Heyho liebe BB-Community,
ich wollte gern etwas mit euch teilen und euch um eine kleine Kritik oder um Verbesserungsvorschläge bitten.
Ich habe vor einigen Wochen für einen Fantasy-Kurzgeschichten-Wettbewerb etwas geschrieben, worauf ich ziemlich stolz bin. Die Vorraussetzung dafür waren ca. 5000 Wörter, Thematik egal. Ich hab mich also mal dran gesetzt und innerhalb einiger Tage (ich war spät dran ^^) diese Geschichte zusammengezimmert und eingeschickt.
Sagt mir doch, was ihr davon haltet.
Die Dunkelheit und das Licht
Der Lärm, der durch die mondbeleuchteten Straßen von Ostwacht dröhnte, war ohrenbetäubend. Er war ein Gemisch aus gegeneinanderprallenden Leibern, lebendig und tot, dem Sirren von Pfeilen und den kurzen, schmetternden Donnerschlägen der Arkanmagie, die durch die Gassen zuckte. Für einen Laien musste es ein die Sinne irritierendes und undurchdringbares Gewirr sein, schließlich konnte man kaum einzelne Geräusche aus dem Lärm herausfiltern, geschweige denn genau orten, in welcher der zahllosen Seitengassen sie ihren Ursprung hatten.
Doch für Andoras, dem dieses Gemisch aus Geräuschen bereits seit Jahrzehnten vertraut war, war es eher wie eine akustische Karte der Stadt, die sich vor seinem inneren Auge aufbaute.
Sobald er die Augen schloss, sah er sofort die ihm so gut bekannten Straßenecken und Häuserfassaden, durch die er schon in seiner Jugend gewandelt war. Nur, dass er jetzt auch die Gestalten wahrnehmen konnte, die hinter Ecken oder in Torbögen lauerten, um einen vorbeihastenden Feind hinterrücks zu überfallen. Er konnte sie zwar nicht sehen, doch die winzigsten akustischen Signale, die sie aussendeten, etwa ein leises Klappern der Rüstungen oder das flüchtige Sirren der Messer und Schwerter, die aus ihren metallenen Scheiden gezogen wurden, waren für ihn Orientierung genug. Die vielen Jahre Kampferfahrung als Oberster Arkane am Hofe des Königs hatten seine Sinne gestählt und so konnte er sich selbst in völliger Dunkelheit nahezu problemlos orientieren.
›Vier Stück in der nächsten Seitenstraße‹, dachte Andoras. Er konzentrierte sich einen Augenblick, dann krümmte er seine Finger und erschuf so einen Hohlraum zwischen seinen Händen, in dem sich sogleich blauweiße Arkanenergie zu sammeln begann. Als die Kugel groß genug war, schoss er sie in einer routinierten Bewegung gegen das Dach über der nächsten Gasse, woraufhin Tonnen von Gestein und Holzbalken auf die dort versteckten Wesen herunterprasselten und sie unter sich begruben.
Andoras besah sich die Überreste, die unter dein Steinen hervorlugten, genauer. Er hatte diese Wesen noch nie gesehen, bevor sie so plötzlich und unverhofft die Stadt angegriffen hatten. Sie ähnelten von der Statur her seiner eigenen Spezies, doch ansonsten war kaum noch menschliches an ihnen. Ihr Fleisch und ihre Haut hingen in Fetzen von den Knochen und statt Händen hatten sie nur noch knochige Klauen mit rasiermesserscharfen Nägeln, die den Anschein machten, selbst durch die festeste Lederrüstung dringen zu können. Die Wesen waren außerdem so gut wie kahl, nur noch ein paar einzelne Haarbüschel zierten ihren Kopf, und ihre Augenhöhlen waren leer und dunkel wie die Eingänge zu den Abwasserkanälen der Stadt.
Auf den Arkanen wirkten sie wie schon vor Jahren verstorben und doch waren sie auf wundersame Weise lebendig. Sie bewegten sich, konnten offenbar sehen und hören und aus ihren offen klaffenden Kehlen kamen hin und wieder krächzende Geräusche, mit denen sie scheinbar kommunizierten.
