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Herzlich willkommen zum Vote der Disziplin Fanfiction in Runde 3! Hier entscheidet sich, welches Team den Sieg in dieser Disziplin davontragen wird.
Bitte beachtet beim Voten, dass ...
- ihr eure Votes angemessen begründet,
- Sympathievotes untersagt sind,
- ihr nicht für die Abgabe eures eigenen Teams abstimmen dürft,
- ihr bei der Punktevergabe sowohl das Treffen der Themenvorgabe, den Inhalt und die Ausführung einbezieht und bewertet,
- ihr das richtige Punkteschema verwendet (siehe unten),
- ihr die im Vote-/Feedback-Tutorial genannten Punkte beachtet.
Selbstverständlich darf jeder voten, auch wenn man nicht selber an der Olympiade teilnimmt!
Themenvorgabe:
ZitatDas Thema der dritten Runde der Olympiade für die Disziplin Fanfiction lautet ...
Sterne
Schreibe eine kurze Geschichte zum Thema "Sterne".
Punkteschema:
- WICHTIG: Nutzt für euren Vote die untenstehende Schablone. Dies erleichtert uns die Auswertung. ID ist die Team-ID eures Teams (das ist die Nummer eures internen Teamforums). Voter, die nicht an der Olympiade teilnehmen, geben als ID bitte 0 an.
- Wenn ihr einem Team angehört, dann werden die Punkte, die ihr an euren Gegner verteilt, nicht gewertet. Ihr braucht also keine Angst haben, den Gegner durch eure Votes gewinnen zu lassen.
Zitat
ZitatAlles anzeigenID: 12
A3: 5
A5: 4
A9: 3
A13: 2
A6: 1
Begründungen
Der Vote geht bis 08.05.2015 um 23:59!
[tab=Abgaben]
„Und das da oben ist Orion.“
„Wo?“
„Siehst du die drei Sterne, die direkt nebeneinander stehen? Das ist sein Gürtel.“
Sein Großvater beugte sich zu ihm herunter. Er hob den Arm Richtung Himmel, einen Finger ausgestreckt. Der wohl vertraute Geruch von Minze stieg dem Jungen in die Nase. Blinzelnd folgte er dem Fingerdeut in den Nachthimmel, der wie schwarzer Samt über den beiden lag. Ein, zwei Sekunden vergingen, dann stieß er einen kleinen Laut aus.
„Gefunden?“ Das leichte Schmunzeln in der alten Stimme entging ihm nicht. Der kleine Blondschopf nickte eifrig.
Orion strahlte auch heute noch über ihm. Als er nach oben sah, fand er die drei kleinen Sterne schnell wieder. Sie standen genau an der gleichen Stelle wie damals auch schon. Klein und hell und strahlend. Noch ein paar Schritte durch das hüfthohe Weidegras und er würde bei der großen Eiche stehen, dem schönen, alten Baum, der hier schon gestanden hatte, als sein Großvater noch jung gewesen war.
Mit seinen Armen teilte er die Gräser vor ihm, setzte einen Schritt vor den anderen. Rund um die Eiche herum war das Grün viel niedriger. Die Umhängetasche glitt von der schlanken Schulter des jungen Mannes hinab zu den mächtigen Wurzeln. Er sah für einen Moment hoch zu den dicht belaubten Ästen, die im sanften Wind leicht wankten. Als er die Augen schloss, spürte er die leichte Berührung der Sommersonne auf seiner Haut.
„Aber ich mag keinen Käse!“ Er plusterte seine Wangen auf, während er das Sandwich in seiner Hand in Grund und Boden starrte. Die blonden Locken hingen dem Jungen im Gesicht.
Unwirsch fuhr sein Großvater ihm über den Kopf.
„Sei nicht so wählerisch“, ermahnte er den Jüngeren. Sein Enkel konnte ein solcher Dickkopf sein. Mit einem lautlosen Seufzer nahm er dem Jungen das Sandwich aus der Hand und überreichte ihm sein eigenes. Dabei mochte er selbst doch auch keinen Käse.
„Was tue ich nicht alles für meinen kleinen Finn“, sprach er seine Gedanken aus, mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Für ihn hatte er immer alles getan.
Er hatte sich fest vorgenommen, nicht in Erinnerungen zu schwelgen. Weil ihn das traurig machen würde, und das würde sein Großvater nicht wollen. Aber es fühlte sich so gut an, sich in vertraute Bilder zu flüchten. Der Gedanke, dass er nie wieder ein Sandwich mit ihm teilen würde, nie wieder mit ihm in die Sterne sehen könnte… Er war noch nicht greifbar. Schien fern, wie die strahlenden Lichter über ihm.
Seit sechzehn Sommern war er immer für zwei Wochen zum Haus auf dem Land gefahren, in dem sein Großvater wohnte. Es war eine Tradition geworden und in diesen Jahren war er von einem kleinen, bockigen Kind zu einem erwachsenen Mann geworden. Er studierte in der Großstadt und seinen Großvater sah er nur im Sommer. Schon Wochen vor der Reise hatte er sich immer wieder dabei erwischt, wie er darüber nachdachte, was er ihm erzählen könnte. Großvater war immer da gewesen, ein ruhiger, weiser Zuhörer, dessen Lachen so ansteckend gewesen war wie sonst nichts.
Dass er ihm jetzt nicht mehr von seinen Fortschritten erzählen konnte, von seinen Freunden und seinem Vater, von seinen Gedanken, Wünschen und Ängsten… Finns Inneres krampfte sich zusammen, wann immer er daran dachte. Und er hatte das Gefühl, dass es niemals ganz aufhören würde.
„Nächstes Jahr um diese Zeit gibt es einen Kometenschauer“, hatte er dem Älteren im letzten Sommer gesagt. Sein Großvater hatte in den Himmel gesehen, eine lange, lange Weile, mit einem Lächeln auf den Lippen.
„Den sehen wir uns zusammen an“, sagte er dann und blickte Finn in die Augen. „Abgemacht?“
Zu gerne hatte sein Enkel die alte, faltige aber warme Hand ergriffen. „Abgemacht.“
Auf diesen Kometenschauer hatte er sich ein Jahr lang vorbereitet. Ein Teleskop hatte er gekauft, Sternenkarten, Hightech-Kameras, die ein technikversierter Freund ihm empfohlen hatte. Es wären nur noch zwei Wochen gewesen, in Gedanken hatte er die Koffer schon gepackt.
Da erreichte Finn ein Anruf. Die alte Frau, die schon so lange neben seinem Großvater lebte, die für ihn Kekse und Kuchen gebacken hatte. Mit tränenerstickter Stimme sagte sie ihm, dass Erik nicht mehr am Leben sei. Sie habe ihn heute Morgen gefunden, friedlich schlafend in seinem Sessel. Finn konnte nichts sagen, denn der Gedanke drang einfach nicht zu ihm durch. Er legte mit einem knappen „Verstehe. Danke“ auf, wanderte für einige Minuten ziellos durch die Wohnung und verließ sie dann fluchtartig, um ebenso ziellos durch die Straßen der Großstadt zu ziehen. Erst in der tiefen Nacht fand er sich wieder vor der Haustüre wieder. Was er getan und gedacht hatte, wusste er nicht mehr. In seinem Kopf war nur noch Platz für die Stimme der lieben, alten Dame.
„Er lebt nicht mehr. Erik ist tot.“
Aber richtig verstehen konnte Finn es noch immer nicht.
Und obwohl die Erkenntnis langsam kam, packte er wie gewohnt seine Sachen. Stieg ins Auto, fuhr vier Stunden zum Haus auf dem Land. Öffnete die Tür mit dem Ersatzschlüssel, den sein Großvater ihm mal gegeben hatte, trat hinein und atmete den vertrauten Geruch von Minze, Brot und alten Büchern ein. Da holte ihn die Leere wieder ein. Ziellos wanderte er durch das Haus, strich über den alten Eichenholz-Schreibtisch, an dem sein Großvater immer geschrieben hatte, setzte sich auf das Bett, in das er manchmal gekrochen war, wenn er Albträume gehabt hatte, feuerte den Kamin an, vor dem sie gesessen hatten, wenn es abends kühler wurde.
Und in der Schublade des kleinen Nachttisches, in dem Raum, der nur für ihn bestimmt war, fand er einen Umschlag. Sein Name stand darauf, in der geschwungenen Schrift seines Großvaters.
Dieser Umschlag lag jetzt in seiner Tasche, eingeklemmt zwischen Sternenkarten und dem Koffer für das Teleskop. Er hatte sich nicht getraut, ihn zu öffnen. Es ging einfach nicht. Nicht dort, wo sein Kopf so leer war wie der Himmel weit, wo das Gefühl von Tod unterdrückt wurde von warmen Erinnerungen. Warme, wohlige Erinnerungen an die lieb gewonnenen Sommer.
„Was passiert mit Menschen, die sterben?“
Es war der dritte Sommer gewesen. In den ersten zwei Jahren nach dem Tod seiner Mutter hatte er sich nicht getraut, diese Frage zu stellen. Er wusste selbst nicht warum.
Sein Großvater antwortete lange nicht. Der alte, weise Mann sah einfach in den Sternenhimmel, wie immer, wenn er nachdachte.
„Sie werden zu Sternen“, antwortete er irgendwann schlicht. Finn wollte protestieren. Menschen wurden nicht einfach so zu Sternen, das wusste doch jeder. Aber sein Großvater ließ es gar nicht so weit kommen.
„Auch wenn sie weg sind“, begann er in der Stille der Nacht. „Auch wenn wir denken, dass sie ganz fern sind, eigentlich sind sie immer bei uns. Genauso wie die Sterne. Unendlich weit weg, so weit, dass wir sie niemals berühren können. Aber ihr Licht können wir beobachten und dann wissen wir, dass sie bei uns sind.“
Finn lehnte sich gegen die Eiche. Ein grimmiges Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Jetzt war auch sein Großvater zu einem Stern geworden, unendlich weit weg von ihm, niemals wieder in seiner Nähe, um ihn zu trösten, um mit ihm zu lachen.
Der Tod seiner Mutter war schwer gewesen. Er war noch sehr jung gewesen und hatte kaum verstanden, was passiert war. Aber wirklich erinnern konnte er sich nicht an sie. Nur das Gefühl, das etwas fehlte, war immerzu da gewesen. Sie und seine Großmutter waren an der gleichen Krankheit gestorben. Beide waren sie zu Sternen geworden, ohne lange in Finns Leben geblieben zu sein.
Aber richtig weh tat nur der Tod seines Großvaters. Weil sie so viel verbunden hatte. Bänder, die nichts jemals trennen würde.
Er blickte kurz auf die Uhr an seinem Handgelenk. Bald war es so weit.
Sein Blick fiel auf die Tasche, die sich geöffnet hatte. Der blütenweiße Umschlag lugte darauf hervor. Finn starrte ihn an wie eine giftige Schlange. Wollte er den Brief wirklich lesen? Das würde bedeuten, seinen Großvater endgültig an den Sternenhimmel zu verlieren.
Er rang mit sich, einige Minuten lang, dann hockte der junge Mann sich hin, griff sich eine Taschenlampe und öffnete mit zitternden Händen den Umschlag.
Er las den Brief einmal, zweimal. Aber erst beim dritten Mal verstand er das Gelesene wirklich.
Sein Großvater dankte ihm, dass er so viel Zeit mit ihm verbracht hatte, schrieb ihm, dass er glücklich gewesen ist, seinen Enkel zu einem so wundervollen Menschen aufwachsen zu sehen. Aber das, was ihn wirklich rührte, waren die Zeilen am Ende des Papieres.
Wenn du das hier liest, konnte ich mein Versprechen nicht halten. Ich konnte nicht lange genug bleiben, um den Kometenschauer mit dir zu beobachten. Aber sei nicht traurig, Finn. Denn ich werde einen der Sternschnuppen sein, die nur für dich erstrahlen.
Als eine einzelne Träne auf das weiße Papier fiel, da zischte der erste Komet durch den Nachtsamt, groß und strahlend. Und als Finn mit einem Lächeln zuließ, dass Träne um Träne über seine Wangen lief, da stellte er sich vor, dass diese erste Sternschnuppe sein Großvater war, der ihn ein letztes Mal tröstete.
Eines Tages wird es so weit sein, du wirst deine Reise zu den Sternen antreten.
Denn, dann bist du frei, von all deinen Leiden. Du wirst nie mehr erleben müssen, wie sich dein Körper krampfhaft zusammenzieht.
Das zucken und spielen deiner Finger wird dann ein Ende haben.
Du wirst frei sein von deinen unkoordinierten Bewegungen, die du so plötzlich hattest und dich hilflos herum fuchteln haben lassen.
Deine Hände und Füße haben keine schmerzhaften Krämpfe mehr, denn da wo du dann bist, wirst du frei von all dem sein.
