Kapitel 12: Lied der Erneuerung
Durch den Innenhof der Helden klang das schneidend metallische Geräusch eines Übungskampfs, ausgelöst von magischem Stahl auf stumpfer Bronze. Neben dem Duellplatz saß Balaen auf dem Boden, die Augen von einem Stoffstreifen verbunden. Die Farbe seiner Kleidung verschwamm mit den Schatten, die das umgebende Schlossgebäude gegen die wandernde Sonne warf. Bei ihm stand Virri und beobachtete konzentriert Balaen und Leo, die gegeneinander fochten. Auf Anweisung des kleinen Kriegers führte der Hylianische Ritter ohne Krafthandschuhe das ungeschärfte Bronzeschwert zu einem Hieb gegen den blau gekleideten Kontrahenten rechts vor ihm. Der Ritter aus den Wolken, der unter der grünen Tunika zur Übung kein Kettenhemd trug, blockte instinktiv gegen bloße Luft. Längst hätte Leo getroffen, als endlich auch Balaens eigentlich von ihm anvisierter Klon mit Verspätung reagierte und das Schwert der Vier mit dem blauen Zierstein hob.
„Jetzt ein Gegenangriff!“, rief Virri aus dem Abseits.
Zusammen mit seinem Abbild in Rot, mit dem zu kämpfen Balaen bereits einstudiert hatte, sprang das Original vor, um Leo im Doppel zu attackieren – doch die Kopie war zu langsam. Der jüngere Ritter wischte den Schlag seines Gegenübers zur Seite weg, setzte vor zu dessen Klon und berührte mit der Bronzeklinge seinen Bauch. Damit hatte er ihn symbolisch ausgeschaltet. Sogleich wirbelte Leo zu dem Ritter in Blau herum, wich dann aber zurück, weil dieser wie blind vor sich eindrosch.
„Du musst mehr in den anderen Köpfen denken, damit du dich unabhängig bewegen kannst!“, mahnte Virri den ältesten Helden von Ferne.
Doch der achtete seiner nicht. Als das Original von der Seite auf Leo losging, blockte der jüngere mit einer einfachen Parade. Ohne die Doppelgänger noch weiter einzubeziehen – was der eigentliche Zweck der Übung war –, verwickelten die beiden Ritter sich gegenseitig in ein Gefecht. Gebannt wartete Virri darauf, dass Balaen sein taktisches Geschick spielen ließ und Leo, während er ihn von vorn ablenkte, durch die Klone von hinten angriff. Doch diese Finte blieb aus. Der Hylianische Ritter, der damit eigentlich auch rechnete, ließ einen weiteren Streich nach links von seiner Waffe abgleiten und rammte seinen Gegner überraschend mit der rechten Schulter, sodass dieser von ihm abließ. Während Balaen sich noch um sein Gleichgewicht bemühte, stieß der jüngere Ritter einen wilden Kampfschrei aus und fiel über die untätig dabeistehenden Abbilder her. So schlecht Balaens motorische Koordination mit seinen beiden künstlichen Körpern auch war, schaffte er es tatsächlich, beide gleichzeitig mit einer Vorwärtsrolle ausweichen zu lassen.
„Wehrt euch, ihr miesen Hohlköpfe!“, brüllte Leo ungehalten und setzte dem Fliehenden in Blau nach, schlug nach ihm – als dieser plötzlich mit ungerührter Miene zu ihm herumfuhr und die gegnerische Klinge mit dem Schwert der Vier abfing. Auch wenn der Held aus den Wolken in die Blockade nicht genug Spannung legte, sie daher einfach niedergeschmettert wurde, war es ihm diesmal immerhin gelungen, sich selbst und seinen rotgewandeten Doppelgänger zugleich nicht zu bewegen. Die Waffe gesenkt, ging Leo zufrieden grinsend auf Abstand.
Vor kindlichem Eifer jubelte Virri: „Ja, genau so!“
„Das ist demütigend!“ Zornerfüllt holte Balaen aus, wollte das Schwert der Vier mit Nachdruck in den Boden spießen, besann sich aber eines besseren und schwang es nur in einem raschen, silberweißen Bogen nach unten. „Ich bin ein ausgebildeter Krieger!“, schimpfte er aufgebracht. „Das sind Übungen für Erstklässler!“
„Naja, mit diesem Schwert bist du doch auch nur Anfänger …“, merkte Leo an. Mit diesen ausnahmsweise aufbauend gemeinten Worten erntete er von dem älteren Ritter jedoch nur einen vernichtenden Blick.
In dieser Sache unzweifelhafter Meister, erklärte Virri wiederholt: „Für das Schwert der Vier müssen Körper und Geist perfekt zusammenarbeiten. Du kannst eine Technik nicht auf deine Klone übertragen, wenn du sie nicht selbst beherrschst.“
„Ich beherrsche sie doch!“, widersprach Balaen vehement. „Besser als irgendjemand sonst!“
„In deiner Zeit vielleicht …“, fügte Leo gelinde genervt hinzu.
Seinen Einwand ignorieren, musterte der Ritter aus den Wolken die mystische Waffe abschätzend. Gleich von Beginn an hatte er seine Zweifel gegenüber der abenteuerlichen Idee der jüngeren Helden klar gemacht. Nur Virris Beharrlichkeit und Leos Dickschädel hatten ihn schließlich davon überzeugt, wenigstens zu versuchen, das Schwert der Vier zu meistern. Eines seiner Bedenken war, dass es für seinen eigentlichen Träger und dessen geringe Größe genau die richtige Länge haben mochte, aber für den ältesten des Heldentrios bestenfalls als Kurzschwert durchging. Alle Versuche, nach der Vervielfältigung eine andere Waffe zu benutzen, waren gescheitert. Anders als bei Virri, lösten sich Balaens Klone augenblicklich auf, wenn er das mystische Schwert aus der Hand legte. Immerhin waren sie im Gegensatz zu Leos gleich nach der Bildung stabil, und der Ritter aus den Wolken war mit der Erweiterung seiner Sinne schnell zurechtgekommen.
„Ich bringe mich nur selbst um mit so einer geringen Reichweite“, prophezeite Balaen düster.
„Aber genau deswegen hat das Schwert der Vier doch einen Vorteil“, behauptete Virri mit Überzeugung. „Längere Schwerter wie Dämon-Links Beidhänder sind von so nah nicht so gut zu gebrauchen.“
Die Augenbrauen hochziehend, echote Leo: „Dämon-Link?“
Verlegen kratzte Virri sich die Nase. „Ja, das ist mir gerade so eingefallen. Irgendwie müssen wir ihn doch nennen, oder?“
Balaen ging nicht ein auf den neuen Begriff für ihren gemeinsamen Feind. „Geringe Reichweite bringt mir wohl kaum etwas, wenn ich mit Anlauf angegriffen werde wie eben von Leo. Ich kann das nicht parieren.“
„Versuch, es wie einen Zweihänder zu halten“, schlug Virri vor.
„Meinst du wie Link das Dämonenschwert?“ Probehalber legte Balaen auch die Hinterhand ans Schwert der Vier, doch das Heft war zu kurz und bot nicht genügend Grifffläche.
Diesen fruchtlosen Versuch beobachtete Leo einen Moment und verdrehte dann die Augen. „Bist du schon so hohlköpfig wie deine Marionetten?“, giftete er. „Dämon-Link hat einen Beidhänder. Der Knirps aber hat gerade von Zweihändern gesprochen.“
Sich zurückhaltend, überging Balaen die Beleidigung; stattdessen wollte er wissen: „Gibt es da einen Unterschied?“ Die Begriffe hatte er bereits aufgeschnappt, als sich das Heldentrio die Waren des Schwerter verkaufenden Goronen angesehen hatten. Dennoch konnte er nichts damit anfangen.
