Jirachis Traum

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  • Name der Geschichte: Jirachis Traum
    Herkunft: Pokémon © Nintendo, GAME FREAK, The Pokémon Company International
    Genre: Abenteuer, Mystery
    Sonstiges: Eine Kurzgeschichte bestehend aus drei einzelnen Kapiteln, einem Prolog und einem Epilog über die Geschichte eines Jirachi, das zu leben lernt


    Inhaltsverzeichnis:
    Prolog: Vor dem Erwachen
    Kapitel 1: Nach dem Erwachen
    Kapitel 2: Wegen der Liebe
    Kapitel 3: Durch die Hoffnung

  • Jede Epoche hat ihre kleinen, kaum merkbaren Vorzüge und im Kontrast ihre klaren, ins Auge springenden Vorteile. Heute sehen viele Menschen die Romantik als eine Zeit der Wunder an, in der Träume, der Wunsch nach einer größeren Macht, Nacht und Fernweh noch so sehr zum Menschen gehörten wie heute das Handy oder gar Smartphone am Ohr der meisten Menschen, das rege und stetig läutet und ihnen damit auf die für sie wunderbarste Weise zeigt, dass sie noch immer am leben und für ihre Mitmenschen wichtig sind.
    Für andere Personen stellt die Antike das Musterbeispiel einer großartigen Ära dar, in der die vielen Göttinnen und Götter, Nymphen und Geister, Titanen und Untote noch entscheidenden Einfluss auf das Geschehen in der Welt hatten. Eine Zeit, in der es noch wahre Helden gab, wenn man den Geschichten jener traditionsreicher Völker Glauben schenken will.
    Dann soll es auch Menschen geben, für die das Mittelalter ein Symbol der Freiheit widerspiegelt, ein Symbol für die wahre Macht des Menschen über andere Lebewesen und ein Beispiel für den Zusammenhalt von Freunden, während andere im Mittelalter das genaue Gegenteil sehen wollen, eine Zeit des Krieges zwischen Menschen und Pokémon, aber auch Menschen und Menschen selbst.
    Und natürlich gibt es auch jene Mitglieder der Menschheit, die die jetzige Zeit, die Moderne oder noch eher Postmoderne, von allen als die einzig wahre anerkennen. Durchaus viele sind dieser Meinung und viele sind es gerade nicht.
    Geschmäcker sind irrational und subjektiv, doch was ist es nicht in unserer Welt?
    Wenn jener eine politische Handlung als fragwürdig abstempelt, ist es für einen anderen möglicherweise die normalste Sache der Welt. Was der Mann an der Ecke der Frau mit den roten Haaren sagt, muss nicht jedem gefallen, manche werden ihn für diese Worte verabscheuen, egal ob sie beleidigend oder doch lobend waren.
    Wir leben in einer Epoche der sogenannten ‘Multidiversität’ und so ist jedes Glied dieser Kette ein Unikat, individuell und dennoch so wie jedes andere Glied auch.
    Das denken die Menschen von sich zumindest.


    Es ist der 21. März, das Wetter ist sonnig und eher sommerlich als frühlingshaft. Die meisten Leute in der großen Metropole Seegrasulb City tragen bereits T-Shirts, Tops oder nur Unterhemden und kurze Hosen, Hotpants, Bermudas, kurze Röcke, hier und da blitzt bereits die ein oder andere Sonnenbrille der teuersten Marke auf, an anderen Orten finden sich fröhliche Kinder mit zehn Kugeln Eis und einem großen Schuss Sahne oben drauf. Sie genießen diesen Tag und fühlen sich wohl, hoffen auf eine weitere großartige Woche oder vielleicht doch ein ganzes Jahr mit so viel Sonneneinstrahlung. Denn wann kann man schon ein Eis mit zehn Kugeln genießen und in einer kurzen Hose rausgehen, ohne gleich Gänsehaut zu spüren? Nur im Sommer. Wenn man Glück hat.
    Doch wenn sie ehrlich zu sich selbst sind, interessiert sie nicht, was morgen passiert, sie wissen nicht einmal mehr, was gestern geschehen ist, obwohl es ihr Leben so geprägt hat wie jeder andere Tag auch. Wie viele Menschen vergessen, wenn sie sich Vorsätze gestellt haben, diese auch einzuhalten, obwohl es erst wenige Tage her ist? Es sind viele Menschen und eigentlich ist es jedes lebende Wesen, das denken kann. Sie leben in Luxus und haben keine Angst vor dem “Morgen” und müssen nicht mehr aus dem “Gestern” lernen. Das ist schon lange nicht mehr so. Zeugnisse der Vergangenheit sind nicht mehr modisch und gehören für die meisten Menschen zu jenen Dingen, die sie gerne verdrängen wollen, denn diese Zeit ist in ihren Augen geprägt von Kummer und Krieg und damit will niemand mehr etwas zu tun haben. Und fairerweise muss man auch zugeben, dass die Pokémon sich nicht anders verhalten. Sie leben zusammen mit den Menschen und reisen durch all die Orte, die einst Natur gewesen sind.


    Fernab des großen Zentrums von Seegrasulb City, wo die Wolkenkratzer der Natur so langsam weichen und dennoch so gut zu sehen sind wie direkt davor, befindet sich noch immer ein Zeugnis der Vergangenheit, das die Menschen nicht sonderlich anrühren, selbst wenn sich hier und da ein kleines Häuschen befindet, in dem eine arme Familie lebt, die sich gerade so den Lebensstandard der Großstadt leisten kann.
    So ist es nicht verwunderlich, dass es nicht auffällt, wenn ein Stein inmitten tausender Steine zu leuchten beginnt. Niemand sieht diese unveränderliche Masse in den hintersten Ecken eines Gebiets, in dem kein Mensch leben will, wenn er nicht muss. In einem Gebiet, in dem weggeschaut wird, da man in keinen Ärger verwickelt werden möchte.
    Doch es geschieht. Ein Stein leuchtet und pulsiert, Geräusche wie das Schlagen eines Herzens erklingen und füllen die Gemüter der wilden Pokémon mit jeher Aufregung und respektierlicher Distanz, denn was geschehen soll, ist kein normales Ereignis.
    Und so langsam erhält der kleine Felsen eine neue Form. Die spitzen Kanten werden zu lebendiger Masse, die abgerundeten Flächen werden zu Augen und einem gelben Hütchen auf einem weißen Kopf, an dem blaue Banner hängen, die Wünsche und Träume symbolisieren.
    Der Stein verschwindet, Jirachi erwacht.