Deine Beine werden sich plötzlich auf dem Boden richtig bewegen und dich davontragen können. Du wirst das Gras so richtig unter deinen Füßen spüren, wie es dich kitzelt. Du wirst das erste Mal in deinem Leben lachen und dabei stehen. Du kannst den Wind um dich spüren und kichernd mit ihm um die Wette rennen. Er wird deine Haare umspielen und dabei so richtig verwuscheln. Deine Fröhlichkeit wird überall zu hören sein.
Da wo du nun bist, geht es dir gut. Du bist frei von den langandauerden Aufenthalten im Krankenhaus und den vielen Ärzten die um dich stehen und dir doch nicht helfen konnten. Es werden nun keine Maschinen mehr über dich bestimmen, denn da wo du nun bist, gibt es keine Maschinen mehr.
Die Sonne wird jeden Tag warm auf dich herabstrahlen und sich freuen, wenn du glücklich bist. Dein Lachen wird alle, die nun um dich herum sind anstecken.
Von nun an kannst du tanzen, springen fröhlich sein. Vergangen sind all die Tage voll Schmerz und Leid.
Ich werde hier unten auf der Erde jeden Tag an dich denken und am Abend zu deinem Stern, der am hellsten von allen scheint schauen und dir zuwinken. Bitte verzeihe mir, meinen Tränen die dabei fließen werden, mein Sternenkind, wenn ich hier unten sitze und auf den Tag warte, an dem auch ich zu den Sternen reisen darf.
Wenn diese Tag kommen wird, dann sind wir zwei wieder vereint. Doch dann für immer und ewig, nun kann uns keiner mehr trennen, denn da sind wir bis in alle Ewigkeit zusammen.
In tiefster Liebe
Dein Papa
Irgendwie ist es traurig.
Menschen wünschen sich nichts sehnlicher, als nach den Sternen zu greifen und sie bei Nacht sehen zu können. Ich habe auch schon gehört, dass Sterbliche denken, Sterne würden Wünsche wahr werden lassen und einem bei jeglicher Gefahr helfen. Aber wieso wünschen sie sich das nicht von mir? Wieso erbitten sie nicht meine Hilfe in schlaflosen Nächten und weswegen schauen sie mich zumeist nicht einmal an?
Menschen sagen Sternen nach, sie würden wunderschön aussehen, leuchtende Farben besitzen und den trostlosen Nachthimmel zu einem atemberaubenden Ort machen. Nun gut, das tun sie wahrlich! Es wäre einerseits viel zu dunkel, sodass nicht einmal mein Freund der Mond, für ausreichend Licht sorgen könnte und andererseits wäre die unendliche Weite des Universums weder unendlich noch weit ohne sie.
Aber ich war auch ein Stern. Ich war sogar der Stern, der ihnen am Nächsten war! Ich leuchte auch in den gleichen Farben wie meine Schwestern und Brüder, besitze die gleiche Gabe wie sie und bin ebenso Erschaffer und Wächter allen Lebens. Ach, wie gerne würde ich doch die Erde umarmen oder zumindest näher bei ihr sein. So könnte ich den Menschen viel mehr bieten! Mein Licht, meine Wärme – all das hätten sie zur Genüge, würde ich den Abstand zwischen uns verringern. Und sie könnten mich auch nicht mehr übersehen… Vielleicht würden sie mich dann mehr mögen?
Aber nein, ich vermag dies keinesfalls zu tun. Eine meiner Schwestern warnte mich vor langer Zeit – ich wäre zu groß und mächtig, sagte sie. Ich würde die Erde verbrennen, sollte ich ihr näher kommen. Zunächst war ich erbost über die Frechheit, die sich meine Schwester erlaubte. Mir zu sagen, was ich tun sollte! Ha, dass ich nicht lache! Aber die leise, schüchterne Stimme vom Merkur ließ mich innehalten. Ich würde nicht nur der Erde schaden, meinte er. Würde ihn und seine Schwester Venus einfach verschlingen und damit töten.
Erst da begriff ich: ich besitze weitaus mehr Verantwortung und Macht, als ich bisher annahm. Ich muss mich gleichermaßen um all meine Kinder kümmern – nicht nur um die Erde. Nein. Ebenso um den Merkur, die Venus, den Mars, den Jupiter, den Saturn, den Neptun, den Uranus und auch um mein kleinstes Kind, den Pluto. Oft sagte mir mein Bruder Sirius, ich würde noch viel lernen müssen. Ich sei noch jung, sehr jung in der unendlichen Weite des Universums. Wie auch er existiere ich erst seit ein paar Jahren. In Sternenjahren wohl „ein paar Jahre“… verglichen mit einem Sterblichen, bin ich wohl doch etwas älter.
Und es war von Zeit zu Zeit ermüdend und einsam, stetig über all meine Kinder zu wachen. Häufig stritten sie sich oder schwiegen sich so lange an, dass ich Sorge hatte, ich würde niemals wieder ihre Stimmen hören. Vor allem die Erde bereitet mir des Öfteren Kopfzerbrechen. Wie lange würde sie noch so ausharren können? Es ist kein sonderlich großes Geheimnis, dass ihre Bewohner nicht nur Gutes vollbringen. Aber jedes Mal, wenn ich der Erde und dem Jupiter beim Diskutieren zuhöre, so ist die Erde stolz auf ihre Schützlinge und verteidigt diese. Zum Unverständnis meiner anderen Kinder. Sie sei besser ohne die Menschen dran, hörte ich einst den Saturn zum Jupiter flüstern. Aber voller Argwohn erwiderte die Erde lediglich, dass sie einen Grund hatte, zu existieren und froh war, solch ein besonderer Planet und nicht einsam zu sein. Faszinierend, wie ähnlich sie mir da ist.
Einsam. Oh ja, wer im Universum ist das eigentlich nicht? Selbst ich bin es. Auch wenn ich meine Kinder und aber Millionen von Schwestern und Brüdern besitze. Wenngleich mich Menschen jeden Tag sehen und mir sogar einen besonderen Namen geben… dennoch bin ich für die Meisten kein Stern. Kein Stern, der ihnen Wünsche erfüllen kann. Kein Stern, den sie bei Nacht betrachten können. Oh nein, viel mehr noch. Die „wahren“ Sterne, so sagen die Menschen, können sie nur sehen, wenn ich – ihr wundersamster Stern – nicht zu sehen bin.
Und irgendwie… ist es traurig.
Enerdhil; zu dt. Sonnenfreund
Ein zarter Wind legte sich in die kleinen, sanften Grashalme, brachte sie zum Tanzen und ließ sie in einem ruhigen, melodischen Rhythmus wippen. Sie rieben sich aneinander, lehnten sich nach allen Seiten und sangen ein feines, einschläferndes Lied für ihren Spielmann. Genussvoll kosteten sie die Böe aus und in einem beruhigenden Rauschen verstummte das Orchester schließlich. Auf der Lichtung herrschte kalte, einsame Stille, schwer lastete diese bedrückende Stimmung auf dem Herzen ihrer Betrachter. Zugleich zog der Sonnenuntergang einen samtigen, weichen Schleier, die tausenden kleinen Pflänzlein wurden in ein so lebendiges, sprühendes blutorange getaucht, dass die Totenstille im Widerspruch zu der wunderschönen, klaren Farbe stand, die so lebensbejaend, so ergreifend schien.
Ihr kupferrotes Haar, das sie sich am Nachmittag noch mühevoll hochgesteckt hatte, lag in Strähnen verstreut über ihren Schultern, der stetig wiederkehrende Wind versetze sie ebenso in Bewegung wie die grünen Halme. Doch das sonst so auf sein Aussehen bedachte Mädchen, schien dieses Durcheinander gar nicht zu bemerken, zu undurchdringbar war der Trauermantel, den er ihr um seine Schultern gelegt, viel eher noch gezwungen hatte, als er es so verletze. Wie konnte er das wagen?
Weder das leise Seufzen der Baumkronen im Wind, noch das Wiegenlied der Wiesen hörte es, auch spürte es nicht den kühlen Atem der Natur, der seinen ganzen Körper umspielte, gar ablenken wollte von dem, was in seinem Kopf vorging.
"Ich freue mich, dich zu sehen, Emilia. Habe ich dir schon meine Freundin vorgestellt?"
Mitten ins Herz traf sie dieser Komet und das Echo des gewaltigen Aufschlags hallte noch lange in ihrem Kopf wieder, dieses Bild, als er sie in seine Arme schloss und nicht von ihr abließ, sie so berührte, wie sie es sich gewünscht hatte. Sie hatte sich so sehr nach ihm verzehrt und doch sollte sie ihn nicht bekommen. Wieso hatte er sie damals in der Nachhilfestunde so angelächelt, warum hatte er sie stets so schüchtern berührt? Es sollte zufällig wirken, er war vermutlich unsicher und wollte sie testen, erforschen, was seine zurückhaltenden Botschaften bei ihr auslösten. Ja, sie konnte es sich nicht eingebildet haben, er hatte Gefühle für sie, er gestand es sich nur nicht ein, wankte auf Messersschneide! Er würde sie sicher testen, die Reaktion ihrer Eifersucht ausnutzen, um ihr einen Schritt näher zu kommen, viel eher kostete er ihren brennenden Herzschmerz vielleicht sogar aus. Sie würde nicht aufgeben, sich nicht einfach ins Chaos stürzen lassen, sondern um ihn kämpfen, seine Gefühle erwidern, die er ihr in einem solch dramatischen Akt bewiesen hatte!
Doch vielleicht irrte sie sich? Was, wenn er nie etwas für sie empfunden hatte, diese Liebe nur in ihrem Kopf existiert hatte und sich lediglich ihre Gabe der Interpretation vorschnell einschaltete? Sie war eine Träumerin, eine Dichterin, eine Weltenbummlerin. Sie sah einen Gegenstand, ein Szenario, ein Lebewesen an und meinte, sie könne seine Geschichte, seine Gefühle genau verstehen, so sehen, wie ihr "Gegenüber" es tat. Niemals hatte sie bereut, dass ihre Welt, ihr Geist, ihr Herz ein Zug war, der in einer atemberaubenden Geschwindigkeit vorbeiraste, oft so schnell, dass sie glaubte, ihn nicht fassen zu können. Und wenn sie es doch einmal tat, so war ihr gewiss, dass sie ihn wieder fallen lassen würde, viele weitere fuhren bereits auf sie zu, für sie waren sie nicht greifbar, aber fühlbar. Sie gab sich oft ihren Tagträumereien hin, versank in den unendlichen Sphären ihres kleinen Universums. War sie dieses eine Mal von ihrem Kurs abgekommen? Wie konnte sie, wo sie doch immer versucht hatte, zumindest eine Zehenspitze auf dem Boden der Tatsachen zu behalten, ihre Beherrschung verlieren und sich einer unrealistischen und offensichtlich einseitigen Liebschaft hingeben, die für ihn nichts weiter war als ein gebrochenes Herz, ein Triumph seines Charmes...
"Daisy? Daisy, bist du hier irgendwo?"
Eine vertraute Stimme, die Emilia, so wusste sie, schon das ein ums andere Mal das Leben gerettet hatte, durchdrang ihr Siegel, ein Siegel aus purer Wut, Hitze, kochenden Gefühlen und blühendem Hass, Hass auf denjenigen, der sie vorgeführt, der sie bloßgestellt hatte. Die Luft um sie, so spürte die junge Frau, hatte sich in ein loderndes Feuer verwandelt, sie sprühte zischende Funken in alle Richtungen. Wer würde sie aus diesen Flammen reißen können, ohne selbst Schaden zu nehmen?
"Daisy? Ich bins, komm doch raus!"
Erneut erschütterte sie eine angenehme Welle von unsagbarer Kraft, die an ihre geschlossene Pforte klopfte, die Mauer zu Fall bringen wollte, hinter der sie sich verborgen hatte und sie war sich sicher, sie würde durchhalten, selbst ihrem eigenen Helden gegenüber.
"Da bist du ja! Ich hab' mir schon Sorgen um dich gemacht, renn doch nicht einfach so weg, ich bin unsportlich, das weißt du doch."
Emilia öffnete ihre Augen und mit diesem einen Herzschlag, in diesem einen Augenblick, stürzte ihr brodelnder Vulkan in ein Meer aus Eis von unsagbarer Tiefe. Sie sah geradewegs in die dunkelblauen Seelenspiegel ihres besten Freundes, ihres Retters, und ertrank in ihnen. Ihre Lungen füllten sich mit der unnachahmlichen Ruhe, die er ausstrahlte, mit dem Gefühl von Vertrautheit und Sicherheit, das sie nur bei ihm verspürte. Ihr Groll, dieses Inferno aus Schmerzen und Empörung über ihre eigene Naivität, verglimmte mit einem Atemzug und sie holte tief Luft, als wäre sie untergetaucht und traute sich nun an die Meeresoberfläche.
"Daisy, du weinst ja...", seufzte Caleb, hörbar bedrückt und besorgt um das Wohl seiner Freundin, "lass dich doch von so einem Idioten nicht ärgern, der hat dich gar nicht verdient..."