Der Hylianische Ritter lachte freudlos, bis er merkte, dass der ältere ihn zwar verärgert, aber abwartend anstarrte. „Du weißt echt nicht, wie die sich unterscheiden?“, fragte er ungläubig, und Balaen schüttelte den Kopf. „Hat man in deiner Zeit den Krieg noch nicht erfunden?“
Der Held aus ferner Vergangenheit knirschte: „Es reicht uns, Schwerter mit nur einer Hand zu führen, weil wir immer auch einen Schild benutzen – was im Übrigen ein weiteres Problem mit diesem hier ist.“ Er schwang das Schwert der Vier zu einer wegwischenden Geste herum. Solange er noch lernte, sich überhaupt nur mit der Waffe zu koordinieren, hatte er auf einen Schild verzichtet. Außerdem waren sein Hylia-Schild wie diverse andere Ausrüstungsgegenstände, ähnlich wie bei Virri, nicht kopiert worden und lehnte daher ungebraucht an der Bank neben dem Duellplatz.
Auch die übrigen Habseligkeiten der Helden lagen dort in einem Sammelsurium aus Blau und Weiß, Lederbraun und Stahlgrau: Balaens Paraschal und Kettenhemd, Virris Heroenbogen, Köcher und Greifenmantel, Leos Krafthandschuhe und Tauschhaken sowie die beiden Okarinas der jüngeren. Alvio saß dabei, als sei er dazu abbestellt worden, diese Ausstellung der Ausrüstung zu bewachen, und observierte zu diesem Zweck Karmin wie einen verdächtigen Dieb. Der Wolkenvogel hockte auf dem Dach eines Wehrturms und beobachtete die übenden Krieger.
Froh, das Wissen als Lehrling des besten Waffenschmieds seiner Zeit unter Beweis zu stellen, flötete Virri: „Dieser Unterschied ist ganz leicht!“ Eifrig rannte er zu dem Gestell mit Leihwaffen hinüber, ließ den Blick darüber schweifen, bis er fand, was er benötigte. Der kleine Held ergriff ein Schwert, das mit Klinge und Heft länger war als er hoch, und quälte sich mit dessen Gewicht ab.
„Was machst du da, Knirps …“, murmelte Leo tadelnd. Auf dem Weg zu Virri kam er an der Bank vorbei, sammelte seine darauf liegenden Handschuhe auf und zog sie an. So half er mit dem Langschwert und auf Virris Bitte mit einem weiteren, das tatsächlich noch gewaltiger war als das erste. Dank der Krafthandschuhe konnte Leo allein beide Waffen dem kleinen Krieger hinterhertragen, als dieser zu dem ratlos wartenden Balaen zurückkehrte.
Dort angekommen, stellte der Hylianische Ritter die Schwerter mit der Spitze nach unten beidseitig neben sich auf und hielt sie weiter an den Griffen fest, damit sie nicht umkippten. Währenddessen trat Virri an das kürzere heran und begann mit dem Nachhilfeunterricht für den Helden aus der Vergangenheit. „Das ist ein Beidhänder“, erklärte er fachmännisch und deutete über sich zum Heft der ihn überragenden Waffe. „Weil es so lang und schwer ist, hat es auch einen langen Griff. Nicht nur, damit man es mit beiden Händen halten kann, sondern auch als Gegengewicht zur Klinge. Die Parierstange läuft sehr breit, weil es mit einem Beidhänder schwierig ist, abzublocken. So sind die Hände besser geschützt, falls die Klinge des Gegners bis zum Schaft abrutscht.“
Aufmerksam lauschend, stellte Balaen nun fest: „Links … Dämon-Links Schwert hat aber keine richtige Parierstange.“
Virri hob die Schultern. „Es ist ja auch keine normale Waffe.“
„Naja, und mal ehrlich“, warf Leo dazwischen, „er braucht nicht wirklich eine zum Schutz.“
Zustimmend wiegte Balaen den Kopf. Dann deutete er auf das andere Schwert, das der jüngere Ritter mitgebracht hatte. „Dann nehme ich an, dass das ein Zweihänder ist?“
Der Schmiedelehrling nickte, hüpfte auf Leos andere Seite und stellte auch diese Waffe vor. „Einen Zweihänder muss man auch mit beiden Händen führen, deswegen hat er wie ein Beidhänder einen langen Griff. Aber es ist auch möglich, ihn mit der Hinterhand weiter unten zu fassen. Hier an der Klinge, wo er nicht scharf ist.“ Zur Demonstration fuhr er mit dem Finger über die stumpfen Schneiden im Bereich unterhalb der Parierstange.
„Die Hinterhand vor der Schwerthand?“, unterbrach Balaen die Lektion. „Wie soll das funktionieren?“
„Das geht, weil der Schwerpunkt zwischen den Händen liegt“, erläuterte Virri. „Und damit die Hinterhand auch dann geschützt ist, hat ein Zweihänder hier diese Parierhaken.“ Er deutete auf die dornartigen Auswüchse an der Klinge, an denen die stumpfen Schneiden endeten. „Die können gegnerische Waffen abfangen.“
Den Zweihänder betrachtend, überlegte Leo laut: „Also, wenn ich es recht bedenke, könnte ich mir auch so einen zulegen.“ Er spießte den Beidhänder in den Boden und packte das verbliebene Langschwert wie Virri soeben beschrieben hatte an der Klinge. Damit stapfte er zu seinem Eichenstamm, der noch immer im Innenhof stand. Weit holte er aus, führte den Zweihänder seitwärts zu einem mächtigen Hieb, der das Holz glatt durchschnitt. Die obere Hälfte flog ein kurzes Stück weit und schlug mit dumpfem Laut auf dem Boden auf. Der schwertkämpfende Holzfäller lachte gehässig auf. „So gefällt mir das!“
Während Balaen für den Übermut des Heißsporns nur ein müdes Kopfschütteln übrig hatte, beendete Virri den Exkurs und widmete sich weiter der eigentlichen Lehrstunde. „Das Schwert der Vier hat solche Parierhaken zwar nicht und ist eigentlich auch zu kurz, um beidhändig damit anzugreifen. Aber wenn ich es an der Spitze packe, kann ich eigentlich immer gut abwehren. Als Träger kann man sich ja nicht daran schneiden“, erinnerte der kleine Held. „Versuch also mal, so zu parieren.“
Kurz dachte Balaen darüber nach, doch schüttelte dann den Kopf. „Das wird keinen Unterschied machen. Dämon-Link ist viel stärker als ich.“
„Wenn du allein bist“, erwiderte Virri sofort. „Aber du hast deine Klone. Du musst mit ihnen arbeiten!“
Ohne weiteres Veto probierte sich Balaen daran, einen imaginären Hieb mit der ungewohnten Technik zu blocken, versäumte aber im ersten Moment, dieselben Bewegungen auch mit den untätig dastehenden Abbildern auszuführen. Noch dazu griff die linke Hand des blau gekleideten Klons neben die Klinge. „Das ist doch lächerlich!“, rief der Ritter aus den Wolken aus. „Es wird ewig dauern, bis ich mir das aneigne!“
Lässig den Zweihänder geschultert, kam Leo zu den beiden anderen Helden zurück. „Dann solltest du gleich mit Üben anfangen, oder?“
Resignierend seufzte der älteste.
Während er die neuen Bewegungen ein wenig allein einstudierte, besprachen Leo und Virri untereinander, wie der jüngere Ritter den anderen am besten erproben könne. Leo legte die Handschuhe wieder ab, tauschte den Zweihänder gegen das Bronzeschwert aus und stellte sich Balaen und dessen Abbildern erneut zum Übungskampf. Wie er es vor jeder Runde getan hatte, hielt er die stumpfe Klinge seiner Waffe zum Rittergruß vors Gesicht und schwang sie nach unten – bevor er überraschend loslegte. In der Phase, als das Original nur mit dem rot gekleideten Klon umzugehen hatte lernen müssen, hatte Leo hauptsächlich diesen traktiert; ebenso ging er nun gegen den blaugewandeten vor. Da es Balaen in diesem Doppelgänger nur sehr schwer fiel, sich seiner zu erwehren, versuchte er, den jüngeren Helden aus anderer Richtung für ein Duell einzufangen, worauf dieser sich im Eifer des Gefechts einließ. Innerhalb kürzester Zeit waren die überflüssigen Krieger in Rot und Blau wieder vergessen.