    Aufnahme: Gesang oder so


  • Zum ersten Mal öffne ich meine Augen nach all dieser Zeit des Schlafes im Stein.
    Als ich das letzte Mal erwacht war, befand sich die Welt in einer Zeit des Krieges, überall spürte ich den Tod und das Unglück der Pokémon, die einst ein Leben in Frieden und voller Glück gelebt hatten. Die Welt veränderte sich immer weiter und ich bin mir in diesem Moment sicher, dass es wieder Dinge geben wird, die ich nicht erwarten kann, weil sie zu weit weg von allem sind, das ich je gekannt habe.
    Doch was erwartet mich? Wird es noch Pokémon geben? Was mache ich nur, wenn ich das einzige Lebewesen auf dieser Welt bin?
    Ich gähne einmal ausgiebig und genieße das Gefühl der Luft, die in meinen Körper strömt und meinen müden Körper erweckt. Viel zu lange habe ich nicht mehr gespürt, wie es sich anfühlt zu leben. Eintausend Jahre ist es her, seitdem ich das letzte Mal über diese Welt gewandelt bin. Dreihundertfünfundsechzigtausendzweihundertfünfzig Tage, die ich nicht erleben durfte, um die Welt zu schützen.
    Denn ich bin ein Jirachi. Das eine letzte, das noch lebt. Die Rasse jener Pokémon, die fast jeden Wunsch erfüllen können, ist er auch noch so groß. Nur wenige Ausnahmen gibt es.
    Jirachi dürfen sich selbst nichts von anderen Artgenossen wünschen. Sie dürfen nicht den Tod austricksen und andere Pokémon oder Menschen wiederbeleben. Ihnen fehlt es an der Macht, die Vergangenheit an sich zu verändern, denn dies ist einzig die Macht der Zeitwanderer. Und sie dürfen keine Versprechen brechen, die sie selbst abgemacht haben, wenn ein Wunsch genau das tun würde.
    Vertreter dieser Spezies dürfen es nicht tun, weil sie sonst in einem Lichtregen verschwinden und zu einem neuen Stern heranwachsen. Jeder Stern im Abendhimmel ist einer meiner Brüder oder Schwestern. Sie gaben ihr Leben für die Wünsche ihrer Meister und Herren, die so schamlos versuchten, alle Macht der Welt zu ergreifen.
    Ich erhebe mich aus meiner Ruhestätte und steige in die Luft, sodass mein Körper an den vielen Stellen flattert, die vom Wind angestoßen werden. In diesem Moment befinde ich mich noch in einer Höhle, deren Ausgang ich durch das gleißend helle Licht mit größter Leichtigkeit ausmachen kann. Wenn ich aus dieser Höhle austrete, gibt es kein Zurück mehr. Die hundert Tage Leben beginnen ab dem Moment, da mein Licht einen direkten Strahl der Sonne abbekommt. Was ich aus dieser Zeit mache, liegt bei mir und ich werde sehen, was mir mein nächstes Leben so bietet, was mich in dieser neuen Welt erwarten wird.
    Will ich mich schon jetzt von der mir bekannten Welt verabschieden und diese andere eintauchen? Was ist, wenn mir diese Welt nicht gefällt? Kein Zurück. Das muss ich im Kopf behalten. Doch es ändert sich auch nichts, wenn ich nichts tue und hier verharre. Denn irgendwann muss ich hinaus, das ist das ungeschriebene Gesetz.
    Zögerlich und unsicher schwebe ich aus der Höhle hinaus, nehme die Steigung des Aufstiegs auf mich und schaue noch einmal zurück.
    Dieser Ort hat sich innerhalb der letzten tausend Jahre nicht verändert. Ich erkenne zumindest keinen Unterschied. Und das ist doch auch schon ein positives Zeichen, oder? Schließlich kann sich ja nicht so viel verändert haben, wenn sich meine Ruhestätte nicht verändert hat. Aber ich kann es erst wissen, sobald ich es sehe.
    In diesem Moment ist es ein kleines Rattfratz, das mir entgegenkommt und dessen Stimme ich vernehme: »Wer bist du denn?! Was machst du in meinem Unterschlupf? Hast du mein Futter gestohlen?!«
    Die kleine violette Ratte schaut sich um und wartet scheinbar einige Momente, bis es mich erschrocken anschaut und anschreit: »Du hast meinen Lieblingsstein gestohlen! Gib mir den wieder her! Es gibt keinen gemütlicheren Stein hier zum schlafen!«
    »Lieblingsstein? Ich habe dir nichts genommen, was dein ist. Du kannst mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich nicht hier eingedrungen bin, weil ich nach etwas gesucht habe. Aber verrate mir: hat sich die Welt sehr verändert?«, frage ich das kleine Pokémon und schaue es fragend an.
    Doch dieses zieht nur einen Muskel über dem Augenlid hoch und antwortet ungestüm: »Was bist denn du für ein Kauz? Schau doch raus, um das zu sehen. Ich lebe doch gar nicht so lang. Und seitdem hat sich die Welt nicht verändert. Die Gebäude dieser Menschen sind nur so hoch und ich wurde von meiner Familie getrennt, weil das Nest meiner Familie einem solchen Gebäude Platz machen musste. Und dann kommt auch noch so ein merkwürdiges Wesen wie du an und fragt so einen Schwachsinn! So langsam glaube ich, dass du mich einfach ärgern willst!«
    »Erzähl mir mehr von diesen Gebäuden. Und von deiner Familie. Hast du sie in letzter Zeit gesehen? Ich weiß, wie schwer es ist, sich nicht von seiner Familie verabschieden zu können und sie nicht wieder zu sehen. Es gibt kein schlimmeres Gefühl«, erwidere ich auf die Aussage meines Gegenübers und schaue ihn bestürzt an. Es tut mir leid für dieses Pokémon, das es das gleiche Schicksal teilt. Familienbande sind eine unglaublich starke Verbindung, die jeder in ihrer Reinheit fühlen können sollte.
    Das Rattfratz schaut mich aber nur weiter fragend an und antwortet schließlich: »Es sind riesige Gebäude, größer als zehn Stahlos, die aufeinander stehen! Und sie glänzen so sehr wie das klare Wasser der tiefen Seen. Wären sie nicht so monströs, wären sie wundervoll zu betrachten. Man kann sogar sein Spiegelbild darin erkennen! Und nein...ich habe meine Familie nicht mehr gesehen seit diesem Tag. Ich wünschte, ich könnte sie wiedersehen, aber manchmal spielt das Leben da doch nicht mit. Das muss ich wohl akzeptieren«, sind die traurigen Worte des Pokémon.
    Dieses Pokémon hat einen Wunsch.
    Ich spüre, wie die Kraft aus meiner Umgebung in meinen Körper strömt und diesen als Werkzeug nutzt, um den Wunsch des Pokémon zu erfüllen.
    Vor meinem dritten Auge sehe ich die Familie des Ratten-Pokémon. Überall verstreut an Orten, die ich nicht kenne, sehe ich kleine Rattfratz, die erst wenige Wochen alt sein können, und riesige Rattikarl, die den Zenit ihres Lebens schon lange hinter sich gelassen haben. Manche finden sich in Höhlen, die dieser ähneln. Doch andere befinden sich in Konstrukten aus Stahl, durch die man nur in Spalten durchblicken kann. Was sind das für Gebilde, in denen sich diese Pokémon befinden? Sie erinnern mich an die Holzkäfige, in die Taubsi, Schwalbini und all diese kleinen Vögel gehalten wurden, als die Kriege nichts anderes zuließen, als Pokémon kleiner Größe als Boten zu nutzen. Ist das auch ein Käfig? Doch wieso sind diese Pokémon darin gefangen?
    Die Frage beantwortet sich mir nicht. Mein drittes Auge öffnet sich in der Realität, reißt mich aus meinen Gedanken und lässt die Pokémon, die ich zuvor gesehen habe, an diesem Ort erscheinen. Es sind zwanzig, vielleicht dreißig Rattfratz, die überrascht umher schauen und nicht wissen, wie ihnen in diesem Moment geschieht. Die Rattikarl wirken nicht weniger überrascht, sind jedoch nicht so hektisch und blicken direkt in meine Richtung.
    Leises Gemurmel geht umher, die Rattfratz schweigen und hören ihren Eltern zu, während diese mit anderen Artgenossen sprechen. Der Blick dieser wendet sich nicht von mir ab. Wieso? Erkennen sie mich?
    Ein Rattikarl, augenscheinlich das Älteste von allen Anwesenden, tritt hervor, seine Augen schon getrübt und halb geschlossen, wahrscheinlich blind, und spricht: »Wir haben Eure Ankunft erwartet, großer Meister. Bereits seit Jahrhunderten spricht eine Legende, die von einer Generation der Pokémon zur nächsten weitergegeben wird, vom Erscheinen des Pokémon, das jeden Wunsch erfüllen kann. Ihr sollt in einer Zeit erscheinen, in der der Mensch nicht mehr an diese Legenden glaubt, während die Pokémon nicht mehr so leben, wie sie es einst taten. Diese Zeit ist gekommen. Wie auch immer Ihr Euch entscheidet, was auch immer Ihr erkennen werdet, denkt immer daran, dass die Pokémon immer in Eurem Diensten stehen.«
    Diese Situation habe ich nicht erwartet. Ich nicke schlichtweg und betrachte das alte Rattikarl. Es sieht nicht gesund aus, lebt sicherlich nicht mehr für allzu lange Zeit. »Ihr müsst wissen, dass ich nicht das Leben wiederherstellen oder unbegrenzt werden lassen kann, doch ich kann sehr wohl Eure Zeit auf dieser Welt verlängern und Euch die Leiden nehmen. Ihr müsst es nur wünschen«, spreche ich, denn ich spüre die Schmerzen des Pokémon mir gegenüber.
    Das Normal-Pokémon schüttelt langsam und in aller Ruhe den Kopf. »Ich danke Euch für dieses Angebot, doch ich muss ablehnen. Es ist nicht mein Recht, Euch Kraft für einen solch selbstsüchtigen Wunsch zu nehmen, denn ich habe gelebt. Ich habe mein Leben genossen und jeden Moment, jeden Atemzug in völlen Zügen gespürt. Mein Leben geht dem Ende zu und damit kann ich leben. Arceus wird wissen, wann meine Zeit gekommen ist. Daran glaube ich fest.«
    »Ich verstehe. Ich danke Euch und hoffe, dass ihr noch lange vor den Schatten des Sterbens verschont bleibt, denn Euer Herz ist rein und das ist in jeder Zeit eine seltene Gabe gewesen, so mit Sicherheit auch in dieser.«
    »Die Menschen und Pokémon dieser Zeit sind mit Sicherheit nicht das, was Ihr aus Eurer Vergangenheit kennt. Sie kennen oft nicht mehr das Leben, wie man es einst lebte, sie leben in Hektik und in Angst, dass sie den Moment verpassen, der das große Ganze für sie darstellt, nur um am Ende ihres Lebens zu sehen, dass sie in jedem Moment, den sie gelebt haben, großartige Dinge erfahren haben und sich dem nur deswegen verschlossen haben, weil sie auf etwas Großes gewartet haben. Verzeiht Ihr ihnen diese Nachlässigkeit aber, so werdet Ihr merken, dass diese Wesen, Menschen wie auch Pokémon, zu den Guten gehören, auch wenn Ausnahmen auch in diesem Fall leider die Regel bestätigen. Doch das, so schätze ich, war in jeder Zeit so«, erklärt das weise Rattikarl und streckt seinen Kopf in meine Richtung, obwohl es mich wahrscheinlich gar nicht mehr sehen kann. Dieses Pokémon ist ein Zeichen für mich. Denn obgleich ich viele tausend Jahre älter bin als mein Gegenüber, hat es wohl mehr gelebt und mehr erfahren, als ich je werde. Es ist weise, während ich nur zuhören und lernen kann.
    Also verabschiede ich mich von allen Anwesenden: »Ich hoffe sehr, dass ihr als eine Familie zusammenbleiben werdet und darauf, dass wir in hundert Tagen erneut aufeinander treffen und von unseren Erfahrungen sprechen können. Nichts würde mich glücklicher machen, als auch Euch wiederzutreffen, weises Rattikarl. Ich danke Euch allen sehr.«
    Ich schwebe die letzten Meter hinaus, schaue noch einmal zurück auf die kleine Gruppe der Ratten-Pokémon, in dessen Mitte das alte Pokémon verweilt, und lächle. Nun beginnen also die hundert Tage. Ich werde das Beste daraus machen.
    Es dauert keinen Moment, da reiße ich meine beiden normalen Augen auf. Habe ich gerade in der Höhle noch erwartet, dass sich so viel gar nicht geändert haben kann, sehe ich nun, wie falsch ich liege. Ich befinde mich mitten in einer Grube, kann das Ende kaum erkennen. Doch das ist keine natürliche Grube. Das, woraus sie besteht, sind Materialien, die ich nie vorher in dieser Form gesehen habe. Glänzende, spiegelnde Fassaden aus geschliffenem Eis, glaube ich.
    Neugierig schwebe ich zu einem der Gebäude mit dieser Fassade und berühre sie, denn ich spüre keine Kälte in der Luft. Und tatsächlich! Das Eis ist nicht kalt, sondern warm und reflektiert sogar hier unten die Sonnenstrahlen. Aber wenn Eis warm ist, schmilzt es doch?
    Wie kann das sein?
    Erneut schaue ich mich um und entdecke ein Schwalbini, das in der Nähe auf einem horizontalen Stab verweilt, an dessen Ende ein großer Kopf aus dem gleichen Eis hängt. »Du Schwalbini, kannst du mir bitte etwas erklären?«
    Das kleine Vogel-Pokémon legt nur seinen Kopf schief und fragt in hoher, zwitschernder Stimme: »Du bist aber ein merkwürdiges Pokémon. Wie kann ich dir denn helfen? Was soll ich dir erklären?«
    »Was ist das für ein merkwürdiges Eis, das warm ist und die Sonne reflektiert, ohne dabei zu schmelzen?«
    Der Vogel fliegt zu mir und verbleibt in der Luft, während es lacht. »Nein, du Dummkopf, das ist doch Glas! Das musst du doch kennen!«
    »G-Glas?«, frage ich ohne Ahnung davon, was Glas ist.
    »Ja, Glas! Die Menschen stellen es her, um sich selbst darin betrachten zu können und ihr merkwürdiges Fell zu richten, wenn sie mal nicht eine tragbare Version dabeihaben, die auch gleichzeitig aufleuchten kann, wenn sie darauf drücken! Aber die sind schon echt doof, man kann dadurch blicken und sich gar nicht richtig erkennen!«, erklärt das Schwalbini und blickt mich weiterhin überrascht an, »aber wieso weißt du das nicht? Glas gibt es doch überall!«
    »Da, wo ich herkomme, gab es das noch nicht. Da hat man ins Wasser geschaut, um sich zu spiegeln. Und wenn man besonders vermögend war, blickte man in blankes Metall«, antworte ich und studiere dabei dieses Glas. Und das gibt es überall nur, damit Menschen sich darin selbst zurechtmachen können? Klingt nach einer wirklich eitlen neuen Zeit.
    Schließlich bedanke ich mich bei dem Schwalbini: »Vielen Dank für deine Hilfe! Hast du einen Wunsch in deinem Leben?«
    »Einen Wunsch? Äh. Mh. Ähm. Ich wünsche mir… na, ich wünsche mir…ah! Ich will stark sein! Kein Schwalbini mehr! Auch kein Schwalboss! Die finde ich doof. Als ich ganz jung war, wurde ich immer geärgert, weil ich das kleinste Schwalbini im Schwarm war und selbst meine Eltern haben sich für mich geschämt. Ich wäre gerne das stärkste Vogelpokémon, das meine Eltern stolz machen könnte!«, erzählt es mir.
    Erneut strömt Energie durch meinen Körper und vor meinem dritten Auge erscheint erst das Schwalbini, das sich daraufhin verändert. Das blaue Federnkleid macht langsam einem dunkelroten Platz, der Kopf wächst, der Schnabel biegt sich nach unten, die Federn am Kragen werden von Sekunde zu Sekunde voluminöser, das schwarze Geläuf ändert seine Farbe, wird langsam gelblich, die Krallen wachsen weiter, bis schließlich aus dem Schwalbini ein Washakwil geworden ist.
    Ich atme tief und schnappend ein, doch der Wunsch des kleinen Vogels ist in Erfüllung gegangen. »Du bist nun das stärkste Vogelpokémon, dessen Kraft für dich ertragbar ist. Es ist nicht dein voller Wunsch gewesen, doch ich hoffe, dass du zufrieden bist.«
    Das Washakwil schaut mich verdutzt an und meint: »Was redest du denn da? ...wieso kling ich so anders?«
    Es schaut in das Glas und blickt dann wieder in meine Richtung: »Das warst du? Was bist du für ein Pokémon?! Ich meine...ich danke dir, aber ich dachte nicht, dass das passieren würde. Ich weiß nicht, was ich sagen soll...«
    Ist es nicht sein Traum gewesen, ein starkes Pokémon zu werden? Wieso klingt es dann in diesem Moment so unzufrieden? Habe ich etwas falsch gemacht?
    »Ich dachte, das wäre dein Wunsch. Ich habe nur getan, was du wolltest. War das nicht richtig?«, frage ich nach und schaue meinen Gegenüber traurig an. Ich will nicht, dass ein anderes Lebewesen durch meine Wunscherfüllung traurig ist, denn dazu ist meine Fähigkeit nicht gedacht.
    Der Vogel schaut mich an und antwortet dann: »Es war eigentlich ein Traum, kein wirklicher Wunsch. Aber mach dir keine Sorgen, ich werde mich daran gewöhnen, denn es ist ja genau das, was ich von dir wollte. Also danke.«
    Immer noch ein wenig unsicher nicke ich und verschwinde im Spalt zwischen den Gebäuden, tauche in dieses Meer aus riesigen Ungeheuern ein.