Daisy. Nur er kannte ihren zweiten Vornamen, ein Name, bei dem sie lediglich ihre Großmutter, nach der sie benannt wurde, rief. Wenn er es aussprach, klang es wie etwas Kostbares, etwas unvorstellbar Wertvolles. Wie ein Schatz, ein teures Parfüm, ein seltener Diamant. Daisy.
Sein warmer Atem stieg in ihr Gesicht, ihre kalte Nasenspitze fühlte sich an, als würde sie unter dieser angenehmen Wärme auftauen. Er legte seinen Arm um ihre Schulter und schob behutsam mit seinen Fingerspitzen ihr Kinn empor, sodass er in ihr Gesicht sehen konnte. Die anbrechende Nacht warf tiefe Schatten auf ihr Antlitz und so erhaschte er nur einen Blick in ihre braunen Augen. Caleb liebte diese Farbe, sie erinnerte ihn an seine verstorbene Mutter. Immer, wenn es ihm schlecht ging, hatte sie ihm einen bittersüßen und dicken Kakao gekocht und ihm dann Geschichten erzählt, nichts wirkte besser. Und Emilias Augen hatten ebendiese dunkle, bittersüße Farbe.
Sie schwiegen einander an. Seine warmen Fingerspitzen hinterließen eine Spur auf ihrer Haut, die sich für sie überraschend aufregend anfühlte. Er hatte sie beruhigt, wo sie doch so wütend, so entrüstet war, so sehr davonschweben und nie wiederkehren wollte. Der Brand, in dem die Siebzehnjährige bis eben gestanden hatte, hatte sich in eine ruhige Lichtung verwandelt, auf der Wind und Wald zärtlich miteinander Fangen spielten, wie zwei kleine Kinder, auf der ein Freund seine beste Freundin zu trösten versuchte, auf der die Sterne langsam durch die dunkelvioletten Vorhänge des Himmels schienen.
Caleb ergriff bestimmt Emilias Hand, sie staunte - so intensiv hatte Caleb noch nie auf einen Gefühlsausbruch von ihr reagiert. Er lief in schnellen Schritten geradeaus und zog das nun immer weiter beherrschte Mädchen hinter sich her.
Die letzten um Beachtung ringenden Strahlen der Sonne erloschen und das Firmament über Caleb und Emilia ließ seine Sterne, seine schönsten Kinder, frei. Nacheinander blitzten sie auf. Abrupt blieb der junge Mann stehen, seine Begleiterin, die sich im Anblick der sternenklaren Nacht verloren hatte, schreckte hoch und berührte erstaunlich sacht seinen Rücken mit ihrer Nasenspitze.
Er wandte sich zu ihr.
"Weißt du, was mir meine Mutter immer erzählt hat, wenn ich traurig war, Daisy?"
Calebs Stimme bekam einen weichen, zufriedenen Ton. In ihrer Gegenwart hatte er selten über seine Mutter gesprochen, doch wenn er es tat, klang er so überraschend warm, männlich, anders. Er hatte seine Mutter sehr geliebt, ehrlich geliebt, das spürte sie.
"Die Sterne sind wie wir Menschen. Es gibt einige, die heller leuchten als andere, sie wollen mehr, als ihnen eigentlich zustünde. Doch sie sind nicht so wichtig, wie sie meinen. Sieh dir die Sternbilder an, dann merkst du, dass die kleinen, für uns unscheinbar wirkenden Sterne den Himmel zusammenhalten, ihn erst prägen. Kein Sternbild besteht aus vielen leuchtenden, sondern aus so vielen kleinen, bedeutungsvollen Sternen. Und ich weiß, dass ich ein Stern bin, der alles zusammenhält, der besonders dich zusammenhalten muss..."
"Caleb, ich..."
"Nein, schon gut. Du bist etwas Besonderes, du bist eine Sternschnuppe, Emilia. Du rast an uns vorbei, kennst deine eigenen Grenzen nicht und ich fürchte manchmal, du gerätst aus deiner Bahn und ich verliere dich. Ich bewundere dich für den Weg, den du hinter dir lässt. Bitte verliere dich, den wertvollsten Menschen, der mir geblieben ist, nicht an etwas so Unbedeutendes. Es zerbricht mich innerlich, dich so zu sehen. Und dabei liebe ich dich so unbeschreiblich, ich liebe dein wunderschönes Lächeln, also setz es doch bitte wieder für mich auf..."
Emilias Lippen umspielte ein Lächeln, das immer breiter, immer schöner wurde, ehe es sich in ein lautes Lachen verlor und sie sich glücklich in seine Arme stürzte.
Eine kühle Sommerbrise wehte durch die grünen Auen der Stadt. Die Abendsonne funkelte strahlend auf die farbenprächtigen Felder nieder. Ein Knirschen. Ein Rascheln. Mehrere Schritte. Schweigende Stille.
13. Juni 2021, 20:28 Uhr, Tag 1
Die Mitte des Monats war beinahe verstrichen und ich starrte ermüdet auf meine Apple Watch. Kurz vor halb Neun zeigte die Uhr an. Es dauerte nicht mehr allzu lange, bis sich das Leben der Menschen von Grund auf verändern sollte. Noch ahnte ich zu diesem Zeitpunkt nichts, aber das sollte sich schlagartig ändern. Zusammengekugelt lag ich in meinem Bett, als ich aus dem Fenster in die letzten Strahlen der Abendsonne spähte. Auch wenn es für die Mitte des Jahres eher ungewöhnlich schien, wurde es heute im Vergleich zu den Vortagen deutlich früher dunkel. Ich machte mir nichts daraus, aber hätte ich es als mögliches Omen deuten können? Wie auch immer, mich beschäftigten damals ganz andere Dinge.
13. Juni 2021, 21:47 Uhr, Tag 1
Plötzlich schreckte ich aus dem Schlaf. Was war geschehen? Wie konnte ich nur so plötzlich eingeschlafen sein? Mit Entsetzen erblickten meine müden Augen einen blutroten Mond am Himmel, der nur so strahlte und funkelte. Aber das war nicht alles! Daneben waren drei kleine leuchtende Punkte zu sehen. Träumte ich etwa? Nein, natürlich nicht, auch wenn mir zunächst keine bessere Erklärung dafür in den Sinn kommen wollte. Was waren diese drei Punkte? Etwa drei Sterne? Ja, denen kamen sie optisch noch besonders nahe, aber dennoch waren sie viel größer als die gewöhnlichen Sterne am Himmel. Draußen hatten sich unzählige Menschen versammelt, um dieses wundersame Ereignis mit eigenen Augen bestaunen zu können. Mein Magen begann vor Aufregung zu grummeln und vor lauter Erstaunen bekam ich eine leichte Gänsehaut. Was um Himmels willen sollten diese leuchtenden Sterne nur sein?
13. Juni 2021, 22:28 Uhr, Tag 1
Bebende Erde. Surren und Funkeln. Leuchtende Sternschnuppen am Himmel. Entsetzen. Panik. Angst.
13. Juni 2021, 23:11 Uhr, Tag 1
Alles wackelte und große Furcht erfüllte die Menschen. Grelles Licht strahlte vom Himmel herab, genauer gesagt von den Sternschnuppen, die nach und nach in unsere Atmosphäre eindrangen. Das betraf nicht nur meinen Kontinent, sondern die ganze Welt. Szenarien, die eigentlich nur in Science Fiction-Filmen zu finden sind, sollten nun tatsächlich wahr werden. So irreal es auch schien, war es dennoch die pure Realität, die die Menschheit zu Gesicht bekam. Sollte sich das bisherige Leben nun von Grund auf ändern? Nein, zu diesem Zeitpunkt konnte man noch keine Spekulationen darüber treffen.
13. Juni 2021, 23:30 Uhr, Tag 1
Die ersten Sternschnuppen prallten auf die Erdoberfläche nieder. Erdbeben. Trümmer. Staubwolken.
14. Juni 2021, 09:47 Uhr, Tag 2
Die Überlebenden hatten sich in den Kellern ihrer Häuser oder in den Bunkern unserer Stadt verschanzt. Der Strom war nach dem Aufprall, der einem Lichtblitz glich, ausgefallen und auch sämtliche elektrische Geräte waren unbrauchbar geworden. Im Nachhinein kann ich schlussfolgern, dass jenes Ereignis wohl zu einem elektromagnetischen Impuls führte, der den Totalausfall der Geräte zur Folge hatte. Verzweiflung und Trauer aufgrund der Unwissenheit über die aktuelle Situation und den vergangenen Geschehnissen erfüllten die Menschen. Draußen strahlte wie üblich die Morgensonne und alles schien, als wenn sich nichts ereignet hätte. Nur eingestürzte Häuser, verwüstete Straßen und die zerstöre Natur bezeugten natürlich die geschehene Katastrophe. Wie es in anderen Teilen der Welt aussah, konnte man nicht einschätzen, aber von einem ähnlichen Zustand war auszugehen.
14. Juni 2021, 10:18 Uhr, Tag 2
Einige Menschen hatten den Bunker verlassen, um die vorherrschende Situation zu begutachten. Bisher war niemand zurückgekehrt, was uns etwas beunruhigte. Wie lange sollten wir noch auf jene Personen warten? Wir konnten nicht ewig in diesem engen Bunker verbringen. Die Totenstille wurde aus dem Nichts unterbrochen. Etliche Schreie. Schüsse. Stampfende Schritte. Unbeschreibliche Geräusche. Stille.
15. Juni 2021, 15:17 Uhr, Tag 3
Noch immer verschanzten wir uns im Bunker, auch wenn unsere mitgebrachten Vorräte allmählich zu Ende gingen. Trinkwasser hatten wir auch keines mehr, sodass wir hier nicht mehr allzu lange verweilen konnten. Wir mussten uns den Gefahren stellen, die uns draußen wohl oder übel erwarteten.
15. Juni 2021, 18:11 Uhr, Tag 3
Als Einziger verließ ich am späten Abend den Bunker, um nach überlebenden Menschen Ausschau zu halten. Natürlich war das um diese Uhrzeit etwas ungünstig, da es schon relativ bald dunkel werden sollte, aber ich konnte meine Mitmenschen einfach nicht mehr ertragen. Lieber sterbe ich draußen, als wenn ich in einem stickigen Bunker verhungere oder verdurste, dachte ich mir. Ich ging die zertrümmerte Hauptstraße entlang und konnte keinerlei Überlebenszeichen entdecken. Sämtliche Bewohner schienen wie vom Erdboden verschwunden, sodass ich vorübergehend in einem älteren Haus Unterschlupf suchte, wo ich die Nacht verbringen wollte.
16. Juni 2021, 02:15 Uhr, Tag 4
Mitten in der Nacht erwachte ich aus dem Schlaf. Es war ein komisches Krächzen zu hören. Langsame Schritte bewegten sich in Richtung Haustüre zu. Etwas kratze und hämmerte draußen. Mein Herz klopfte wie wild und Schweißperlen tropften von meiner Stirn auf den Boden herab. Meine letzte Stunde begann zu schlagen. Alles sollte nun aus sein oder auch nicht?
Mit einem Knall schlug die Haustüre auf und da stand es vor mir. Ich stieß einen gewaltigen Angstschrei aus, doch die Kreatur fletschte nur aggressiv ihre Zähne. Was sollte ich machen? Ich hatte weder eine Waffe noch eine reelle Chance, dem Monstrum zu entkommen. Mit seinen blau leuchtenden Augen starrte es mich finster an, während eine Menge Speichel aus seinem Mund tropfte. War ich wirklich so schmackhaft? Nun, dass sei dahingestellt, aber vor Furcht konnte ich mich kein Stückchen bewegen. Zumindest konnte ich nun erahnen, was diese Sternschnuppen am Himmel waren: Raumschiffe, die außerirdische Kreaturen auf die Erde brachten, um die Menschheit auszurotten!
Ich verblieb in der starren Haltung, als mir das Alien weiterhin in die Augen starrte. Es begann per Telepathie mit mir zu kommunizieren. „Ich bin Xhgpzö, grchz… ein Wesen vom ehemaligen Stern Asterion. Da unser grchz… Heimatplanet zerstört wurde, möchten wir die Erde besetzen, auch wenn das die Vernichtung grchz… eurer Spezies bedeutet. Ich werde dich nun verspeisen, grchz.“ Es war wie in einem kitschigen Alien-Horrorfilm, allerdings mit dem Unterschied, dass dieser keiner Fantasie eines Menschen entsprang, sondern tatsächlich real war. Diese schrecklichen Worte lösten in mir einen wahren Überlebensdrang aus und ich nahm die Beine in die Hand. Schnurrstracks rannte ich durch das Wohnzimmer zum Hinterausgang, allerdings hatte mich die Kreatur bereits grinsend eingeholt. Ehrlich gesagt gab es keinen Ausweg. Ich hätte mich meinem Schicksal einfach hingeben können, aber dennoch wollte ich nicht einfach alles aufgeben!