Verzweifelt fasste sich Virri an den Kopf. „Nein, ihr macht das ganz falsch!“ Neben dem noch völlig ungebrauchten, violett gekleideten Doppelgänger lag dessen Kopie des Schwerts der Vier. Als Virri das Flackern im Zierstein registrierte, rief er warnend aus: „Die Klone lösen sich gleich auf!“
Alarmiert hielt Leo inne, und Balaen nutzte die Gelegenheit, mit einer Rückflugrolle auf Distanz zu gehen. Seine darauffolgende kampfbereite Lauerhaltung war gebeugter als üblich, und er keuchte nach Luft.
Ohne jedes Mitleid für die Erschöpfung seines Gegners, schwang Leo seine Waffe herausfordernd herum. „Stell dich nicht so an und mach sofort, was der Knirps von dir erwartet! Sonst schnapp‘ ich mir den Zweihänder und mache Kleinholz aus dir!“ Als wolle er diese Drohung gleich mit dem Übungsschwert schon wahrmachen, holte der Hylianische Ritter beidhändig aus und schlug zu.
Geistesgegenwärtig dachte Balaen daran, die Schwertspitze zu ergreifen, um den Hieb abzublocken, schaffte es aber nicht rechtzeitig. Die beiden Klingen trafen mit hellem Ton aufeinander, und Leo schmetterte seinem Gegner die Waffe aus den Händen.
„Was war das denn für ein Mist?!“, brüllte der jüngere den älteren an.
„Das ist Zeitverschwendung!“, gab Balaen unerwartet heftig zurück. Aufgebracht wirbelte er herum und stürmte in eine unbestimmte Richtung. „Wir sollten uns eine richtige Taktik zurechtlegen! Stattdessen haben wir schon einen ganzen Tag mit diesem Blödsinn vergeudet und nichts erreicht!“
Die beiden jüngeren Helden wechselten Blicke, Leo entnervt, Virri verunsichert – bis die beiden Balaens Abbildern in Rot und Blau auf dem Duellplatz und in Violett an dessen Rande gewahr wurden.
„Deine Klone sind noch da!“, wies Virri fröhlich hin.
Mit erstauntem Stirnrunzeln musterte Balaen seine Kopien, die Kopf und Schultern gesenkt hatten, als seien sie niedergeschlagen über das Ergebnis des letzten Kampfes.
„Bis vor Kurzem sind sie noch verschwunden, wenn du das Schwert der Vier weggelegt hast“, betonte auch Leo.
Während Balaen zu ihnen zurückkam, sagte er unbeeindruckt: „Das bringt uns auch nicht weiter. Ich kann sie nicht kontrollieren.“ Er bückte sich nach dem Schwert der Vier; erst, als er die Hand ums Heft der mystischen Waffe schloss, kehrte wieder Leben in seine Klone zurück: Sie strafften die Schultern und hoben die leeren Blicke.
„Trotzdem ist das ein Fortschritt!“, beharrte Virri weiter. „Ich hab Tage gebraucht, bis ich das geschafft hatte!“
Etwas zu harsch wollte Balaen von ihm wissen: „Wie lange hast du Zeit gehabt, den Umgang mit deinen Klonen zu lernen?“
Die Frage verwirrte den kleinen Helden. „Ein paar Wochen.“
„Insgesamt für alle drei oder für jeden einzelnen?“
Endlich begriff Virri, worauf der ältere hinauswollte. Sich die Nase kratzend, wandte er den Blick ab und gestand leise: „Für jeden einzelnen …“ Auf Balaens verächtliches Zischen fügte er hastig hinzu: „Aber nur, weil ich doch gar nicht alle von Anfang an hatte! Erst die Großen Feen haben mir geholfen, sie alle freizusetzen, und auch nur einen nach dem anderen.“
Trotzdem schien der Ritter aus den Wolken nicht überzeugt. Wie sollte er denn im Bruchteil der Zeit etwas schaffen, die Virri für dieselbe Aufgabe zur Verfügung gestanden hatte? Mehr noch: Auch wenn sie alle drei als Helden Erfahrungen mit Dämonen gemacht hatten, war dies eine völlig neue Situation für sie. Nun hatten sie es mit einem Dämon zu tun, der zugleich wie sie ein Held war. Das allein machte Link schon zum härtesten Gegner, dem sich Prinzessin Zeldas Berufene je hatten stellen müssen. Dabei wuchs der Druck, der auf ihnen lastete, mit jedem Tag, ja jeder Stunde, die verging, denn der Zeitpunkt für die nächste und wahrscheinlich letzte Herausforderung bestimmten nicht sie – sondern Link. Niemand konnte sagen, wo sich der abtrünnige Held befand, wann er zuschlagen würde und welche Überraschungen er noch für seine drei Jäger bereithielt. Ja, nicht einmal die Gewissheit, dass er, wie Zelda vermutete, in der Zitadelle der Zeit in Erscheinung tret würde, war gegeben. Zurecht fand Balaen, der Versuch zu lernen, Herr der Schwerts der Vier zu werden, sei Zeitverschwendung.
Mutlos blickte er von den beiden Klonen, mit denen er zusammen nicht einmal ein so guter Kämpfer war wie allein, zu dem violett gekleideten. Dessen Augen waren, wie auch die seines blauen Gegenstücks am Vortag, deswegen verbunden, damit die unnötigen Sinneseindrücke das Original nicht ablenkten. Das Ziel war natürlich, auch ihn hoffentlich bald in die Übungen aufzunehmen, und die absolute Königsdisziplin wäre schließlich die Bändigung des Hühnerhagels. Doch der Ritter aus den Wolken bezweifelte, dass er es je so weit bringen würde.
Die Augen zukneifend, rieb er sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. „Ich hab Kopfschmerzen“, lamentierte er und verzog gequält die Miene, als sein Magen vernehmlich grollte. „Und Hunger …“
Nachdenklich tippte sich Virri an die Nasenspitze. Anders als Balaen war er noch nicht bereit, aufzugeben. Er sah auf zu dem Wolkenvogel, dessen rotes Gefieder in der sinkenden Abendsonne wie erlöschende Kohlen glühte. „Du bist mit Karmin doch telepathisch verbunden, oder?“, erkundigte sich Virri bei dem Helden aus den Wolken. Als dieser mit knappem Nicken bestätigte, theorisierte sein kleiner Lehrmeister: „Vielleicht stört das deine Verbindung mit den Klonen. Es könnte besser klappen, wenn er weiter weg ist.“
Unschlüssig grübelte Balaen über diese Möglichkeit nach. Noch immer schreckte er vor dem Risiko zurück, Karmin tagsüber allein fortfliegen zu lassen. Der rote Wolkenvogel spürte die Aufmerksamkeit, die ihm galt, und sträubte das Kopfgefieder.
Weil ihm sein eigenes Versagen mit dem Schwert der Vier noch ein Dorn im Auge war, hatte sich Leo an Virris fachmännischem Vortrag nicht beteiligt. Nun horchte er auf, als die Tür, die auf den Säulengang neben dem Garten führte, geöffnet wurde. Da allen Palastangestellten das Betreten des Innenhofs strikt verboten war, konnte die sich nähernde Gruppe nur aus drei Personen bestehen: Die beiden königlichen Leibwächter im Geleit ihrer Herrin Prinzessin Zelda. Sowie Leo der Königlichen gewahr wurde, schob er das Übungsschwert in den Riemen am Waffengurt auf seinem Rücken und entbehrte ihr den ritterlichen Kniefall. Die Prinzessin lächelte schwach mit gütiger Dankbarkeit und erlaubte dem Hylianischen Ritter, sich zu erheben.
