In diesem Thema habt ihr eine bestimmte Anzahl an Punkten zur Verfügung, die ihr den Texten im Tab "Abgaben" geben könnt. Dabei ist zu beachten, dass ihr nahezu frei wählen könnt, wie ihr die Punkte verteilt und welche Texte mehr Punkte als andere bekommen. Achtet jedoch darauf, dass ihr die Punkte, die euch zur Verfügung stehen, komplett ausschöpft. Votes, welche zu wenige oder zu viele Punkte enthalten, können leider nicht gezählt werden. Des Weiteren solltet ihr eure Punkte mindestens auf drei Texte verteilen, eure Wahl begründen und natürlich nicht für eure eigenen Texte voten.
Es ist außerdem hilfreich, euch das "How to vote-Topic" anzusehen. Schreibt ihr in dieser Saison besonders viele Votes, habt ihr die Chance auf Medaillen. Weitere Informationen findet ihr hier: Informationen und Regeln zu den Wettbewerben.
Wer neben den Votes noch weitere Kritik für sein Werk erhalten möchte, aber kein eigenes Thema erstellen möchte, der kann dies gerne in unserem Feedback-Thema für fertige Texte tun!
Zitat von AufgabenstellungSchon in einigen Artikeln zum Thema wird man diese Aussage und den Aufruf zum Ablegen der Ernsthaftigkeit gelesen haben. Nun ist es passend zum 1. April in diesem Wettbewerb eure Aufgabe, für die Gesundheit eurer Leser zu sorgen, indem ihr entweder jene in einer kurzen Erzählung wahlweise selbst zum Lachen bringt oder frei das Thema in eure Abgabe integriert, z.B. um zum Nachdenken über die obige Aussage anzuregen. Dabei ist es egal, ob ihr Pokémon einbaut oder nicht, solange das Lachen eine zentrale Rolle in eurem Text spielt.
Ihr könnt 6 Punkte verteilen, maximal 3 an eine Abgabe
ZitatAlles anzeigenID: [DEINE USERID]
AX: X
AX: X
Beispiel:
ID: 27258
A16: 3
A1: 5
A3: 1
A7: 1
A9: 2
Wenn ihr nicht wissen solltet, wie ihr eure ID herausfindet, könnt ihr dies unter anderem hier nachlesen.
Der Vote läuft bis Sonntag, den 26.04.2015, um 23:59 Uhr.
[tab=Abgaben]
Man konnte es versuchen, aber man entkam dem Regen nicht. Schwere, graue Schleier rauschten auf die Erde hernieder. Es war nicht kalt, eher feuchtwarm, ein typischer, verregneter Tag an Oregons Küste.
Tim stand am Fenster des Korridors seiner High School und sah hinaus auf den hinter grauen Nebelschwaden verborgenen Campus. Im Fenster spiegelten sich sein ernstes Gesicht, sein Sweatshirt und die kurzen, schwarzen Haare. Er mochte den Regen nicht. Die Welt war dunkler, ohne Sonne, ohne Licht. Und das mitten im Mai. Natürlich würde es wieder nach Sommerregen riechen, sobald die Wassermassen anhielten, aber bis dahin konnte es noch lange dauern. Kleine, grüne In-Ear-Kopfhörer steckten in seinen Ohren. Er hörte gerne in der Mittagspause Musik. Gitarrenklänge und eine melancholische Sängerin verstärkten seine gedrückte Stimmung.
Mit einer abrupten Bewegung kehrte er dem Fenster den Rücken zu und lehnte sich gegen die Wand. Nun hatte er den Korridor vor sich. Tim sah einige seiner Mitschüler, die sich ebenfalls auf dem Gang aufhielten und sich in kleinen Grüppchen unterhielten. Dunkelgrüne Schränke mit Schließfächern waren an den Wänden aufgebaut. An einigen von ihnen hatte jemand Plakate oder kleine Zettel aufgehängt, die zur nächsten Schulparty oder zu einem Wettbewerb aufriefen. Er trat näher an eines der Plakate heran. Der Sommerstart-Ball sollte in einigen Tagen stattfinden, und Tim hatte noch immer kein Date. Er wusste nicht, wen er fragen sollte.
„Tim! Da bist du ja!“
Er seufzte ergeben und nahm die Kopfhörer aus den Ohren. Die Stimme kannte er. Es war Lana. Lana ging in dieselben Kurse wie er, seit sie im selben Jahr auf diese Schule gekommen waren. Das Mädchen hatte immer ziemlich zerzaustes, strohblondes Haar, Sommersprossen im Gesicht und war recht klein. Außerdem verfolgte sie die immerwährende Aufgabe, jeden zum Lachen zu bringen, der den Fehler machte, sich länger als drei Nanosekunden lang mit ihr abzugeben.
Tim hatte diesen Fehler begangen. Gleich am ersten Tag an der Wellington High. Doch trotz aller Fehler, die das Mädchen haben mochte, war sie intelligent, ja sogar hübsch – daran änderten auch ihre ziemlich großen Frontzähne nichts. Dennoch tat Tim gerne so, als wäre er ihrer Gesellschaft überdrüssig. Es war eine Art Dauergag, sie beide wussten, dass sie einander vertrauen konnten. Eigentlich war es ein Glück, dass er eine so gute Freundin gefunden hatte, denn er war kein Künstler, was das Knüpfen neuer Kontakte anging.
Er drehte sich um und sah, dass Lana in einem kleinen Büchlein blätterte, welches etwa die Größe einer Hand hatte.
„Hey, Lana. Wie geht’s dir?“, fragte er betont lässig und blieb stehen. Der Unterricht würde gleich beginnen, darum hatten sie nicht viel Zeit.
„Gut, natürlich. Pass auf: Wie hört ein Fisch seine Musik?“ Sie wandte den Blick von ihrem Buch ab und blickte Tim mit dem für sie typischen Nildeltalächeln an. In seiner Magengrube setzten sich große Teilchenmengen in Bewegung. Dasselbe Gefühl wie immer, wenn sie ihm ihr Lächeln schenkte. Merkwürdig. Er wurde doch nicht etwa krank?
Unwahrscheinlich. Ein Verdacht keimte in ihm auf.
„Fische hören keine-“
„Auf dem HaiPod!“ Lana warf den Kopf in den Nacken und lachte wiehernd. Tim musste nun auch lachen, aber nicht wegen ihres unglaublich schlechten Wortspiels, sondern weil ihr eigenes Lachen ziemlich albern klang.
Wieso lache ich über ihr Lachen?, fragte Tim sich. Lachen ist per Definition die natürliche Reaktion eines gesunden Menschen auf eine erheiternde Situation. Wieso er Lanas Lachen so witzig fand, konnte er sich trotzdem nicht erklären. Dennoch musste er zugeben, dass ihn Lana von seinen düsteren Gedanken abgelenkt hatte. Darin war sie wirklich talentiert.
„Der war gut, oder?“ Sie war sichtlich stolz auf sich. Tim nickte und fügte sich in sein schweres Schicksal.
„Ja. War er. Wollen wir los? Wir haben gleich Chemie, und du weißt wie ungehalten Mrs. Maple werden kann.“
„Sehr gern.“ Sie setzte sich in Bewegung und lief neben Tim her. Die beiden erreichten den Chemieraum pünktlich zum Läuten der Schulglocke. Äußerlich gelassen setzte sich Tim in die letzte Reihe, direkt neben Lana. Währen Mrs. Maple mit dem Unterricht begann, versuchte er, nicht aus dem Fenster zu sehen, sonst würde er sich wieder schlechter fühlen, und das wollte er nicht.
„Ich habe letztens ein Buch über Antischwerkraft gelesen“, zischte Lana auf einmal von der Seite. Tim sah sie erstaunt an. Um sie herum war es recht ruhig, die anderen Schüler und Schülerinnen achteten nur auf die Lehrerin und schrieben sich einige Dinge von der Tafel ab, während Mrs. Maple monologisierte. Das tat sie gern.
„Das hätte ich dir nicht zugetraut. War es gut?“
„Auf jeden Fall. Ich konnte es nicht ablegen.“
„Seit wann...oh.“ Tim schnitt eine Grimasse. Antischwerkraft – nicht ablegen – sein Verstand hatte einen Moment zu lang gebraucht, um die Verbindung herzustellen.