In letzter Sekunde konnte ich mich in die Küche retten, aber selbst diese war kein sonderlich guter Ort, um sich zu verstecken. Kurzerhand hatte das Wesen die Tür eingetreten. Aus Verzweiflung bewarf ich diese ekelhafte Bestie mit allen möglichen Dingen, die ich nur finden konnte. Pfannen, Tassen, Gläser, Lebensmittel und auch eine Schüssel mit Zimtsternen. Alles wehrte das Alien ohne nur einen einzigen Kratzer ab, bis es bei der Berührung mit den Zimsternen vor Schmerzen zu Boden stürzte und die Flucht ergriff. Ich war gerettet! Zumindest für den Augenblick.
Oft bin ich hier. An meinem Sternengucker-Ort.
Ich liege im Gras, in der Nacht, und schaue zu den Sternen hinauf.
Und dort oben, da sind Sie. Die Sterne, riesige
leuchtende Sonnen, die Milliarden von Licht
-jahren entfernt sind. Dort oben, links. Da ist
das Sternbild Kassiopeia. Der Legende nach
war Kassiopeia die Frau eines Königs, Sie
solle so schön gewesen sein, dass sie den Zorn
der Götter auf Sie gebracht hat, und geopfert
werden musste...
Es ist tragisch... Die Sterne, sie sind so unendlich
schön... Aber niemand kann sie je erreichen. Sie
funkeln in der Nacht, glitzern, wie Lampions auf
einem dunklen See, leuchten so hell und so wunder-
schön, sie spenden Hoffnung, Trost und Zuflucht.
Sie leuchten für dich, egal wie schlecht es dir geht.
Und hier, da sehe ich sie am besten...
Oh! Eine Sternenschnuppe... viel Wirbel um
Nichts, ein paar Kieselsteine aus dem Weltall,
die zur Erde fallen und verglühen... Ein Schweif,
der so lang ist, aber in nur einer Sekunde gezogen
wurde... Kilometerlang, über dem ganzen Nacht-
himmel zu sehen ist sie... Und Leute schauen zu
ihr herauf und wünschen sich etwas...
Ich wünsche mir... dass es nicht passieren wird.
Dieser Moment, dieser Tag, soll in alle Ewigkeiten
weitergehen, wir sind noch so jung, voller Liebe...
Aber ich sollte nicht die letzten Stunden traurig sein.
Schließlich bin ich hier, um es ein letztes Mal
zu genießen...
Hach...
Aber mein Wunsch ist schon in Erfüllung gegangen.
Sie ist hier, mit mir. Ich habe Sie zu meinem Sternen-
gucker-Ort mitgenommen... Jahrelang verstand
ich es nicht. Menschen machten einen
Buckel für ihre „große Liebe“, doch jetzt verstehe ich es...
Ich liebe sie so sehr...
Er hat mich mitgenommen. Heute Morgen
kam er an mein Bett und sagte, ich sollte
einen Picknick-Korb vorbereiten... und dann
hat er mich hier abends hingebracht, zum
letzten Mal... zu seinem Sternengucker-Ort,
wo wir die Sterne anschauen können...
Die wunderschönen, glühenden Sterne...
Manchmal frage ich mich, ob es andere Planeten
gibt, auf denen kleine Männchen hochschauen,
zum Firmament und genau das Gleiche
denken wie wir...
Hach... Wie sehr ich ihn liebe...
Ich legte meine Hand rechts neben mir ins
Gras und schloss meine Augen. Ich fühlte den
nassen Tau an meinen Fingern und atmete tief
ein. Es wird das letzte Mal sein.
Ich schloss meine Augen. Ein kühler Wind fegte
über meine Haut hinweg und meine Hand
rutschte von meinem Bauch, ins Gras links neben
mir... ich spürte die Wärme seiner Hand und legte
meine auf die Seine... Er zuckte zurück und ich lachte.
Wir schauten uns gegenseitig an. Es war ein
Blick voller Leidenschaft, Zärtlichkeit und Trauer.
Es war das letzte Mal.
Es ist so weit.
Wir schauten gemeinsam in den Himmel.
Es war der 21. Dezember 2021.
Die Sterne leuchteten heute besonders hell.
Einer heller als die anderen.
Aber es war kein Stern.
Die letzten Sirenen gingen an.
Sie haben das Datum vertauscht.
2021.. nicht 2012.
Und so.. passiert es nun.
Man konnte den Zusammenprall Lichtjahre weit sehen.
Ein Asteroid, so groß wie der Mond, nahm vergangenen Monat einen
Kollisionskurs mit der Erde auf.
Und jetzt ist nichts mehr übrig.
Nur noch Staub und Kieselsteine...
Und der Sternenstaub fragte sich:
„Schauen Sternengucker an ihren Sterngucker-Orten zu uns herauf?“
„Leuchten wir so schön, wie auch die Sternschnuppen vor uns?“
“Weißt du woher die Sterne kommen?”
Unter uns Irrlichtern erzählt man sich, wer einen Menschen richtig führt, darf hoch in die Sterne steigen.
Doch zu vielen meiner Brüder und Schwestern macht es Spaß, die Sterblichen in ihr Verderben zu leiten. Sie folgen uns aus Faszination überall hin und merken es erst zu spät, wenn sie in einer Situation sind, aus der sie nicht mehr entkommen können.
Nicht so bei den Sternen am Himmel. Sie wachen über alles, was in dieser Welt umher wandelt und helfen jedem, der nach dem richtigen Weg sucht.
Wie Götter thronen sie am Himmel und blicken auf uns herab. Die meisten Irrlichter hassen die Sterne. Sie leuchten heller, doch mehr Menschen wenden sich ihnen zu als uns.
Ich träume davon, eines Tages selbst einer von ihnen zu sein und am Himmelszelt erstrahlen zu können. Mein einziges Problem ist, dass mich die verirrten Wanderer nie sehen. Ich strahle bei Weitem nicht hell wie die anderen Irrlichter.
Eines Nachts machte ich mich wieder auf die verzweifelte Suche nach einem Menschen, den ich leiten konnte. Bis jetzt fand ich niemanden , bevor die anderen Irrlichter ihn mir wegnahmen und tiefer ins Moor führten.
Unser kleiner Wald war eigentlich ganz friedlich und schön, wenn man nicht wusste, was nachts hier passiert. Heute schien der Vollmond über dem klaren Himmel in seiner vollen Pracht und die Sternen schimmerten am Firmament.
Ich schwebte meines Weges durch den Wald - einige Irrlichter flogen an mir vorbei - und ich sah mich nach Menschen um. Meine Hoffnung war nicht besonders groß, als ich aus der Fernen jemanden weinen hören konnte. Ich folgte dem Geräusch eine Weile, bis ich ein kleines Mädchen zusammen gekauert neben einem Baum sitzen sah. Zuerst zögerte ich, da ein paar andere Irrlichter auf sie zu flogen, doch auch sie hielten dann in einiger Entfernung an und musterten die Kleine.
“Seht euch dieses erbärmliche Menschenkind an. Ihre Seele ist es doch gar nicht wert, von uns geführt zu werden. Lassen wir sie allein”, sprach das Größte von ihnen. Sie flogen einfach weiter, ohne Rücksicht auf dieses arme Wesen zu nehmen.
Ich sammelte meinen Mut und näherte mich ihr. Das Mädchen wischte sich ihre Tränen mit einem Arm weg und blickte nach vorne. Sie sah mich und schreckte auf.
“Du brauchst dich nicht vor mir zu fürchten. Ich will dir helfen!”, versuchte ich sie zu beruhigen.
Sie brach wieder in Tränen aus und schrie: “Nein! Du bist ein Irrlicht. Meine Mama hat immer gesagt, dass Irrlichter Menschen auf einen falschen Weg führen und sie nie nach Hause finden!”
Es machte mich traurig, da sie leider Recht hatte. Jedoch wollte ich kein Irrlicht mehr sein. Ich wollte doch einen Menschen auf den richtigen Weg leiten und ein Stern werden!
“Da hast du eigentlich recht… doch ich bin anders!”
Das kleine Mädchen sah mich skeptisch an: ”Beweise es!”
“Nun ja… beweisen? Was wäre denn ausreichend für dich?”
“Sag mir mal, wie du heißt!”
“Namen? Nun ja, wir Irrlichter haben eigentlich keine Namen.”
Sie schmollte, sah mich an und verschränkte ihre Arme: ”Jeder hat doch einen Namen! Ich heiße Lisa!” Sie lächelte mich plötzlich an und reichte mir eine Hand. Ich flog auf sie zu und spürte die Wärme ihres Körpers. Lisa sah mich verwundert an: ”Ich dachte, Irrlichter seien so heiß wie Feuer?”
Ich war beschämt. “Sind sie auch normalerweise… nur bin ich ein ziemlich schwaches Irrlicht. Die meisten Menschen können mich nicht einmal sehen.”
“Wie wäre es, wenn ich dir einen Namen gebe? Dann können wir uns besser kennen lernen.
“Wie würdest du mich denn nennen?”, fragte ich sie.
Sie überlegte kurz und rief dann voller Freude: ”Dust! Ab sofort heißt du Dust!”
“Wieso Dust?”
“Na ja, du siehst ja nicht wirklich wie ein Feuer aus, sondern mehr wie Staub. Wie Sternenstaub!”
Ich spürte wie mein Feuer für einen kurzen Moment vor Freude aufloderte. “Ok, ich vertrau dir jetzt mal meinen größten Traum an”, begann ich und Lisa blickte mich mit großen Augen an. ”Es heißt, wenn ein Irrlicht einen Menschen auf den richtigen Weg führt, dann wird es zu einem Stern!”
“Und du willst auch ein Stern werden?”
“Genau so ist es! Deswegen will ich dir helfen, zurück zu finden.”
“Bring mich zurück zu meinen Eltern”, schluchzte sie. Man konnte in ihren Augen erkennen, dass sie Angst hatte. Angst, nie wieder nach Hause zu kommen. Angst, ihre Eltern nie wieder zu sehen. Wir Irrlichter konnten in gewissen Maßen Gefühle und Gedanken der Menschen lesen. Eigentlich, um sie besser verlocken zu können, doch ich nutzte meine Gabe, um herauszufinden, wo Lisas Eltern waren. In ihren Gedanken sah ich, dass sie am Rande des Waldes campierten. Lisa wollte offenbar eine Erkundungstour machen und verlief sich dabei.
“Ich weiß, wo deine Eltern sind!”, rief ich voller Freude, ”los! Folge mir!”
Mit Lisa im Schlepptau huschte ich durch den Wald, an Bäumen und Irrlichtern vorbei, bis wir endlich am Rande des großen Waldes ankamen.
Ich drehte mich zu Lisa um und fragte sie: ”Bist du dir nun sicher, dass ich dich richtig leite?”
Sie lächelte mich an und ihre Augen fingen an zu leuchten: ”Du bist wahrhaft ein ehrliches Irrlicht.” Ihre Stimme klang plötzlich komplett anders, wie eine hallende Melodie .
”Du bist würdig, einer von uns zu werden!”
“Ich versteh nicht ganz. Lisa, was meinst du damit?”, stammelte ich.
Sie erhob sich ein wenig vom Boden und der Wind peitsche um sie herum.
“Ich bin der große Polarstern und bin gekommen, um die Irrlichter zu testen. Doch sie alle sind nur hinterhältige und böse Wesen. Alle bis auf dich, Dust. Deswegen werde ich dich mitnehmen, um mit uns am Himmelszelt über die Menschen zu wachen.”
Ihre Gestalt wurde immer heller, bis sie nur noch ein leuchtender Ball war.
Ich flog auf sie zu und spürte eine Wärme wie noch nie zuvor. Gemeinsam stiegen wir immer höher, bis wir den Boden hinter uns ließen und am Himmelszelt ankamen.
Und jetzt bin ich dort oben, als Stern. Ich wache über euch alle.
Die Leute sagten, dass der Silver Explorer vor fünfzig Jahren von der Erde losgeflogen war. Ob das stimmte oder nicht, war Amy unbekannt, ebenso der Grund dafür, denn sie war ja nicht dabei gewesen, sondern erst vor zehn Jahren auf dem Raumschiff geboren worden. Alles, was sie wusste, stammte aus den Geschichten, denen ihre Lehrer, ihre Familie, ihre Freunde ihr erzählt hatten. Viele davon widersprachen sich gegenseitig.
Amy saß im Garten mit seinem Kunstrasen und den Plastikblumen hinter dem Wohnhaus, das mehrere Familien beinhaltete, an einem der großen Seitenfenster und blickte hinaus ins All, in dieses große, dunkle Etwas, von dem niemand so genau wusste, was es eigentlich war. In einem waren sich alle Leute hier einig – die Passagiere des Silver Explorers würden irgendwann einen Planeten erreichen, auf dem sie sich niederlassen konnten. Einen wie die Erde, die Amy nur aus Erzählungen kannte.
Im Unterricht hieß es, dass die Menschheit nach getaner Arbeit auf ihrem Heimatplaneten neuen Gebieten entgegenstrebte, ihr Gebiet erweitern wollte. Dennoch hieß es von den meisten Leuten, die die Erde noch miterlebt hatten, dass es eher eine Flucht gewesen war vor den menschengemachten Katastrophen, die dort geherrscht hatten.
