund ungläubig an.
"Wie zum TEUFEL kannst du schon so fit sein?", fragte er, wobei in seiner Stimme ein neidischer Unterton mitschwang.
"Du weißt doch, ich hab Superkräfte", sagt Hiro lachend und schlenderte auf den Flur kargen hinaus.
"Ja, das ist mir schmerzlich bewusst", murmelte Sid und folgte ihm.
Es war ungewohnt still, aus den anderen Zimmern war nichts zu hören. Nur die alte Uhr tickte und wachte über die schlafenden Waisen. Sid lief ein kalter Schauer über den Rücken, als Hiro die knarrende Tür zum Bad öffnete. Als kleiner Junge hatte er große Angst vor der Uhr gehabt. Damals war sie ihm sogar in Alpträumen erschienen. Mit jedem Ticken war sie größer geworden bis das Ticken ohrenbetäubend laut geworden war. Sid schauderte. Seine Angst vor der Uhr ist zwar verschwunden, ein mulmiges Gefühl hat er aber immer noch, wenn er die Uhr sieht.
"Kommst du?", fragte Hiro.
Er stand in der Tür, die Zahnbürste in der Hand.
"Mhm", grummelte Sid und betrat das Bad.
Sid hasste das Badezimmer. Es erinnerte ihn ständig daran, ein Waise zu sein, kein richtiges Zuhause zu haben. Waschbecken um Waschbecken standen an der Wand aufgereiht, 11 an der Zahl. Ihnen gegenüber befanden sich Waschmaschinen und Duschkabinen, immer schön abwechselnd. Sid gesellte sich zu Hiro, der an ihrem gemeinsamen Waschbecken stand, sich eifrig die Zähne putzte und ein Lied summte. Sid nahm sich seine Zahnbürste, quetschte den letzten Rest Zahnpasta aus der Tube heraus und schmiss sie anschließend weg. Er fing an, sich die Zähne zu putzen und betrachtete sich im Spiegel. Sid war ein wenig kleinwüchsig, hatte blasse Haut und braune Locken, die ihm in seine haselnussbraunen Augen fielen. Seine Statur war nichts Besonderes. Weder dünn, noch dick, nicht kräftig und nicht schwächlich. Totaler Durchschnitt eben. "Meh", dachte sich Sid und musterte Hiro.
Dieser war ganz anders. Er überragte Sid um einen Kopf, hatte blonde Strähnen, blaue Augen und war muskulös gebaut. Hiro sah Sid im Spiegel an, blinzelte und spuckte das innere seiner Mundhöhle ins Waschbecken, wonach er seinen Mund mit Wasser füllte. "Grghrghah" kam es von ihm, als er seinen Kopf in den Nacken legte und zu gurgeln anfing. Sid war nun ebenfalls mit dem Putzen fertig, spülte seinen Mund aus und richtete sich auf. Hiro starrte immer noch zur Decke, mit Gurgeln beschäftigt.
"Gut machst du das!", sagte Sid grinsend, als er Hiro fest auf den Rücken schlug.
Dieser verschluckte sich, fing an zu husten und spuckte das ganze Wasser, das sich zuvor in seinem Mund befunden hatte, gekonnt auf den Spiegel.
"Trödel nicht rum", sagte Sid lachend und ging ins Zimmer zurück.
Er schloss die Tür und durchquerte leise den Flur, während Hiros Husten und Fluchen noch aus dem Bad zu hören war.
Sid betrat ihr Zimmer, Nummer 16. Die Wände waren weiß gestrichen, allerdings sah man die Wände kaum, da sie von Postern diverser Bands verdeckt waren. An der linken Wand befand sich das Hochbett und ein Sitzsack, an der Wand gegenüber standen zwei Schreibtische, vor denen jeweils ein Stuhl stand. Der Tür gegenüber befand sich das Fenster, durch das Licht in das enge Zimmer fiel. Sid lief zu seinem Tisch hinüber, nahm Block, Taschenrechner und Mäppchen und packte diese in seinen Beutel. Nach kurzem Überlegen schmiss er noch zwei Reservekugelschreiber dazu, nur für den Fall. Als er damit fertig war packte er noch schnell Hiros Sachen zusammen. Gerade, als er Hiros Beutel schloss, bemerkte er, dass sich dieser in der Tür aufgebaut hatte und ihn böse anfunkelte. "Spinnst du eigentlich?!? Ich wäre da fast erstickt, was...", begann er, wurde aber sogleich von Sid unterbrochen.
"Das kommt davon, dass du so lange gurgelst. Keine Ahnung, für was du da übst, heute fehlt uns aber die Zeit dafür. Und jetzt beruhige dich, ich habe deine Sachen schon gepackt. Bin ich nicht nett?", entgegnete Sid.
"Leck mich", knurrte Hiro, fing aber an, sich anzuziehen.
Sid tat es ihm gleich und zog ein weißes Hemd, Jeans, Socken und Schuhe an.
"Auf geht’s! " sagte Hiro, der seine Wut anscheinend bereits vergessen hatte.
Sie nahmen Ihre Taschen, verließen das Zimmer, durchquerten den Flur und liefen die Treppe hinunter ins Erdgeschoss. Dort angekommen trafen sie Miuka, das Felilou von. Sie blieb stehen und betrachtete die Beiden. Dann leckte sie sich kurz die Pfote, miaute die zwei verdutzten Jungen an und lief unbeeindruckt weiter. Hiro sah Sid an, dieser zuckte jedoch nur mit den Schultern. Sie passierten daraufhin den noch dunklen Speisesaal und gingen in die Küche.
Dort stand Theresa, die Leiterin des Waisenhauses. Theresa war eine große, runde Frau, trug einen ursprünglich weißen Kochmantel und einen Kochhut, der ihre schulterlangen Haare bedeckte. Sie war gerade mit dem Braten von Spiegeleiern beschäftigt, als die Jungen die große Küche betraten. "Da seid ihr ja endlich! Habt ihr gut geschlafen?", rief sie fröhlich. "Setzt euch und nehmt etwas Brot. Die Eier sind gleich fertig"
Hiro und Sid taten wie geheißen und setzten sich an den Tisch direkt neben dem Herd. Auf diesem stand ein Korb mit Brot, Frischkäse und geschnittener Paprika.
"Mahlzeit! ", sagte Hiro gut gelaunt und griff eifrig zu.
"Ebenso", entgegnete Sid und nahm sich eine Scheibe Brot.
Die beiden Jungen aßen hastig, während Theresa sie fragte, ob sie denn gut geschlafen hatten und bereit waren für das Examen. Sie beschwerte sich darüber, dass die Prüfung an einem Sonntag Morgen stattfand und dass es heute wieder elendig heiß werden sollte. Die Jungen nickten stets, den Mund mit dem leckeren Essen vollgestopft. Als sie fertig waren standen sie auf und bedankten sich.
"Kommt, lasst euch drücken", sagte Theresa, als die beiden die Küche verlassen wollten.
Sie umarmte Hiro und Sid, erdrückte sie beinahe. Die Jungen verabschiedeten sich und Theresa ging an den Herd zurück, um den anderen Waisen das Frühstück zuzubereiten.
"Vergesst eure Pokémon nicht! Und viel Glück!", rief sie ihnen nach, als sie durch die Küchentür gingen.
"Danke, machen wir!", gab Hiro zurück.
Sie passierten den Speisesaal erneut und erreichten die Treppe, diesmal folgten sie ihr aber nach unten in den Keller. Dort angekommen liefen sie zu den Schließfächern hinüber, in denen sich ihre Pokébälle befanden. Da Pokémon auf den Zimmern verboten waren, jedes Kind aber bis zu drei besitzen durfte, wurden sie hier in den Schließfächern gelagert. Hiro schloss sein Schließfach auf und Sid tat es ihm gleich. Sie nahmen ihre Pokébälle und verließen den Keller wieder. Im Erdgeschoss angekommen, bogen sie nach rechts ab und näherten sich dem Ausgang. Die Tür öffnete sich und ihnen kam Herr Klaus, der Wachmann, entgegen.
"Morgen", grummelte er und ging, ohne die Jungen weiter zu beachten, an ihnen vorbei.
"Freundlich wie eh und je", murmelte Sid und öffnete die Eingangstür.
Die zwei verließen das Gebäude und liefen den Weg zum Tor hinunter. Auf dem Tor war ein Schild angebracht, auf dem "Waisenhaus Origio" in großen grünen Lettern geschrieben stand. Neben der Aufschrift war ein Tragosso abgebildet, das mit gespreizten Armen und Beinen dastand, seinen Knochen hoch in die Luft streckte und dabei lächelte.