    So vergehen einige Tage. Erst sieben Tage. Dann vierzehn. Doch so sehr ich es auch versuche, so sehr merke ich, dass diese Welt nicht das ist, was ich erwartet habe. Ich habe immer noch die leise Hoffnung gehabt, in diese Welt hineinzupassen, ohne große Schwierigkeiten zu haben, denn es bleiben mir nur hundert Tage alle tausend Jahre, in denen ich nicht in Form eines Steins verharren muss. Diese Beschränkung ist ein Fluch, mir auferlegt von einem mächtigen Zauberer großer Macht.
    Als ich noch jung war, vielleicht dreitausend Jahre alt, starben immer mehr meiner Artgenossen aus. Sie starben nicht, weil sie alt waren, denn Jirachi altern nicht, sondern wegen ihrer Meister. Waren wir in einer Zeit des Glücks noch zehntausend oder mehr Jirachi, so waren es in dieser Zeit nur noch hundert oder zweihundert. Die Menschen lernten mit jeder Dekade mehr, die Fähigkeiten der Wunschgeister auszunutzen und für ihre Zwecke zu gebrauchen, nahmen immer weniger Rücksicht auf das Leben ihrer Helfer.
    Denn es ist so: Jirachi können jedem Lebewesen bis zu einem bestimmten Punkt Wünsche erfüllen. Dieser Punkt ist dann erreicht, wenn sie das reine Herz eines für sie bestimmten Meisters erfühlen. Erst dann erwacht ihre wahre Kraft, ihre Limitationen werden immer geringer und sie haben Kontrolle über die gesamte Energie der Welt in ihrem Körper, können sie so einsetzen, wie sie wollen, solange sie die drei Regeln beachten.
    Und es war immer ein leichtes Unterfangen, dies zu gewährleisten, denn die Meister verstanden, dass es Regeln gab und bemühten sich um ihre Freunde, die für sie bestimmt worden waren. Doch wie es sich mit den Menschen so verhält, war es nur eine Frage der Zeit, wann und wie die Regeln in dem Maße gebrochen werden würden, dass es kein Zurück mehr geben könnte.
    Tausend Tage für mich und zehntausend Jahre für die Welt ist es her, dass es geschah.
    Ein Mensch, Meister eines so mächtigen wie gutherzigen Jirachi, wünschte sich von seinem Freund die Kraft, seine Frau, die im Sterben lag, vor dem Tod zu schützen. An sich war das kein Bruch der Gesetze, denn das Leben länger andauern zu lassen, liegt in unserer Hand und ist ein Unterfangen, dem wir uns geradezu verschreiben. Mit größter Freude tat das mächtige Pokémon also, wie sein Meister gewünscht hatte, rettete dessen Frau und damit einen - wie später herauskommen würde - wertvollen Zweig der Geschichte der Regionen Kanto, Johto, Hoenn und Sinnoh, denn aus diesem Zweig würde der Kaiser entspringen.
    Doch damit hörte der Wunsch des Meisters nicht auf. Er wünschte sich, dass, immer wenn seine Familie Schaden nehmen würde, stattdessen aus den Feinden eine Insel entstehen solle, die den Nachkommen seiner Familie ein Zuhause liefern sollte. Dieses Wunschpokémon nickte und versprach es seinem Meister.
    Es vergingen jedoch nur wenige Jahre, bis dieses Versprechen gebrochen wurde: es war der älteste Sohn des Meisters, der den Meister selbst töten wollte. Getrieben durch den Wunsch des inzwischen alten Mannes entstand aus dem Sohn eine Insel. Ein klarer Bruch des Versprechens, denn den Nachkommen sollte niemals Leid geschehen, verschwand das Jirachi in einem glänzenden Strahl aus Licht und wurde zu dem Stern, den man unter den Seefahrern heute noch als den wichtigsten Stern für eine sichere Reise anerkennt: der Polarstern.
    Der Meister, getrieben vom Wunsch, seinen Sohn wieder zu befreien, machte sich auf die Suche nach anderen Jirachi, die ihm helfen konnten. Diese Pokémon zeigen sich Menschen jedoch nicht, wenn sie für sie bestimmt sind oder bereits einen Meister haben.
    Dies folgte darin, dass der alte Mann jeden Meister tötete, um das Band zwischen ihnen und den Jirachi zu lösen und seinen Wunsch zu erhalten. Er beachtete dabei jedoch nicht, dass die Jirachi, die ihre Meister so sehr liebten wie nichts anderes in ihrem Leben, ihr eigenes Leben opferten, um die Meister zu retten: ihr letztes großes Geschenk an die von ihnen geliebten Menschen.
    Der alte Mann jedoch sollte nicht für lange Zeit Menschen so töten.
    Ein mächtiger Zauberer, gelöst von Regeln der menschlichen Moral oder Gesetzen der Natur, immer unterwegs mit seinem Schüler, einem Kadabra, verwandelte diesen Menschen, der nur noch ein Schatten seiner Selbst, ein Alptraum für jeden Bürger der neuen Inseln war, in ein Pokémon voller Boshaftigkeit und Dunkelheit, für immer verflucht, sein Leben auf einer Insel zu verweilen: jene Insel, die einst sein Sohn war. Man sollte den Mann von diesem Zeitpunkt an nur noch als Darkrai kennen und die Insel Neumondinsel nennen, die man nicht erreichen würde, wenn man nicht stark genug ist, den Schatten standzuhalten, die in diesem Pokémon ruhen.
    Natürlich gab es zu dieser Zeit bereits Darkrai, deren Inneres nicht so dunkel war wie das des Mannes und so legten auch sie einen Fluch auf das künstliche Pokémon, den Fluch des ewigen Schlafes, damit niemals die Schatten die Insel verlassen würden, bis nicht ein Mensch diese Insel betreten könnte, um die Schatten zu bezwingen.
    Der Zauberer, den schrecklichen Verlusten in der Welt der Wünsche bewusst, kam daraufhin mit seinem Schüler, dem eifrigen Kadabra, zu mir, das stärkste verbleibende Jirachi und folglich mit der größten Verbindung zur Welt ausgestattet. Er sprach von dem Chaos, das ohne Wunschmeister entstehen würde, erklärte mir seinen Plan und versteinerte mich daraufhin.
    Dadurch, dass ich selbst nur so kurze Zeit auf dieser Welt verweile, bevor ich wieder versteinere, halte ich das Gleichgewicht der Wünsche im Lot, selbst wenn ich das letzte Jirachi meiner Art sein mag. Denn jedes Lebewesen kann sich von mir etwas wünschen, kein Mensch wird jemals lang genug bei mir verweilen können, um mein Meister zu werden. Und doch sind diese hundert Tage das größte Glück, denn ich lerne mehr und mehr über die Welt und die Zeit und verstehe die Zeit zu schätzen.
    Doch nicht jetzt. Ich passe nicht in diese Welt. Werde ich es denn überhaupt jemals?


    Nach siebzehn Tagen fühlt es sich nicht anders an.
    Ich schwebe unsichtbar durch die Straßen der Stadt, sehe die glücklichen und weniger glücklichen Menschen, die sich ihre Wege durch die entgegengesetzt laufende Masse bahnen, versuchen nicht zu viele andere Menschen anzurämpeln, doch nicht jedes Mal Erfolg bei dem Unterfangen haben.
    Einen Lichtblick spüre ich jedoch: Chips.
    Schon am dritten oder vierten Tag hatte ich eine Tüte Chips von dem Washakwil erhalten, das einst ein Schwalbini gewesen war. Es hatte mir versprochen, dass ich diese Nahrung lieben würde und ich betrachtete diese nur unsicher. Wie aß man das? Es glänzte metallisch und raschelte, es war viel zu groß für meinen Mund und wirklich abbeißen konnte man auch nicht.
    Daraufhin hatte mir mein Gegenüber erklärt, dass man diese Tüte aufreißen müsse, damit man am den Inhalt kommen könne. Nie war mir eine verschweißte Tüte über den Weg gelaufen, aber nachdem ich verstanden hatte, wie das Öffnen funktioniert, hatte ich mir sogleich eine Hand voll Chips genommen, deren Geschmacksrichtung - BBQ styled - mich ungewöhnlicherweise sofort einnahm.
    In diesen Tagen bin ich beinahe zu jeder Zeit mit einer Tüte Chips in einer Hand herumgeschwebt und habe die Welt etwas mehr genossen. Auch andere Nahrungsmittel habe ich kennengelernt. Doch keine hat mich so sehr eingenommen, wie die kleinen Knabberwaren. Außer vielleicht Hamburger aus dem Seegrasulb Diner, von denen ich ein Stück bekommen habe, nachdem sich ein Mampfaxo gewünscht hatte, einmal wie ein Mensch auszusehen.
    Unterwegs komme ich an einer großen Kreuzung vorbei. Mir fällt beinahe sofort das lange, schwarze Auto auf, dessen dunklen Scheiben keinen Blick ins Innere ermöglichen. Doch irgendetwas ist anders und ungewöhnlich, lässt mich das Gefühl nicht loswerden, dass ich beobachtet werde und dass etwas ganz und gar eigenartiges geschehen wird, wenn ich mich nicht beeile wegzukommen.
    Und wie es mit der Intuition eines Wunschpokémons so ist, verhält es sich auch hier: man mag es als Pokémon selbst nicht glauben, doch man hat von Anfang an Recht gehabt, bemerkt viel zu spät, dass es eine ganz ungünstige Situation wird und muss sich umso mehr beeilen, doch noch zu fliehen.
    Männer in schwarzen Anzügen steigen aus dem Auto aus, tragen eigenartig blinkende Gestelle mit schwarzem Glas darin und kommen direkt auf mich zu, flüstern sich dabei immer wieder in reger Freude Worte des Mutmachens zu, einer zieht gar ein Smettbonetz aus einer Tasche heraus.
    Er zielt mit dem Netz direkt auf mich, will mich einfangen, scheint mich zu sehen, obwohl Menschen es nicht können und schreit vor Enttäuschung, als ich mich aus Angst an eine andere Stelle teleportiere.
    Was sind das für Menschen? Was wollen sie?
    Wieso sehen sie mich? Ich bin doch unsichtbar?
    Warum wollen sie mich einfangen?
    Ich habe keine Zeit mich das zu fragen, fliege so schnell ich kann und in drei Metern Höhe, weiche Gebäuden und leuchtenden Gestellen mitten auf der Straße aus, schaue nicht zurück, höre nur die Stimmen des Entsetzens, als wildfremde Menschen von den Anzugträgern umgestoßen werden.
    Immer schneller.
    Keine Zeit verlieren.
    Diese Menschen sind gefährlich.
    Keine Zeit zum Nachdenken, keine Zeit für irgendetwas außer zu fliehen.
    Ich biege in eine dunkle Seitenstraße ein, befinde mich in immer größerer Höhe und bin mir immer noch nicht sicher, ob es bereits hoch genug ist. Reicht das schon aus?
    Nein.
    Die Menschen sind noch hinter mir, ich kann sie hören. Lautes Schnauben und der nicht geringer werdende Elan, mich zu fangen.
    Ohne es rechtzeitig zu bemerken, schwebe ich durch eine Barriere aus Psycho-Energie hindurch.
    Freund oder Feind?

