Blue Horizon

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  • Hallo Cáith,


    Progress trifft es wirklich, besonders nachdem nun der Konflikt mit Seth einigermaßen aufgelöst wurde. Und dahingehend auch die erste Krise, dass sich seit Beginn der Herausforderung eigentlich nichts bei den Zwillingen getan hat. Mich wundert, dass Ava dabei eines vergisst, nämlich dass sie selbst in das Leben der beiden getreten ist und das sogar sehr erfolgreich. Also könnte man sagen, ja, die Annäherung hat durchaus funktioniert und ihr einen Rivalen in Sachen ironische Kommentare beschert. Manchmal war ich mir gar nicht sicher, ob Seth oder Ava es nicht doch mal ernst gemeint haben. Angesichts dessen, dass sie sich nicht an die Gurgel gehen, dürften die Zweifel aber schon verstreut werden.
    Ein Besuch im Tierpark ist auch so ziemlich das klassischste Treffen, was man sich vorstellen kann. Egal ob nun freundschaftlich oder darüber hinausgehend und die Stimmung hast du gut rübergebracht. Besonders wenn es mal ans Suchen der Tiere geht, weil sie sich viel zu gut verstecken oder wenn man ihnen einfach nur zusieht, bis sie überhaupt mal etwas machen. Besonders die Reptilien könnten da wohl ein Lied von singen. Im Großen und Ganzen ist aber trotzdem nicht viel passiert, außer dass sich Ava und Tyler weiter geneckt haben und er über seinen Job schwärmen konnte. An der Stelle hätte ich mir ja wirklich vorstellen können, dass in Avas Gedanken eine Welt zusammenbricht, weil der Moment so romantisch hätte sein können und schließlich doch nichts daraus wurde. Das hast du zum Schluss hin nochmal gut aufgegriffen und langsam aber sicher könnte sich mehr entwickeln. Ich wage aber mal zu behaupten, dass es trotzdem nicht so leicht sein wird und Ava sicher die ein oder andere Sache übersehen hat. Etwa ihn von Herzen zu lieben und nicht nur daran zu denken, ihn glücklich zu machen.


    Wir lesen uns!

  • Tyler Route


    Chapter 10: Between Sunshine and Downpour




    „Ich verstehe das einfach nicht… Warum zur Hölle ist er nicht… Das Ding muss kaputt sein. Bestimmt ist es kaputt.“
    Aphrodite trommelt mit ihren hellblau lackierten Fingernägeln wild auf dem Spiegel herum, der auf unserem Küchentisch steht. Eine tiefe Falte zieht sich über ihre Stirn und sie funkelt das Hologramm, das ihr Gesicht in einen ungesunden, bläulichen Ton färbt, böse an, als hätte es sie gerade an ihr Alter erinnert.
    Hehe.
    „Lach nicht so blöd“, knurrt sie mich an und wirft mir einen vernichtenden Blick zu, aber hey, die bin ich mittlerweile gewöhnt und deswegen ist ihrer nur mäßig effektiv. Ich lege meine Finger um meine Tasse und trinke einen Schluck zuckersüßen Kakao. Perfekt für einen ruhigen Sonntagmorgen. Das heißt, so ruhig, wie er mit Aphrodite im Haus werden kann.
    „Vor zwei Tagen wärst du noch Amok gelaufen“, erinnert sie mich mit einem vorwurfsvollen Blick und gestikuliert wild in Richtung Hologramm, aber ich zucke nur mit den Schultern.
    „Vor zwei Tagen dachte ich ja auch noch, dass mich mein nächster Wellnesstrip zum Whirlpool des Verderbens führen würde.“
    „Hey, Ava.“ Ich schaue über den Rand meiner Tasse. Meine Adoptiv-Göttin schaut mir mit merkwürdig verbissenem Gesichtsausdruck in die Augen und ich höre ihre Zähne förmlich knirschen. „Dir ist aber bewusst, dass sein Herz noch immer nicht komplett leuchtet?“
    „Ja. Das sagtest du bereits. So an die zehn Mal.“
    Ich höre sie laut stöhnen und Aphrodite schlägt sich mit einer Wucht, die ihr normalerweise die Nase brechen müsste, die Hand vors Gesicht. Für einen Moment verharrt sie so, dann stößt sie eine seltsame, aber höchst amüsante, Mischung aus Knurren, Grunzen und frustriertem, unterdrücktem Schrei aus. Ich sehe zu, wie sie vom Stuhl aufspringt, zwei Schritte nach links läuft, zwei nach rechts, den Mund öffnet um mir eine Beleidigung an den Kopf zu werfen, ihn dann wieder schließt, vermutlich, weil ihr nichts Gutes einfällt und dann erneut ihre kleinen Runden läuft.
    Ich nehme einen Schluck von meinem Kakao und mein Blick wandert zum Hologramm, das noch immer über dem Tisch schwebt. Ein großes Herz ist darin abgebildet, zusammen mit einem kleinen Bild von Tyler. Das Herz leuchtet. Nur ein wenig, aber es leuchtet.
    „Was hast du erwartet?“, frage ich sie und schaue zurück in die dampfende Flüssigkeit in meiner Tasse. „War doch klar, dass es nicht so einfach werden würde.“
    „Dieser Junge ist hoffnungslos in dich verschossen“, murrt Aphrodite gereizt und reibt sich die Schläfen. „Und er hat bekommen, was er wollte. Wie kann jemand, der dermaßen verliebt ist, nicht vollkommen glücklich sein, wenn seine Gefühle erwidert werden?“
    „Weil Menschen so einfach nicht funktionieren.“
    „Natürlich tun sie das! Nichts macht Menschen so glücklich wie die Liebe!“, fährt sie mich an. „Wegen Liebe bringen Menschen sich gegenseitig um, stürzen sich in den Tod, vergessen alles und jeden um sich herum! Muss ich dich an den trojanischen Krieg erinnern?! Ganz Griechenland fand es völlig okay, gegeneinander in den Krieg zu ziehen, weil Paris seine Finger nicht von Helena lassen konnte!“
    „Und wer war das Schuld?“, flöte ich mit einem Augenrollen.
    „Darum geht es hier nicht!“, faucht Aphrodite. „Wie kann er denn immer noch nicht zufrieden sein?“
    Langsam aber sicher begreife ich, warum meine Adoptiv-Göttin so gereizt ist. Es geht ihr hier gar nicht um die Wette, denn wäre das der Fall, würde sie mir ganz schadenfroh unter die Nase reiben, dass Tyler noch nicht glücklich ist. Nein, oh nein, das hier ist persönlich. Zusätzlich zu dem verlorenen Wortduell gegen ihn wagt er es jetzt auch noch, der Macht der Liebe zu widerstehen. Wie kann er nur?
    „Ja, wie kann er nur!“, stößt sie jetzt mehr frustriert als wütend aus. „Ich verstehe es einfach nicht. Vielleicht ist das Ding wirklich kaputt. Wäre nicht das erste Mal, dass Hephaistos‘ Spielereien kurz nach Ablauf der Garantie hinüber gehen.“
    „Ist es nicht“, widerspreche ich und tippe auf dem Spiegel herum, bis das Hologramm endlich verschwindet.
    „Und warum zur Hölle hast du kein Problem damit?“ Aphrodite hat ihren Marathonlauf aufgegeben und sinkt wieder auf den Stuhl auf der anderen Seite des Tisches. Diese ganze Sache macht sie wohl tatsächlich ziemlich fertig. Sie wirkt plötzlich fünfzehn Jahre älter.
    „Tue ich nicht.“ Stimmt, es sind fünfundzwanzig.
    Sie knurrt gefährlich.
    Warum habe ich kein Problem damit? Vermutlich, weil ich schon damit gerechnet habe, schätze ich. So einfach wie Aphrodite es sich hier machen möchte ist es nun mal nicht. Menschen sind schwer zufrieden zu stellen. Verdammt schwer. Da kann ich ein Lied von singen.
    „Du hast noch siebzehn Tage, Ava.“
    Ich antworte nicht. Das ist mir schon klar.
    Aber ich habe ein gutes Gefühl. Wir sind uns näher als zuvor. Wenn ich ihn frage, dann wird er mir sicher sagen, was ihm auf dem Herzen liegt. Tyler vertraut mir. Siebzehn Tage sind genug.
    Aphrodite grunzt und ich seufze langgezogen.
    „Dir kann es doch nur recht sein, wenn ich verliere“, spreche ich sie über den Rand meiner Tasse hinweg an. Sie starrt mich für einen Moment aus zusammengekniffenen Augen an, dann wird ihr Blick seltsam weich.
    Da. Da ist es wieder.
    „Da ist was wieder?“, fragte sie mich stirnrunzelnd.
    „Hat ne Weile gedauert, bis ich es gemerkt habe“, gebe ich zu und behalte sie genau im Auge. „Aber du… Seit einigen Wochen bist du geradezu… nett zu mir.“
    Sie erstarrt.
    Wusste ich es doch. Wenn ich so recht darüber nachdenke, dann hat sie sich tatsächlich verändert. Klar, sie nervt und ärgert mich immer noch, wo sie nur kann. Und sie liebt es, mich an die Deadline zu erinnern. Aber ich erwische sie immer wieder mit diesem Blick.
    Ja. Genau dem.
    Wachsam, durchdringend, aber nicht unfreundlich. Fast schon mütterlich.
    „Du fängst an, diese Adoptiv-Mutter-Geschichte zu ernst zu nehmen“, lache ich trocken, aber sie schweigt nur und starrt mich weiter an.
    „Ich hab es dir schon einmal gesagt“, raunt sie dann. „Ich bin nicht vollkommen herzlos.“
    Bevor mir allerdings irgendein fieser Spruch einfällt, springt sie förmlich von ihrem Stuhl auf und jagt aus der Küche und die Stufen zu ihrem Zimmer hoch.
    Gott, sie nimmt das hier wirklich zu ernst. Ich meine, sie war doch diejenige, die mich in diese ganze Wettgeschichte hereingezogen hat, und plötzlich sieht es fast so als, als wollte Aphrodite, dass ich gewinne. Wenn ich Zeit hätte, dann würde ich wohl versuchen, den Grund dafür herauszufinden. Aber die habe ich nicht. Abgesehen davon hat meine Adoptiv-Göttin schlimmere Stimmungsschwankungen als eine Pubertäre und eine Frau in den Wechseljahren zusammen. Vermutlich spielen ihre Hormone aktuell nur einfach etwas verrückt und sorgen dafür, dass ihre Muttergefühle herauskommen. Und beschweren werde ich mich sicher auch nicht. Diese unerwartete Fürsorge macht es etwas einfacher, mit meiner unfreiwilligen Mitbewohnerin auszukommen.
    Mein Blick fällt auf die digitale Uhr in unserem Ofen. 10:28. Um elf wollte Tyler mich abholen und bei dem Gedanken muss ich lächeln.


    Um fünf vor elf klingelt es an der Tür und ich jogge die Treppe herunter. Als ich die Klinke herunterdrücke, sehe ich ihn nur aus dem Augenwinkel, weil ich gleichzeitig schon versuche, Schuhe und Jack anzuziehen. Hibiki springt mir kläffend entgegen, wird aber auf halber Strecke von seiner Leine aufgehalten. Ein kalter Wind lässt mich frösteln, als ich in meine Stiefel schlüpfe.
    „Dir auch nen guten Morgen“, höre ich Seth knurren, gefolgt von Tylers Lachen, das mein Herz sofort etwas zum Pochen bringt. Mit einem Arm in der Jacke greife ich mir meine Tasche, die noch auf der Treppe liegt und dränge mich am Welpen vorbei nach draußen, ziehe die Türe hinter mir zu.
    „Hey“, stoße ich aus und bleibe an Tylers Augen hängen. Er grinst mich an, auf diese wissende, überlegene Art, die mich dazu bringt, die Augen zu verdrehen. Seth steht direkt hinter ihm, aber der ist gerade erst mal zweitrangig. Als ich es endlich schaffe, mit klammen Fingern den Reißverschluss meiner Jacke hochzuziehen und meine Tasche über meine Schulter lege, stürze ich mich förmlich in Tylers Arme. Er drückt mich an sich und selbst durch seine Jacke spüre ich, wie fest sein Herz klopft. Eine Sekunde, zwei, drei…
    Dann wird es etwas auffällig und in stillem Einverständnis lösen wir uns voneinander.
    Seth schlendert zu mir herüber, sieht zwischen uns hin und her und zieht mich dann in eine lockere Umarmung, die innerhalb von eine Sekunde schon wieder vorbei ist. Als ich ihm ins Gesicht sehe, mustert er meines ganz genau und ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch. Aber sein Gesicht ist so unergründlich wie das seines Zwillingsbruders.
    Dann jault Hibiki aber so herzzerreißend, dass ich ein schlechtes Gewissen bekomme und mich zum kleinen Welpen herunterbeuge.
    „Ist ja gut“, grinse ich und streiche ihm über Ohren und Schnauze, während Hibiki versucht, mein Gesicht abzuschlecken. Aber das lasse ich heute ausnahmsweise mal nicht zu.
    „Können wir dann?“, frage ich lächelnd.


    Heute führt Tyler uns Richtung Innenstadt, auch, wenn ich nicht ganz verstehe, warum. Sonntags haben die meisten Geschäfte sowieso zu und heute ist es so frisch, dass sich kaum jemand draußen herumtreibt. Zwar scheint die Sonne, aber der stetige Wind bringt einen echt zum Frösteln.
    Tyler und Seth flankieren mich, was zumindest die gröbste Kälte abhängt- große Freunde zu haben kann ein echter Segen sein- Hibiki läuft voran, springt uns dann wieder entgegen, nur um wieder loszujagen, weil er etwas Interessantes gewittert hat. Der Kleine ist wirklich schrecklich energiegeladen, da kommt man sich selbst direkt fürchterlich faul vor.
    Hin und wieder streift Tylers Hand meine, aber etwas hält uns davon ab, sie zu halten.
    Ach, nennen wir das Kind doch beim Namen. Seth hält uns davon ab.
    Denn der weiß noch nicht, dass wir jetzt offiziell ein Paar sind. Eigentlich weiß –abgesehen von Aphrodite und der kann ich ja leider rein gar nichts verheimlichen- niemand, dass wir offiziell ein Paar sind.
    …Kann man es in diesem Fall dann wirklich offiziell nennen?
    Es ist nicht so, als hätten wir das in irgendeiner Weise so abgesprochen und als würde uns das Spaß machen. Zumindest interpretiere ich Tylers leicht genervten Blick in Richtung seines Bruders so. Es ist… einfach passiert. Gestern hatten wir nicht die passende Gelegenheit dazu, unser Glück zu teilen. Generell hatten wir kaum Gelegenheit, noch groß miteinander zu sprechen, weil ein ziemlich lauter und genervter Ruf nicht nur die Hirsche unter uns erschreckte. Wir rissen uns also voneinander los und eilten zurück zum Rest der Familie Preston, die schon ungeduldig auf uns wartet. Und als wir dann von Seths gereizten und tödlichen Blicken durchlöchert wurden, verging uns die Lust darauf, die frohe Botschaft zu verkünden. Als wir endlich im Wagen saßen und nach Hause fuhren, wurde seine Laune zwar besser, aber dafür wurde Leah dann fürchterlich hektisch, denn offenbar hatten sich alle Autofahrer kollektiv dazu entschieden, wie die letzten Menschen zu fahren. Und Himmel, ab dann war ich mir nicht mehr sicher, ob die Zwillinge ihre saftigen Sprüche wirklich nicht von zu Hause hatten. Im Haus der Prestons, nach dem Abendessen, waren dann wieder alle entspannt. Zu entspannt, denn Seth nickte noch während dem Essen ein und Leah brauchte zehn Sekunden um auf eine simple Frage zu antworten, weil ihr Gehirn einfach nicht schneller arbeitete.
    Kurz gesagt- wir verloren kein Wort über uns.
    Stattdessen schlichen wir uns aus der Küche, tauschten erschöpfte Blicke und warteten vor der Haustüre auf das Taxi, von dem Martha bestanden hatte, dass es mich nach Hause fährt, denn mittlerweile war es draußen stockdüster geworden.
    So unbeachtet trauten wir uns dann sogar wieder, einander zu umarmen und den ein oder anderen Kuss auszutauschen. Aber für großartige Konversation waren wir beide einfach zu erschöpft. Das einzige, was noch aus seinem Mund herauskam war die Info, dass er mich heute abholen würde, dann tauchte auch schon das Taxi auf und ich war froh, nach diesem seltsamen Tag endlich nach Hause zu können und dort halb tot ins Bett zu fallen.


    Tja. Und nun wussten wir beide offenbar nicht so recht, was wir tun sollten.
    Und wenn ich ganz ehrlich bin… „Es war nicht der richtige Moment“ ist eine ziemlich blöde Ausrede. Ich glaube… Ich habe einfach Angst, wie seine Familie reagieren wird. Nein, eigentlich habe ich Angst, wie Seth reagieren wird. Denn das hier kommt am ehesten dem nah, wovor er sich so fürchtet. Mit Tyler zusammen zu sein, wird das auf ihn nicht so wirken, als würde ich ihm seinen Bruder wegnehmen? Werden die ganzen Probleme wieder von vorne anfangen?
    Ich möchte das nicht. Es läuft gerade doch alles so gut. Wir haben diese seltsame Art von Freundschaft zueinander aufgebaut, in der wir uns permanent beleidigen und wenn uns jemand fragen würde, ob wir uns leiden könnten, würden wir „Pf, niemals“ antworten, auch, wenn wir genau das Gegenteil meinen. Wir können uns aufziehen und miteinander darüber lachen. Wir können uns gegen Tyler verbünden und uns darüber freuen, wenn wir die Wortduelle gewinnen.
    Aber ich möchte genauso wenig, dass meine Beziehung zu Tyler ein Geheimnis bleibt und ich wieder genau darauf achten muss, was ich sage. Das hat das letzte Mal schon nicht so gut funktioniert wie gehofft und nochmal durch diesen Affenzirkus durchzugehen… Nein. Danke, nein. Ich verzichte.
    Und deswegen stecke ich gerade in einer massiven Zwickmühle. Ich hatte eigentlich gehofft, dass ich heute mit Tyler darüber reden könnte, aber wenn ich ganz ehrlich bin habe ich schon damit gerechnet, dass Seth mitkommt. Ohne seinen Schatten geht Peter Pan schließlich nicht aus dem Haus.
    Gott. Vielleicht wird das doch nicht so einfach, wie ich es mir eingeredet habe…


    Ich bemerke erst, wo wir sind, als wir direkt davor stehen.
    Mit einem Blick auf das Schild über der schön dekorierten Glasfassade mit den künstlerischen Schnörkeln und den filigranen Verzierungen lese ich „Charis“. Im Inneren sehe ich dutzende Menschen sitzen und einige, die an der Theke stehen, aber trotzdem scheint alles ruhig und friedlich, geradezu einladend.
    „Was‘n das für ein Laden?“, fragt Seth leicht fassungslos. Ich grinse schief. Ja. Das habe ich mich auch schon gefragt.
    „Ma kauft hier in letzter Zeit öfters Kuchen“, erklärt Tyler und zuckt mit den Schultern. „Und der schmeckt immer ganz gut, also…“
    „Da gehe ich nicht rein“, antwortet sein Zwillingsbruder mit finsterem Blick, als könne er mit bloßer Willenskraft dafür sorgen, dass der Laden sich in Luft auflöst.
    „Okay“, stößt Tyler fast schon erleichtert aus, aber ich ramme ihm möglichst unauffällig meinen Ellbogen in die Seite und er rudert schnell zurück. „Ich meine, so schlimm ist es da drin sicher nicht.“
    Seths Blick als zweifelnd zu beschreiben ist eine maßlose Untertreibung.
    „Es ist wirklich nett da drin“, bestätige ich.
    „Und woher willst du das wissen?“, grummelt er und offenbar hat der Bluthund noch nicht so ganz begriffen, dass Gebäude nicht vor Angst schlottern können.
    „Weil es das Café meiner Mutter ist.“
    Tylers Blick fliegt zu mir herüber und ich sehe ihm an, dass sein Wille, sich hinzusetzen und eine schöne Tasse Tee zu trinken, auf nimmer Wiedersehen verschwunden ist.
    „Sie ist heute nicht da“, beschwichtige ich ihn mit einem schiefen Grinsen, aber komplett überzeugt ist er noch nicht.
    Nur wird mir von Sekunde zu Sekunde, in der wir uns nicht bewegen, kälter. Und ich habe wahnsinnig Lust auf Kuchen.
    Also haben die beiden Pech gehabt.
    Ich nehme Tyler Hibikis Leine aus der Hand und bevor er oder sein lebendig gewordener Schatten protestieren können, öffne ich die Glastür zum Café.


    Innen empfängt uns der Geruch von frisch gebackenem Kuchen, Kaffee und Blumen, die überall im Laden verteilt sind und geradezu überirdisch schön blühen. Und Wärme. Wärme ist mir gerade das wichtigste. Hibiki wird um einige ruhiger und als ich zurück zu den Zwillingen schaue, sind beide damit beschäftigt, sich im Laden umzusehen. Seth steht sogar der Mund offen.
    Manchmal ist Aphrodites Magie eine ziemliche Rettung.
    Ich bahne mir den Weg vorbei an voll besetzten Tischen und je länger ich schaue, desto mehr vergeht mir mein Grinsen über Seths selten dämlichen Blick, denn allem Anschein nach ist das ganze Café besetzt. Und damit revidiere ich meine vorherige Aussagen. Aphrodites Magie ist blöd.
    Doch gerade, als ich mich umdrehen will um meinen Begleitern mitzuteilen, dass es für uns heute keinen Kuchen gibt, spüre ich, wie mich jemand antippt. Als ich mich umdrehe, erkenne ich einen der Kellner des Cafés. Genauso wie alle anderen auch sieht der hier unglaublich gut aus, mit hohen Wangenknochen, tiefbraunen- und ich meine geschmolzene Schokolade-Level braun- Augen und einem goldenen Lockenkopf. In Kombination mit dem absolut hinreißenden Lächeln, das er mir schenkt, sieht er aus wie ein Engel, den Aphrodite aus dem Himmel herunter beordert hat, um Kuchen und Kaffee zu servieren und nebenbei noch gut auszusehen. Nicht, dass ich ihr das nicht zutrauen würde.
    „Einen Tisch für drei, Ava?“, fragt er mich mit einer süßlich melodischen Stimme. Ich habe nur ein paar Mal in den letzten Wochen ausgeholfen, auch, weil ich sonst nichts besseres zu tun hatte und mich irgendwie ablenken wollte, deswegen wundert es mich nicht, dass er meinen Namen kennt, vor allem, weil ich ja die Tochter der Inhaberin bin. Aber es ist mir etwas unangenehm, dass ich seinen nicht kenne. Wenn ich genauer darüber nachdenke, dann kenne ich keinen einzigen Namen der Angestellten hier. Ich habe auch Aphrodite nie jemanden von ihnen mit dem Vornamen ansprechen hören…
    Haben sie überhaupt Namen? Sind diese Personen vor mir überhaupt Menschen, oder-
    „Ja, bitte“, höre ich Tylers Stimme direkt hinter mir. Als ich mich umdrehe sehe ich, wie seine Augen geradezu säuerlich blitzen. Angestellter Nummer Eins- ja, das ist jetzt mein Name für ihn. Irgendwie muss ich mir ja selbst helfen- lässt sich davon aber gar nicht beeindrucken, sondern lächelt so diabetiserregend süß, dass ich etwas Stöhnen muss. Diesen Blick hat er mit Sicherheit von Aphrodite abgeschaut. Bevor ich reagieren kann, legt mir der gefallene Engel seine Hand sanft auf die Schulter und führt mich leicht, aber bestimmt in Richtung eines Tisches. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass Tyler das Gesicht verzieht.
    Aber mehr wundert mich, dass Seth direkt hinter ihm den gleichen, ärgerlichen Blick aufgesetzt hat. Beide starren tödliche Blicke in den Rücken von Angestellter Nummer Eins, was der gekonnt ignoriert.
    Aphrodites Leibmodell führt mich zum Abstand schönsten Tisch im Café. Er liegt etwas abseits von der Theke und damit auch von den Menschen, die dort artig eine Schlange bilden, aber hat einen schönen Blick auf die Ladenfront und die Altstadt davor. Der Tisch ist umringt von einer sehr bequemen Sitzbank und mit beetähnlichen Anhöhungen von den Blicken anderer Gäste geschützt. Blumen reihen sich ordentlich auf diesen Sichtschützen auf, zusammen mit Kristallleuchtern, die sicher verdammt teuer sind, und kleinen Springbrunnen. Und nein, ich weiß nicht, woher das Wasser kommt und wohin es geht, denn Schläuche gibt es ziemlich sicher keine.
    Nur ein Problem gibt es. Der Tisch ist belegt von einer schnatternden Bande mittelalter Frauen.
    Angestellter Nummer Eins scheint das aber nicht wirklich als Problem zu sehen.
    „Entschuldigung, die Damen?“, spricht er sie an und sofort verstummt das Gequassele über Giselas schreckliche neue Frisur und die eins in Mathe von Junior und sechs deutlich verzauberte Gesichter wenden sich ihm zu. Er schenkt ihnen ein Diabeteslächeln und ich bin mir sicher, dass ich mir das synchrone, schmachtende „Hach“ nicht bloß einbilde.
    „Sie müssen diesen Platz leider räumen“, lächelt der Engel. Für eine Sekunde geschieht nichts, dann klappen die Damen ihre Münder zu und packen geradezu panisch ihre Sachen zusammen. Innerhalb von zwanzig Sekunden stürzen die Frauen von ihren Sitzplätzen und verschwinden aus dem Laden. Halb gegessener Kuchen und dampfender Kaffee bleiben zurück.
    „Bitte sehr, die Herrschaften“, wendet sich Angestellter Nummer Eins uns zu. „Wir räumen sofort ab, macht es euch doch in der Zwischenzeit schon einmal bequem.“
    Für einen kurzen Moment schaue ich ihn an.
    Dann zucke ich die Schulter und rutsche auf die Sitzbank.
    „Wow“, stößt Tyler aus und starrt den Rücken des Kellners halb verachtend, halb erstaunt an.
    „Wie zur Hölle“, fügt Seth hinzu, nicht weniger entsetzt.
    „Es hat eben seine Vorteile, die Tochter der Chefin zu sein“, sage ich schulterzuckend und klopfe dann auf die Sitzflächen neben mir.