Hiro und Sid schlenderten unter dem Tor hindurch und wandten sich in Richtung Hauptstraße, die geradewegs zum Labor, ihrem Ziel, führte. Stumm folgten sie der Straße, während ihr Ziel sich immer weiter näherte.
Kapitel 1 ~ Endspurt
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Das Wissen wächst, die Unruhe wächst mit ihm.
~ Johann Wolfgang von Goethe
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Eine bunte Mischung nervöser Schüler stand im klinisch weißen Flur vor den Schulungsräumen des Pokémonlabors herum und wartete auf die Prüfer, um das Examen endlich hinter sich zu bringen. Die jungen Leute hatten sich zu kleinen Gruppen versammelt und besprachen den Stoff, der drankommen würde. Da Privatschulen (als Waisenkinder genossen Hiro und Sid das Privileg, auf eine Privatschule zu gehen) meistens kleine Klassen hatten, mussten die Schüler das Examen gemeinsam im Labor schreiben, weil durch das Zusammenlegen der Klassen weniger Aufseher für die Prüfungen benötigt wurden. Hiro und Sid gesellten sich zu einigen Jungen aus ihrer Klasse und nach einer kurzen Begrüßung waren auch sie Teil einer Diskussion über die Bestimmung der Schnittgerade zweier Ebenen. Sid war froh über die Unterhaltung, denn sie half ihm, seine Nervosität zumindest teilweise im Zaum zu halten. Außerdem beruhigte es ihn, dass er bisher jede Frage selbst beantworten konnte und nirgends das Gefühl hatte, unsicher zu sein. Sids Gedanken drifteten langsam aber sicher ab und er begann, sich diverse Texte aus seinen Schulbüchern vor die Augen zu führen und verschiedene Formeln und Herleitungen aufzustellen. Er dachte gerade an das Gauß'sche Verfahren, als er aus den Gedanken gerissen wurde, weil einer der Jungen auf den Professor aufmerksam machte.
„Da kommt er", sagte der Junge und Sids Nervosität und Unruhe war mit einem Schlag wieder da, als er Professor Erl und zwei Assistenten den Gang runterkommen sah.
Professor Erls runder Bauch lief voran, den Professor hinter sich herziehend. Die Assistenten gaben sich wirklich große Mühe, mit dem Bauch Schritt zu halten. Alle drei trugen weiße Labormäntel und machten einen sehr professionellen Gesamteindruck. Nur Erl hatte seine Ärmel hochgekrempelt, von denen einer bereits wieder halb heruntergerutscht war. Unter der Brusttasche seines Mantels hatte sich ein blauer Tintenfleck gebildet. Auf dem Kopf trug er eine Halbglatze, die wenigen Haare, die er noch hatte, waren grau. Erl hatte grüne, wache Augen, mit denener die Schüler betrachtete. Der Professor blieb vor der Gruppe stehen. Sein dichter Schnurrbart bewegte sich.
„Morgen Leute! Ich hoffe, ihr seid bereit?", begrüßte er alle mit seiner tiefen, aber gut gelaunten Stimme.
Eine allgemeine Verneinung war zuhören.
„Naja, das werden wir wohl noch sehen. Lasst uns keine Zeit verlieren, verteilt euch bitte auf die drei Zimmer.A bis J geht in S-null-eins, K bis R in S-null-zwei und S bis Z UND SONDERZEICHEN... "
Der Professor hielt kurz inne, um die Reaktion der Schüler abzuwarten. Vereinzelt war ein mechanisches Auflachen zu hören. Erl seufzte und fuhr merklich enttäuscht fort:
„Geht in S-null-drei. Wer Zweifel hat und es nicht bereits getan hat, kann einen Blick auf die Listen werfen, die neben den Türen ausgehängt sind. Hurtig, hurtig"
Es entstand ein Durcheinander, als die Schüler sich in die Räume drängten.
„Hallo Hiro, hallo Sid", grüßte der Professor, als die zwei an ihm vorbeigingen. „Heute seid ihr wohl dran, was? Wie die Zeit vergeht, einfach unglaublich. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ihr zum ersten Mal hergekommen seid, um eure Starter abzuholen. Ihr seid ziemlich erwachsen geworden", sagte Erl nachdenklich und betrachtete die zwei eingehend. „Ich bin mir sicher, ihr schafft das. Trotzdem, viel Glück"
„Danke, Professor", antwortete Hiro, Sid nickte nur.
„Es ist tatsächlich recht lange her. Fünf Jahre sind es bereits", dachte Sid und erinnerte sich an seine erste Begegnung mit Froxy, während er langsam auf die Tür des Schulungsraums zuging.
Obwohl Sid damals schon 13 Jahre alt gewesen ist, konnte er sich nicht mehr allzu genau daran entsinnen. Die Erinnerungen waren brüchig und in helles Licht getaucht, die Umgebung war unscharf, nur die Personen und Pokémon waren klarer erkennbar. Hiro und Sid hatten damals das Alter erreicht, in dem sie Ihr erstes Pokémon besitzen durften. Eigentlich war das Mindestalter 15 Jahre, Waisenkinder durften aber bereits mit 13 eins haben. Das lag daran, dass der Staat zwar viel Geld in Waisenhäuser investierte, den Verantwortlichen aber auch bewusst war, dass man die Nähe und Geborgenheit, die man in einer Familie erfährt, nicht durch Geld ersetzen kann. Viele Menschen holten sich lieber ein Pokémon als weiteres Familienmitglied statt einem trotzigen Waisenkind. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Waise bis zum Erreichen seiner Volljährigkeit adoptiert wird, war gering und sank stetig. Aus diesem Grund wurde das Mindestalter für den Besitz von Pokémon für Waisenkinder herabgesetzt. Der "Starter" war ein großes Ereignis im Leben eines jeden Waisen, wichtiger als jede Geburtstagsfeier oder Weihnachten. Dementsprechend aufgeregt und hibbelig waren Hiro und Sid, als sie in den Spielraum geführt wurden. In diesem Raum hielten sich junge Pokémon auf, die ebenfalls keine Eltern mehr hatten, oder verstoßen wurden. So etwas kam nur selten vor, weshalb es in der Region Telop kein eigenständiges Waisenhaus für Pokémon gab, stattdessen wurden die Pokémon vom Labor aufgenommen. Die Forscher kümmerten sich um sie, führten nebenbei Messungen an ihnen durch und protokollierten die Verhaltensweise der Pokémon. Sid erinnerte sich kaum noch an den Raum oder wie viele und welche Pokémon sich genau in ihm befanden. Er wusste aber noch, dass es ein fröhliches und aufgeregtes Durcheinander war, als Hiro und Sid den Raum betraten. Der Professor sagte irgendwas, die beiden Jungen achteten aber natürlich nicht darauf, sie interessierten sich nur noch für die Pokémon, die im Raum spielten. Sid erinnerte sich daran, dass ein Ball an Hiro und ihm vorbeirollte, der kurz darauf von einem „Graaaah"-schreiendem Glumanda umgerannt wurde. Hiro war sofort von Glumanda begeistert und lief hinterher. Sid hingegen ließ den Blick erst durch den Raum streifen und betrachtete die Pokémon, von denen einige interessiert zu den Besuchern sahen, andere aber kaum Notiz von ihnen nahmen. Sid durchstreifte den Raum. Er wusste jetzt nicht mehr, welche Pokémon sich dort befanden. Keines stach heraus, bis sein Blick auf ein Froxy fiel. Es war an sich auch nicht besonders auffällig und befand sich an der hinteren Wand des Zimmers. Es sprang auf und ab und sah Sid an. Sid näherte sich ihm und setzte sich vor ihm in die Hocke. Das Froxy kippte den Kopf auf die Seite, während es ihn eingehend betrachtete. Sid schwieg und betrachtete es ebenfalls. Ihm fiel auf, dass die großen, gelblichen Augen nicht so ganz zum restlichen Körper passten. Froxy legte den Kopf auf die andere Seite, quakte und fing an, im Kreis rumzuhüpfen. Kurz darauf blieb es wieder stehen, sah Sid erneut an und quakte unsicher. Sid traf einen Entschluss. Er fragte sich im Nachhinein, wieso er sich plötzlich sicher war, dass er Froxy haben wollte, aber damals gab es keinen Zweifel. Er drehte sich um und fragte den Professor, ob er das Froxy haben könnte. Sid musste grinsen, als er sich an das Gesicht des Professors erinnerte. Er sah erst Sid ungläubig an, dann Hiro, der lachend mit dem Glumanda in den Armen und „Ich will das hier!" rufend durch das Zimmer lief.