  • Hallo Dusk,


    an den Prolog von Jirachis Traum erinnere mich noch recht gut; zum einen hab ich den schon mal gelesen und zum anderen auch erst vor kurzem vertont gehört. Eigentlich wäre die Geschichte ideal für eine Art Hörspiel, falls du das nicht sogar irgendwann geplant hast, aber das soll einmal nicht so wichtig sein.


    Short to the point, du fackelst nicht lange im Startpost herum, sondern beginnst einfach die Geschichte. Guter Plan, so hat man jedenfalls auch gleich das Interesse, sich den Beginn zu Gemüte zu führen und es ist auch gleichzeitig eine etwas andere Art der Legende, wie sie sonst in Geschichten zu finden sind. Du bestichst hier weniger durch die Taten, Personen und Pokémon, die etwas geleistet haben, sondern viel mehr durch die Auffühung der Zeitepochen, wie sie sich definiert haben und was sie besonders macht. Überhaupt die Moderne mit ihrem ausgelassenen Gemüt stellt hier einen krassen Gegensatz dar, macht aber auch sofort auf das Wesentliche aufmerksam: Legenden sind nicht mehr das, was sie waren und vieles gerät durch die Informationsflut und die sorglose Art der Menschen in Vergessenheit. Und das gefällt mir unheimlich gut.
    Bis du schließlich Jirachi erwachen lässt und die Geschichte richtig los geht.


    Das erste Kapitel ist dann aus seiner Sicht und du behältst den Ton der Geschichte weitestgehend bei. Jirachi ist verwirrt, weil es so lange geschlafen hat und die Pokémon, die es anspricht, wundern sich ebenfalls über seine Präsenz. Es ist so, als würde man von einem Moment auf den anderen die Zeit vorspulen und nicht wissen, wie einem geschieht. Dabei heißt es in der Legende aber auch, dass Jirachi die Umgebung trotz allem wahrnimmt. Bei diesem Exemplar war es wohl einfach anders.
    Auch die Legende um Jirachi hast du gut verpackt. Ich wäre wohl nicht auf die Idee gekommen, dass sie dank der Wünsche ihrer Meister zu Sternen am Sternenhimmel geworden sind (was aber eigentlich naheliegend ist) und die Art und Weise, wie du das rüber bringst, ist logisch und nachvollziehbar. Mit Darkrai hast du so auch eine andere verzweigte Legende miteinbezogen und damit lässt sich ein recht kompliziertes Netzwerk aufbauen, was dann auf diese Geschehnisse zurückzuführen ist. Auf jeden Fall hat mir das sehr gut gefallen.
    Bereits in diesem Text zeigst du auch, dass nicht jeder mit seinem Wunsch einverstanden ist oder diesen gar als Traum bezeichnet. Auch etwas, was sich mit der Zeit wohl geändert hat, weil Menschen und Pokémon nicht mehr nur Wünsche an Höhere richten, sondern auch ihre Träume selbst in die Hand nehmen wollen. Ich bin gespannt, was du dabei noch so für Diversitäten schaffst. Es ist nämlich auch bezeichnend, wie sich Jirachi mit der modernen Welt vertraut macht und diese kennenlernt. Es scheint sie allerdings noch nicht leben zu können; dieses gewisse Etwas, was es im Hier und Jetzt hält, fehlt wohl einfach noch. Ob sich das ändert, wenn es den Pokémon-Jägern und später vielleicht einem Verbündeten ausgesetzt ist? Das weißt nur du.


    Wir lesen uns!