„Haha! Dein Gesicht!“, kicherte Lana. Der Witz war ihr gründlich gelungen.
„Ja. Sehr witzig.“
„Wie langsam du warst!“
„Ich denke eben eher praktisch.“
„Oh ja, der allzeit ernste Tim. Die Leier kenne ich schon. Weißt du, Wortspiele halten den Verstand fit! Versuch es auch mal.“
„Kann ich nicht. Wir müssen uns konzentrieren“, flüsterte er eindringlich. Er war gern mit Lana zusammen, aber sie lenkte ihn im Unterricht ziemlich oft ab, und den Lehrern gefiel das nicht. Da Tim nicht wollte, dass sie auf die Idee kommen, ihn und Lana auseinander zu setzen, achtete er darauf, dass seine Freundin nicht über die Stränge schlägt.
„Hab ich dir von meiner Freundin erzählt? Sie hat eine Coladose gegen den Kopf bekommen.“ Tim suchte nach einer Falle, fand aber keine. War das diesmal sogar eine wahre Begebenheit?
„Nein, davon hast du noch nichts gesagt“, sagte er leise und mit betroffenem Gesicht. Eine Coladose tut ganz schön weh, dachte er.
„Sie hatte Glück, dass es ein Softdrink war.“ Lana hatte ihn erneut ausgetrickst. Mit einem leisen Lächeln schüttelte Tim den Kopf und widmete sich seinen Notizen. Für einige Minuten hielt Lana die Klappe. Es dauerte aber nicht lange, und sie konnte sich nicht mehr zurückhalten. Sie musste ihre Witze zum Besten geben, irgendein innerer Drang trieb sie.
„Ich habe mich in der letzten Nacht gefragt, wo die Sonne abgeblieben ist“, flüsterte sie. Tim gab es auf. Er wusste nicht, welches Spiel man mit den Worten anstellen musste, damit ein Witz daraus wurde. Diese Art der Witze war Lanas Spezialität.
„Und weiter?“, fragte er gespannt.
„Aber irgendwann dämmerte es mir“, grinste sie. Tim setzte gerade zu einer Erwiderung an, da wurde ihm das Wort abgeschnitten. An dieser Stelle verließ die beiden das Glück. Mrs Maple, eine dunkelhäutige Mittvierzigerin, hat genug von ihrem Geflüster. Sie stemmt die Hände in die Hüften und baut sich drohend vor ihnen auf.
„Tim und Lana, wenn ihr meinem Unterricht sowieso nicht folgen wollt, dann stört auch die anderen nicht. Unterhaltet euch draußen weiter.“
„Wir wollten nicht-“, begann Tim, doch die Lehrerin wollte nichts davon hören.
„Ihr werdet zehn Minuten auf dem Korridor bleiben. Geht“, befahl sie. Tim erhob sich und merkte, wie ihm die Schamesröte ins Gesicht stieg. Es war nicht schön, so erwischt zu werden. Lana und er gingen zwischen den Tischen ihrer Klassenkameraden hindurch. Einige kicherten verhalten.
Draußen, nachdem die Tür hinter ihnen zugefallen war, funkelte Tim Lana an.
„Die trennen uns bald noch, wenn du so weiter machst“, prophezeite er, „und diese Gaby Jameson hat sich vor Schadenfreude kaum eingekriegt. Hast du das gesehen? Wieso bietest du immer so ein gutes Ziel für die?“
Lana sagte eine Weile lang nichts. Sie stand auf der anderen Seite des Flurs und lehnte an einem der Schließfächer.
„Was wäre das Leben ohne Spaß?“, fragte sie dann, anstatt zu antworten. Tim sah sich erneut überrascht.
„Darum geht es doch nicht“, entgegnete er. Lana schüttelte wild den Kopf, sodass ihr Wuschelkopf noch zerzauster aussah.
„Doch, genau darum geht es. Man muss Spaß haben und lachen können, sonst ist alles nur grau und schwarz.“ Wie durch Zufall fällt Tims Blick aus dem Fenster hinter Lana, wo der Regen fällt.
„Ja, aber doch nicht im Unterricht“, widerspricht Tim und sieht ihr ins Gesicht. Lana streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht und zeigt erneut ihr mutwilliges Grinsen.
„Ich hatte mal eine Heidenangst vor Hürden, weißt du das?“
„Spuck's aus“, seufzte Tim nur.
„Irgendwann bin ich darüber hinweg gekommen.“ In genau diesem Moment nach Lanas Antwort kippt in seinem Kopf ein Schalter um. Tim muss tatsächlich auflachen. Er hat nur so auf eine solche Antwort gewartet, aber die Art, in der Lana ihn unschuldig anlächelt, gibt dem Witz erst die restliche Würze.
Und noch etwas Anderes passiert. Lana hat die trüben Gedanken restlos vertrieben, so wie die Sonne nach einem Regenschauer die Wolken vertreibt. An diesem Tag erkannte Tim, dass Lana seine Sonne im Regen war.
„Lana, gehen wir zusammen zum Sommerfest?“
„Ist das ein Date?“, grinste sie.
„Sieht so aus.“
„Dann sage ich natürlich ja“, erwiderte sie glücklich. Wieso ihm diese einfachste aller Fragen vorher so schwer gefallen war, konnte Tim im Nachhinein nicht mehr sagen.
Lachen ist gesund. Diesen Satz habe ich in meinem Leben schon so oft gehört. Und niemals kam er mir so wahr vor.
„Forscher fanden heraus, dass Personen, die im Schnitt mehr Zeit ihres Lebens mit Lachen verbringen, seltener an Krankheiten leiden und sogar eine geringere Unfallrate besitzen“, las ich in dem bunt aufgeregten Klatschblatt mit zum Schreien seriöser Quellenangabe, das jetzt wieder neben mir auf dem kleinen Tisch an meinem Krankenhausbett liegt. Ein kleines, graues Schränkchen, bei dem die Tür nur noch ein einem Scharnier hängt. Auch dieses Möbelstück hat schon einmal bessere Tage gesehen. Genau wie ich.
Ich kann nicht mehr lachen, ich werde nicht mehr gesund. Ich habe mir immer gedacht, dass ich einer dieser Menschen wäre, die es am Ende noch einmal wissen wollen, die noch einmal alles geben, noch einmal ihre Zeit bis zum Äußersten nutzen. Ich dachte, ich sei einer der Menschen, die bei einer schlimmen Nachricht nicht ihr Lachen verlieren würden.
Offenbar lag ich damit ein wenig falsch. Seitdem ich weiß, dass mich ein Krebsgeschwür nur noch eine kurze Zeit am Leben sein lassen wird, bleibt mir mein Lachen im Halse stecken. Nichts macht mehr Spaß, nichts amüsiert mich mehr.
Draußen scheint heute sehr schönes Wetter zu sein. Die Sonne scheint hell durch mein Fenster und ich kann keine einzige Wolke entdecken. Der Himmel ist strahlend blau.
Ich habe vieles vorher gehört und gesagt bekommen. Ich würde weniger Appetit haben und mich schwach fühlen. Wenn es schlimmer wird, werde ich vielleicht sogar gar nicht mehr richtig essen können. Mein Körper ist baufällig, das war mir direkt klar. Wen überrascht es schließlich, dass er nicht mehr richtig funktioniert, wenn sich eine Krankheit weiter und weiter ausbreitet?
Aber warum erwähnt niemand das Lachen?
Nimmt ein verlorenes Lachen für andere Menschen keine Bedeutung ein?
Verliert kein anderer Mensch sein Lachen?
Ich habe mein Lachen verloren.
Und damit kann ich nicht leben.
Kein Appetit? Das macht nichts. Ich habe keinen Appetit, also will ich auch nichts essen, ich vermisse es nicht. Nicht mehr laufen? Das ist nicht schlimm. Ich habe zu wenig Energie, mich zu bewegen, ich vermisse es nicht. Nicht mehr Lachen?
Was macht das schon.
Dann lache ich eben nicht mehr.
Wie sehr wird man so etwas Banales schon vermissen?