„Na, das ging aber schnell",sagte Erl verwundert. „Seid ihr euch sicher? Die Pokémon werden euch ein Leben lang begleiten. Manche Leute verbringen Stunden damit, einen Kameraden auszuwählen"
Hiro rief: „Ja, unbedingt!"
Sid nickte nur.
„Na dann", der Professor zuckte mit den Schultern. „Nehmt eure Bälle und fangt sie, damit ihr den Vertrag besiegeln könnt"
Sid kramte einen seiner Bälle aus dem Beutel. Im Hintergrund konnte er Hiro „Los, Pokéball!" schreien hören. Sid seufzte. Er sah ängstlich zu Froxy, das seinen großen Kopf bereits wieder auf die Schulter gelegt hatte und zu Sid herüberblickte. Sid hielt die Luft an. Er drückte auf den Knopf seines Pokéballs und warf ihn in Froxys Richtung, wie er es schon tausende Male gesehen und geübt hatte. In der Luft öffnete sich derBall. Gespannt sah Sid zu, wie ein roter Strahl das Froxy erfasste. Es sah überrascht auf, als es sich in helle Energie verwandelte. Die Energie, die anfangs die Form von Froxys Körperumriss hatte, verformte sich in eine Kugel und wurde anschließend in einem dünnen Strom in den Ball hineingezogen, der bereits am Boden lag. Der Ball schloss sich und wackelte einmal auf dem Boden. Es war totenstill.
"Was, wenn mich das Froxy nicht als Partner akzeptiert?", fragte sich Sid atemlos.
Der Ball glühte kurz auf, was den erfolgreichen Fang bestätigte. Die Geräusche der Umgebung drangen nun wieder an Sids Ohren, er hörte Hiro irgendwas freudig rufen. Sid stieß die Luft, die er die ganze Zeit angehalten hatte, erleichtert wieder aus. Er hatte es geschafft. Als Sid zum Ball hinüberging und sich bückte, um ihn aufzuheben, gaben seine Füße leicht nach, so erleichtert und froh war er. Er hatte sich schon oft vorgestellt, was wäre, wenn ihn keins der Pokémon zum Partner wollte. Diese Vorstellung hatte ihm schon einige schlaflose Nächte beschert. Aber er hat es geschafft. Sid lächelte glücklich. Er hat es geschafft.
Sid kam wieder zu sich, als sein rechter Oberschenkel an einen Tisch stieß. Er sah sich im Schulungsraum um, ein Großteil der Leute saß bereits auf den gepolsterten Stühlen. Durch die halb geschlossenen Rollläden drang Sonnenlicht, was den Raum gemütlicher erscheinen ließ, als es die grellen Neonlampen getan hätten. Auf dem Fensterbrett standen eine Kaffeekanne, kleine Mineralwasser- und Apfelsaftflaschen, Gläser und ein Flaschenöffner. Sid setzte sich an einen freien Platz neben Hiro und begann, seine Sachen auszupacken. Seine Bewegungen waren hastig und unruhig. Sid spürte, wie er wieder nervös wurde. Er sah sich hektisch im Raum um, seine Oberschenkel wippten pausenlos und er schwitzte leicht, obwohl die Temperatur angenehm kühl war. Hiro beobachtete ihn besorgt.
„Was ist los?", fragte er „Du bist doch sonst nicht so nervös"
„Das ist ja auch keine einfache Klausur. Ist dir klar, wie wichtig das Examen ist?", fragte Sid und sah Hiro an.
Die Worte sprudelten geradezu aus ihm raus. „Wir sind volljährig und müssen nach dem Examen einen Job suchen. Sobald wir einen haben müssen wir das Waisenhaus verlassen, dann sorgt niemand mehr um uns. Dann gibt es kein Auffangbecken mehr. Ich will das hier einfach nicht verhauen", sagte Sid.
„Klar ist mir das bewusst",antwortete Hiro missmutig „Aber wir werden doch eh Trainer, da braucht man keine guten Noten. Oder willst du plötzlich was Anderes machen?", fragte er Sid mit einem besorgten Unterton.
„Nee, erstmal nicht. Aber glaubst du wirklich, dass du dein Leben lang Trainer sein kannst?", fragte Sid „Wie du sicher weißt gibt es hunderte Trainer, die Wenigsten machen das aber ein Leben lang. Nach einigen Jahren ist das Publikum von dir meistens gelangweilt, es ist also nahezu unmöglich, für immer Trainer zu sein. Dabei wissen wir noch gar nicht, wie gut wir im Vergleich zur Konkurrenz dastehen"
„Du machst dir zu viele Sorgen", meinte Hiro selbstbewusst „Was Pokémonkämpfe angeht kann, außer dir, niemand mit mir auch nur ansatzweise mithalten. Und wann hat dich das letzte Mal denn jemand besiegt? Ich habe da heute noch meine Probleme, obwohlich dein Team in- und auswendig kenne."
„Und?", grummelte Sid "Hier will auch niemand außer uns Trainer werden. Genau genommen haben wir bisher noch nie mit einem stärkeren Gegner gekämpft. Du magst dir vielleicht sicher sein, es gibt aber keinerlei mögliche Messung, an der man erkennen kann, ob wir gut genug sind. Und ich will einen guten Abschluss, um einen gescheiten Job kriegen zu können, wenn ich einen brauche"
„Keinerlei mögliche Messung", murmelte Hiro „Du bist ein echter Schwarzseher, weißt du das? Du hast doch viel gelernt, außerdem hast du alle Aufgaben zur Vorbereitung mit Leichtigkeit lösen können. Sogar ich fühle mich sicher. Wovor hast du also Angst?"
Sid schwieg kurz und dachte nach.
„Ich weiß es nicht genau", sagte er dann. "Ich weiß ja selbst, dass ich gut vorbereitet bin. Deutlich besser als sonst sogar. Aber was, wenn die Prüfer behindert im Kopf sind? Was, wenn das Examen schwerer als die Examen der letzten Jahre ist und komplett neue Aufgabentypen drankommen, auf die ich mich nicht vorbereiten konnte?"
Sid schwieg.
„Ich denke, mein Hauptproblem ist einfach, dass mir das Examen so wichtig ist. Wenn von etwas viel abhängt, macht man sich doch automatisch mehr Sorgen, oder?"
"Du hast vielleicht Probleme", meinte Hiro lachend "Du hast am wenigsten Gründe, dir wegen dem Examen Sorgen zu machen. Konzentrier dich einfach auf die Arbeit und du wirst keine Probleme haben, das verspreche ich dir. Du packst das easy"
"Ich bin mir nicht sicher, ob das...", fing Sid an, wurde aber mitten im Satz von einem der Assistenten des Professors unterbrochen.
"Ruhe bitte, Ruhe bitte!", rief der Assistent unsicher. Die Klasse beruhigte sich. Sid spürte, wie sich sein Bauch leicht zusammenzog, als wäre ihm übel. Seine Knie wippten so schnell, dass es ihn wunderte, dass sie noch keinen Ton erzeugten. Der Assistent meinte, dass alle erst ihren Namen auf die Blätter schreiben sollten, dass auf dem Tisch nur das Mäppchen und die Aufgaben etwas verloren hatten, der ganze Standartkram eben. Sid hörte kaum zu, er war mit seinen eigenen Sorgen beschäftigt. Anschließend ging der Assistent durch die Reihen und verteilte die Aufgabenbögen. Als Sid seinen bekommen hatte, schrieb er als allererstes seinen Namen auf alle Blätter: Sid Penny.
"Was für ein kurzer Name", überlegte er. "Sogar Hiro Mainarch ist länger"
Ein bisschen neidisch war er auf Hiros Namen schon. Er klang einfach eindrucksvoller, wichtiger.
"Aber ein kurzer Name ist besser als gar keiner", dachte er schließlich.
Überhaupt ist sein Name alles, was ihm von seiner Familie geblieben ist. Nicht mal eine Erinnerung hatte er von ihr, nur den Namen. Da er aber nichts mit seinem Namen assoziierte, hatte er irgendwie trotzdem keine große Bedeutung für ihn.