  • Ich schaue mich um und suche nach dem Meister über diese Barriere. Nirgendwo kann ich diesen sehen, obwohl seine Energie so spürbar und stark ist, dass ich beinahe zu Boden gedrückt werde und mir das Atmen schwerfällt. Doch während mich diese Energie nur schwächt, höre ich die Stimmen der Männer in den Anzügen, die mich an die Gewänder früherer Menschen nur noch wenig erinnern, die immer lauter brüllen. Das Gefühl des Zorns, der Wut, aber vor allem das Gefühl der Angst ist in ihrer Umgebung zu spüren.
    Wovor haben sie denn Angst? Vor der großen Energie der Barriere, die sie nicht durchdringen können?
    Nein, diese Angst würde sich anders anfühlen. Ich mag kein Meister der Empathie sein, doch wenn ich eins verstehe, dann sind es die verschiedenen Ausrichtungen der Angst, die so sehr variieren wie Liebe oder Hass. Manche Angst entsteht aus großem Respekt, andere Angst entsteht aus dem Wunsch zu Leben und der direkten Bedrohung dieses Wunsches.
    Es handelt sich genau um diese Angst, da bin ich mir sicher. Ob sie wohl einen Herren haben, der ihnen befohlen hat, mich einzufangen? Schließlich sind sie perfekt ausgerüstet gewesen, um mich zu entdecken und es scheint nicht so, als wären sie besonders weise, denn sonst würden sie wahrscheinlich wissen, wie sie diese Barriere umgehen können. Sie scheinen außerdem nicht damit gerechnet zu haben.
    Aber auch ich habe nicht damit gerechnet und werde von dieser Kraft geschwächt, also muss ich so schnell wie möglich aus dem Energiefeld hinaus.
    Langsam und ohne große Kraft schwebe ich nur wenige Zentimeter über dem Boden die Straße entlang und biege an der nächsten Ecke ein, an der ich keine solche Energie mehr spüren kann.
    Jeder Meter verschafft mir etwas von meiner alten Kraft und es fällt mir leichter und leichter höher zu schweben, bis ich schließlich wieder von der Last befreit bin und auf der üblichen Höhe von zwei Metern schwebe.
    Doch dann höre ich eine Stimme, die mich wieder ganz tief zu Boden sinken lässt: »Jirachi.«
    Ich kenne diese Stimme. Tief und weise. Doch sie hat sich verändert. Sie lässt inzwischen noch mehr Weisheit durchscheinen, ist noch tiefer und mächtiger als je zuvor. Kadabra. Der Schüler des großen Zauberers.
    Die Stimme kommt von meiner Linken. Ich schaue dorthin und sehe noch immer nichts. Täusche ich mich vielleicht und habe mir die Stimme einfach eingebildet? Oder versteckt sich das Kadabra nur?
    Wenige Momente später soll ich das herausfinden, denn aus gelben, braunen und silbernen Fäden aus Licht bildet sich die Gestalt eines Pokémon mit jeweils einem Löffel in jeder Hand heraus.
    Zwei kleine Augen ohne Iris und nur kleinen schwarzen Pupillen blicken mich in aller Ruhe an und bemerken jede Bewegung, noch bevor sie gemacht ist. Ein dunkelbrauner Oberkörper, der sich zur Taille hin extrem verjüngt und dann in einen gelben Unterkörper übergeht, bewegt sich rhythmisch mit jedem Schritt des Psycho-Pokémon. Schulterplatten in der gleichen braunen Farbe wie der restliche Oberkörper lassen den Übergang zu den Armen verschwinden und schützen das Pokémon wohl auch an diesen empfindlichen Stellen.
    Kadabra ist nicht mehr so wie früher. Inzwischen ist der Schüler des großen Zauberers ein Simsala und damit wohl eines der mächtigsten magischen Wesen überhaupt.
    »Es ist lange her, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben«, spricht mich dieses Pokémon an und verharrt weiterhin mit seinen Augen auf mir.
    »Zehntausend Jahre für dich und nur tausend Tage für mich. Ich weiß nicht, ob das lang ist. Ist es das?«, fragte ich mit ernster Stimme. Denn wie verhielt es sich nun? Waren auch tausend Tage des Erwachtseins viel? Ich habe, um ehrlich zu sein, keine Ahnung, aber ich kann mich noch an alle Einzelheiten des Gesichts des großen Zauberers erinnern und an all das Lachen der Jirachi, die meine Freunde waren. Wenn ich noch alles so genau weiß, kann es nicht lange her sein, oder?
    »Für die Menschen sind auch tausend Tage eine lange Zeit. Diese riesigen Gebäude, Wolkenkratzer und Türme, entstehen oftmals in weniger als fünfhundert Tagen und auch das betrachten sie bereits als ein wahrlich langes Intervall. Dreiundvierzig Millionen zweihunderttausend Sekunden sind es. Eine Zahl mit acht Stellen erscheint auch uns als groß, nicht wahr? Und dabei wird wohl die Ewigkeit unsere Grenze darstellen und uns nicht einholen wie die Menschen, von denen die meisten Individuen nicht länger als achtzig Jahre leben, in guten Fällen vielleicht hundertzwanzig. Also versuche auch ich die Welt aus diesen Augen zu betrachten«, beantwortet das Simsala meine Frage und ich schaue zu Boden.
    Es stimmt. Obwohl ich nur alle tausend Jahre für hundert Tage erwache, habe ich dennoch eine unendliche Zahl an Tagen vor mir, die ich noch durchleben werde. Mir ist keine Grenze gesetzt, doch all den Menschen, die in dieser Welt leben, schon. Irgendwann wird ihr Ende nahen und sie werden sterben. Wie sie dabei sterben, ob sie durch die eigenen Schwächen des menschlichen Körpers die Welt verlassen oder durch die Hand eines anderen, lebenden Wesens, ist dabei völlig offen. Genau in diesem Moment sterben zwei Menschen. In einer Minute sind das hundertzwanzig Menschen und an einem Tag fast einhundertneunundzwanzigtausend.
    »Wieso ist es dieses Mal so anders zu leben, Simsala? Bereits neun Phasen des Erwachens habe ich hinter mir und jede Zeit war einzigartig in ihrer Beschaffenheit, in ihrer Kultur und so, wie Menschen und Pokémon zusammenleben. Als ich dieses Mal erwacht bin und auf die ersten Bewohner dieser neuen Zeit traf, habe ich ein Pokémon getroffen, das kurz vor seinem Tode steht. Es ist vielleicht fünfzig Jahre alt, vielleicht auch sechzig. Doch die Weisheit seiner Worte, das Abschließen mit dem eigenen Leben und diese Stärke, wie sie nur selten vorkommt, haben mir gezeigt, wie wenig ich leben kann. Das Rattikarl hat eine Familie und ist für jedes kleine Rattfratz da. Seine Sinne sind bereits stark eingeschränkt und Schmerzen hatte es mit Sicherheit auch. Aber trotz meines Angebots, es wieder jüngern zu lassen, hat es abgelehnt, denn es hat schon sein Leben gelebt. In einer Zeitspanne, die dir und mir erscheint wie ein Augenaufschlag. Seien wir ehrlich: wenn es am Anfang seines Lebens hätte entscheiden können, ob es ewig lebt, aber dafür nur hundert Tage in tausend Jahren wirklich existiert, oder ob es irgendwann sterben wird, dafür aber jeden Tag mit seiner Familie genießen kann, dann hätte es selbst zum Zeitpunkt völligen Unwissens das endende Leben gewählt«, führe ich meine Frage aus und schaue den Meister der Magie an, der seinen Blick noch immer nicht von mir abgewandt hat.
    »Bei dir lag der Fall anders als beim Rattikarl. Du bist der letzte Vertreter einer Spezies, die für das Gleichgewicht der Natur auf einer so wichtigen Ebene von Bedeutung sind, dass kaum ein anderes Pokémon dem nahe kommen kann, wenn wir mal von den großen Legenden absehen. Sobald auch du sterben würdest - und dass das passieren kann, wenn du einen Meister findest, ist klar, wenn das Herz des Meisters nicht absolut rein ist -, würde die Natur kollabieren und Pokémon wie Rattikarl wären gar nicht mehr existent. So schlimm es also ist, so sehr ist deine Existenz von Bedeutung für die gesamte Welt«, erklärt das Simsala.
    »Ich weiß das leider. Dass ich es mir dennoch anders wünsche, ist wohl verständlich. Es ist einfach zu viel von jetzt auf gleich und obwohl ich die Ewigkeit vor mir habe, werde ich sicherlich niemals lange genug auf dieser Welt wandeln, um eine Heimat zu finden. Um jemals wieder Freunde zu haben. Ist das wirklich Leben? Gibt es keinen Ausweg? Es mag selbstsüchtig klingen, aber trotz meiner Schwierigkeiten mit dieser Zeit, fühle ich mich wohl«, jammere ich. So selbstsüchtig es sein mag, so sehr ist es mein Wunsch, einfach wieder zu leben und Teil einer Welt zu sein.
    Der Ausdruck im Gesicht des Simsala verändert sich merklich und es antwortet: »Jeder Fluch hat einen Ausweg. Aber bist du dir wirklich sicher, dass du das möchtest? Vergiss nicht, dass Menschen dich verfolgen, die dich selbst mit deinen Fähigkeiten, unsichtbar zu werden, gefunden haben und sicherlich nicht darauf aus sind, dein Glück darzustellen. Sie werden dich weiterhin jagen und irgendwann einfangen und werden deine Macht nutzen, um jeden Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen, der sie seit je her treibt. Sie wissen ebenso mit Sicherheit von deinen Limitationen und werden alles daran setzen, dich ihrem Meister zu überbringen. Und sie werden keine weiteren tausend Jahre warten wollen. Sie werden alle Macht nutzen, die ihnen zur Verfügung steht und dich zur Not an den Stellen verwunden, die dich gefügig machen. Dass sie dich seit längerer Zeit beobachten, wirst du nämlich ahnen können, oder nicht? Ich traue ihnen zu, dass sie jedes Opfer in Kauf nehmen, um dich einzufangen. Doch wenn du lang genug von ihrem Radar verschwindest und unter meinem Schutz bleibst, werden sie nichts tun können«, wendet mein Gegenüber ein. Aber eines verstehe ich an seiner Ausführung nicht: wieso sollten diese Männer die Pokémon, die ich kennengelernt habe, denen ich Wünsche erfüllt habe, nicht einfach töten, wenn sie mich nicht auffinden können? Ist ihre Wut nicht gerade dann umso größer?
    »Wenn etwas passiert, werde ich mich ihnen stellen und all meine Kraft aufwenden, sie zu besiegen. Ich werde jene Pokémon beschützen, die mir ihr Herz offengelegt haben und zeigten, dass das geringste Bisschen Leben großartig ist. Ich werde mich dem Machthunger dieser Menschen niemals beugen. Aber deswegen lehne ich auch deinen Schutz ab. Es ist meine Aufgabe, mich zu beschützen und nicht deine. Es tut mir Leid, Simsala«, sage ich.
    Das Psycho-Pokémon lächelt und nickt. »Du bist erst vor siebzehn Tagen wieder erwacht und dennoch hast du in dieser kurzen Zeit mehr Weisheit und Stärke erlangt als in allen neunhundert Tagen davor. Diese Zeit scheint dir gut zu bekommen. Also leb wohl!«
    Ohne auf eine Reaktion zu warten verschwindet das Simsala und lässt mich alleine zurück. Es hat mir nicht geantwortet und ich muss ein wenig enttäuscht und umso trauriger aus der menschenleeren Straße herausschweben. Wie soll das nur weitergehen? Ich habe erst siebzehn Tage durchlebt, aber auch nur noch dreiundachtzig Tage zu leben vor mir.
    Also schwebe ich weiter, auf der Suche nach Ablenkung und komme an einem großen Palast aus Glas und Metall an, dessen breiten Eingänge weit geöffnet sind. Über den Eingängen finden sich große Darstellungen von Menschen, die ganz platt sind. Das waren Plakate, wusste ich inzwischen.
    War das ein Chino? Oder hieß es Chimo? Oh! Kino hieß es!
    Ich hatte bisher nur von dem Washakwil von diesem ‘Kino’ gehört, also war ich umso gespannter darauf, wie es von Innen aussähe. Ich schwebe weiter und dann durch eine Tür, bin natürlich unsichtbar, sodass die Menschen mich nicht sehen und fliege direkt in einen Raum auf der rechten Seite der großen, hell erleuchteten Halle.
    Als ich in einen weiteren Raum mit hunderten Sitzen, auf denen viele Menschen sitzen, komme, bin ich jedoch überrascht. Dieser Raum ist stockfinster und man kann kaum die Hand vor Augen sehen. Wie soll man dann einen Film sehen können?
    Doch die vielen Menschen sprechen noch miteinander und so kann ich eine Stelle ausmachen, an der niemand sitzt. Ich schwebe über den Köpfen der Menschen zu dieser Stelle und erkenne, dass ganz rechts am Rand nur ein Mädchen sitzt, das sechs Plätze für sich alleine hat. Also setze ich mich zwei Sitze von dem Mädchen entfernt, lehne mich an den weichen Platz und fühle mich wie im siebten Himmel. Wie kann es sein, dass ein Sitz so weich ist, aber gleichzeitig so fest und sogar die größten Menschen tragen kann? Sind das Wolken, die mit Stahl verstärkt sind?
    »Hey, du! Psst. Du. Du bist doch ein Pokémon, oder? Was machst du in einem Kino?«, spricht mich eine weibliche Stimme zu meiner Rechten an und ich fahre zusammen. Nur schwer kann ich einen Laut von mir unterdrücken und blicke wie erstarrt zu dem Mädchen, das mich angesprochen hat. Ja, sie hat mich angesprochen und schaut mich an. Aber wieso kann sie mich sehen? Ich bin doch für Mensch und Pokémon unsichtbar! Ist sie etwa auch ein Mitglied dieser Organisation? Sollte ich fliehen?
    Nein. Sie trägt keine dieser merkwürdigen Brillen, ihre grünen Augen strahlen sogar in dem wenigen Licht, das von draußen in diesen Raum scheint.
    Per Telepathie sende ich dem Mädchen die Worte, die ich ihr antworte, denn sie wird die Sprache der Pokémon wohl nicht verstehen: »I-ich wollte nur mal ein Kino besuchen. Muss ich gehen? Ich wollte nicht stören, ich verspreche es! Ist es verboten, dass Pokémon hier hinein dürfen? U-und wieso kannst du mich überhaupt sehen? Hier bemerkt mich doch sonst niemand, ich bin doch unsichtbar! Wieso wirst du nicht davon getäuscht?«
    »Du sollst unsichtbar sein? Das glaube ich nicht. Du bist doch ganz klar sichtbar! Aber setz dich doch neben mich, dann muss ich nicht so laut sprechen. Ich will die anderen Zuschauer nicht stören und wenn du wirklich unsichtbar bist, wäre das ja ganz doof, wenn ich dich dann verraten würde!«, meint das Mädchen mit ernster, aber trotzdem freundlicher Stimme. Und obwohl sie Zweifel zu scheinen hat, dass ich wirklich unsichtbar bin, da sie mich ja sehen kann, scheint sie sich trotzdem darauf einzulassen und zeigt ein gutes Herz. Oder glaubt sie mir doch, dass ich unsichtbar bin?
    Jedenfalls setze ich mich direkt auf den Platz neben ihr und schaue sie an. »Keiner der Menschen bemerkt mich, nur du tust es. Also muss ich unsichtbar sein! Ich bin aber wirklich erstaunt, dass du mich sehen kannst. Weißt du, wieso du das kannst?«, frage ich weiter.
    »Nein, meine Mama sagt eigentlich auch immer, dass ich mir mal eine Brille zulegen sollte, weil ich immer dann nicht sehen kann, wenn sie will, dass ich etwas für sie vorlese!«, erwidert das Mädchen und kichert. »Aber der Film beginnt jetzt, lass ihn uns erst schauen und dann reden wir weiter!«
    Der Film beginnt?
    Noch immer frage ich mich wirklich, wie die Menschen etwas sehen wollen, wo sie doch überhaupt keine guten Augen haben. Sieht man einen Film also doch nicht, sondern hört ihn nur? Anders kann ich es mir nicht erklären.
    Aber dann knallen die farbintensiven Eindrücke aufeinander, das Licht ist wie eine Explosion aller Sinne, von jetzt auf gleich ist der Raum von diesem Film so hell erleuchtet, dass man gar nicht mehr daran glauben kann, dass es eben noch finster gewesen ist.
    Der Film, Koga - Schatten der Welt, handelt von einem jungen Ninja, der sich in einer Region, Kanto, auf den Weg macht, um der beste Ninja und stärkste Gift-Trainer der Welt zu werden. Mit an seiner Seite ist dabei ein Ariados und ein Smogmog, mit denen er die Gifttriade bildet.
    Gemeinsam stellen sie sich einem Feind, dem Wissenschaftler Pyro, der mit seinen Feuer-Pokémon versucht, das südliche Kanto einzunehmen und dabei seiner hübschen Assistentin oftmals sagt, dass sie seine Gattin werden solle.
    Als der Film dann vorbei ist, bin ich fasziniert. Bewegte Bilder und synchrone Stimmen, diese Meisterleistung der Licht- und Farbzusammenspiele, diese ganze Kulisse, die das Kino bildet. Wie weit ist die Welt in den letzten tausend Jahren nur gekommen?
    Das Mädchen und ich sind die letzten Kinobesucher, die das Kino verlassen. Sie verabschiedet sich von mir, nachdem wir noch kurz gesprochen haben und ich ihr von meinen Verfolgern erzähle. Ich weiß nicht, wieso ich das tue, doch ich vertraue ihr und denke, dass sie das spürt, denn sie gibt sich verständlich und sagt kurze Zeit später, sie gehe jetzt nach Hause.
    »Was ist mit dir? Kommst du mit? Meine Mama macht das beste Pokémon-Futter der Stadt! Wie wäre es? Oder hast du schon einen Trainer?«, fragt sie und grinst ein breites Grinsen.
    »Nein, ich habe keinen Trainer. Glaubst du wirklich, es ist gut, wenn ich mit dir gehe? Ich hab dir doch von diesen Männern erzählt, die mich verfolgen, und davon, dass sie jedes Objekt, das ihnen in den Weg kommen sollte, vernichten werden. Ich will dich nicht in Gefahr bringen!«, sorge ich mich um die Sicherheit von ihr und ihrer Mutter.
    Doch sie grinst weiter und antwortet: »Keine Sorge! Ich bin eine gute Trainerin und meine Mutter ist Polizistin! Wir werden uns schon gegen solche Doofmänner zur Wehr setzen können!«
    »Wie ist das so? Trainer sein? Und wie ist es so, Pokémon eines Trainers zu sein?«, will ich wissen und schaue sie fragend an.
    Das Mädchen überlegt kurz und meint dann: »Wir erleben zusammen Abenteuer und wollen gegen die Arenaleiter in der ganzen Hoenn-Region kämpfen! Du musst wissen, dass Koga und Pyro aus dem Film auch seit kurzer Zeit Arenaleiter sind und natürlich nicht gegeneinander kämpfen! Koga ist gerade einmal fünfzehn und schon so stark! Und gegen solche will ich auch antreten, um vielleicht irgendwann selbst Arenaleiterin zu werden. Oder Polizistin wie meine Mutter!«
    »Das klingt großartig! Ich wünschte, ich könnte das auch mal erleben...«, sage ich und werde traurig. Doch ich werde es niemals erleben.
    »Dann werd mein Pokémon! Wir erleben zusammen Abenteuer und auch wenn wir uns erst seit zwei Stunden kennen, sind wir doch jetzt schon total gute Freunde! Was kann es Besseres geben als mit Freunden zu reisen und Abenteuer zu erleben? Bitte sag ja«, fleht sie mich an.
    Und auch wenn ich mir wünsche, dass ich einfach Nein sage, um sie vor dem Abschied und der Trauer des Verlusts zu schützen, kann ich es nicht. Wenn ich das täte, wäre mein Wunsch zu leben doch nur eine Farce. Ich muss die Zeit genießen, die ich genießen kann. Und ich bin mir absolut sicher, dass es mit diesem Mädchen am besten geht.
    Plötzlich wird mir schwindelig.
    Meine Lider flattern und ich kann nicht mehr richtig schweben. Ich merke nur noch beiläufig, dass das Mädchen mich auffängt.
    Ich befinde mich in der Welt, wie sie vor zehntausend Jahren war.
    Ein großer Berg erhebt sich unter mir und stellt das Zeugnis des Todes dar, während eine Höhle im Westen das Zeugnis des Lebens darstellt. Doch hier ist die Macht der Geister, die Kraft der Magie am höchsten.
    Der Zauberer, ein Mann, dessen Alter man nicht bestimmen kann, steht vor mir und fragt mich noch einmal, ob ich mir sicher sei, dieses Opfer wirklich zu bringen.
    »Wenn ich dich verfluche, wirst du nur hundert Tage in tausend Jahren wirklich leben. Du wirst über diese Welt wandeln und keine Heimat kennen, weil du dich nicht mehr an jemanden wenden kannst, der vor tausend Jahren gelebt hat. Nur wenige werden auch in dem Moment existieren, in dem du das nächste Mal erwachst.
    Es ist ein mächtiger und endloser Fluch, der die Natur schützt und auch dich. Doch du musst wissen, dass jeder Fluch auch gebrochen werden kann. So höre meine Worte und vergiss sie niemals! Denn sobald der Riegel entfernt ist, wirst du dich wieder an diese Momente erinnern!
    Mit dem Tage, an dem du auf den Menschen triffst, dessen Herz so rein und klar ist wie die Unschuld eines neuen Lebens, wird es dir möglich sein, den Fluch zu brechen. Doch erst wenn der Wunsch nicht nur dich, sondern auch das Herz des Menschen umschlingt und ein großes Opfer gebracht wird, wirst du wirklich frei sein. Nichts auf dieser Welt wird die Ordnung der Natur dann noch brechen können, selbst wenn du irgendwann diese Welt verlassen wirst. Solange dies jedoch nicht geschehen ist, wird der Fluch andauern und du deine Grenzen am hundertsten Tage spüren.
    Also werde ich nun den Fluch sprechen.


