Versucht die siebte Generation ein älteres Publikum anzusprechen? 40
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Pokémon Sonne und Mond wirken kindlicher denn je. (17) 43%
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Sonne und Mond sprechen klar reifere Themen an, die auf eine ältere Zielgruppe gerichtet sind. (14) 35%
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Die siebte Generation thematisiert einige heikle Dinge, was aber wahrscheinlich einfach nur Zufall ist. Es hat sich an der Ausrichtung der Zielgruppe nichts geändert. (9) 23%
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Als Fan der ersten Stunde befinden sich mittlerweile eine beachtliche Anzahl von Pokémon-Spielen in meiner Sammlung, und als ebenso großer Rollenspiel-Fan betrachte ich derartige Spiele auch gerne mal aus einer etwas eigenen, vielleicht sogar etwas exzentrischen Perspektive. Ich kam nicht drum herum festzustellen, dass die Enwickler mit der siebten Generation - zumindest aus meinem Blickwinkel - einen etwas anderen Weg eingeschlagen haben.
Es beginnt sehr unschuldig, eigentlich kaum sonderlich anders, als man es aus der Vergangenheit gewohnt ist. Der Spieler startet als Frischling im Startgebiet, lernt sehr schnell die ersten wichtigen Personen kennen und kann dann mit dem ersten Pokémon an seiner Seite endlich losziehen. Unterbrochen wird das Geschehen hin und wieder durch im Vergleich zum bisher Gesehenen deutlich aufwendig animierte, intensive Zwischensequenzen, die schon zu Beginn dem Spiel deutlich mehr Leben einhauchen, als es den Vorgängern überhaupt möglich war. Erste Ansätze davon hat man auch bereits in der sechsten Generation gesehen. Hier aber, in Sonne und Mond, spart man sich das Beste nicht zum Schluss auf, sondern geht gleich in die Vollen und überrascht auch im weiteren Verlauf der Geschichte immer wieder durch beeindruckende Zwischensequenzen. Es ist deutlich mehr, als man bisher gewohnt ist. Es scheint, man legt plötzlich mehr Wert auf "packendes" Storytelling, wovon man in der Vergangenheit nur wenig zu Gesicht bekommen hat und wenig spektakulär wirkte. Die Art, wie Begebenheiten durch diese Sequenzen veranschaulicht werden, wirkt reifer, erwachsener, sogar düsterer. Der Protagonist gerät sehr früh im Spiel wirklich in Gefahr, als er Wölkchen auf der Brücke zu Hilfe eilt - er wird angegriffen. Etwas Vergleichbares kann ich im Entferntesten nur mit Professor Birks kleine Auseinandersetzung mit einem Fiffyen zu Beginn von Saphir/Rubin gleichsetzen, was Welten entfernt ist von dem - ich nenne es mal so - Nervenkitzel auf der Brücke in Sonne/Mond. Dem noch nicht genug: Menschen, sogar eine Bezugsperson, geraten im Verlauf der Geschichte nicht nur in Gefahr, sie nehmen sogar ernsthaften Schaden, berücksichtigt man Samanthas Schicksal.
In der Vergangenheit gab es immer wieder Spekulation darüber. Mit der siebten Generation sind wir nun endlich schlauer: Es geht natürlich um Leben und Überleben, oder mit anderem Wort: Nahrungskette; ein Thema, was vielleicht so Manchen im wahrsten Sinne auf den Magen schlägt. Menschen ernähren sich von Pokémon, Pokémon ernähren sich von Menschen (unter anderem Traumfresser, siehe Geister-Einträge oder Hypnos Eintrag) und Pokémon natürlich auch von anderen Pokémon. Nur der Stärkerer überlebt - so ist nun mal der Lauf der Natur. Mit zunehmender Stundenzahl war ich doch sehr, sehr, sehr überrascht, dass die Entwickler in Sonne/Mond scheinbar überhaupt keinen Hehl mehr daraus machen, die Angelegenheit schön zu reden. Im Gegenteil: Man brennt es dem Spieler quasi auf die Netzhaut. Ein nicht zu unterschätzender Anteil der Pokédex-Einträge handelt über das Jagd-, Überlebens- und Fressverhalten.
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Insbesondere das Meer ist eine Bestie. Quasi jeder dritte Pokédex-Eintrag, der das Leben am oder im Wasser anschneidet, thematisiert die alte Laier von der Nahrungskette, nämlich von fressen und gefressen werden. Es wird nicht mehr durch die blumige Brille geschaut, sondern Recht gesprochen; vom Recht des Stärkeren.