„Ihr habt vier Stunden", kam es von vorne. „Fangt an"
Sid riss sich zusammen und überflog die Mathematikaufgaben, die sich auf den ersten zwei Bögen befanden. Fast jede Aufgabe hatte er in abgewandelter Form schon mal gelöst, selbst die, die ihm neu waren, schienen machbar. Beruhigt fing er an, sie zu bearbeiten. Fast mechanisch schrieb er die Aufgaben runter, löste sie ohne größere Probleme oder Zweifel. Er war völlig auf die Aufgaben konzentriert, seine Atmung hatte sich beruhigt, seine Knie wippten nicht mehr. Es war, als befände er sich in einer Seifenblase, in der nur er und die Aufgaben existierten. Ab und zu platzte sie wegen einem lauteren Geräusch, wenn zum Beispiel ein Stift auf den Boden fiel, oder einer der Schreibenden eine Frage stellte. In diesen Momenten sah Sid kurz erschrocken auf und bemerkte, dass er immer noch im Schulungszimmer saß und die Welt nicht nur aus ihm, dem Tisch, dem Stuhl und den Bögen bestand. Er brauchte dann immer einige Sekunden, um seine Gedanken zu sammeln und weiterzuschreiben. Nach einer Minute blies sich die Blase dann wieder auf und Sid war wieder voll auf die Aufgaben konzentriert. Als er alle Mathematikaufgaben gelöst hatte, sah er auf die Uhr. Er hat ungefähr eineinhalb Stunden gebraucht, er lag also gut in der Zeit. Sid nahm einen der nächsten Bögen in die Hand und sah ihn sich an. "Pokémonkunde und -technik" lautete die fettgedruckte Überschrift. Der Bogen bestand aus nur einer Aufgabe, was Sid sehr verwunderte. Er überflog sie und musste grinsen. Es handelte sich nämlich um eine Aufgabe, die aus vielen Fragen bestand.
„Typisch“, dachte er.
Da Sid das Fach aber gern hatte, beschloss er, diese Aufgabe als nächstes zu lösen. Er las sie sich durch:
„Erklären Sie, was man unter der "Vereinigung von Schleiede" versteht. Beantworten Sie dabei folgende Fragen: Wie war die Situation vor der Vereinigung? Wie kam es zur Vereinigung? Wer waren die Parteien der Vereinigung? Welche Rolle spielt die Aprikokofrucht? Was für eine (biologische) Beziehung bestand anschließend zwischen den Menschen und den Pokémon?"
Sid überlegte. Er war sich nicht sicher, wo er anfangen sollte. Nach einigem Nachdenken schrieb er:
„Ursprünglich lebten Menschen und Pokémon größtenteils unabhängig voneinander. Die meisten Pokémon ernährten sich, genau wie die Menschen, von einfacheren Tieren, Obst und Gemüse. Es kam zwar vereinzelt zu Zwischenfällen, die tödlich endeten, genauso kam es aber auch vereinzelt zu engeren Freundschaften zwischen Menschen und Pokémon. Das Leben der Menschen war aber eigentlich nicht durch Pokémon bestimmt und das der Pokémon nicht durch Menschen. Dann, ungefähr zehn Jahre vor der Vereinigung, wurde anscheinend eine mächtige Waffe entwickelt, welche seinerzeit "Machtschwert" genannt wurde. Nicht viele Menschen kannten aber das Geheimnis der Herstellung dieser Waffe und viele von denen, die es kannten, wurden machthungrig und begannen, ihre Umgebung zu erobern und die wehrlosen Menschengruppen zu versklaven. Die Menschen, die angegriffen wurden, hatten gegen die neuartige Waffe keine Chance und sahen sich gezwungen, die Pokémon zur Hilfe zu bitten. Einige Pokémon, in erster Linie diejenigen, die mit den angegriffenen Menschen Freundschaft geschlossen hatten, willigten ein und standen den unterlegenen Menschen im Kampf bei. Dies führte zu Verlusten auf Seiten der Pokémon und immer mehr Pokémon entschlossen sich, gegen die Menschen mit der mächtigen Waffe in den Kampf zu ziehen, was zu noch größeren Verlusten auf beiden Seiten geführt haben soll. Das Ende des Mordens wurde durch ein mächtiges Pokémon erzwungen, das scheinbar aus einer anderen Welt kam und von verschiedenen geschichtlichen Quellen unterschiedlich beschrieben wurde, weshalb man heute noch unsicher ist, um welches Pokémon es sich handelt. Es stellte die Menschen vor ein Ultimatum: Entweder zerstören die Menschen all ihre Waffen und versprechen, Pokémon nie wieder Schaden zuzufügen, oder es würde die Schuldigen in eine Welt voller Schmerz und Dunkelheit verbannen. Um Konflikte zu vermeiden, verbat es den Pokémon, Menschen anzugreifen. Es drohte, dass es jedes Pokémon, das einen Menschen angriff, in einen Stein sperren sollte. In einer Stadt namens Schleiede, die sich in der Region Sinnoh befindet, wurde der Vertrag besiegelt, daher „Vereinigung von Schleiede“. Beide Seiten willigten ein, die Menschen vernichteten mit Hilfe der Pokémon ihre Waffen. Unerwarteterweise sind sich die Menschen und die Pokémon durch die Zusammenarbeit näher gekommen. Allerdings hatten Menschen und Pokémon wenig gemeinsam und sprachen nicht dieselbe Sprache, was zu großen Kommunikationsschwierigkeiten führte. Dem mächtigen Pokémon war dies bewusst und es beschloss, dieses Problem zu beheben. Es veränderte die Früchte der Aprikokobäume, die auf der ganzen Welt weit verbreitet waren. Die Aprikokofrüchte erhielten neue Eigenschaften und stellten nun das Bindeglied zwischen den Menschen und den Pokémon dar (aus den Früchten werden heutzutage Pokébälle hergestellt). Wenn ein Mensch es zum Beispiel schafft, ein Pokémon zu fangen (ein Pokémon lässt sich nicht fangen, wenn es nicht gewillt ist, dem Menschen zu folgen), so ist er dazu in der Lage, das Pokémon zu verstehen und seine Gefühle zu erahnen, und umgekehrt. Er verpflichtet sich aber auch, das Pokémon zu schützen und vor Schaden zu bewahren. Was mit dem Pokémon geschieht, wenn sie die Frucht betreten, ist nicht genau bekannt, es wird aber vermutet, dass sie sich in Energie auflösen und in eine alternative Welt gelangen. In diesem Zustand ist es möglich, sie durch Energiezuführung zu regenerieren. Dank den Aprikokos als Bindeglied verbesserte sich die Beziehung zwischen Mensch und Pokémon mit der Zeit. Heutzutage ist ein Leben ohne Pokémon unvorstellbar, wir leben in Symbiose mit Ihnen (Pokémon sind unsere Freunde und erfüllen Aufgaben für uns, während wir sie füttern und heilen können)"
Sid las sich noch einmal durch, was er geschrieben hatte und korrigierte an einigen Stellen einige Kleinigkeiten. Er überlegte kurz, ob er eine Art Abschlusssatz schreiben sollte, entschied sich dann aber dagegen.
"Ich muss nur auf die Fragen antworten, keinen Roman schreiben", dachte er sich.
Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er noch etwas weniger als zwei Stunden Zeit hatte. Sid legte den Bogen, den er gerade bearbeitet hat beiseite und wandte sich den anderen Papierbögen zu.
Er war eine 15 Minuten vor Schluss fertig. Er rechnete noch einige Sachen nach und las sich einige Dinge durch. Da er keine Fehler finden konnte, sah er sich im Raum um. Sid fühlte sich, als würde er aus einem Traum erwachen. Die meisten Schüler schrieben noch eifrig, drei blickten gerade zur Uhr. Einer von ihnen lugte danach kurz in das Blatt seines Nachbarn, seufzte und schrieb weiter. Sid bemerkte eine Regung neben ihm. Es war Hiro, der seine verschwitzten Hände an seinem Hemd abwischte und Sid angrinste. Sid grinste zurück und sah nach vorne. Der Assistent, der den Schreibenden gegenüber saß, hatte seinen Ellenbogen auf den Tisch gestützt und sein Kinn in die Hand gelegt. Er sah Sid über die Kaffeekanne, die mittlerweile auf dem Tisch des Assistenten stand, hinweg an. Sid wandte den Blick ab, packte seine Sachen zusammen und verließ das Zimmer. Er spürte die Blicke in seinem Rücken, als er den Raum durchquerte und ihn durch die Tür verlies. Er machte die Tür leise hinter sich zu, schloss die Augen und seufzte. Sid musste bei dem Gedanken daran, die Klausur ganz gut geschrieben zu haben, erneut grinsen. Er sah den langen Gang hinunter, der wie ausgestorben war. Würde er keine diskutierenden Stimmen aus irgendwelchen benachbarten Räumen hören, hätte er denken können, dass er in einem leeren Krankenhaus gelandet sei, so klinisch weiss war alles. Sid war dieser Umstand aber herzlich egal, er lächelte noch immer. Gut gelaunt setzte er sich neben die Tür, um auf Hiro zu warten.