Als der übliche Begrüßungsritus zwischen den beiden also abgeschlossen war, erkundigte sich Leo sofort aufgeregt: „Habt Ihr Meldung aus der Stadt erhalten? Ist Link aufgetaucht?“ Eine ganze Kompanie Soldaten war in und um die Zitadelle der Zeit stationiert, dazu einige getarnt als Zivilisten in den Straßen Hyrule-Stadts. Ihre Aufgabe war, der Regentin unverzüglich Nachricht zukommen zu lassen, sollten sie auch nur eine Spur von Link erhaschen. In solch einem Fall war angedacht, dass Zelda die Berufenen mittels eines Teleportlieds in die Zitadelle brachte, unabhängig davon, wie weit deren Kampftaktik dann ausgereift war. Deswegen hielten die drei ihre gesamte Ausrüstung stets in greifbarer Nähe, um im Notfall so schnell wie möglich aufbruchbereit zu sein.
Doch die Prinzessin schüttelte auf Leos Frage nur beruhigend den Kopf. Sie ließ den Blick über den Duellplatz schweifen. Die niedrig stehende Sonne tauchte ihr Gesicht in diffuse Schatten, dennoch entgingen Virri nicht die dunklen Ringe, die unter ihren rot geäderten Augen lagen.
„Du siehst irgendwie müde aus“, stellte der kleine Held unumwunden fest. „Ist alles in Ordnung?“
Bevor die Gefragte selbst antwortete, mischte sich Leo zischend ein: „Knirps! So was sagt man doch nicht zu einer Prinzessin!“
Wie, als habe er ihn geohrfeigt, zog Virri den Kopf ein, aber Zelda beschwichtigte: „Nicht doch, Leopold.“ Matt lächelnd wandte sie sich an den jüngsten ihrer Berufenen. „Ich danke dir für deine Besorgnis, Viridian. Es stimmt, ich bin letzte Nacht leider nicht ausreichend zur Ruhe gekommen.“
„Ihr habt wohl einige Regierungsgeschäfte zu tätigen gehabt“, vermutete der Hylianische Ritter vorsichtig.
Für den winzigen Bruchteil einer Sekunde zeigte Prinzessin Zeldas Gesicht Verwunderung, bevor sie fast schon erleichtert lächelte. Das zerstreute Nicken, mit dem sie antwortete, passte so gar nicht zu ihrer sonst so bedachten Art. „Ja, Regierungsgeschäfte …“ Sie lenkte von sich ab, indem sie auf Balaens Klone wies, die sich wie für ihre Natur üblich an der Konversation nicht einmal mit ihrer Anwesenheit beteiligten. „Wie ich sehe, arbeitet ihr an einer sehr … ungewöhnlichen Taktik. War das deine Idee?“, wollte sie von dem eigentlichen Träger des Schwerts der Vier wissen.
Als er die Blicke aller Umstehenden – der beiden älteren Grüngewandeten, der Prinzessin und ihrer Leibwächter – auf sich ruhen sah, nickte Virri schüchtern. Halblaut murmelte er: „Ich dachte, wenn drei kleine Helden gegen Link nicht genug helfen können, dann vielleicht drei große …“
„Das ist wirklich ein kreativer Einfall.“ Anerkennend lächelte Zelda. „Wie ich es von dir erwarte.“
Der Gelobte errötete und wandte hastig das Gesicht ab.
„Auch ich bin nicht untätig gewesen“, vertraute die Prinzessin dem Heldentrio an. „Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich euch unterstützen könnte.“
Ehrerbietig verneigte sich Leo. „Das ist sehr großzügig von Euch, Prinzessin, doch es ist nicht Eure Pflicht, das zu tun.“
„Das sehe ich anders“, legte Balaen sogleich Widerspruch ein, und der jüngere Ritter funkelte ihn warnend an. „Es würde mich durchaus interessieren, wie du uns helfen willst.“ Dabei musterte der Held aus den Wolken die Prinzessin herausfordernder als nötig.
Das Kinn erhoben, begann Zelda, den dreien ihre grundlegenden Gedanken zu erläutern: „Nun, es ist klar, wenn Link seine Dämonenform annimt, könnt ihr ihn unmöglich besiegen.“
Während Leo unzufrieden, aber schweigend die Arme verschränkte, nickte Balaen zustimmend. „Keine Waffe kann ihm dann ernsthaften Schaden zufügen.“
„Das muss vielleicht nicht einmal nötig sein“, belehrte die Königliche.
Weil sie diese Aussage ungeklärt über ihnen schweben ließ, hüstelte Leo dezent. „Bei allem Respekt, Prinzessin … Wenn wir es nicht tun, werden wir diejenigen sein, die aufgeschnitten werden.“
Sein royales Gegenüber kommentierte seine Anmerkung mit einem schwermütigen Lächeln. „Anstatt zu versuchen, einen unverwundbaren Gegner zu verletzen – wohlmöglich auch noch erfolglos –, solltet ihr vielleicht lieber erst dafür sorgen, dass er wieder verwundbar wird.“ Weil den drei Grüngewandeten noch immer ihre Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben stand, brachte Zelda ihre Ausführungen auf den Punkt: „Ihr müsst Link in einen Menschen zurückverwandeln.“
Die Reaktionen der Helden darauf fielen sehr unterschiedlich aus: Virri erstarrte vor Entsetzen, Balaen hob vieldeutig die Augenbrauen, und Leo verzog die Miene zu einem halben, konsternierten Grinsen. Dennoch waren alle drei instantan derselben Meinung: Was ihre Beschwörerin da implizierte, war ein Ding der Unmöglichkeit.
Entschuldigend senkte die Prinzessin das Haupt. „Verzeiht. Was ihr im Wald durchgemacht habt, kann ich euch nur nachfühlen und es doch nie verstehen. Ich sollte euch nicht so leichtfertig einen solchen Plan unterbreiten, ohne mich genauer zu erklären. Also lasst mich euch zunächst dies hier zeigen …“ Auf ihre befehlende Geste trat Hendrik neben sie und reichte ihr ein Bündel, das er bislang wohl in den Armen geborgen hatte. Nachdem seine Herrin es entgegengenommen hatte, verneigte er sich knapp und zog sich unauffällig wieder zurück. Indes schlug die Prinzessin den feinen weißen Leinenstoff auf, um zu enthüllen, was darin eingewickelt war. Neugierig kamen die drei Helden näher und stellten sich im Halbkreis um das Objekt, das Zelda so tief hielt, dass auch der Kleinste von ihnen es sehen konnte.
„Pfeile?“, fragte Balaen wenig beeindruckt, als er das gute Dutzend Holzschäfte erkannte.
„Nicht einfach nur irgendwelche Pfeile“, wies Leo ihn besserwisserisch zurecht.
„Woher willst du das wissen?“, gab der Ritter aus den Wolken trocken zurück.