    Kräfte des Wunsches und Kräfte im Traum,
    hört meine Worte und lasst sie gewähren,
    Trios des Wetters, Macht in den Meeren,
    lasst diese Worte nun vom Zaum,
    soll die Natur jedem Angriff wehren,
    hundert Tage in tausend Jahren,
    Kräfte der Zeit und Kräfte im Raum,
    dieses Pokémon soll leben!
    Kräfte des Willens, Macht vom Streben,
    ein Ende des Fluchs soll sich erheben,
    in dem Moment des reinen Herzen’,
    wenn ein Opfer großer Schmerzen
    gebracht wird, um den Fluch zu heben.
    Am Baum des Anfangs geworden zu Stein
    soll dieses Pokémon gefangen sein,
    um niemals die Ordnung der Natur zu bekehren …«


    Ich reiße meine Augen auf.
    Ist das also das Ende des Fluchs?

  • Hallo Dusk,


    wie mir aufgefallen ist, reden die Charaktere ganz schön viel auf einmal. Wenn man es recht betrachtet, passt es zu Jirachi aber gut, weil es so viele Fragen hat, die es auf einmal stellen will. Es hinterfragt die Welt, wie sie sich im Lauf der Zeit verändert hat und was seine eigentliche Aufgabe ist. Und was es selbst möchte und dafür benötigt es auch einfach seinen Freiraum. Das Gespräch mit Simsala war sehr erheiternd und aufklärend, aber es gibt eben auch einige Dinge, die sich erst klären müssen. Er hat es sicher vorausgesehen, dass Jirachi zu dieser Zeit in dieser Gegend erwachen wird und es lässt den Schluss zu, dass es nicht der einzige "Zeitreisende" ist. Gerade mit der Legende als Hintergrund und dem angesprochenen Fluch gegen Ende, dass Jirachi nur alle tausend Jahre einmal erwacht, habe ich das Gefühl, dass sich vieles wiederholen wird. Aber ich interpretiere wohl auch zu viel rein.


    Interessant finde ich die Tatsache, dass es diesen Fluch wohl selbstständig angenommen hat. Wenn man die Macht betrachtet, die es mit den Wünschen inne hat und welche Veränderungen dadurch in der Natur auftreten können, ist das ein großes Opfer, insbesondere, wo Jirachi eigentlich nur den persönlichen Wunsch hat, leben zu dürfen. Mit der geringen Zeit, die es zur Verfügung hat, quasi ein Akt der Unmöglichkeit. Aber ich mag es, wie du solche Dinge wie Vergänglichkeit, den Sinn des Lebens und noch so vieles mehr ansprichst. Diese Gedanken machen die Geschichte besonders.


    Wir lesen uns!


  • »Guten Morgen, Jirachi! Heute können wir uns endlich der Pflanzen-Meisterin von Baumhausen City stellen und den Beerenorden ergattern!«, ruft mich meine Trainerin, die gerade ihre Augen öffnet und nach mir zu suchen beginnt. Ich lebe bereits seit zweiundneunzig Tagen in dieser Zeit und habe nur wenig mehr als eine letzte Woche vor mir. Dann wird der Fluch wieder seinen Lauf nehmen und ich werde zu Stein erstarren, wie es immer passiert ist.
    Am fünfzigsten Tag, nur etwa zwei Wochen nach der Erinnerung an die Worte des Zauberers also, habe ich noch Hoffnungen gehabt. Ich habe nach einem Weg gesucht, wie ich das Opfer bringen kann, um meiner Trainerin, diesem liebenswerten und gutherzigen Mädchen, keine letzten Worte überbringen zu müssen, nicht erklären zu müssen, wieso ich bald weg sein würde und ihr Wunsch, mit mir auf eine Reise zu gehen, wie es Trainer mit ihren Pokémon so machen, niemals in Erfüllung gehen könnte.
    Bereits zehn Tage später, nach sechzig Tagen des Erwachens, habe ich so langsam die Hoffnung verloren. Mir konnte keine Möglichkeit einfallen, um meinen einzigen Wunsch in Erfüllung gehen zu lassen und ich wusste, dass auch sie keinen solchen Wunsch äußern kann, denn die mächtigen Mauern dieses gigantischen Fluchs lassen sich nicht von der Macht der Wünsche niederreißen. Doch tief in meinem Inneren habe ich noch nicht aufgegeben und hoffe darauf, einen Weg zu finden. Denn sie hat es verdient, ich bin es ihr schuldig.
    Nun jedoch bin ich ganz ohne Hoffnung und mein einziger Weg, ihr nicht noch größeres Leid zuzufügen als nötig, besteht darin, so schnell wie möglich aus dieser Wohnung zu verschwinden, mich in Luft aufzulösen und meine Ruhe zu finden. Die Zeit heilt alle Wunden und auch wenn ich nicht vergessen werde, wird es für das Menschenmädchen nur noch eine blasse Erinnerung sein, wenn sie erwachsen ist und weiß, dass ich sie einfach nur aus Böswillen verlassen habe. Denn wenn sie das glaubt, kann ich mir sicher sein, dass sie nicht sich die Schuld gibt, sondern mir, dass sie weitermacht und ihren Träumen, irgendwann eine starke und von allen respektierte Trainerin zu werden, treu bleiben wird. Zumindest ist das mein neuer Wunsch, den ich irgendwie in Erfüllung bringen muss. Und ich werde es schaffen, denn es gibt gar keine andere Möglichkeit. Es sind nur zwei Monate mit ihr gewesen und nur wenige Testkämpfe gegen die Gegner aus der Umgebung, die allesamt gestaunt haben, als sie mich sahen, denn sie kannten ein Pokémon wie mich nicht. Aber musste eine Freundschaft wirklich über Jahre entstehen, um so eine enge Bindung zu ermöglichen? Ich kann und möchte es nicht glauben, denn zum ersten Mal in meinem Leben, das viele Jahrtausende umspannt, spüre ich schon nach kurzer Zeit eine Verbundenheit, wie ich es sonst nur zu meinen Brüdern und Schwestern, den jetzigen Sternen und Planeten, gespürt habe. Das hat nichts mit diesem Wort zu tun, das so viele Menschen in den letzten drei Monaten benutzt haben. “Rein rationalistische Basis einer Freundschaft, die über lange Zeit entstehen muss” klang für mich ebenso unsinnig wie diese ganze moderne Technologie, die ich nicht verstand. Wie kann aus einer kleinen, spitz zulaufenden Metallbüchse Wasserdampf schießen und wieso macht es die Kleidung der Menschen so glatt und flauschig warm? Vor kurzer Zeit wollte ich einmal selbst “bügeln”, die Stoffdecke, unter der ich jeden Abend lag, sollte genauso schön werden wie die Oberteile der Mutter meiner Trainerin.
    Aber irgendwie kam kein Dampf aus dem Bügeleisen und die Stoffdecke hat irgendwann begonnen zu dampfen, bis sie schließlich langsam verbrannt ist. Ich habe mich so erschrocken und voller Trauer der Mutter gestanden, was ich getan habe, die allerdings nur gelacht hat und die verbliebenen Schnipsel der Decke weggeworfen hat. Die Mutter war schon echt cool.
    Und obwohl ich meine Trainerin und ihre Mutter sehr mag und seit vielen Wochen und Monaten keinen Mann in schwarzem Anzug und mit eigenartiger Sonnenbrille und Schmetterlingsnetz gesehen habe, muss ich jetzt Abschied nehmen. Nicht nur wegen der verbleibenden Zeit und dem Erstarren, sondern den Folgen, die mit Sicherheit sonst auf sie zukommen werden. Denn wer verspricht mir, dass diese Männer nicht auftauchen und beide Frauen töten? Ich darf es nicht riskieren und ich will es nicht riskieren. Alle Pokémon und Menschen, die ich in drei Monaten getroffen habe, verdienen es, ihr Leben gesund und munter weiterleben zu können, mit mir an ihrer Seite wird es ihnen aber nicht sicher sein können.
    »Jirachi? Wo bist du?«, fragt sie und schaut weiter. Aber sie wird mich nicht finden, denn ich sitze draußen vor dem Fenster des Schlafzimmers der Mutter auf der stählernen Treppe und bin nur noch nicht weg, weil ich so sehr mit mir selbst kämpfen muss. Wenn ich jetzt losfliege, lasse ich diese Zeit hinter mir und werde weder das Mädchen noch die Frau wiedersehen können und nur noch in meiner Erinnerung von ihnen wissen werde. Es ist das letzte Mal, dass ich sie riechen, hören, sehen und in meiner Umgebung spüren kann. Ich kann einfach nicht so leicht Abschied nehmen, wie ich es gerne würde. Es ist mir nicht möglich, so sehr ich es mir auch wünsche.
    Und dennoch ist jetzt die Zeit zu gehen. Auf Wiedersehen, Amélie und Addie.