Achtung! In diesem Kapitel kommt eine leicht brutale Kampfszene vor, daher setze ich ein Mindestalter von 12 voraus.
Kapitel 2 ~ Durchatmen
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So take a deep breath,
Pick yourself up,
Dust yourself off,
Start all over again.
~ Frank Sinatra
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„Sag mal, wie lange willst du da noch sitzen bleiben?“, fragte Hiro gelangweilt.
Sid sah genervt von seinem Buch auf. Der Baum vor dem Fenster warf einen seltsam gefleckten Schatten an die kahle Wand. Die Poster, die zuvor die Wand schmückt hatten, waren von Hiro und Sid bereits entsorgt worden, weil ihr Auszug kurz bevor stand. Ohne die Poster wirkte ihr Zimmer ziemlich leer. Hiro stand aufrecht in der Tür, die Hände am Türrahmen angelehnt und sah vornübergebeugt hinein. Er bemerkte den Ventilator, den Sid aufgestellt hatte, um sich vor der drückenden Hitze zu schützen. Freudig lief er auf ihn zu und blieb direkt vor ihm stehen, um sich abzukühlen. Er legte den Kopf in den Nacken, streckte die Arme aus und schloss genüsslich die Augen.
„Was willst du?“, knurrte Sid, hob sein Bein und trat Hiro, damit dieser den Weg zum Ventilator wieder freigab.
Hiro taumelte nach vorne, fing sich aber schnell wieder.
„Ich will, dass du aufhörst, hier in der Hitze rumzusitzen“, erwiderte Hiro gereizt. „Komm lieber mit mir raus, ich will dir was zeigen“
Sid blickte wieder in sein Buch.
„Dir ist schon klar, dass es draußen heißer ist als hier?“ fragte Sid. „Außerdem bringt die Post heute die Ergebnisse und ich will sie so früh wie möglich haben“
„Meine Güte, die verdammte Post kommt doch sonst auch nie vor fünf, wieso also heute? Willst du wirklich den halben Tag verschwenden?“ fragte Hiro, während er sich demonstrativ vor den Ventilator stellte und die Arme vor der Brust verschränkte. „Komm doch mit zum Bach, dort ist es auch kühl. Außerdem will ich dir unbedingt was zeigen, ich habe geübt“
Sid sah ein zweites Mal von seinem Buch auf und blickte Hiro skeptisch in die Augen. Dieser erwiderte den Blick einige Sekunden lang ohne mit der Wimper zu zucken.
„Wehe, das lohnt sich nicht“, seufzte Sid und gab sich geschlagen; wie immer eigentlich. Wenn Hiro nur lange genug etwas verlangte, bekam er es normalerweise. Sid legte sein Buch beiseite und erhob sich aus dem Sitzsack. Gemeinsam verließen sie ihr Zimmer und gingen rüber zum Bad. Auf dem Flur begegneten ihnen zwei Jungen und ein Mädchen, die gemeinsam mit Autos spielten – sie waren also sehr beschäftigt und beachteten die zwei jungen Männer nicht. Im Bad nahmen sie sich ihre Badetücher vom Ständer und liefen die Treppe runter. Gerade als sie unten angekommen waren, rannte Lisa, das Mädchen, das mit den beiden Jungen gespielt hat, heulend an ihnen vorbei. Sie stolperte fast über Miuka, die erschrocken fauchte und bog in die Küche.
„Thereresaaa, die Jungs sind gemein zu miiiir!“, konnten Hiro und Sid Lisas heulende Stimme noch aus der Küche hören, bevor die Tür laut zugeknallt wurde.
Sie gingen durch den dunklen, stickigen Speisesaal. Alle Rollläden waren heruntergelassen und die Fenster geschlossen, um den Raum vor der schlimmsten Hitze zu bewahren. Die zwei verließen das Haus und durchquerten den schattigen Garten, in dem einige Kinder Fußball spielten. Diejenigen, die bereits Pokémon besitzen durften, ließen sie frei im Garten herumlaufen oder mitspielen. Nachdem sie das Gartentor passiert hatten, liefen sie um das Haus und den Garten herum, die von einer Hecke umgeben waren. Dort bogen sie auf einen sandigen Feldweg, der sie zum Bach führte.
Nachdem sie ungefähr zwei Minuten lang den Weg entlanggelaufen waren, fragte Sid gespannt: „Und, wie gut bist du mittlerweile? Bin schon eine ganze Weile nicht mehr mitgekommen“
„Wirst du gleich sehen“, sagte Hiro und grinste. „Ich bin recht zufrieden“
Bald erreichten sie den Bach. Er war ungefähr drei Meter breit und floss senkrecht zum Weg. Der Bach zog sich durch einen tiefen Graben, über den sich eine Stahlbrücke spannte. Sid und Hiro sahen sich um. Sie waren von Feldern umgeben, es war keine Menschenseele zu sehen. Die Luft waberte ein wenig, man konnte nur das melodische Zirpen einiger Zirpeise in der Ferne hören. Den Bauern war es für die Arbeit heute wohl zu heiß.
„Ich glaube, die Luft ist rein“, sagte Hiro aufgeregt und kletterte in den Graben, um allen neugierigen Blicken endgültig zu entkommen.
Sid nickte und folgte ihm. Unten angekommen zog Hiro seine Flipflops und sein T-Shirt aus, ließ die Sachen im Gras liegen und schmiss sein Handtuch daneben.
Sid tat es ihm gleich und bemerkte, dass einige der Grasbüschel, die sich nahe am Ufer befanden, versengt waren.
„Das war ein kleiner Unfall“, meinte Hiro beiläufig, als er merkte, das Sid das Gras betrachtete und watete ins Wasser.
Er blieb in der Mitte des Baches stehen.
„Hach, das tut gut!“, rief er. „Komm rein, das Wasser ist herrlich!“
Sid watete ebenfalls ins Wasser und blieb schräg hinter Hiro stehen. Er beobachtete ihn aufmerksam.
„Bist du bereit?“, fragte Hiro.
„Ja, mach schon“, sagte Sid ungeduldig.
Hiro setzte seinen rechten Fuß etwas nach vorne und verlagerte sein Gewicht darauf. Dadurch spannten sich die Shorts um den Pokéball, der in seiner rechten Hosentasche lag. Er legte seine Hand auf die Beule und atmete tief durch. Sid sah gespannt zu, wie Hiros Hosentasche leicht zu glühen anfing. Hiro streckte nun seine Arme nach vorne und winkelte die Handflächen so an, dass die Handflächen in die Mitte des Baches zeigten. Sid merkte, wie sich Hiros Körper anspannte. Keine Sekunde später schoss aus Hiros Händen explosionsartig ein greller Feuerstrahl hervor. Die Flammen trafen aufs Wasser, welches zischte, augenblicklich zu sieden anfing und verdampfte. Ein Teil des Strahls traf das Ufer und verbrannte das Gras, das sich nahe am Wasser befand. Sid stieß einen überraschten Schrei aus, weil er mit so einer Kraft nicht gerechnet hatte. Die Flammen waren breiter als der Bach und hatten eine helle, gelbe Farbe. So schnell wie das Feuer auftauchte, so schnell verschwand es auch wieder. Das Wasser im Bach hörte bald auf zu kochen, das Gras brannte aber weiter.
„Hilfe, das war ja deutlich mehr als beim letzten Mal“, rief Hiro überrascht und fing an, das Gras am Ufer zu löschen.
„Ich habe dir doch schon Mal gesagt, dass du nicht sofort mit voller Kraft losballern sollst!“, schrie Sid noch ganz verschreckt und spritzte ebenfalls Wasser in Richtung Ufer.
"Hab ich auch nicht!", entgegnete Hiro aufgebracht. "Hätte selbst nicht gedacht, dass so viel kommt"
Als das Gras gelöscht war, setzten sich die Beiden keuchend ans Ufer. Sid sah sich den fünf Meter langen Streifen an, der aus verkohltem Gras bestand.
"Du musst lernen, den Strahl zu fokussieren", sagte Sid, noch immer aufgebracht.
"Kann ich nicht", entgegnete Hiro genervt. "Gluraks Fähigkeit ist nun mal Großbrand und nicht Laserstrahl oder so, was soll ich machen? Ich habs schon oft versucht, fokussieren ist nicht möglich"
"Dann musst du lernen, deine Kraft zu kontrollieren", erwiderte Sid.