Der jüngere Held hob die linke Hand und ließ sie über die metallenen Spitzen schweben; sein Triforce-Mal antwortete der Magie darin mit schwachem Glühen. Triumphierend stieß Leo Luft durch die Nase. „Weil ich genau solche gegen den alten Ganon benutzt habe.“ Er wandte sich der Prinzessin zu. „Das sind Silberpfeile, nicht wahr?“
„In deiner Welt werden sie so genannt, doch in dieser heißen sie Lichtpfeile“, korrigierte Zelda, deutete dabei bewusst nicht an, dass sie die drei aus unterschiedlichen Zeiten beschworen hatte. Auch ihre Leibwächter sollten die Wahrheit nicht erfahren. „Ihr Zweck jedoch ist derselbe: Mittels reinigender Magie vernichten sie das Böse.“
Staunend betrachtete Virri die Geschosse, und Balaen nahm einen an sich, um die Spitze mit neuem Interesse genauer zu beäugen. Tatsächlich glänzte diese für gewöhnlichen Stahl im schwindenden Tageslicht zu hell und war zu kunstvoll verarbeitet, als sei nicht ein Waffen-, sondern ein Goldschmied zuwerke gegangen. Eine filigrane Gravur des Hylianischen Königswappens zierte jede einzelne Pfeilspitze. „Damit sollen wir also Dämon-Link beschießen, bis die Verwandlung so schwach wird, dass sie den Menschen wieder freigibt“, mutmaßte der Ritter aus den Wolken.
„Ich denke, ein gezielter Schuss reicht schon aus“, insistierte die Prinzessin, „und zwar in sein Gesicht, eben da, wo die Maske sitzt. So wie Viridian es bereits versucht hat.“ Durchdringend blickten ihre türkisblauen Augen den kleinen Helden an, der nervös schluckte. „Wie ich gehört habe, bist du von euch dreien der beste Schütze. Deswegen will ich die Lichtpfeile dir anvertrauen“, eröffnete sie und hielt ihm das Bündel hin.
Sofort sprang Virri geschockt zurück. „M-mir?!“, stammelte er. „Aber … aber … warum?“
Weil beide ihre Hände belegt waren, deutete die Prinzessin mit dem Kopf zur Bank und der Ausrüstung der drei Grüngewandeten. „Dein Bogen … Das ist doch ein Heroenbogen, nicht wahr?“ Auf Virris zurückhaltendes Nicken fuhr sie fort: „Heroenbögen sind so gebaut, dass sie mit viel mehr Kraft schießen, als sie gespannt werden müssen. Du besitzt bereits so einen besonderen Bogen; Balaen und Leopold hingegen müssten von meinen Soldaten einen gewöhnlichen ausleihen, der nie so gut wie der deine wäre.“ Sie lächelte gutmütig. „Es versteht sich also von selbst, dass du diese besondere Munition bekommst.“
Erst langsam, dann immer schneller und bestimmter schüttelte Virri abwehrend den Kopf. „Sie können meinen Bogen haben! Leo!“, rief er den älteren Krieger an. „Du hast gesagt, dass du die schon mal benutzt hast! Und du weißt, wie Magie funktioniert. Du sollst sie nehmen!“
Ehrlich bedauernd hob der Hylianische Ritter die Schultern. „Tut mir leid, Knirps. Ich werde der Prinzessin nicht widersprechen.“
Entsetzt und verloren starrte Virri ihn an.
Die Königliche übernahm wieder das Wort: „Mir wäre es durchaus lieber, ich würde dir den Zauber beibringen können, der gewöhnliche Pfeile mit Lichtmagie anreichert. Nur leider fehlt uns dafür die Zeit …“ Sie senkte den Blick auf das Bündel in ihren Armen. „Diese aber habe ich so vorpräpariert, dass es nur wenig Erfahrung mit Magie braucht, sie zu benutzen.“
Verzweifelt beharrte Virri: „Aber ich habe doch noch nie irgendwas Magisches gemacht!“
„Bist du dir sicher?“, fragte Zelda.
Die Augen geweitet, nickte der jüngste Grüngewandete hastig. „Mit dem Schwert der Vier muss ich nicht selbst zaubern.“
„Nun“, sprach die Prinzessin, ohne auf seine Widerworte einzugehen, „aber du hast deinen Techniken Namen gegeben, die du immer ausrufst, wenn du angreifst. Warum tust du das?“
Verlegen blinzelte Virri die älteren Krieger, Helden wie Soldaten, aus den Augenwinkeln an; eigentlich hatte es zu den Vorbereitungen gehört, ihm genau diese verräterische Angewohnheit auszutreiben. Kleinlaut antwortete er: „Weil sie dann stärker sind … glaube ich.“
Sein königliches Gegenüber schenkte ihm ein zuvorkommendes Lächeln. „Und wenn das stimmt, denkst du nicht, dass da ein kleines bisschen Magie dabei ist, wenn auch nur unterbewusste?“
Verbissen schwieg Virri, suchte nach dieser sehr nachvollziehbaren Argumentation offensichtlich nach weiteren Ausflüchten.
Schützend legte Zelda die Hand auf das Bündel Pfeile. „Viridian, hast du Angst? Willst du es deswegen nicht tun?“, fragte sie mitfühlend.
Erschrocken winkte der kleine Held ab und beteuerte: „Nein! Also, ich meine, doch, schon …“ Tief atmete er durch. „Es ist nur …“ Unbehaglich kratzte er sich an der Nase, ließ den Satz jedoch unvollendet.
Argwöhnisch verengte Balaen die Augen. Endlich meldete er sich auch wieder zu Wort und verteidigte indirekt Virris Standpunkt: „Eine Distanzwaffe wie ein Bogen ist bei Dämon-Link auf jeden Fall nicht verkehrt. Aber ich bezweifle, dass er sich einfach ins Gesicht schießen lassen wird.“
Da stimmte Zelda ihm zu und wandte sich nun an die beiden älteren ihrer Berufenen. „So ist es, und genau deswegen müsst ihr dafür sorgen, dass Viridian die Gelengenheit zum Schuss bekommt. Und was noch viel wichtiger ist …“ Ungebeten drückte sie dem kleinen, sprachlosen Helden die Lichtpfeile in den Arm, zog ihn überraschend zu sich heran, drehte ihn herum und legte die Hände auf seine schmalen Schultern. „Ihr müsst ihn beschützen, denn auch Link wird merken, wer von euch dreien am gefährlichsten für ihn ist.“ Verkrampft vor Nervosität, linste Virri zu ihr hoch, und Zelda blickte lächelnd zu ihm herab. „Viridian ist jetzt das wichtigste Mitglied eurer Gruppe.“
Schnell wandte der Junge das noch eine Spur rötlicher werdende Gesicht ab.
„Na, dann ist es entschieden!“, verkündete Leo, der natürlich sofort für den Plan der Prinzessin brannte. „Du bist jetzt unsere Geheimwaffe, Knirps!“ Dem kleinen Krieger, der vor Schock weiterhin keinen Ton rausbrachte, versicherte er: „Du kannst dich auf uns verlassen!“ Kameradschaftlich legte er Balaen den Arm um die Schultern und zog den größeren Ritter auf seine Höhe runter. „Nicht wahr, Len?“ Aufsässig bohrte er ihm den Finger in die Wange. „Er kann sich doch voll und ganz auf uns verlassen?“
„Pass auf, was du sagst“, raunte Balaen ihm warnend zu. Er hob Leos Arm an, tauchte darunter hinweg und ging zu der Bank, wo er den daran lehnenden Hylia-Schild auflas. Damit kehrte er zu der Gesellschaft zurück. „Hier, nimm du ihn“, sagte der Held aus den Wolken zu Leo, indem er ihm den Schild überreichte.
„Natürlich!“, zischte der jüngere herablassend sarkastisch. „Weil ich ja auch eine miese Schildkröte bin, die sich bei Gefahr feige in ihren Panzer zurückzieht!“
Kühl erwiderte Balaen: „Ich weiß, du bist eher ein um sich tretender Hase. Aber hier geht es nicht um dich. Wir alle müssen Kompromisse eingehen, das habe auch ich eingesehen. Virri hat es schon längst begriffen, sonst hätte er mir sein Schwert nicht überlassen.“
Erstaunt über die Anerkennung in der Stimme des ältesten, blinzelte Virri zu ihm auf.