    Zwei Minuten später ist der Tisch geräumt und wir haben bestellt, auch wenn man das eigentlich am Tresen machen muss. Seth setzt rechts noch mir und spielt an der Stoffserviette, Tyler links von mir behält ein Auge auf Hibiki, der ganz entspannt vor einer Schüssel Wasser liegt und sich benimmt wie der Vorzeigehund schlecht hin.
    Angestellter Nummer Eins gleitet förmlich zurück zu unserem Tisch, das Tablett auf seiner Hand ist vollbepackt und er schenkt mir ein zuckersüßes Lächeln. Sofort merke ich, wie sich Tyler neben mir versteift und muss insgeheim etwas grinsen. Kein Tag zusammen und er wird schon eifersüchtig.
    Zwei Mal Kaffee, ein schwarzer Tee, Apfeltorte, Kirschkuchen und ein Stück Sahnetorte finden ihren Weg auf unseren Tisch, dann zwinkert mir das Kellnermodel noch einmal süffisant zu- er hat offenbar sehr viel Spaß an den bösen Blicken meiner Begleiter- und verschwindet wieder.
    Grinsend hebe ich mir meine Tasse an die Lippen und beobachte, wie Tyler ihn mit zusammengekniffenen Augen verfolgt. Irgendwann wird es ihm dann aber zu blöd und er bemerkt, dass der Apfelkuchen auf seinem Teller verboten lecker aussieht.
    „Shit, ist der gut“, stößt unterdessen Seth aus und ich werde das Gefühl nicht los, dass ihm das gar nicht gefällt. Er wäre vermutlich weitaus zufriedener gewesen, wenn der Kuchen, den Nummer Eins ihm serviert hat, allerhöchstens Mittelmaß gewesen wäre.
    Ich kann mir ein „Sag ich doch“ nicht ganz verkneifen. In die weichen Polster hinter mir gelehnt atme ich einmal tief ein. Es riecht wirklich himmlisch hier drin. Blumig, aber nicht aufdringlich. Und obwohl der ganze Laden voll ist und ich alle um uns herum reden sehe, ist es doch angenehm ruhig, als säßen wir in einer isolierten Kammer. Wenn man genau darauf achtet, ist es merkwürdig und befremdlich. Aber das tut keiner. Sie sind alle viel zu sehr von Aphrodites Macht verzaubert um irgendetwas zu bemerken.
    Wenn die wüssten, wie die Inhaberin dieses Cafés wirklich drauf ist.
    Tyler und Seth entspannen sich deutlich mehr mit jeder Minute, die wir hier sitzen, heiße Getränke schlürfen und Kuchen futtern. Ich erwische Seth sogar bei einem seligen Lächeln, das ich unter normalen Umständen wohl als grenzdebil bezeichnen würde, aber ich will heute mal nicht so sein. Stattdessen beobachte ich ihn einfach aus dem Augenwinkel und freue mich über diesen seltenen Augenblick der Ruhe und Harmonie an diesem Tag des Friedens zwischen Avaland und dem Seth-Empire. Tyler hat die Augen geschlossen und wirkt fast so, als würde er schlafen, aber ab und an hebt er seine Kaffeetasse an die Lippen und schaut zu Hibiki herunter, der ist aber immer noch die Ruhe selbst. Als er meinen Blick bemerkt, schauen wir einander für einen Moment an.
    Ich spüre seine Hand dicht an meiner auf der Sitzfläche liegen. Stück für Stück kommen sie sich näher. Als sich unsere Fingerspitzen berühren, verschränken wir sie ineinander. Er lächelt mich an und ich lächele zurück und dann wenden wir uns wieder unserem Kuchen zu. So nah waren wir uns den ganzen Tag noch nicht. Und Seth ist zu verklärt, um es mitzubekommen. So kann es gerne bleiben. Einfach schweigend Kuchen essen und-
    „Ava?“
    Ich brauche einen Moment um zu begreifen, dass ich gemeint bin, erst dann schaue ich in die Richtung der Stimme. Zwei Meter vor unserem Tisch stehen drei sehr bekannte Gesichter.
    „Was machst du denn hier?“, fragt Lisa aber an ihrem breiten Grinsen und den Blicken, die zwischen mir, Tyler und Seth hin und her wandern sehe ich, dass sie ganz genau weiß, was ich hier tue. Neben ihr steht Eve mit einer hochgezogenen Augenbraue und Irene, die mich entschuldigend anlächelt. Ich bin zu sehr damit beschäftigt zu verarbeiten, dass das hier potentiell sehr peinlich werden könnte, weil Lisa nun einmal Lisa ist, deswegen registriere ich nicht, dass meine Freundinnen immer näher kommen. Lisas Blicke wandern immer noch hin und her, bis sie dann mit einem Mal hängen bleiben. Ihre Augen weite sich, aus einem leicht geöffneten Mund wird ein viel zu breites Joker-Grinsen, das mir so überhaupt nicht gefällt, aber erst als Eve und Irene die gleiche Stelle fixieren verstehe ich warum.
    Als wäre sie giftig, ziehe ich meine Hand aus Tylers heraus, der von mir zu Seth schaut, als befürchte er, dass sein Bruder etwas bemerkt hätte. Aber der ist gottseidank zu sehr von Aphrodites Hormontherapie eingelullt. Statt normal zu reagieren, beobachtet er nur meine Freundinnen als wären die Fabelwesen aus einer anderen Welt. Tyler wirft mir drängende Blicke zu, aber alles was mir einfällt ist rot anzulaufen. Grandios, Ava. Dein Gehirn leistet heute wieder hervorragende Arbeit.
    „Tut mir Leid, die Damen.“ Ich weiß nicht wann, aber irgendwann ist Nummer Eins bei uns aufgetaucht und lächelt mit ziemlich gut geschauspielertem Bedauern. „Wir haben gerade leider keinen Tisch mehr frei.“
    „Das macht nichts“, stößt Lisa aus. „Wir setzen uns einfach zu Ava. Das macht dir doch nichts aus, oder?“
    Doch. Doch, das tut es! Aber ohne meinen vermutlich ziemlich stupiden Gesichtsausdruck und Irenes eiliges Ärmelziehen zu beachten, schnappt sich Lisa einen freien Stuhl vom Tisch nebenan und rückt ihn uns gegenüber an die Tischplatte. Ich wechsele einen eindeutigen Blick mit Irene, die vor lauter Schuldbewusstsein wohl am liebsten im Boden versinken würde, wenn das möglich wäre. Eve dagegen schaut seltsam gefasst und betont neutral drein.
    „Freundinnen von dir?“, fragt Seth, behält dabei alle drei im Auge, während nun auch Irene und Eve sich Stühle nehmen, wohl auch, um Schadensbegrenzung betreiben zu können, den Blicken nach zu urteilen, die sie tauschen.
    „Ja“, stoße ich knapp aus und versuche mich an einem warnenden Blick in Lisas Richtung, aber deren Grinsen wird nur immer breiter. Wundervoll. Gaaaaaanz wundervoll. „Eve, Lisa, Irene. Wir sind in der gleichen Klasse.“ Wer wer ist ist gerade echt nicht wichtig. Das kann sich Seth gerne selbst zusammenreimen. Ich schaue kurz zu ihm herüber weil ich ein wenig befürchte, dass er noch weniger begeistert davon ist, dass die drei sich zu uns gesellt haben, als ich, aber ausnahmsweise versucht Seth nicht, alles und jeden mit seinen Todesblicken in die Flucht zu schlagen.
    Diese Harmonie-Pheromone wirken wirklich verdammt gut. Heilige Scheiße.
    „Jetzt wissen wir zumindest, warum du heute nicht mitkommen konntest“, sagt Lisa so locker und beiläufig wie möglich, aber ich sehe genau, wie sehr sie mich fixiert und bloß darauf wartet, dass ich etwas Peinliches tue. Aber den Gefallen tue ich ihr nicht.
    Tyler versteckt unterdessen das meiste seines Gesichts mit seiner Tasse. Toll, du Held. Lass mich das hier ruhig alleine regeln. Mein tapferer Ritter in Aluminiumfolie. Warum ist ihm das eigentlich peinlich? Ich bin hier diejenige die verarscht wird und die sich spätestens Morgen einen ganzen Tag lang hämischen „Ich hab’s doch gewusst!“-Singsang anhören darf. Den einzigen Trost, den ich gerade habe, ist, dass Charlie nicht auch noch mit dabei ist. Das würde ich nicht überleben.
    Peinliche Stille macht sich breit. Erst als Nummer Eins wieder zu unserem Tisch schwebt und Bestellungen aufnimmt, löst Lisa ihren Blick von mir. Eine Chance, die Irene, meine Retterin, zu nutzen weiß.
    „Wir waren gerade auf den Weg ins Kino“, erklärt sie milde lächelnd. Tyler neben mir scheint sich ein wenig zu entspannen.
    „Ach, stimmt“, gebe ich zurück. „Welcher Film war das noch gleich?“ Natürlich weiß ich, welchen Film sie schauen gehen. Ich wollte ja erst selbst mitkommen. Aber gerade tue ich alles, um diese unverfängliche Konversation am Laufen zu halten.
    „Tomorrow’s Edge“, antwortet Irene und nimmt mit einem kurzen Dank an den Engelkellner ihren Früchtetee entgegen. Ich sehe, dass Lisa immer noch diabolisch schmal lächelt, aber ich ignoriere sie, so gut es geht.
    „Ach echt?“, stößt Seth deutlich ungläubig aus. Er lässt ein Stück seiner Sahnetorte im Mund verschwinden und kaut auf der Gabel herum. Immer noch keine bösen Blicke. Ob ich Aphrodite dieses Pheromon-Zeug irgendwie abkaufen kann?
    „Das ist dieser Action-Film mit Matt Britt, oder?“ Endlich entscheidet Tyler sich auch dafür, nur mehr den Stummen zu mimen. Danke, ihr Götter.
    Irene nickt. „Ich weiß nicht genau, worum es geht, wenn ich ehrlich bin.“
    „Kampfroboter, Maschinengewehre, Aliens, grausame Tode“, zählt Seth trocken auf. „Sicher, dass ihr den sehen wollt? Läuft doch bestimmt auch irgendeine Romantik-Komödie oder so.“
    Lisa schnaubt und verdreht die Augen, was ihr einen deutlich verwirrten Blick von Seth einbringt.
    „Oh bitte“, stößt sie leicht säuerlich aus. „Meine tägliche Dosis an Kitsch und Liebesdramen kriege ich aktuell auch so ganz gut gefüllt.“
    Eve haut ihr kurz und sehr viel weniger unauffällig ihren Ellenbogen in die Rippen, als sie wohl denkt. Ich reibe mir die Schläfen. Mein Kopf schmerzt. Vermutlich bekomme ich langsam aber sicher einen Tumor.
    Mit einem Mal höre ich Seth kurz bellend lachen.
    „Ätzend, oder?“, fragt er Lisa und nickt kurz in Tylers und meine Richtung. Wir erstarren.
    „Fürchterlich“, bestätigt meine Freundin und grinst breit.
    Ich öffne den Mund, aber es kommt nichts heraus.
    „Und sie denken, es würde keinem auffallen“, fährt Lisa fort und schüttelt theatralisch den Kopf.
    „Was auffallen?“, stößt Tyler gepresst aus aber seine dünne Stimme macht es schmerzhaft offensichtlich, dass er ganz genau weiß, worüber sie redet.
    „Oh komm schon“, knurrt sein Bruder. „Wenn ihr wirklich versuchen wolltet, es geheim zu halten, dann solltet ihr nicht mitten im Flur anfangen wie wild herumzuknutschen.“
    „Sie haben was?“, fragt Lisa für meinen Geschmack viel zu begeistert.
    „Geknutscht. Wie durchgeknallte Teenager“, grunzt Seth und meine Freundin bricht in Gelächter aus. Irene und Eve starren mich beinahe fassungslos an, als hätte man ihnen gerade eröffnet, dass ich einen Mord begangen habe.
    Ich für meinen Teil spüre, wie mir das Blut in die Wangen schießt.
    „Wir haben nicht… geknutscht“, murmele ich schwach. Haben wir wirklich nicht. Das wäre doch etwas zu viel gesagt. Nicht, dass es mich gestört hätte, aber für solche Aktionen waren wir einfach zu müde, von daher….
    „Und heute trauen sie sich nicht mal, Händchen zu halten“, kichert Lisa.
    „Wie kleine Kinder“, bestätigt Seth. „Dabei behaupten immer alle, dass Tyler der erwachsenere von uns beiden wäre.“
    „Bin ich ja auch“, gibt Tyler kleinlaut zurück. Ich werfe ihm einen eindeutigen Blick zu. Das ist es, was dich an dieser ganzen Sache stört?
    „Also Schwester“, spricht meine Freundin mich wieder an und beugt sich über den Tisch. „Seit wann läuft das hier schon?“
    „Seit wann?“, echoe ich selten intelligent.
    „Offiziell? Gestern Abend“, antwortet Seth an meiner Stelle. „Inoffziell? Hab aufgehört zu zählen.“ Tylers und meine Blicke fliegen zu ihm herüber. Ich kann nicht für Tyler sprechen, aber ich bin doch ziemlich verdattert. Der Bluthund weiß anscheinend besser über unsere Beziehung Bescheid als wir selbst. Gottverdammt. Ich habe ihn unterschätzt. Maßlos unterschätzt.
    „Erzähl mir alles“, raunt Lisa Seth zu und der grinst bösartig.
    „Nein!“, stoße ich so schnell ich kann aus. „Hier wird gar nichts erzählt! Nichts! Nada!“
    „Es war so was von offensichtlich. Wenn du mich fragst, dann hat’s schon beim ersten Treffen angefangen, als-“
    „Halt die Klappe, Seth!“, fährt Tyler seinen Zwilling an, was der nur mit einem breiten, diabolischen Grinsen quittiert. Sie tauschen intensive Blicke und ich sitze genau dazwischen. Lisa grinst mindestens genauso fies wie der Bluthund, Irene schwankt zwischen Hilflosigkeit, Schuldbewusstsein und peinlich-berührt-sein und Eve beobachtet das ganze Geschehen möglichst unbeteiligt, als ginge sie das alles gar nichts an.
    Boden. Ich flehe dich an. Tu dich auf und verschling mich. Oder noch besser, verschling Lisa und Seth.
    „Na gut“, seufzt Lisa. „Lassen wir es gut sein. Für heute.“
    „Für immer“, korrigiere ich mit dem bösesten Blick, den ich hinbekomme, ohne dabei wie eine tollwütige Tomate auszusehen.
    „Herzlichen Glückwünsch jedenfalls.“
    Ich höre Tyler neben mir stöhnen und er vergräbt seine Hand in seinen Haaren. Seth dagegen grinst. Warum weiß ich genau, wer dieses telepathische Streitgespräch gewonnen hat?
    „Ich bin dein Bruder“, stößt der Bluthund aus und rollt mit den Augen. „Dachtest du wirklich, du könntest sowas vor mir geheim halten? Vor allem, wenn du permanent grinst, wie der letzte Idiot?“
    „Hat er?“, frage ich, mehr aus Reflex. Ich weiß, dass ich gegrinst habe wie ein Idiot. Ich käme mir etwas weniger bescheuert vor, wenn ich da nicht die einzige wäre.
    „Hab ich nicht“, grummelt Tyler und versteckt sein Gesicht wieder mit seiner Kaffeetasse. Seth nickt mir kurz möglichst unauffällig zu und ich höre Lisa prusten.
    „Was habt ihr denn jetzt noch so vor?“, versucht sich Irene an einer erneuten Rettung. Preiset den Herrn für Irene. Sie ist die Freundin die ich brauche, doch nicht die, die ich verdient habe.
    „Keine Ahnung, ehrlich gesagt“, gebe ich zu und deute dabei unter den Tisch. „Eigentlich sind wir nur mit Hibiki spazieren gegangen.“
    „Ah, richtig“, stößt Lisa aus und verrenkt sich fast den Hals, während sie versucht, einen Blick auf den dösenden Shiba-Inu-Welpen zu erhaschen. „Der ist ja wirklich so niedlich, wie du ihn beschrieben hast.“
    Milde lächelnd stimmt Irene zu. Sie sitzt näher an ihm heran, also beugt sie sich herunter und streicht Hibiki leicht über die Ohren, die ein wenig zucken.
    „Hattest du noch irgendwelche Pläne?“, frage ich Tyler, aber der schüttelt bloß den Kopf.
    „Wann läuft Tomorrow’s Edge heute?“, höre ich Seth fragen, mehr in Lisas Richtung.
    „Halb drei“, antwortet die mit einem kurzen Blick zu Irene und Eve, die beide nicken. „Wieso? Wolltest du den auch sehen?“
    Seth zuckt mit den Schultern. „Hört sich interessant an.“
    „Ava, du wolltest doch auch eigentlich mitkommen, oder?“, spricht Lisa jetzt mich an. Langsam nicke ich. Die Lippen meiner Freundin verziehen sich zu einem Lächeln. Oh, oh.
    „Warum gehen wir dann nicht einfach zusammen?“
    Oh nein. Sie lässt einfach nicht locker.
    Aber jetzt hat sie einen Fehler gemacht. Seth ist viel zu eigenbrödlerisch um zu so einer Einladung ja zu sagen. Es hat Wochen gedauert, bis er sich mit mir abgegeben hat, und ich habe hart an unserer Beziehung gearbeitet und-
    „Klar, warum nicht.“
    Bitte was?!
    Tyler und Ich schauen geradezu verdattert zu seinem Zwillingsbruder herüber, aber der trinkt nur völlig entspannt an seinem Kaffee, als wäre es das normalste in der Welt. Okay, streng genommen ist es das, aber ihr versteht schon, was ich meine!
    Gottverdammt. Diese Pheromone wirken zu gut. Viel zu gut!
    „Vielleicht hat Tyler ja gar keine Lust“, raunt Irene Lisa zu, aber mein nun vollkommen offizieller Freund schaut von mir zu Tyler und dann zu Lisa herüber, unterdrückt ein Seufzen und schüttelt den Kopf.
    „Nein, ich komme mit.“ Dann, leiser, so, dass nur ich es höre: „Irgendwer muss ja aufpassen, dass mein Bruder keinen Mist baut.“


    Das Kino von Hemsfort ist ein recht kleines Gebäude etwas außerhalb der Altstadt. Wären die Glasscheiben nicht zugekleistert mit den aktuellsten Filmpostern würde man den Laden wohl gar nicht als Kino erkennen, denn er liegt zwischen einer Boutique und einem Wohnhaus und hat auch nur drei Säle, die aber hinten durch liegen und die man vom Eingang aus nicht sieht.
    Wir stehen noch vor der Tür und warten auf Tyler, weil der schnell Hibiki nach Hause bringt. Ich war etwas nervös, als wir das Café verließen, weil ich davon ausgegangen bin, dass Seth ohne die Überdosis Pheromone seine gute Laune verlieren würde und bemerkt, wie… offen und freundlich er sich gegenüber völlig fremden Personen verhält. Aber es gab auch weiterhin keine Todesblicke. Zwar ging er wieder zu sarkastischen Sprüchen und unterschwelligen Beleidigungen über, aber das beruhigte mich ehrlich gesagt etwas, denn damit konnte ich umgehen. Lisa übrigens auch, mit der er sich jetzt schon eine ganze Weile über Reviews vom Film unterhält. Einen Meter daneben stehe ich mit Eve und Irene. Letztere hat sich jetzt ungefähr schon zwanzig Mal dafür entschuldigt, dass sie Lisa nicht von ihren blöden Eskapaden abhalten konnte. Eve dagegen tätschelt mir mütterlich die Schulter, kann aber auch nicht ganz verhindern, hin und wieder kichern zu müssen.
    Ich für meinen Teil habe mich in der Zwischenzeit etwas beruhigt und bin zu dem Schluss gekommen, dass es wesentlich schlimmer hätte laufen können. Seth weiß über mich und Tyler bescheid. Und er hat es sehr viel besser aufgenommen, als ich mir ausgemalt habe. Er kann sogar Witze darüber reißen. Und mich damit aufziehen, dass die ganze Familie es schon weiß und Leah vor Freude beinahe im Dreieck gesprungen ist, was mich ziemlich erleichtert.
    Sicher war es peinlich wie sonst nichts. Aber ich werde Lisa wohl nur halb so lange mit bösen Blicken und Verachtung strafen, als ich geplant hatte.


    Irgendwann kommt Tyler auf uns zugejoggt und an seinem Lächeln, halb resignierend, halb glücklich, sehe ich, dass er zum gleichen Schluss gekommen ist wie ich. Dieses Mal gibt es keine Versuche, irgendetwas geheim zu halten und auffällige Berührungen zu vermeiden. Er greift sofort nach meiner Hand, als sie in Reichweite kommt und verschränkt seine Finger darin. Eve schmunzelt und Irene strahlt mich an mit diesem Ausdruck purer Freude. Freude für mich und mein Glück. Ja. Ich habe sie definitiv nicht verdient.
    „Alles klar?“, fragt Tyler mich leise, während wir zu Lisa und Seth herüber schlendern. Sie lacht über irgendetwas und er verdreht genervt die Augen, gibt sich aber große Mühe, dabei nicht zu grinsen. Kaum zu glauben, aber er hat tatsächlich Spaß mit jemandem außer seinem Bruder und mir. Faszinierend. Wunder gibt es anscheinend doch immer wieder.
    „Alles klar“, bestätige ich mit einem schiefen Grinsen. Lisa entdeckt uns und eilt zu mir herüber, mit einem wissenden Grinsen im Gesicht. Ich gehe gar nicht erst darauf ein, sondern schlage sie etwas fester als nötig gegen die Schulter, was sie zum Fluchen bringt. Hups.
    Nicht.


    Ausgestattet mit Popcorn und Getränken verziehen wir uns in den Kinosaal. Außen sitzt Seth, gefolgt von Tyler, mir, Irene, Lisa und Eve, auch wenn ich mir durch Lisas Blick ziemlich sicher bin, dass sie ganz gerne neben Seth gesessen hätte. Es ist immerhin kein großes Geheimnis, dass sie die Bad Boys interessant findet. Es jetzt aber zu übertreiben wäre keine gute Idee, also schenke ich ihr einen eindeutigen Blick, der sie zwar nicht sonderlich glücklich macht, aber es ist nur zu ihrem Besten.
    Der Film selbst ist so gut, wie die Reviews ihn anpreisen. Nach eineinhalb Stunden permanentem Maschinenpistolen- und Raketenwerfer-Geknalle habe ich zwar einen Gehörsturz, der mich fünf Jahre eher taub machen wird, aber ich hatte vor allem auch einiges an Spaß. Und ich bin froh darüber, dass es allen anderen genauso ging. Wir unterhielten uns noch eine Weile draußen im Foyer, lachten über ernsten Szenen und debattierten, welcher Charakter jetzt der coolste war, aber irgendwann wurde es spät und wir gingen getrennte Wege.


    Weil Tyler wieder einen auf Gentleman machen muss, laufen wir nebeneinander die Straße entlang zu mir nach Hause. Seth ist schon vorgegangen, worüber ich etwas froh bin. Jetzt ist zwar alles geklärt, aber wir hatten immer noch keine Chance, alleine miteinander zu reden.
    „Das lief besser als erwartet“, gibt Tyler zu. Er hat seinen Arm um meine Taille gelegt und weil es sich so etwas schwer geht, stolpern wir hin und wieder mehr, als wir gehen.
    „Wesentlich besser“, bestätige ich. „Ich werde sie morgen trotzdem verprügeln.“
    Tyler schmunzelt kurz. „Übertreib es nur nicht. Ich will dich nicht im Gefängnis besuchen müssen.“
    „Im Notfall plädiere ich einfach auf unzurechnungsfähig.“
    „Das könnte bei dir sogar klappen“, zieht er mich auf, erntet aber direkt einen Schlag mit dem Ellenbogen in die Seite.
    „Ich hatte ein wenig Angst, wie er reagieren würde“, gebe ich leise zu. Tyler beobachtet mich aus dem Augenwinkel, dann legt er den Kopf in den Nacken und schaut Richtung Himmel. Als ich dasselbe tue, ist der schon beinahe schwarz. Einzelne Wolken ziehen sich darüber, und hier und da scheinen die ersten Sterne durch. Mein Atem färbt kleine Rauchschwaden vor meinem Gesicht. Wann ist es so kalt geworden?
    „Ich auch“, antwortet er langsam. „Aber… Es macht ihm nichts aus.“
    „Gottseidank“, raune ich.
    „Er kann dich gut leiden.“
    „Mhh“, gebe ich zurück. Ich weiß. Manchmal frage ich mich, wie das passieren konnte, so sehr, wie er mich gehasst hat, aber… Dann entscheide ich mich dafür, mich einfach darüber zu freuen und nicht weiter nach zu harken. Vielleicht würde ihm dann klar werden, dass er keine guten Gründe dafür hat, mich zu mögen.
    „Den wievielten haben wir heute?“
    „24. November“, antworte ich.
    „Nicht mehr lange bis zu den Weihnachtsferien“, stellt Tyler fest.
    Richtig. Bald wäre ja dann auch Weihnachten.
    Naja. Für mich nicht.
    Heute ist vorbei, und damit bleiben mir nur noch sechzehn Tage. Danach lande ich entweder in der Hölle, oder zurück in meinem alten Leben.
    Mein altes Leben.
    Huh.
    „Hey, Tyler?“
    Er löst seinen Blick vom Himmel und schaut zu mir herunter, mit einem leichten, glücklichen Lächeln. Ich lächele zurück. Dann schaue ich auf die Straße vor uns.
    „Bist du eigentlich glücklich?“
    Ich sehe aus dem Augenwinkel, dass er kurz stutzt und mich fragend ansieht, aber mein Blick bleibt auf dem Teer haften.
    „Natürlich“, antwortet er.
    Ich beiße mir auf die Lippe. Lügt er mich bewusst an? Oder weiß er am Ende selbst nicht, dass er unglücklich ist?
    „Warum fragst du?“
    „Nur so“, nuschele ich. „Ist ja… nicht immer alles einfach für dich.“
    Ich spüre, dass er unterdrückt lacht, aber es dauert nicht lange, da wird er wieder still.
    „Und was ist mit dir?“, fragt er. „Bist du glücklich?“
    Nein.
    „Ja.“
    „Dann ist doch alles gut“, raunt er mir zu und drückt mir einen Kuss auf den Kopf.
    „Wenn du irgendetwas auf dem Herzen hast-“, fange ich etwas ungehaltener an, als beabsichtigt. Als ich das merke, lasse ich den Rest des Satzes einfach in der Luft hängen.
    „Dann rede ich mit dir“, antwortet er wie selbstverständlich.
    „Richtig“, murmele ich.
    Ich lege meinen Kopf gegen seine Schulter.
    Tyler vertraut mir. Er würde mir erzählen, wenn etwas nicht stimmt. Er weiß es also selber nicht. Irgendwie… muss ich es herausfinden. Was ihn unglücklich macht. Ich muss mit ihm reden. Über alles sprechen.
    „Du auch“, spricht Tyler mich noch einmal an. Ich schaue zu ihm hoch. Dieses Mal lächelt er nicht. Sein Blick ist forschend, fragend. „Wenn du reden möchtest...“
    „Dann rede ich mit dir.“
    Und da ist es wieder. Dieses Lächeln, dass mein Herz zum Pochen bringt und das ich einfach erwidern muss.
    „Versprochen?“, fragt er.
    „Versprochen.“
    Damit gibt er sich zufrieden. Tyler beugt sich herunter und drückt mir einen Kuss auf die Lippen.


    Einen Tag zusammen. Und ich breche mein erstes Versprechen an ihn.
    Ich hasse es, ihn anlügen zu müssen..





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  • Tyler Route


    Chapter 11: Peter Pan's Shadow




    „Das ist sowas von nicht fair.“
    Charlies Backen sind beleidigt aufgeblasen und sie starrt mich, Lisa und Irene in Grund und Boden. Ihr Stuhl balanciert auf den Hinterbeinen und fordert die Schwerkraft selbst heraus. Ich behalte einen Blick darauf und erstarre jedes Mal, wenn er dabei ist, diese feine Grenze zu überschreiten, die ihn noch aufrecht hält.
    „Es war ja nicht geplant“, gibt Lisa zurück und zuckte mit den Schultern.
    „War es wirklich nicht“, antworte ich trocken und werfe ihr einen bösen Blick zu, den sie aber gekonnt ignoriert. Hey, nur weil am Ende alles gut gegangen ist, heißt das nicht, dass ich ihr diesen höchst peinlichen Auftritt so einfach verzeihe! Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr kommt mir der gestrige Tag wie ein Sketch in einer drittklassigen Comedy-Show vor und das geht mal gar nicht. Ich habe mindestens eine zweitklassige verdient!
    „Ausgerechnet gestern“, schnauft Charlie und verzieht das Gesicht. Der einzige Grund, warum sie gestern nicht auch noch mit von der Partie gewesen war, ist ein Baseballspiel gewesen. Und während ich mir fest vornehme, den heiligen Baseball-Göttern heute Abend ein paar Hotdogs zu opfern oder so, verflucht Charlie die im gleichen Atemzug. Nicht nur hat sie die mit Abstand lustigste Pärchen-Offenbarung in der Geschichte Hemsforths verpasst, nein, ihr Team hat auch noch verloren, und das natürlich nur, weil der Schiedsrichter ganze Tomatenfelder auf den Augen hatte.
    Irene, Lisa und ich tauschen vielsagende Blicke. Lisa versucht mich telepathisch zu überreden, Charlie jede Kleinigkeit zu erzählen, damit sie zumindest ein bisschen bessere Laune bekommt, ich sende ihr Todesblicke weil ich nicht bereit bin, zwei Tage hintereinander vor lauter Peinlichkeit den Phänotyp Tomate anzunehmen, und Irene versucht irgendwie zu vermitteln.
    „Ach komm schon“, zischt Lisa mir möglichst leise zu, kann sich ein schadenfrohes Grinsen aber nicht ganz verkneifen. „Tu es für sie!“ Sie nickt kurz in Charlies Richtung, die noch immer total bedröppelt reinschaut, als hätte sie kein Stück von der Geburtstagstorte abbekommen.
    Oh man…
    Warum genau bin ich nochmal mit ihr befreundet?
    Ah. Ja. Richtig. Weil ich eine verdammte Masochistin bin.
    „Aber nicht hier“, raune ich und tarne einen Blick durchs Klassenzimmer, indem ich mich an meiner Tasche zu schaffen mache, die über meiner Lehne hängt. Ich erwische Joshua dabei, wie er mich anstarrt, als würde er dadurch auf magische Art und Weise meine Gedanken lesen können, sich dann aber geradezu überschlägt einen auf unauffällig zu tun.
    Charlies Gesicht hellt sich etwas auf. Lisas Grinsen wird breiter. Irene tätschelt mir liebevoll den Arm. Und ich weiß jetzt schon, dass ich das bereuen werde.


    In Sport sollen wir eigentlich Runden laufen, aber weil Herr Joan ohnehin zu sehr damit beschäftigt ist, mit einigen Jungs darüber zu debattieren, welcher Fußballverein jetzt der beste ist- ein wöchentliches Ritual, zu einem Ergebnis kommen sie nie, aber es ist ganz lustig mit anzusehen, wie die Gesichter aller Beteiligten hochrot anlaufen und sie sich gegenseitig anbrüllen, dass sie keine Ahnung haben- schaffen wir es, uns abzusetzen. Meine Freundinnen und ich verziehen uns hinter die Sporthalle, schön nah an die Wand, wo es zumindest ein wenig windgeschützt ist. Langsam aber sicher wird es hier wirklich unerträglich kalt. Der Winter kommt. Naja. Eigentlich ist er längst da, aber ihr wisst, was ich meine.
    Ich stöhne, als ich Charlies drängenden Blick sehe, reibe mir über die kalten Arme und mache mich innerlich auf die nächste Erniedrigung gefasst.


    Aber auch, als ich fertig bin, lacht Charlie nicht. Und das bereitet mir mehr Sorgen, als es sollte.
    „Ihr seid jetzt also offiziell ein Paar?“, fragt der rothaarige Lockenschopf mit leicht zusammengekniffenen Augen.
    Ich nicke und gebe mir Mühe, nicht allzu peinlich berührt auszusehen. Eigentlich ist es ja kindisch. Aber uneigentlich ist es meine erste Beziehung, da darf ich wohl etwas unsicher sein. Oder?
    „Gott“, stößt Charlie seltsam tonlos aus und starrt auf den Boden vor sich. Dann, mit einem breiten Lächeln und etwas, dass sich verdächtig stark nach einem Quietschen anhört: „Gott, ist das niedlich!“
    „Häh?“, frage ich selten intelligent. Lisa neben mir bricht in Gelächter aus.
    „Du hör auf zu lachen!“, gibt Charlie mit ärgerlichem Blick von sich und schlägt ihr spielerisch gegen den Arm, was Lisa mit einem übertriebenen Schmerzenslaut quittiert. „Du hast ihnen voll den Tag versaut! Ihr erstes Date als offizielles Pärchen! Schäm dich!“
    „Also ich fand‘s lustig“, kommentierte Lisa ohne einen Hauch von Reue.
    „Schön für dich“, knurre ich, aber sie scheint nicht sonderlich beeindruckt.
    „Und ihr habt Händchen gehalten?“, fragt Charlie und die Sommersprossen auf ihrer Nase tanzen begeistert.
    „Schon“, nuschele ich, noch immer nicht ganz sicher, was auf einmal mit ihr los ist. Ich dachte, dass Charlie genauso schadenfroh sein würde, wie Lisa. Aber sie scheint sich regelrecht zu freuen. Nein, freuen ist nicht das richtige Wort, es ist mehr… Begeisterung? Eine zugegeben sehr beunruhigende und fragwürdige Begeisterung, aber…
    „Aww!“, stößt Charlie aus und mir entgleiten endgültig alle Gesichtszüge. Hat sie gerade etwa wirklich ‚Aww‘ gesagt? Okay. Okay, wer ist das, und was hat sie mit Charlie gemacht?!
    „Du hast sie noch nie so erlebt, oder?“, raunt Irene mir zu, während Lisa dem Lockenkopf sämtliche peinlichen Details darlegt, was ich so gut es geht ausblende.
    „Nein“, stoße ich gepresst hervor, noch immer an meinem Verstand zweifelnd.
    „Charlie hat eine überraschend romantische und mädchenhafte Seite“, erklärt Irene mir milde lächelnd. „Sie ist die erste, die bei romantischen Filmen weint.“
    „Ist das dein Ernst?“, frage ich verdattert. Irene nickt.
    Irgendwie… Irgendwie bricht gerade mein Bild von Charlie in sich zusammen. Und das schockiert mich mehr, als es sollte.


    Glücklicherweise war das Peinlichkeitskontingent des gestrigen Tages irgendwann aber aufgebracht, deswegen kam Charlie- also die, die ich kennen und lieben gelernt habe- wieder zu sich und ging dazu über, mich genauso aufzuziehen wie Lisa, was mir ehrlich gesagt tausend Mal lieber war, denn das war ich gewöhnt damit konnte ich umgehen. Die Gewissensbisse und die Kälte, zu einem großen Teil aber die Kälte, trieben uns wieder zurück in die Turnhalle, wo wir gewissenhaft wie die braven Mädchen, die wir waren, noch einige Runden liefen, bevor unser Coach die Fußballdebatte einstellte und uns harsch anwies, uns umziehen zu gehen. Seiner Laune und dem breiten Grinsen der Jungs nach zu urteilen hatte er die heutige Diskussion verloren.


    Ich schlüpfe in meinen Pullover, Jeans, Stiefel und Parka, greife meine Tasche und rausche nach einem kurzen „Bis später“ und einem wissenden Grinsen meiner Freundinnen aus der Turnhalle. Noch bevor die Glocke läutet, habe ich den Pausenhof schon überquert und schlüpfe durch das Tor Richtung Garten.


    „Warum ist es hier so verdammt kalt?“, brumme ich mit einem ärgerlichen Blick auf den kleinen Tümpel, der vollkommen zugefroren ist. Die Äste über unseren Köpfen haben mittlerweile auch so ziemlich alle Blätter verloren, deswegen sehe ich den grauen Himmel mit den Schlierenwolken, die unnatürlich schnell vorbeiziehen.
    „Wir sind im Norden und am Meer“, antwortet Tyler und grinst breit. „Was hast du erwartet?“
    „Sei nicht so eine Pussy“, gibt Seth zurück, aber ich sehe ganz genau, dass er genauso zittert wie ich, auch wenn er sich Mühe gibt, das nicht zu zeigen.
    „Hast du eine Ahnung wie viele Schichten Kleidung ich trage?“, raune ich. „Und mir ist trotzdem noch schweinekalt. Das geht doch nicht klar.“
    Tyler rutscht noch ein Stück näher an mich, so, dass er hinter mir sitzt, und zieht mich in eine Umarmung. Ich lehne mich gegen ihn und spüre sein Kinn auf meinem Kopf. Langsam aber sicher dringt Tylers Körperwärme zu mir durch. Daran könnte ich mich gewöhnen.
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Seth ein Büschel Gras aus dem Boden rupft. Vorsichtig, damit ich Tyler nicht störe, drehe ich meinen Kopf in seine Richtung und beobachte, dass sein Zwilling die Halme zwischen den Fingerspitzen zerdrückt, die sich grün färben. Ich schaue ein wenig auf, mehr aus Gewohnheit als alles andere, und sehe, dass Seths Blick nicht auf seiner Hand ruht. Seine roten Augen starren auf einen Punkt über mir, zu Tyler, ganz bestimmt. Dann, für einen Moment nur, schaut er mir direkt in die Augen.
    Ich bleibe stumm.
    Etwas in seinem Gesicht verändert sich.
    Ich hebe eine Augenbraue.
    Seine ziehen sich zusammen.
    Dann sieht er weg.
    Knirscht mit den Zähnen, reißt noch ein Büschel Gras aus.
    Das Ausreißen macht ein merkwürdig feuchtes, unangenehmes Geräusch. Für eine Weile beobachte ich Seth noch, aber der macht keine Anstalten, meine Existenz anzuerkennen. Mit einem seltsam angespannten Gefühl dränge ich mich enger an Tyler, der immer noch vor sich hin döst. Er hat von all dem nichts mitbekommen, da bin ich mir sicher.


    Das Klingeln von Tylers Handy beendet die seltsame Stille, die sich über den Garten gelegt hat. Kein Rascheln von Blättern mehr, keine Tiere im Geäst, kein Blubbern vom Tümpel. Im Winter ist alles seltsam gedämpft. Deswegen zucke ich bei dem nichtssagenden Piepsen hinter mir kurz zusammen. Ich höre Tyler gähnen, er zieht seinen rechten Arm von meinem Bauch zurück und wühlt in seiner Jackentasche. Ich drehe mich so weit es geht zu ihm herum und sehe, wie er mit einem fragenden Blick sein Handy löchert.
    „Einer aus der Mitarbeiterabteilung vom Tierpark“, murmelt er, als ich ihn leicht mit dem Ellbogen anstoße. Tyler nimmt auch den linken Arm von mir und kämpft sich hoch. „Bin gleich wieder da.“
    Damit verschwindet er durch das Tor, außer Sichtweite. Ich bleibe mit Seth zurück und merke die Kälte schon wieder in meinen Körper sickern.
    „Was wollen die?“, frage ich mehr mich selbst als Seth. Ich ziehe die Knie an und schlinge meine Arme um sie, um möglichst wenig Wärme zu verlieren, aber selbst das hilft nicht viel. Mein Blick haftet noch immer auf dem Gartentor.
    Ob es wohl Probleme mit seinem Praktikum gibt? Nein, bestimmt nicht. Man hatte ihm den Platz immerhin zugesagt.
    Aber was wenn jetzt doch etwas dazwischen gekommen ist? Tyler freut sich doch so sehr auf das Praktikum. Sie können ihm diese Chance jetzt nicht einfach wegnehmen. Er hat sich so viel Mühe gegeben…
    Ich beiße mir auf die Lippe und zwinge mich dazu, zum Tümpel zu sehen.
    „Hey, Seth“, stoße ich irgendwann aus und meine Stimme klingt fürchterlich wackelig. Ich höre den Zwilling neben mir kurz grunzen, als Zeichen, dass er zuhört.
    „Hat…“, fange ich an, breche dann aber ab. Ich atme einmal ein, dann wieder aus. „Hat Tyler irgendwelche… Probleme?“
    „Probleme?“, wiederholt Seth fragend.
    „Ich meine… gibt es etwas, das ihn belastet? Oder ärgert?“, stoße ich etwas zu schnell aus. Ich wage es nicht so recht, Seth anzusehen. Ich weiß nicht, warum. Vielleicht ist es dieses ungute Gefühl in meiner Magengegend, vielleicht das unangenehme Pochen in meiner Brust.
    „Solltest du das nicht lieber ihn fragen?“
    „Habe ich doch!“, gebe ich ungehaltener zurück als gewollt. Ich reiße mich vom Anblick von gefrorenem Schlamm los und wage es noch einmal, zu Seth zu schauen. Er mustert mich ganz genau, wie ein Insekt unter einem Vergrößerungsglas. „Er sagt, dass alles okay ist“, fahre ich leiser, ruhiger fort.
    „Und wo ist dann das Problem?“, fragt Seth und seine Augen werden schmal.
    „Er ist nicht glücklich.“
    „Wie kommst du denn darauf?“ Seine Stimme nimmt einen spöttischen Tonfall an. „Tyler führt sich auf wie der letzte Vollidiot, so verknallt ist der. Würde mich nicht wundern, wenn er demnächst anfängt Liebesbriefe zu schreiben oder Ständchen zu singen. Es ist schon fast widerlich, wie gut er drauf ist.“
    Meine Zähne knirschen. Er ist nicht glücklich. Ich weiß es ganz genau. Aber ich kann Seth schlecht sagen, dass ich die Info von einem magischen Hologramm-Spiegel Marke griechischer Schmiede-Gott habe. Das wäre selbst für unsere Verhältnisse zu albern.
    „Ich weiß einfach, dass da etwas ist“, murmele ich stattdessen und reibe mir über die Schläfen. Seit gestern Abend kreisen meine Gedanken ständig um unser Gespräch. Natürlich hat er gesagt, als ich ihn gefragt habe, ob er glücklich ist. Er hat geantwortet, ohne zu zögern. Vermutlich denkt Tyler wirklich, dass es so ist. Egal, wie oft ich ihn frage, er wird mir nicht die Antwort geben können, die ich brauche.
    „Warum fragst du ausgerechnet mich?“, höre ich Seth fragen. Er hat den Kopf in den Nacken gelegt, aber ich sehe, dass seine Stirn angestrengt gerunzelt ist.
    „Du bist sein Zwillingsbruder. Von allen Menschen bist du ihm am nächsten“, antworte ich. Die beiden können noch immer alleine über Blicke ganze Romane austauschen, dagegen komme ich einfach nicht an. Seth wusste auch von Anfang an, dass Tyler und ich nicht nur Freunde sein wollen. Er wusste über sehr viel mehr bescheid, als ich ihm zugetraut hätte. Wenn mir also jemand helfen kann, dann er. Seth ist meine einzige Chance, Tyler glücklich zu machen.
    „Ich hab keine Ahnung, wovon du redest.“ Seth gähnt ausgiebig, dann wirft er mir aus dem Augenwinkel einen Blick zu. „Wenn er ein Problem hat, dann lässt er es sich nicht anmerken.“
    „Vielleicht hast du auch einfach nicht genau darauf geachtet“, stoße ich aus. Seth‘ Augen verengen sich. „Wenn… Wenn dir etwas auffällt, sagst du es mir dann?“ Für eine Sekunde schweigen wir uns an, dann sage ich, mit etwas mehr Nachdruck: „Bitte, Seth.“
    Für einen Moment starrt er mich an, als wolle er mich sezieren, dann stöhnt er genervt.
    „Meinetwegen.“
    „Versprichst du es mir?“
    „Ja, mein Gott“, grunzt der Zwilling. „Geh mir nicht auf die Nerven.“
    „Danke“, sage ich und zwinge mich zu einem Lächeln. Besonders ehrlich kommt es mir aber nicht vor.