Amy wusste nicht so ganz, wem sie glauben wollte.
Einerseits war es natürlich glaubhafter, was alle sagten und nicht nur die Lehrer. Andererseits hatte sich Amy in ihrem Kopf ein Bild von der Erde gebastelt, das hübsch war. Mit grünen Wiesen, die aus echtem Gras bestanden und nicht dem Kunstrasen, den es hier gab. Blumen sprossen überall, Häuser waren keine grauen Wohnblöcke, sondern wahre Kunstwerke, die Straßen in den großen Städten, die nach Kaffee und Brot dufteten, beheimateten viele verschiedene Menschen und ihre Haustiere, jeder mit seiner eigenen Geschichte, seinem eigenen Stil, seiner eigenen Art.
Sie hoffte, dass der neue Planet, den sie irgendwann erreichen würden, so schön werden konnte wie ihre ganz persönliche Erde.
Aber noch sah sie bei ihrem Blick aus dem Fenster nichts als Millionen und Abermillionen von Sternen. Große Sterne, kleine Sterne, manche schienen nah, manche fern, aber alle leuchteten sie hell und ließen das dunkle, kalte, luftleere All einladend wirken. Wenn sie so in die unendlichen Weiten schaute, hatte Amy das Gefühl, sie müsse nur die Hand ausstrecken und könnte sich eine Sternschnuppe fangen, als Glücksbringer oder vielleicht auch nur, um zu wissen, wie es sich anfühlt.
Amy tippte an ihrem Computer den Monatsbericht des Silver Explorers. Ihre Arbeit in der Verwaltung war öde und langwierig, aber wurde immerhin recht gut bezahlt. Warum man auf einem Raumschiff, auf dem es ohnehin nur um die zweitausend Leute gab, überhaupt noch Geld brauchte, würde sie nie verstehen.
Das Beste an ihrer Aufgabe war aber nicht die Bezahlung, sondern der Ausblick. Sie hatte Glück gehabt und einen Platz am Fenster erwischt. Man sollte meinen, für jemanden, der das All nun schon seit dreißig Jahren kannte, sei es langweilig, immer dasselbe zu sehen, und viele dachten auch so, aber Amy hatte das besondere Talent, immer wieder etwas Neues zu entdecken. Andere Sterne, andere Planeten in der Ferne, und es machte ihr unheimlich Spaß, aus den leuchtenden Punkten dort draußen im Kopf Bilder zu machen. Es war ein Wunder, dass man sie noch nicht gefeuert hatte, so oft, wie sie verträumt ins All schaute, statt ihre Arbeit zu machen.
Und noch etwas gab es, das den Alltag erträglich machte: Informationen. Die meisten Leute bekamen nicht viel mit, was den Fortschritt der Mission anging, aber sie schnappte doch das eine oder andere auf. Zum Beispiel, dass die neue Erde, über deren Benennung immer noch fieberhaft diskutiert wurde, in etwa fünfzig Jahren erreicht werden würde.
Wenn sie daran dachte, musste sie grinsen. Sie würde es noch miterleben. Irgendwann, wenn sie alt und grau war, würde der Silver Explorer landen. Und sie könnte vielleicht auch mitwirken, um den Planeten zu ihrem Utopia zu machen.
Es war ein schicksalhafter Tag, an dem der Silver Explorer den Boden von Gaia das erste Mal berührte. Amy hob den Blick von ihrem Fenster im Garten – es hieß, erst einmal müsse Gaia erkundet werden, um sicherzugehen, dass alles gut verlaufen würde, weshalb sie sich keine Eile machte.
Dennoch raste ihr Herz, als sie sich eine weißgraue Haarsträhne aus dem Gesicht strich und ihre Blicke die unbekannte Umgebung da draußen aufsogen. Es war anders, als sie sich es vorgestellt hatte. Besser? Das konnte sie nicht sagen. Schlechter auch nicht. Einfach … Anders.
Seltsame Bäume, ganz anders als die auf den Bildern, waren in der Ferne zu sehen, doch momentan stand das Raumschiff auf einer flachen Ebene, aus der hier und da Grashalme hervorlugten. Was hinter diesem kleinen Ausschnitt einer neuen Welt lag, blieb ihr noch verborgen.
Es war anders als der stetige Ausblick, den sie ihr Leben lang gehabt hatte. Diese Welt war nicht gespickt mit leuchtenden Sonnen auf einem dunklen Hintergrund, wenn man sie ansah, sie war endlich, im Vergleich zum immerwährenden All gar so klein.
Aber als sie nach oben schaute, in den Nachthimmel über Gaia, fand sie das ihr bekannte Sternenmeer und fühlte sich doch ein Stückchen mehr zuhause.
Manchmal lügt uns der Himmel vor, dass jetzt noch ist, was gestern war.
Es knallte und ihr Atem brach in hastiger Panik aus. Stille deckte sie zu. Stetig tropfte Regenwasser, welches durch eine undichte Stelle in der Decke hereinkam, dem Mädchen auf den Nacken. Fließend schlängelte sich das kühle Nass ihre vom warmen Puls bebende Halsbeuge herunter und grazil ihre hervorstehenden Schlüsselbeine entlang. Gerne hätte sie sich woanders hingesetzt, doch ihre Position war der sicherste, am besten vor Einsicht geschützte Ort gerade. Sie wusste nur nicht, wann gerade aufhören würde. Vor ihren gehockten Beinen lag ein vergilbtes, halb zerknülltes Blatt Papier auf den vollgesogenen Holzdielen. Ein Stift zwischen ihren zitternden Fingern. Warum traf sie ausgerechnet jetzt diese Erinnerung, von der sie nicht einmal wusste, dass sie noch existierte?
[…]
Die Vögel zwitscherten, das Firmament war in frischem Himmelblau gestrichen. Das Bett ihres kleinen Bruders blieb leer. Viele Tage davor hatte er mit einer Lungenentzündung darin gelegen, nachdem der Junge in den frühlingskalten Bach auf der Kuhweide hinter dem Fachwerkhaus gefallen war. Viele Tage ließ seine große Schwester ihn zwischen einem der abgewetzten Bücher aus dem Regal, das nach ergrauter Kiefer roch, aussuchen, damit sie ihm eine Gutenachtgeschichte vorlesen konnte. Jeden der vielen Tage erzählte sie vom hässlichen Entlein.
Es war dieser Tag, an dem ihre Lippen kein Wort verließ. Tränen verließen ihre Augen und sie verstand nicht. Viele Tage hatte das Mädchen geweint, weil er Schmerzen hatte und nichts helfen konnte. Es war dieser Tag, an dem sie weinte, obwohl ihr Bruder keine Schmerzen mehr hatte und nichts helfen brauchte. Ihre Mutter umspann sie mit ihren Armen wie ein Rettungsring, ließ ihre Finger durch die schwarzen Strähnen ihrer Tochter fahren, während sie von einem lügenvollen Himmel erzählte.
Erinnerungen sind wie Sternenlicht, das wir Nachts am Himmel sehen. Jeder Stern erlischt irgendwann. Aber manchmal muss das Licht, das sie strahlen, so weit und lange reisen, dass der Stern schon erloschen ist, wenn es bei uns ankommt. Sternenlichter sind wie Erinnerungen. Sie gaukeln deinem Kopf vor, dass etwas jetzt da ist, das eigentlich gestern war.
[…]
Ihre Nase lief, doch sie konnte nicht schnauben, keine lauten Geräusche erzeugen und war somit ihren Regungen machtlos ausgesetzt.
Ich bin nicht gestern, darum kann ich dir die Wahrheit erzählen.
Sie stockte, hob die Stiftspitze des in die Hälfte gebrochenen Bleistifts von der rauen Fläche des Papiers. Mit gespitzten Ohren lauschte sie, was um sie herum geschah. Nicht weit von ihr war ein Fenster, das eher einem Loch glich. Ein Gerippe. Schweres Schuhwerk löste sich mit stetigem Schmatzen vom Boden. Entfernt. Weit genug. Noch.
Gestern war ich das erste Kind von Mama und Papa und hatte eine Bruder gehabt. Es gab Dinge, an die ich glaubte, zu denen auch meine Familie zählte. Gestern war natürlich nicht wirklich gestern, doch ich weiß schon lange nicht mehr, wann es tatsächlich gestern gewesen war. Heute ist alles anders.
Sie rieb sich die müden Augen und musste ein Stöhnen unterdrücken, als sie dabei unwillkürlich ihr Gewicht verlagerte.
Der letzte Moment ist jetzt schon gestern.
Ihr Kopf schnellte herum, ihre Stirnfransen flogen der Bewegung hinterher. In gespannter Erwartung lies sie das Rauschen des Regens ganz aufmerksam ihre Ohren erfüllen, dem vorigen Moment nachhorchend, der anders gewesen war. Eine Unebenheit im immerwährenden Trommeln des Wolkenbruchs. Ihr Brustkorb hob und senkte sich kräftig, weiß stand ihr jeder Atemstoß vor dem Gesicht. Ihre trockene Kehle machte Geräusche, das Mädchen versuchte es durch Schlucken zu tilgen, doch sie verschluckte sich und warf sich im nächsten Moment halb vornüber, um einen Hustenanfall zu unterdrücken. Tränen stiegen ihr erneut in die Augen, ein kräftiges Kratzen in den Hals. Schmerzen. Nun hing sie fast mit der Nasenspitze an dem Papier und packte den Stift fester.
Mein Papa glaubte viel. Mama nickte. Und weil er so fest daran glaubte und sie nickte, glaubte auch ich daran. So hatte ich eine Familie und den Glauben an sie, der mich wie ein Haus vor allen Wettern schützte. Und ich hatte mehr. Meine Mama sagte immer, dass ich ein sehr schlaues Mädchen sei und später mal Ärztin werden sollte. Ich nickte. Mit dem Glauben – lernte ich irgendwann – war es wie mit echten Häusern, in denen echte Menschen wohnen. Manche sahen wie unseres aus, andere ganz anders. Nicht alle Menschen finden die Häuser, welche sich von ihren unterschieden, schön und dann sind da Menschen, die meinen alle Häuser, die nicht wie ihre aussehen, sind falsch. Es ist falsch, ein Haus zu bauen, das anders aussieht. Und sie wollen kein anderes Haus dulden. Solche Menschen habe ich kennen gelernt und musste zusehen, wie sie alle Häuser zerstörten. Es blieb nur noch eine Erinnerung an die Menschen, die dort wohnten. Sternenlicht. Es kam der Tag, an dem die Sterne mir dieselben Lügen von meinen Eltern wie von meinem Bruder erzählten. Und dann war nur noch ich jetzt.
Irgendwann hatte ich ein Gewehr in der Hand, das ich ihren entgegen hielt. Ich weiß nicht mehr, für was ich es benutzt habe, sie aber ihres, weil ich im falschen Haus wohnte. Die Waffe habe ich auch jetzt noch, aber keine Munition. Auch keine Familie oder ein Haus oder eines, das mich vor den Stürmen im Leben schützt, vor denen mich ein echtes Haus nicht schützen konnte. Wie das leere Bett meines Bruders.
Ich habe nur noch – Mich.
Unter ihrem Atem ließ sie ein kleines Wimmern verlauten, legte ihre Stirn für einen Moment auf das Papier und spähte zu ihrem blutverschmierten Knie, das sie ignorierte. Sie war bei der Flucht von ihrem letzten Versteck die Treppe heruntergefallen. Ihr Knie knallte lauter als die Dielen, auf welche sie gestoßen war.
Ganz alleine. Und über mir ein Himmel voller Lügen. Aber manchmal denke ich, dort sieht es weniger einsam aus. Es gibt Nächte, in denen alle Ruinen in Schwärze liegen und man so viele Sterne am Himmel sieht, das da fast kein Schwarz mehr ist. Aber ich mag diese Nächte nicht, manchmal werden ihre Geschichten so laut, dass ich hoffe, sie wären die Wahrheit und dass noch Glut zum Nachfeuern da ist. Doch die Sterne sind nur das Echo von dem, was gestern gewesen ist. Die seltensten Nächte wird der Boden erhellt, dann sehe ich all die Leichen zwischen Schutt und Asche, die mir keine falschen Hoffnungen machen. Nur Dunkelheit in ihren Augen. Das ist besser als das nachthimmlische Glimmen, welches mich denken lässt, gestern wäre auch heute. Dass mein Bruder im Bett liegt und darauf wartet, vom hässlichen Entlein zu hören, wie es zum großen Schwan wird in all seiner Pracht. Dass min Papa an Dinge glaubt und Mama dazu nickt. Alles Sternenlicht.
Das Schmatzen, die Unebenheiten im prasselnden Rhythmus des Regens wurden lauter, sie verbiss sich in ihre Unterlippe um nicht zu zittern, nicht zu weinen.