"Ich dachte, ich hätte sie unter Kontrolle, die letzten Male hat alles nahezu reibungslos funktioniert", schmollte Hiro. "Das ist alles deine Schuld, verdammter Vorführeffekt"
"Du musst das unter Kontrolle kriegen", sagte Sid. "Sonst bist du nichts Anderes als eine laufende Zeitbombe. Und eine blonde noch dazu"
Hiro nickte.
"Ich sehe, du hast deinen Sinn für Humor wieder gefunden", sagte Hiro schmunzelnd, wurde aber wieder ernst, als sein Blick auf das verkohlte Gras fiel. "Aber du hast natürlich Recht, sowas kann echt ziemlich gefährlich werden"
"Sag bloß", antwortete Sid missmutig. "Das erste Mal, als du deine Fähigkeiten entdeckt hast und sie mir unbedingt zeigen wolltest, hast du meine Bettdecke abgefackelt. Oder hast du schon vergessen, was für einen Ärger das gab?"
Hiros Gesichtsausdruck wurde steif und ihm lief ein Schauer über den Rücken. Theresas ungeschlagenes Talent war es, den Kindern "beizubringen", was sie auf keinen Fall tun sollten. Erst Recht, wenn sie es bereits fälschlicherweise getan hatten.
"Du kannst froh sein, dass ich noch ein Feuerzeug auftreiben und mir eine Ausrede einfallen lassen konnte " sagte Sid vorwurfsvoll. "Sonst wärst du jetzt wohl im Institut"
Hiro nickte schnell, er fühlte sich ganz offensichtlich nicht sehr wohl in seiner Haut.
„Weißt du eigentlich, wo der Sitz des Instituts ist?“, fragte er, um das Thema zu wechseln.
Sid seufzte und dachte nach. Er wusste, dass das Institut ursprünglich Teil der Fakultät „allgemeine Wissenschaften“ der Universität von Sertal City gewesen ist. Es hatte sich aber vor ungefähr zwanzig Jahren selbstständig gemacht und war mittlerweile die einflussreichste Einrichtung für Forschung aller Art. Im Bereich der Pokémon war die PokéLabs Corporation zwar die führende Organisation, in allen anderen Bereichen konnte aber niemand mit dem IES - „Institute of Extended Science“ - mithalten. Das Institut erforschte allerlei physikalische, chemische und auch mystische Phänomene, wobei es sich vor Allem für Menschen mit besonderen Fähigkeiten interessierte. Man erzählte sich, dass das Institut solche Menschen stets zu sich holte, um sie zu untersuchen. Anscheinend kamen die Leute auf freiwilliger Basis. Was die Organisation aber unheimlich machte, war dass die betroffenen Versuchsobjekte nicht mehr aufzutauchen schienen. Was mit ihnen geschah, wusste niemand. Die Regierung hatte deshalb schon mehrfach Untersuchungen eingeleitet, aber nie etwas Belastendes gefunden. Aus diesem Grund hatte sich das Institut in der Bevölkerung insgesamt einen eher zweifelhaften Ruf erworben.
„Hallo, Erde an Sid“, sagte Hiro ungeduldig. „Du solltest dir echt abgewöhnen, so tief in deine Gedanken zu versinken. Wo ist denn nun der Sitz des Instituts?“
„Jaja“, erwiderte Sid genervt. „Sertal City, nehme ich an? Vielleicht sind die auch umgezogen, keine Ahnung. Ich weiß nicht so viel über die“
„Hmm“, murmelte Hiro.
Sie saßen schweigend zusammen und starrten auf den vorbeiplätschernden Bach. Nach einer Weile stand Hiro auf und begann, durch das Wasser zu waten und seinen muskulösen Oberkörper mit Wasser zu bespritzen. Sid seufzte, legte sich ins Gras und betrachtete die wenigen Wolken, die vorbeizogen. Erst, als er von Hiro geweckt wurde, merkte Sid, dass er eingeschlafen war.
„Steh auf, wir sollten los“, sagte dieser und zog seine Flipflops an.
Sie kletterten die Böschung wieder hoch. Die Sonne stand bereits tief, die Hitze hatte stark nachgelassen. Die Wolken und der Himmel hatten einen rosanen Stich angenommen und Luft war schon fast wieder angenehm.
„Wie lange habe ich geschlafen?“, fragte Sid.
„Keine Ahnung, ne Stunde vielleicht“, antwortete Hiro gähnend. „Bin selbst eingepennt“
Sid stöhnte.
„Die Post war sicher schon da“, sagte er und beschleunigte sein Tempo.
„Ja, jetzt warte doch“, rief Hiro und gab sich Mühe, mit Sid mitzuhalten.
Eilig liefen sie denselben Weg, den sie gekommen waren, wieder zurück. Als sie den Garten erreichten, war dieser fast leer, nur wenige Kinder saßen in einem Kreis im Gras und plauderten. Hiro und Sid betraten das Haus, wo sie bereits von Theresa erwartet wurden. Sie stand in der Eingangshalle und wedelte mit zwei großen, grünen Umschlägen herum.
„Da seid ihr ja, da seid ihr ja!“, rief sie aufgeregt. „Die Ergebnisse sind angekommen! Los, macht auf, macht auf!“
Die Kinder, die sich in der Nähe befanden, sahen sich verwundert um. Es kam nicht oft vor, dass Theresa so sehr aus dem Häuschen war. Sie verschwendete ihre Energie normalerweise nicht dafür, auf der Stelle rumzuhüpfen. Das Leiten eines Waisenhauses fraß die nötige Kraft dafür.
Sie lief auf Hiro und Sid zu und drückte ihnen die Umschläge in die Hand. Als die Kinder merkten, dass es um etwas Wichtiges ging, kamen sie neugierig näher und scharten sich um sie. Jetzt, wo Sid seinen Umschlag in der Hand hielt, wollte er ihn irgendwie gar nicht mehr so recht aufmachen. Sein Herz pochte stark und sein Gesicht wurde heiß. Er stand einfach nur da und starrte den Umschlag an.
„Sieh mal einer an, ich habe 76 Prozent richtig!“, rief Hiro erstaunt, seine Aufgabenbögen hielt er bereits in den Händen.
„Ich sagte doch, dass du eine ordentliche Note kriegst, wenn du dich nur etwas anstrengst“, rief Theresa freudig und schloss Hiro in eine feste Umarmung.
„Wenn ich 76 habe, hast du sicher 100. Jetzt mach endlich auf, du warst doch so ungeduldig!“, sagte Hiro mit unterdrückter Stimme, um die Aufmerksamkeit auf Sid zu lenken und nicht von Theresa zerquetscht zu werden.
Sids Herz drohte zu explodieren, als er die Bögen endlich aus dem Umschlag zog. Eilig blätterte er zum letzten Blatt, in der Hoffnung, dass sich dort seine Bewertung befand. Als er sie nicht finden konnte, blätterte er wieder zum Anfang, wo er sie schließlich fand.
„94 Prozent“, las er ungläubig vor.
Er sah noch einmal genauer hin, um sicherzugehen, sich nicht verlesen zu haben. Aber er hatte richtig gelesen, da stand „94%“. Rot auf weiß.
Sid hatte gerade genug Zeit, seine Hände und die Bögen in Sicherheit zu bringen, bevor eine kreischende Theresa anfing, ihn zu erdrücken. Er konnte hören, wie Hiro erleichtert nach Luft schnappte, während seine eigene Luft aus den Lungen gepresst wurde.
„Ich bin so stolz auf euch“, sagte Theresa mit brüchiger Stimme.
Sid konnte spüren, dass sie weinte, ihr Körper bebte, wenn auch kaum spürbar. Es wunderte ihn wieder einmal, wie viel Liebe und Energie sie jedem einzelnen Waisenkind entgegenbringen konnte. Sid legte seine Arme um ihre Hüfte und drückte sie. Einige Sekunden standen sie so da. Sid musste daran denken, dass sie nicht mehr lange für Hiro und ihn da sein konnte.
Als Sid anfing, Sterne zu sehen, löste er seinen Griff und Theresa ließ ebenfalls von ihm ab. Sid atmete tief durch und lächelte. Langsam wurde ihm klar, dass er das Examen mit einer ausgezeichneten Note bestanden hatte. Ihm wurde klar, dass Hiro die ganze Zeit über Recht gehabt hat und Sid sich wirklich unnötig Sorgen gemacht hatte. Ihm ging durch den Kopf, wie seltsam es doch war, dass Menschen, die einem nahe stehen, die eigene Leistung nahezu immer besser einschätzen konnten als man selbst.