    Es ist Dienstag, kurz nach Schulschluss. Ich gehe neben Tyler und Seth den Mount School herunter, mein Gesicht zur Hälfte mit einem Schal bedeckt und die Hände tief in den Jackentaschen. Das ungute Gefühl von gestern ist noch immer da und mit ihm eine seltsame Stimmung. Seth und ich haben gestern im Garten die ganze restliche Zeit geschwiegen. Erst, als Tyler zurückkam und uns erklärte, dass der Personalleiter einige persönliche Angaben hatte überprüfen wollte, löste sich ein wenig der Anspannung in meinem Körper, aber wirklich wohl fühlte ich mich auch die ganze restliche Pause nicht. Auch heute verfielen wir in ein seltsames Schweigen. Ich erwischte Seth immer wieder dabei, wie er seinem Bruder seltsam scharfe Blicke zuwarf, als wolle er ihn durchleuchten, und ich bin mir sicher, dass Tyler unser merkwürdiges Verhalten aufgefallen war. Er sah mich fragend an, aber darauf ansprechen tat er uns nicht.
    Leah hatte mich für heute zum Essen eingeladen und wie sie mir über Tylers Handy unmissverständlich klar machte, würde sie ein nein nicht akzeptieren und höchst persönlich nehmen, also gab ich sämtlichen Widerstand auf und gab mich geschlagen. Als wir also um kurz nach drei beim Haus der Prestons ankommen, scheint Leah schon zu warten. Tyler hat gerade den Schlüssel im Schloss umgedreht und die Tür aufgestoßen, da höre ich auch schon ein gesungenes „Hallo!“ durch das Haus schallen. Wir schlüpfen hinein und die Wärme im Haus lässt mir einen wohligen Schauer durch den Körper fahren.
    „Da seid ihr ja!“, höre ich Leah sagen, noch bevor ich sie sehe. Und gerade, als ich mich zu ihr umdrehen will, werde ich auch schon mit einer überschwänglichen Umarmung begrüßt, die mir sämtliche Luft aus den Lungen presst.
    „Ava!“, stößt Leah aus. „Wie schön, dass du da bist!“
    Mein „Danke für die Einladung“ hört sich mehr wie das Gekrächze einer überfahrenen Elster an und ergibt für seine Hörer vermutlich kaum Sinn, aber mit gequetschten Rippen lässt es sich recht schlecht reden. Erst als Leah mich auf eine Armlänge Abstand hält und mir ein herzliches, strahlendes Lächeln schenkt, bekommt mein Gehirn wieder die Sauerstoffzufuhr, die es braucht. Ich versuche mich ebenso an einem Lächeln, aber irgendwie… Irgendwie mag es nicht so recht auftauchen. Und Leah bemerkt es, das sehe ich ihr an.
    „Wann gibt es essen?“, höre ich Seth fragen, der seine Schuhe unachtsam in die Ecke kickt und seine Jacke über den Kleiderständer wirft.
    „Gleich, gleich!“, antwortet seine Mutter mit unentwegt strahlendem Lächeln und lässt dann endlich zu, dass ich mir meine Jacke ausziehe. Tyler nimmt sie mir ab, als ich mich umdrehe und bevor ich auch nur „Danke“ sagen kann, schiebt Leah mich schon, einen Arm auf meinen Rücken gelegt, in Richtung Küche.


    Zusammen mit Martha, die mir ein wissendes, aber freundliches Lächeln schenkt, wartet in der Küche zum einen Wärme, zum anderen aber auch der unglaubliche Geruch von selbstgemachter Pizza. Und egal wie schlecht drauf ich auch bin, Pizzageruch steigert meine Laune immer erheblich. Deswegen ist das Lächeln, das ich aufsetze, dieses Mal vermutlich auch etwas effektiver.
    Leah zieht mich herüber zu den Barhockern und setzt sich auf den neben meinem, Tyler und Seth dagegen verschwinden Richtung Flur, der eine, weil er sich noch um Hibiki kümmern muss, der andere, um etwas Schulkram zu erledigen, wie Leah ihm mit einem unmissverständlichen Tonfall klar macht. Ich höre ihn schnaufen, aber selbst Seth wagt es nicht, seiner Mutter Widerworte zu geben, also gibt er sich geschlagen.
    „Wie geht es dir, Ava?“, fragt Leah mich mit ehrlichem Interesse. Ihr Blick ist zwar freundlich, aber ich sehe genau, dass sie mein ganzes Gesicht nach etwas absucht.
    „Gut“, gebe ich knapp zurück, weiß aber selber, dass ich nicht wirklich überzeugend wirke. Ich fahre mir durch die offenen Haare und spiele an den Spitzen herum, um irgendetwas zu tun zu haben. „Ganz schön kalt draußen“, füge ich dann hinzu, in der naiven Hoffnung, dass mich das weniger verdächtig macht.
    Tut es nicht.
    „Ist etwas mit Tyler?“, fragt Leah wesentlich direkter als ich jemals erwartet hätte, deswegen verschlucke ich mich erst einmal an dem Glas Wasser, das Martha mir gerade gereicht hat. „Oder ist es Seth? Es ist Seth, oder?“
    „Leah“, stößt Martha aus und schüttelt resignierend den Kopf. „Immer mit dem Kopf durch die Wand“, höre ich die ältere Dame murmeln und sie schenkt mir ein entschuldigendes Lächeln. Ich erwidere es etwas unsicher.
    „Nein, es ist alles okay“, antworte ich Leah. „Denke ich.“ Eiskalte Lüge.
    Für eine Weile verfallen wir in Schweigen. Bin ich wirklich so einfach zu lesen? Vielleicht zählt Leah aber auch einfach zu derselben Kategorie Mensch wie Irene. Die, die in jedem Moment wissen, was im Kopf von anderen vorgeht, wie eine Art Mutanten-Superheld-Psychologe oder so. Der Gedanke müsste mir eigentlich Angst einjagen, aber wie kann man vor einer so zierlichen und freundlichen Frau Angst haben?
    Okay, zugegeben, wenn sie müde ist und ihr jemand die Vorfahrt nimmt, sieht die ganze Geschichte schon wieder anders aus, aber-
    „Sie können dich wirklich gut leiden. Alle beide“, reißt Leah mich aus meinen Gedanken. Sie schaut etwas abwesend zum Garten heraus, wo die Hollywood-Schaukel steht, umgeben von leichtem Nebel. Ich spiele an meinem Fingern herum, drehe den goldenen Ring. „Bei Tyler ist das offensichtlich, aber auch Seth… Er würde es nie zugeben, weil er ein Sturkopf ist, aber er mag dich sehr.“
    Ich nicke leicht, bleibe aber stumm.
    „Nimm es ihm bitte nicht übel, dass er am Anfang so schwierig war.“
    Ich fahre etwas hoch und blinzele Leah an. Hatte sie es also doch bemerkt. Dabei hat sie es sich wirklich nicht anmerken lassen. Scheinbar wird das hier eine Tradition, dass ich Mitglieder der Familie Preston maßlos unterschätze. Wenn mir jetzt jemand sagen würde, dass Martha einen schwarzen Gurt in Karate hätte, wäre ich vermutlich nicht einmal überrascht.
    „Das ist schon okay“, gebe ich zurück und meine es auch so. Mittlerweile denke ich gar nicht mehr an die Zeit zurück, in der es Seth‘ absolute Lieblingsbeschäftigung war, mich mit Todesblicken zu löchern oder mich auf stellenweise sehr kreative Art und Weise zu verfluchen. Nein, eigentlich verdränge ich die Erinnerung sogar, wenn ich ehrlich bin. Macht es irgendwie einfacher in seiner Nähe zu sein, wenn man nicht permanent Todesdrohungen im Hinterkopf hat.
    „Ich bin wirklich froh, dass die beiden dich kennen gelernt haben“, fährt Leah fort, ein seltsam weit entferntes Lächeln auf den Lippen. „Ich habe sie selten so fröhlich erlebt, weißt du? Sie waren schon immer Eigenbrödler, da bin ich glücklich, dass sie endlich mal jemand aus ihrem Schneckenhaus gelockt hat.“
    „Unser Schneckenhaus war aber ziemlich bequem“, höre ich Tyler sagen. Er steht im Türrahmen und grinst breit als er den ertappten Ausdruck auf dem Gesicht seiner Mutter sieht.
    „Andere zu belauschen ist unhöflich!“, stößt Leah halbherzig streng aus, aber ihre Lippen verziehen sich zu einem zufriedenen Lächeln, als Tyler zu mir herüber schlendert und seinen Arm um meine Taille schlingt.
    „Dann geh doch zurück, wenn es da so bequem war“, raune ich mit gespielter Beleidigung,
    „Ab und an ist’s draußen auch ganz schön“, erwidert Tyler und drückt mir einen Kuss auf die Wange, was mich prompt zu einem mädchenhaften Kichern bringt. Charlie hätte ihre Freude.


    Wir blödeln noch etwas herum, aber die ganze Zeit über behält Leah mich im Blick. Für eine Weile ziehe ich in Erwägung, sie zur fragen, was Tylers Problem sein könnte, aber ich möchte sie damit nicht belasten. Sie hat sich jahrelang Sorgen um ihre Söhne gemacht und denkt jetzt, dass sie endlich glücklich sind… Ich will ihr nicht noch mehr Ärger machen. Also bleibt Seth weiter meine einzige Hoffnung, schätze ich.
    Aber je mehr Zeit ich mit Tyler verbringe, desto mehr frage ich mich, ob Aphrodite nicht vielleicht doch Recht hat und der blöde Spiegel einfach kaputt ist. So ausgelassen, wie wir lachen und scherzen, kann er doch eigentlich gar nicht unglücklich sein.
    Aber ich weiß ja, dass das nicht stimmt und ich mir nur Dinge einrede. Dafür habe ich aber leider keine Zeit. Heute ist Tag 45. Fünfzehn bleiben mir noch übrig. Und das lässt meine Laune dann doch wieder sinken. Knapp zwei Wochen.
    Shit.


    Das Geräusch der Türklingel reißt mich aus meinen trüben Gedanken. Martha und Leah tauschen einen wissenden Blick, dann springt die jüngere der beiden mit einem breiten Lächeln auf und verschwindet aus der Küche.
    „Genau pünktlich“, stößt Martha aus und öffnet den Backofen, zieht mit Bachhandschuhen über den Fingern die Backbleche aus dem Ofen. Tyler eilt herüber und zieht einige Schneidebretter aus einer Schublade.
    Vom Flur höre ich Leahs Stimme, aufgedreht wie eh und je, ab und an ein Kichern und dann eine männliche Stimme. Tyler lauscht, dann macht sich Überraschung in seinem Gesicht breit, als er zur Tür geht und den Kopf rausstreckt. Ich werfe Martha einen fragenden Blick zu, aber die ist mit den Pizzen beschäftigt und lächelt nur vor sich hin. Tyler verschwindet in den Flur und ich höre ihn sprechen, aber was er sagt, verstehe ich nicht. Etwas unsicher bleibe ich auf meinem Hocker sitzen, meine Beine schwingen vor und zurück.
    „Ich dachte, du kommst erst in zwei Tagen.“
    „Ein Termin wurde abgesagt und die Besprechung verschoben.“
    „Wir können auch sofort essen, ich gehe schnell Seth Bescheid sagen.“
    Tyler taucht wieder im Türrahmen auf, dicht gefolgt von einem Mann, den ich nicht kenne. Groß gewachsen und schlank, aber nicht zierlich, schwarzes, ordentliches Haar, ein kantiges Gesicht mit hohen Wangenknochen und stechend rote Augen. Bevor er mich auch nur zur Kenntnis nimmt weiß ich sofort, dass er Tylers und Seth‘ Vater sein muss. Die Ähnlichkeit ist einfach zu erstaunlich um Zufall zu sein.
    „Oh“, stößt er aus, als er mich sieht. Instinktiv gleite ich von meinem Sessel herunter und richte mich gerade auf. Irgendetwas in seinem Blick macht mich nervös. Er wirkt so… streng. Und die Art und Weise wie er mich mustert… Als würde er nach Fehlern in mir suchen. Ich fummele am Saum meines Pullovers herum.
    „Dad, das ist-“, beginnt Tyler neben ihm, aber sein Vater unterbricht ihn.
    „Ava Jolie?“, stößt er aus und ich zucke unwillkürlich, aber glücklicherweise recht unauffällig, zusammen.
    „J-Ja“, antworte ich. Tyler runzelt die Stirn und sieht seinen Vater fragend an. Für einen kurzen Augenblick mustert der mich noch, und jetzt weiß ich endlich, woher die Zwillinge ihren bohrenden Blick haben. Dann breiten sich seine Lippen zu einem Lächeln aus, das ich ihm nicht zugetraut hätte. Drei, vier weite Schritte und er steht direkt vor mir, greift meine Hand und schüttelt sie beinahe vorsichtig.
    „Leah hat mir schon alles brühwarm erzählt“, stößt er mit einem ruhigen, gelassenen Lachen aus. „Du bist also die sagenumwobene Ava, die meine Söhne gebändigt hat.“
    Etwas perplex ringe ich mich zu einem langsamen Nicken durch. Tyler hinter seinem Vater stöhnt und murmelt etwas vor sich hin, was ich nicht verstehe. Die Augen seines Vaters blitzen belustigt.
    „Nenn mich bitte einfach Frederic“, richtet er sich dann wieder an mich. „Es freut mich, dich kennen zu lernen.“
    „Mich auch“, gebe ich zurück und jetzt, wo er mich mit einem kurzen Grinsen anzwinkert, fällt es mir leicht, sein Lächeln zu erwidern.


    Seth ist genauso überrascht, dass sein Vater schon zu Hause ist wie Tyler auch. Offenbar hatte er nur Leah davon erzählt und die hatte die Gelegenheit dafür genutzt, mich auch gleich offiziell bei ihm vorzustellen, jetzt, wo ich quasi Teil der Familie bin, wie sie strahlend lächelnd sagte.
    Ich muss zugeben, dass ich eine Weile brauche, um Frederic einzuordnen. Er hat eines dieser Gesichter, die von Natur aus streng und ernst aussehen, aber zumindest im Umgang mit seiner Familie ist er das wirklich nicht. Er hat diese süffisante, immer leicht überlegene Art von Humor, genauso wie Tyler auch, aber der ist nur für den männlichen Teil der Familie reserviert. Gegenüber seiner Mutter, Frau und auch mir ist er der perfekte Gentleman, unglaublich freundlich und offen. Kurzgesagt… Er ist cool. Unglaublich cool. Und ich kann nicht anders als Frederic und Leah zu bewundern, die so ganz natürlich und herzlich miteinander umgehen, ohne auch nur die Spur von Unbehagen, die nebeneinander sitzen und Blicke austauschen, sich berühren und sich anlächeln.
    Das ist es auch, was es für mich etwas einfacher macht, mit Tyler zusammen am Tisch zu sitzen. Ich dachte erst, dass ich mich unwohl fühlen würde, vor den Augen seiner Eltern seine Hand zu halten, ihn zu umarmen oder, Gott bewahre, ihn zu küssen, aber… Das tue ich nicht.
    Den Magen voll mit köstlicher Pizza und Vanillepudding, den Martha von irgendwo hergezaubert hat, sinke ich zufrieden in meinen Stuhl. Tyler rechts von mir greift nach meiner Hand und verschränkt seine Finger in meinen. Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie Leah und Frederic einen kurzen, amüsierten Blick tauschen, aber das stört mich nicht.
    „Geht ihr drei ruhig schon nach oben“, spricht Leah uns an und Seth und Tyler lassen sich das nicht zweimal sagen. Ich will protestieren und zumindest anbieten, beim Abräumen zu helfen, aber Martha wirft mir einen eindeutigen Blick zu, also schlucke ich die Worte herunter und folge den Zwillingen Richtung Flur.


    „Euer Vater ist echt cool“, stoße ich aus, als wir die Treppe in den ersten Stock hochgehen, wo die beiden ihre Zimmer haben.
    „Er kann ganz schön nerven“, antwortet Seth mit einem düsteren Blick, aber Tyler grinst nur: „Dich nervt jeder, der dich daran erinnert, dass du dein Zimmer aufräumen sollst.“
    „Klappe“, gibt sein Bruder zurück.
    Oben biegen wir nach rechts ab, wo ich vier Türen sehe. Tyler führt mich zu den hinteren beiden und drückt dann die linke auf.
    Sein Zimmer ist ziemlich groß. So groß, dass ein Doppelbett hereinpasst, genauso wie ein riesiger, weißer Kleiderschrank, zwei deckenhohe Regale voll mit Büchern, Ordnern und anderen Dingen, ein Schreibtisch mitsamt PC und Laptop, ein großer Flachbildfernseher, eine Couch und einer dieser riesigen Sitzsäcke, in denen man versinkt wie in Treibsand und ohne fremde Hilfe für immer und ewig stecken bleibt. Tylers Raum schreit, wie das ganze Haus im Grunde, nach Geld. Der Flachbildfernseher ist sicher sündhaft teuer und die Sammlung an Spielekonsolen darunter ist auch nicht gerade Taschengeldniveau. Und welcher Siebzehnjährige hat bitte ein riesiges Doppelbett in seinem Zimmer stehen?
    „Wow“, stoße ich aus und sehe mich etwas erschlagen um. Ich weiß nicht genau, was ich erwartet habe. Um ehrlich zu sein habe ich mir gar keine Gedanken darum gemacht, wie sein Zimmer aussieht. Es ist erstaunlich… ordentlich.
    Seth wandert wie selbstverständlich zum Sitzkissen herüber und lässt sich darauf fallen, Tyler nickt in Richtung Couch, also setze ich mich da hin, direkt neben ihn. „Nicht schlecht.“
    „Neidisch?“, grinst Seth. „Meins sieht ungefähr genauso aus.“
    „Nur weniger Bücher, dafür mehr unnützer Krimskrams und Klamotten auf dem Boden“, stichelt sein Bruder und weicht gekonnt einem Kissen aus, das Seth ihm entgegen schleudert. Es fliegt gegen den Wandschrank und fällt von da aus auf das dunkle Laminat.


    Wir ziehen uns noch eine Weile gegenseitig auf, was vor allem dann lustig wird, als Seth die Kissen zum werfen ausgehen, er aber so tief im Sitzkissen eingesunken ist, dass er sich nicht befreien kann und daher ziemlich schutzlos ist, dann steckt Leah die Nase ins Zimmer und entführt Tyler, um ihm die Unterlagen für den Tierpark herauszusuchen, die der Personalchef von ihm verlangt hat. Ich stehe von der Couch auf und schlendere durch sein Zimmer, während Seth irgendwie versucht, dem Sitzsack zu entkommen. Er flucht mal lauter, mal leiser, aber ich denke gar nicht daran, ihm zu helfen, sondern beschränke mich auf den ein oder anderen schadenfrohen Blick in seine Richtung und dem hilfreichen Kommentar: „Wehr dich nicht, sonst versinkst du nur noch schneller.“
    In den Regalen finde ich einige Schullektüren, allesamt ausgefranst und voll mit kleinen, bunten Post-It’s, einige Romane aus allen möglichen Gattungen, von Romance mal abgesehen, Ordner und Hefter mit Arbeitsblättern, Heften und Klausurbögen, die ich aber nicht weiter anfasse, zwei oder drei Enzyklopädien, Schachteln und Sachbücher, einige Sonnenbrillen und sogar ein ziemlich altes Stofftier, das mich entfernt an einen Löwen erinnert. Einen Löwen mit ziemlich starkem Haarausfall. Ich muss etwas grinsen.
    „Ah, du hast Mimo gefunden“, höre ich Seth sagen. Endlich rutscht er aus dem Sitzsack heraus und rappelt sich auf, ehe er sich zu mir gesellt.
    „Mimo?“, frage ich mit deutlicher Belustigung.
    „Tyler war nie wirklich kreativ“, antwortet er mit einem bösen Grinsen. „Hat das Ding überall mit hingeschleppt. Und wehe Mimo war irgendwo kaputt, dann hat er geheult wie ein Baby.“
    „Süß“, kommentiere ich mit unterdrücktem Kichern. Warum sind eigentlich alle Geschichten über Klein-Tyler so unglaublich interessant? Ich glaube, ich muss da nochmal nachharken…
    Seth Hand greift nach einem Stapel Bilder, den ich gar nicht bemerkt habe. Von der Qualität her scheinen sie recht alt zu sein. Ich recke meinen Hals um etwas zu sehen.
    Das erste Bild zeigt zwei Jungen mit sandfarbenem Haar am Meer, dick eingepackt in viel zu großen Jacken und die Ohren bedeckt mit Stirnbändern. Sie pressen die Augen zusammen und versuchen sich an einem Lächeln, aber wirklich gelingen will das nicht. Das nächste zeigt die beiden unter einem Tannenbaum, wie sie Geschenkpapier von einem großen Paket herunterreißen. Dann eines, wo beide quasi aufeinandergestapelt schlafen. Eines mit Mimo, wo der altersbedingte Haarausfall noch ferne Zukunft war. Eines in einem Swimmingpool, einer der Jungen scheint wie verrückt zu weinen, während der andere hilflos daneben steht.
    Ich muss etwas schmunzeln.
    „Ist das Tyler oder du?“, frage ich Seth und deute auf die Heulsuse. Seths zerknirschter Gesichtsausdruck ist Antwort genug. Ich stoße ihm grinsend meinen Ellbogen in die Seite und ernte einen genervten Blick.
    „Niedlich“, kommentiere ich und dieses Mal meine ich es völlig unironisch. Die eigenen Kindheitserinnerungen sind immer fürchterlich peinlich, aber es ist unglaublich interessant zu sehen, wie Tyler und Seth als Kinder aussahen. Wären da nicht die roten Augen, hätte ich sie wohl nicht erkannt. Als Kinder hatten beide Pausbäckchen und große, runde Augen, sehr viel mehr Ähnlichkeit mit Leah als mit ihrem Vater. Mittlerweile hatte sich all das ausgewachsen.
    „Seth?“
    Er legt die Bilder wieder zurück ins Regal und schaut mich fragend an.
    „Hast du jetzt vielleicht eine Idee, was Tyler belastet?“
    Seine Gesichtszüge entgleiten ihm. Seth sieht mit einem Male seltsam verkniffen und genervt aus.
    „Nein“, stößt er kurz angebunden aus und weicht dann meinem Blick aus. Ich beiße mir auf die Lippe.
    „Sicher? Vielleicht ist er ja-“
    „Nein.“
    „Du lässt mich ja nicht mal ausreden“, grummele ich beleidigt.
    „Er ist nicht unglücklich“, antwortet Seth wesentlich schärfer als nötig. Ich versuche mich an einem ärgerlichen Blick, aber den ignoriert er gekonnt.
    „Ist er doch“, gebe ich zurück.
    „Ist er nicht“, zischt Seth heftig und wendet sich mir zu. Seine Augen sprühen wieder die gleichen Funken, wie zu der Zeit, in der er mich so sehr verachtet hat. Ich muss schlucken, aber dieses Mal lasse ich mich nicht einschüchtern. Für so etwas habe ich einfach keine Zeit mehr. „Und selbst wenn er es wäre, ich hätte keine Ahnung warum. Kannst du es nicht einfach sein lassen?“
    „Natürlich nicht!“, fahre ich ihn an. „Wenn ihn etwas bedrückt, dann will ich ihm helfen. Und du solltest das auch wollen!“
    „Oh ja!“, stößt Seth mit einem trockenen Lachen aus. „Armer Tyler hat ein Wehwehchen, deswegen muss sich die ganze Welt jetzt um ihn drehen!“
    Ich öffne meinen Mund, aber es kommt nichts heraus.
    „Darum geht es doch, oder?“, zischt er bedrohlich leise. „Es geht immer nur um ihn. Von Anfang an ging es immer nur um ihn.“
    Ja.
    „Nein.“
    „Spar’s dir.“ Seth‘ Blicke spießen mich beinahe auf. „Tyler hier, Tyler da. Der einzige Grund, warum du dich mit mir abgibst ist doch, weil das Tyler glücklich macht. Du interessierst dich einen Scheiß für mich. Am liebsten wäre es mir, wenn wir Freunde wären!“ Er spuckt die letzten Worte förmlich aus, in diesem albernen, übertriebenen Tonfall. Ich brauche einen Moment um zu begreifen, dass er mich zitiert.
    „Das ist doch gar nicht…“, fange ich an, aber meine Stimme versagt mittendrin.
    Er hat Recht.
    Nein. Nein, hat er nicht! Ich will seine Freundin sein! Ich mag Seth! Tue ich wirklich!
    Aber Tyler ist der, den ich…
    „Das perfekte Paar“, raunt Seth übertrieben feierlich. „Ach, sind sie nicht niedlich zusammen!“
    „Seth“, stoße ich aus. Hör auf. Bitte, hör auf.
    „Prinz Charming und seine Cinderella. Und sein Bruder kann verrecken, interessiert doch eh keinen.“
    „Nein“, gebe ich zurück, aber ich klinge heiser. Seth starrt mir wütend in die Augen, seine Zähne knirschen hörbar, die Fäuste hat er geballt.
    Dann wandert sein Blick zu Boden. Die Anspannung aus seinem Körper weicht.
    „Gib es doch zumindest zu“, raunt er kraftlos, müde und… enttäuscht. Mein Herz pocht schmerzhaft. „Gib doch zu, dass ich nur ein nerviges Anhängsel bin. Was mit mir ist, ist dir egal. Ich bin dir vollkommen egal.“
    Nein. Das ist nicht wahr.
    Ich muss es ihm sagen. Ich muss ihm sagen, dass er sich irrt. Aber ich kann nicht. Es kommt einfach nichts aus meinem Mund.
    Seth fährt sich grob durch die Haare.
    „Ich wusste es“, murmelt er. „Wäre ja auch zu schön gewesen, nur einmal jemanden zu haben...“ Dann, ohne mich noch einmal anzusehen, drängt er sich an mir vorbei, die Tür heraus, und verschwindet in seinem eigenen Zimmer.


    Ich bleibe zurück, alleine in Tylers Zimmer. Stumm und regungslos.
    Meine Gedanken überschlagen sich.
    Und gleichzeitig ist mein Kopf wie leergefegt.
    Die Enttäuschung in seinem Blick… Nein, das… das kann einfach nicht sein.
    Es darf nicht sein.
    Bitte nicht.


    „Ava?“
    Tylers Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Er sieht sofort, dass etwas nicht stimmt. Ich gebe mir keine Mühe, es zu verstecken.
    „Was ist passiert?“, fragt er und legt seinen Arm um meine Schulter. „Wo ist Seth?“
    „In seinem Zimmer“, stoße ich leise aus. Er beißt sich auf die Lippe und wirft einen Blick zurück, aber die Zimmertür seines Bruders ist geschlossen und kein Geräusch dringt hervor. Es ist zu still.
    „Was ist passiert?“, fragt Tyler nochmal. „Habt ihr euch gestritten?“ Er schiebt mich langsam in Richtung Sofa und drückt mich in die Polster.
    „Nein. Ja“, antworte ich, meinen Blick auf meine Knie geheftet. „Keine Ahnung.“
    Verdammt. Was tue ich denn jetzt?
    Ich fahre mir mit den Fingern über die Schläfen.
    Shit. Warum muss es schon wieder so kompliziert werden?
    „Ava?“
    „Er ist eifersüchtig, Tyler“, stoße ich aus, ungehaltener, als ich eigentlich wollte. Tylers Augen weiten sich. Für einen kurzen Moment starrt er mich einfach nur an, dann macht sich Ärger in seinem Gesicht breit.
    „Das ist nicht sein Ernst“, murmelt er und wird dabei immer lauter. „Wir hatten das doch geklärt! Ich dachte, er hätte es kapiert! Das kann nicht sein verdammter Ernst sein!“
    Ich schüttele den Kopf, fahre mir nervös die Haare.
    „Es ist nicht dasselbe“, gebe ich zurück, aber er versteht nicht. Ich beiße mir auf die Lippe. Als ich mich wieder traue, ihm in die Augen zu sehen, bereue ich es fast.
    „Er ist nicht auf mich eifersüchtig, Tyler“, stoße ich beinahe kraftlos aus. „Sondern auf dich.“





    Benachrichtigungen gehen raus an:
    @Nivis
    @Jiang
    @Anneliese
    @Luxuria


    Heute mal nur zehn Seiten. .__. Ich lasse nach.

  • Tyler Route


    Chapter 12: Open Sore




    Ich weiß nicht, wann es so schnell dunkel geworden ist. Ein kurzer Blick auf mein Handy verrät mir, dass wir gerade einmal kurz vor halb sechs haben, und trotzdem ist rund um uns herum alles stockdüster- von den Straßenlaternen mal abgesehen, aber selbst die bringen nur einen schwächlichen, gelben Lichtkegel zustande. Der Himmel ist dicht behangen mit einer dicken Schicht aus Wolken, die den Mond und die Sterne komplett verschlucken. Es ist eiskalt. Obwohl ich mein Gesicht so weit es geht in meinem Schal versteckt habe, steigen immer wieder Wolken aus weißem Nebel in die Luft, immer dann, wenn ich ausatme. Ich zittere trotz meiner dicken Winterjacke. Meine Finger und Beine fühlen sich zunehmend taub an. Trotzdem zwinge ich mich, mit ihm Schritt zu halten.
    Ich kann Tylers Gesicht nicht sehen, er geht knapp einen Meter vor mir, mit langen, eiligen Schritten. Seine Hände sind in seinen Jackentaschen versteckt und er hat die Schultern angezogen, was mir das Gefühl gibt, dass er am liebsten verschwinden würde. Ich bin schon eine Weile in einen unregelmäßigen Trab gefallen, weil ich sonst einfach zu langsam bin. Wann immer ich ihm aber zu nahe komme, bremse ich etwas ab. Ich möchte ihm gerade nicht in die Augen sehen. Ich möchte auch nicht mit ihm reden. Und er nicht mit mir.
    Seit ich ihm gesagt habe, dass Seth eifersüchtig auf ihn ist… Wir haben kein Wort mehr miteinander gewechselt. Er hatte mich nur angesehen mit einem Blick, in dem sich Unglaube, Ärger, Verwirrung und viele andere Dinge mischten, die ich nicht alle deuten konnte. Sein Mund stand leicht offen, als er ins Sofa fiel. Nicht direkt neben mich, nein. Mit so viel Abstand, wie nur irgendwie möglich. Danach starrten wir uns nur noch an. Ich wollte etwas sagen. Wirklich. Aber mein Gehirn war nicht dazu bereit, vernünftige Sätze zu formen. Es war immer noch zu sehr damit beschäftigt, sich an Seth‘ verletzten Gesichtsausdruck zu erinnern. An seine Worte. An das Beben in seiner Stimme.
    Seth ist in mich verliebt.
    So sehr ich es auch drehe und wende, so sehr ich auch versuche, mich selbst vom Gegenteil zu überzeugen, was er gesagt hat, wie er es gesagt hat… Und je länger ich über die letzten Wochen nachdenke, desto klarer wird mir, dass es Anzeichen gab. Die Blicke, die er seinem Bruder zugeworfen hatte, wenn wir nah beieinander waren, diese scharfen, unzufriedenen Blicke… Sie waren denen ähnlich, mit denen er mich am Anfang gelöchert hatte. Aber in letzter Zeit galten sie nur noch Tyler. Wie unerwartet nah er mir kam, während Tyler seinen Abstand zu mir hielt. Wie er darauf reagierte, wenn ich ihn berührte. Es ergibt alles einen Sinn.
    Ich presse die Augenlider zusammen, bis bunten Blitze vor ihnen erscheinen.
    Verdammt. Was mache ich denn jetzt?
    Er darf einfach nicht in mich verliebt sein. Das würde alles nur noch so viel komplizierter machen. Ich dachte, dass ich endlich auf dem richtigen Weg gewesen bin, dass es nur noch eine Frage der Zeit wäre, bis ich Tylers Problem herausgefunden hätte, und dann… Dann wäre er endlich glücklich, ich würde die Wette gewinnen, ich könnte zurück in mein altes Leben und…
    Ich beiße mir auf die Lippe und grabe meine Nägel in meine Handflächen. Beides spüre ich kaum mehr.
    Warum habe ich ihn nicht einfach angelogen? Es wäre nicht das erste Mal gewesen. Mein ganzes neues Leben ist eine einzige große Lüge, wenn man es genau nimmt. Vermutlich habe ich einfach nicht richtig nachgedacht. Oder vielleicht bin ich es auch einfach leid, ständig alle anzulügen.


    Als Tyler plötzlich vor mir stehen bleibt, renne ich fast in ihn herein. Ich werfe ihm einen fragenden Blick zu, aber seiner haftet noch immer auf dem Boden. In der Dunkelheit kann ich sein Gesicht kaum erkennen. Wir stehen vor meinem Haus. Fahles Licht dringt aus dem Küchenfenster und Aphrodites Wagen steht in der Einfahrt. Ich schlucke, meine Finger suchen nach dem Schlüsselbund in meiner Handtasche. Obwohl sie so kalt und starr sind, zittern sie nicht. Der Rest meines Körpers schon. Klimpernd krame ich den Schlüsselbund hervor. Aber ich bewege mich nicht vorwärts. Ich weiß nicht, was Tyler dann tun würde. Würde er sich einfach umdrehen und gehen? Er macht keine Anstalten, mich anzusehen. Fast so, als wäre ich Luft für ihn.
    Ich muss etwas sagen. Aber ich traue mich einfach nicht. Ich weiß ja nicht einmal genau, was in ihm vorgeht. Ist er wütend? Wenn ja, auf Seth, weil sein Bruder in seine Freundin verliebt ist, oder auf mich, weil ich schon wieder der Grund für Probleme zwischen ihnen bin? Ist er verletzt? Glaubt er, dass ich ihn anlüge? Er ist ja nicht einmal freiwillig mit mir mitgekommen. Leah und Frederic haben ihn dazu angewiesen, weil sie nicht wollten, dass ich alleine im Dunkeln nach Hause gehe. Er hat zwar keine Widerworte gegeben, aber ich werde das Gefühl nicht los, dass er am liebsten ganz weit weg wäre.
    Es hat keinen Sinn. Ich gehe an Tyler vorbei, mit dem Schlüssel in der Hand den Kiesweg entlang, der zu unserer Veranda führt. Für einen Moment höre ich nur das Knirschen meiner eigenen Schritte. Ich ziehe die Schultern an. Ich kann ihn nicht einfach dort stehen lassen, ohne etwas zu sagen!
    Aber meine Beine tragen mich weiter vorwärts. Schritt für Schritt, bis ich die Stufen zur Veranda erreicht habe. Ich stecke den Haustürschlüssel ins Schloss und zögere.
    Verdammt!
    Ich atme einmal aus und hole dann tief Luft. Doch gerade als ich mich umdrehe, versuche, zumindest einen halbwegs sinnvollen Satz zu Stande zu bringen, höre ich das Knirschen von Kies. In der Dunkelheit, wesentlich langsamer als vorhin noch, bewegt sich Tyler auf mich zu. Die ersten paar Meter starrt er noch auf den Boden, aber irgendwann zwingt er sich dann doch dazu, mich anzusehen. Aber wieder kann ich nicht sagen, was er denkt oder fühlt.
    Macht nichts.
    Ich drehe den Schlüssel, die Eingangstür springt mit einem Klacken auf und Tyler folgt mir hinein.