Doch ich sitze in der Fremde und das Bett ist kalt. Ich wäre sicherlich eine furchtbare Ärztin geworden, weil ich eigentlich Angst vor Silberbesteck habe – aber das habe ich meiner Mama nie erzählt. Es war mir peinlich. Niemand hat Angst vor Löffeln oder Essgabeln. Angst kennt keine Logik. Da komme ich mit meiner Schläue nicht weit.
Sie konnte kaum noch etwas sehen, griff nach ihrem Knie, um sich auf die kommende Belastung vorzubereiten, setzte ihre Füße auf den Boden. Gleich würde gerade vorbei sein. Sie musste schneller sein.
Und ich erzähle das alles, weil niemand sonst mehr da ist außer diesem Blatt Papier. Alle sind gestern, nur ich bin heute. Das Blatt war gestern schon, ist noch heute und wird morgen sein. Und ich halte mich daran fest, obwohl es mir zeitlich überlegen ist, mir aus der Hand fallen kann. Ich schreibe nieder, was für mich gestern und heute war. Das Blatt wird mein Sternenlicht sein.
Sie kritzelte hastig die letzten Zeilen und stopfte das Blatt zwischen zwei Dielen, bevor sie, soweit wie es ging, geschmeidig ein Stück den Boden entlang kroch und sich um eine Ecke wand. Die entgegengesetzte Richtung, aus dem das Schmatzen kam, einschlug. Es knallte.
Ich schreibe diesen Brief …
Ihr Atem brach in hastiger Panik aus.
… für Morgen.
Stille deckte sie zu.
Denn wenn jemand diesen Brief findet, werde ich schon lange gestern sein – wie ein Stern.
Es ist definitiv zu kühl für den Spätsommer. Trotzdem liege ich auf dem Rücken im Gras, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, und sehe in den Nachthimmel. Die Nacht ist kurz vor der Dämmerung am dunkelsten, das merke ich deutlich. Irgendwo hinter mir steht der Mond am Himmel. Ich habe keine Augen dafür.
Mein Blick ist mitten in das schwarze Meer mit den funkelnden Pünktchen gerichtet. Früher dachte ich, es wären Glühwürmchen, die da am Himmel umher schwirren. Mittlerweile sind das nur noch Erinnerungen für mich. Erinnerungen an eine Zeit, in der das Leben groß und aufregend und voller Magie war. Ein Comic-Warzenschwein aus einem alten Film hat mir beigebracht, dass es in Wirklichkeit Gasriesen sind, Lichtjahre von uns entfernt.
Heute ist die Magie verschwunden. Wenn ich in der Schule sitze und lerne, wenn ich mich mit Freunden treffe, oder wenn ich Joggen gehe – alles ist entzaubert.
Es gibt nur einen Ort, an dem ich die Magie noch spüren kann, und das ist die Wiese hinter der verlassenen Kirche. Das Dach ist vor Ewigkeiten schon eingestürzt. Aus den Ritzen zwischen den Steinfliesen am Boden sprießt das Gras. Die Natur erobert sich ihr Territorium wieder. Wenn es nicht finsterste Nacht wäre, würde man auch die Wurzeln sehen, die sich durch die halb kaputten Wände gebohrt haben.
Ich fröstele kurz in einem aufkommenden Windhauch.
„Alex? Bist du da?“ Ich spitze die Ohren. Eine Stimme ruft meinen Namen. Dem Klang nach zu urteilen gehört sie Jack, meinem besten Freund. Er ist der einzige, der mein „Geheimversteck“ kennt. Um zu dieser Wiese zu gelangen, muss man einmal quer durch das marode Kirchenschiff laufen und hinter dem Altar durch ein großes Loch klettern. Das Echo seiner Stimme hallt von den verlassenen Wänden wider.
„Ja. Bin hier“, erwidere ich leise. Ich will heute nicht gestört werden, auch von Jack nicht. Diese sternenklaren Nächte sind Schätze, die ich mit niemandem teilen will.
Kurz darauf steigt er durch die Spalte in der Chormauer und sieht mich im Gras liegen.
„Komm mit! Ich muss dir etwas zeigen“, sagt er aufgeregt.
„Ich will nicht“, protestiere ich.
„Du kannst auch morgen wieder hier liegen. Komm schon.“
„Es ist zwei Uhr Nachts. Normale Menschen schlafen um diese Zeit.“
„Hab dich nicht so. Jetzt mach schon!“, drängt Jack. Ich unterdrücke meinen Ärger darüber, dass er meinen Moment kaputt gemacht hat, nur mühsam, und erhebe mich.
„Wir müssen schnell sein. Es dauert nicht lang.“
„Was dauert nicht lang?“
„Überraschung“, grinst er mich an, dann dreht er sich um und geht in die Kirche zurück. Ich reibe mir den Hals und folge ihm. Ich würde mir kurz ansehen, was auch immer er mir zeigen will, und mich dann wieder hinlegen. Kein Problem.
Er führt mich durch die Kirche und hält auf den Kirchturm zu, dessen Eingang sich im Erdgeschoss zwischen zwei Säulen befindet. Ich achte genau auf meine Schritte, um nicht im Dunkeln zu stolpern.
„Halt“, sage ich nur, und reibe mir nochmal den Hals. Eine kleine Angewohnheit, seit mir die Haare nur noch bis übers Kinn reichen und mir öfters mal kalt im Nacken wird.
„Was denn?“, fragt Jack erstaunt.
„Da ist es nicht sicher. Der Turm kann jeden Moment einstürzen.“ Auf meine Worte hin grinst er nur. Typisch Jack. Nicht nachdenken, einfach machen, das ist seine Devise. Das ist aber auch der Grund, wieso ich ihn so sehr mag – ich könnte nicht einfach loslassen und drauflos stürmen so wie er. Er kommt zurück und legt mir einen Arm um die Schultern.
„Alex, Alex. Wir haben nicht mehr viel Zeit, bevor wir aufs College gehen und uns trennen müssen. Nur noch ein Jahr. Ein Jahr, verstehst du? Das müssen wir ausnutzen. Lass uns was erleben! Scheiß auf das Warnungsschild da. Komm einfach mit.“ Ich streife seinen Arm ab und trete näher an die Öffnung, in der früher mal eine Tür aus Holz hing. Mit einem flauen Gefühl in der Magengrube sehe ich nach oben. Eine schmale Wendeltreppe schraubt sich in die Höhe. Absolute Finsternis empfängt uns.
„Okay. Dieses eine Mal. Aber sobald irgendetwas auch nur knackt, hauen wir ab, kapiert?“
„Wird es nicht. Ich pass auf dich auf, wie immer“, lacht er.
Das flaue Gefühl verstärkt sich, aber ich ignoriere es und lasse Jack den Vortritt. Er setzt einen Fuß auf die unterste Stufe, verlagert sein Gewicht, reckt dann einen Daumen in die Höhe.
Ich bleibe dicht hinter ihm, als er sich an der Wand entlang drückt und Stufe um Stufe erklimmt. In der Mitte der Treppe ist der Stein arg abgelaufen, als wären diese Stufen millionenfach benutzt worden. Mir kommt ein neuer Gedanke.
„Was willst du mir denn da oben zeigen? Da gibt es doch nichts mehr außer Spinnweben.“
„Es-“, fängt er an, wird aber unterbrochen. Ein lautes Knacken geht durch die Stufe, auf der er gerade steht. Wie in Zeitlupe bricht ein großer Teil des Steins weg. Jacks rechter Fuß verliert den Halt und sackt in die Tiefe.
Ich sehe, wie er fällt. Wie um ihn aufzuhalten, strecke ich die Hand aus und höre einen Aufschrei. Ist es meine Stimme? Wieso klinge ich so panisch? Jack kann hier nicht sterben. So etwas passiert nur im Fernsehen oder im Kino. Im richtigen Leben fallen Menschen nicht einfach durch marode Treppen!
Sein Ellbogen schnellt im allerletzten Moment vor und kracht auf die obere Stufe, sodass Jack zwischen den Stufen in der Öffnung hängt. Für ein paar Augenblicke ist es totenstill. Ich höre unser beider Atem laut in der sonstigen Stille.
„Alexis, hilf mir“, sagt Jack dann mit unnatürlich ruhiger Stimme. Ich knie nieder und greife nach seinem Arm. Allerdings ziehe ich ihn mit zu viel Schwung hoch, er kommt mir entgegen und wirft mich zu Boden.
„Geh von mir runter“, sage ich, noch immer benommen davon, wie schnell das alles eben ging. Jack lacht kurz auf. Wahrscheinlich ist er geschockt oder hysterisch. Immerhin wäre er beinahe zu Tode gestürzt.
„Oh, nein“, ruft er dann, steht auf und reicht mir die Hand. Meine Augen haben sich an die Dunkelheit gewöhnt und ich sehe, dass wir beide total verdreckt sind. Ich nehme seine Hand und lasse mir aufhelfen.
„Wir verpassen es. Komm, wir müssen weiter“, sagt er atemlos. Ich klopfe mir ein wenig Staub von der Jeans, schüttele dann den Kopf.
„Vergiss es. Wir drehen um. Ich habe dir gesagt, dass es nicht sicher ist!“
„Aber es fängt gleich an“, ruft er und rennt los, wobei er die Stufe überspringt, die unter ihm weggebrochen ist. Ich starre ihm hinterher. Ist er wahnsinnig? Wir sind noch lange nicht oben, und das wird nicht die letzte Stufe sein, die einbricht.
„Verdammter Idiot.“ Ich presse mich wieder an die Wand und folge Jack, nun auch meine eigene Dummheit verfluchend. Was ist in mich gefahren? Wieso mache ich das mit?
Weil es Jack ist. Er bringt mich immer dazu, Grenzen zu überschreiten. Das Adrenalin rauscht in mir. Mit jeder Stufe, die ich hinauf steige, fühle ich mich stärker, bis es sich zu einer Art Unbesiegbarkeit aufschaukelt. Wir beide im Kampf gegen die Dunkelheit.
Ich steige die letzten Stufen hinauf und erreiche die Turmspitze. Ursprünglich war hier wohl mal ein Dach. Die Wände sind bis auf ein paar Trümmer ruiniert. Es gibt kaum Schutz vor einem Fall. Jack wartet schon auf mich.
„Hier geht es bestimmt dreißig Meter tief runter. Pass bloß auf“, sagt er zu mir. Ich verschränke die Arme vor der Brust.
„Ja und? Hier gibt es nichts.“ Meine Wut ist verraucht, das Adrenalin fort – ich fühle mich überraschend erfrischt.
„Doch“, sagt er nur, und legt sich neben einer der zerfallenen Mauern auf den Steinboden des Turms. Ich starre ihn verständnislos an.
„Willst du mich verarschen?“
„Nein! Leg dich hin.“
„Liegen konnte ich unten auch.“
„Aber nicht so gut wie hier. Hier bist du viel näher dran“, erwidert er ernst. Ich halte inne. Letztendlich will ich nur in den Himmel sehen, also sollte ich ihn nicht deswegen beleidigen.
Ich lege mich neben Jack und spüre den kühlen Stein unter mir.
„Der Himmel ist viel näher“, flüstert er. Ich brauche einige Momente, um meinen Atem zu beruhigen.
„Ja“, erwidere ich eben so leise. Die Milchstraße fließt über uns hinweg.
„Ich wollte, dass du es siehst. Dann erinnerst du dich an mich, wenn du in Oregon aufs College gehst und abends die Sterne ansiehst“, sagt er.
„Dass ich-“, fange ich an, stocke dann jedoch. Streifen aus Licht erscheinen am Nachthimmel und ziehen kurze Bahnen. In mir flammt die Erkenntnis auf. Jack hat von diesem Meteorschauer gewusst! Meteoriten sind Steinbrocken, die in die Erdatmosphäre eintreten und verglühen. Bei uns auf der Erde sind sie aber unter einem anderen Namen bekannt.
„Sternschnuppen“, sage ich, völlig gebannt von dem Anblick.
„Es sollte eine Überraschung werden“, gibt Jack zu. Ich drehe den Kopf und sehe ihn an, er hat den Blick allerdings in die Sterne gerichtet.
„Danke, Jacky. Das meine ich ernst“, sage ich ruhig.
„Du darfst dir was wünschen, Alex.“ Es wird still. Ich spüre die Magie wieder.
„Habe ich schon.“
„Kommt, setzt euch zu mir“, erklang die raue Stimme der alten Dame, welche mit ihrem gebeugten Rücken und der schlichten Kleidung zwar eigentlich recht unscheinbar wirkte, deren Präsenz aber den ganzen Raum der kleinen Stube einzunehmen schien. In einem hölzernen Schaukelstuhl thronte sie vor einem angenehm knisternden Feuer und hatte gerade ihre Strickarbeit niedergelegt, um die Kinder aus freundlich funkelnden Augen zu mustern, welche sich eilig um sie scharrten. Es waren genau sechs Stück. Zwei davon waren ihre Enkel, die anderen waren vermutlich irgendwelche Kinder aus der Nachbarschaft. Sie war inzwischen zu alt, um sich die ganzen Namen merken zu können, die ihre zwei Lieblinge nannten, wenn sie von allerlei abenteuerlichen Dingen berichteten.