Nun drängelten sich auch die anderen Waisenkinder nach vorne, um Hiro und Sid zu gratulieren. Die Älteren wollten unbedingt Sids Examen haben, um sich eine Kopie machen zu können. Sid wurden die Blätter aus der Hand gerissen, während er und Hiro von einer Meute Kinder schier umgerannt wurden.
„Werdet ihr jetzt Trainer?“, fragte ein zwölfjähriger Junge aufgeregt.
Die Kinder sahen die zwei mit großen Augen an, als wären sie Helden. Hiro stemmte seine Hände ins Becken und stellte sich aufrecht hin.
„Wir werden nicht nur Trainer, wir werden die Champions von Telop!“, rief er gespielt eingebildet aus.
Die Kinder lachten aufgeregt.
„Aber es kann doch nur einen Champion geben!“, rief jemand von hinten. Klugscheißer.
Hiro strich sich mit der Hand übers Kinn und tat, als würde er Nachdenken.
„Hmmm…. Na, dann wird der eben mein Ersatzchampion. Er kann dann für mich einspringen, wenn ich gerade die Welt rette“, sagte Hiro schelmisch.
„Wie bitte?“, erwiderte Sid lachend. Er zeigte mit dem Daumen auf sich. „ICH werde Champion und DU darfst, wenn du ganz lieb fragst, vielleicht meine Pokébälle polieren“
Die jüngeren Waisen johlten vor Freude, die etwas Älteren, also die, die bereits ganze 15 Jahre alt waren, verdrehten die Augen oder seufzten genervt, sie waren natürlich zu cool für solche Scherze.
„Achja?“, rief Hiro aus. „Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass du mich besiegen kannst?“
„Wer weiß“, antworte Sid grinsend.
Er wusste zwar, dass Hiro ihm überlegen war, aber sie zogen die Show sowieso nur für die Kinder ab und ein Übungskampf konnte nicht schaden. Die Kinder waren begeistert. Die Meisten hatten noch keine Pokémon und die Aussicht darauf, einen Kampf von zwei zukünftigen Trainern mitzuerleben, schien immer besser.
„Kampf! Kampf! Kampf!“, schrien sie im Chor.
„Na, was ist?“, fragte Hiro. „Traust du dich, gegen den zukünftigen Champ zu verlieren?“
Sid seufzte.
„Brot und Spiele für das Volk, was?“, sagte er mit einem Blick auf die tobenden Kinder, die immer noch „Kampf! Kampf!“ schrien. „Ach, wieso eigentlich nicht. War schon lange nicht mehr im Käfig, es wird mal wieder Zeit“
„Dann sorge ich mal für das Brot“, fügte Theresa hinzu, die sich wieder gefasst und das Spektakel lächelnd beobachtet hatte. „Wenn ihr zurückkommt, wird das Abendessen fertig sein. Passt auf euch auf“
Hiro wandte sich an die Kinder: „Wir holen kurz unsere Pokémon. Lauft ihr schon mal vor und räumt den Platz. Im Käfig darf niemand mehr sein, wenn wir kommen“
Die Meute lief freudig plappernd nach draußen, die Älteren schlenderten betont lässig hinterher. Die meisten Mädchen gingen lieber im Garten spielen, brutale Kämpfe fanden sie nicht besonders toll.
Hiro und Sid gingen die Treppen in den Keller runter.
„Du solltest Schauspieler werden“, meinte Sid zu Hiro. „Die Rolle des eingebildeten Schwachkopfs spielst du echt gut“
„Ist alles jahrelange Übung“, antwortete Hiro lachend.
Vor den Schließfächern blieben sie stehen.
Hiro sagte: „Ich werde mein Glurak natürlich nicht benutzen, das wäre zu gefährlich“
Sid nickte zustimmend.
„Dann werde ich aber leichtes Spiel haben. Ich denke, ich lasse mein Quajutsu auch weg, der Fairness halber“, meinte Sid nachdenklich.
„Dann also zwei Pokémon“, folgerte Hiro und Sid nickte zustimmend.
Jeder von ihnen nahm jeweils zwei Pokébälle aus dem Schrank. Anschließend gingen sie die Treppe wieder hinauf und nach draußen. Nachdem sie das Gartentor passiert hatten, liefen sie die Hauptstraße entlang und bogen schließlich in eine Seitenstraße ab. Dieser folgten sie dann, bis sie den Käfig erreichten. Beim Käfig handelte es sich um einen kleinen betonierten Sportplatz, der von einem hohen Metallzaun umgeben war, sodass er wirklich ein wenig wie ein Käfig aussah. Die Waisen hatten sich bereits dort versammelt und warteten sehnsüchtig auf die Beiden. Hiro und Sid betraten den Käfig und verscheuchten die restlichen Kinder nach draußen, da es zu gefährlich war, sich während eines Kampfes in der Nähe der Pokémon zu befinden. Pokémonkämpfe ohne Schutzausrüstung waren ja eigentlich auch illegal. Genauso ist es aber auch illegal, über rote Ampeln zu gehen; man kennt das Risiko und nimmt es in Kauf, wenn man Lust dazu hat. Als Hiro und Sid sich alleine im Käfig befanden, gingen sie zu den anderen Waisen am Eingang, um ebenfalls in sicherer Entfernung vom Kampf zu sein. Die Waisen, die sich entlang des Zaunes versammelten, redeten aufgeregt miteinander, einige feuerten die zwei an. Hiro und Sid wählten einen ihrer Bälle und schlossen die Tore. Dann begann der Kampf.
„Los Cesar, zeigs ihm!“, rief Hiro,als er auf den Knopf seines Pokéballs drückte, auf dem ein großes „C“eingeritzt war, wonach sich Cesar, sein Nidorino, materialisierte.
„Auf geht’s, Gershwin!“, sagte Sid und schickte sein Ledian in den Kampf.
Hiro ergriff die Initiative.
„Gifthieb!“, befahl er kurz angebunden und Cesar preschte augenblicklich vorwärts, viel schneller, als man es von dem Wesen mit der lilanen Haut und Zacken erwarten würde.
Aus den Klauen und den Drüsen an Cesars Horn drang neonpinkes, stechend riechendes Gift, welches das flinke Ledian lähmen würde, sollte Cesar es verwunden. Sid hatte aber mit einem solchen Angriff gerechnetund reagierte dementsprechend schnell.
„Gershwin, Kehrtwende!“, rief er und das Ledian gehorchte sofort.
Blitzschnell flog es einen Bogen, wodurch es Cesars Horn haarscharf auswich und ihn hart in der Seite treffen konnte. Der Schlag brachte das Nidorino zum Taumeln und es blieb stehen. Ledian befand sich nun genau hinter dem Nidorino und damit an der perfekten Stelle, um es mit seiner stärksten Attacke zu treffen.
„Los, Käfergebrumm!“, befahl Sid atemlos.
Die Frequenz, in der Gershwins durchsichtige Flügel vibrierten, stieg rasant an. Sobald die Frequenz einen bestimmten Wert erreicht, ist ein Ledian dazu in der Lage, eine mächtigeSchallwelle abzufeuern.
Aber Hiro sah einen solchen Angriffkommen und rief nahezu gleichzeitig mit Sid: „Schnell, Doppelkick!“
Augenblicklich bäumte sich das Nidorino auf, verlagerte sein Gewicht auf die Vorderpfoten, und trat mit seinen Hinterbeinen nach hinten. Es traf das Ledian im selben Augenblick genau am Kopf, in dem Gershwin die Welle abschoss. Gershwin schlug, nachdem er erst einige Meter durch die Luft wirbelte, gegen die hintere Wand des Käfigs, während Cesar, den die Schallwelle im Unterleib getroffen hatte, unsanft auf den Rücken geworfen wurde.
Cesar richtete sich schwer atmend auf, scharrte wütend mit den Füssen und knurrte. Auch Gershwin kämpfte sich wieder hoch und schwebte angestrengt in die Luft zurück. Eine grüngraue Flüssigkeit tropfte von seinen Füßen und Sid konnte einen Riss im Chitinpanzer erkennen. Das Ledian zischte und ballte angriffslustig seine kleinen Fäuste.
Sid erkannte, dass Gershwin Hiros Cesar im Nahkampf deutlich unterlegen war. Er musste also versuchen, ihn aus der Ferne anzugreifen, um außerhalb von Cesars Attacken zu bleiben.
„Gershwin! Fliege in die Höhe, damit dich Cesar nicht mehr treffen kann. Greife ihn dann mit Psystrahl an!“, befahl Sid.