    Kaum drinnen rief Aphrodite von oben herunter, dass ich ihr doch bitte etwas zu Essen machen solle, aber nicht einmal ihre Stimme rief bei Tyler irgendeine Gemütsregung aus. Wir schwiegen uns weiter an, während wir in die Küche gingen. Wir schwiegen auch, als ich das Fleisch schnitt und schweigen auch jetzt noch, als es in der Pfanne brutzelt. Tyler sitzt auf einem der Küchenstühle und mustert stumm die Vase vor ihm, in der jetzt ein Ast mit pinken Blüten blüht. Ich werfe ihm immer wieder einen Blick aus dem Augenwinkel zu, aber so reglos wie er ist, das Kinn in seine Handfläche gestützt, könnte man fast meinen, er wäre eine Statue.
    Der Kühlschrank brummt laut, als ich ihn öffne und eine Paprika heraushole, die ich verarbeiten möchte. Von oben höre ich Aphrodites Stimme und ihr glockenklares Lachen. Vielleicht telefoniert sie mit ihrem nächsten Liebhaber. Oder vielleicht redet sie auch einfach mit sich selbst, immerhin hört sie ihre eigene Stimme viel zu gerne für meinen Geschmack. Die Paprika landet auf dem Schneidebrett und ich ziehe ein großes Messer aus dem hölzernen Messerblock. Einmal in der Hälfte durch, dann in Streifen schneiden…
    Das Klackern von Absätzen hinter mir lenkt mich einen kurzen Moment ab. Aus dem Augenwinkel sehe ich Tyler zucken, seine Augen sind auf den Türrahmen fixiert, von seiner Position aus kann man die Treppe nach oben sehen. Seine linke Hand kratzt auf dem Holztisch herum und er wackelt unrhythmisch mit seinen Beinen, fast so, als würde er sich darauf vorbereiten zu fliehen.
    Mein Gehirn arbeitet noch immer an einem Gesprächsanfang, aber es will noch immer nichts dabei herauskommen. „Hey, Tyler, ich weiß, dass dein Bruder in mich verknallt ist, aber das ist doch gar nicht so schlimm und ändert auch überhaupt nichts an eurem Verhältnis zueinander, oder? Oh, und ich weiß, dass ich schon wieder dafür verantwortlich bin, dass die Dinge zwischen euch irgendwie seltsam sind, aber sowas passiert, oder? Hahaha! Haha! Ha… Ha..
    Ja. Perfekt. Das macht die Sache auch überhaupt nicht noch unangenehmer als ohnehin schon.
    „Oh, Ava-Schatz, da bist du ja!“, begrüßt Aphrodite mich, als sie förmlich in den Raum schwebt, mit einem strahlenden Lächeln, das sie gleich darauf auch noch Tyler schenkt. Der bleibt wenig beeindruckt und wendet sich sofort wieder den rosanen Blüten vor seiner Nase zu, als wären die interessanter als die leibhaftige Göttin der Schönheit. „Und gekocht hast du auch schon, was habe ich nur für ein wohlerzogenes- Heilige Mutter Gaia, was tust du?!“
    Ich zucke ein wenig zusammen, als Aphrodites Stimme sich zu einem erschrockenen Kreischen entwickelt. Einen kurzen Augenblick starre ich sie nur verwirrt an, dann folge ich ihrem Blick, der auf meinem Schneidebrett liegt.
    Was zur-?
    Shit!
    Das Messer in meiner Hand fällt klappernd auf die Theke und ich starre meine Finger an.
    Nein. Eigentlich starre ich das Blut an meinen Fingern an.
    „Ava!“, stößt Aphrodite aus und drängt sich neben mich. Als sie meine Hand in ihre nimmt, erstarrt sie für einen kurzen Moment. Ich sehe nicht viel, weil alles voll ist mit Blut, aber allem Anschein kommt das aus vier Schnitten an Daumen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger. Ich spüre, wie ich blass um die Nase werde. Ich habe kein Problem mit Blut, wirklich, das ist es nicht.
    Mein Problem ist, dass ich nichts davon spüre.
    „Was ist- Shit“, höre ich Tyler hinter mir sagen. Als ich mich zu ihm umdrehe, schluckt er gerade merklich angestrengt.
    „Im Badezimmer oben ist ein Erste-Hilfe-Kasten“, wendet sich Aphrodite an ihn. Tyler starrt sie nur verwirrt an, bis sie ihn schließlich anfährt: „Die letzte Tür am Ende des Gangs, mach schon!“
    Seine Augen weiten sich, dann geht er erst ein paar Schritte rückwärts, ehe er sich umdreht und in einem wahnsinnigen Tempo die Stufen hochsprintet.
    „Spürst du das, Ava?“, fragt Aphrodite mich drängend, aber so leise wie möglich. Erst begreife ich nicht einmal was sie meint, dann sehe ich, wie sie ihre Finger in meine Schnittwunden legt und zudrückt.
    Mir wird schlecht.
    „Nein“, antworte ich deutlich zittrig. Ich spüre meine Finger überhaupt nicht. Ich kann sie bewegen, sicher, aber ich spüre nicht einmal mehr, dass Aphrodite mich überhaupt berührt. Von Schmerzen mal ganz abgesehen.
    Das Gesicht meiner Ziehmutter verzieht sich angestrengt.
    „Was ist los? Warum spüre ich meine Finger nicht mehr?“, frage ich mit einiger Mühe, ohne meinen Blick von meiner Hand zu nehmen. Die Schnitte darin sind weit verteilt. Beim Zeigefinger scheint ein Stück der Kuppe ganz zu fehlen… Ich muss mich immer und immer wieder verletzt haben. Ohne es zu bemerken. Mir… wird langsam schwindelig.
    Ich spüre Aphrodites Hände um meine Taille.
    „Jetzt nicht schlapp machen“, zischt sie und führt mich rüber zum Tisch, wo sie mich auf einen Stuhl drückt und vor mich hockt. „Was ist mit dem Rest? Spürst du sonst noch alles?“
    Ich schweige kurz. Ich habe die Hitze der Pfanne auf meinem Gesicht bemerkt und Aphrodites Hände auf meiner Taille.
    „Meine Füße“, murmele ich. Richtig. Als ich versuche, meine Zehen zu bewegen, setzen die sich wie gewünscht in Bewegung. Aber ich spüre weder den Stoff meiner Socken auf ihnen, noch die Kälte der Fliesen. „Was ist das, Aphrodite? Warum-“
    Als ich Tyler die Treppe herunter traben höre, schließe ich meinen Mund und schlucke den Rest des Satzes herunter. Mein Freund rast förmlich um die Ecke, einen kleinen, schwarzen Koffer in der Hand, den Aphrodite ihm sofort entreißt, als er neben ihr zum Stehen kommt. Er schaut zwischen meinen Finger und meinem Gesicht hin und her, deutlich blass um die Nase. Ich will mich an einem kleinen Lächeln versuchen, aber das bleibt mir mitten im Hals stecken. Mein göttlicher Vormund öffnet den Koffer mit einem kleinen Klacken und zieht einige Kompressen hervor, die sie mir auf die Schnittwunden drückt.
    „Vorsichtig!“, fährt Tyler sie an, aber Aphrodite lässt sich nicht beirren. Er wirft mir einen besorgten Blick zu als befürchtet er, dass ich jeden Moment vor Schmerzen kollabiere. Zugegeben, das mit dem Kollabieren ist gar nicht mal so weit entfernt, hat aber ganz andere Gründe.
    „Wickel den Verband um Zeige und Mittelfinger. Daumen und Ringfinger muss ich noch reinigen, die kommen aber mit Pflastern aus“, wendet sich Aphrodite an Tyler und drückt ihm ohne hinzusehen eine kleine Rolle aus weißem Stoff in die Hände. Ich sehe, wie er erst schluckt und sich dann mit ungeschickten Bewegungen daran macht, den Verband ein Stück abzuwickeln. Mit meiner unverletzten Hand halte ich die Kompressen, damit Aphrodite sich um Daumen und Ringfinger kümmern kann.
    Schweigend versorgen wir die Wunden. Aber auch, als kein Blut und keine Schnitte mehr zu sehen sind fühle ich mich nur bedingt besser. Das Gefühl in meinen Fingern ist immer noch nicht zurückgekommen. Ich dachte, dass es an der Kälte draußen lag, dass ich einfach nur gefroren habe, aber Aphrodites düsterem Blick nach zu urteilen ist das nicht der Fall. Irgendetwas stimmt nicht. Aber mit Tyler im Raum können wir nicht offen reden. Ich werde also warten müssen, bis er geht. Was, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, noch eine ganze Weile lang dauern kann. Also bleibt mir nichts anderes übrig, als die Sorge fürs Erste herunterzuschlucken und abzuwarten. Halleluja.
    „Wie ist das passiert?“, fragt er mich und lässt sich in den Stuhl neben mich fallen. Sein Gesicht nimmt langsam eine etwas gesündere Farbe an, die blutigen Flecken an seinem Ärmel scheint er nicht zu bemerken.
    „Keine Ahnung“, murmele ich und lüge damit nicht einmal wirklich.
    „Ava war schon immer sehr… Unachtsam, wenn sie in Gedanken war“, stößt Aphrodite von der Theke aus, wo sie sich gerade am Kaffee-Automaten zu schaffen macht. Der rumpelt und brummt einige Male und spuckt dann eine tiefschwarze Flüssigkeit aus. Mit der Tasse in der Hand kommt sie zu uns herüber und stellt das Getränk vor mir auf den Tisch. „Trink das“, weißt sie mich an und gleitet dann auf den Stuhl mir gegenüber. „Das sollte dich etwas aufwärmen.“
    „Aber du musst das doch gespürt haben“, antwortet Tyler wenig überzeugt.
    „Als sie sieben war, ist sie mit ihrem Fahrrad in einen Dornenbusch gefahren. Erst, als sie vor der Haustüre stand, ist ihr aufgefallen, dass ihr ganzes Bein zerkratzt war und blutete wie sonst etwas“, erklärte Aphrodite, den Blick fest auf mein Gesicht gerichtet. Ihr Mund war von ihren Händen verdeckt, auf denen sie den unteren Teil ihres Gesichts legte und in ihrem Blick lag etwas, das ich nicht ganz deuten konnte.
    „Ernsthaft?“ Mein Freund runzelte die Stirn und sah zu meinen Beinen herunter, als erwartete er, dass die gleich anfangen würden, Flüsse aus Blut abzusondern.
    „Ernsthaft“, lüge ich mit einem knappen Nicken. Natürlich hatte sie sich diese Geschichte gerade ausgedacht. Ich bin als Kind nie mit dem Fahrrad gefahren, weil wir dafür in der Nähe unserer Wohnung gar keinen ausreichenden Platz hatten und es auf den Straßen einfach viel zu gefährlich war. Aber wenn Tyler diese Erklärung akzeptiert und keine weiteren Fragen stellt, soll mir das recht sein.
    „Sollten wir nicht ins Krankenhaus fahren?“, fragt er mit deutlich besorgtem Blick auf meine bandagierte Hand, aber Aphrodite schüttelt nur den Kopf.
    „Ich habe einige Jahre als Krankenschwester gearbeitet. Im Krankenhaus könnten sie auch nichts anders machen als ich es jetzt hier getan habe. Sie ist in besten Händen.“
    Wirklich überzeugt sieht Tyler nicht aus, aber als ich ihn anlächele, deutlich wackeliger als gewollt, stellt er mir zu liebe den Protest ein und verfällt wieder in Schweigen. Als ob wir davon heute nicht schon genug gehabt hätten…
    Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Aphrodites Blick zwischen mir und ihm hin und her schwankt und sie mich fragend ansieht.
    Du kannst meine Gedanken lesen, warum tust du so, als wüsstest du nicht bescheid?
    Ihr entkommt ein leises Lachen, dann streckte sie ihre Arme in die Höhe und gähnt herzhaft.
    „Warum geht ihr nicht hoch in dein Zimmer?“, schlägt sie vor. Dann, mit einem Zwinkern in meine Richtung: „Ich kümmere mich um den Rest.“
    Oha. Das ist überraschend… Großzügig von dir. Wen hast du heute erfolgreich abgeschleppt?
    Ein Zucken in ihrem Mundwinkel und dann ein kurzes Nicken in Richtung Treppe, was so viel bedeutet wie „Geh schon, sonst überlege ich es mir anders.“
    Punkte von meinem Fleißkonto werde ich dir dafür aber nicht abtreten.


    Tyler folgt mir schweigend die Stufen hoch, auch wenn ich die leise Ahnung habe, dass er nur mitkommt, weil er keine Lust darauf hat, mit der Göttin der schlechten Autofahrer alleine in einem Raum zu bleiben. Als ich meine Zimmertüre öffne, werfe ich kurz einen unauffälligen Blick in alle Ecken. Glücklicherweise ist es, abgesehen von ein paar Schulheftern auf dem Boden und einem nicht gemachten Bett, nicht allzu unordentlich und da ich erst heute Morgen sämtliche getragene Wäsche in die Waschmaschine gestopft habe, bleibt mir auch der Anblick von Aphrodites schlechtem Unterwäschegeschmack erspart. Das hätte sonst wirklich peinlich werden können.
    Ich steuere das Bett an, überwiegend, weil ich im Gegensatz zu meinem Bonzen-Freund kein sauteures Ledersofa in meinem Zimmer stehen habe, und lasse mich mit einem hörbaren Seufzer rücklings in die Kissen fallen. Meine Finger suchen nach dem Schalter für die kleine Nachttischlampe, die mit einem Klicken anspringt, aber den Raum nur geringfügig erhellt. Für eine Weile bleibt Tyler im Türrahmen stehen und schaut sich um.
    „Ist leider nicht so geräumig wie dein Zimmer“, stoße ich aus, weil ich einfach keine Lust mehr auf diese Geschweige habe. So besorgt wie er sich gezeigt hat, kann er nicht allzu wütend auf mich sein, oder? Und irgendwann müssen wir darüber sprechen. Ich habe noch immer nicht vor, mir von seinem lebendig gewordenen Schatten Mission Leuchteherz ruinieren zu lassen. Jetzt bin ich so weit gekommen, dass ich zumindest versuchen muss, es bis zum Ende durchzuziehen.
    „Es ist gemütlich“, höre ich Tyler antworten. Die Dielen knacken, als er sich durch den Raum bewegt. Aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er zu meiner Kommode geht, über der einige ausgedruckte Schnappschüsse aus meinem neuen Leben behelfsmäßig mit hölzernen Wäscheklammern an dünnen Kordeln hängen. Die meisten davon zeigen Irene, Lisa und Charlie, die alberne Grimassen schneiden, Irene deutlich peinlich berührt, auf anderen sind meine anderen Klassenkameraden zu sein. Eve, Dustin und Mia, Dennis und Julien und selbst Joshua, den Charlie spielerisch im Schwitzkasten hält. Ein Bild zeigt sogar Aphrodite in ihrer besten Modelpose, weil sie es unfair fand, dass die „wichtigste Person“ in meinem Leben keinen Platz an meiner Memoiren-Wand hat. Irgendwann hing das Bild einfach neben den anderen und ich habe mir nie die Mühe gemacht, es abzuhängen. So traurig das auch klingt, irgendwann habe ich mich einfach an die wohl nervigste Mitbewohnerin der Welt gewöhnt.
    Die restlichen Bilder sind Schnappschüsse von Tyler, Seth und mir. Einige davon aus unserem Besuch im Zoo- Seth’s kleine Einlage als mobiler Vogelkäfig zum Beispiel hat einen Ehrenplatz-, andere aus den vergangenen Wochen.
    Tylers Hände wandern zu einem Bild rechts unten und ziehen es aus der Wäscheklammer. Er kommt herüber zum Bett, den Blick auf das Foto gerichtet und lässt sich neben mich zurückfallen. Erst jetzt sehe ich, welches Bild es ist. Es zeigt Tyler, Seth und mich. Tyler und ich lächeln in die Kamera, während Seth einen betont genervten Gesichtsausdruck trägt, weil wir ihn dazu zwingen, ebenfalls auf dem Bild zu sein. Ich bin in der Mitte und habe meine Arme um die Hälse meiner Lieblings-Zwillinge geschlungen. Seth sieht aus, als wäre er bereit, wegzulaufen, aber wenn man näher hinsieht, dann erkennt man ein kleines Lächeln auf seinen Lippen.
    „Ich habe gehofft, dass ich falsch liege.“
    Überrascht drehe ich meinen Kopf ein Stück in Tylers Richtung, aber er schaut weiter das Bild an. Sein Blick verdüstert sich für einen Augenblick, dann seufzt er. „Aber eigentlich war es ziemlich offensichtlich.“
    „Du wusstest es?“, frage ich ihn ohne jeden Vorwurf.
    „Ich hatte eine Ahnung“, murmelt er seltsam weit weg und legt das Foto auf meinen Nachttisch.
    Für einen Moment schweigen wir.
    „Und was nun?“, stelle ich dann die Frage, von der ich mir sicher bin, dass sie uns beiden im Kopf herumschwirrt.
    „Sag du es mir“, gibt er zurück. „Was willst du machen?“
    „Was meinst du?“
    „Willst du lieber mit ihm zusammen sein?“
    Ich blinzele einen Moment perplex. Langsam richte ich mich auf, bis ich ihm ins Gesicht schauen kann. Tyler starrt an die Decke. Sein Gesicht ist angespannt.
    „Wie kommst du denn auf die Idee?“, frage ich leise.
    Stille. Mit einem Mal kommt mir das Licht meiner Nachttischlampe seltsam gedimmt und düster vor. In allen Ecken meines Zimmers lauert die Dunkelheit. Der Raum scheint so viel kleiner als sonst.
    „Ich habe mir immer gewünscht, dass er jemanden findet, dem er vertrauen kann. Von mir abgesehen“, raunt er und fährt sich stöhnend mit den Händen durchs Gesicht. „Aber doch nicht… so.“
    Wem sagst du das? Nach dem ganzen Hass, den ich mühevoll aufgearbeitet habe, bin ich nun wirklich nicht davon ausgegangen, dass Seth plötzlich extreme Gefühle auf der anderen Seite des Spektrums für mich entwickelt. Dass so etwas überhaupt bio-chemisch möglich ist… Man sollte meinen, dass der Körper keine Grundsatzänderungen zulässt, was den Hormonausschuss beim Anblick einer bestimmten Person betrifft. Tja, falsch gedacht.
    Ich ziehe meine Beine an und verknote sie zum Schneidersitz. Tyler schweigt, das Gesicht noch immer in seinen Händen vergraben. Ich kaue eine Weile auf meiner Unterlippe herum, dann wage ich es, seinen Arm zu berühren. Er zieht eine Hand von seinem Gesicht herunter und beobachtet mich wachsam.
    „Bist du wütend auf ihn?“, frage ich möglichst ruhig.
    Tyler zögert. Er runzelt die Stirn und fährt sich durch die Haare.
    „Ein wenig“, antwortet er dann. „Ich weiß, dass er nichts dafür kann… Man sucht sich eben nicht aus, in wen man sich verliebt, aber trotzdem… Musstest es ausgerechnet du sein?“
    „Warum kann nicht einmal alles einfach sein“, murmele ich und er nickt. Wir schauen uns für einen Moment in die Augen, seufzen synchron und müssen dann doch etwas lachen.
    „Langsam wünschst du dir sicher, dass wir uns nie begegnet wären“, schmunzelt Tyler, aber an seinem Gesichtsausdruck sehe ich, dass er etwas nervös ist, wie ich antworten werde.
    „Und die Erfahrung verpassen, von Todesblicken durchlöchert und mit gemeinen Kommentaren bombardiert zu werden? Niemals“, gebe ich zurück und schenke ihm mein breitestes Grinsen. Seine Mundwinkel zucken, aber wirklich glücklich sieht er noch immer nicht aus. Da ist noch etwas. Etwas, das ihm mehr Sorgen bereitet, als er zugeben will.
    „Hey“, spreche ich ihn an und lege meine nicht verletzte, rechte Hand in seine. „Was ist los?“
    Tyler zögert. Ich sehe ihm genau an, wie sehr er mit sich ringt.
    „Für eine Weile habe ich wirklich überlegt, ob es vielleicht besser ist, wenn…“, fängt er an, dann verlieren sich seine Worte aber. Er wagt es nicht, mir in die Augen zu sehen, die Decke über meinem Bett, die Kommode, mein Schrank und mein Schreibtisch sind allesamt viel interessanter. Tyler holt einmal Luft, als würde er sich mental auf einen Fallschirmsprung ohne Fallschirm vorbereiten. „…Wenn du und Seth ein Paar werdet.“
    Ich erstarre. Mein Mund klappt auf.
    Will er gerade etwa wirklich das sagen, was ich denke?
    „Ich meine, du bist die erste, mit der er zu Recht kommt und der er vertraut. Ich weiß nicht, wie viele solcher Personen ihm noch begegnen werden. Ich mache mir einfach Sorgen, dass… Dass er immer ein gereizter, genervter Einzelgänger bleibt. Wenn ihr zusammen wärt… Das würde ihm gut tun“, stößt er beinahe hektisch aus, damit es so schnell wie möglich vorbei ist. Er verzieht das Gesicht, als würde es ihm körperliche Schmerzen bereiten, etwas zu sagen.
    Ich ziehe meine Hand zurück.
    „Ist das dein Ernst?“, höre ich mich seltsam hohl fragen. Er antwortet nicht. „Willst du… Willst du also…“
    „Ich will gar nichts“, sagt er unerwartet heftig. Tyler richtet sich auf, zieht die Beine an, bis er seine Ellbogen darauf abstützen kann und vergräbt sein Gesicht wieder in seinen Händen. „Ich wünsche mir, dass er es sich einfach anders überlegt und dass sich nichts ändert. Ich wünsche mir, dass er es schafft, sich etwas zu öffnen und Freunde zu finden. Aber nur, weil ich mir etwas wünsche, wird das noch lange nicht passieren. Wünschen oder wollen reicht nicht aus!“
    Für einen Moment schaue ich ihn bloß an. Dann springe ich auf. Mein Körper bewegt sich einfach von alleine. Weg vom Bett, hin zum Fenster, das mir aber auch nur absolute Finsternis zeigt. Kein Funken von Licht, das Meer nur eine schwarze Masse, die sich irgendwo mit dem Wolkenhimmel verbindet. Alles dunkel und verwaschen, ohne richtige Konturen. Ich kann mich kaum orientieren.
    Seth und ich ein Paar. Weil Tyler sich wünscht, dass sein Bruder aus sich heraus kommt und Freunde findet. Ohne ihn klar kommt.
    Das ist sein Wunsch. Das ist der Grund, warum sein Herz noch nicht leuchtet. Erst, wenn Seth glücklich ist, wird er glücklich sein.
    Zumindest denkt er das. Und dazu ist ihm jedes Mittel recht.
    „Du fändest es also gut, wenn ich mich von dir trenne, und stattdessen mit deinem Bruder gehe?“, frage ich und meine Stimme hört sich weit weg an. Tyler antwortet nicht. Ich schlucke, aber der Kloß in meinem Hals schmerzt fürchterlich.
    Bin ich wütend?
    Ja. Ja, ich bin verdammt wütend.
    Er will mich allen Ernstes dazu bringen, dass ich mit seinem Bruder zusammen komme, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, wie ich mich dabei fühle. Aber das ist nicht einmal der Hauptgrund, warum ich am liebsten an die Decke gehen würde, nein. Oh nein, das ist es nicht.
    „Du bist ein absoluter Vollidiot“, fauche ich ungehalten. Als ich mich umdrehe ist er zu einer Statue erstarrt, die Augen erschrocken geweitet. „Wie oft willst du dich für deinen Bruder jetzt noch hinten anstellen? Was willst du noch tun, damit er endlich glücklich ist?!“
    Ich balle meine Hände zu Fäusten.
    Gottverdammt! Ich möchte ihn schlagen. Ihm diese bescheuerten Gedanken aus seinem Hirn herausprügeln!
    „Verdammt Tyler! Du kannst nicht permanent für ihn zurückstecken! Seth muss sein Leben selbst auf die Reihe bekommen, sonst wird er es nie schaffen, alleine klar zu kommen!“
    „Das ist mir klar“, stößt er gepresst aus. Tyler rutscht bis zur Kante meines Bettes. Als er es endlich wagt, mir wieder in die Augen zu sehen, blitzen seine wütend und frustriert. Aber ich lasse mich nicht mehr von bloßen Blicken einschüchtern. Und als er ungehalten weiterspricht, seine Stimme lauter und wütender wird mit jedem Wort, zucke ich nicht einmal mit der Wimper. „Denkst du wirklich, dass ich das nicht weiß?! Aber wenn ich ihm nicht helfe, wer denn dann?“
    „Es dreht sich aber nicht immer alles um dich!“, fauche ich zurück.
    „Bitte was?“ Tyler imitiert einen verdatterten Goldfisch, aber ich bin viel zu gereizt, als dass ich das gerade lustig finden könnte.
    „Du hast mich schon verstanden!“, feuere ich weiter und überbrücke die paar Schritte zwischen uns. Ich stehe kaum zehn Zentimeter von ihm entfernt, die Fäuste geballt und wütend schnaubend. „Hör auf dir einzubilden, dass du der einzige Mensch auf diesem Planeten bist, der etwas ändern kann! Seth ist nicht alleine von dir abhängig! Du kannst sein Leben nicht steuern wie du Lust und Laune hast!“
    Tyler fehlen die Worte. Er starrt mich einfach nur an, wütend und entsetzt und verwirrt und so viele andere Dinge. Sein Gesicht bewegt sich in einem seltsamen Mienenspiel, als könnte er sich nicht ganz einig werden, was er gerade fühlt.
    „Und du darfst dein Leben nicht nur nach ihm ausrichten“, fahre ich fort und zwinge mich dazu, meine Stimme so ruhig wie nur möglich zu halten. Mit mäßigem Erfolg. Ich merke, wie sie zittert. „Du bist sein Bruder. Glaubst du wirklich, dass es ihn auf Dauer glücklich macht, wenn du alles für ihn aufgibst? Glaubst du nicht, dass er sich dann schuldig fühlt?“
    Für einen Moment bleibt er komplett regungslos. Dann sackt Tyler in sich zusammen.
    „Ich will doch auch gar nicht…“, murmelt er kaum hörbar, seine Finger bearbeiten sich gegenseitig. Ich hasse es, ihn so zu sehen. Ich weiß, dass er Seth liebt und ich weiß, dass er es nur gut meint, dass er das Beste für ihn will. Aber wenn er so weiter macht, dann wird es am Ende Tyler sein, der leidet.
    Es muss eine andere Lösung geben. Eine, die beide Zwillinge glücklich macht.
    Fünfzehn Tage. Ich habe noch fünfzehn Tage, um diese Lösung zu finden. Nicht für irgendeine blöde Wette. Nicht, um mein altes Leben zurück zu bekommen. Für Tyler und Seth. Für die Jungen, die ich glücklich machen will, weil sie mir so nah sind wie sonst kaum jemand.
    Direkt vor Tyler, der vorgebeugt auf der Kante meines Bettes sitzt, hocke ich mich hin. Ich nehme seine Hände, die sein Gesicht verdecken, in meine und ziehe sie vorsichtig, aber bestimmt zur Seite. Der Blick in seinen Augen bringt mein Herz schmerzhaft zum Pochen. Er wirkt geschlagen, frustriert, vollkommen ausgelaugt. Und müde. Müde von der Streiterei, den Sorgen um seinen Bruder.
    „Wir finden zusammen einen Weg“, raune ich ihm zu. „Seth ist mir genauso wichtig wie dir. Du musst dich nicht alleine für ihn verantwortlich fühlen.“
    Langsam, ganz langsam und zögerlich, nickt er.
    „Ich wollte dich nicht mit hineinziehen“, murmelt er.
    „Ich will aber mit hineingezogen werden“, entgegne ich. „Und ich werde beinahe alles tun, um zu helfen.“ Ich zwinge mich zu einem schmalen Grinsen. „Aber ich werde nicht mit deinem Bruder gehen. Das kannst du vergessen.“
    „Gerne“, seufzt Tyler. Wir tauschen einen Blick, ehe er sich dann endlich zu einem schwachen Lächeln durchringt.


    Wir bleiben noch eine ganze Weile auf meinem Zimmer, einfach, weil wir Zeit brauchten, uns etwas zu beruhigen. Meine Wut war längst verpufft, aber ich hatte das Gefühl, dass Tyler selbst nicht ganz fassen konnte, was er indirekt von mir verlangt hatte. Ich weiß nicht, wie oft er sich bei mir entschuldigte, nach dem fünften Mal hörte ich auf zu zählen.
    Irgendwann verabschiedet er sich dann von mir, zieht mich in seine Arme, sehr viel länger als sonst. Gleich morgen, verspreche ich ihm, würden wir einen Plan ausarbeiten. Irgendwie würden wir einen Weg finden, Seth aus seinem Schneckenhaus zu locken.
    Als dann die Haustür in Schloss fällt, stoße ich einen erleichterten Seufzer aus.
    „Glück im Unglück, hm?“, höre ich Aphrodites Stimme hinter mir. Ich bin nicht wirklich überrascht. Dafür bin ich einfach zu müde. „Also lag es am Ende wirklich an seinem Bruder.“ Sie schüttelt beinahe ungläubig den Kopf. „Dass er sein Glück derart von dem eines anderen Menschen abhängig macht…“
    „Die beiden sind Brüder. Zwillinge. Was hast du erwartet?“, antworte ich matt und reibe mir die Schläfen. Ich dränge mich an meiner Adoptivgöttin vorbei ins Wohnzimmer und falle auf die lindgrüne Couch. Sie folgt direkt hinter mir, den Finger nachdenklich auf ihre Lippe gelegt.
    „Apollo und Artemis sind auch Zwillinge. Die meiste Zeit streiten sie sich, aber wehe jemand anderes beleidigt einen von ihnen…“, murmelt sie und ich könnte schwören, dass ihr ein Schauer durch den Körper fährt. Aphrodite hat wohl selbst so ihre Erfahrungen gemacht. Sie wirft mir einen eindeutigen Blick zu, der ziemlich klar aussagt, dass das Thema beendet ist. Dann sackt sie neben mich auf die Couch und löst den Haarknoten auf ihrem Hinterkopf. Wellen aus schokoladenbraunem Haar fallen ihr über den Rücken, noch ein wenig feucht. Vermutlich hat sie geduscht, bevor ich nach Hause gekommen bin.
    „Ich gebe es nicht gerne zu“, raunt sie und fährt sich mit den Fingern durch die Strähnen. „Aber ich habe jetzt zumindest ein wenig mehr Respekt vor ihm. Dieser starke Band zwischen ihm und seinem Zwilling… Das ist wahre Liebe. So wahr, dass sie ihn beinahe in den Ruin treibt.“
    „Ich hatte doch recht, oder?“, frage ich und reibe mir über meine Arme. War ich zu hart zu ihm? Zu forsch? Habe ich etwas gesagt, was ich nicht hätte sagen sollen? Ich will ihm nur helfen. Aber manchmal reicht wollen einfach nicht.
    Ich zucke ein wenig zusammen, als Aphrodite ihre Hand auf meinen Kopf legt und mir sanft über den Scheitel streicht.
    „Du hattest mit allem recht“, raunt sie mir leise, beinahe zärtlich zu. „Weil er sein Bruder ist, fühlt er sich für ihn verantwortlich. Aus diesem Gefühl wuchs irgendwann der Gedanke, dass er der einzige ist, der ihm helfen kann. Er tat alles, was in seiner Macht stand, zum Teil aus Verantwortungsbewusstsein und Liebe, zum Teil, weil es ihm das Gefühl gab, dass er gebraucht wurde, weil es diese kleine, egoistische Seite in ihm verlangte. Aber am Ende war das nicht genug. Sein Bruder blieb ein Einzelgänger und das frustrierte ihn mehr und mehr. Wenn es so weitergegangen wäre, dann hätte sich seine Liebe irgendwann zu Hass gekehrt.“
    „Hast du seine Gedanken gelesen?“, frage ich mit einem Stirnrunzeln.
    „Nein. Ich habe deine gelesen, das hat vollkommen ausgereicht“, antwortet Aphrodite mir. „Er weiß ja nicht einmal selbst, dass er all diese Gedanken und Gefühle hat. Wenn er es wüsste, würde es sich vermutlich schämen.“
    „Tyler ist ein guter Mensch“, beteuere ich, weil ich das Gefühl habe, dass ich ihn verteidigen muss. Meine Hände spielen nervös an den Kordeln meines Pullovers. „Wie kann der Wunsch, seinem Bruder zu helfen, egoistisch sein?“
    „Menschen sind niemals gänzlich gut, Ava.“ Ich spüre Aphrodites Hand unter meinem Kinn. Vorsichtig hebt sie es an, bis ich ihr in die Augen sehe. Diese roséfarbenen Augen, die sonst immer so schelmisch funkeln. Jetzt wirken sie warm und mütterlich. Mein Körper entspannt sich wie von alleine. „Und jeder Mensch möchte gebraucht werden, möchte das Gefühl haben, dass ohne ihn die Welt ein etwas schlechterer Ort wäre. Das ist egoistisch, aber das macht ihn nicht automatisch zu einer schlechten Person. Hast du dich nicht ähnlich gefühlt, als es Hannah hier in Hemsfort plötzlich gut ging, so ganz ohne dich?“
    Ich schlucke. Ja. Ja, ich schätze schon. Hannah, die mich immer gebraucht hat, der ich immer zur Seite stand…
    Ohne Vorwarnung greift Aphrodite nach meinen Händen. Sie begutachtet die Verbände, die immer noch perfekt halten und keinen Millimeter verrutscht waren. Da hatte die Göttin der Mode wirklich gute Arbeit geleistet.
    „Immer noch kein Gefühl in deinen Fingern?“, fragt sie mich und mustert mich kritisch.
    „Nein“, gebe ich zurück. Probeweise balle ich die Hände zu Fäusten, aber ich spüre nichts. „Bei meinen Füße auch.“ Das hatte ich in der Zwischenzeit beinahe vergessen. Nein, eigentlich hatte ich es verdrängt. Der Gedanke, dass sich diese Taubheit auf meinen ganzen Körper ausweiten könnte… Es war ganz einfach gruselig. Und es erinnerte mich an die Tatsache, dass ich… Naja. Dass ich eigentlich gar nichts mehr fühlen durfte.
    Immerhin bin ich tot.
    „Warum spüre ich nichts mehr?“, frage ich Aphrodite.
    „Ich…“, fängt sie an, verfällt dann aber für mehrere Sekunden in Schweigen, als würde sie mit sich ringen, ob und was sie mir erzählt. „Ich bin mir nicht ganz sicher. Eigentlich müsste die Energie, die ich dir übertragen habe, locker für sechzig, eher sogar siebzig Tage reichen. Dass du das Gefühl für deinen Körper verlierst… Es kann viele Ursachen haben. Dein Körper könnte die Energie schneller verbrauchen, deine Seele könnte sich von deinem Körper lösen…“ Sie lässt den Rest des Satzes in der Luft hängen. Nach einer Weile, in der sie auf den Stoff des Sofas gestarrt hat, schüttelt sie kurz den Kopf und legt ihre Hände gegen meine Wangen. „In diesem menschlichen Körper habe ich bei weitem nicht so viel Energie, wie auf dem Olymp. Ich werde dir ein wenig mehr übertragen, aber wenn es häufiger dazu kommt, dass du das Gefühl über deinen Körper verlierst… Wir werden die Situation fürs erste im Auge behalten.“
    „Warum gehen wir dann nicht einfach zurück auf den Olymp und du heilst mich da?“
    „Das ist nicht so einfach.“ Aphrodite schüttelt den Kopf. „Ich habe einen Großteil meiner Macht abgegeben, damit diese Hülle nicht sofort zerschmilzt oder in Flammen aufgeht. Wenn ich jetzt auf den Olymp zurückkehre, muss ich langsam und vorsichtig meine Macht wieder aufnehmen. Tue ich das zu schnell, dann kann ich meiner eigenen Macht nicht mehr standhalten und vergehe.“
    „Macht ihr Götter das immer so?“ Wenn ich mich recht erinnere, hat vor allem Zeus einen Faible dafür gehabt, sich irgendeine, mal menschliche, mal tierische, Gestalt auszusuchen und auf der Erde herumzuwandern, wann immer er scharf auf eine Sterbliche war. Wenn er dafür jedes Mal einen Großteil seiner Kraft auf dem Olymp zurücklassen musste, hatte der Kerl einen erstaunlich hartnäckigen Sexdrive.
    „Zeus hat sich meist nur für kurze Zeit verwandelt, da musste seine Hülle nicht lange halten. Und wenn es für uns keinen Grund gibt, unsere Identität zu verschleiern, dann benutzen wir einfach unsere normale Gestalt. Aber auch dann müssen wir uns einschränken, damit wir keine sterblichen zu Staub zerfallen lassen oder so“, antwortet Aphrodite auf meine Gedanken. Dann grinst sie. „Aber ja. Zeus hatte und hat noch immer einen sehr hartnäckigen Sexdrive. Wenn dir also jemals ein äußerst großer Stier oder ein Schwan begegnet, der dir nicht von der Seite weicht, solltest du besser mit offenen Augen schlafen.“
    „Danke für den Rat“, murmele ich hohl und versuche, ein Kopf-Kino zu unterdrücken. Es gelingt mir nur halbwegs.
    Erst fällt es mir gar nicht auf, aber nach und nach spüre ich die Wärme, die von Aphrodites Händen ausgeht und langsam durch meinen ganzen Körper sickert. Stück für Stück arbeitet sich diese wohlige Wärme vor, die Arme und den Rücken herunter, wie warmer Honig in meinen Adern. Ganz langsam fließt sie dann endlich in meine Finger. Erst spüre ich, dass meine Finger etwas berühren, dann fühle ich die Wärme meiner Beine, die bis zu meine Hände sickert, die auf meinem Schoß liegen, dann die raue Textur meiner Jeans… Und dann spüre ich das dumpfe Pochen der Schnittwunden an meinen Fingern. Für einen kurzen Augenblick verziehe ich das Gesicht, weil die Schmerzen mich endlich einholen, aber nach und nach verschwinden sie. Ich spüre, wie die Fingerkuppe an meinem Mittelfinger kribbelt und heiß wird, wie die Wunde sich langsam schließt. Aphrodites Macht gibt mir nicht nur das Gefühl in ihnen zurück, sie heilt mich auch. Zumindest ein wenig. Als sie ihre Hände von meinen Wangen nimmt, spüre ich, dass die Schnitte nicht komplett geheilt sind. Aber das wird mein Körper wohl auch von alleine hinbekommen, jetzt, wo er wieder genug Energie hat.
    Ich betrachte meine Fingerspitzen, beuge und strecke sie, knete sie und stelle erleichtert fest, dass es weh tut. Die Taubheit ist vollkommen verschwunden.
    „Danke“, seufze ich erleichtert. Doch als ich hochsehe, um ihr ein dankbares Lächeln zu schenken, sehe ich, wie blass und müde Aphrodite wirkt. Ihre Augen liegen tief in ihren Höhlen und die dunklen Schatten unter ihnen lassen sie um Jahre älter wirken. Ihre Finger zittern, genauso wie ihr schmales Lächeln.
    „Ich muss mich jetzt etwas ausruhen“, bringt sie gepresst hervor. Als sie schwankend versucht, aufzustehen, springe ich auf und lege meinen Arm um ihre Taille. Sie nickt mir zu und gibt einen Teil ihres Körpergewichtes auf mich ab. Langsam und vorsichtig schleichen wir zur Treppe hoch, in Richtung ihres Schlafzimmers.