Hier im Forum kursiert ein Thema, das sich mit dem/den Rivalen auseinandersetzt. Insbesondere geht es darum, ob das Bild des Gegenspielers nicht mittlerweile zu verschönt dargestellt wird. Tatsächlich wandelte sich der Rivale im Laufe der Zeit mehr und mehr zum helfenden Weggefährten, der dem Spieler mit Tipps und Gegenständen zur Seite steht. Mit Blau und Silber hatte der Spieler noch das klasische Feindbild vor Augen: gemein, rücksichtslos, angeberisch, richtige Kotzbrocken eben. Das Bild von Gut und Böse war klar differenziert. Danach ging es stetig in Richtung einer freundschaftlichen Rivalität. In Schwarz/Weiß stoßen wir auf mit N auf einen Sonderfall, doch betrachte ich diese Figur nicht als Rivalen, denn fehlt ihm das typische Konkurrenzdenken. Er schreibt seine eigene Geschichte und sucht Antworten. Anders dagegen Gladio, aus Sonne/Mond. Hier begegnen wir einer besonderen Art von Gegenspieler, nämlich einem Antihelden. Er ist ein tiefgreifender, scheinbar kaltherziger Charakter. Er ist ein Einzelgänger, der sich gegen die Art, wie die Welt funktioniert, auflehnt. Er baut auf seine eigene Stärke, stemmt sich gegen den Lauf der Dinge, den reißenden Fluss, die Art und Weise wie die Gesellschaft funktioniert). Seine Ideale erlauben ihm nicht, Schwäche zu zeigen, doch ist er zur Stelle, wenn Schwache hilfe brauchen, selbst wenn er dabei scheitert. Er ist kein Held, will es auch nicht sein, sondern nur seine Ziele verwirkliche, die einem höheren Zweck dienen. Dafür ist er quasi bereit, über Leichen zu gehen und schließt sich dazu sogar Team Skull an, um ans Ziel zu kommen. Dabei konkurriert er wiederholt mit dem Spieler, um seine eigene Stärke zu testen und unter Beweis zu stellen. Es ist nicht immer leicht, ob man Antihelden hassen oder lieben soll. Sie sind sehr komplex, was es schwer macht, sie einer Seite - Gut oder Böse - zuzuordnen. Dadurch wirken sie weniger kindgerecht, weder schwarz noch weiß. Es ist ihre Art zu leben, Geschichte zu schreiben.
Wo wir beim nächsten Thema sind, das ich mit einem Zitat beginnen möchte: "Geschichte wird vom Sieger geschrieben." Die nachfolgenden Bilder sprechen Bände.:
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Ja, Geschichte wird vom Sieger geschrieben. Leider ist es nicht immer der Held in schillernder Rüstung, dem das gelingt. In der Vergangenheit hat der Pokémon-Spieler schon oft Rückschläge erlebt; Momente, in dem es ihm einfach nicht gelang, das Licht zum Siege zu verhelfen. Trotzdem hat man es irgendwann und irgendwie dann doch noch geschafft. Anders hier in Sonne/Mond. Zum wirklich allerersten Mal hat tatsächlich die Gegenseite einen Sieg errungen, der nicht mehr rückgängig zu machen ist. Po'u liegt in Trümmern und Anarchie hat Recht und Ordnung vertrieben. Ein düsteres Kapitel in der Geschichte von Pokémon.