Das Ledian gewann schnell an Höhe, bis es für das Nidorino unerreichbar war. Es streckte seine Fühler, Arme und Beine aus und zeigte mit ihnen auf Cesar. Rosafarbene Ringe bildeten sich vor Ledian und schossen schnell auf Cesar zu.
„Weich aus!“, rief Hiro und das Nidorino gehorchte eilig.
Knapp entging es den anfliegende nRingen psychischer Energie. Hiro wusste, dass Cesar nicht ewig ausweichen konnte. Er brauchte einen Plan, um das Ledian aus dem Himmel wieder herunterzuholen. In wenigen Sekunden hatte er sich eine Strategie überlegt.
„Schnell, Superschall“, rief er Cesar zu, welches gerade einem der Ringe auswich.
Eilig zielte es mit seiner Schnauze auf Gershwin und öffnete sein Maul. Weder die Kinder, noch Hiro oder Sid konnten etwas hören, es war aber offensichtlich, dass Cesar getroffen hatte. Die Ringe, die Gershwin aussandte, flogen nicht mehr gerade, sondern wackelten und flogen in krummen Bögen und Elipsen, oder verschwanden einfach. Gershwin gab einen verärgerten Laut von sich und hielt sich den Kopf, taumelte in der Luft und wurde schließlich unglücklich von einem seiner eigenen Ringe getroffen. Es schrie erschrocken auf und fiel auf den harten Betonbogen. Aber Hiro gab ihm keine Zeit, sich wieder aufzurichten.
„Mach es mit einem Gifthieb fertig“, befahl er Cesar.
Das Nidorino schloss sein Maul, preschte erneut vorwärts und rammte das Ledian mit seinem Horn. Sid konnte das Knacken des Chitinpanzers hören und Gershwin kreischte schmerzerfüllt. Es wurde erneut quer über das Feld gestoßen und blieb schließlich liegen. Die Kinder grölten vor Aufregung.
„Okay, das reicht“, sagte Sid und rief sein Ledian zurück. „Du hast gut gekämpft“, murmelte er.
Sid nahm seinen zweiten Pokéball in die Hand.
Mit den Worten „Los, Dimetro“, schickte er sein zweites Pokémon, ein Elezard, in den Kampf.
Dimetro landete auf dem Boden,streckte den Kopf nach vorne, spannte seine Hautlappen auf und fauchte laut. Sein gelber Schwanz zuckte aufgebracht.
„Mach kurzen Prozess mit ihm“, befahl Sid. „Los, Ladungsstoß!“
„Weiche aus, dann Gifthieb!“, rief Hiro, aber diesmal war Cesar nicht schnell genug. Die Hautlappen an Dimetros Kopf blitzen; und kurz darauf stob ein kräftiger Strahl gebündelter Funken hervor und traf Cesar in der Seite, während es auszuweichen versuchte. Es wurdezurückgefegt, überschlug sich und landete mit einem lauten Knall an der Käfigwand. Der ganze Käfig schepperte und die Waisen riefen „Aufstehen, Aufstehen!“ wild durcheinander. Es schnaufte erbost und versuchte, sich wieder aufzurichten.
„Schnell, Eisenschweif!“, sagte Sid ruhig. Dimetros Schwanz verhärtete sich und schimmerte metallisch. Es sprang hoch in die Luft, drehte sich um die eigene Achse, ließ seinen Schwanz im richtigen Augenblick nach vorne schnellen und traf Cesar hart. Der Aufschlag drückte Cesar mit enormer Gewalt gegen die Wand und entlockte ihm ein leises Stöhnen. Hiro bemerkte, dass eine von Cesars Zacken abgebrochen war, dunkelrotes Blut trat aus der Wunde.
„Verdammt…“, murmelte Hiro und rief sein Nidorino zurück. „Du hast klasse gekämpft“
„Los, Hiro! Los, Hiro!“, feuerten ihn die Waisen hinter dem Zaun an.
„Gib alles, Krouh“, sagte Hiro schließlich und sein Pangoro materialisierte sich aus dem Ball.
Aufrecht stand der große, schwarz-weiß gefleckte Kämpfer im Käfig, verschränkte die Arme und kaute an einem Bambussprössling.
„Volle Kraft voraus“, sagte Hiro siegessicher. „Setze Kraftkoloss ein“
Die Luft um Krouh fing an zuflimmern, sein Fell glühte rötlich. Es grölte, streckte seine Arme zur Seite und begann, nach vorne zu laufen. Das Elezard, das plötzlich in eine Eckegedrängt war, fauchte.
„Ladungsstoß, so stark, wie du kannst“, befahl Sid und Dimetros Hautlappen spannten sich erneut.
Der Funkenstrahl traf Krouh mittenin der Brust, was es aber nicht einmal zu bemerken schien. Ungehindert stand esnun vor dem Elezard und schlug ihm die rechte Pranke von unten in den Bauch. Man konnte hören, wie Dimetro nach Luft schnappte, als es von den Füßen gefegtund einige Meter in die Luft geschleudert wurde. Kurz darauf schlug er wie einnasser Sack auf dem Boden auf und blieb liegen. Der Kampf war vorbei.
Sid und Hiro riefen ihre Pokémon zurück, während die Kinder Hiro bejubelten.
„Tja, sieht so aus, als würdest du doch nur meine Aushilfe werden“, sagte Hiro schelmisch und Sid grinste.
„Nun, damit kann ich leben“, antwortete er. „Lasst uns zurückgehen, Theresa hat sicher etwas Leckeres gekocht und wartet schon auf uns“
Die Waisen liefen gemeinsam durch die ruhige Stadt. Die letzten Reste des Sonnenlichtes ließen die Straßenschilder und Fensterscheiben in orange-rosanem Licht glühen. Die Kinder plapperten aufgeregt über den Kampf und löcherten Hiro mit Fragen. In Sid kam ein Gefühl der Trauer auf. Obwohl, traurig war er nicht. Er war zwar gut gelaunt und noch voller Adrenalin, aber da war dieses bedrückende Gefühl. Nein, Trauer traf es nicht…. Sid erkannte, dass es sich um das bittersüße Gefühl der Melancholie handelte. Sid sah lächelnd auf die Gruppe, die vor ihm sorglos über den Bürgersteig schritt. Er wusste, dass er die meisten Kinder, obwohl sie ihm ans Herz gewachsen waren, nach dem Ausziehen nicht mehr oft sehen würde, wenn überhaupt. Hiro und er würden sie zwar ab und zu besuchen, aber auch die kleinen Kinder würden irgendwann erwachsen werden und ausziehen.
Als Waise befand man sich in einer seltsamen Situation: man hatte zwar keine leibliche Familie mehr, aber da waren all die Menschen im Heim, die mit der Zeit zu einer Art Familie zusammenwuchsen. Doch jedes Jahr, wenn wieder Einige das Heim verließen, ging auch wieder ein Teil dieser Großfamilie verloren. Als Kind war Sid immer traurig, wenn jemand ging, jetzt wurde ihm aber klar, wie viel härter es war, derjenige zu sein, der geht. Dieses Gefühl der Sorglosigkeit, das stets in einer Umgebung herrschte, in der viele Kinder waren, würde er so höchstwahrscheinlich nie wieder spüren. Andererseits fühlte er sich wie ein Insasse, der nach vielen Jahren Haft endlich aus dem Gefängnis freigelassen werden soll. Denn sowas wie Individualität gibt es im Waisenhaus praktisch nicht, da für alle die selben Regeln gelten. Ausnehmen werden nur in den seltensten Fällen gemacht, denn wenn ein Kind etwas darf, dann sollten es alle Kinder dürfen. Und dem Waisenhaus fehlten einfach die Mittel, die Wünsche von jedem Kind umzusetzen.
Sie schritten im Dämmerlicht durch die Straßen und näherten sich schnell dem Waisenhaus. Sid wünschte sich, dass Hiro und er noch einige Tage, Wochen, oder Jahre bleiben könnten. Aber das konnten sie nicht. Ihre Ziele hatten nichts mehr mit dem Waisenhaus, nicht einmal mit Origio, zu tun. Sie lagen in weiter Ferne, weit weg von Theresa und den anderen Waisen.
In der Zeit, in der Sid tief in seinen Gedanken versunken war, hatte die Gruppe das Waisenhaus erreicht und sie schritten durch das Gartentor in den Garten. Aus dem Haus konnte er die laute Stimme von Theresa hören, die gerade wohl den Tisch deckte.
Sid beschloss, die letzten Augenblicke im Waisenhaus zu genießen und sie festzuhalten, wenn Hiro und er es verließen. Denn der Auszug und damit auch das unbekannte Leben standen kurz bevor.
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