„Der Hylia-Schild ist unzerstörbar“, fuhr der Held der Göttin fort, „aber wir haben nur einen. Damit ich ihn wirklich mit dem Schwert der Vier benutzen könnte, bräuchte es vier. Deswegen hat es keinen Sinn, dass ich ihn trage.“
Grüblerisch trat Leo näher an ihn heran. Anstatt den Schild entgegen zu nehmen, schob er ihn runter, sodass er Balaen verschwörerisch leise zuflüstern konnte: „Bist du dir sicher?“
Nur sie beide wussten, was der Hylianische Ritter genau meinte, doch um den Schein zu wahren, führte der ältere die Konversation in eine ungefährliche Richtung weiter. „Ich bin nicht stark genug, Dämon-Links Angriffe abzuwehren. Sollte ich es doch versuchen, wird er mir nur wieder den Arm brechen – bestenfalls. Alles, was ich tun kann, ist auszuweichen und selbst anzugreifen. Somit kommst nur du für Virris Verteidigung infrage.“
Nun betrachtete Leo den Hylia-Schild doch mit der nötigen Akzeptanz und nahm ihn seinem Gegenüber ab. Sein Blick wanderte von Balaen zu Zelda und weiter zu Virri, die ihn alle erwartungsvoll beobachteten. Seinen Stolz eines reinen Schwertkämpfers vergessend, drehte Leo den Schild herum, schob den rechten Unterarm durch die Haltegriffe. Wie das Idealbild eines königlichen Ritters reckte er das Hylianische Wappen vor. Mit allem gebührenden Ernst versprach er feierlich: „Ich werde dich beschützen, Knirps, und wenn es mein Leben kostet!“
Traurig lächelte die Prinzessin. „Ich hoffe, es wird nicht so weit kommen.“
Zelda blieb noch einen Moment, um ihren kleinen auserwählten Meisterschützen im Gebrauch der Lichtpfeile einzuweisen, die wesentlich einfacher zu handhaben waren, als er selbst angenommen hatte. Es war keine ganze Übungsphase notwendig, was umso besser war, da ihm die Prinzessin bis auf das bestehende Dutzend keine weiteren der kostbaren Geschosse zur Verfügung stellen konnte. Gerüstet mit seinem Heroenbogen, trat Virri an den Schießstand, legte einen der magischen Pfeile auf die Sehne. Wie Zelda es ihm angeraten hatte, visierte er schon eine der Zielscheiben an, bevor er die Sehne durchzog. Das reichte bereits aus, den der Silberspitze innewohnenden Zauber zu aktivieren. Eine gold leuchtende Aura erblühte um sie, erhellte den Innenhof und überstrahlte das Abendrot. Virri ließ die Sehne knallen, der Lichtpfeil flitzte einem Kugelblitz gleich über den Schießstand; sowie er mitten in die Zielscheibe aufschlug, erlosch das Leuchten. Stolz nickte die Prinzessin, und sie und ihre Leibwächter verließen den Innenhof.
Da Virri nicht recht wusste, was er als nächstes tun sollte, ging er zu der Holzscheibe, zog den eben verschossenen Pfeil und betrachtete die Spitze. Deren zuvor helles Metall wirkte nun wie angelaufenes Silber, das unter den Augen des Helden rasend schnell dunkler wurde und schließlich zu grauem Erzstaub zerbröselte. Dieser Verfall deckte sich zum Teil mit der Ermahnung der Prinzessin, dass sich der Zauber schnell aufbrauchte, sobald er einmal ausgelöst war – ob er nun ein Ziel traf oder nicht. Somit vermochte ein jeder Pfeil wenn überhaupt nur ein einziges Mal zu wirken.
Als Virri zu den beiden älteren Grüngewandeten zurückkehrte, nahm Leo ihn mit einem schiefen Grinsen in Empfang. „Da hat sich wohl jemand in die Prinzessin verguckt!“
Während Balaen ebenso unbeteiligt dreinschaute wie auch seine Klone, verriet sich Virri mit erschrockenem Japsen. „Gar nicht wahr! Und nenn‘ mich nicht Knirps!“
Schelmisch kicherte der Hylianische Ritter. „Habe ich doch gerade gar nicht.“ Jetzt lachte er sehr überzeugend boshaft. „Du solltest dir dein Schwert schnappen und dich mit eigenen Augen betrachten. Du bist so rot wie die Klamotten von deinem einen Mitknirps!“
Nun vor Wut, wurde Virris Gesicht gleich noch dunkler. „Nenn‘ mich nicht Knirps!“, wiederholte er, jedes Wort betonend. Missgestimmt stapfte er zur Bank, schmetterte den Heroenbogen und den aufgebrauchten Pfeil daneben und ging gleich weiter zu Balaens Abbild, mit dem umzugehen dieser als erstes eingeübt hatte. Den ergriff er am Arm, versuchte, ihn mit sich zu zerren, brachte den künstlich erschaffenen, rot gekleideten Krieger aber nur aus dem Gleichgewicht. „Du musst schon ein bisschen mithelfen!“, verlangte Virri von dem Original. „Du willst doch auch das Problem mit deinen Klonen lösen.“
Zunächst zögerte Balaen, seufzte dann aber und strengte sich an, nach der Pause wieder Kontrolle über den anderen Körper zu gewinnen. Virris Befehl nachkommend, steuerte er den rot Gekleideten dem kleinen Helden hinterher, der ihn zum Schießstand führte. Bei der ersten Zielscheibe hieß Virri ihm, sich davor zu stellen, drückte ihm den Finger gegen die Stirn und richtete ihn gerade auf. Einen Schritt zurücktretend, betrachtete der Junge sein Werk, kehrte um zu der Sammlung an Leihbögen, während Leo und Balaen über sein Tun verwunderte Blicke tauschten. Mit einem Bogen im Schlepp kam Virri zu ihnen zurück und streckte dem ältesten seine Fracht hin.
Der derzeitige Träger des Schwerts der Vier nahm die Gabe mit der leeren Linken entgegen. „Was soll ich damit?“, fragte er ratlos.
Kichernd scherzte Leo: „Das wär’s doch, wenn du deinen Klon damit abschießen müsstest!“
„Genau das soll er tun!“, eröffnete Virri seinen Mitstreitern.
Die beiden Ritter starrten ihn gleichermaßen entsetzt an. Die Stimme des älteren, den die Angelegenheit immerhin betraf, war deutlich belegt, als er fragte: „Warum das?“
„Es gibt dir ein ganz anderes Gefühl für deine Klone, wenn du mal mitbekommen hast, wie sie sterben“, erklärte Virri eisern.
Nachdenklich drehte Balaen den Bogen herum.
„Lass den doch weg, ich mach‘ das schon!“, mischte sich Leo ein und zückte sein Bronzeschwert. „Ich warte schon ewig darauf, ihm ungestraft den …“
„Nein!“, unterbrach Virri ihn barsch, und der Hylianische Ritter fuhr vor seinem Tonfall zusammen. „Er muss das selbst machen. Das hat den besten Effekt.“
Auf den auffordernden Blick des jüngsten Helden wollte Balaen wissen: „Und wie soll ich schießen, wenn ich das Schwert der Vier nicht aus der Hand legen darf?“
Aber Virri ließ sich von dieser offensichtlichen Finte nicht so leicht an der Nase herumführen. „Du kannst es doch jetzt. Schieb es unter deinen Gürtel, so wie ich das immer mache. Zerschneiden kann es ihn ja nicht.“
Resignierend kam Balaen der Anordnung nach – wobei sich seine Abbilder tatsächlich nicht auflösten –, und schritt, gefolgt von den jüngeren Helden, zum Schießstand. Dort angekommen, pflückte Leo einen Grashalm und schob ihn sich zwischen die Zähne, um angespannt darauf herumzukauen. Vor der Bank beim Duellplatz stellte Alvio intereissiert die Ohren auf und kam unauffällig herangehoppelt. Mit vor der Brust verschränkten Armen begutachtete sein Hüter das weitere Geschehen.