Sie wartete kurz, bis ein jeder es sich auf geschwind herbeigeholten Kissen auf dem Boden bequem gemacht hatte, um erneut ihre Stimme zu erheben und den Kindern das zu geben, was sie sich wünschten. Ein einziger Blick genügte, um die Vorfreude in ihren Gesichtern zu erkennen.
„Hört gut zu. Ich werde euch eine Geschichte von lang vergangener Zeit erzählen. Eine Geschichte, die so alt ist, dass selbst meine Großmutter sie nur aus Erzählungen kannte.“ Auch wenn ihre Stimme ihre jugendliche Geschmeidigkeit verloren hatte, war sie noch immer eine begnadete Geschichtenerzählerin. Das Alter konnte ihr eben doch nicht alles nehmen. „Wer von euch kann mir sagen, wie der helle Stern heißt, welcher als Erstes erstrahlt und euch nachts den Weg weisen kann?“
„Nordstern“, erklang die Stimme eines kleinen Mädchens links von ihr, wessen hellblonde Haare in zwei Zöpfe geflochten waren. Unsicher, als würde sie bei der nächsten Gelegenheit ihre Aussage zurücknehmen, schaute sie die Ältere an. Aber ihr Blick gewann umso mehr an Sicherheit und Stolz, als die Geschichtenerzählerin ihr wohlwollend zunickte.
„Ganz recht, mein Kind. Es ist der Nordstern. Aber was ist, wenn ich euch sage, dass er nicht immer Nordstern hieß und auch nicht immer vom Firmament aus den Weg gewiesen hat?“ Ihre Zuhörer bewegten aufgeregt den Mund, aber ihre Ohren hatten schon zu lange jedes kleinste Geräusch erfasst, als dass sie ihr nun noch dienen wollten. Trotzdem huschte ein Lächeln über ihr Gesicht; die Frage hatte ihre gewollte Wirkung erzielt. „Vor vielen, vielen Jahren, im Reich der Sternenkinder hoch über unseren Köpfen, lebte ein Sternenkind, welches Nordschimmer gerufen wurde. Er tollte täglich über die weiten Flure seiner Heimat und vergnügte sich dort mit seinen Freunden. Ach wie sehr hatten sie alle ihren Spaß, wenn sie sich in goldenem Gras rollten oder in kristallklaren Bächen schwammen. Wie hübsch waren sie anzusehen, in ihren weißen Hemdchen und ihrem sanften Leuchten. Des Nachts konnten sie die Bäche in ein wunderschönes Meer aus tausend funkelnden Lichtern verwandeln, wenn sie sich im Wasser treiben ließen und zahlreiche Edelsteine vom Grund ihr Leuchten reflektierten. Doch eine Nacht sollte vieles ändern -“
„Was ist passiert?“, unterbrach die aufgeregte Stimme ihres Enkels die Erzählung. Sie warf dem Kleinen einen strengen Blick zu, der daraufhin entschuldigend grinste. Ein Lachen konnte sich die in die Jahre gekommene Frau dabei nicht verkneifen. Sah er auch einfach zu putzig aus, wie er da mit Sommersprossen und wuscheligen, orangefarbenen Haaren saß und eine Grimasse zog.
„Es war eine Nacht wie jede andere auch“, fuhr sie fort, „Nordschimmer und seine Freunde wollten mal wieder schwimmen, allerdings gingen sie dieses Mal an eine ihnen noch unbekannte Stelle des Flusses, von der sie gehört hatten, dass sie besonders schön sein solle. Und tatsächlich, das Wasser schien hier noch klarer, die Edelsteine auf dem Grund des Flusses noch zahlreicher zu sein. Große Trauerweiden mit kupfernen Blättern säumten den Flusslauf und ließen die Spitzen ihrer Zweige sanft im klaren Nass wiegen. Wie in einem Traum erschien es den Sternenkindern, als sie durch den Vorhang aus Blättern traten, der Mond alles in ein geheimnisvolles Licht tauchte und das sanfte Rauschen des Wassers der Szene den letzten Schliff verlieh. Es herrschte ehrfürchtige Stille, als alle nach und nach in den Fluss eintauchten. Allerdings dauerte diese Ruhe nicht lange an und schon bald hörte man sie vergnügt planschen.
Nordschimmer war gerade dabei ein anderes Sternenkind namens Aurora nass zu spritzen, als er plötzlich inne hielt. „Da war doch was“, flüsterte er mehr zu sich selbst als zu sonst irgendjemandem, aber das Mädchen vernahm seine Worte trotzdem.
„Wo ist was?“, fragte sie mit gesenkter Stimme. Als hätte sein Flüstern auch ihre Stimme automatisch leiser gezaubert, war es ihr gar nicht in den Sinn gekommen, ihn laut und deutlich zu fragen.
„Dort … Dort war ein Leuchten!“
„Bist du dir ganz sicher? Hier sind doch nur wir“, erwiderte sie und blickte in die Richtung, in die auch Nordschimmer starrte. Er war sich inzwischen aber absolut sicher, dass er sich nicht geirrt hatte. Ohne ein weiteres Wort machte er sich auf, um herauszufinden, wer oder was dort geleuchtet hatte.
„Hey!“, erklang der leise Protest Auroras, als sie sich eilig daran machte, ihrem Freund zu folgen. Nachdem beide sich einige Schritte vom Fluss entfernt hatten, in dem sich die anderen Sternenkinder weiterhin vergnügten, sahen sie nun, was Nordschimmers Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Aus einem Loch in der Erde schien schwach, aber deutlich erkennbar Licht zu schimmern. Etwas Derartiges hatten sie bisher noch nie gesehen. Ängstlich zog das Mädchen den neugierigen Jungen an seinem Hemdchen. Ihr war das Ganze nicht wirklich geheuer. „Lass und umkehren und zu den anderen gehen“, sprach sie und hoffte inständig, Nordschimmer davon abhalten zu können, immer näher an diese seltsame Öffnung zu treten. Aber dieser schien es gar nicht zu bemerken und starrte auch weiterhin wie hypnotisiert auf die Stelle seines Interesses. Inzwischen standen die Zwei direkt am Rande des Abgrunds und blickten herab. Es war ein Meer aus Schwarz, in dem sich viele kleine, helle und bunte Lichter auf einem Haufen tummelten; viele bewegten sich dabei auch noch. Es war, also kämen ständig Neue hinzu, die sich in der Masse verloren und mit ihr vermischten, während sich zeitgleich auch immer wieder einzelne Lichtpunkte von den anderen entfernten.
„Was das wohl ist?“, sprach Nordschimmer seine Gedanken laut aus. Ihn faszinierten diese Lichter, hatte er doch noch nie etwas Vergleichbares gesehen.
„Wir sollten gehen. Jetzt!“, erklang es von Auroras Seite und indem sie ihren Freund fest am Arm packte und weg von dem Loch zog, versuchte sie ihren Worten Geltung zu verschaffen. Unwirsch wollte sich der Junge aus dem Griff lösen und riss seinen Arm in die entgegengesetzte Richtung.
„Lass los!“, rief er noch, aber da war es bereits zu spät. Aurora hatte ihn so unbedingt von diesem Etwas wegbringen wollen, dass sie nicht im Traum daran gedacht hätte, loszulassen. So stolperte sie in Richtung Abgrund und ehe sie sich versah, fiel sie in tiefes Schwarz.“
„Nein! Aurora soll nichts passieren!“ Das Mädchen mit den zwei Zöpfen links von ihr blickte die Erzählende verzweifelt an. Aurora war ihr wohl ans Herz gewachsen und nun bangte sie um deren Schicksal.
„Hör bis zum Ende zu, mein Kind. Dann erfährst du, wie es weiterging“, sprach die alte Frau mit tröstender Stimme und streichelte dem Kind sanft über den Kopf, bevor sie fortfuhr: „Nordschimmer blickte ihr für den Hauch einer Sekunde fassungslos hinterher und sah, wie ihr leuchtender Körper immer weiter nach unten fiel, bevor er ohne nachzudenken hinter her sprang. Kopfüber stürzte er sich hinunter, um seiner Freundin zu Hilfe zu eilen. Die Schwärze verschlang sein Licht; er konnte nichts erkenne außer den hellen Punkten und Auroras schwachem Leuchten unter ihm.
„Ich komme!“, rief er ihr hinterher, wobei seine Worte keine Chance hatten, sie zu erreichen und vom Wind des Falls gnadenlos hinfort gerissen wurden. Tatsächlich schaffte er es aber, sie nach und nach einzuholen. Aus großen, furchtsamen Augen blickte sie ihn an und salzige Tropfen flogen nach oben. Wie nach einem rettenden Strohhalm greifend streckte sie ihre Hand in seine Richtung. Sacht berührten sich zunächst nur die Fingerspitzen der beiden, doch schon bald umschlossen sich ihre Finger und sie fielen nun gemeinsam immer weiter nach unten. „Es wird alles gut. Ich hab dir doch versprochen, immer auf dich aufzupassen!“, brüllte Nordschimmer, damit seine Worte, über das laute Rauschen des Falles hinweg, den Weg zu ihr fanden. Er wusste zwar nicht, wie er sie beide retten könnte, aber irgendwie musste es doch möglich sein!
Aurora vertraute ihm, hatte er doch bisher immer seine Versprechen gehalten. Zuversichtlich lächelte sie ihn an, woraufhin ihn eine schier unglaubliche Entschlossenheit packte. Plötzlich begann er heller zu strahlen als je zuvor und ihr Fall verlangsamte sich. Aurora leuchtete nun auch, allerdings in allerlei bunten Farben. Sanft schwebten sie nun nach oben und als sie nach einer Weile getrennt wurden, wussten beide, dass nun alles in Ordnung war und sie für immer zusammen sein würden.
Nordschimmer fand seinen Platz am Firmament und war nun zu einem Stern geworden, während Aurora ihn von da an des Nachts in bunter Farbenpracht besuchte. Seit dem ist dies die Geschichte von voreiliger Neugierde und großer Freundschaft“. Die alte Frau verstummte und blickte zufrieden in die erfreuten Gesichter ihrer jungen Zuhörer. Geschichten schufen Ewigkeiten und diese würde die Zeit für immer überdauern, das wusste sie.
Hey du, siehst du das auch? Die Sterne funkeln so schön. Ich liege im weichen Sommergras, an diesem angenehm warmen Abend. Der Himmel ist klar, und ich kann weit in die Tiefen des Universums blicken. Ich sehe zahlreiche Sterne. So viele, dass ich sie gar nicht alle zählen kann. Es ist so als blicken sie auf mich herab, während sie langsam über den Horizont wandern. Manche Sterne bilden wunderbare Sternenbilder, die schon vor vielen Hundert Jahren von unseren Vorfahren entdeckt wurden. Sie erzählen ihre eigenen Sagen und Geschichten, und sind wie Denkmäler an den Himmel gefestigt. Zum Beispiel der mächtige Jäger Orion mit seinen berühmten und hellen Sternen, und nicht zu vergessen den Orionnebel, Brutstätte vieler neuer schöner Sterne. Oder der große Wagen, das mit Sicherheit berühmteste Sternenbild, das eigentlich Teil eines noch größeren Sternbildes ist, der große Bär. Ja, es gibt auch einen kleinen Wagen, der im Sternbild Kleiner Bär liegt. Dieser enthält den Polarstern, der immer in den Norden zeigt. Gibt es bei dir auch Sternbilder?
Unser hellster Stern am Himmel nennt sich Sirius, der im Sternbild Großer Hund liegt. Er ist so schön anzusehen! Haben Sterne bei dir auch Namen? Es gibt so viel zu entdecken am Sternenhimmel! Es ist immer toll mit meinem Teleskop in den Himmel zu schauen und verschiedene Sterne, bunte planetarische Nebel und Galaxien zu sehen, die wiederum noch mehr Sterne und Planeten enthalten. Wer weiß was es dort draußen noch alles Unentdecktes gibt. Wer weiß, ob wir das jemals entdecken werden. Wir denken kaum darüber nach, dass wir eigentlich nur ein ganz, ganz kleiner Teil im Universum sind, obwohl es bereits über sieben Milliarden Menschen gibt, ganz zu schweigen von den vielen anderen Lebewesen auf unserem Planeten. Es gibt fleißige Insekten, die ihre eigenen Systeme und Völker haben, wie Bienen oder Ameisen, es gibt riesige Fische, wie Schwertwale oder Blauwale, menschennahe Tiere, wie Hunde oder Katzen, und auch Vögel, die uns in der Luft mit ihren Flugkünsten begeistern, wie zum Beispiel Schwalben. Unsere Welt ist so groß und vielfältig, und doch so klein. Wie ist deine Welt?