Bei Team Skull handelt es sich um eine ganz besondere Art von Verbrecherorganisation. Sie ist mit keiner bisher aufgetretenen Vereinigung gleichzusetzen. Es sind Kleinkriminelle, eine Straßengang, ohne wirkliche Struktur und Ordnung, auch mit einem Mann, einer Führung an der Spitze. Sie lehnen sich gegen das System auf und begehren Chaos und Anarchie. Ihr Tun scheint keinem höheren Zweck, sondern nur dem eigenen Vorteil zu dienen: ein Leben ohne Zwang und Regeln. Essen, trinken und insbesondere Spaß haben. In ihren Reihen befinden sich junge Erwachsene und Teenager; eine typische Altersgruppe, die allmählich ihre eigene Meinung bilden, das System hinterfragen oder sich sogar dagegen auflehnen. Die Art, wie sie sich präsentieren, ihr ganzes Auftreten, ist anmaßend, aufrührerisch und respektlos. Letzteres ist ganz wichtig: Sie respektieren niemanden. Keine Obrigkeit, keine Unschuldigen, wahrscheinlich nicht mal die Kameraden in den eigenen Reihen. Gefördert wird dieses Treiben von ihrem Geldgeber, der Æther-Fondation. Hier stoßen wir auf das nächste dunkle Kapitel in der Geschichte von Pokémon: Korruption. Intrige. Verrat. Unter dem Deckmantel, Pokémon in Not Hilfe zu leisten, widmet sich die Führungsriege dieser Organisation ganz eigenen, perfiden Plänen, wovon nur wenige Mitglieder innerhalb der Æther-Fondation Wissen besitzen. Aus niederen Motiven begeht man Verrat unter seinen eigenen Arbeitskollegen, seinen Freunden. Vergleichbares hatte man mit Team Plasma in Schwarz/Weiß bereits erlebt, doch wirkt es hier bei näherer Betrachtung viel realer. Team Plasma macht kein Geheimnis daraus, was ihre Ziele betreffen, und aus gewisser Sicht der Dinge tun sie auch das, was ihr Kredo ihnen abverlangt. Der tiefere Sinn hinter diesem zweifelhaften Akt der Nächstenliebe erfährt man ganz zum Schluss, nämlich Freiheit für alle Pokémon, nur nicht von Team Plasma. In Sonne/Mond aber wird innerhalb der Organisation Verrat an den eigenen Mitgliedern und dem Rest der Welt begangen. Was die Æther-Fondation betrifft, gibt es nur Verlierer, außer den oberen Zehntausend. In ihren Reihen befinden sich keine Helfershelfer, keine Rüpel, sondern Personal, Angestellte. Sie arbeiten im zweifelhaften Glauben, das Richtige zu tun, ohne das Damoklesschwert über ihren Köpfen zu bemerken, das im Laufe der Geschichte die Realität wie ein Fallbeil rücksichtslos vom Traum trennt. Ich wiederhole mich: düstere Kapitel in der Pokémon-Welt.
Damit enden meine Beispiele, die untermauern, dass Pokémon scheinbar ein neues, reiferes Publikum zu erreichen versucht. Es werden düstere und heikle Themen in der sonst so farbenfrohen Friede-Freude-Eierkuchen angesprochen. Gleichzeitig versucht man sich an besserem Storytelling, anspruchsvollen Sequenzen und tiefgründigeren Charakteren. Es wird sich distanziert von dem klassischen Feindbild, sondern rückt das größere Ganze mehr in den Vordergrund; wie ticken die Figuren eigentlich und warum. Es gibt für den Spieler immer weitere Möglichkeiten, sich zu individualisieren (Charaktermodell, Frisur, Kleidung, Trainerstil), was gerade für den erfahrenen Rollenspieler ein absolutes Muss ist. Es sind Indikatoren, die den Verdacht nahe liegen, dass man an den kürzlichen Erfolg (Vorsicht: eigene Meinung!) von Pokémon Go anzuknüpfen versucht. Man hat zu einem immensen Teil ein Publikum erreicht, deren Spieleravatar schon lange Zeit keinen Pokéball mehr in Händen gehalten hat; Menschen, die möglicherweise mit Pokémon einst großgeworden sind und jetzt nicht nur wieder zurückgefunden haben, sondern auch eine viel reifere Spielwelt wiederfinden. Betrachtet man die Verkaufszahlen von Sonne/Mond, die alles bisher Dagewesene sprengen, scheint dieser Verdacht nicht ganz unbegründet. Man lockt mit Aspekten des Spiels, die man kennt und schätzt, ja vielleicht sogar ansatzweise durch ein altes Spin-Off Melancholie auslösen (Pokémon Snap). Ein persönlicher Aspekt ist in diese These allerdings nur sehr schwer einzubauen, möchte ich hier aber nicht unberücksichtigt lassen: Während man sich in "Pokémon Generations" von der durch den Anime bekannten Kommunikation der Pokémon (das Aufsagen des eigenen Namen) distanziert hat, was bislang in allen Spielen stark der Fall war, hat man mit Sonne/Mond den Weg des klassischen Pokémon-Anime eingeschlagen.
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Ein Schritt zurück? Nach vorne? Ich weiß es nicht und kann es nur schwer einordnen.
So, entschuldigt meine endlosen Anekdoten. Jetzt seid ihr gefragt. Befindet sich Pokémon-Hauptspiele im Umbruch? Wird Pokémon erwachsen? Wie geht es weiter?