Der Ritter aus den Wolken nahm aus einem bereitstehenden Köcher einen hölzernen Übungspfeil, legte ihn auf die Sehne und spannte sie.
Sofort hielt Virri ihn auf. „Schau richtig hin!“
„Mach ich doch. Ich werde wohl kaum wo anders hinsehen, wenn ich ziele“, merkte Balaen an.
Aufgebracht warf der kleine Krieger die Hände in die Luft und wies ihn zurecht: „Ich meinte nicht dich. Deinen Klon! Er soll dich anschauen.“
Langsam ließ der ältere Held den Bogen sinken und blickte Virri skeptisch an. „Ich soll mich selbst dabei beobachten, wie ich mich erschieße?“ Die Absurdität dieser Vorstellung wurde durch die laute Aussprache noch deutlicher.
Auch wenn Virri ihn nicht ansah, zeigte seine Miene die Überwindung, die es ihn kostete, das Folgende zu sagen: „Ziele auf’s Herz. Das geht am schnellsten.“
Zögerlich atmete Balaen durch, hob den Bogen, spannte die Sehne und ließ sie los. Allerdings zielte er nicht gründlich genug, sodass das Geschoss an seinem Klon vorbeizischte. Wortlos reichte Virri ihm den nächsten Pfeil, den Balaen diesmal zwar auf den richtigen Kurs schickte, doch trotzdem verfehlte, weil sich sein Doppelgänger im letzten Moment in Sicherheit duckte. Sich die Augen reibend, rechtfertigte das Original: „Tut mir leid. War ein Reflex …“ Er legte den dritten Pfeil auf; zwecks besserer Konzentration streckte er diesmal den Zeigefinger der Linken aus, um dem leichten Zittern seiner Hände entgegen zu wirken.
„Das ist doch total mies!“, platzte da Leo lauthals.
Balaen erschrak derart, dass der Pfeil weit ins Jenseits flog, ohne seinem Ziel auch nur nahe zu kommen.
Den Grashalm zerbeißend, polterte der jüngere Ritter weiter: „Sich selbst erschießen! Was ist das für eine miese Übung?!“
„Es ist eine wichtige Übung!“, gab Virri angesäuert über die Störung zurück. „Um die Klone richtig zu beherrschen, muss man sie auch opfern können.“
„Was habe ich davon, wenn ich mich opfere?“, knirschte Balaen angespannt.
Altklug belehrte der kleine Krieger: „Nicht dich selbst, sondern deinen Klon. Du siehst zwar durch deine Klone, aber sie sind nicht du!“
„Das widerspricht allem, was du mir bislang über das Schwert der Vier beigebracht hast“, erinnerte der Held aus den Wolken. „Du hast immer gesagt, ich solle die Klone kontrollieren wie meinen eigenen Körper.“
„Da hast du was falsch verstanden …“, gab Virri hilflos zurück.
Leo trat dazwischen und stellte sich auf die Seite des älteren Ritters. „Nein, du hast ganz sicher gesagt, dass sie ein Teil von ihm sind.“
Heftig schüttelte Virri den Kopf, suchte nach erklärenden Worten, die vermittelten, was für ihn so natürlich war wie das Atmen. „Die Klone sind schon andere Körper“, versuchte er es schließlich, „durch die ich an anderen Orten sein kann, aber ich bin immer noch ich in mir selbst. Sie sind wie … Waffen. Nein, nicht einmal das …“
„Gestern meintest du, man muss das Schwert der Vier benutzen wie ein Handwerker“, half Balaen ihm auf die Sprünge.
Das mürrische Gesicht des kleinen Helden hellte sich auf, als er endlich eine passende Umschreibung fand. „Genau! Mit Klonen kämpfen ist wie das Schmieden: Eine Hand hält mit der Zange den Schwertrohling, die andere den Hammer. Man muss die Augen überall haben, das Glüheisen drehen und bearbeiten, aber man bleibt selbst an Ort und Stelle und denkt nicht darüber nach, wie es ohne Werkzeuge wäre. Und das sind die Klone: Werkzeuge“, vollendete Virri seine Metapher. „Nach getaner Arbeit wird das Werkzeug weggelegt, und so entsorge ich auch meine Klone, wenn ich sie nicht mehr brauche. Selbst wenn ich sie dafür selbst töten muss.“
Sprachlos gafften die beiden Ritter den Jungen an, der so plötzlich und selbstverständlich auf eine Art vom Tod sprach, wie es kein Kind je sollte. Leos Mund stand offen, und er nahm vor Staunen keine Notiz davon, wie ihm der Grashalm runterfiel und Alvio ihn ergatterte.
Virri begegnete den erstaunten Blicken seiner Mitstreiter, sah sich hinter sich um, doch war da nichts, das ihre Aufmerksamkeit auf sich hätte gezogen haben können. „Was ist los?“, wollte er einigermaßen verwirrt wissen.
Es war Leo, der als erster seine Stimme wiederfand: „Wer hätte gedacht, dass ausgerechnet du der härteste von uns dreien bist …“ Mit geschlagenem Grinsen auf den Lippen ließ er sich zu Boden in den Schneidersitz sinken. Sogleich nahm Alvio mit dem begehrten Halm Reißaus, doch Leo beachtete den Hasen gar nicht.
Verlegen kratzte sich Virri die Nase. „Findest du?“
Balaen ignorierte den vielsagenden Seitenblick, den Leo ihm zuwarf, musterte stattdessen sein Abbild, das noch immer vor der Zielscheibe wartete. Mit bemessenen Bewegungen nahm er einen weiteren Pfeil zur Hand, zog die Sehne durch. Für einen Augenblick zögerte er, bevor er sich zusammenriss, schoss – und endlich traf.
Ohne das Kettenhemd drang sogar die einfache Holzspitze des Übungspfeils ohne Widerstand durch die rote Tunika. Nicht einmal einen Rückstoß gab es, der den Klon nach hinten geschubst hätte, als er sich sofort in einem Schwarm dunkelroter Funken auflöste. Nahezu zeitgleich ging Balaen mit gepeinigtem Aufschrei in die Knie. Das grüne Glühen im Zierstein des originalen Schwerts der Vier erlosch, und die beiden anderen Kopien verschwanden ebenfalls. Auf seinem Wachturm ließ Karmin alarmiert den Kopf in die Höhe schnellen. Seinem Reiter war der Bogen aus den Händen gefallen, die er nun auf die Brust schlug, wo der Klon vom Pfeil getroffen worden war. Vornübergebeugt schnappte er verzweifelt nach Luft.
Von dieser Reaktion zutiefst erschrocken, fragte Leo vorsichtig: „He, Mann … Geht’s wieder?“
Der riesige rote Vogel sprang in den Garten hinab, stakste näher und krächzte, irritiert vom Zustand seines Reiters. Dieser keuchte vor Qual: „Es tut so weh!“ Bebend sah er auf zu Virri. „Das kann doch nicht jedes Mal so wehtun!“
Virri bedachte sein Gegenüber mit einem Mitleid, das er für sich selbst nie empfunden hatte. „Ich habe mich daran gewöhnt.“
Vor Entsetzen riss Balaen die Augen weit auf, weil er sich nicht vorstellen konnte, wie der Junge dies bewerkstelligte. Wie er, wenn im Kampf einer seiner Klone getötet wurde, trotz höllischer Schmerzen sofort weitermachen konnte …
Zurückhaltend interessiert erkundigte sich Leo: „Ist es wirklich so schlimm?“
Balaen und Virri nickten unisono.