Immer sagt man, dass man den Wert der Dinge erst dann zu schätzen weiß, wenn man sie nicht mehr hat. Auch ich würde das so bestätigen. Eigentlich nahm dieses Thema in meinem Leben nie eine bemerkbare Rolle ein, und doch spielte es offenbar ganz heimlich die größte. Eigentlich war meine Situation geradezu perfekt. Ich war immer gut in der Schule, ohne mich so sehr anstrengen zu müssen. Es lief quasi immer wie von selbst und ich hatte jederzeit sehr nette Freunde um mich herum, die mit mir die Schulzeit zu einer sehr spaßigen Lebensphase gemacht haben. Danach bin ich studieren gegangen, das sogar ziemlich erfolgreich. Auch hier habe ich nie die Freude an meiner Tätigkeit verloren und bin sehr gerne auch außerhalb der Universität vielerlei Aktivitäten nachgegangen, meistens mit meinen liebsten Kumpanen. Und nach meinem Abschluss gelang ich sehr bald an meinen Traumjob in einem wunderbaren Arbeitsklima, umgeben von lieben Kollegen. Es lief also alles immer grandios, auch wenn ich natürlich von Zeit zu Zeit auch ein paar persönliche Probleme hatte, aber wer hat diese nun einmal nicht. Und dann kam die Diagnose.
Für mich muss lachen genau wie atmen gewesen sein. Man denkt niemals daran, es passiert ganz automatisch und fühlt sich fantastisch an, wenn man es in ganz besonderen Momenten bewusst tut. Und wenn es auf einmal nicht mehr geht, rauscht das Leben an einem vorbei und endet.
Es ist einfach zu Ende.
Das, was ich Leben nenne, ist vorbei
Seit dem Tag
An dem ich
Mein Lachen verlor
Ich laufe mit dem Kangama zusammen durch den Nouvaria-Wald. Eigentlich hatte ich keine Lust, es mitzunehmen, aber es ließ sich nicht abwimmeln. Wenigstens gestattet es mir, meine Items in seinem Beutel aufbewahren, sodass ich selbst keinen mit mir herumschleppen muss.
„Leise“, flüstere ich ihm zu und halte an. „Da vorne ist ein Dartiri. Das fange ich mir.“
Ich greife in meine Hosentasche, ziehe den Pokéball, der mein erstes Pokémon enthält, hervor, vergrößere ihn mit einem Knopfdruck, werfe ihn mit aller Kraft durch die Luft und schreie laut, wodurch ich meine vorherige Bitte an das Kangama eigentlich ad absurdum führe: „Los, Froxy! Du bist dran!“
Das Pokémon materialisiert sich und macht sich ebenso wie das Dartiri zum Kampf bereit.
„Weißt du“, sagt das Kangama, „aufgrund meiner persönlichen Beobachtungen drängt sich mir zunehmend der Eindruck auf, dass ein Pokémon nur dann aus seinem Ball kommen kann, wenn man eine ach so coole Pose einnimmt, den Ball dann so fest man kann wirft und mit epischer Aussprache laut den Namen des Pokémon ruft, denn warum sonst sollte jeder Trainer eben das tun, obwohl es total dämlich aussieht?“
Ich ignoriere es. Das ist nicht das erste Mal, dass es solche Sprüche loslässt. Stattdessen befehle ich Froxy einen Blubber. Es führt die Attacke gehorsam aus, trifft gut und das Dartiri geht zu Boden. Ich befehle die Attacke noch einmal und das Dartiri ist K.O.
„Reich mir doch mal einen Pokéball“, bitte ich das Kangama, welches in seinen Beutel greift und anfängt darin zu kramen. Es holt meine ganzen Items hervor, mein Itemradar, fünf Tränke, fünf Gegengifte, mein Holo-Log, mein Fahrrad, fünf weitere Tränke, fünf Para-Heiler, drei Fluchtseile, ein X-Angriff, vier Proteinpackungen, eine Handvoll Sonderbonbons, doch keinen der 20 Pokébälle, die ich gekauft habe und auch keinen der beiden Premierbälle, die es gratis dazu gab. Als es endlich doch einen hervorzieht, ist das Dartiri abgehauen.
„Das ist schon das fünfte Mal heute!“, blaffe ich das Kangama wütend an.
„Pech für dich“, sagt es. „Aber die ganzen Pokémon werden es mir danken, dass sie in Freiheit weiterleben können.“
„Du machst das mit Absicht?“, frage ich entgeistert.
„Das habe ich nicht gesagt. Ich animiere dich lediglich dazu, das Positive an der Sache zu sehen.“
„Wir Trainer wollen doch nur Freundschaft mit den Pokémon schließen.“
„Das geht natürlich am besten, indem ihr sie bewusstlos prügelt und dann einfangt. Ja, so sollte eine Freundschaft ihren Anfang nehmen, du hast Recht.“
Ich seufze. „Was schlägst du stattdessen vor?“
„Ich rate dir dazu, abzuwarten, bis sie sich dir aus freien Stücken anschließen beziehungsweise eine Freundschaft aufbauen wollen. Dann musst du sie nicht einmal in einen winzigen Ball zwängen, sie würden ja auch so mit dir kommen.“
„OK“, sage ich und will weitergehen, nun auf der Suche nach irgendwelchen Pokémon, die mit einem völlig Fremden auf eine Reise gehen wollen.
„Halt!“ ruft das Kangama. „Dann musst du auch Froxy freilassen.“
„Spinnst du?“, frage ich ärgerlich. „Dann hätte ich ja überhaupt kein Pokémon.“
„Wenn es dein Freund ist, wird es doch bei dir bleiben, oder etwa nicht?“, fragt das Kangama scheinheilig.
„Natürlich“, sage ich etwas unsicher. „Pass auf, ich zeigs dir.“
Ich drücke die Freigabetaste des Pokéballs. Mit zwei Sprüngen ist Froxy im Gebüsch verschwunden und ich stehe da wie ein Idiot.
„Quod erat demostrandum“, sagt das Kangama lächelnd.
„Was für ein kleiner, dreckiger, illoyaler Mistkerl“, presse ich zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.
„Nein, eben nicht“, erwidert das Kangama. „Du warst das Arschloch, das ihn gegen seinen Willen festgehalten hat. Überhaupt, warum willst du Trainer werden? Was motiviert dich dazu?“
„Na, ich will Trainer werden, weil… Äh, weil…“
„Weil das alle so machen?“
„Nein!“, rufe ich laut und verärgert.
„Jemand, der so laut ein ‚Nein‘ herausschreit, meint eigentlich ‚Ja‘“, gibt das Kangama altklug zurück.
„Was schlägst du als Alternative vor?“, frage ich resignierend.
„Ich schlage vor, dass du mir bei meinem Plan hilfst, das Fangen von Pokémon ein für alle Mal abzuschaffen und damit den Grundstein für eine neue und wahrhaftige Art der Freundschaft zwischen Menschen und Pokémon zu legen. Damit wird eine neue Ära voller Wohlstand und Frieden für alle anbrechen, die…“
„OK, bin dabei“, unterbreche ich es. Mir ist gerade sowieso alles egal.
„Eigentlich sollte diese Rede noch eine halbe Stunde lang weitergehen, aber so ist es auch gut“, antwortet das Kangama etwas säuerlich.
„Wo und wann fangen wir an?“, frage ich.
„Hier und jetzt. Als Erstes musst du alle deine Items wegschmeißen, die eine Unterdrückung der Pokémon nach sich ziehen könnten.“
„Die hast du alle. Also musst du das machen.“
Das Kangama zieht meine Pokébälle aus seinem Beutel hervor, schmeißt sie auf den Boden und macht sie unbrauchbar, indem es ein paar Mal auf ihnen herumhüpft.
„Ferner musst du deinen Trainerpass wegwerfen.“
„Damit können wir gratis in allen Pokémon-Centern übernachten, essen und medizinische Versorgung bekommen“, gebe ich zu bedenken.
„Darfst ihn behalten“, willigt das Kangama ein.
„Schön“, sage ich. „Wie geht es jetzt weiter?“
„In der nächsten Stadt versuchen wir, Leute für unsere Sache zu gewinnen.“
Wir laufen also durch den Nouvaria-Wald und über Route 3 nach Nouvaria.