    Regen prasselt seltsam rhythmisch auf meinen Schirm.
    Ich stehe am Fuß des Mount School, unter den kahlen Ästen eines Baumes am Straßenrand. Es ist gerade mal zwanzig nach sieben, die Schule beginnt erst in einer halben Stunde und noch ist weit und breit niemand zu sehen. Vorsichtig luge ich unter dem dunkelroten Stoff hervor. Der Himmel ist noch immer bedeckt mit dicken, dunkelgrauen Wolken und selbst wenn die Sonne schon aufgegangen wäre, würde man davon kaum etwas mitbekommen.
    Ich mochte den Winter noch nie. Alles um mich herum ist düster, von der Straßenlaterne einen Meter neben mir mal abgesehen, die hässliches, dreckig gelbes Licht absondert. Die Bäume sind kahl und knorrig, wie abgemagerte Finger strecken sich ihre Äste in die Höhe. Alles ist still und… tot. Kein Zwitschern von Vögeln, kein Knacken im Geäst. In der Stadt ist es niemals ganz ruhig. Ich bin einfach nicht daran gewöhnt, so ganz alleine mit meinen Gedanken zu sein. Es macht mich unruhig, geradezu nervös. Vielleicht aber auch nur, weil mich das Anblick von abgestorbenen Pflanzen schmerzhaft offensichtlich daran erinnert, dass mein Körper auch nicht gerade das ist, was man lebendig nennt. Im Grunde bin ich ein Zombie. Diese Tatsache habe ich in den letzten Wochen mehr oder weniger erfolgreich verdrängen können, auch, weil ich mich auf wichtigere Dinge konzentrieren musste, aber die Verbände um meine Finger machen mich jedes Mal, wenn ich an sie denke, wieder etwas nervös. Dann drücke ich meine Fingernägel in meine Handinnenflächen und hoffe darauf, dass es noch immer weh tut. Aphrodite hat mir einiges ihrer Kraft übertragen, ist dabei aber beinahe kollabiert. Irgendwie habe ich sie gestern noch ins Bett geschafft, aber schon auf halbem Weg nach oben war sie mehr bewusstlos als alles andere und als ich heute Morgen aufgestanden bin, drang kein Mucks aus ihrem Schlafzimmer. Zuerst bin ich einfach die Treppe heruntergeschlichen, so leise wie möglich um sie nicht zu wecken, aber das ungute Gefühl in meiner Magengegend hat mich innehalten lassen. Erst, als ich einen kurzen Blick in den Raum geworfen und sichergestellt hatte, dass sie auch wirklich noch atmete, war ich etwas beruhigt. Und diesmal war ich diejenige, die ihr einen kleinen Post-It an die Tür geheftet hat. Ich würde gerne ihren Blick sehen, wenn sie den Kühlschrank öffnet und das Festmahl findet, das ich für sie vorbereitet habe. Aber bis sie aufwacht, vergehen vermutlich noch einige Stunden.
    Ich ziehe mein Smartphone aus meiner Jackentasche und werfe einen Blick auf die Uhrzeit. 7:26. Wir wollten uns eigentlich schon um zwanzig nach treffen und bisher war Tyler noch immer pünktlich… Als ein unangenehmer Wind mir die Haare aus dem Gesicht treibt, ziehe ich die Schultern ein und verstecke meine Hände in meinen Ärmeln. Gott, warum muss der Winter immer so… kalt sein?
    „Guten Morgen“, höre ich Tylers Stimme hinter mir und springe fast etwas zur Seite vor Überraschung. Ich hab ihn gar nicht kommen hören.
    Mit einem dunkelgrünen Regenschirm in der Hand kommt er auf mich zu, dicht eingepackt in Schal, Handschuhe und einen Parka, der mich in eine Kugel verwandeln würde, so dick gefüttert wie er ist. Als er direkt neben mir steht, schließt er seinen Schirm und nimmt mir meinen aus der Hand. Ich dränge mich dicht an ihn, stelle mich auf die Zehenspitzen und drücke ihm einen schnellen Kuss auf die Lippen, dann klettern wir den Mount School hoch.


    „Ich hab ihn gestern noch kurz gesehen, als er ins Badezimmer verschwunden ist.“
    Wir sitzen im Oberstufenraum, einem kleinen Raum im Keller der Schule der für alle Schüler der zehnten, elften und zwölften Klasse gedacht ist, aber für gewöhnlich trauen sich die Zehntklässler noch nicht herein und die aus der Zwölften löchern alle anderen mit feindseligen Blicken, bis die das Feld räumen und sie ihre Ruhe haben. Ich war noch nicht oft hier drin, ein oder zwei Mal vielleicht, als wir eine Freistunde und nichts Besseres zu tun hatten. In einer Ecke des Raums steht ein altes Ledersofa, das schon zahlreiche Löcher aufweist, und einige bunt zusammengewürfelte Sitzsäcke. Ich sehe antik anmutende Lautsprecherboxen und eine Stereoanlage, die schon lange nicht mehr benutzt wurde, wenn man sich die dicke Schicht Staub darauf ansieht, einen kleinen Tisch mit allen möglichen Teenie-Zeitschriften darauf, drei oder vier Plastikblumen und ein Regal mit einigen Lexika und Fachbüchern darin. In der gegenüberliegenden Ecke steht ein Tisch mit Barhockern- woher auch immer die Schule authentische Barhocker bekommen hat- auf dem die Anwesenden arbeiten können. Da sitzen wir jetzt gerade auch, auf den beiden Hockern, die der Wand am nächsten sind, mit dem Rücken zur Türe.
    „Hat er etwas gesagt?“, frage ich, den Blick auf die weiße Tischplatte gerichtet. Ich sitze merkwürdig schief auf meinem Hocker, den linken Arm auf den Tisch gelehnt, damit ich meinen Kopf auf meiner Hand abstützen kann, und die Beine überschlagen. Gravitationstechnisch stehe ich hart an der Grenze, mein Gleichgewicht zu verlieren.
    „Kein Wort“, antwortet Tyler gedämpft, weil seine Hand über seinem Mund liegt, den Ellenbogen auf dem Tisch abgelegt. „Er ist ein wenig zusammengezuckt, als er mich gesehen hat, dann war ich nur noch Luft.“
    „Meinst du, er weiß, dass wir darüber gesprochen haben?“
    Tyler nickt. Für einen Moment verfallen wir in Schweigen, dann stoße ich einen langgezogenen Seufzer aus und strecke meine Arme weit von mir bis es anfängt, wehzutun.
    „Okay, wir müssen ihn also irgendwie aus seinem Schneckenhaus bekommen“, fange ich an und bin selbst ein wenig erstaunt, wie motiviert ich meine Stimme klingen lasse. „Ich gehe aber stark davon aus, dass er gerade herzlich wenig Lust darauf hat, mit uns zu sprechen.“
    „Mit dir noch eher als mit mir“, brummt Tyler zustimmend.
    Heh. Sei dir da mal nicht so sicher.
    „Aber um uns geht es ja sowieso nicht“, gebe ich kopfschüttelnd zurück. „Mit uns kommt er längst zurecht. Wir wollen ihn ja dazu bringen, sich anderen gegenüber zu öffnen.“
    Tyler stößt ein leises Brummen aus.
    „Was ist mit euren Klassenkameraden?“, frage ich und richte mich etwas auf.
    „Zu viel Angst vor uns“, antwortet und verzieht das Gesicht. „Ich glaube nicht, dass wir die dazu überredet bekommen, ihm eine Chance zu geben. Und Seth schon gar nicht. Da ist einfach zu viel passiert.“
    Richtig. Ich erinnere mich wage daran, dass ihre Klassenkameraden diejenigen waren, die mit den Gerüchten über die Zwillinge angefangen haben. Und von allem, was ich mitbekommen habe, hat Seth keine Intention, sich mit ihnen noch einmal groß zusammen zu setzen. Das ist wäre für den Anfang wohl etwas übertrieben…
    „Hat er außerhalb der Schule irgendwelche Bekannten?“, versuche ich es als nächstes, aber Tyler schüttelt erneut den Kopf.
    „Er verlässt ja kaum das Haus. Ich weiß nicht mal, ob er die Namen unserer Nachbarn kennt.“
    „Kennst du sie?“
    Er weicht meinem Blick aus und verzieht ein wenig das Gesicht. „Nicht wirklich.“
    Ich muss etwas grinsen. Die Nachbarn meiner alten Wohnung kannte ich höchstens vom Sehen her. Hier in Hemsfort haben wir nicht mal wirklich welche. Was vermutlich gar nicht mal so verkehrt ist, wenn ich mich daran erinnere, wie oft ich Aphrodite in den ersten paar Wochen angeschrien habe. Kann man wegen Ruhestörung hinter Gitter wandern?
    „Na gut“, lenke ich das Gespräch wieder zurück aufs Thema. „Was ist mir dir? Hast du Bekannte, die vielleicht helfen könnten?“
    „Von dir abgesehen? Nein“, gibt er zurück und fährt sich stöhnend durch die Haare. „Ich bin ja immer beim ihm geblieben, weil…“
    „Okay“, unterbreche ich Tyler. In Selbstmitleid zu versinken bringt uns nicht viel. Das kostet nur wertvolle Zeit und von der habe ich schon viel zu viel verschwendet.
    Ich lege meine Hand an meine Schläfen und schließe die Augen. Denk, Ava. Denken, denken, denken. Vielleicht sollten wir ihm ein Hobby suchen, bei dem er neue Leute treffen könnte? Aber was macht Seth denn Spaß? Bei Tyler wusste ich zumindest, dass er Tiere mag, das hat etwas geholfen. Aber Seth? Ich kenne ihn jetzt schon eineinhalb Monate und habe keine Ahnung, was er gerne tut.
    Oh Mann. Ich hasse es, es zuzugeben, aber… Vielleicht habe ich mich wirklich nicht genug für ihn interessiert.
    Nein, halt. Wie war das mit dem Selbstmitleid?
    Hobbies fallen flach. Selbst wenn er welche hat, Seth ist nicht dar Typ, der einfach auf andere zugeht und Freundschaften schließt. Er hat aber auch keine Bekannten, bei denen er zumindest nicht ganz von vorne anfangen muss. Ihn dazu zu bringen, mit seinen Klassenkameraden zu sprechen könnte die Situation eher schlimmer machen als besser… Aber es muss doch eine Möglichkeit geben. Irgendjemanden, den er kennt, mit dem er sich gut verstanden hat und der-
    Moment mal.
    „Ich hab‘s“, stoße ich aus. Warum ist mir das nicht schon vorher eingefallen?
    Tyler schaut mich beinahe misstrauisch an, was ich ihm nicht ganz übel nehmen kann, so bescheuert wie ich gerade grinse. Aber ich bin mir ganz sicher. Es wird funktionieren.
    „Und was hast du?“, fragt Tyler mich langgezogen.
    Ich beuge mich vor und ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Augen irre funkeln und ich unheimliche Ähnlichkeit mit einem verrückten Professor habe. Dann, in dem verschwörerichsten Ton, den ich zu Stande bringen kann, raune ich: „Die perfekte Truppe für Mission Impossible.“





    Benachrichtigungen gehen raus an:
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    @Jiang
    @Anneliese
    @Luxuria


    Drei Monate später. Dafür ist Kapitel 13 schon in der Mache. Also... juchu? Langsam aber sicher ist auch das Ende abzusehen. Geplant sind aktuell 14 Kapitel, plus einen Epilog. Mal sehen, ob ich das doch noch sprenge, oder ich einmal in meinem Leben meine Planung nicht über Bord werfe.
    Mit diesem Kapitel haben wir btw auch die 200 Wordseiten geknackt! Party!

  • Tyler Route



    Chapter 13: Collateral Damages




    „Ich komme mir vor wie in einem schlechten Film“, murrt Lisa. „Wenn du uns zumindest sagen würdest, was du von uns willst.“
    „Gleich“, gebe ich zurück und ziehe die Kapuze meiner Jacke tiefer in mein Gesicht. Das Gras unter meinen Füßen ist vom gefrorenen Tau weiß und knackt bei jedem unserer Schritte. Der Pausenhof ist beinahe komplett leer. Im Winter sind die Lehrer so human, uns zu erlauben, im Schulgebäude zu bleiben, wo die Heizungen uns zumindest ein bisschen wärmer halten. Deswegen waren Charlie und Lisa wenig begeistert, als ich ihnen ihre Jacken in die Hand drückte und ihnen so leise wie möglich sagte, dass ich ihre Hilfe bräuchte.
    Irene, die einzige, die mir keine entsetzten Blicke zuwarf, als ich die Tür zum Pausenhof aufstieß, geht neben mir. Offenbar hat sie schon eine Ahnung, wohin ich meine Freundinnen führen möchte.
    „Meine Schuhe sind nicht wasserdicht“, grummelt Lisa hinter mir.
    „Stell dich nicht so an“, gibt Charlie zurück, klingt aber auch nicht sonderlich begeistert.
    Als ich vor dem Tor zum Biologiegarten stehen bleibe und mit unterkühlten Fingern an der Klinke rüttele, werfen sich die drei einen überraschten, aber wissenden Blick zu. Irgendwann springt das Tor dann endlich auf und ich winke sie hinein.


    Tyler wartet schon am gefrorenen Tümpel, die Hände in den Jackentaschen versteckt und einen düsteren Gesichtsausdruck aufgesetzt. Er ist nicht wirklich begeistert von der Idee, meine Freundinnen einzuweihen und sie um Hilfe zu bitten, aber auch er musste am Ende zugeben, dass die drei unsere beste Chance sind. Also gab er sich geschlagen.
    „Okay, was genau geht hier ab?“, spricht Charlie am Ende aus, was allen dreien im Gesicht geschrieben steht.
    Ich gehe herüber zu Tyler, der mir einen eindeutigen Blick zuwirft. Also drehe ich mich zu meinen Freundinnen um und trete etwas unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.
    „Wir wollen euch um einen Gefallen bitten“, fange ich an. „Es geht um Seth.“


    Fünf Minuten später wissen Irene, Charlie und Lisa über so ziemlich Alles Bescheid, was in den letzten Wochen zwischen den Zwillingen und mir vorgefallen ist. Also zumindest den Teil, der nicht mit einer göttlichen Wette und Mission Leuchteherz zu tun hat. Seth’ Eifersucht, sein Versuch, mich von Tyler fernzuhalten, der Streit zwischen den beiden, als Tyler herausgefunden hat, dass sein Bruder mir gedroht hat, unser Versuch, die Dinge wieder gerade zu biegen, unser Waffenstillstand und dann…
    „Er ist in dich verknallt?“, stößt Charlie mit kaum verhohlenem Entsetzen aus.
    „Das ist… ungünstig“, bestätigt Lisa, die sich zumindest Mühe gibt, nicht vollkommen verdattert auszusehen.
    „Darum geht es aber eigentlich gar nicht“, versuche ich das Thema abzuwürgen, weil es mir genauso unangenehm ist wie Tyler, der die ganze Zeit über schweigt wie ein Grab und versucht, den Blicken meiner Freundinnen auszuweichen. „Wir wollen Seth dazu bringen, sich etwas zu öffnen. Und Freunde zu finden.“
    „Okay“, murmelt Charlie lang gezogen. „Und wir sollen dabei… wie genau helfen?“
    „Er kennt uns schon“, schaltet sich endlich auch Irene ein. Während der ganzen Ausführung war sie besorgniserregend still und reglos geblieben, die Augen auf das Gras vor ihren Füßen gerichtet und mit den Gedanken scheinbar ganz so anders. Jetzt, wo sie sich einklinkt, erleichtert mich das ein wenig. Irenes Einfühlungsvermögen ist vermutlich so groß wie das von uns anderen zusammen. Wenn jemand versteht, wie wir uns fühlen und wie Seth sich fühlt… Dann sie.
    „Wir haben uns im Café von Avas Mutter getroffen, und du und Seth habt euch doch ziemlich gut verstanden“, wendet sie sich an Lisa. Die blinzelt für einen Moment etwas perplex, nickt dann aber langsam. Irene schaut zu mir herüber, als würde sie eine Bestätigung von mir wollen. „Es ist für ihn sicher einfacher, mit jemandem ein Gespräch zu beginnen, den er zumindest schon ein wenig kennt.“
    „Wie stellt ihr euch das vor?“, raunt Charlie. „Ich meine, sollen wir einfach auf ihn zugehen und sagen ‚Hey, Kumpel, was geht, hab gehört du suchst Freunde‘?“
    „Etwas unauffälliger wäre vielleicht besser“, grunzt Tyler, schafft es aber nicht, sein Grinsen komplett zu unterdrücken. Das Schlimme ist, dass ich mir wirklich gut vorstellen kann, dass Charlie sich Seth genau so nähern würde. „Ein zufälliges Treffen auf dem Flur oder dem Weg zur Schule. Das reicht schon aus.“
    „Na ich weiß ja nicht, ob das so einfach wird, wie ihr euch das vorstellt“, gibt Charlie mit einem Schulterzucken zurück.
    „Ich weiß, dass das viel verlangt ist“, antworte ich. „Aber-“
    „Uns fällt sonst nichts anderes ein“, stößt Tyler aus. Sein Blick haftet für einen Moment auf seinen Schuhen, dann ringt er sich dazu durch, meinen Freundinnen in die Augen zu sehen, mit einem so ernsten und bittenden Gesichtsausdruck, dass sogar ich überrascht bin. „Ich möchte nicht, dass Seth für immer und ewig ein Einzelgänger bleibt. Er ist kein schlechter Mensch, nur etwas impulsiv und unsicher. Von sich aus wird er es nicht schaffen.“
    Charlie hebt beschwichtigend die Hände. Als sich ein breites Grinsen auf ihrem Gesicht bildet, so breit, dass die Sommersprossen auf ihrer Nase tanzen, blinzelt Tyler überrascht.
    „Ich hab nicht gesagt, dass ich nicht helfen werden“, lacht sie. „Irene ist sowieso die reinkarnierte Mutter Theresa und Lisa steht auf die Bad Boys mit weichem Kern-“ Sie erntet einen Schlag in die Seite von Lisa und einen giftigen Blick, lässt sich aber nicht beirren. „-also glaube ich nicht, dass ihr euch irgendwelche Sorgen machen müsst.“
    Lisa läuft zwar etwas rot an, wobei ich mir nicht ganz sicher bin ob vor Wut oder weil sie peinlich berührt ist, aber zumindest nickt sie und zuckt kurz mit den Schultern. Irene lächelt ihr Heiligen-Lächeln, das mich wieder ansteckt und selbst Tyler neben mir nicht kalt lässt. Er wirkt erleichtert.
    „Warum besprechen wir alles weitere nicht irgendwo, wo es warm ist?“, schlägt Irene vor. „Im dritten Stockwerk gibt es eine kleine Ecke, da können wir uns setzen.“
    „Dafür!“, stößt Lisa aus und fängt wie auf Kommando an zu zittern wie Espenlaub. „Ich frier mir sonst noch alle Gliedmaßen ab.“
    „Memme“, lacht Charlie, wendet sich dann aber noch einmal an Tyler. „Ich wäre aber dafür, dass uns der Herr einen Kakao ausgibt, so als kleine Bezahlung.“
    Ich mache schon den Mund auf, um sie etwas in die Schranken zu weisen, aber dann höre ich Tyler neben mir leise lachen.
    „Damit kann ich leben“, antwortet er, wirft mir einen amüsierten Blick zu und bewegt sich dann vorwärts, in Richtung Pausenhof. Charlie und Lisa folgen ihm und die Liste der „kleinen Bezahlung“ erweitert sich schnell um einen Schokoriegel, ein Sandwich und ein halbes Festmahl aus unserer Cafeteria. Ich weiß, dass sie nur scherzen, ich weiß aber auch, dass Tyler es sich nicht nehmen lassen wird, diesen Scherz bis ans äußerste zu treiben, einfach, um die Oberhand zu behalten. Ich setze mich ebenso in Bewegung, als ich an Irene vorbeikomme, berührt die mich leicht am Arm. Ich verlangsame meinen Schritt und schaue sie fragend an. Für eine Weile bleibt sie still, den Blick in die Ferne gerichtet und weit weg mit ihren Gedanken. Dann wendet sie sich mir zu, beobachtet mein Gesicht, als würde sie nach jeder noch so kleinen Gefühlsregung suchen.
    „Bist du dir sicher, dass er in dich verliebt ist? Seth, meine ich“, fragt sie dann leise. Charlie, Lisa und Tyler scherzen weiter vorne, ich glaube kaum, dass sie uns hören würden, selbst wenn wir normal laut sprechen würden, aber vermutlich will Irene alleine mit mir sprechen. Und jetzt, wo ich weiß, worum es geht, ist mir das ganz recht.
    „Ich denke schon“, antworte ich langsam. Die Zeichen dafür sind da. Er hat es ja selbst gesagt. Also, nicht direkt gesagt, aber ich bin sicher, dass er das meinte. Warum fragt sie also?
    „Als ich euch zusammen gesehen habe, hatte ich einfach nicht den Eindruck, dass…“, beginnt Irene zögerlich. „Ich meine, ihr wart recht nahe beieinander. Und ihr habt offen miteinander geredet. Aber davon abgesehen…“
    „Er benimmt sich anders, als Tyler“, beende ich ihren Satz.
    „Ja, schon, aber das alleine wäre ja nicht mal merkwürdig. Von allem, was du erzählt hast, sind die beiden recht unterschiedlich. Es ist einfach…“ Der Rest ihres Satzes lässt sie in der Luft hängen.
    „Er hat es mir aber selbst gesagt. Zumindest indirekt“, gebe ich zurück, die Stirn gerunzelt.
    „Und wenn er falsch liegt?“
    Irene bleibt stehen. Ich drehe mich zu ihr um, einen fragenden Blick aufgesetzt. Was meint sie damit?
    „Du bist die erste, abgesehen von seiner Familie, die Interesse an ihm zeigt und mit der er gerne Zeit verbringt. Vielleicht verwechselt er diese Gefühle einfach damit, in dich verliebt zu sein? Weil du ihm so nah bist, wie sonst kaum einer? Er könnte auch bloß eifersüchtig darauf sein, dass du und Tyler euch noch etwas näher seid und noch mehr Zeit miteinander verbringt, als du und er.“
    Ich schweige.
    Seth verwechselt unsere Freundschaft mit Verliebtheit? Könnte das wirklich wahr sein?
    Es würde die Dinge zumindest um einiges einfacher machen.
    „Vielleicht liege ich aber auch falsch“, reißt Irene mich aus meinen Gedanken. Sie reibt sich über ihre Arme und wirft einen Blick in die Richtung der anderen, die schon ein ganzes Stück weiter entfernt sind. „Vielleicht ist er wirklich in dich verliebt und ich verstehe ihn falsch. Entschuldige bitte.“
    „Nein“, antworte ich und schüttele leicht den Kopf. „Wenn jemand eine Ahnung davon hat, was in anderen Menschen vorgeht, dann bist du das.“
    Und vielleicht hat sie wirklich recht. Seth hat nie Anstalten gemacht, mir näher zu kommen. Zumindest nicht im romantischen Sinne. Es macht ihm nichts aus, wenn wir nahe beieinander sitzen, uns locker umarmen. Aber so, wie er es tut…
    „Mach dir keine zu großen Gedanken.“ Irene berührt mich am Arm und lächelt mir zu. „Selbst wenn er wirklich in dich verliebt sein sollte… Du bist mit Tyler zusammen. Das muss er akzeptieren, so schwer ihm das auch fällt. Solange ihr es ihm nicht zum Vorwurf macht… Fühl dich nicht schlecht deswegen.“
    „Man sucht sich schließlich nicht aus, in wen man sich verliebt“, raune ich mit einem schwachen Lächeln. Irene nickt, dann hakt sie sich bei mir ein und zieht mich sanft zur Eingangstür, an der die anderen schon auf uns warten.


    Ich behielt recht. Tyler kaufte wirklich die halbe Cafeteria leer und mit einem Haufen Essen und fünf Bechern mit dampfendem Kakao in den Armen stiegen wir die Stufen zur dritten Etage hoch, wo wir es uns in einer kleinen Sitzecke bequem machten. Hier kam eigentlich niemals jemand vorbei, weil in diesem Flügel nur die Kunst- und Musikräume untergebracht waren, keine Klassenzimmer. Entsprechend hatten wir unsere Ruhe. Über Mission Impossible sprachen wir danach aber kaum mehr, wenn ich ganz ehrlich bin. Charlie und Tyler zogen sich stattdessen gegenseitig auf, immer mal wieder von Lisa und mir unterstützt, während Irene mit einem seligen Lächeln neben mir saß, aber immer noch etwas in Gedanken versunken schien. Ich konnte ihr förmlich ansehen, dass sie alle ihre Erinnerungen durchforstete, nach irgendeinem Hinweis, der mir helfen könnte. Am Ende unserer Pause sind wir papp satt, aufgewärmt und guter Dinge.
    „Ich muss zurück in meine Klasse“, stößt Tyler aus, als die Pausenglocke unsere Neckereien beendet. Er rappelt sich von seinem Platz neben mir auf, beugt sich dann aber noch einmal herunter, um mir einen Kuss zu geben, was Charlie zu mädchenhaftem Kichern und Lisa zu einem gespielt genervten Stöhnen bringt. „Wir sehen uns nach der Schule?“ Als ich nicke, richtet er sich wieder auf und geht einige Schritte rückwärts.
    „Dann bis später“, sagt er und wendet sich noch einmal an meine Freundinnen. „Danke.“
    „Danke für das Buffet!“, gibt Charlie zurück und grinst ihn an. Lisa nickt und Irene schenkt ihm ein kleines Lächeln. Dann ist Tyler auch schon verschwunden.
    Für einen Augenblick herrscht Stille, bis dann plötzlich alle Blicke auf mir liegen.
    „Das hast du also hinter unserem Rücke getrieben“, spricht Lisa mich mit einem fiesen Grinsen an. „So, so, Fräulein Herzensbrecherin. Ist ja interessant!“
    Ich stöhne und verdrehe die Augen, kann mir aber ein Grinsen nicht ganz verkneifen. Dann zwinge ich mich aber, ernst zu werden. Mit drängender Stimme spreche ich sie an: „Ihr müsst mir versprechen, nichts davon weiterzusagen. Ich wollte das alles für mich behalten, weil…“ Ich schlucke. Sie dürfen das auf keinen Fall in den falschen Hals bekommen. „Ich meine, ich vertraue euch, aber-“
    „Es ging uns nichts an“, beendet Charlie meinen Satz ohne jeden Vorwurf.
    „Wir verstehen das schon“, bestätigt Irene und Lisa zuckt nur beiläufig die Schultern.
    Ich muss lächeln. Womit habe ich solche Freundinnen eigentlich verdient?


    Nach dem Sportunterricht in der siebten packe ich meine Sachen zusammen, verabschiede mich von den anderen und gehe den Mount School herunter, mein Handy am Ohr. Ich höre regelmäßiges Tuten, aber eine ganze Weile geschieht sonst nichts. Gerade, als ich den Anruf beenden will, knackt es am anderen Ende der Leitung.
    „Ava?“, höre ich die Stimme meiner Adoptivgöttin erstaunt fragen. Für einen kurzen Augenblick bleibt es still, dann fragt sie, deutlich beunruhigt: „Stimmt etwas mit deinem Körper nicht?“
    „Nein, alles okay“, antworte ich. Ich zögere kurz, ringe mich dann aber doch dazu durch. „Und bei dir? Geht es dir besser?“
    Am anderen Ende erklingt ein schallendes, glockenklares Lachen.
    „Sekunde, rufst du tatsächlich an um zu fragen, wie es mir geht?“
    Ich verziehe das Gesicht.
    „Bist du krank?“, fragt die Göttin der mentalen Folter und unterdrückt angestrengt einen Lachanfall. Wenn das so ist, brauche ich mir wohl keine Sorgen zu machen.
    Pah.
    „Och, das ist aber niedlich“, fährt sie fort und ihre Stimme trieft vor Zucker. „Erst machst du mir dieses Festmahl zum Frühstück und dann rufst du mich auch noch an. Wer bist du, und was hast du mit meiner zickigen Lieblings-Tochter gemacht?“
    „Geh sterben“, grummele ich in den Hörer und nehme ihn von meinem Ohr. Kurz bevor ich auf „Anruf beenden“ drücke, bricht sie in einen lauten Lachanfall aus, der mich vermutlich zehn Jahre eher taub gemacht hätte, hätte ich mein Smartphone noch direkt am Ohr gehalten.
    Und obwohl es mich tierisch nervt, dass sie sich so über mich lustig macht, kann ich doch nicht anders als mich zumindest ein bisschen erleichtert zu fühlen. Wer so einen Lachkrampf hat, dem kann es nur gut gehen.