    Das Mädchen ruft weiter nach seinem Pokémon, immer lauter, immer verzweifelter kramt sie in den kleinsten Ecken und Ritzen, in denen ihr Jirachi, ihr Partner, wohl niemals hineinpassen könnte. Aber sie hat das Gefühl, dass sie es sonst nicht finden wird, hat die Angst, dass ihr Pokémon verschwunden ist, vielleicht entführt von diesen Männern, von denen das kleine Wunschpokémon gesprochen hat, vielleicht auch einfach nicht mehr interessiert an einer Verbindung zu ihr, vielleicht aber auch einfach auf dem Weg in die Freiheit, weil das schließlich sein ganz normaler Lebensraum ist. Ist es doch, oder nicht? Eigentlich weiß das junge, brünette Mädchen gar nichts von ihrem Freund, denn auch wenn sie sich seit etwa zwei Monaten kennen und jeden Tag miteinander und all ihren anderen Pokémon trainieren, um stärker zu werden und ein Team zu bilden, wie es noch nie zuvor gesehen wurde, hat sie niemals genau gewusst, wo das kleine Pokémon hergekommen ist, bevor sie es in dem Kino gefunden hat. Wo ist seine Heimat?
    Amélie glaubt schon nach wenigen Minuten nicht mehr, dass ihr Pokémon in der Wohnung ist, Tränen tropfen einzeln auf den Boden und lassen aus dem trüben Laminat einen glänzend braunen Spiegel werden, der ihre traurige Miene verschwommen und verzogen wiedergibt, nur schwach ihre eigenen Gefühle dargeben kann schon kurze Zeit später wieder vollkommen trübe wird.
    Sie zieht sich keine Schuhe an, trägt nur ihren Schlafanzug, eine viel zu große, graue Hose und ein riesiges T-Shirt ihres toten Vaters, das noch immer nach ihm riecht, mit Bisasam-Aufdruck und grüne Socken, doch das interessiert sie nicht ansatzweise. Nein, sie hat nur ein Ziel, sie muss ihren Partner finden und wenn es heißt, dass sie kämpfen muss, dann kämpft sie. Sie nimmt ihre drei Pokébälle mit und rennt aus der Wohnung, lässt die Türe zuknallen und steht schon bald auf der Straße, die vom Regen der letzten Tage durchnässt und kalt ist. Was wäre, wenn sie krank werden würde, ist ihr nicht wichtig. Ihr ist auch nicht wichtig, was die Leute von ihr denken, wenn sie die ungünstig angezogene junge Frau sehen und sich dabei noch umso mehr in die dicken Regenjacken kuschelten, während sie den Kopf schütteln und ihr unfreundliche Worte hinterherrufen.
    Amélie rennt schneller als sie in der Schule je gerannt ist, schaut in die dunklen Gassen und die breiten Boulevards, die von Autos, Motorrädern und Fahrrädern nur so übersät sind und landet schlussendlich am Kino. Sie ist am Kino? Wie kann das sein? Sie ist in die andere Richtung gelaufen und auch sonst ist es nicht ihr Plan gewesen, hier zu landen. Aber etwas scheint sie hier zu rufen, eine tiefe, kräftige Stimme, die nicht erklingt, sondern einfach in ihrem Kopf wiederhallt.
    Aus dem Schatten tritt ein gelbes Wesen heraus, ein riesiger Krummlöffel am Rücken fixiert und die Füße einen Meter über dem Boden. Ist das ein Simsala? Es sieht so aus, aber durch diese Schwebe und den großen Krummlöffel wirkt es doch ganz anders. Die Menschen, die hier vorbeigehen, scheinen sich gar nicht für das Simsala zu interessieren, es schwebt sogar einfach durch die Menschen durch und betrachtet sie für keinen Moment. Ist es Freund oder Feind?
    »Mein Name lautet Kami und ich war einst der Schüler eines Mannes, den dein Pokémon sehr gut kannte. Du musst wissen, dass Jirachi ein besonderes Pokémon ist, dessen Grenzen weit hinter jenen normaler Pokémon liegen, denn seine Macht liegt in der Welt der Wünsche und hat somit fast keine Grenzen, die nicht auf irgendeine Art und Weise umgeändert werden können. Doch es ist das einzige und letzte Individuum seiner Art und deswegen durch einen Fluch, der fernab jedes Menschen und jedes Pokémon ausgesprochen wurde, geschützt, der weder durch Zeit noch durch einen einfachen Wunsch gebrochen werden kann. Dieser Schutz bestand darin, dass es auf keinen Menschen geprägt wird, wenn nicht die Zeit dafür gekommen ist und der richtige, auserwählte Mensch ihm begegnet. Ich hatte nicht gedacht, dass es bereits nach zehntausend Jahren passiert, aber es ist geschehen und der Schutz ist obsolet. Du bist der auserwählte Mensch, der den Fluch brechen kann und genau deswegen ist Jirachi jetzt erst verschwunden. Hatte es damals höchstens ein paar Pokémon und nur wenigen Menschen für längere Zeit Gesellschaft geleistet, hat er mit dir gefunden, was Jirachi finden, wenn sie den richtigen Menschen gefunden haben. Eine familiäre Bande, ewige Freundschaft und am wichtigsten natürlich: der Wunsch, dass es dem Menschen gut geht. Bereits seit vielen Wochen sucht es nach einer Möglichkeit, um den Fluch zu brechen, aber es hat die Hoffnung verloren und wollte dir kein Leid zufügen. Du bist hier an diesem Kino, weil ich euch einst aufeinandertreffen ließ. Dein Herz ist rein und deine Seele ist frei von dem Wunsch nach Macht, du suchst Freude und Abenteuer und würdest deinen Partnern niemals mehr abverlangen als dir selbst. Das macht dich zu einem Menschen, der es verdient hat, bei Jirachi zu sein und das macht dich zu dem, was du sein musst, um den Fluch zu lösen. Wir haben allerdings nicht mehr viel Zeit, denn Jirachi, das sich am Pyroberg, an der weltlichen Manifestation des Lebensendes, befindet, wird von einem Wesen verfolgt, das mein früherer Meister damals zu einem Wesen gemacht hat, das wir als Darkrai erkennen. Nur ist dieses mächtiger und niederträchtiger und deshalb auf einer Insel eingesperrt. Dennoch ist seine Kraft so groß, dass es Menschen manipulieren konnte, die nun nach seinen Idealen streben und es befreien wollen. Das dürfen wir nicht zulassen. Wirst du also mit mir kommen und deinem Partner helfen? Damit meine ich: Werdet ihr, du und deine Pokémon, mit mir kommen, auch wenn es sein kann, dass es unser aller Leben kostet?«
    Das Mädchen braucht keinen Augenblick, um zu antworten, und nickt. »Egal, was es mich kostet, Jirachi noch einmal zu sehen, es wäre es mir wert. Das gilt für jedes meiner Pokémon, denn wir sind Freunde, wir sind eine Einheit. Aber dir war diese Antwort doch klar, oder nicht?«
    Auch Kami nickt und erwidert: »Wärst du nicht das auserwählte Menschenkind, würde ich nicht mit dir sprechen. Du hast eine seltene Gabe, die weit über ein reines Herz hinausgeht. Du trägst die Gabe des Wunsches in dir und das macht dich von Natur aus zu der Person, für die Jirachi bestimmt ist.«
    Das Simsala schwebt weiter und deutet der Trainerin an, ihm zu folgen, was diese auch gleich tut.
    »Gabe des Wunsches?«, fragt das Mädchen, während sie versucht, mit dem Psycho-Pokémon Schritt zu halten.
    »In dieser Welt gibt es nicht nur Menschen und Pokémon, musst du wissen. Wir leben in einer Welt, in der jeder Mensch etwas Besonderes ist. Manche sind besonders sportlich, andere besonders intelligent, andere sind wirklich kreativ und wieder andere scheinen alles in sich zu vereinen, was gut ist. Diese Gaben jedoch sind ein wenig anders als normale Eigenschaften eines Menschen, denn nur Wenige von euch können diese Gaben ausprägen. Was die Gründe für diese Gaben sind, ist schwer zu erklären, grundsätzlich ist die Beherrschung dieser Gabe aber mit großer Willenskraft und Willensstärke verbunden, die in dir wahrlich meisterlich ausgeprägt sind. Diese Gaben ermöglichen besondere Kräfte, die sich im natürlichen Zusammenspiel mit den Pokémon wieder und wieder zeigen. Meist sind Gabenträger geborene Trainer, die sich blind mit ihren Pokémon verstehen, ein ganz besonderes Band zu ihren Pokémon entwickeln, da sie sie auf eine besondere Art und Weise verstehen, wie es sonst nur andere Pokémon können. Das macht euch zu mächtigen Personen, die manchmal eine direkte Verbindung zu legendären und mysteriösen Pokémon haben. Bei dir als Gabenträgerin des Wunsches ist es Jirachi, das mysteriöse Pokémon des Wunsches. Übrigens sind wir da.«
    Vor einem Augenblick sind Simsala und das Mädchen noch in Seegrasulb City gewesen, jetzt stehen sie vor dem Tor des Pyrobergs in der Nähe einiger Männer in schwarzen Anzügen.
    Kami führt fort: »Das sind die Verbrecher, die unter dem Einfluss des mächtigen Darkrai stehen. Du musst sie besiegen, bevor du Jirachi wiedersehen kannst.«
    Sie versteht und zückt einen Pokéball aus der Halterung an der Hose, die sie im letzten Moment von zu Hause mitgenommen hat. In diesem Moment ist sie sehr dankbar, dass sie daran gedacht hat, und ruft ihr Jungglut aus dem Pokéball.
    Obwohl oder wohl gerade weil sie den Überraschungsmoment nutzen will, entdecken sie die Männer in den Anzügen sofort und rufen ihre Pokémon hervor. Es sind zwei Fiffyen und ein Magnayen, die laut bellen und brüllen.
    »Jungglut, Feuersäulen!«, bittet sie ihr Pokémon und schaut dabei zu, wie aus dem Boden des Pyroberg Geysire aus Feuer schießen und die Unlicht-Pokémon schwer verletzen. Das Magnayen übersteht den Angriff und beißt sich gleich in den Arm des Feuer-Kampf-Vogels, der mit seinem Schnabel auf das Gesicht des Hundes einschlägt und dieses damit auch besiegt.
    Zusammen laufen die Trainerin, das Simsala und das Jungglut an den Hexen und Sehern, den Psycho-Meistern und Feen-Kindern des Pyrobergs vorbei und konzentrieren sich darauf, zum Ziel zu kommen, obwohl ihnen so mancher Trainer hinterherruft und zu einem Kampf herausfordert. Nun ist wirklich nicht die Zeit für einen freundschaftlichen Kampf, bei dem sie nicht nur Geld verlieren kann, sondern auch einen Partner und Freund für jede Situation, ihr Jirachi.
    »Hier geht es lang!«, ruft das Simsala dem Mädchen hinterher und läuft durch einen versteckten Ausgang des Pyrobergs, den sie selbst übersehen hätte.
    Das Mädchen ist ein wenig verwundert und fragt ihren mysteriösen Begleiter: »Woher wusstest du, dass wir hier lang müssen? Ich dachte, der Fluch des Zauberers wurde “fernab jedes Menschen und jedes Pokemon gesprochen”. Warst du also doch dabei?«
    Kami scheint kurze Zeit zu grübeln und antwortet dann: »Ja, ich war dabei. Komm, wir müssen uns beeilen, es sind nur noch wenige Stunde bis zum Augenblick, an dem genau der hundertste Tag für Jirachi endet!«
    Sie laufen immer schneller und die Trainerin fällt beinahe hin, als sie über eine Wurzel eines alten Baumes stolpert, doch sie kann sich gerade noch so halten und läuft ungehindert weiter, bis sie schließlich an einem alten Schrein ankommt, der so alt wirkt, dass selbst frühe Kulturen zu jung für das Errichten sein mussten.
    »Das hier ist der Schrein der Zauberer, an dem Jirachi verflucht wurde. Im Inneren wirst du einen letzten Gegner finden, der Jirachi bedroht. Ich würde dir helfen, wenn ich dürfte, aber das musst du selbst tun, da der Fluch sonst niemals aufgehoben werden kann«, erklärt der Psycho-Meister und bleibt stehen, während das Mädchen nickt und weitergeht.
    Sie tritt in das Innere des uralten Gebäudes und sieht einen Mann mit schwarzen Haaren und grauem Anzug. Ist das also der Anführer der Männer in den Anzügen? Er sieht stärker aus als die drei Männer vom Eingang, aber das darf sie nicht hindern.
    Der Mann dreht sich zu ihr um und lacht, das Jirachi in seinem einen Arm, einen Pokéball in der Hand des anderen Arms, den er sogleich in die Luft wirft. Ein Zwirrfinst erscheint aus dem blauen Licht und öffnet sein goldenes Maul, das in Hoenn auch als Seelenfänger bekannt ist.
    »Jungglut, Flammenwurf!«, befiehlt sie ihrem Pokémon und sieht, wie das große Maul die Attacke einfach einsaugt, um kurz darauf einen Spukball zurück zu schleudern. Das Jungglut wird getroffen und wirkt schon nach diesem Angriff extrem geschwächt.
    Es folgt ein weiterer Spukball, den das Jungglut nicht überstehen wird, wenn es getroffen wird. Die Trainerin darf das nicht zulassen und rennt vor den Körper des etwas kleineren Feuer-Pokémon, der Spukball trifft sie in der Magengrube und lässt sie laut aufhusten. Ihr wird binnen weniger Sekunden schlecht, doch sie hält sich und hält noch einen weiteren Spukball aus.
    »Du wirst meine Freunde niemals unterjochen können!«, ruft das Mädchen dem fremden Mann entgegen und das Jirachi schaut die Trainerin besorgt an.