Kaum haben wir die Stadt betreten, tritt eine Gruppe Halbstarker auf uns zu und fordert mich zu einem Pokémon-Kampf heraus. Kaum hören das ein paar Umstehende, hat sich auch schon eine große Menschentraube um uns gebildet, die unbedingt zugucken will.
„Habe kein Pokémon“, sage ich knapp.
„Und was ist das da?“, fragt mich der Anführer der Halbstarken.
„Das? Das ist ein Kangama“, sage ich.
„Das sehe ich!“ Er denkt sicher, ich will ihn für dumm verkaufen. „Dann hast du doch eins!“
„Naja“, sage ich zaghaft. „Es ist weniger mein Pokémon als vielmehr ein Freund von meiner Familie.“
„Also gehört es deinen Eltern?“, bohrt der Typ weiter, doch ehe ich etwas erwidern kann, verpasst das Kangama dem Jungen eine kräftige Kopfnuss.
„Aua!“, ruft der Halbstarke. „Spinnt dein Vieh?“
„Es ist nicht meins, es…“
Doch er lässt mich nicht ausreden. „Das kriegst du zurück!“, knurrt er und zieht einen Pokéball hervor. Im nächsten Moment steht ein riesiges Despotar vor mir. Sand fliegt mir in die Augen und ich kann nichts mehr sehen. Als ich sie mir frei gerieben habe, sehe ich, wie das Despotar auf Anweisung von seinem Trainer einen Fußkick auf das Kangama einsetzen will, dieses hüpft jedoch lässig über den niedrigen Tritt hinweg, bringt in der Aufwärtsbewegung einen Steigerungshieb von links und nutzt dann die Abwärtsbewegung, um mit der rechten Pranke direkt einen Ableithieb nachzulegen. Das Despotar kippt um und landet mit einem lauten Krachen auf der Erde. Das Kangama macht einen Satz auf den Jungen zu, reißt ihm seinen Pokéball aus der Hand und zerdrückt ihn in seiner Pranke. Dann gibt es dem Jungen noch eine Kopfnuss, diesmal stark genug, dass er umfällt und nicht mehr aufsteht.
Die Menge um uns ist kurz still, dann begreifen sie, was gerade passiert ist. Überall werden Pokébälle hervorgezogen und nur wenige Augenblicke später sehen wir uns einer Armee aus sehr vielen schwächeren Pokémon gegenüber, die jedoch von ein paar äußerst großen Exemplaren angeführt werden.
„Kannst du die auch mal eben umhauen?“, frage ich das Kangama.
„Wird schwierig“, antwortet es. „Gerade das Brutalanda da vorne sieht sehr bedrohlich aus.“
„Ein bisschen Sorgen machen mir auch das Dragoran, das Trikephalo, das Rihornior, das Metagross die zwei Caesurios und vor allem das Wailord“, füge ich hinzu. „Was machen wir jetzt? Kannst du vielleicht die Mega-Entwicklung?“, frage ich hoffnungsvoll.
„Sehe ich so aus?“, entgegnet das Kangama entgeistert. „Ich habe nicht einmal ein Junges in meinem Beutel. Was soll denn da raushüpfen, um mit mir zusammen zu kämpfen? Dein Fahrrad vielleicht?“
„Ist ja gut“, sage ich. „Trotzdem würde ich gerne lebend hier raus kommen.“
„Keine Sorge“, erwidert das Kangama, „Ich habe einen Plan.“
„Und wie sieht der aus?“, frage ich, werde jedoch kurz nachdem ich das gesagt habe, durch das Kangama von den Füßen gerissen. Es nimmt mich in einen Würgegriff, sodass ich kaum noch Luft bekomme.
„Keine Bewegung!“, ruft es laut. „Sonst breche ich ihm das Genick!“
„Guter Plan, vor allem so schmerzfrei“, denke ich, während ich mühsam nach Luft ringe. Sobald ich genug zusammen habe, röchele ich: „Tut, was es sagt. Es ist komplett verrückt!“
Die Menge erstarrt.
„Du gehörst doch zu ihm!“ ruft einer, doch es klingt unsicher.
„Nein!“, stoße ich hervor. „Es hat mich schon gestern als Geisel genommen. Bitte, ich will doch nur weiterleben und…“ Mir fällt nichts ein, was ich sagen könnte, doch die Menge scheint es als Luftmangel zu interpretieren.
„Ich will doch nur meinen Traum, Pokémon-Liga-Champion zu werden, verwirklichen!“, ergänze ich nach ein paar Sekunden.
Dafür hat natürlich jeder Verständnis, abgesehen von dem Kangama, welches mirauch eine Kopfnuss verpasst. Die Menge teilt sich angsterfüllt. Das Kangama hüpft mit mir im Arm los. „Zählt alle bis hundert!“, ruft es noch und während wir die Menge laut Zahlen skandieren hören, verschwinden wir aus der Stadt.
„Du kannst mich jetzt runterlassen. Oder zumindest deinen Griff etwas lockern“, krächze ich.
Eichenholz. Aha. Mein Blick tastete jeden Zentimeter der sorgfältig polierten Tischplatte ab, ehe er auf die geschlossene, fliederfarbene Mappe mit meinen Akten stieß. Dann distazierte er sich davon und fiel auf den übergroßen, bequemen Chefsessel auf der anderen Seite des Tisches und löste ein Gefühl des Abscheus und Unruhe in mir aus, ehe er an der Schreibtischlampe vorbei zu den unzähligen Büchern und Auszeichnugen huschte, die sich in dem verglasten Wandschrank zu meiner Rechten anordneten.
Der Ventilator über mir schrabbte durch die stickige Luft des ohnehin schon muffigen Polizeibüros, welches mit diesen klassischen Polizeivorhängen abgedunkelt war um das böse, böse Sommersonnenlicht auszusperren, das den meist übergewichtigen, Polizisten möglicherweise die Netzhaut verbrennen könnte. Ich seufzte frustriert und rutschte auf meinem inzwischen schon nassgeschwitztem Hintern hin und her, der mittlerweile schon drei Stunden auf diesem verdammten Plastikklappstuhl trohnte und sich beunruhigend taub anfühlte. Da änderte die Tatsache, dass ich eine verdammt kurze Jeanshotpant trug auch nicht besonders viel. Mein gelb-orange gestreiftes, tief ausgeschnittenes Tanktop war inzwischen ebenfalls durchnässt und ich hatte das verdammt unangenehme Gefühl bei einem Casting für nen´Polizistenporno zu warten, wofür mein Outfit, mein himmlisches Aussehen und nicht zu vergessen die schweren, ebenfalls schweißnassen und inzwischen unangenehm nach Münzgeld riechenden Handschellen sprachen, die meine Hände direkt vor meinen Augen fesselten. Wie lästig. Ich würde jetzt viel lieber im Schwimmbad lungern oder mich mit Freunden betrinken gehen.