    Heute schlage ich den Weg zum Haus der Prestons ausnahmsweise mal alleine ein. Tyler hatte nur sechs Stunden und ist längst zu Hause, wo er auf mich warten wollte, für eine weitere Taktik-Besprechung.
    Seien wir ehrlich. Wir können Seth nicht aus dem Weg gehen und das sollten wir auch nicht. Irgendwann müssen wir diese ganze Sache klären, besser früher als später.
    An einer Fußgängerampel komme ich zum Stehen, den Blick auf das rot leuchtende Männchen auf der anderen Seite gerichtet.
    Mit etwas Glück kommen wir schon heute Abend dazu. Mit heute habe ich immerhin nur noch 15 Tage und mit diesem klärenden Gespräch ist es ja noch lange nicht getan.
    Sonderlich spaßig wird das Ganze aber ohnehin nicht werden. Wie will ich Seth bitte sagen, dass ich nicht dasselbe für ihn fühle, ohne, dass er das Gefühl bekommt, dass ich mich nicht für ihn interessiere? Und wie bringe ich es fertig, mit seinem Bruder zusammen zu bleiben, während er daneben sitzt? Sollte Irene recht haben, macht es die Sache aber auch nicht viel besser, immerhin muss ich ihn dann irgendwie davon überzeugen, dass er nicht wirklich in mich verknallt ist…


    Als etwas kaltes und feuchtes meine linke Hand berührt, springe ich fast einen Meter in die Luft vor Überraschung. Ich fahre herum und brauche einen Augenblick um die Person vor mir zu erkennen.
    „Artem-!“, stoße ich völlig überrumpelt aus, klappe dann aber sofort meinen Mund zu, weil ich befürchte, dass mich sonst jemand hört. Aber die Straßen sind leer. Außer uns und ihren Hunden, Chrysos und Asimi, die um meine Beine herumstromern und ihre Köpfe gegen meine Hände drücken, ist alles wie ausgestorben.
    „Was machst du denn hier?“, frage ich, dieses Mal etwas leiser und wesentlich souveräner, wenn ich das denn mal so sagen darf. Zumindest überschlägt sich meine Stimme bei diesem Versuch nur einmal.
    Artemis trägt wieder dieselben Klamotten wie auch die Male zuvor, eine dünne Sporthose und ein Shirt, dieses Mal ist ihre Jacke aber zumindest nicht nur um ihre Hüften gebunden sondern bedeckt tatsächlich ihre Arme. Trotzdem bringt mich alleine ihr Anblick zum bitterlichen Frieren, sie selbst scheint aber wenig beeindruckt von den einstelligen Temperaturen. Ihr Gesicht mit den hohen Wangenknochen und den silbergrauen Augen ist so streng wie immer, aber das kleine Zucken ihrer Mundwinkel macht ihren stechenden Blick etwas weicher.
    „Ich freue mich auch, dich zu sehen“, gibt sie süffisant zurück und ich verziehe das Gesicht. Das war wohl ziemlich unfreundlich. Hups.
    Aber kann man es mir wirklich übel nehmen? Ich habe Artemis jetzt schon seit Wochen nicht mehr gesehen, und plötzlich steht sie direkt vor mir. Das hat mich eben ein wenig überrascht.
    Artemis legt mir ihre warme Hand auf den Rücken und drückt mich in Richtung Straße.
    „Komm schon. Die Ampel ist grün.“


    Ich weiß nicht genau wie, aber Artemis weiß genau, in welche Richtung ich muss. Wirklich überrascht bin ich davon nicht, wenn ich ehrlich bin, vermutlich liest sie einfach meine Gedanken oder benutzt ihre göttliche Allwissenheit. Moment. Waren griechische Gottheiten überhaupt allwissend, oder war diese Eigenschaft für den katholischen Gott reserviert?
    Chrysos und Asimi sind wie immer absolute Vorbildhunde, und auch sie scheint die Kälte nicht zu stören, obwohl ihr kurzes Fell sie eigentlich kaum warm halten dürfte. Andererseits rennt ihre Besitzerin auch bei 3 Grad Celsius mit knielangen Sporthosen durch die Gegend, also sollte ich mich vermutlich nicht allzu sehr wundern. Die beiden Hunde behalten ihre Umgebung konstant im Auge und heben ihre Schnauze immer wieder in die Luft. Ab und an schnuppern sie an meiner Jacke, bis mir klar wird, dass sie vermutlich Hibiki daran riechen.
    Die Straßen bleiben weiterhin leer, nur ab und an verirrt sich mal jemand auf die gegenüberliegende Straßenseite. Ansonsten ist es beinahe gruselig still, als wäre die Stadt schon vor langer Zeit einfach ausgestorben.
    „Wie geht es dir, Ava?“, reißt mich Artemis aus meinen Gedanken.
    „Gut“, antworte ich instinktiv. „Also, den Umständen entsprechend.“
    „Wie geht es deinen Fingern?“, fragt sie weiter, ohne mich anzusehen. Ihr Blick ist irgendwo in Richtung Horizont verankert. Vielleicht geschieht in zwei Kilometern Entfernung etwas Interessantes und ihre göttlichen Augen beobachten das. Oder vielleicht ist das auch einfach so ein Götter-Ding.
    „Ich fühle die Wunden“, gebe ich zurück, wenig überrascht, dass sie davon weiß. „Das sehe ich einfach mal als gutes Zeichen.“
    Artemis brummt zustimmend, den Blick noch immer in die weite Ferne gerichtet. Für eine Weile höre ich nur unsere Schritte auf dem Gehweg und das Hecheln der Windhunde an Artemis‘ Seite.
    Warum ist sie hier?
    Dieses Mal habe ich sie nicht gerufen. Als sie mich die letzten Beiden Male besucht hat, da habe ich darum gebeten, dass mir jemand hilft. Zu diesen Zeitpunkten war ich verzweifelt und am Ende meiner Weisheit. Aber gerade läuft doch alles gut.
    Oder rede ich mir das vielleicht nur ein?
    Als Artemis bellend lacht, zucke ich heftig zusammen.
    „Kann ich dich nicht einfach besuchen, wenn mir danach ist?“, grunzt sie belustigt und betrachtet mich aus dem Augenwinkel.
    „Weiß ich nicht. Bisher haben Götter mich nur dann besucht, wenn sie etwas von mir wollten oder wenn ich etwas von ihnen wollte“, antworte ich und zucke mit den Schultern.
    „Vielleicht möchte ich dieses Mal tatsächlich etwas von dir“, gibt sie zurück. Meine Augenbrauen zucken für einen Moment in die Höhe. Von mir? Was könnte eine Göttin von mir wollen?
    „Ich will, dass du vorsichtig bist.“
    Unvermittelt bleibt Artemis stehen. Einen Schritt von ihr entfernt halte ich auch an und drehe mich zu ihr um. Ausnahmsweise ist der Blick, den sie mir schenkt, vollkommen ernst.
    „Aphrodites Abwesenheit ist aufgefallen. Die meisten kümmern sich nicht darum, was sie treibt, aber einige haben noch offene Rechnungen mit ihr zu begleichen. Andere haben einfach Spaß daran, etwas Ärger zu machen oder wollen ihre Langeweile loswerden. Keiner von ihnen kann sich direkt mit ihr anlegen. Du dagegen…“
    Ich dagegen bin nur eine Sterbliche. Eine unter vielen.
    „Vor einigen Wochen hat mich schon einmal eine Göttin besucht. Hekate“, stoße ich aus. Das hatte ich so schnell es ging wieder verdrängt. Alleine der Gedanke an diese blasse Frau mit ihren tiefschwarzen Augen… Mir läuft ein Schauer über den Rücken.
    „Hekate“, wiederholt Artemis und verzieht das Gesicht. Offenbar ist Aphrodite nicht die Einzige, die so ihre Erfahrungen mit der Göttin der Zombies gemacht hat… „Sie behält dich also auch im Auge. Im Normalfall geht von ihr keine Gefahr aus, aber…“
    „Aber?“, hake ich nach.
    „Der Energieverlust deines Körpers macht mir Sorgen. Als Göttin der Nekromantie hat sie eine gewisse Macht über totes Gewebe… Unmöglich wäre es nicht, dass sie deinen Körper manipuliert. Um die Sache für sie spannender zu machen.“
    „Das fehlt mir gerade noch“, grummele ich. „Reicht es ihr nicht, dass meine Zeit ohnehin schon knapp wird?“
    „15 Tage“, raunt Artemis und streicht sich durch die platinblonden Locken. Dann ringt sie sich zu einem Lächeln durch. „Du bist auf einem guten Weg, Ava. Immerhin weißt du jetzt, was du tun musst, um Tyler glücklich zu machen, oder? Und deine Freunde haben sich auch dazu bereit erklärt, dir zu helfen.“
    „Seth bleibt trotzdem ein Problem“, gebe ich zurück und reibe mir die Schläfen. Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr wird mir bewusst, dass ich keine Ahnung habe, wie ich mit ihm umgehen soll. Ich habe keine Zeit für Fehler mehr.
    „Erinnerst du dich daran, was ich dir geraten habe?“, fragt die Göttin der Jagd mich mit einem Funkeln in ihren Augen.
    „Nicht einschüchtern lassen und Klartext reden?“
    „Exakt.“ Sie nickt und legt mir ihre Hand auf die Wange. Sie glüht beinahe, fast so, als hätte sie hohes Fieber. „Du schaffst das, Ava Hale. Du bist stark, aber vor allem bist du hilfsbereit und dickköpfig. Nur Mut. Wir wachen über dich.“
    Und mit diesen Worten pfeift sie Chrysos und Asimi an ihre Seite, schenkt mir ein letztes Lächeln und dreht sich um. Artemis verfällt in leichtes Joggen und nach einem Blinzeln ist sie wie vom Erdboden verschluckt.
    Als ich mich umsehe, stehe ich vor dem Haus der Prestons. Wann ich hier angekommen bin, weiß ich nicht. Ich atme einmal tief ein und aus, dann öffne ich das Tor zum Grundstück und trete ein.


    Martha schickt mich direkt rauf in Tylers Zimmer. Der ist im Moment noch mit Hibiki draußen und verspätet sich scheinbar ein wenig, aber wirklich etwas ausmachen tut mir das nicht. Es gibt mir etwas Zeit, weiter nachzudenken.
    In seinem Zimmer lasse ich mich auf die Couch fallen, ziehe die Beine an und lege den Kopf in den Nacken. Nicht einschüchtern lassen und Klartext reden. Das sagt sich so einfach, wenn man eine unsterbliche Göttin ist und Menschen mit einem bösen Blick in eine Made verwandeln kann. Wir Normalsterblichen müssen da etwas vorsichtiger sein…
    Ich nehme mir eines der grünen Kissen, die neben mir liegen, und drücke es mir gegen die Brust. Meine Lider fallen zu. So kann ich besser denken.
    Seth ist mir wichtig. Ich möchte ihm helfen. Aber ich muss ihm gleichzeitig klar machen, dass ich nicht so für ihn empfinde. Wenn ich die richtigen Worte wähle, dann wird er es schon verstehen. Wenn er dazu bereit ist, mir zuzuhören. Tyler ignoriert er schon den ganzen Tag, sowohl zu Hause als auch in der Schule. Aber ich glaube nicht, dass er wirklich wütend auf ihn ist. Ich glaube eher, dass er sich schämt. Das, was er gestern zu mir gesagt hat… Dass sich alles immer nur im Tyler dreht. Er bereut es sicher. Seth wirkt manchmal kindisch und gleichgültig, aber insgeheim macht er sich unendlich viele Gedanken. Ich bin mir sicher, dass-
    Als ich hinter mir ein Geräusch höre, öffne ich die Augen. Über meinem Gesicht sehe ich ein Paar dunkelroter Augen.
    Ich unterdrücke ein Gähnen und richte meinen Kopf wieder auf, zurück in eine etwas gemütlichere Haltung.
    „Schönen Spaziergang gehabt?“, frage ich Tyler und rücke ein Stück zur Seite, damit er sich setzen kann. Er läuft um die Couch herum und lässt sich dann neben mich fallen. Das Kissen fest in meiner Umarmung kippe ich in seine Richtung, bis mein Kopf gegen seine Schulter fällt. Gott, ich bin müde. Ich weiß nicht einmal warum. Am liebsten würde ich einfach schlafen…
    Mir fallen die Augen wieder zu. Tyler neben mir ist so schön warm und kuschelig und-
    Unvermittelt richte ich mich wieder auf.
    Ich hatte mich schon gewundert, warum ich Hibiki nicht gehört habe. Oder warum Tyler kein Wort mit mir spricht. Oder warum er zusammengezuckt ist, als ich mich gegen ihn gelehnt habe.
    Er trägt sogar die gleichen Klamotten. Da hat sich jemand wirklich große Mühe gegeben.
    „Was genau wird das, Seth?“
    Für einen kurzen Augenblick entgleiten ihm alle Gesichtszüge. Er versucht sich zusammenzureißen, aber irgendwann zerbricht die Farce unter meinem durchdringenden Blick.
    „Dich kann man echt nicht täuschen, hm?“, brummt er und weicht mir jetzt bewusst aus. Seine Augen haften auf dem Fernsehbildschirm, der schwarz und stumm an der Wand steht. „Aber für einen Moment dachtest du wirklich, ich wäre Tyler.“
    Ich lasse mich nicht darauf ein. Ja, für einen Moment hat er mich getäuscht. Aber dann war es komplett offensichtlich.
    „Was hattest du vor?“, frage ich ihn. Seth verschränkt seine Finger ineinander und knetet sie, bis ich die Gelenke laut knacken höre. Er sammelt sich. Dann dreht er den Kopf, nimmt sich zusammen, und schaut mir ins Gesicht, mit einem so ernsten Ausdruck auf seinem, wie ich ihn noch nie bei ihm gesehen habe.
    „Tyler und ich sind Zwillinge. Wir sehen genau gleich aus. So viel Unterschied gibt es zwischen uns gar nicht“, stößt er mit wackeliger Stimme aus. Erst, als er das Gesicht verzieht, merke ich, dass ich meine Augen kaum merklich zusammengekniffen habe. Ich zwinge mich dazu, neutral zu schauen. Seth spricht mit mir. Ich darf das hier nicht in den Sand setzen.
    „Und?“, harke ich betont ruhig nach.
    „Ich dachte…“, beginnt er, bricht dann aber sofort wieder ab. Seth kann mir nicht mehr in die Augen sehen. Er bewegt sich hin und her, sucht beinahe verzweifelt nach irgendetwas, auf das er sich fixieren kann. „Wenn du keinen Unterschied bemerkst, dann…“
    „Dann könnte ich auch gleich mit dir zusammen sein?“
    Die Worte sind einfach rausgerutscht. Ich hab sie nicht aufhalten können.
    Seth schluckt. Er muss einfach merken, wie bescheuert das klingt. Mit einem Grunzen und undeutlichem Murmeln vergräbt er für einen Moment sein Gesicht in den Händen, dann, so plötzlich, dass ich etwas zusammenzucke, springt er auf. Als er weiterspricht, kann ich nur seinen Rücken sehen.
    „Bin ich wirklich so viel schlechter als er?“
    Ich kann ihn kaum verstehen, so leise spricht er.
    Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Natürlich ist er nicht schlechter als Tyler. Aber er ist anders. Egal wie viele Gene sie sich teilen… Über die Jahre sind Tyler und Seth einfach zu unterschiedlichen Personen geworden. Und er weiß das auch. Er weiß es ganz genau.
    Urplötzlich fährt Seth herum. Seine roten Augen sprühen Funken.
    „Kannst du nicht wenigstens so tun, als ob?“, zischt er ungehalten. „Wäre es so fürchterlich mit mir zusammen zu sein? Was macht ihn so viel besser als mich?“
    Ich öffne den Mund. Dann schließe ich ihn wieder.
    Irene hatte Recht.
    „Sag irgendetwas!“, fährt Seth mich an und kommt einen Schritt auf mich zu. Ich weiß nicht, ob er bewusst versucht, bedrohlich zu wirken, oder ob er einfach nicht anders kann. Wirken tut es nicht. Ich hab mittlerweile einfach zu viel Umgang mit Todesblicken. Aber vor allem verstehe ich Seth endlich. Ich verstehe, was sein Problem ist.
    „Und was soll ich sagen?“, antworte ich betont ruhig und stehe auf, damit ich zumindest im Ansatz auf seiner Augenhöhe bin. Die Frage erwischt ihn ganz offensichtlich auf dem falschen Fuß.
    „Halt… Irgendetwas!“, gibt er zurück und auf seinem Gesicht verändern sich die Emotionen im Sekundentakt. Ärger, Verletztheit, Kummer, Verwirrung, Unbehagen, Scham.
    Du hast Recht, Seth. Du und Tyler, ihr seid gar nicht so verschieden, ich tue einfach so, als ob du dein Bruder wärst. So schwierig kann das nicht sein.“ Meine Stimme klingt monoton, aber ich gebe mir größte Mühe, den Sarkasmus daraus zu verbannen. Das hier ist ernst. Und ich nehme ihn ernst. Ihn und seine Probleme. Ich hoffe, dass er das merkt. „Willst du, dass ich sowas sage?“
    Seth hält mitten in der Bewegung inne und starrt mich einfach nur an. Das Mienenspiel ist zu Ende. Er wirkt einfach nur verblüfft. Aus dem Gleichgewicht gebracht.
    „Fühlt sich nicht so gut an, wie du dachtest“, spreche ich aus, was sich ganz deutlich in seinem Kopf abspielt. Seth schluckt, sein Blick jagt von meinem rechten Auge zu meinem linken und wieder zurück, aber ich glaube, dass er mich gar nicht wirklich wahrnimmt. Er schaut eher durch mich hindurch.
    Als ich einen Schritt auf ihn zu mache, weicht er wie automatisch vor mir zurück.
    „Willst du wissen, was das Problem ist, Seth?“, frage ich ihn so eindringlich, aber ruhig wie ich nur kann. Mein Herz pocht viel zu laut. Ich habe Angst vor dem, was jetzt kommt. Angst davor, wie er es aufnimmt.
    „Was ist das Problem?“, fragt er und malträtiert sich dabei die Lippen. Ich sehe, wie sich sein ganzer Körper anspannt, als würde er sich auf einen ganz realen Schlag ins Gesicht vorbereiten. Vielleicht wäre der angenehmer als der verbale, der nur darauf wartet, ausgesprochen zu werden.
    Ich atme tief ein. Klartext reden. Hoffentlich funktioniert dein Tipp, Artemis.
    „Dein Problem ist, dass es hier gar nicht um mich geht“, fange ich an. Seth runzelt die Stirn, deutlich verwirrt, sagt aber nichts. Und ich bereite mich mental auf den giftigsten Blick vor, den er fabrizieren kann. „Du bist nicht in mich verliebt, Seth.“
    Für einen kurzen Moment scheint alles wie erstarrt. Keiner von uns beiden bewegt sich. Es ist vollkommen still, so still, dass ich das Blut in meinen Ohren rauschen und das Herz in meiner Brust so heftig pochen höre, als wäre es bereit zu kollabieren.
    Dann, und das war das letzte, was ich erwartet hatte… Dann fängt Seth mit einem Mal an zu lachen. Kein freundliches Lachen. Nicht einmal ein sarkastisches. Es klingt bitter, bitter und enttäuscht.
    „Ach wirklich“, raunt er und auf seinem Gesicht breitet sich ein böses Lächeln aus. Mit jedem Wort, das er spricht, wird es lauter und lauter, bis ich das Bedürfnis entwickele, mir die Ohren zuzuhalten. „Und woher willst du das wissen? Woher willst du bitte wissen, was ich fühle?!“
    „Weil es dir nur um Tyler geht. Von Anfang an ging es dir um Tyler und um das, was er hat. Du bist neidisch auf ihn. Nicht eifersüchtig“, gebe ich zurück. Ich hoffe, das leichte Zittern in meiner Stimme entgeht ihm.
    „Was ist der Unterschied?“, herrscht er mich an und dieses Mal bin ich diejenige, die instinktiv zurückweicht. Aber er folgt mir. Schritt für Schritt, bis ich irgendwann mit dem Rücken gegen die Wand stehe. Wortwörtlich. Seth kommt immer näher. Irgendwann sind nur noch wenige Zentimeter zwischen unseren Gesichtern.
    „Eifersüchtig wärst du, wenn du tatsächlich Gefühle für mich hättest. Aber die hast du nicht“, gebe ich gepresst zurück. Ganz ruhig, Ava. Ich weiß, dass er mir nicht weh tun wird. Trotzdem schreit mein ganzer Körper nach Flucht.
    Ich zwinge mich dazu, ruhiger zu atmen. Wenn ich jetzt den Schwanz einziehe, dann wird er mich nicht ernst nehmen. Ich weiß, dass ich Recht habe. Ich weiß es einfach.
    „Du willst mich besitzen, weil ich ein Teil von Tylers Leben bin. Und du bist neidisch auf das, was er hat und du nicht.“
    „Aha“, stößt er tonlos aus. „Und was macht dich da so sicher?“
    „Weil du sogar so weit gehen würdest, dich als dein Bruder auszugeben.“
    „Das habe ich nur getan, weil…“, beginnt er ungehalten. Aber ihm gehen die Worte aus. Ich sehe ihm an, wie er mit sich ringt. Wie er nach einer Erklärung für sein Verhalten sucht. „Weil ich weiß, dass du jemanden wie ihn lieben kannst, also-“
    „Das ist Unsinn und das weißt du!“, unterbreche ich ihn heftiger als gewollt. „Du vergleichst dich permanent mit Tyler. Ständig denkst du darüber nach, dass er bessere Noten hat als du, dass er Freunde hat und dass er glücklich ist und du nicht. Und das macht dich fertig, weil du nicht so sein kannst wie er und-“
    „Das ist nicht wahr!“, schreit er mich an, aber ich zucke nicht einmal mit der Wimper. Ich habe keine Zeit für diesen Blödsinn. Wenn er es auf die harte Tour haben will, dann bitte! „Ich bin in dich verliebt!“
    „Dann beweis es!“, schreie ich zurück. Seth klappt der Mund auf. Ich sehe, wie es in seinem Kopf rattert.
    „Was?“, fragt er deutlich verwirrt und ein wenig der Anspannung weicht aus seinem Körper. „Wie das?“
    „Küss mich“, antworte ich, ein wenig leiser, aber noch immer aufgebracht. „Dann werden wir ja sehen, ob da etwas dran ist!“
    Der Schock steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Seth sieht aus wie ein Fisch an Land, der wild versucht, Wasser in seine Lungen zu bekommen. Erst weicht ihm sämtliche Farbe aus dem Gesicht. Dann färben sich seine Ohren und seine Wangen knallrot.
    „Ich… Nein!“, zischt er. „Du bist… Du bist mit meinem Bruder zusammen, ich kann doch nicht-“
    „Das hat dich gerade eben aber auch nicht gestört“, gebe ich zurück und sehe mit Genugtuung, wie er mit sich ringt. „Du kannst es nicht. Weil du keine Gefühle für mich hast.“
    Einen Augenblick lang starrt er mich einfach nur an. Dann flammen seine Augen mit einem Mal mit Trotz und Wut auf.
    „Du willst, dass ich es beweise? Okay. Meinetwegen.“ Fast so, als würde er sich auf eine Schlägerei vorbereiten und nicht auf einen verdammten Kuss, ballt Seth die Fäuste und rollt mit den Schultern. Dann, bevor ich reagieren kann, legt Seth seine Hände gegen die Wand rechts und links neben meinem Gesicht. Selbst wenn ich es jetzt versuche, ich kann nicht ohne weiteres weglaufen.
    Oh scheiße. In was habe ich mich hier hineinmanövriert?
    Er wird es nicht tun. Er kann nicht. Weil er nicht in mich verliebt ist. Ich bin mir sicher.
    Seth beißt sich noch einmal auf die Lippen, dann presst er die Augen zusammen und schnaubt beinahe wütend.
    Er kommt näher und näher.
    Mein Herz pocht lauter. Ich presse mich gegen die Wand. Er… Er wird es nicht schaffen. Ganz sicher nicht.
    Keine fünf Zentimeter mehr. Ich spüre seinen Atem auf meinem Gesicht.
    Stop. Komm nicht näher. Merkst du nicht, wie falsch es sich anfühlt? Du willst das hier nicht!
    Habe ich mich geirrt? Ich war mir so sicher! Es kann einfach nicht sein! Es stimmt einfach-
    Ich zucke zusammen, als Seth seine Hand neben mir in die Wand rammt.
    „Shit!“, stößt er aus und zieht sein Gesicht von meinem zurück. Mir entkommt der Atemzug, den ich ohne es zu bemerken angehalten hatte und ein Teil der Anspannung weicht aus meinen Muskeln.
    Seth hat den Kopf in den Nacken gelegt und die Augen geschlossen. Da ist es wieder. Dieses Mienenspiel, das sich einfach nicht entscheiden kann. Aber dieses Mal überwiegen Verwirrung und Frustration.
    „Warum?“, knurrt er und schlägt ein weiteres Mal zu. Und nochmal. Und noch einmal. Als er wieder ausholt, halte ich seinen Arm zurück. Er wehrt sich nicht.
    „Ich kapier es einfach nicht“, raunt er. „Was ist los mit mir?“
    „Das weißt du längst“, antworte ich so ruhig wie möglich. Meine Knie zittern noch ein wenig. Aber ich kann ihn jetzt nicht sich selbst überlassen.
    „Oh ja“, gibt er zurück. „Ich bin ein verdammtes Arschloch.“
    „Blödsinn“, gebe ich sanft zurück. Er lacht sein bösartiges, sarkastisches Lachen. Mit einem leisen Seufzen lege ich ihm meine Hände auf die Schultern. „Schau mich an, Seth. Bitte.“
    Für einen Moment glaube ich, dass er mich einfach ignoriert. Aber dann senkt er den Kopf. Als ich seinen zerknirschten Gesichtsausdruck sehe, muss ich schlucken.
    Ich muss das hier gerade biegen. Und das werde ich.
    „Du bist nicht schlechter als Tyler.“ Er reagiert nicht einmal darauf. Kein gutes Zeichen. „Warum denkst du das?“
    „Fragst du das gerade wirklich?“, gibt er nüchtern zurück. „Und ich dachte, du wüsstest, was in mir vorgeht.“
    Darauf fällt mir keine Antwort ein. Nein, mir fallen dutzende Antworten ein, aber ich habe Angst, dass er sie in den falschen Hals bekommt. Ich sehe ihm an, dass er am Boden ist. Unabsichtlich auf ihm herumzutrampeln ist sicher nicht die beste Devise.
    „Du hast Recht. Ich bin neidisch“, spricht er weiter, so leise, dass ich ihn kaum verstehe, fast so, als hätte er Angst es auszusprechen. „Er ist schlau, schreibt gute Noten, weiß, was er in seinem Leben will und niemand ist jemals wütend auf ihn. Er hat dich, die scheinbar kein anderes Lebensziel hat, als ihn glücklich zu machen, und wenn ich nicht wäre, dann hätte er wohl nen Haufen Freunde. Und ich stehe daneben und denke mir, was für ein verdammtes Glück er hat. Und manchmal wünsche ich mir, dass er alles verliert. Damit er weiß, wie ich mich fühle.“
    Auf seinem Gesicht breitet sich ein gequältes Lächeln aus. Er krümmt sich, fast, als würde er ihm Schmerzen bereiten, das alles auszusprechen.
    „Ich bin ein ätzender Mistkerl. Tyler ist immer da gewesen, wenn ich ihn brauche, egal was ich getan habe. Und trotzdem gönne ich ihm sein Glück nicht.“
    „Du bewunderst ihn“, stelle ich fest. Zwischen all seinen frustrierten Worten… Da ist mehr, als er zugibt. „Du wünschst dir, dass du so sein könntest wie er.“
    „Und weil er so viel besser ist als ich… Ich kann nicht anders, als ihn dafür zu hassen!“
    Sein letzter Satz ist beinahe ein Schrei. Sein ganzer Ärger, seine Scham, seine Frustration, alles entlädt sich in diesen Worten.
    Aber er hätte sich keinen schlechteren Zeitpunkt dafür aussuchen können.
    Ich höre einen dumpfen Knall hinter ihm, aber Seth ist zu groß um zu sehen, was da gefallen war. Während Seth seinen Kopf dreht, strecke ich mich und versuche einen Blick über seine Schulter zu werfen.
    Und dort, im Türrahmen, das Gesicht zu einer unlesbaren Maske verwandelt, steht Tyler. Ich sehe, wie sich Seth‘ Augen weiten. Ohne mich anzusehen nimmt er die Hände von der Wand und dreht sich um, ganz langsam, fast so als hätte er Angst, dass eine falsche Bewegung alles in die Luft jagen würde.
    Und dann geht mit einem Male alles ganz schnell. Als Seth den ersten Schritt in Richtung seines Bruders tut, stürmt Tyler vorwärts, die Hände zu Fäusten geballt. Bevor er auch nur daran denken kann, auszuweichen, landet Tylers Faust in Seth‘ Gesicht. Es reicht nicht, um ihn zu Boden zu schicken, aber Seth schwankt deutlich. Er presst seine Hand gegen seine linke Wange, dort, wo Tyler ihn getroffen hat.
    Für einen Moment bleibt alles still. Ich kann mich nicht bewegen. Mein Kopf schreit, dass ich eingreifen muss. Aber mein Körper presst sich an die Wand, als wolle er damit verschmelzen. Meine Knie zittern. Ich wage es nicht einmal zu blinzeln.
    Tyler steht einfach da, mitten im Raum, und schaut auf seinen Bruder herunter. In seinen Augen brennt die Wut. Seth schüttelt seinen Kopf, als würde das den Schmerz verschwinden lassen. Dann, ohne eine Vorwarnung, stürzte er sich auf Tyler.
    Die beiden gehen zu Boden. Seth hält seinen Bruder mit einem Arm fest, mit dem anderen verpasst er ihm einen Schlag ins Gesicht. Dann noch einen. Tyler windet sich unter ihm und mit einem heftigen Ruck schubst er Seth von sich herunter.
    Ich begreife nicht, was ich sehe. Es geht alles viel zu schnell. Ich weiß nicht, wer wen schlägt. Das Handgemenge verwandelt sich in einen Hagel aus Schlägen. Sie versuchen immer wieder, sich aufzurappeln, aber ständig wirft der eine den anderen zu Boden.
    Ich muss etwas tun. Ich kann nicht einfach zusehen.
    Wenn das so weitergeht, dann verletzen sie sich noch ernsthaft.
    Beweg dich, Ava. Los! Tu etwas. Irgendetwas!
    Als beide sich dann doch gegenüber stehen, heftig keuchend und deutlich lädiert, aber lange nicht bereit aufzuhören, bewegt mein Körper sich von alleine. Mein Kopf ist leer. Alles, an was ich denken kann ist, dass ich dazwischen gehen muss.
    Also tue ich genau das. Ich drücke den, der näher zu mir steht, zur Seite, viel heftiger als ich wollte, und stelle mich vor ihn. Doch gerade, als ich erkenne, dass es Tyler ist, der mir jetzt gegenüber steht, trifft mich seine Faust im Gesicht und der Schmerz explodiert in meinem Kopf.