Wir Menschen haben uns vor langer Zeit von Affen entwickelt, und bevölkern diese Welt. Wir sagen von uns, dass wir intelligent sind. Wer weiß, was andere meinen. Im Laufe der Zeit sind unsere Völker immer näher aneinander gerückt. Wir haben uns besser kennengelernt, kennen die Sitten und Regeln in anderen Ländern, und die verschiedenen Sprachen und Bräuche. Jedes Land hat seinen eigenen Charakter, sein eigenes Nationalgericht, seine eigene Kultur und seine eigenen Menschen. Und trotzdem sind wir uns alle irgendwo sehr ähnlich. Teilweise sind wir uns uneinig, und es gibt Krieg. Das gab es schon oft in der Geschichte unseres Planeten, und es war nie gut. Gelernt haben wir daraus anscheinend nicht. Bisher haben unsere schlauen Köpfe noch keine gute Alternative gefunden als Krieg zu führen, obwohl Krieg heute meist der letzte Ausweg ist. Aber ob das stimmt, wer weiß. Wir haben im Laufe der Zeit so viel erfunden, ohne das wir heute nicht das wären was wir sind. Das Rad half uns beim Transport von Gütern, mit Elektrizität gibt es Licht und Wärme, mit dem Internet sind alle Menschen schnell über die ganze Welt miteinander verbunden. Wer bevölkert deine Welt?
Ich bin auch einer dieser Menschen. Ich bin männlich und habe bereits zwölfmal mit meinem Planeten die Sonne umrundet. Wenn ich nicht in die Schule gehe, um mehr über die Welt zu lernen, lese ich sehr gerne spannende und fantastische Bücher. Ich mag es in andere Welten einzutauchen und meiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Später möchte ich gerne Astronom werden und weiter den Weltraum erkunden. Wer weiß, ob ich dich irgendwann einmal finden werde. Oder du mich? Ich bin schon darauf gespannt, was uns noch alles erwarten wird. Ich bin schon auf dich gespannt.
Du, bei den Sternen.
Wo bist du?
Die Welt war still und dunkel, als von weiter Ferne ein Stern die Erde berührte. Sein schwaches Licht flackerte den Weg entlang, während der Mond traurig zu ihm hinunterblickte:
„Warum irrst du so einsam umher, kleiner Stern?“
„Die anderen Sterne haben mich ausgestoßen... bin ich doch so viel kleiner und mein Leuchten nicht sehr hell“, sprach der kleine Stern trübselig.
„Mein armer kleiner Stern, gibt es denn niemanden, der dich will?“, flüsterte der Mond ins Dunkel der Nacht. Und war der Stern nicht sowieso schon bedrückt genug, blickte er nun hinauf;
„Nein, wer will schon einen Stern, der nicht richtig leuchten kann?“, säuselte er so vor sich hin.
Der Mond beäugte den Kleinen, auch er konnte nichts Anderes, als mit anzusehen, wie kümmerlich der Stern doch war.
„Wer weiß, vielleicht bist du noch nicht soweit - aber eines Tages wird dein Leuchten vielleicht sogar die Nacht erhellen?“, probierte der Mond den Stern aufzumuntern.
„Verzeihe mir, lieber Mond, doch dem kann ich nicht glauben“, jammerte der Stern gebrochen. Von all dem Leid wurde auch der Mond leicht melancholisch, doch dann überkam ihm eine Idee.
„Komm doch in meine Welt! Der Tag bricht bald an und ich muss bald gehen, aber ich hätte dich gerne bei mir.“
Der Stern blickte erschrocken zu dem Mond hinauf.
„Du willst, dass ich dich begleite?“, stotterte er zum Mond.
„Natürlich, ich habe dich schon oft beobachtet, wie du diese Welt allein bereist, du magst klein sein, aber dein Herz ist sicherlich rein“, antwortete der Mond. Wie verrückt flackerte das Licht des Sternes auf.
Könnte er wirklich mit ihm mit? fragte er sich.
„Was ist nun, mein kleiner Stern? Die Zeit wird knapp und ich muss mich beeilen. Habe keine Angst, dort kannst du sein wie du bist und niemand wird über dich urteilen!“, ermunterte der Mond zugleich den Kleinen auf der Erde.
Hin und her gerissen überlegte der Stern, was er tun sollte.
„Sternchen, du mein kleines Sternchen…“, sprach der Mond „… ich kann nur noch wenige Sekunden bei dir sein, du musst dich entscheiden.“ Doch ehe der Stern seine Antwort geben kann, ist der Mond verschwunden und die Sonne geht auf.
„Mond, mein Mond, wo bist du nur hin?“, rief der kleine Stern in den Himmel, doch eine Antwort bekam er nicht. Traurig wandte er sich ab und begann erneut seine Reise. Den ganzen Tag über wirkte er wie abwesend, als er in seinen Gedanken das Gespräch mit dem Mond rekapituliert.
Wie wäre es wohl gewesen, überlegte der Stern, wäre er doch nur mitgegangen, dann wäre er nicht mehr alleine. Im gleichen Moment überkam ihn eine so große Leere und Einsamkeit, dass er in Tränen ausbrach und sein Flackern nur noch als winziges Fünkchen verblieb.
So vergingen die Stunden und der Tag neigte sich dem Ende zu. Noch immer war der Stern unglaublich deprimiert, dass er den Nachteinbruch kaum wahrnahm.
„Warum weinst du denn, mein Kleiner?“, vernahm der Stern eine bekannte Stimme. Erschrocken drehte dieser sich um und blickte dem Mond direkt in sein rundes Gesicht.
„Du bist hier?“, schluchzte der Stern erleichtert.
„Verzeih mir bitte, dass ich gestern so plötzlich verschwunden bin, aber im Morgengrauen verblasse ich und komme erst wieder, wenn die Nacht beginnt“, sprach der Mond hinunter auf die Erde.
„Achso…“, murmelte der Stern, nur um wenige Sekunden später seine Stimme zu erheben und zu fragen. „ … und das was du gestern gesagt hast? Das ich mit dir gehen könnte…?“ Die Augen des Sternes verrieten eine gewisse Unsicherheit, doch je genauer der Mond hinsah, desto eher konnte er einen Funken Hoffnung erkennen.
„Aber gewiss, ich möchte noch immer, dass du mich begleitest“, erwiderte der Mond freundlich zum Stern.
„Dann… dann möchte ich dich begleiten, ich will nicht mehr alleine sein“, kamen die entschlossenen Worte vom kleinen Stern.
Der Mond leuchtete auf vor Freude. „So soll es sein, sobald der Tag anbricht, werden wir zusammen gehen“, erklärte der Mond. Die restliche Nacht erzählten sich beide Geschichten aus ihrer Vergangenheit und lachten. Als die ersten Anzeichen des Morgens nahten, fiel der Blick des Mondes zum Stern.
„Es ist soweit, lass uns gehen“, wandte er sich ihm zu. Dieser blickte zum Mond hinauf und bevor er wusste, was mit ihm passieren würde, umgab ihn ein Licht, so hell und strahlend, dass es sein ganzes Wesen umgab und in jede Pore seines Daseins durchströmte.
Seit jener Nacht, immer wenn der Mond beginnt aufzugehen, taucht auch ein Stern an seiner Seite auf, dessen Leuchten vielleicht nicht das stärkste sein mag, aber dessen Licht eine so große Wärme umgibt, dass gar man nicht anders kann, als ihn zu betrachten.
Eine eisige Brise zog sanft über die idyllische Weide, welche sich in der Nähe von Teddiursas gemütlichem Zuhause befand. Der heranwachsende Teddybär machte sich täglich auf den Weg zu einer ganz besonderen Stelle im hohen Gras. Wie immer waren seine weichen Pranken von Honig bedeckt, den es zumeist beim Umherwandern aß. Die kleine Reise zu seinem auserkorenen Platz gleich neben dem leise rauschenden Fluss, der gleich in den nahegelegenen Wäldern der Zubat mündete, hatte es bislang immer genossen. Um diese Tageszeit war es immer still, sogar die abenteuerlustigen Mantirps hatten sich schon lange schlafen gelegt und das einzige wahrzunehmende Geräusch war das zurückhaltende Nieseln des seichten Regens, das Teddiursa ein wenig überraschte. Heute verbreiteten die Sterne des Himmelzelts dennoch wieder genug Licht, sodass man selbst in der Nacht dem richtigen Pfad folgen konnte, ohne sich in der Rihorn-Schlucht zu verlieren. Es beschloss seine Zeit damit zu verbringen, verschiedenste Symbole aus den Sternen zu lesen. Nachdem es sich in das hohe Gras legte, begann es auch mit dem Zählen. Mittlerweile konnte Teddiursa sogar sein eigenes Sternzeichen ausfindig machen. Es spürte wieder den Wind durch sein Fell streifen und beobachtete, wie sich die vielen Härchen auf seiner Pfote kräuselten, als es sie gen Himmel hielt. Der Teddy konnte einen Stern in hellen Blautönen funkeln sehen und war kurz darauf erschrocken aufgesprungen, als es plötzlich ein anderes Pokémon vor sich sah. Es hatte eine sternenförmige Gestalt und lächelte das Teddiursa freundlich an. Die pastellblauen Streifen bewegten sich mit dem Wind und die anmutige Gestalt hob seine Ärmchen, darauf wurde es rund um das Bärchen und das unbekannte Pokémon heller und wohlig warm. Wie oft hatte es schon vom Weltall geträumt? Wie oft wünschte es sich, das unendliche Universum vor sich zu haben und zu bestaunen? Und nun schien sein innigster Traum erfüllt zu werden. Teddiursa sah das andere Pokémon immer heller leuchten und verstand nur noch ein gedämpftes „Kis...wunsch...“, ehe seine Sicht zu schwinden begann und es auf der Weide einschlief.
Mit einem langen Gähnen rieb das Bärchen seine Knopfaugen und versuchte, sich an das grelle Licht zu gewöhnen. Ein so buntes Sternenmeer wie das, welches sich da vor ihm erstreckte, hatte es von seiner Weide aus noch nie gesehen. Teddiursa hatte sich schon immer vorgestellt, wie das Weltall wohl aus nächster Nähe aussehen würde, aber dieses einzigartige Bild war unbeschreiblich schön für es und übertraf alles Erdenkliche. Seine Eltern erzählen ihm vor dem Schlafengehen immer die spannendsten und unglaublichsten Geschichten des Alls, jedoch übertraf diese Darbietung selbst ihre detailgetreuen Beschreibungen. Doch eines Tages ist sein Papa Ursaring sehr krank geworden und konnte ihm keine Geschichten mehr erzählen. Das mutige Teddiursa versprach ihm, eines Tages einen der seltenen Kristallsterne von seiner zukünftigen Reise zum Weltall mitzubringen, damit es ihm schon bald besser ging. Jene seltenen Steine waren dafür bekannt, dass sie jede mögliche Krankheit heilen konnten, allerdings existierten sie seit mehreren tausend Jahren nicht mehr in der Welt der Pokémon, nachdem sie dazu benutzt wurden, eine ganze Enton-Familie vor ihren chronischen Kopfschmerzen zu retten. Papabär war bedauernswerterweise vor einigen Jahren von der Bärenfamilie gegangen und seither war es Teddiursas innigster Traum gewesen, einen jener Kristallsterne zu finden. Nun war es endlich so weit, es konnte sein Versprechen einlösen und sah sich sofort auf dem unebenen Kometen um, auf dem es aufgewacht war. In einer großen Höhle konnte es etwas leuchten sehen und tappte vorsichtig auf sie zu. Hinter Unmengen an Geröll, das der Teddy mit seinen Pfoten eilig beiseite schob, fand es tatsächlich einen hell schillernden Stein mit fünf Zacken. Teddiursas Augen waren auf jene Antiquität so fixiert, dass es sie erst von ihr lösen konnte als eine vertraute Stimme seinen Namen rief und es sich erschrocken umdrehte, um seinen Papa Bär zu erblicken. Die Knopfaugen des jüngeren Bären wurden beim Anblick seines Vaters, der nun in einem geisterhaften Erscheinungsbild vor ihm stand, immer größer und es dauerte nicht lange, bis ihm Tränen über seinen samtigen Backen kullerten. „Sei nicht traurig, mein liebes Kind. Dieses Gefühl hindert dich daran, die Welt in all ihren Farben zu betrachten. Behalte diesen Stein bei dir und ich werde immer bei dir sein!“, entgegnete ihm der größere Bär und ehe Teddiursa antworten konnte, wurde sein Sichtfeld erneut verzerrt und es fing wieder an einzuschlafen. Mit dem Kistrallstern in den Pfoten wachte es darauf in seinem warmen Bett neben seinen tief schlummernden Geschwistern auf und überwand seine anfängliche Trauer. Es wusste, dass es seinem Papa da oben in den Sternen gut ging, als es aus dem Fenster sah und es wollte ihm keinen weiteren Kummer bereiten. Es schöpfte neue Hoffnung und war fortan das aufrichtigste Bärenkind im ganzen Wald.
Es hieß, man konnte noch lange ein sternenförmiges Pokémon kichern hören, da es froh darüber war, einem kleinen Bärchen geholfen zu haben.
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