Und obwohl mein Make-up sich wohl längst verflüssigt hat, konnte mein langes, honigblondes Haar meinen Gemütszustand um einiges erhellen, da es immernoch glänzte und sein mühevoll gestyltes Erscheinungsbild beibehielt. Aber wem mache ich da was vor? Mir ging es grässlich- und das nur, weil ich heute Morgen zufällig bei einem Banküberfall anwesend war. Um genau zu sein: Ich bin zur Tatzeit eisessend an der Bank vorbeispaziert. Und NUR weil ich schon vorher in Bandenkriegen, Drogendeals und gewissen Messerstechereien involviert war, hat man mich bei der Gelegenheit gleich mitgenommen, mir Handschellen angelegt und mich auf diesen verfluchten Plastikstuhl in diesem vermaledeitem Polizeibüro gesetzt, um mich zu verhören. Ah! Endlich erbarmt sich jemand meiner! Das Schlüsselloch der Tür knirscht und ich verrenke mich um zu erspähen, wer dieses unglaublich schlecht eingerichtete Zimmer betreten will. Doch als mein Blick auf den Cop fällt, schäme ich mich zuerst ein wenig für mein Outfit, denn dieser Kerl ist so was wie´n Jensen Ackles in Polizeiuniform! Ich schnappe nach Luft und versuche mich verzweifelt zu beruhigen, was mir schließlich doch recht schnell gelingt. "Jensen" hat mich bisher noch nicht bemerkt, da er sich gerade mit einem seiner Kevin James- Kollegen unterhält und dabei ein Lachen ertönen lässt, welches mir heißkalte Schauer über den Rücken jagt. Doch ich habe mich inzwischen unter Kontrolle und beginne meine- in den letzten drei Stunden sorgfältig überlegten- Antworten in meinem Kopf zu resümieren, wobei ich die Augen jedoch fest zur Meditation zusammenkneife. Das Knarzen des Bürostuhls auf der anderen Seite des wuchtigen Holzschreibtischs verrät mir, dass sich der Cop gesetzt hat und nun in meinen Akten schmökert, wobei man diese auch leicht mit nem Witzebuch für Schwerverbrecher verwechseln konnte. Ich hole tief Luft und öffne meine Augen. "Ich bin unschuldig.", überrascht blickt er mich an, wobei er eine Augenbraue hochzieht. "Wie meinen? Wie wär´s, wenn wir bei der Begrüßung anfangen? Ich bin Officer Miller.", ich spüre, wie meine Gesichtstemperatur von 35 auf 50 Grad steigt und huste ein "Natürlich.", hervor, ehe ich mich als die Becky Aiden vorstelle, die ich nun mal bin. "Also Miss...Aiden.", wie ich sehe sind sie dreundzwanzig Jahre alt, ledig und dreifach vorbestraft wegen Brandstiftung, Drogenhandels und...", er stockt kurz, "Todschlags.", auf einmal fühle ich mich wieder selbstbewusst. Gefährlich. "Ja, das stimmt.", ich gestatte mir ein wölfisches Grinsen und merke befriedigt, wie sich sein Griff um meine Dokumente verkrampft und seine Knöchel weiß hervortreten. "Nun denn..", er räuspert sich. Habe ich ihn etwa jetzt schon aus der Reserve gelockt ist er vielleicht noch ein blutiger Anfänger? "...es stehen Vorwürfe gegen sie im Raum, dass sie die Bankfiliale in der Kingstreet überfallen haben. Liege ich mit dieser Aussage richtig?", will er mir etwa Worte in den Mund legen? "Ihre Weigthwatcherskumpels haben mich jedenfalls mit dem Argument in ihre Schrottkarren gezerrt, dass ich die Bank überfallen hätte. Also stimmt es, dass Vorwürfe vorhanden sind.", yeah, so weicht man solchen Fallen aus. Und Miller ist sichtlich beeindruckt von meiner Wortgewandtheit, wobei man ihm anmerkt, dass ihm das Schrottkarre wehgetan hat, da es sich bei den Polizeiwagen allesamt um teure Audilimousinen handelt. Wahrscheinlich hat er das einem so billig aussehendem Mädchen nicht zugetraut. "Nun denn, haben sie die Bank denn überfallen oder als Komplizin bei dem Raub fungiert? So behaupten es zumindest die Täter.", ich lege den Kopf schief und betrachte ihn eingehend, sein Kinn, seine Augen, sein Haar. Er wird sichtlich nervös und versucht meine Handlung nachzuvollziehen, schafft es aber nicht. "Stimmt irgendwas nicht?", "Wissen sie eigentlich Einhörner sind?", er ist sichtlich überrumpelt: "Äh, ja...natürlich", ich grinse. "Gut. Darf ich ihnen eine Frage stellen?" er ist nun endgültig aus dem Konzept gebracht. "Nun, ähm, eigentlich stelle ich die...", "Würden sie die rote oder die blaue Pille nehmen?", langsam versucht er die Fassung wiederzugewinnen. "Miss Aiden, ich glabe nicht, dass das...", ich nicke verstädnisvoll, als hätte er eine fragebezogene Antwort gegeben. "Das sehe ich auch so. Und wenn sie von mir erfahren würden, wo die Leiche ist, würden sie es Tony sagen?", "Welche Leiche?! Wer ist denn Tony? Miss, ich glaube sie nehmen dieses Verhör nicht ernst genug!", er begann seine Verwirrung mit Wut zu überspielen.", dabei nahm ich das Verhör so Ernst, wie es sich gehörte, da mir weder ein Anwalt noch die Möglichkeit zur Vorbereitung zur Verfügung gestellt wurde. "Was war eigentlich ihr erstes Starterpokémon?", ich wusste, dass ich ihn eigentlich nur noch reizte und beschloss aufzuhören. "Miss Aiden... Ich verstehe ihren plötzlichen Sinneswechsel ni...", "Wenn sie mich drei Stunden auf sie Warten lassen und mir dann nicht einmal meinen Anwalt zur Verfügung stellen, frage ich mich, inwiefern ich ihr Verhör ernstnehmen soll, sie Trottel!", er erbleichte, "Ganz recht, sogar ich kenne mich ein wenig mit der Justiz aus, besonders mit der Lynchjustiz, und sie haben von mir erwartet auf einen Anwalt zu verzichten, nur weil sie gut aussehen?", ich legte den Kopf in den Nacken und begann zu lachen.
Also ob ich ihn mit meiner Schönheit nicht um Längen übertreffen würde! Immerhin hat er keine Hotpants an.
Ich wusste nicht genau, was mich hierher gebracht hatte, pflegte ich sonst doch solche Orte zu meiden. Eigentlich war es sogar so, dass ich mich kaum noch entsinnen konnte, wann ich diesen Raum zuletzt betreten hatte. Irgendwann in Kindertagen musste es gewesen sein, als ich mich Schulaufgaben zu widmen hatte oder wenn ich hoffte, meinen Bruder hier zu finden. Doch heute war ich nicht seinetwegen hier. Vielmehr hoffte ich, hier Ruhe zu finden, mir eine Pause zu gönnen. Das tat ich sowieso viel zu selten, was wohl daran liegen könnte, das ich mich meist als unbezwingbar darstellte. Ich - der mächtige Thor - brauchte doch keine Pause. Pausen waren für die Schwachen. Tja, man konnte sich eben auch selbst eine Grube graben.
Deshalb war ich wohl hergekommen. Denn außer meinem Bruder besuchte kaum einer meiner Freunde die Bibliothek. Zumindest hatte ich das bis zu diesem Moment geglaubt. Dass ich mich irrte, wurde mir unschön bewusst, als auf einmal ein Klopfen den Raum durchzog. Zuerst wusste ich nicht, womit ich es zuordnen sollte, bis ich begriff, dass jemand vor der Tür stand, der nicht Loki sein konnte. Loki wäre einfach eingetreten.
„Thor?“, riss mich eine mir wohl bekannte Stimme aus den Gedanken, bevor ich deutlich hörte, wie die Tür geschlossen wurde. Unbeholfen stand ich vor einem Bücherregal, nicht wissend, ob ich ein Buch aus diesem nehmen sollte, um wenigstens so zu tun, als wäre ich nicht hergekommen, um mich zu verstecken. Doch so unbeholfen wie ich gerade aussah, mitten im Gang stehend, die Beine seltsam verwinkelt, so als ob ich mich selbst nicht entscheiden könnte, ob ich stehen oder gehen wollte, und mit diesem leicht peinlich berührten Ausdruck in den Augen, würde sie mir das mit dem Buch wohl kaum abkaufen. Denn natürlich war es niemand anders als Sif, die mich finden musste. Fandral oder Volstagg hätte ich meine Lüge sicher verkaufen können. Doch Sif nicht,...dafür log ich zu schlecht.
Schließlich spürte ich förmlich, dass Sif nur noch wenige Meter von mir entfernt war, wartend darauf, dass sie mich fragen würde, was ich hier zu suchen hatte.