    Ich bin noch nie geschlagen worden. Niemals im Gesicht, und niemals mit voller Wucht.
    Ich kippe nach hinten, schaffe es aber irgendwie, mich mit den Armen abzufangen. Blut rauscht in meinen Ohren. Vor meinen Augen tanzen Blitze in völliger Schwärze. Der Schmerz pocht dumpf in meiner Wange, die sich mit metallischem Geschmack füllt. Ich spüre meine Hand, die sich gegen mein Gesicht presst, ohne, dass ich mich daran erinnern konnte, sie da hin gelegt zu haben. Ein lautes, grelles Pfeifen bringt mich dazu, die Augen zusammenpressen.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit höre ich dumpfe Stimmen. Ich spüre Hände auf meinen Schultern, leichtes Schütteln das mich schwindelig macht, und zwinge mich dazu, die Augen zu öffnen. Die Schwärze zieht sich nur langsam zurück, Stück für Stück, bis ich vage ein Gesicht vor mir erkennen kann.
    „Ava, sag etwas!“
    Ich will, aber ich kann nicht. Als ich den Mund öffne, zuckt Schmerz durch meine Wange. Also begnüge ich mich mit einem Grunzen.
    „Shit“, höre ich die Stimme sagen.
    „Bist du vollkommen durchgedreht?“, fragt die andere, deutlich aufgebracht. Ich kann nicht einmal sagen, von wo genau sie kommt.
    „Es war keine Absicht!“, faucht die erste Stimme zurück. Tyler. Das muss Tyler sein.
    Ich blinzele wild. Langsam wird das Pfeifen leiser und das verschwommene Gesicht vor mir schärfer.
    „Shit“, raune ich, was Tylers Aufmerksamkeit wieder auf mich zieht.
    „Ava“, stößt er aus und schluckt heftig. „Alles okay?“
    „Du hast sie ins Gesicht geschlagen, natürlich ist nichts okay!“, höre ich Seth fauchen.
    „Es war ein Unfall!“
    „Haltet dich Klappe!“, zische ich dazwischen. Ihre Stimmen verstärken meine Kopfschmerzen und das kann ich gerade echt nicht gebrauchen. „Alle beide!“
    Ich zwinge mich dazu, ruhig zu atmen. Ein und aus. Ein und aus. Der Schmerz wird dumpfer. Langsam aber sicher fühle ich mich wieder halbwegs normal. Also normal für jemanden, der einen Schlag ins Gesicht abbekommen hat.
    Ich spüre Arme an meinem Rücken, die mich hochheben und auf das Sofa setzen. Rechts von mir hockt Seth und schaut mich ernst an, links von mir sitzt Tyler, der so gigantische Schuldgefühle hat, dass sie kurz davor stehen, Gestalt anzunehmen und ihn zu einem Haufen Brei zu schlagen.
    „Ich gehe etwas zum Kühlen holen“, stößt Seth aus und verschwindet aus meinem Sichtfeld.
    „Ava, es tut mir Leid“, raunt Tyler mir hektisch zu, sobald sein Bruder den Raum verlassen hat. „Ich wollte das nicht! Du warst mit einem Mal da und dann war es zu spät und-“
    „Tyler, Schnauze“, fahre ich ihn an, weil eine Welle Schmerz durch meinen gesamten Körper schwappt. Als ich seinen geschockten Gesichtsausdruck sehe, füge ich ein „Bitte“ hinzu, als würde das den Ärger dämpfen. Tyler versteckt sein Gesicht in seinen Händen und reibt sich über die Schläfen, bevor er sich wieder traut, mich anzusehen.
    „Es tut mir Leid“, wiederholt er sich.
    „Sollte es“, grummele ich.
    Fast so, als wäre es geplant, stürzt in diesem Augenblick Seth zurück ins Zimmer. Er reicht mir ein Handtuch, das, als ich es berühre, eiskalt ist. Ich presse den Kühlpack an meine Wange und sehe zu, wie Seth Tyler ein weiteres überreicht und das dritte dann selbst in sein Gesicht klatscht.
    „Ich bin verdammt wütend auf euch beide“, zische ich und ernte einen verwirrten Blick von Seth, der sich sofort in Unbehagen und etwas, das beinahe Angst gleichkommt, ändert, als ich meine Augen zu Schlitzen verenge und ihn anstarre.
    „Was ist in euch gefahren?“, maule ich weiter und ignoriere die Tatsache, dass jedes Wort weh tut, mehr oder weniger gekonnt. „Habt ihr sie noch alle?!“
    „Er hat angefangen!“ Als die Worte raus sind, kann ich Seth deutlich ansehen, dass ihm bewusst ist, dass dieser Kommentar wohl das mit Abstand schlechteste ist, was er hätte sagen können.
    „Ach, sind wir jetzt im Kindergarten oder was?“, herrsche ich ihn an und er schrumpft ein ganzes Stück in sich zusammen, als könnte er damit verschwinden. Dann wende ich mich Tyler zu, um ihm den Eindruck zu geben, ich gäbe ihm eine Chance sich zu verteidigen. Der schluckt, weicht meinen Blick aus, öffnet dann aber doch noch den Mund.
    „Er hat gesagt, dass er mich hasst“, stößt er tonlos aus. Seth schrumpft weiter. Es ist eindeutig, wie schlecht er sich fühlt.
    „Gottverdammt, er hat gelogen!“, gebe ich zurück. „Als ob Seth dich hassen würde!“
    „Aber er hat es selbst gesagt!“, feuert Tyler weiter, ohne seinen Bruder auch nur aus dem Augenwinkel anzusehen.
    „Er hat auch gesagt, dass er in mich verliebt ist und rate mal: Das war genauso eine Lüge!“
    Langsam aber sicher habe ich die Schnauze voll. Nennt mich egoistisch, aber nach all der Scheiße, die ich in den letzten Wochen erlebt habe, habe ich mir diese Tirade ja wohl verdient!
    „Wenn ihr miteinander reden würdet, statt euch gegenseitig die Visage einzuschlagen, dann würden wir vielleicht endlich mal weiterkommen!“, zische ich und drehe das Kühlpack auf die kältere Seite. Mit einem Stöhnen merke ich, wie die Kälte in meine Haut sickert und meine Wange taub macht. Ich deute auf die Sitzsäcke in der Ecke des Raumes und dann auf den Boden vor mir. „Also setzt euch gefälligst hin! Ich habe keine Lust mehr auf diesen Mist!“
    Die Zwillinge wechseln einen kurzen Blick, dann bewegen sich beide ohne Widerworte. Ich schließe für einen Moment die Augen und massiere mir die Schläfe.
    Okay. Ganz ruhig jetzt. Reiß dich zusammen. Du wirst jetzt Familienpsychologin spielen. Du hast zwar keine Ausbildung dazu und keine Ahnung, ob das, was du tust, funktioniert, aber hey, das wird schon werden. Alles ist besser als eine Prügelei.
    Als ich meine Augen wieder öffne, sitzen Tyler und Seth vor mir, versunken in den Sitzsäcken, mit Gesichtern wie bedröppelte Schulkinder, die gerade von ihrem Lehrer beim Schummeln erwischt worden sind.
    „Tyler. Fang an“, spreche ich meinen Freund an, der kurz zusammenzuckt.
    „Warum ich?“, murmelt er, merkt aber durch meinen giftigen Blick sofort, das Widerrede zwecklos ist. „Was soll ich denn sagen? Dass ich es scheiße finde, dass mein eigener Bruder sagt, er würde mich hassen?“
    „Keine Sorge, das weiß ich selbst. Hast das ja ziemlich deutlich gemacht“, grummelt Seth als Antwort. Tyler öffnet schon wieder den Mund, aber ich unterbreche ihn.
    „Sag ihm, was du mir gestern erzählt hast. Was du dir wünschst.“
    Einen Augenblick lang starrt er mich verwirrt an, dann scheint er zu begreifen. Tyler fährt sich durch die Haare und widerwillig, beinahe trotzig begegnet er dann meinem Blick.
    „Ich hab gesagt, dass ich mir wünsche-“
    „Sprich mit deinem Bruder, nicht mit mir“, unterbreche ich ihn und nicke in Seth‘ Richtung. Tyler will protestieren, aber als ich ihm nonverbal damit drohe, ihm mein Kühlpack gegen sein Gesicht zu klatschen- sehr, sehr hart gegen sein Gesicht zu klatschen- gibt er sich geschlagen.
    Endlich drehen sich die Zwillinge zueinander um. Widerwillig und mit giftigen Blicken, aber sie tun es, was ich einfach mal als Erfolg verbuche.
    Tyler holt tief Luft und seufzt deutlich gereizt, öffnet dann aber doch den Mund.
    „Ich habe gesagt, dass ich mir wünsche, dass du aus deinem blöden Schneckenhaus raus kommst und Freunde findest… Weil ich weiß, dass du kein schlechter Mensch bist, und- verdammt noch mal, du bist mein Bruder und ich will, dass du glücklich bist!“, stößt er ungehalten aus und wirkt fast schon wieder so, als wolle er die Prügelei fortsetzen, so sehr wie er seine Fäuste ballt.
    „Er hat sogar vorgeschlagen, dass ich mit dir zusammenkommen soll. Weil dir das vielleicht gut tut“, steuere ich bei, was mir einen halb geschockten, halb verärgerten Blick von Tyler einbringt. Mir ist schon klar, dass er das bewusst ausgelassen hat, um Seth nicht auf Ideen zu bringen, aber ich glaube, dass der wissen sollte, wie weit sein Bruder für ihn gehen würde.
    Und tatsächlich… Aus Seth‘ Gesicht weicht sämtliche Farbe. Sein Blick gleitet von mir zu Tyler und wieder zurück und er blinzelt, als hätten seine Augen einen Wackelkontakt.
    „Du hast was?“, fragt er vollkommen verdattert.
    „Wir haben uns darauf geeinigt, dass das eine beschissene Idee ist“, grummelt sein Bruder und versucht, seinem Blick zu entgehen. Ich zucke nur mit den Schultern und wende mich dann Seth zu.
    „Jetzt bist du dran. Erzähl ihm, was du mir erzählt hast.“
    Seth knetet seine Finger und starrt auf den Boden. Wir haben ihm ein heftiges schlechtes Gewissen verpasst. Gut so. Vielleicht bringt ihn das zur Vernunft.
    „Ich… Ich bin nicht in Ava verliebt.“
    Tyler schaut halb überrascht, halb erleichtert auf.
    „Bist du nicht?“
    „Nein.“
    „Und was war das vorhin dann?“
    Schweigen.
    Oh verdammt noch mal.
    „Ich habe ihm gesagt, dass er mich davon überzeugen soll, dass er in mich verknallt ist. Und er ist beim Versuch jämmerlich gescheitert“, informiere ich Tyler, der die Stirn runzelt, nach einem kurzen Kopfschütteln von meiner Seite aber nicht weiter nachfragt. Ich werde ihm das später erklären. Gut möglich, dass er wütend wird. Immerhin hätte ich beinahe seinen Bruder geküsst. Aber es war notwendig. Schätze ich.
    Okay. Vielleicht hätte es bessere Alternativen gegeben und wirklich gut fühle ich mich dabei auch nicht, aber mein Gehirn hat nur eine gewisse Denkkapazität und ich hatte einen langen Tag!
    „Komm schon, Seth.“
    „Okay, okay“, grunzt er und zieht die Schultern an. „Ich bin neidisch auf dich, okay?“
    „Neidisch?“, fragt Tyler eine Oktave höher als sonst.
    „Ja, verdammt! Neidisch! Du kannst tun, was du willst, und am Ende läuft alles gut! Du bist nie von einem Lehrer angeschnauzt worden, deine Noten sind gut obwohl wir oft schwänzen, Mum und Dad sind niemals wütend auf dich und selbst wenn ich dazwischenfunke wie der letzte Vollidiot schaffst du es irgendwie, eine Freundin zu finden!“, beginnt er seine Tirade, ist aber noch lange nicht fertig. „Und ich kann mir Mühe geben so viel ich will, ich baue doch noch Scheiße und ruiniere alles! Wir sind Zwillinge! Wir sollten nahezu identisch sein! Wie kommt es also, dass für mich einfach nichts klappt?!“
    Stille.
    Ich stoße einen kaum hörbaren Seufzer aus. Zumindest sind die Fronten geklärt. Alles, was ich jetzt tun muss, ist-
    „Und ich reite dich auch noch mit in die Scheiße rein.“ Überrascht drehe ich mich wieder Seth zu, der sich stöhnend die Haare rauft. Für einen Augenblick starrt er auf den Boden, dann reißt er sich zusammen und schaut Tyler in die Augen. „Egal, wie viel Blödsinn ich mache, du bist immer bei mir, obwohl ich dein Leben mit ruiniere. Und egal wie egoistisch ich bin und wie schwer ich es dir mache… Du verzeihst mir immer wieder. Und ich hasse es, dass du so viel besser bist als ich! Aber noch viel mehr hasse ich mich selbst, weil ich so ein Arsch bin, dass ich dir nichts gönnen kann!“
    Die Zwillinge schauen sich einen Moment einfach schweigend an. Dann ist es mit Seth‘ Mut vorbei und er vergräbt sein Gesicht in seinen Händen und dem Kühlpack. Tyler öffnet seinen Mund. Dann schließt er ihn wieder, und starrt mit glasigem Blick auf einen Punkt an der Wand. Nein, eigentlich schaut er durch die Wand hindurch, als würde er dahinter die Antwort auf alle Fragen finden. Zu blöd, dass Wolkenjesus ihm dieses Mal nicht helfen kann.
    Für eine Weile verfällt der ganze Raum in unangenehmes Schweigen. Ich schaue zwischen den Zwillingen hin und her, aber, seien wir ehrlich- gerade jetzt kann ich nicht wirklich etwas tun. Seth hat sich endlich alle seine Sorgen von der Seele geredet. Es kommt ganz auf ihn und Tyler an. Und das macht es etwas einfacher für mich. Weil ich genau weiß, dass ihr Band viel zu stark ist, um an sowas zu zerreißen.
    Irgendwann reißt sich Tyler von der Wand los und wirft mir einen Blick aus dem Augenwinkel zu, aber ich schüttele nur den Kopf und zucke mit den Schultern. Das hier müssen sie unter sich regeln.
    „Bei mir läuft auch nicht alles so, wie ich es will“, seufzt Tyler dann schließlich. Seth hört für den Moment damit auf, sich das Kühlpack quer durch sein Gesicht zu reiben. „Sonst hätte ich es irgendwie geschafft, Freunde für uns beide zu finden.“
    Seth hebt seinen Kopf, nur ein kleines Stückchen, gerade so, dass er Tyler ansehen kann.
    „Ich hätte nie zulassen dürfen, dass wir uns von allen anderen abkapseln. Ich hätte dich überreden sollen, mit ihnen klar zu kommen, aber das habe ich nicht getan“, fährt Tyler fort.
    „Es war meine Idee, ihnen aus dem Weg zu gehen“, entgegnet Seth.
    „Und ich habe zugestimmt. Obwohl ich wusste, dass es keine gute Idee war.“
    „Es ist trotzdem meine Schuld, dass ich alle verscheucht habe, die uns zu nahe gekommen sind!“
    „Aber ich war blöd genug zu glauben, dass wir niemand anderen brauchen. Ich tue immer so, als wüsste ich, was zu tun ist, aber eigentlich… Eigentlich habe ich keine Ahnung! Ich habe es nur immer schlimmer gemacht!“
    „Das ist doch überhaupt nicht wahr!“
    Seth springt beinahe aus seinem Sitzsack auf, sackt dann aber jäh zurück, weil die Schwerkraft auch noch ein Wörtchen mitzureden hat. Mit den Armen wedelnd versucht er seinen Fall zu bremsen, was ihn aber nur wie ein panisches Hühnchen aussehen lässt. Ich schäme mich nicht zugeben zu müssen, dass ich mein Grinsen nicht komplett unterdrücken kann.
    „Können wir uns darauf einigen, dass ihr beide Fehler gemacht habt?“, unterbreche ich die wilden Eigen-Schuldzuweisungen. Für einen Moment schauen mich die Zwillinge an und beide sehen fürchterlich müde, erschöpft und lädiert aus, dann wechseln sie einen Blick untereinander und seufzen beinahe synchron.
    „Du hasst mich also nicht?“, murmelt Tyler mit einem beinahe besorgten Blick in Seth‘ Richtung.
    „Natürlich nicht“, antwortet der deutlich beschämt. „Ich war einfach wütend. Wütend auf mich selbst und alles um mich herum.“
    Sie verfallen wieder in Schweigen. Ich rutsche vom Sofa herunter und hocke mich zwischen sie.
    „Na also“, raune ich und drehe das Kühlpack mit einem Zischen wieder um. „War das jetzt so schwer?“
    „Ja“, antwortet Tyler mit einem erschöpften Blick.
    „Definitiv“, pflichtet Seth bei und reibt sich über die Schläfen.
    Ich rolle mit den Augen, kämpfe mich etwas schwankend und halte meinen liebsten Zwillingen meine Hände entgegen.
    „Okay, okay, schon verstanden. Aber jetzt ist immerhin alles geregelt und wir haben uns alle wieder lieb, richtig? Gut. Dann bewegen wir unsere Hintern jetzt bitte nach unten. Ich habe Hunger und dieses blöden Kühlpack wird langsam aber sicher warm.“





    Benachrichtigungen gehen raus an:
    @Nivis
    @Jiang
    @Anneliese
    @Luxuria


    Die vierzehn Kapitel plus Epilog werden immer wahrscheinlicher. Kann sein, dass Kapitel 14 absolute Überlange bekommt, aber das ist ja nicht wichtig. :X

  • Hallo Cáithlyn!


    Zuerst einmal: ich finde deine Geschichte wirklich klasse und freue mich jedes Mal, wenn die Benachrichtigung zu einem neuen Kapitel kommt. ;)


    Was mir sehr gefällt, ist die Länge deiner Kapitel. Ich beneide dich wirklich, ich bekomme bei meinen Geschichten nie so viel Text zusammen. Du beschreibst das Geschehen sehr ausführlich, auch deine Charaktere kann ich mir sehr gut vorstellen und in die Hauptperson kann ich mich auch gut hineinfühlen. Dein Schreibstil ist auch flüssig, man kommt gut mit, es gibt auch keine Gedankensprünge innerhalb des Textes.


    Im ersten Satz des dritten Absatzes habe ich einen kleinen Rechtschreibfehler gefunden, der stört aber überhaupt nicht ;) Ich freue mich schon auf dein nächstes Kapitel, mach weiter so! :)


    Bis zum nächsten Kapitel!

  • Tyler Route



    Chapter 14: Open Heart, Missing Mind



    „Krass. Man sieht es kaum. Dabei sah das echt übel aus.“
    „Es war ja auch übel. Nie im Leben hast du davon kein blaues Auge bekommen. Wie viel Make-Up musstest du drüber packen?“
    Ich beuge mich so weit es nur geht zurück, aber langsam aber sicher zieht die Schwerkraft an mir. Die Gesichter der Zwillinge schweben so nah vor meinem, dass ich einzelne Poren erkennen kann und wenn ich ganz ehrlich bin stehe ich nicht unbedingt darauf, schon am frühen Morgen so genau unter die Lupe genommen zu werden.
    „Habt ihr’s jetzt?“, murre ich und weiche einen Schritt zurück um zumindest ein bisschen persönlichen Freiraum zu haben. „Zwei Stunden im Bad und eine ganze Tube Abdeckcreme. Plus die sündhaft teure Luxusmarke von meiner Mum. Noch hat sie es nicht bemerkt. Noch.“
    Mit etwas Genugtuung beobachte ich, wie Tyler und Seth schuldbewusst ihr Gesicht verziehen und sich alle Mühe geben, etwas zu finden, was interessanter als mein nicht vorhandenes blaues Auge ist. Da war uns aber gerade am Fuß des Mount School befinden, es tiefster Winter ist und somit alles um uns herum komplett tot, bleibt diese Suche ergebnislos.
    Natürlich stand ich keine zwei Stunden im Badezimmer und habe gekonnt Abdeckcreme aufgetragen, bis mein blaues Auge kaschiert war.
    Oh nein. Ich stand zwei Stunden im Badezimmer und habe alles in mein Gesicht geklatscht, was ich finden konnte, in der verzweifelten Hoffnung, den dunkelblauen Schimmer loszuwerden, nur um am Ende ziemliche Schmerzen und verdammt irritierte Haut zu haben, die sehr nach ansteckender Krankheit aussah. Zwei Stunden, nach denen Aphrodite gähnend das Badezimmer betrat, mich für eine halbe Minute stumm ansah und dann scheinbar so viel Mitleid mit mir hatte, dass sie nicht einmal lachen konnte, was die Situation für mich nur noch beschämender machte.
    „Du weißt schon, dass du mich einfach darum bitten könntest, das blaue Auge verschwinden zu lassen, oder? Wofür sammelst du eigentlich die Punkte?“
    Jetzt ist mein blaues Auge zwar verschwunden, trotzdem leide ich unter akutem Schlafmangel, weil mir in der Nacht noch immer der Kopf gedröhnt hatte und ich, wie bereits erwähnt, zwei verdammte Stunden mit Abdeckcreme zugebracht habe. Ja. Ja, das erwähne ich jetzt auch noch fünfzehn weitere Male! Ach, euch hängt das zum Hals raus? Was für ein Zufall, da haben wir etwas gemeinsam!


    Zumindest sehen die Zwillinge auch etwas lädiert aus. Wir hatten es gestern gerade noch so geschafft, mich aus dem Haus zu schmuggeln, bevor irgendjemand im Preston Haushalt vom Kollateralschaden Wind bekam, weil wir uns alle einig waren, dass Leah ihre Söhne erwürgen würde, wenn sie herausfand, was passiert war. Ihre eigenen Blessuren konnten sie aber schlecht den ganzen Tag verstecken, deswegen teilte Tyler mir am Abend in einer knappen SMS mit, dass das Ende nah sei und er fürs erste nicht erreichbar wäre. Den dunklen Schatten unter ihren Augen und beinahe verängstigten Blicken auf ihren Gesichtern nach zu urteilen waren sie Armageddon gerade noch so entwischt und ich war nett genug, sie nicht darauf anzusprechen. Nein, eigentlich wollte ich die Details gar nicht wissen. Mein Bild von Leah war sowieso schon genug angeknackst, ich wollte es nicht komplett ruinieren.
    „Na los, kommt schon“, stoße ich gepresst während einem langgezogenen Gähnen aus. „Mir ist kalt.“


    „Ich glaube immer noch nicht, dass das eine gute Idee ist“, grummelt Seth mit düsterem Blick auf die antike Stereoanlage in der Ecke des Raumes. Wir haben uns wieder im Oberstufen-Raum verkrochen, in der Hoffnung, dort etwas Privatsphäre zu haben. Und, siehe und staune, die haben wir tatsächlich. Außer uns käme nämlich niemand auf die Idee, im tiefsten Winter früher das Haus zu verlassen als unbedingt nötig.
    „Du hast dich doch gut mit ihnen verstanden“, wirft Tyler ein und tauscht einen resignierenden Blick mit mir. Seth hatte gestern zwar- quasi -versprochen, sich zu ändern, aber nachdem Tyler seinen Bruder spät abends in unseren Plan eingeweiht hatte, waren diese guten Vorsätze scheinbar schnell vergessen. Oder eher gewaltsam ermordet worden. Wie man es nimmt.
    „Das war, bevor ihr ihnen unsere gesamte Soap-Opera erzählt habt!“, knurrt Seth zurück. Er massiert sich die Finger und beißt sich auf die Innenseite seiner Wange, die Augenbrauen verärgert zusammengezogen. Ich glaube aber nicht, dass er wirklich wütend auf uns ist. Eher auf sich selbst. „Als ob die noch etwas mit mir zu tun haben wollen. Sie helfen doch nur, weil ihr sie drum gebeten habt.“
    „Jetzt sei nicht so pessimistisch“, weise ich ihn an und trete leicht gegen seinen Stuhl, weil ich weiß Gott zu müde- ja okay, zu faul auch- bin, mich aus meiner sitzenden „Wasser in der Kurve“-Haltung aufzurichten. Seth wirft mir einen halb gequälten, halb genervten Blick zu, den ich mit über die Jahre antrainierter Gleichgültigkeit kontere. „Die drei sind echt in Ordnung. Außerdem haben nicht einmal die Serienmörder-Gerüchte sie abgeschreckt, was kann da ein wenig „Gute Zeiten, Schlechte Zeiten“-Drama schon groß anrichten? Versuch doch zumindest-“
    Mein Handy auf dem Tisch links von mir vibriert und mit ihm gleich der ganze Tisch. Seth und Tyler schrecken beide auf. Himmelherrgott, die beiden leiden wohl unter PTSD von Leahs Standpauke gestern. Wie kommt es wohl, dass ich sie kein Stück bemittleide?
    Als ich mein Handy entsperre, sehe ich, dass ich eine Nachricht bekommen habe. Meine Augen fliegen über den kurzen Text, der mich etwas zum grinsen bringt.
    „Sie sind da. Sie wollen wissen, ob wir Operation ‚Bluthund zähmen‘ starten können“, informiere ich die Zwillinge und sehe, wie Seth seinen Kopf auf die Tischplatte legt. Mit etwas zu viel Schwung und einem lauten Stöhnen, wohlgemerkt.
    „Einen bescheuerteren Namen hättet ihr euch wohl nicht ausdenken können, oder?“, grunzt er kaum hörbar, aber Tyler und ich ignorieren ihn.
    „Schreib ihnen, dass wir hier sind“, weißt der mich an, aber ich bin ihm schon einen Schritt voraus. Nachdem ich die Nachricht gesendet habe, lehnen wir uns alle mehr oder weniger entspannt zurück und löchern die Tür mit erwartungsvollen, angespannten und borderline panischen Blicken. Welche von wem sind, könnt ihr euch wohl selbst denken.


    Fünf Minuten später sind unsere Komplizen dann endlich da. Was wir bemerken, noch bevor sie die Tür öffnen, weil Charlie und Lisa viel lauter als gewollt darüber diskutieren, wie sie möglichst überrascht wirken können und Irene sich die größte Mühe gibt, ihnen mit panischen „Shhh!“-Lauten zu signalisieren, dass sie ein klitzekleines Bisschen zu laut sind. Aber auch wirklich nur minimal. Tyler und ich tauschen einen Blick und unterdrücktes Lachen, während Seth sich nicht so recht entscheiden kann, ob er mit dem Tisch verschmelzen oder sich doch lieber kerzengerade aufrichten soll. Zumindest sein Gesicht ist sich sicher, dass Kalkweiß aktuell die angebrachteste Farbe ist.
    „Okay, auf drei. Eins, zwei-“, höre ich Lisas gedämpfte Stimme durch die Tür dringen.
    „Warte, bei drei oder ‚drei‘ und dann-“, zischte Charlie zurück, aber bevor sie ihre Frage beenden kann, stößt Lisa die Tür –auf drei, wohlgemerkt- auf und steht seltsam verkrampft im Rahmen. Für eine kurze Weile bleiben wir alle komplett still und starren uns gegenseitig an. Irene wirkt deutlich unbehaglich und nervös und Charlie ist mitten in ihrer Bewegung erstarrt, während man Lisa förmlich ansieht, wie sie verzweifelt versucht, sich an ihren auswendig gelernten Text zu erinnern.
    „O-Oh!“, stößt sie dann eine Oktave zu hoch und viel zu lang gezogen aus. „Ich wusste ja gar nicht, dass jemand hier ist!“
    Himmelherrgott. Ich hoffe inständig, dass sie niemals auf die Idee kommt, Schauspielerin zu werden. Das liegt ihr wirklich nicht. Charlie scheint mir da zuzustimmen, weil sie sich mit einem resignierenden Stöhnen die Hände vors Gesicht schlägt. Um dann zu merken, dass sie vollkommen aus der Rolle fällt und ein viel zu lautes „Ups“ ausstößt. Irenes Kopf rattert ganz deutlich bei dem verzweifelten Versuch, die Situation noch irgendwie zu retten, aber nicht einmal sie kann ein Wunder bewirken, was ihr wohl auch langsam aber sicher bewusst wird.
    „Ist schon okay“, stößt Tyler gepresst aus, während sein Kopf knallrot wird, weil er angestrengt versucht, sein Lachen zu unterdrücken, als ginge es um Leben und Tod. Ich für meinen Teil habe leider nicht so viel Selbstbeherrschung und breche in lautes Gelächter aus, noch während Tyler meinen Freundinnen mitteilt: „Seth weiß Bescheid.“


    „Und das hättest du uns nicht früher sagen können? Wofür hast du dein verdammtes Handy eigentlich?“, faucht mich Lisa vom Stuhl neben mir an und ballt ihre Hände zu kleinen Fäusten aus kondensierter Wut und Scham, die auf meinen Oberarm herabregnen, aber leider ziemlich wenig Effekt haben. Für einen Moment frage ich mich, ob das einfach daran liegt, dass Lisa so gefährlich wie ein neugeborenes Kätzchen ist, oder mein Körper wieder einen auf taub macht. Bevor ich aber weiter darüber nachdenken kann, schnippt Charlie mir gegen den Hinterkopf, was schon etwas mehr weh tut.
    „Tu zumindest so, als würde es dir leid tun“, raunt sie mir zu. Mein liebster rothaariger Lockenkopf scheint sich schneller damit abgefunden zu haben, dass sie sich vor uns blamiert hat, wirft aber einen leicht besorgten Blick in Lisas Richtung, die mit ihrem Kopf in der Farbe von Tomatenmark ziemlich nah an einem Herzinfarkt zu sein scheint.
    „Es tut mir ja auch leid“, stoße ich betont ernst aus und werfe Tyler einen strengen Blick zu, weil der wieder in lautloses Gekicher verfällt und das verdammt ansteckend ist. „Wirklich! Wir hatten nur andere Dinge im Kopf.“
    „Schon klar“, grummelt Lisa, stellt aber zumindest den Fausthagel ein.
    Wir verfallen in unangenehmes Schweigen. Ich fange Irenes Blick auf, die fragend zwischen mir und Seth hin und her sieht. Mit einem knappen Nicken und einem schwachen Lächeln versuche ich ihr mitzuteilen, dass sich alles geklärt hat. Sie scheint zu verstehen und richtet sich etwas auf.
    „Also…“, stößt Irene dann aus und setzt ihr freundlichstes Heiligenlächeln für Seth auf, der sein Gesicht halb in seinen Armen, die auf der Tischplatte liegen, versteckt. „Wenn du schon bescheid weißt, dann weißt du ja, worum es hier geht, richtig?“
    Ich höre undeutliches Murmeln aus seiner Richtung und dann ein kurzes, schmerzerfülltes Zischen, als Tyler ihm unter der Tischplatte gegen das Schienbein tritt. Was ich nur deswegen erraten habe, weil die beiden mal wieder ihre Zwillingsnummer abziehen und sich Romane nur über Blicke erzählen. Am Ende des stummen Wortduells ist Seth scheinbar der Verlierer, denn er richtet sich deutlich wiederwillig auf und wendet sich meinen Freundinnen zu.
    „Ich weiß, warum ihr hier seid, ja“, nuschelt er vor sich hin, die Schultern angezogen als befürchtete er, dass ihm jemand den Kopf vom Hals abreißt. Vielleicht hätten wir dieses Treffen in Aphrodites Pheromon-Café abhalten sollen. Da hätte sicher besser funktioniert. „Tyler und Ava haben euch darum gebeten mir zu helfen, Freunde zu finden. Oder so.“
    „Also eigentlich haben sie uns darum gebeten, dass wir uns mit dir anfreunden, aber wer achtet schon auf Details“, gibt Charlie mit einem Schulterzucken zurück. „Alsooo… Wie genau machen wir das jetzt?“
    „Was meinst du?“, frage ich sie mit hochgezogenen Augenbrauen.
    „Holen wir das Konfetti raus, schmeißen eine Party und tanzen den Freundschaftshula oder wie genau läuft das ab?“ Seth grunzt belustigt, was ich einfach mal als ein gutes Zeichen sehe.
    „Vielleicht sollten wir einfach ein wenig miteinander reden?“, grätscht Irene rein. Stille. Das funktioniert ja ganz wunderbar.
    „Was hast du so für Hobbies, Seth?“, wendet sich Lisa an den Zwilling, der sie erst mit leichter Überraschung mustert und dann gefährlich düster auf die Tischplatte starrt. Als er nicht antwortet, beugt sich Lisa zu mir herüber und flüstert mir ins Ohr.
    „Hab ich was Falsches gefragt?“, murmelt sie so leise wie möglich, behält Seth aber die ganze Zeit über im Auge.
    „Er denkt nur nach“, antworte ich mit einem Schulterzucken. Ich bin seine düsteren Blicke mittlerweile einfach gewöhnt, deswegen machen sie mir kaum mehr etwas aus. Aber für meine Freundinnen könnte sowas die falschen Signale senden.
    „Bist du dir sicher, dass er nicht versucht, Löcher in den Tisch zu brennen?“
    „Nein. Also ja. So sicher, wie man sich halt sein kann.“
    „Na dann“, raunt Lisa zurück, sieht aber nicht hundertprozentig überzeugt aus. Ist es zu spät, die Pheromone zu besorgen? Vermutlich schon. Verdammt.
    „Ich schaue gerne Filme, schätze ich“, stößt Seth dann aus. Ich sehe genau, dass ich nicht die einzige bin, die nicht mehr mit einer Antwort gerechnet hat. Als er unsere Blicke auf sich spürt schrumpft Seth ein wenig zusammen- ha, das ich das nochmal erlebe. Der Bluthund ist tatsächlich eingeschüchtert- und rutscht unbehaglich auf seinem Stuhl herum.
    „Filme?“, stößt Irene ein wenig überrascht aus.
    „Filme“, bestätigt Seth. „Ist das so seltsam?“
    „Ich hatte eher mit Kickboxen, Karate oder illegalem Untergrund-Handel gerechnet“, spricht Charlie das aus, was Irene und Lisa wohl gerade auch denken. Und, okay, ich gebe es zu, ich ja auch. Was mich nicht davon abhält, Charlie einen mahnenden Blick zuzuwerfen, der sie absolut nicht zu interessieren scheint.
    „Untergrund-Handel?“, widerholt Seth mit deutlicher Verwirrung in seinem Gesicht. Als hätte ihm gerade jemand gesagt, dass hinter ihm ein Einhorn steht. Oder auch fünf.
    „Ach, sowas wie gefälschte Sammelkarten oder Pässe. Oder Diebesgut. Oder Drogen. Oder-“, zählt Charlie nonchalant auf, kommt dann aber nicht viel weiter, weil Lisa ihr mit einem eindeutigen Blick die Hand über den Mund legt und nur noch unverständliches Genuschel in den Raum dringt.
    „Okay. Das vergessen wir jetzt einfach mal“, murmelt Lisa.
    „Mich würde ja interessieren, was schlimmer als Drogen sein könnte“, gibt Tyler mit einem leicht amüsierten Blick zurück.
    „Menschenhandel?“, antworte ich, ohne groß nachzudenken.
    „Ich sagte, dass wir das jetzt vergessen“, wiederholt sich Lisa, dieses Mal deutlich lauter und strenger. Dann, nachdem Tyler und ich uns mühevoll das Grinsen vom Gesicht verscheucht haben und zumindest so tun, als wären wir total seriös und bei der Sache, räuspert sie sich und fährt fort: „Was für Filme magst du so? Diesen Sci-Fi-Film fandest du ja ganz gut, oder?“
    „Eh, ja“, gibt Seth zurück und verfällt wieder in nachdenkliches Löcher-in-den-Tisch-brennen. Dann hellt sich sein Gesicht etwas auf. „Eigentlich habe ich kein Lieblingsgenre. Manche Filme mag ich und manche nicht.“
    „Du musst doch irgendwelche Kriterien haben“, antwortet Charlie, die Lisas Hand von ihrem Mund gezogen hat, als die gerade abgelenkt war.
    „Eh… Eine gute Story, schätze ich? Interessante Charaktere?“ Seth wirft mir und Tyler leicht hilflose Blicke zu, aber ehrlich gesagt macht er sich weit besser, als ich angenommen hatte. Und ab und an muss man jemanden einfach ins kalte Wasser schubsen. Und innigst beten, dass er dabei nicht ertrinkt.


    Eine Weile lang verfolgte ich das Gespräch. Ab und an wurde es etwas holprig und wir verfielen in Schweigen, aber irgendwie schafften Lisa, Irene und Charlie- die sich nicht mal Mühe gab, sich in irgendeiner Art und Weise zurückzuhalten, aber hey, kälter konnte das Wasser nicht werden. Wenn Seth das übersteht, dann schockt ihn nichts mehr- die Konversation am Laufen zu halten. Wir redeten über Filme und Serien, über Bücher und über Hibiki, von dem Seth zugab, dass er ihn doch ganz gut leiden kann, und irgendwann… Irgendwann verlor ich dann einfach den Faden.