    Ich sehe sie. So sehr habe ich gehofft, dass sie glaubt, dass ich sie einfach verlassen wollte, als ich nicht mehr zu finden war. Doch dabei habe ich nicht daran gedacht, dass uns mehr verbindet als bloße Bekanntschaft. Wir sind Freunde und wir verstehen uns auch ohne Worte des Anderen. Wie kann ich da erwarten, dass etwas anders läuft?
    Alle Kraft wird gebündelt und von meiner Position aus greife ich das Zwirrfinst mit einer Lichtkanone an. Ich befreie mich gleich darauf aus dem Arm des perplexen Manns und lasse ihn und sein Pokémon dort, wo sie sind, eile zu meiner Trainerin und schaue sie besorgt an.
    »Soll ich deine Wunden heilen? Es ist genug Zeit, um das zu tun! Lass mich dir helfen«, spreche ich sie an und berühre sie mit einem Arm, will ihr irgendwie Mut machen.
    Doch sie schaut mich nur traurig an und sagt: »Jirachi. Ich wünsche mir, dass du frei bist.«
    Was wünscht sie sich? Dass ich frei bin? Weiß sie denn nicht, dass niemand diesen Fluch mit einem Wunsch brechen kann? »Man kann diesen Fluch nicht durch einen Wunsch brechen. Es tut mir leid, Amélie. Es tut mir wirklich, wirklich leid.«
    »Dann wünsche ich mir, dass der Fluch nun auf mir lastet und nicht auf dir. Du kannst für immer leben und dann habe ich etwas von dir. Ich werde nicht die gleichen Schmerzen des Verlusts durchmachen müssen wie du«, antwortet sie auf meine Aussage und schaut mich mit einem lächelnden Gesichtsausdruck an.
    Ich will sie aufhalten, den Wunsch soll sie zurücknehmen, doch ich kann mich nicht dagegen wehren und so geschieht es. Die 2400. Stunde seit meinem Erwachen endet und das Mädchen, Amélie, Amélie Garion, erstarrt zu Stein.
    Jungglut und ich schauen die Statue dieses Mädchens an und mir rollte eine kleine Träne über die Wange. Hinter mir erhebt sich der Mann mit seinem Zwirrfinst und will mich gerade angreifen, als ich einen starken Wind an meiner Seite spüre und Kami auftaucht.
    »Es tut mir leid, Jirachi. Ich habe gelogen.«
    »Womit hast du gelogen, Kami? Kann ich sie irgendwie wiederbeleben?«, frage ich das Simsala, doch dieses schüttelt den Kopf.
    »Ich bin nicht Kami«, antwortet das Simsala und ändert seine Form.
    Eine wirklich menschliche Gestalt tritt hervor, ein Gesicht und auch ein Körper, die jung wirken, gerade einmal wie Mitte der Zwanziger, die doch durch die grauen Haare sehr viel älter aussieht. Sofort erinnere ich mich an das Gesicht des Zauberers und ich flüstere: »Ihr seid der Zauberer! Wie könnt ihr noch immer leben?«
    »Diese Frage ist nicht leicht zu beantworten, mein Freund. Doch denke an meine Worte und überlege dir, ob du die Frage noch immer stellen musst, wenn es darum geht, ob du sie irgendwie wiederbeleben kannst. Sie hat ein Opfer für dich gebracht, das größer nicht sein könnte«, antwortet der Zauberer mir und lässt das Zwirrfinst und seinen Trainer verschwinden. »Sie sind nur in der Urzeithöhle, keine Sorge. Dort werden sie von dem Einfluss Darkrais befreit werden und vergessen, was sie getan haben.«
    Der Fluch kann gebrochen werden, wenn sich der dir bestimmte Mensch für dich opfert, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, schießt es mir durch den Kopf und ich erinnere mich erneut an die Worte des Zauberers. Sie hat ein Opfer gebracht. Für mich.
    Ich konzentriere meine Energie auf die Statue meiner Trainerin und wünsche mir selbst etwas. Ich wünsche mir, dass sie vom Fluch befreit wird, dass wir alle, Jungglut, sie und ich und alle anderen späteren Pokémon, zusammen um die Welt reisen und stärker werden. Ja, das wünsche ich mir …


    Wenige Wochen später …
    »Bist du dir sicher, dass du jetzt schon auf deine Reise möchtest, Amélie? Du bist doch erst vor kurzer Zeit auf einer Reise gewesen und hast dein Jirachi gerettet!«, meint Amélies Mutter zu ihrer Tochter und lässt mich schmunzeln. Obwohl so viel passiert ist, möchte sie ihre Tochter trotzdem nicht missen. Oder gerade deswegen nicht? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, wie dankbar ich bin, dass ich nicht wieder zu Stein erstarrt bin.
    Unser neues Ziel sieht außerdem etwas anders aus. Wir werden keine normalen Orden sammeln und uns darum bemühen, den Champ zu besiegen. Nein, wir werden alles daran setzen, andere Gabenträger zu finden und ihnen zu helfen, ihre Gabe zu kontrollieren. Dank dem Zauberer konnten wir die Gabe von Amélie meistern, also werden wir anderen dabei helfen.
    »Ja, Mama, ich bin mir sicher! Ich bin jetzt schon fünfzehn Jahre alt. Jeder Trainer fängt mit zehn Jahren an. Es wird langsam auch für mich Zeit!«, meint sie zu ihrer Mutter.
    Die Mutter seufzt und meint resigniert: »Wir streiten schon seit drei Wochen darüber, aber ich kann dich ja verstehen. Aber vergiss mich nicht, ich hab doch nur euch. Viel Erfolg, Amélie. Mach uns stolz!«


    Fünfunddreißig Jahre später …
    »Hast du das von deinen beiden Töchtern gehört, Cora?«, spricht Amélie, die Anführerin des Konzils, Cora, die blauhaarige Frau, an.
    Die Frau, die nicht älter als Dreißig aussieht, antwortet fröhlich: »Ja, ich kann kaum glauben, dass sie sich inzwischen so sehr gemausert haben. Es ist schade, dass ich nur aus der Ferne dabei zuschauen kann, wie sie erwachsen werden und sich allein gegen die Scharen dieses Monsters G-Cis stellen mussten. Aber ich weiß, dass sie jetzt in Sicherheit sind. Ich wünsche es mir. So geht es dir mit deiner Tochter Zoé wohl auch, oder nicht?«
    »Du weißt ja, so geht es mir auch mit Beiden. Zoé kämpft wohl gerade gegen eine Organisation namens Team Discordia. Mich macht es traurig, dass sie mich nur als eine andere Agentin kennt und nicht als ihre Mutter. Und mit Maia geht es mir nicht anders. Aber das war unser Versprechen dem Zaube… Direktor gegenüber, als wir uns für diese Aufgabe gemeldet haben. Nur so konnten sie in Sicherheit aufwachsen und ihre eigenen Stärken entwickeln«, antwortet Amélie der Frau und schaut mich an.
    »Aber das soll nicht unser letzter Auftritt in ihren Leben sein.«


    ~ Ende




    Damit ist diese Geschichte vorbei. o/ Ich hoffe, es konnten ein paar Leser diese Geschichte genießen, die ich Mitte 2014 schrieb.

  • Hallo Dusk,


    auf das Finale hab ich mich schon gefreut und ich find's gut zu sehen, dass das eingetroffen ist, was ich erwartet habe. Nämlich dass der Fluch schlussendlich gebrochen wird, indem die richtige Person einen Wunsch äußert. Davon abgesehen fand ich aber schon den Aufbau bis dahin gut gelöst. Dass Jirachi wieder Zweifel bekommt, da es von seinem bevorstehenden Schlaf wusste, ist nachvollziehbar und gleichzeitig egoistisch, wo es doch so eine schöne Zeit mit jemand anderem verbringen konnte. Wirklich einen Vorwurf kann man ihm allerdings auch nicht machen, da es durch seine letzten Erwachen schon mehr oder weniger darauf vorbereitet wurde, sich nicht zu sehr an die Welt zu binden und da wollte Jirachi wohl auch Amélie nicht zu viel Wehmut bereiten.
    Die wichtigste Szene ist hier natürlich die eine mit dem Wunsch, dass Jirachi schließlich von seinem Fluch befreit wird. Das Prinzip der Gegenleistung wirkte natürlich auch da und auch wenn im Moment des Wunsches schon klar war, was passieren wird, ist es doch auf seine Art herzzerreißend. Die anschließende Wiederbelebung zeigt hier eigentlich hauptsächlich das starke Band zwischen den beiden, das sich in dieser kurzen Zeit aufgebaut und mich würde gar nicht wundern, wenn die Gabe auch dafür zuständig war.
    Apropos: Die Erwähnung der Gaben hat mich ja schon überrascht und dass sie gegen Ende sogar noch in die anderen Geschichten münden, zeigt erst mal, wie stark sie alle verwoben sind. Ich erinnere mich, dass du mal etwas in die Richtung gesagt hast, aber es nun selbst zu lesen ist doch etwas ganz anderes, wo Jirachis Traum doch einen ganz anderen Ton einschlägt als beispielsweise Miranda. Aber es passt und schafft schließlich auch für einen weiteren Charakter eine interessante Hintergrundgeschichte in dieser verwobenen Welt.


    Das Lesen hat Spaß gemacht. Danke!