„Eigentlich trifft es sich gut...“, murmelte sie jedoch zu meiner Überraschung. War sie gar nicht sauer, nicht überrascht? Ich dachte, sie hätte mich gesucht? Konnte ich irren? „Ich wollte...ich müsste etwas mit dir besprechen, Thor“. Langsam kam sie einen Schritt auf mich zu, mit einem Blick in den Augen, den ich nicht zu deuten wusste. Ich wusste nicht genau, wieso, doch irgendwie war es mir unangenehm und so wich ich einen Schritt zurück. Sie folgte, also tat ich noch einen Schritt. Ich wollte etwas sagen, doch wusste nicht was. Die Situation war...seltsam. „Ähm...was genau hast du vor?“ Ich klang erbärmlich. Ich sollte mich wieder fangen, doch irgendwie...irgendwie fühlte sich diese Situation so falsch an, so surreal, weil es einfach nicht zu Sif passte, zumindest hatte ich das geglaubt. „Sag, Thor...ist es dir nie aufgefallen?“, fing sie plötzlich an, sich immer noch nähernd. Ich wollte ansetzen zu antworten, als ich plötzlich die kalte Wand hinter mir spürte. Noch nie hatte ich mich ausgelieferter gefühlt. „Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst“, antwortete ich schließlich. Sie schüttelte leicht den Kopf, blickte kurz zu Boden, eher als wollte sie sich selbst widersprechen als mir. „Natürlich nicht...“, murmelte sie, bevor sie mir wieder in die Augen sah. Auf einmal war da dieser Schmerz in ihren Augen, der mich fortzuziehen versuchte. Tief hinab in ihre Seele, wo ich nicht mehr zu entkommen vermochte. „Ist dir nie aufgefallen, wie ich dir nachgesehen habe? Jeden Abend, wenn du dir eine von diesen...von diesen Frauen ins Zimmer geholt hast? Wenn du dich mit irgendsoeiner dahergelaufenen Mätresse vergnügt hast? Thor...sag mir...ist es dir wirklich entgangen?!“ Ihre Stimme hatte etwas Verzweifeltes, Trauriges, Bebendes, so, als müsste ich befürchten, sie gleich weinend vor mir zu sehen. Hilflos blickte ich sie an, verstand nicht, was sie meinte. Worauf wollte sie hinaus? Ich...ich fühlte mich schlecht, da es ihr wohl wichtig schien, dass ich verstand. Ich wollte etwas sagen, doch kein Wort verließ meine Lippen und so blieb mir nichts anderes übrig, als den Kopf zu schütteln, ganz leicht nur, während ich merkte, wie sich starke Verzweiflung in ihren Augen ansammelte. Erneut wich mir ihr Blick aus, erneut hörte ich sie leise etwas murmeln. Ich kannte sie nicht so... so...verletzlich. Sonst war sie immer die starke Frau, die Kriegerin, die nichts und niemand zu Fall bringen konnte. Doch jetzt, vor mir, da fiel sie. Hätte ich es vorhersehen können? War sie vielleicht doch nicht so unbezwingbar, wie es schien? Plötzlich wandte sie sich mir zu, Tränen in den Augen, sodass es sich in mir zusammenzog. „Thor, du Holzkopf, ich liebe dich…doch...dir ist das wohl nie aufgefallen.“ Ich zuckte, erneut unfähig, etwas zu sagen, unfähig zu reagieren. Plötzlich lächelte sie, während eine Träne ihre Wange hinab glitt. „Ich verstehe.“ Es war nur ein leises Flüstern, mehr ein Hauch, und doch hörte ich es. Verzweifelt griff ich nach ihrem Arm, als es schien, dass sie gehen wollte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, also hielt ich sie nur fest, zwang sie, mich anzusehen, wobei ich mir selbst schwer tat, ihrem Blick standzuhalten. „Würdest..würdest du mir einen Gefallen tun? Nur einen…dann...es...“, sie brach ab, schien nicht zu wissen, wie sie es formulieren sollte. „Natürlich, Sif. Sag, was ich tun kann, ich tue es.“ Einen langen Moment blickte sie mir nur in die Augen, schien meine Worte auf die Wahrheit zu prüfen, bevor sie nickte, etwas flüsternd, mir dabei flehend in die Augen sehend. „Bitte, Thor, küss mich...nur...nur dieses eine Mal.“ Ich sah sie entsetzt an, wollte schon widersprechen, als sie meine Hand ergriff. „Bitte, Thor...“
Sollte ich sie wirklich...? Konnte es wirklich sein, dass...dass ich so blind...? Ich war ab und an wirklich zu naiv, um Dinge zu erkennen. Und nun standen wir hier, Sif und ich, weil ich es nicht erkannt hatte, sie verletzt hatte. Immer und immer wieder. Wie oft hatte ich vor ihr mit meinen Frauengeschichten geprahlt? Wie oft hatte ich mir von ihr Flirttipps geben lassen? Mir nie etwas dabei gedacht? Wie sehr musste es sie verletzt haben?
Langsam wandte ich mich Sif wieder zu, zwang mich leicht zu lächeln, bevor ich nickte. Ein Hoffnungsschimmer blitze in ihren Seelenspiegeln auf, so als wäre sie nicht sicher, ob ich nicht doch kneifen würde. „Ich habe es ja versprochen.“ Liebevoll strich ich ihr eine schwarze Strähne aus dem Gesicht, wissend, dass sie sowieso gleich wieder an der selben Stelle landen würde. „Gut, dann...“, ich wollte etwas sagen, doch Sif legte mir einen Finger auf die Lippen, deute mir an, dass genug Worte gewechselt wurden. Vielleicht hatte sie Recht. Ich meine, es war ja nur ein Kuss...mit Sif...ich sollte mich nicht so anstellen, definitiv nicht. Langsam beugte ich mich nach vorne, bevor sich Sifs und meine Lippen zu einem Kuss trafen. Es war nur ein kurzer Moment, ein zartes Streichen von Haut auf Haut und doch…doch war es…elektrisierend. Ich öffnete meine Augen, nicht wissend, wann ich sie geschlossen hatte, um einen Schritt von Sif zu machen, unsere Lippen voneinander zu lösen, nur um erneut an die Wand zu stoßen.
Lächeln sah Sif mich an, bevor sich ihr Lächeln im nächsten Moment in ein breites Grinsen verwandelte. Ich wusste kaum, wie mir geschah, als Sif von einem grünen Licht umhüllt wurde. Als ich erneut blinzelte, stand bereits nicht mehr Sif vor mir, sondern eine andere mir gut vertraute Gestalt, die sich ein Lachen kaum noch verkneifen konnte. „Loki.“ Ich wollte brüllen, doch ironischerweise war das Einzige, was ich hervorbrachte, ein leises Flüstern. „Lol, du hast mir das echt abgekauft? Ha, ich bin so genial!“ Er kicherte, wich einen Schritt zurück, als fürchtete er, ich würde ihm eine verpassen, sobald ich mich wieder gefangen hatte – was auch sehr wahrscheinlich war. „Du mieser Schuft!“ „Oh Thor, ich liebe dich, haha, zu genial, Bruder, zu genial...“, gab er mit verstellter Stimme von sich, immer noch kichernd, sodass ich glauben konnte, er würde sich vor Lachen gleich auf den Boden werfen. In diesem Moment fing ich mich wieder, und griff nach einem Buch, um es nach ihm zu werfen. Jedoch löste sich seine Gestalt auf, als ihn das Buch erreichte, nur um ein paar Meter weiter wieder aufzutauchen. „Oh Bruder, pass auf, du hättest mich treffen können“, grinste er, den Schalk in seinen Worten nicht versteckend. „Das war auch meine Absicht, du Hornochse!“, brüllte ich, ihn immer wieder mit Büchern bewerfend, ohne ihn auch nur einmal zu streifen. „Du wirfst wie du küsst, Bruder: Verbesserungswürdig!“, grinste er immer noch. „Wenn ich dich erwische, bist du tot, Loki!“ Meine Drohung schien ihn jedoch nicht zu beeindrucken, stattdessen huschte ihm nur ein noch breiteres Grinsen übers Gesicht. „Dann werde ich wohl ewig leben“, war das Letzte, was er sagte, bevor er sich auflöste und die Bibliothek mit Stille gefüllt war. Seufzend ließ ich mich gegen die Wand fallen, bevor ich mir für den Hauch eines Moments mit dem Daumen über die Lippen fuhr. Dieser Idiot... Loki war... so ein Idiot...