    Als mich etwas am Arm berührt, schrecke ich hoch. Neben mir stehen Irene und Charlie und sehen mich mit merkwürdigen Blicken an.
    „Erde an Ava?“, spricht Charlie mich an und drückt mir ihren Zeigefinger in die Wange, was ich mit einem resignierenden Blick einfach akzeptiere.
    „Was ist?“, gebe ich zurück und richte mich wieder auf.
    „Es spricht!“, stößt der rothaarige Lockenkopf aus und wirft die Hände in die Höhe. „Gelobet sei der Herr!“
    Verwirrt sehe ich zu Irene herüber und drehe mich dann so weit, dass ich Tyler, Seth und Lisa sehen kann, die mich mit einem Blick mustern, den ich nicht so ganz deuten kann.
    „Du hast nicht geantwortet“, erklärt Irene mir leise, ihre Hand auf meinem Unterarm, als wäre das die einzige Möglichkeit, meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. „Wir haben dich mehrmals angesprochen, aber du hast nur auf den Tisch gestarrt.“
    „Wir dachten schon, du hättest das Zeitliche gesegnet“, witzelte Charlie mit einem breiten Grinsen. Ich hoffe einfach, dass ihnen niemals klar wird, wie recht sie damit doch haben. „Du hast nicht mal die Schulglocken gehört.“
    „Schulglocken?“, wiederhole ich selten intelligent und schaue zu den alten, verstaubten Lautsprechern über der Tür zum Flur herüber. Ist es wirklich schon so spät? Wir sind doch noch gar nicht so lange hier.
    Oder?
    Die Stirn gerunzelt versuche ich mich an das Gespräch zu erinnern. Aber ich kann nicht. Ab einem bestimmten Punkt ist einfach alles… weg. Von Minute zu Minute war es mir schwerer gefallen, das Gespräch zu verfolgen. Ich hatte mich mit einem Mal müde gefühlt. Nein, nicht wirklich müde. Eher erschöpft. Als könnte mein Kopf nicht mehr mithalten, weswegen er sich dazu entschied, einfach komplett abzuschalten. Mein Blick war zu einem nicht identifizierbaren Fleck auf der Tischplatte gewandert, aber noch während ich mich gefragt hatte, ob ich wirklich wissen will, was das ist, war meine Sicht so weit verschwommen, dass ich nur noch Schemen erkennen konnte. Alle Stimmen um mich herum wurden zu Hintergrundstatik. Ich kann nicht einmal mehr wirklich sagen, über was ich nachgedacht hatte.
    Bin ich eingeschlafen? Nein, ich glaube nicht.
    Als ich meine Finger knete, spüre ich ein Kribbeln in ihren Spitzen. Und die Kälte, die in sie hineinkriecht. Die Haare auf meinen Armen stellen sich unter meinem Pullover auf und mit einem Mal habe ich Probleme zu schlucken.
    Erst, als ich Tylers Stimme direkt neben mir höre, schrecke ich etwas auf.
    „Hey, ist alles klar?“, fragt er mich und legt seine Hand auf die Stelle direkt unter meinem Nacken. Ein warmer Schauer fährt durch meine Wirbelsäule und ich zwinge mich dazu, mich nur auf diese Wärme zu konzentrieren.
    Der Raum hier ist einfach nur kalt. Ich mache mir zu viele Gedanken.
    „Ja, alles klar“, gebe ich zurück und setze das entspannteste Lächeln auf, was ich in meinem Repertoire finden kann. „Ich hab nur nicht gut geschlafen, das ist alles.“


    Die nächsten Tage liefen immer und immer wieder gleich ab. Wir trafen uns an den Schultagen in der Pause und nach und nach taute Seth etwas auf. Es fiel ihm immer leichter, sich mit meinen Freundinnen zu unterhalten. Er schwamm selbst in dieser Arktis aus schlechtem Timing und noch schlechterem, unpassendem Humor oben auf und war nicht untergangen, was dafür sorgte, dass der riesige Stein aus Sorgen Stückchen für Stückchen abfiel und im Nichts verschwand. Das Wochenende verbrachte ich dann aber alleine mit meinen liebsten Zwillingen, denn Irene musste zu einer Familienfeier, Charlie hatte ein Baseballspiel und Lisa musste Babysitter für ihre Nachbarskinder spielen. Zum ersten Mal seit langem hätte ich entspannt und ruhig sein müssen.
    Aber ich war es nicht.
    Mir fehlte mit jedem Tag ein bisschen mehr die Energie. Ich erwischte Aphrodite dabei, wie sie mich länger als sonst berührte, als wollte sie mich einem göttlichen Gesundheits-Scan unterziehen, denn dummerweise war ich verdammt schlecht darin, dieses ungute Gefühl in meiner Magengegend zu verheimlichen. Und auch, als ich mit Tyler und Seth zusammen einen Horrorfilm ansah, eingewickelt in eine dicke Decke, weil mir einfach nicht warm werden wollte, verpasste ich die Hälfte aller grotesken Todesszenen durch Zombie-Hillbillies, einfach, weil meine Gedanken schon wieder wegdrifteten.
    Tyler, Seth, Irene, Charlie und Lisa, selbst meine Lehrer und einige andere Klassenkameraden bemerkten es. Sie sprachen mich darauf an, aber ich würgte das Gespräch ab und lenkte zu einem anderen Thema. Ich wollte nicht darüber sprechen. Es war eine seltsame Mischung aus Leugnen und Angst. Leugnen, das etwas nicht stimmte, schon wieder etwas nicht richtig war mit meinem Körper, so kurz vor Ende dieser blöden Wette, ein Problem, das ich gerade nicht brauchen konnte und von dem ich mir einredete, dass es verschwinden würde, wenn ich es einfach ignorierte. Und Angst davor, dass ich die Kontrolle verlor. Diese Momente, in denen ich Black-Outs hatte, keine Erinnerungen an das, was um mich herum geschah, als würde ich existieren, aber doch wieder nicht…


    „Ava?“
    Ich fahre hoch.
    „Ja?“, frage ich fast wie automatisch. Wir sitzen in der Ecke im Fachraumtrakt, wo wir vor knapp einer Woche die Pläne zu Mission „Bluthund zähmen“ geschmiedet hatten. Tyler sitzt neben mir und ich habe meinen Körper gegen seinen gelehnt. Sein Arm liegt um meine Schulter, während meine eigenen meine Knie umarmen, die ich bis an meine Brust angezogen habe. Seth, Charlie und Lisa sind in ein Gespräch vertieft, was ich erst bemerke, als ich mich auf die Geräusche um mich herum konzentriere. Scheinbar hat Tyler leise gesprochen, denn außer Irene schenkt uns niemand Beachtung.
    „Ist wirklich alles okay?“, fragt mein Freund und die Sorge steht ihm fettgedruckt und in Times New Roman auf dem Gesicht geschrieben. Aber wie immer zwinge ich mich zu einem Lächeln und nicke.
    Ich mag es nicht, ihn so anzulügen. Ich weiß, dass nichts okay ist. Aber Aphrodite spricht es nicht an und ich habe Angst, es selbst zu tun. Langsam aber sicher habe ich das Gefühl, dass sie eine Ahnung hat, was mit mir passiert. Und wenn ich ihre Blicke richtig deute, weiß ich nicht, ob ich wissen will, was sie weiß.
    „Das ist doch nicht normal“, raunt Tyler mir zu und ich stoße einen lautlosen Seufzer aus. Nein. Nein, das ist es nicht.
    „Wann hat das angefangen?“, schaltet sich Irene jetzt auch noch ein, behält aber den Rest der Gruppe im Blick, um sicherzustellen, dass sie von unserem Gespräch nichts mitbekommen. Wir wollen sie nicht ausschließen. Aber…
    „Vor einer Woche. Letzten Donnerstag“, antwortet Tyler für mich und ich richte mich etwas auf.
    „Vielleicht werde ich einfach nur krank“, gebe ich zurück und zucke beiläufig mit den Schultern. Aber etwas an seinem Blick sagt mir, dass mein Freund mir kein Wort glaubt.
    „Vielleicht liegt es an…“, beginnt er, aber er muss nicht einmal zu Ende sprechen damit ich weiß, worauf er hinaus will.
    „Unsinn“, gebe ich zurück und grinse albern. „So stark bist du nun auch nicht.“
    „Was meinst du?“, fragt Irene und in ihren Augen sehe ich, dass sie mindestens genauso besorgt ist wie Tyler auch. Er und ich tauschen einen kurzen Blick, dann zuckt er resignierend mit den Schultern.
    „Wir hatten einen kleinen… Unfall“, stoße ich noch leiser aus als vorher, damit wirklich nur Irene es mitbekommt. „Tyler hat mich nicht gesehen, und… Naja.“
    „Ich habe sie ins Gesicht geschlagen“, gibt er zu, wagt es aber nicht, Irene in die Augen zu sehen, die sich für einen Moment bloß weiten. Er ist immer noch nicht darüber hinweg und wenn ich ehrlich bin, weiß ich nicht, ob er sich jemals nicht schlecht fühlen wird, wenn wir auf das Thema zu sprechen kommen. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass er wirklich denkt, dass dieser Schlag etwas mit meinen Gedächtnislücken zu tun hat. Ich sehe ihm an, dass er schon länger zu diesem Schluss gekommen ist.
    „Warst du schon beim Arzt?“, stößt Irene aus, aber ich schüttele nur knapp mit dem Kopf.
    „Daran liegt es sicher nicht.“
    „Und wenn doch?“, raunt Tyler und der Griff um meine Schulter wird etwas fester. „Hör zu, es wird nicht besser, Ava, nur schlimmer.“
    „Das bildest du dir nur ein“, nuschele ich. Nicht, dass ich wirklich ein Gefühl dafür hätte, wie lange ich weg vom Fenster bin.
    Ich muss mich einfach nur zusammenreißen. Es sind sowieso nur noch 6 Tage. Tylers Herz leuchtet von Tag zu Tag etwas stärker. Es ist nicht mehr viel. Bald ist es vorbei.
    Ja.
    Bald ist das hier alles vorbei.


    „Wie geht es dir?“
    Etwas überrascht schaue ich vom Topf auf, in dem munter safrangelbe Currysoße vor sich hin blubbert. Aphrodite sitzt jetzt schon eine ganze Weile am Küchentisch, hat bisher aber ihre Nase in einem Mode-Magazin vergraben, auch wenn ich ganz genau weiß, dass sie mich permanent beobachtet wie einen besorgniserregenden Welteruntergangs-Virus unter einem Mikroskop.
    „Ganz gut“, stoße ich mehr aus Gewohnheit aus als alles andere. Warum fragt sie mich überhaupt? Ist ja nicht so, als könnte sie meine Gedanken lesen oder so.
    Als ich mich wieder dem Abendessen zuwende, höre ich das Klacken ihrer Fingernägel auf ihrem magischen Spiegel. In der letzten Woche ist es zum Ritual geworden, dass wir vor dem Essen den Fortschritt überprüfen.
    „Und?“, frage ich, kenne die Antwort aber längst.
    „Noch nicht ganz“, raunt sie geistesabwesend. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie das blaue Licht seltsame Schatten auf ihr Gesicht wirft. Wie ein Geist. Ein Phantom, das nicht wirklich existiert.
    Natürlich leuchtet Tylers Herz noch nicht komplett. Wenn es das täte, dann wäre ich nicht mehr hier und würde Dienstmädchen für Aphrodite spielen.


    Sie starrt auch dann noch das Hologramm an, als ich die Teller auf den Tisch stelle und gute vier Esslöffel Salz über ihre Portion kippe. Mit einem seltsam durchdringenden, aber weit entfernten Blick schaufelt sie das Curry in ihren Mund. Ich geselle mich zu ihr, aber in den letzten Tagen habe ich kaum noch Hunger. Ich weiß nicht, ob das ein weiteres Symptom meiner mysteriösen Krankheit ist- kann man es wirklich Krankheit nennen, wenn mein Körper de facto sowieso schon tot ist?-, oder einfach nur eine Nebenwirkungen des Stresses und der Sorgen, die sich in mir breit machen. In den letzten Wochen hat sich die Sonne kaum gezeigt und der Himmel war ständig bewölkt, was auch permanente Semi-Dunkelheit bedeutete. Die Tage erschienen mir immer kürzer zu werden, was mir bei der drohenden Deadline nicht unbedingt ein besseres Gefühl verschaffte.
    „Hör mal, Ava…“, setzt Aphrodite an, starrte aber noch immer auf die blauen Lichter vor ihrem Gesicht.
    Ich höre. Und warte. Und warte länger, aber das nächste, was meine Adoptivgöttin sagt, ist: „Schon okay. Es ist nichts.“


    Ja. Es ist nichts. Wenn ich mich nur konzentriere, dann werde ich auch nicht abdriften. Sieben Tage noch, Ava. Nein, sechs, heute ist vorbei. Durchhalten. Zieh es durch.
    Als ich in meine Schlafklamotten schlüpfe und mir die Decke über den Kopf ziehe, wiederhole ich diese Worte wie ein Mantra.


    „Wach auf!“
    Ich schrecke hoch.
    Für einen Moment habe ich das Gefühl, als wäre ich blind. Ich sehe nur Dunkelheit vor meinen Augen. Dann, ganz langsam, bilden sich Schemen in dieser Dunkelheit, aber ich verstehe noch nicht, was genau diese Schemen überhaupt sind.
    Mein Herz pocht wie verrückt. Ich spüre Hände an meinen Armen, die mich schütteln, höre Stimmen, die durcheinander reden. Als direkt neben mir plötzlich ein Licht auftaucht, kneife ich meine Augen wieder zu, weil die Helligkeit mir auf der Netzhaut brennt.
    „Tyler, hör auf!“, höre ich Aphrodite wütend schnauben und kurz darauf entfernen sich die Hände von meinen Armen und das Schütteln hört auf. Meine Ohren klingeln und mir ist etwas schlecht. Aber das kommt wohl nur vom Schwindel, der Lichtblitze auf meinen Lidern auftauchen lässt. „Sie ist wach! Wenn du so weiter machst, dann schläft sie das nächste Mal vielleicht für immer!“
    „Ava?“, höre ich Tyler sagen. Ich zwinge mich dazu, meine Augen wieder zu öffnen. Für einen kurzen Moment blendet mich das Licht meiner Nachttischlampe. Dann endlich erkenne ich die Konturen meines Schlafzimmers. Und Tyler, Aphrodite und Seth.
    „Was ist denn los?“, frage ich noch immer etwas benommen und mir entkommt gleich darauf ein Gähnen.
    „Siehst du, sie ist wach“, raunt Aphrodite, aber etwas an ihrem Tonfall klingt so, als würde sie sich nur selbst davon überzeugen wollen.
    „Natürlich bin ich wach“, gebe ich zurück und richte mich mühsam auf. Mein ganzer Körper kribbelt. Es dauert einen Moment, bis sich meine Finger endlich wieder so bewegen, wie ich es will. „Warum sollte ich nicht wach sein?“
    Tyler antwortet nicht. Aphrodite auch nicht. Erst Seth, der von seinem Platz etwas abseits uncharakteristisch ernst dreinschaut, öffnet den Mund.
    „Wir haben fünf Uhr, Ava. Nachmittags. Du hast den ganzen Tag verschlafen.“


    „Wir müssen einen Arzt rufen!“
    „Wie stellst du dir das vor? Wie willst du um diese Zeit einen Neurologen zu einem Hausbesuch bringen?“
    „Dann müssen wir zumindest ins Krankenhaus!“
    „Aber-“
    „Irgendetwas stimmt nicht mit ihr! Interessiert Sie das denn gar nicht?“
    Ich reibe mir die Schläfen. Tylers und Aphrodites Gezeter bereitet mir heftige Kopfschmerzen, aber ich bezweifle, dass die beiden gerade auf mich hören würden.
    Ich sitze auf der Couch im Wohnzimmer, die Beine angezogen und eine Decke um meinen Körper gewickelt. Tyler und Aphrodite staksen zwischen den Möbeln hin und her und diskutieren lauthals darüber, was das Beste für mich ist. Tyler will mich am liebsten sofort an Ort und Stelle vom besten Arzt auf diesem Planeten untersuchen lassen, während Aphrodite versucht, mit Ausreden an genau diesem Arztbesuch vorbeizukommen, weil wir beide wissen, dass kein Arzt in diesem Universum mir in irgendeiner Art und Weise helfen kann.
    Lustigerweise ist es Seth, der neben mir sitzt und mir ein wenig hilflos, aber definitiv mit guten Absichten über den Arm streicht, als würde er ein verängstigtes Kätzchen beruhigen wollen. Und ich? Ich bin ruhig. Zu ruhig, um ehrlich zu sein.
    Ich habe knappe zwanzig Stunden geschlafen. Mein Handywecker hat mich nicht geweckt, das Klingeln unseres Telefons nicht, auch die Türklingel schellte vergebens. Tyler und Seth standen eine gute halbe Stunde vor unserer Haustüre, bis Aphrodite nach Hause kam und alle drei in mein Schlafzimmer stürzten, um mich dort wie ein reinkarniertes Dornrösschen schlafend aufzufinden. Erst, als Tyler mich förmlich angeschrien hat, bin ich aufgewacht.
    Und jetzt kann ich nicht mehr behaupten, dass er sich das alles nur einbildet. Tja. Verdammt.
    „Wenn Sie es nicht tun, dann mache ich es eben-“
    „Okay!“
    Aphrodites schrille Stimme schallt durch den Raum und darauf folgt absolute Stille. Seth und ich sind etwas zusammengezuckt und beobachten Tyler und meine Adoptivgöttin, die sich gegenseitig Löcher ins Gesicht starren.
    Ich habe Aphrodite noch nie so gesehen. In ihren Augen wirbeln so viele verschiedene Emotionen, so viele Gedanken. Ihre Lippen sind zu einem schmalen, blassen Strich verzogen und ich sehe, wie ihr Kiefer arbeitet. Die Sehnen an ihren Armen treten hervor wie Stahlseile unter ihrer Haut die jeden Moment reißen könnten. Alles an ihr schreit „Hilflosigkeit“.
    Aber bevor ich etwas sagen kann, stürmt sie aus dem Raum, hoch in die zweite Etage. Ich höre eine Türe knallen und dann Stille, in der wir alle drei zum Flur schauen, in den sie verschwunden war.
    „Das lief ja gut“, stößt Seth mit deutlich sarkastischem Unterton aus. Ich versuche mich an einem trockenen Lachen, aber am Ende kommt nur ein langgezogenes Gähnen aus meinem Mund. Tyler rauft sich die Haare und kommt dann rüber zu uns, wagt es aber nicht so recht, mir in die Augen zu sehen.
    „Es liegt nicht an deinem Schlag“, raune ich und strecke meine Hand nach ihm aus, so weit ich das in meinem Deckenkokon Marke Seth bewerkstelligen kann.
    „Woran dann?“, fragt Tyler und ich merke, wie müde und erschöpft er selbst ist. Als ich seinen Ärmel zu fassen bekomme, ziehe ich ihn näher an mich heran und rechts von mir auf die Couch.
    „Ich weiß es nicht“, antworte ich ihm und verschränke meine Finger in seinen.
    Es ist keine direkte Lüge. Aber viel besser fühle ich mich deswegen nicht.


    Ich weiß nicht, wie lange wir einfach nur dasitzen und darauf warten, dass irgendetwas passiert. Dieses Irgendetwas stellt sich dann aber ein Klingeln an unserer Haustüre heraus. Bevor ich mich aus meinem Deckenkokon befreien kann, sehe ich, dass Aphrodite die Treppe herunter kommt und aufmacht.
    „Du?“, zischte sie offenbar lauter als gewollt. Tyler und Seth strecken die Hälse, um den Besucher zu sehen, aber Aphrodite verdeckt ihn von unserem Sichtpunkt aus komplett.
    „Ich. Wie immer, eine Freude dich zu sehen.“
    Die Stimme ist männlich, samtig und honigsüß, aber ich habe sie noch nie im Leben gehört. Und Aphrodites kalkweißem Gesicht und dem angespannten Gesichtsausdruck nach zu urteilen, als sie wie mechanisch ins Wohnzimmer tritt habe ich die leise Befürchtung, dass der Neuankömmling keine so guten Neuigkeiten sind, wie ich insgeheim gehofft hatte.
    Aber noch bevor unser Gast den Raum betritt, wird mir klar, dass er kein Mensch ist.
    Er ist groß gebaut und deutlich athletisch, mit sonnengebräunter Haut und goldblonden Locken, die der Schwerkraft zu wiederstehen scheinen. Sein Gesicht ist kantig und deutlich maskulin, aber seine bernsteinfarbenen Augen und die Lippen, die zu einem kleinen, überlegenen Lächeln geformt sind, wirken beinahe sanft. Alleine sein überirdisches Aussehen verrät mir, dass ich einen Gott vor mir habe. Das goldene Licht, das von ihm ausgeht und alles in eine wohlige Wärme taucht ist quasi eine leuchtende Reklametafel mit der Inschrift „Ich bin ein Gott. Huldigt mir“.
    Erst auf den zweiten Blick fällt mir auf, dass er in seiner linken Hand einen schwarzen Koffer trägt. Als er sich durch den Raum bewegt, sehe ich den Teil eines Logos darauf, aber ich kann nicht genau ausmachen, was es darstellt.
    „Ich habe gehört, hier braucht jemand einen Arzt?“, raunt der vierte Gott, dem ich in meinem Leben begegnet bin, mit einer Stimme so geschmeidig wie flüssiges Karamell.
    Gott. Langsam aber sicher wird mir doch etwas warm.
    Nur verschwindet diese Wärme sofort, als ich Aphrodites eiskalten Blick sehe und das seltsame Licht langsam gedimmt zu werden scheint.
    „Meine Tochter“, stößt sie bitter aus und deutet auf mich, ohne unseren göttlichen Gast aus den Augen zu lassen. Der tauscht einen Blick mit ihr und wirkt deutlich amüsiert, bricht den Augenkontakt dann aber ab- was Aphrodite so gar nicht zu gefallen scheint, wie kann ein männliches Wesen es auch wagen, sie nicht zu verehren- und wendet sich mir zu. Und Himmel. Mir wird gleich noch ein wenig wärmer.
    Lass das sein. Ich falle nicht auf eure Pheromon-Tricks rein.
    Einen kurzen Augenblick zucken seine Augenbrauen in die Höhe, dann kichert er leise und scheucht Seth neben mir mit einer beiläufigen Handbewegung aus dem Weg, damit er sich setzen kann. Der gehorcht, ohne zu murren, was mit ziemlicher Sicherheit nur an göttlicher Gedankenkontrolle liegen kann. Seth lässt sich sonst niemals etwas von jemandem sagen. Außer vielleicht von seiner Mutter, aber das ist eine andere Geschichte.
    „Hallo“, spricht Aphrodites aktuelles Objekt des Hasses mich an und schenkt mir ein diabeteserregend süßes Lächeln, das beinahe dem meiner Adoptivgöttin Konkurrenz macht. Aber auch nur beinahe. „Mein Name ist Dominic. Ich bin Arzt. Und du bist?“
    „Ava“, stoße ich gepresst hervor und drücke Tylers Hand etwas fester. Der sitzt noch immer stumm neben mir, ist aber keinen Zentimeter von meiner Seite gewichen. Aber ich wusste schon immer, dass er lebensmüde ist. Immerhin hat er auch Aphrodite provoziert.
    „Dann schauen wir mal, Ava“, raunt „Dominic“- Götter haben einen Faible für Telling Names, dummerweise habe ich gerade kein Handy zu Hand um zu ergooglen, wen ich da genau vor mir habe- mir zu und bevor ich antworten kann, greift er mit seiner warmen Hand mein Kinn und zieht mich ein Stück näher an ihn heran. Eine gefühlte Ewigkeit lang schaut er mir nur in die Augen, konzentriert wie ein Raketenwissenschaftler vor dem Take-Off, dann öffnet er, ohne hinzusehen, seinen Koffer und zieht diverses Standard-Doktor-Equipment heraus, das er der Reihe nach einsetzt, so schnell, dass mir nicht einmal mehr die Namen zu den Gerätschaften einfallen wollen.
    „Verstehe, verstehe“, murmelt er dann und ich fühle mich seltsam stark an meinen ehemaligen Hausarzt erinnert, der während jeder Behandlung unzusammenhängende Selbstgespräche geführt hat. Ist das so eine geteilte Ärztekrankheit?
    Dann, urplötzlich, lässt er mich endlich los und beginnt damit, seinen Koffer wieder einzuräumen. In vollkommener Stille.
    „Und?“, knurrt Aphrodite gereizt.
    „Sag mal, Ava, hattest du in letzter Zeit irgendetwas, was ein Trauma hervorrufen könnte? Einen Sturz vielleicht? Oder…“ Dominic senkt den Kopf ein wenig und schenkt mir ein wissendes Lächeln, das aber nur für mich bestimmt ist. „Einen Unfall?“
    „Einen Unfall?“ Ich sehe aus dem Augenwinkel, wie sämtliche Farbe aus Tylers Gesicht weicht.
    „Sie hatte einen Autounfall, bevor wir hergezogen sind“, grätscht Aphrodite dazwischen und die Köpfe der Zwillinge schnellen zu ihr herüber.
    „Ja, so etwas dachte ich mir schon.“ Die Lippen von unserem Gast verziehen sich zu einem überlegenen Lächeln. „Hattest du auch Probleme beim Schlafen?“
    Als ich etwas zögere, zwinkert er mir zu. Ich verziehe ein wenig das Gesicht und antworte langsam: „Schon, ja. Ich bin immer wieder aufgewacht oder konnte gar nicht erst einschlafen.“
    „Es passiert nicht häufig und tritt manchmal auch erst mit einiger Verzögerung auf“, beginnt Dominic und nickt bedächtig. „Aber nach einem Schädel-Hirn-Trauma kann es manchmal zu Schlaf- und Konzentrationsstörungen kommen. Fürs erste werde ich dir ein Schlafmittel verschreiben, damit dein Körper sich vollständig ausruhen kann. In vielen Fällen reicht das schon auf, um den Körper wieder auf die richtige Spur zu bekommen. Um sicher zu sein, werden wir aber einige Termine vereinbaren und dich etwas… beaufsichtigen.“
    Mit der einen Hand schon wieder in seinem Koffer zieht der Gott vor mir eine munter klimpernde Packung heraus, von der ich mir sicher bin, dass sie vorher noch nicht darin war. Als er sie mir in die linke Hand legt, umschließen seine Finger meine für länger als nötig. Etwas verwirrt schaue ich zu ihm auf und sehe, wie intensiv mich seine bernsteinfarbenen Augen mustern. Dann, bevor ich etwas sagen kann, spüre ich, wie Wärme in meine Fingerspitzen dringt.
    Es ist ein ähnliches Gefühl wie an dem Tag, an dem Aphrodite mir etwas von ihrer Energie übertragen hat. Nur mächtiger. Wärmer, fast schon heiß. Wie ein zuckriger Energieschub nach zwei Packungen Traubenzucker, der sich durch meine Adern bahnt.
    Und dann ist es vorbei. Dominic lässt meine Hand los und der anhaltende Fluss aus Wärme versiegt. Aber die Energie, die er mir gegeben hat, wirbelt noch immer in meinem Körper herum.
    „Gute Besserung dann, Ava“, säuselt er mir zu. „Und viele Grüße von Theresia.“
    Noch bevor ich reagieren kann, springt er auf, winkt ab, als Aphrodite ihm beinahe knurrend den Weg zur Tür zeigen will und ist dann zusammen mit seinem Honiglächeln und dem goldenen Licht verschwunden.


    „Ja, ich nehme die Pillen. Versprochen“, stöhne ich und rolle mit den Augen.
    „Du hättest und ruhig von diesem Unfall erzählen können“, fängt Tyler schon wieder an, während sein Blick über meinen kompletten Körper schwebt, als würde er dort mit einem mal einen offenen Knochenbruch entdecken. Da ich aber nicht vorhabe, den goldenen Ring an meinem Finger abzuziehen, bleibt ihm das glücklicherweise erspart.
    „Ich hab’s verdrängt“, gebe ich zum gefühlt zehnten Mal zurück und schiebe Tyler leicht, aber bestimmt in Richtung Haustür. Wenn es nach ihm ginge, dann würde er hier bleiben und mich die ganze Nacht überwachen, aber darauf habe ich herzlich wenig Lust. Zum einen will ich noch mit Aphrodite sprechen, und zum anderen rede ich im Schlaf. Ich bin wirklich nicht scharf darauf, ihm meine Träume erklären zu müssen.
    „Der Arzt hat gesagt, es geht mir bald besser“, beschwichtige ich ihn und ziehe den Reisverschluss an seiner Jacke hoch. „Mach dir keine Sorgen mehr.“
    „Als ob er sich je keine Sorgen machen würde“, raunt Seth hinter seinem Bruder. Er ist schon seit guten fünf Minuten aufbruchbereit und tanzt in der dunklen Kälte von einem Bein auf das andere, um sich irgendwie warm zu halten. Obwohl die Tür weit offen steht, ist mir kein bisschen kalt. Die göttliche Macht wärmt mich von innen.
    Ich sehe, wie Seth Grimassen schneidet und mit den Augen rollt, als Tyler mir einen Kuss auf die Lippen drückt, aber ich sehe ihm genau an, dass er erleichtert ist. Er würde es niemals zugeben, aber das muss er auch nicht. Es reicht, wenn ich es weiß.


    Als die Zwillinge endlich auf dem Weg nach Hause sind, stoße ich einen Seufzer aus und die Türe zu. Ich höre das Klirren von Gläsern in der Küche, also folge ich den Geräuschen und sehe gerade noch, wie Aphrodite ein Glas dickflüssigen Rotwein auf Ex leert.
    „Wow“, stoße ich halb beeindruckt, halb belustigt aus. „Du scheinst diesen Dominic wirklich nicht zu mögen.“
    Sie seufzt so theatralisch lang gezogen, dass ich Zeit habe, mir selbst ein Glas zu nehmen und es mit Wasser aus dem Hahn zu füllen, ehe sie fertig ist.
    „Weißt du, wer das war?“, fragt sie mich und ihr gesamtes Gesicht fällt förmlich in sich zusammen. Sämtliche Energie weicht aus ihrem Körper und die Göttin der Maniküre sinkt auf einem der Küchenstühle zusammen.
    „Ich habe eine ziemlich gute Vorstellung“, gebe ich zurück und gleite auf den ihr gegenüber. Sie wirft mir einen erwartungsvollen Blick zu.
    „Er ist Arzt, leuchtet von alleine, hat eine Sonne und einen Bogen als Logo auf seiner Doktortasche und er hat mich von Artemis gegrüßt. Nur, wenn er lauthals Weissagungen in Form von Popsongs ausgestoßen hätte, wäre es offensichtlicher gewesen, dass das Apollo war.“
    „Er war noch nie sonderlich gut darin, seine Identität zu verstecken. Nein, eigentlich hat er es nie versucht“, grummelt Aphrodite in ihre Weinglas, das sie in der Zwischenzeit erneut gefüllt hatte. Woher sie die sündhaft teuer aussehende Flasche hat, ist mir ein Rätsel. „Musste immer mit all seinen Pflichten angeben. ‚Oh, bitte, so anstrengend kann es doch gar nicht sein, sich um die Liebe zu kümmern, Aphrodite. Ich muss die Sonne lenken, Schützen aushelfen, Weissagungen machen, Gedichte und Musik schreiben, und vergessen wir nicht all die kranken Menschen auf diesem Planeten!‘ Blöder Wichtigtuer. Die meisten Aufgaben hat er sowieso an andere abgegeben. Für die Sonne war später Helios verantwortlich, und Medizin hat er seinem eigenen Sohn aufgeschwatzt. Aber es war immer nur ‚Apollo hier, Apollo da, oh, er ist ja so mächtig und vielbeschäftigt!‘.“
    „Hat er dich abblitzen lassen?“
    Der ertappte Gesichtsausdruck und die Röte, die ihr ins Gesicht steigt- wobei ich mir nicht sicher bin, ob die aus Scham oder Wut entsteht- sind Antwort genug.
    „Artemis muss ihn geschickt haben“, seufzt Aphrodite nach einer Weile. „Sie muss nur mit den Augen klimpern und ihr Bruder kommt angerannt. Wir haben leider nicht alle das Glück, der Zwilling vom Gott von ‚so ziemlich allem auf diesem Planeten‘ zu sein.“
    „Ich habe nicht vor, mich zu beschweren“, meine ich schulterzuckend, was Aphrodite einen säuerlichen Blick entlockt, und nehme noch einen Schluck Wasser. „Meinst du, seine Diagnose war richtig?“
    „Wer weiß. Ich habe Doktoren gedatet, ich war selbst nie einer. Kann schon sein, dass es sowas wirklich gibt. Die Pillen sind jedenfalls Placebos, also kannst du sie auch gleich entsorgen“, gibt die Göttin der Frusttrinker zurück und schenkt sich gleich noch ein Glas ein. Keine Ahnung, ob ich mir das nur einbilde, aber irgendwie scheint die Flasche nicht leerer zu werden. Können Götter überhaupt betrunken werden?
    „Machst du Witze? Diyonisos besteht zu neunzig Prozent aus Alkohol. Betrunken sein ist sein Erkennungsmerkmal.“


    Die Pillen waren wirklich nur ein Placebo, denn als ich mir sicherheitshalber eine in den Mund steckte, schmeckte die nach purem Zucker und einem Hauch Karamell.
    Als ich dann endlich ins Bett schlüpfte, hatte ich das Gefühl, dass der Tag niemals wirklich stattgefunden hatte. Er war einfach zu kurz gewesen und zu verwirrend.
    Eine ganze Weile lang liege ich jetzt schon in der Dunkelheit meines Raums, die Decke bis zu meinem Kinn hochgezogen und den Blick an die Decke gerichtet. Langsam aber sicher spüre ich Apollos Macht nicht mehr. Nicht, weil sie verschwindet, sondern weil ich mich an sie gewöhne. Es war ein angenehmes Gefühl, wie die ersten Sonnenstrahlen nach einem langen Winter, warm und freundlich und belebend.
    Und trotzdem hält mich etwas davon ab, die Augen zu schließen.
    Ich habe Angst. Angst davor wieder stundenlang zu schlafen. Oder dieses Mal vielleicht erst in ein paar Tagen aufzuwachen.
    So viel Zeit habe ich nicht mehr. Heute ist Freitag und am Mittwoch läuft meine Zeit ab. Samstag, Sonntag, Montag und Dienstag. Dann noch der Mittwoch.
    Eve erzählte mir kürzlich, dass am Mittwochmittag das Weihnachtsfest unserer Schule anfängt. Traditionell bauen wir kleine Verkaufsbuden auf, der Chor unserer Schule spielt einige Lieder, und abends wird ein Feuer gemacht und getanzt. Meine alte Schule hatte so etwas nicht. Da waren Schüler und Lehrer froh, so wenig Zeit wie möglich in unserer persönlichen Hölle zu verbringen.
    Ich würde gerne mit Charlie und Lisa Crepes essen, und mit Irene das Konzert anhören. Ich möchte mir ansehen, wie Seth dabei versagt, die Gäste zu bedienen und ihn damit aufziehen. Und ich möchte mit Tyler um das Feuer tanzen.
    Meine Zeit läuft erst gegen Abend ab. Ob ich das Feuer wohl noch erlebe, bevor ich gehen muss?
    Bevor ich endgültig verschwinde. Bevor ich in der Unterwelt lande, oder meinen Wunsch bekomme. Bevor ich mir wünsche, dass all das nie passiert ist und…
    Bevor ich wieder bei den Menschen bin, die ich liebe.


    Fünf Tage.
    Fünf Tage, und… Mit einem Mal weiß ich nicht mehr, was ich will.





    Benachrichtigungen gehen raus an:
    @Nivis
    @Jiang
    @Anneliese
    @Luxuria


    Hey Guys! Remember when I said that the Tyler-Route will have 14 Chapters? Well guess what! I lied! C:
    Ich habs versucht, aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto weniger hatte ich das Gefühl, dass es eine gute Idee gewesen wäre, das Kapitel jetzt noch weiter zu führen. Aber hey, dafür ist Kapitel 15 definitiv das letzte. Versprochen. Danach kommt dann noch ein Epilog und dann geht es mit der zweiten Route weiter.
    Damit ich mich mental schon einmal darauf einstellen kann, würde ich euch, wenn ihr Interesse habt, um folgendes bitten: Schaut euch im Startpost und im Prolog noch einmal die anderen Charaktere an und sucht euch einen oder zwei aus, von denen ihr wollt, dass ich ihre Route als nächstes schreibe. Deren Namen postet ihr mir dann am besten auf meine Pinnwand, damit ich einen Überblick habe. Wie gesagt, nur wenn ihr wollt. Wenn nichts zusammen kommt, dann suche ich mir einfach selbst die nächste Route aus. ^^


    An dieser Stelle noch einmal ein dickes Danke an @Anneliese- ich hatte dir ja schon privat geantwortet. Egal wir kurz oder lang so ein Feedback ist, ich freue mich immer zu hören, dass jemand das hier überhaupt liest, haha. Die Story ist jetzt schon ziemlich lang, vermutlich sogar die längste, die ich je geschrieben haben, da habe ich immer die Befürchtung, dass keiner wirklich Lust hat, so viel Text zu lesen :'D Deswegen hat es mich wahnsinnig gefreut, deinen Kommentar zu lesen. (:


    Ich hoffe einfach mal, dass ich jetzt über die Ferien auch den Rest der Tyler-Route umsetzen kann. Wir werden sehen.
    Bis zum nächsten Mal!

  • Hey Cáith,


    so im Zeitraffer ist in den letzten Kapiteln einiges passiert, was die Story tatsächlich mal vorangetrieben hat. Nach dem Näherkommen war das aber auch sehr erfrischend, dass schnell Ergebnisse zu sehen waren, weil sich das locker ewig hätte ziehen können. Dass es nicht mal nur Tyler war, sondern irgendwas mit seinem Bruder zu tun hat, hab ich aber relativ von Anfang an vermutet. Alles andere wäre fast zu leicht für so eine Story. Ist gut zu sehen, dass sie sich nun besser akzeptieren als davor und nicht nur die Köpfe einschlagen.

    Interessant ist auch, dass Ava nun mehr oder weniger zwischen Leben und Tod wandelt. Nicht dass sie das nicht schon die ganze Zeit tun würde. Nur sorgt das jetzt zum Schluss hin für erhöhte Spannung, weil es ja eigentlich erst mal so aussah, als ob alles erledigt wäre. Ich schätze mal, sie muss sich einfach selbst noch öffnen, damit das Problem wirklich gelöst ist, weil sie ja doch erst mal alle anderen vorangestellt hat.


    Wir lesen uns!

  • Big Time Uff

    Hat das Thema aus dem Forum Fanfiction nach Archiv verschoben.