„Oh, Knirps!“, rief der jüngere Ritter bedauernd aus. „Als wir gegneinander gekämpft haben, hab ich alle deine Klone auf einmal niedergemäht. Das war echt brutal von mir … Wenn ich gewusst hätte, was du da durchmachen musst …“ Verunsichert blinzelte er zu Balaen hinüber. „Und dann auch noch dreifach!“
Die Schultern hebend, versicherte Virri: „Es ist nicht so, dass sich der Schmerz dann auch verdreifacht.“
„Trotzdem …“
„Ich … kann das nicht“, flüsterte Balaen jetzt. Seine Hände waren noch immer in der grünen Tunika verkrampft. Er bebte am ganzen Leib, und kalter Schweiß war ihm auf der Stirn ausgebrochen. Nun lauter, doch noch immer heiser sagte er: „Dieses Gefühl … Als würde ich sterben.“ Die Augen zugepresst, krümmte er sich noch weiter zusammen und ächzte. „Ich ertrage das nicht!“ Tapsend kam Karmin näher und stupste ihn tröstlich mit dem riesigen Schnabel an.
Mitfühlend musterte Leo ihn. „Du fürchtest den Tod.“
„Jeder hat doch irgendwie Angst vor dem Tod“, stellte Virri fest.
Doch Leo winkte ab. „Ja, natürlich will jeder weiterleben. Aber ich meine dieses … dieses Zittern …“ Sein Blick hielt Balaens elendigen Zustand gefangen. „Diese lähmende Angst, wegen der man sich nicht mehr rühren kann.“
„Du hast doch gesagt, dass du vor gar nichts Angst hast“, entsann sich Virri an die erste Begegnung der drei Helden kurz nach ihrer Beschwörung in der Zitadelle der Zeit.
Skeptisch zog Leo die Augenbrauen hoch. „Wann das denn?“
Ihm antwortete eine wage Handgeste des kleinen Kriegers. „Ganz am Anfang.“
Balaen, der seine Nahtoderfahrung allmählich überwand, fügte hinzu: „Es war das erste, das du zu Zelda gesagt hast.“
Sich undeutlich erinnernd, hob Leo die Schultern. „Das war doch nur so ein Spruch. Natürlich gibt es Dinge, vor denen ich Angst habe.“
„Vor Wölfen?“, vermutete Virri.
Unwillig legte der Held, der einmal ein Hase gewesen war, den Kopf schief. „Ja, vor Wölfen, aber nicht nur. Ich habe Angst, dass mein Onkel zuhause plötzlich stirbt, weil ich nicht da bin, ihm zu helfen. Dass ich wie er verletzt werde und nie wieder kämpfen kann … oder von einem Abenteuer nie wiederkehre, ohne dass jemand erfährt, was mit mir geschehen ist. Manchmal …“, fuhr er mit gesenkter Stimme fort, „manchmal habe ich solche Angst, dass ich vergesse, was ich über den Schwertkampf gelernt habe, und wenn das passiert, hasse ich mich selbst.“ Er zog die Beine an sich, schlang die Arme darum und verbarg das Gesicht in den Knien wie ein verschrecktes Kaninchen, das Schutz vor einem Sturm suchte. „Mein Mut ist meine stärkste Waffe. Was bin ich schon für ein Held, wenn ich sie nicht benutzen kann?“ Alvio, der den gestohlenen Grashalm mittlerweile ganz verspeist hatte, kam wieder herbei – trotz Karmins unmittelbarer Anwesenheit – und hockte sich neben seinen Hüter. Geistesabwesend streichelte dieser über den weißen Pelz.
„Aber die Angst zeigt doch, wie wichtig einem eine Sache ist“, meinte Virri mit Überzeugung. „Dass man es unbedingt schaffen will. Das heißt doch nicht, dass man nicht mutig ist!“
Ungnädig sah Leo zu ihm auf. „Das kannst du so leicht sagen. Du hast deine Pappkameraden, die du vorschicken kannst, wenn dir eine Situation zu heikel wird.“
Balaen ließ ein ersticktes, bitteres Lachen hören. „Wenn es nur so einfach wäre …“
Kopfschüttelnd widersprach Virri: „Leo hat schon Recht. Ich habe mich oft zurückgezogen, wenn meine Klone nicht mehr da waren, und es erst am nächsten Tag neu versucht.“ Er umfasste die Arme mit den Händen, als sei ihm kalt. „Ich will nicht allein kämpfen müssen, auch wenn es nur gegen schwache Monster ist. Balaen kann das Schwert der Vier gern benutzen, weil ich es wieder kriege, aber wenn ich es eines Tages ganz weggeben muss …“ Bei dieser Aussicht schüttelte er trotzig den Kopf, dass der Zipfel seiner Heldenmütze hin- und herflog. „Niemals!“
„Es ist nicht einfach nur der Tod, den ich fürchte“, berichtete Balaen und schloss sich somit der Selbstoffenbarungsrunde an. „Sondern vor dem Versagen. Damals im Wolkenhort konnte jeder Fehltritt den Tod bedeuten, und mit jedem Tod kam das Fehlen einer geliebten Person … Das hat sich auf der Erde nicht sehr geändert. Ich will nicht sterben, weil ich diejenigen, die auf mich bauen, nicht im Stich lassen kann.“
Es folgte bedrücktes Schweigen, während dessen die drei Grüngewandeten darüber nachsannen, was sie über sich selbst preisgegeben und über ihre Mitstreiter erfahren hatten. In der Zwischenzeit sank die Sonne hinter die Schlossmauern, und Schatten als die ersten Boten der Nacht hielten Einzug im Garten der Helden.
„So ein mieser Unsinn!“, rief Leo aus und sprang so plötzlich auf, dass die beiden anderen Hylianer, der Hase und der Vogel erschrocken zusammenzuckten. „Niemand stirbt hier, und der einzige, der alleine ist, ist Link! Wenn wir drei zusammenarbeiten, wäre es doch gelacht, wenn wir ihn nicht fertigmachen können!“ Entschlossen hob er die geballten Fäuste. „Ab morgen starten wir so richtig durch, und dann wird der Mistkerl sein grünes Wunder erleben!“ Er blickte seine Gefährten an und streckte die linke Hand vor. „Also, sind wir Partner, oder was?“
Von seinem Eifer angesteckt, legte Virri die Linke auf. „Klar!“
Erwartungsvoll wandte sich Leo dem älteren Ritter zu mit der stummen Aufforderung, ihren ursprünglichen, geheimen Schwur, der nur zwischen ihnen beiden bestand, zu widerrufen. Schweigend, mit undeutbarer Miene stand Balaen auf, zupfte sich kurz mit der linken Hand am Kragen und schlug mit der eigenen Schwerthand ein.
Das Lied der Erneuerung aus Spirit Tracks
Erneuert im Spiel die zerstörten Gleise in Neu-Hyrule. Als Titel habe ich es gewählt, da hier die Entschlossenheit der Helden erneuert wird, aber auch das geheime Vorhaben von Leo und Balaen.
- Die Definitionen von Beid- und Zweihändern habe ich hier größtenteils erfunden bzw. teilweise umgeschrieben. In Wirklichkeit sind sie anders und nicht so strikt voneinander getrennt.
- In A Link to the Past werden Silberpfeile als die einzige Möglichkeit aufgestellt, Ganon zu bekämpfen; in Ocarina of Time dienen Lichtpfeile dazu, Ganondorf kurzzeitig zu lähmen, und auch in späteren Spielen verhält es sich mit ihnen ähnlich. Insofern haben Silber- und Lichtpfeile die gleiche Funktion, weswegen ich sie hier als Synonym für dieselbe Sache benutze.
- Die Schilde in Skyward Sword haben auf der Rückseite links eine Lederschlaufe, rechts einen metallenen Haltegriff, damit ein rechtshändiger Schwertkämpfer sie am linken Arm tragen kann. Nun führt Leo sein Schwert jedoch bereits mit der Linken; damit er Balaens Schild also am rechten Arm tragen könnte, müssten die Positionen von Schlauf und Griff vertauscht werden. Aber das hab ich einfach mal professionell ignoriert :B