Ich [10:32:48]: Ich komm dann so gegen 18 Uhr an, wenn alles glatt läuft^^
Schatzi♥♥♥ [10:34:31]: okay, bis dann :*
Ich stecke mein Handy weg und gehe ein paar Schritte in Richtung Bahngleis. Ich will heute meinen Freund besuchen. Das Doofe ist nur, er wohnt viel zu weit weg, um mal eben zu ihm rüber zu fahren. Nein, ich muss eine Odyssee quer durch ganz Deutschland unternehmen. Und das auch noch mit dem Zug.
Endlich kann ich den Zug schon in der Ferne erkennen. Langsam rollt er in den Bahnhof und bevor er überhaupt zum Stehen gekommen ist, hat sich schon eine Menschenmasse vor den Türen postiert und drängelt sich um den vordersten Platz, fast so, als gäbe es für den Schnellsten einen leckeren Keks. Als endlich die Türen aufgehen, werden alle Reisenden, die gerne aussteigen würden, schon von einer Art überdimensioniertem Ameisenhaufen überrollt, der sich sogleich um die besten Sitzplätze streitet. Ich beobachte das alles aus der Ferne. Als die anderen Menschen endlich zur Ruhe gekommen sind, steige auch ich in die Bahn und erwische sogar noch einen wunderschönen Fensterplatz. An diesem Platz muss schonmal jemand extrem Witziges gesessen haben, denn auf die Fensterscheibe wurden Geschlechtsteile gekritzelt.
Ich hole meinen Fahrplan aus der Tasche. Ich habe mir extra die Fahrzeiten und Gleise, wann ich wohin umsteigen muss, daheim ausgedruckt, weil ich der Deutsche-Bahn-App nicht ganz vertraue. Selbstverständlich besitze ich diese auch nicht. Zu wenig Speicherplatz.
Schon bei der übernächsten Station, in Pikaheim, muss ich das erste Mal umsteigen. Bis dahin sollte eigentlich noch alles glatt laufen. Ich muss von Gleis 13 zu Gleis 1 rennen und habe fünf Minuten Zeit. Sollte doch machbar sein, oder?
[10:50:59] Der Zug kam sogar pünktlich an. Jetzt orientieren - wo muss ich hin?
Die Treppen, die mich nach unten führen, um mich unterhalb des Bahnhofs zum Zielgleis zu begeben, sind schnell gefunden, also stürze ich mich einfach mal ins Getümmel, die anderen Menschen werden mich schon schnell genug zu Gleis 1 schieben.
Leider schieben sie mich nur bis zu den Treppen zu Gleis 4, den Rest muss ich alleine laufen. Ich renne durch den miefigen Tunnel bis zum hintersten Ausgang, die Treppen rauf und stehe an Gleis 1.
Seltsam. Auf der Anzeigetafel steht gar nichts.
"Der Zug -krächzstöhn- nach Minun-verzerr- fährt heute statt von Gleis 1 von Gleis -nuschel-.", ertönt es aus dem Lautsprecher. Die werden doch wohl nicht meinen meinen?
"Ich wiederhole: Der Zug -verzerr- nach Minuningen -lautesGeräusch- statt von Gleis -krächz- von Gleis 12."
Die meinen meinen. Und Gleis 12 - war das nicht genau neben dem Gleis, wo ich eben ausgestiegen bin? Mist! Nur noch eine Minute Zeit, um wieder zurück zu rennen!
Ich rase wieder die Treppen runter und renne in der Nähe der Treppen zu Gleis 4 gegen eine Wand aus Menschen, die meine Geschwindigkeit abrupt verringert. Ich gebe mein Bestes, mich durch sie hindurch zu drängen, doch ich habe das Gefühl, mehr zurückgedrängt zu werden als dass ich vorwärts kommen würde.
Endlich - endlich! - habe ich mein Ziel fast erreicht. Ich renne die Treppen rauf, stehe an Gleis 12 - und darf dabei zusehen, wie mein Zug den Bahnhof verlässt. Verdammter Mist!
Ich ziehe mein Handy aus der Tasche.
Ich [10:56:01]: Ich hab gleich den ersten Anschluss verpasst. Wird wohl ne Stunde später. ^^"
Schatzi♥♥♥ [10:57:45]: schade...okay, bis dann :*
Ich stecke mein Handy weg und hole dafür noch einmal meinen Plan aus der Tasche. In weiser Vorraussicht habe ich mir gleich noch spätere Verbindungen ausgedruckt. Man kann ja nie wissen... Jetzt habe ich wenigstens eine Stunde Zeit, zum richtigen Gleis zu gehen, denn der nächste Zug fährt erst um 11 Uhr 59. Dafür muss ich bei dieser Verbindung auch noch einmal öfter umsteigen. Na wenn das mal nicht schiefgeht...
Langsam und in aller Ruhe gehe ich wieder in den unterirdischen Gang, in dem ich seltsamerweise gar nicht mehr geschoben werde, und zu Gleis 4. Dort setze ich mich auf das unbequeme Bänkchen, das an jedem Bahnhof noch unbequemer scheint, und warte.
In der Zwischenzeit beobachte ich die Menschen, wie sie an mir vorbeiwuseln, aus den Zügen rennen, sich in die Züge drängen, auf Uhren und Handys stieren, um ja zur rechten Zeit am rechten Ort zu sein...
[11:58:56] Pünktlich wie die SBB kommt der Zug nach Dedennen in den Bahnhof gefahren. Sogleich bilden sich Menschenhaufen an den Türen, die ich wie immer cool ignoriere. Als ich die Türen wieder sehen kann, begebe auch ich mich in die Bahn und setze mich auf einen freien Notsitz. Hier werde ich jetzt fast zwei Stunden lang sitzen, bis der Zug mich im Hauptbahnhof Emolgangen wieder freilassen wird.
Eine schrille... Melodie... dudelt aus den Lautsprechern und alle Fahrgäste verziehen ihr Gesicht unter physischen Schmerzen.
"Wir begrüßen die in Pikaheim zugestiegenen Fahrgäste. Willkommen im Interregio über Pachirisingen, Raichustadt, Emolgangen nach Dedennen", begrüßt uns eine gewohnt melodisch, gleichgültig und völlig gelangweilt klingende Stimme.
Ich hole wieder mein Handy raus, um etwas Musik zu hören.
Heaven's 7th train / No way back again / Hear the nightmares yell / In the train of your farewell
Ist das nicht toll? Lieder über nette Zugfahrten, während man Zug fährt...
[12:12:12] Der Zug wird abrupt langsamer.
"Sehr geehrte Fahrgäste", ich pausiere meine Musik kurz, "wir dürfen aufgrund der starken Windverhältnisse gerade nicht schneller als 40 km/h fahren. Wir bitten um Ihr Verständnis."
"Hab ich aber keins", murmle ich. "Ich will heute noch ans Ziel kommen." Die anderen Fahrgäste stimmen mir in wildem Gemurmel zu.
Ich schaue auf meinen Plan. An der nächsten Station hätte ich eh eine viertel Stunde zum Umsteigen, so viel länger werden wir hoffentlich schon nicht brauchen.
Während der Zug so über die Schienen schleicht, schaue ich aus dem Fenster und beobachte die Schnecken, die uns überholen, die Raben, die lachend an uns vorbeifliegen und die Bäume, die uns freundlich zuwinken.
[12:19:38] Plötzlich überholen wir die Schnecken wieder, die Raben schauen uns überrascht hinterher und die Bäume hören auf, uns zu winken.
"Sehr geehrte Fahrgäste, wir können die Fahrt nun wieder mit normaler Geschwindigkeit fortführen. Wir bitten noch einmal um ihr Verständnis."
"Hab ich aber immer noch keins", murmle ich. "Will immer noch ans Ziel kommen." Die anderen Fahrgäste stimmen mir wieder in wildem Gemurmel zu.
[12:26:39] Der Zug kommt ihm Pachirisinger Bahnhof zum Stehen.
"Sehr geehrte Fahrgäste", dieser Satzanfang verheißt nichts Gutes. "Wir machen einen außerplanmäßigen Halt von zwölf Minuten im Bahnhof von Pachirisingen, da es zwischen Pachirisingen und Raichustadt und ein Gleis gibt und wir sonst mit dem Gegenverkehr in Konflikt kommen würden. Wir bitten um Ihr Verständnis."
Wusst ichs doch. "Hab aber immer noch keins", murmle ich. Wieder wild zustimmendes Gemurmel.
[12:39:07] Der Gegenverkehr ist vorbei und unser Zug setzt sich wieder in Bewegung.
"Endlich", murmle ich, "wird aber auch langsam Zeit." Wieder Gemurmel. Belauschen die mich eigentlich oder warum können die meinem Gemurmel immer gleich zustimmen?
Ich schaue erneut auf meinen Plan. Wenn mich nicht alles täuscht, wars das jetzt mit dem Anschluss.
Wir passieren Raichustadt und gurken in normaler Geschwindigkeit weiter nach Emolgangen.
[14:16:56] "Wir erreichen jetzt Emolgangen Hauptbahnhof. Ausstieg in Fahrtrichtung rechts... Oder wars links? Auf jeden Fall da, wo die Gleise sind... Da nicht. Sie erreichen noch Ihre Anschusszüge nach Marilldorf, Snibunstadt und Mewhall."
"Na toll, und was ist mit Minuningen?", stöhne ich entnervt. Die anderen Fahrgäste stimmen mir mit ebenso entnervtem Gestöhne zu.
[14:19:38] Ich stehe an dem Bahngleis, an dem eigentlich mein Zug fahren sollte. Natürlich ist er schon weg. Dafür steht an der Anzeigetafel schon der nächste nach Minuningen. In einer halben Stunde. Ich setze mich auf die unglaublich unbequeme Bank am Bahnsteig.
Ich [14:23:29]: Ich komm wohl noch ne Stunde später. -.-
Schatzi♥♥♥ [14:24:31]: wie doof...nagut okay, bis dann :*
Ich [14:24:51]: #nevertrustDeutscheBahn
Schatzi♥♥♥ [14:26:45]: jo :/
[14:46:10] Der Zug kommt angerollt. Er hat jetzt noch einen fünfminütigen Aufenthalt, aber ich steige trotzdem schonmal ein. Bequemer als der windige Bahnsteig ist der Zug allemal. Ich suche mir den schönsten Fensterplatz von allen raus.
[14:51:10] Der Zug fährt los. Hoffentlich geht jetzt nichts mehr schief.
"Sehr geehrte Fahrgäste", seit heute habe ich eine abartige Abneigung gegen diese Floskel. "Wir heißen sie im IC nach Minuningen willkommen." Den Rest der Begrüßung nehme ich nicht mehr wahr. Sie faseln irgendetwas von Speisewagen... Interessiert mich nicht die Kaffebohne.
Ich widme mich wieder meiner Musik und spiele mit meinem 3DS rum. Hab immerhin mehrere Stunden bis zum Ziel.
[19:58:26] Ich schrecke hoch. Mist, geschlafen! Hoffentlich habe ich mein Ziel nicht verschlafen. Hastig sehe ich mich um. Es ist allerdings schon dunkel genug, dass ich nicht genug erkennen kann um das wirklich sicher festzustellen.
"Nächster Halt: Pluslekirch. Ausstieg in Fahrtrichtung links."
Puh, Glück gehabt. Ich begebe mich zum Ausgang und hole mein Handy raus.
Ich [19:59:53]: Ich bin gleich da \o/
Schatzi♥♥♥ [20:01:25]: okay, bis dann :*
Ich steige aus und gehe wie verabredet zum Süßigkeitenstand, der hier am Bahnhof rumsteht. Mein Freund sollte bald da sein. Ich warte.
Ich [20:15:36]: Wo bist du? :/
Schatzi♥♥♥ [20:15:57]: sbahn fährt nicht, technische probleme ._.
Zitat aus Axxis - Heaven's 7th Train
Es schien, als sei es ein Tag wie jeder andere. Rainer befand sich wie immer um diese Zeit auf dem Heimweg. Mal wieder war die Arbeit im Stadtarchiv dieselbe gewesen. Mal wieder mussten lediglich ein paar Verträge archiviert werden. Doch dieser Tag sollte anders werden, er sollte sich zwar nur punktuell unterscheiden, aber doch so, dass er in Rainers Gedächtnis bleiben sollte.
Als er nämlich gerade dabei war, am Friedhof vorbeizugehen, verlangsamte er seinen Gang. Es war weniger die Tatsache, dass seit langem mal wieder jemand durch seine Beerdigung eine so große Trauergemeinde zusammentrommeln konnte, als die Worte eines der Angehörigen, die ihn dazu veranlassten. Der ernst, aber nicht sonderlich traurig dreinblickende Mann mit einem Backenbart, der ihn fast wie US-Präsident Lincoln aussehen ließ, sagte nämlich: „Viele von uns werden sich wahrscheinlich häufig die Frage stellen, was passiert wäre, wenn er die U-Bahn nicht verpasst hätte. Es ist wahr, dass wir dann nicht hier stehen würden, aber was geschehen ist, ist geschehen.“
Neugierig blieb Rainer stehen, als der Mann vor versammelter Mannschaft unbeirrt weiter so skurril sprach: „Mein Bruder war schon immer eine sehr hitzige Person gewesen und konnte seinen Frust oftmals nicht für sich behalten. Wenn er gegen irgendeinen Pfeiler getreten hätte wäre wahrscheinlich auch nichts weiter passiert. Aber leider hat er nicht gegen einen Pfeiler, sondern gegen eine geschlossene Aufzugtür getreten, die der Wucht seiner Tritte nicht lange genug standhalten konnte. Es war sein letzter Wutanfall.“
Nach diesen Worten konnte sich Rainer nicht mehr zurückhalten. Das Lachen platzte aus ihm heraus und auch als sich etwa 50 in schwarz gekleidete Personen zu ihm umdrehten und ihre Gesichter ihn teils überrascht teils verärgert ansahen, konnte Rainer nicht aufhören. Er musste sich sogar am Zaun, der den Friedhof umgab, festhalten, weil er sonst umgefallen wäre.
Jetzt schien es allerdings so, als hätte er es sich mit Präsident Lincoln verscherzt. Denn dieser stampfte nun auf ihn zu und beschwerte sich lauthals: „Was fällt Ihnen eigentlich ein, Sie Idiot? Hier haben sich Familie und Freunde zusammengefunden, um in Ruhe um einen geliebten Menschen trauern zu können und Sie stören mit Ihrem Gelächter. So etwas hätte ich einem Kind zugetraut, aber nicht einem erwachsenen Mann.“
Auf diese Standpauke gab Rainer keine Antwort, allerdings nicht weil er es nicht wollte, sondern weil er es nicht konnte. Das Lachen machte normales Sprechen unmöglich.
Der Redner schien nun gänzlich verärgert. Er griff über den Zaun und schnappte sich Rainers Kragen. Dann zog er ihn näher an sich und blickte ihm tief in die Augen. Rainer blickte daraufhin in zwei Schlitze inmitten eines rot angelaufenen Gesichts mit böse verzogenen Augenbrauen. Durch diesen Anblick war es endlich möglich für ihn, zu Atem zu kommen. Es gelang Rainer nun – wenn auch noch stockend – zu antworten: „T-Tut mir leid, aber wenn ein Mann vor lauter Wut darüber, dass er die U-Bahn verpasst hat, solange blind gegen eine Aufzugtür tritt, bis die sich öffnet und er hineinfällt, finde ich das einfach zu lustig, als dass ich ruhig weitergehen könnte.“ Danach fing Rainer sofort wieder an, herzlich zu lachen.
Sein Gegenüber begriff, dass es keinen Sinn hatte und ließ von ihm ab. Obwohl man ihm ansah, dass er innerlich vor Wut kochte, drehte er sich wieder um und kehrte als ob nichts gewesen sei zu der Trauergemeinde zurück. Niemand sagte etwas. Das Einzige, was hörbar war, war Rainers Gelächter.
Erst nach einigen Minuten fand Rainer die Kraft zu gehen, ohne sich am Zaun des Friedhofs festhalten zu müssen. Nun ließ er – immer noch kichernd – die Trauergemeinde zurück. Doch auch als er zu weit weg war, als dass man ihn noch hören konnte, hielt die Stille auf dem Friedhof.
[/tabmenu]