Andoras strich sich langsam über den Bart. Seine Kleidung war aus schwerem, aber simplem Stoff, der von einigen dicken Ledergürteln zusammengehalten wurde, in denen allerlei Fläschchen mit Kräutern und farbigen Flüssigkeiten steckten. Er wirkte alt und sein wettergegerbtes Gesicht schlug schon viele Falten von all den Jahren und der Lebenserfahrung, die hinter ihm lagen. Nur seine eisblauen Augen blitzen forschend und voller Tatendrang durch die grauen Haarsträhnen, die ihm ins Gesicht fielen.
»Was meinst du zu der Sache, Ezra?«, fragte er seinen Schüler, der inzwischen zu ihm aufgeschlossen hatte. »Was hältst du von diesen Kreaturen?«
Ezra war mit seinen sechzehn Jahren gerade volljährig und in seinem Aussehen das exakte Gegenteil zu seinem Mentor. Er überragte Andoras um gut eine Kopflänge und war schlaksig und flink. Sein enzianblauer Mantel hob sich hell von seinen pechschwarzen Haaren und den haselnussbraunen Augen ab, die nun offen und nachdenklich seinen Mentor anblickten.
»Sie wirken auf mich wie die Untoten, die Aurelian Swayl in seinem Kompendium über die Verlorene Welt beschreibt, Sir.«, antwortete Ezra mit einem Hauch Unsicherheit in der Stimme. Er hatte sich im Laufe seines Studiums des Arkanen bei Andoras auch mit der Geschichte ihrer Welt beschäftigt, bei dem das Kompendium absolute Pflichtlektüre war.
»Ganz recht...«, murmelte Andoras und zupfte sich wieder nachdenklich am Bart. ›Doch die Untoten galten schon seit Jahrzehnten als Legende‹, dachte er. Sie waren ein Schauermärchen, dass man unartigen Kindern erzählte, um sie zur Achtsamkeit zu erziehen. Solche Wesen nun leibhaftig vor sich zu sehen war beunruhigend. Ja, geradezu beängstigend.
»Zur Seite, Sir!«, rief Ezra plötzlich. Andoras konnte gerade noch rechtzeitig ausweichen, bevor ein Blitz aus arkaner Energie an ihm vorbeischoss und eines jener Wesen in die Brust traf, das sich gerade von der Hauptstraße aus in ihre Seitengasse gewagt hatte. Die Kreatur flog einige Meter rückwärts und krachte in eine bröckelige Häuserwand, wo sie schließlich regungslos liegenblieb.
Ein fiependes Kreischen ertönte einige Meter über ihnen aus der Luft und mit schnellem Flattern kam ein etwa einen Meter langes, echsenartiges Geschöpf in die Gasse geschossen und landete auf Ezras Schulter. Es breitete seine ledernen Flügel aus und stieß eine kleine, bläuliche Flammenzunge in die Nacht. Seine türkisfarbenen Schuppen glänzten im Schein des Mondes.
Ezra strich dem Drachen liebevoll über den Rücken. »Gute Arbeit, Samyra«, lobte er das Tier, »du hast es denen richtig gezeigt.« Als Bestätigung stieß Samyra einige Funken aus und verkroch sich dann müde im Ärmel von Ezras weitem Mantel, welchen er sogleich zusammenraffte, um Samyra vor dem tosenden Lärm zu verbergen.
Aus der Ferne ertönte das Blasen eines Signalhorns. Das war die Bestätigung, dass die Schlacht gewonnen und der Feind vorerst zurückgeschlagen war. »Gut gekämpft«, sagte Andoras, »aber wir sollten ins Laboratorium zurückkehren. Schlaf dich aus, wir haben morgen einiges zu besprechen.«
Die Taverne war düster, nur erleuchtet von einigen wenigen Kerzen auf den Tischen und dem Tresen. Durch die Fenster schien spärliches Mondlicht, was die Atmosphäre im Raum nur noch trostloser erscheinen ließ, doch die dicke Eingangstür bot ausreichend Schutz vor dem eisigen Oktoberwind, der draußen blies. Hier drinnen war es deutlich wärmer und angenehmer als in der Kälte der Nacht und die wenigen Gäste, die zu so später Stunde noch dort verkehrten, ließen den Abend noch bei einem dampfenden Becher Honigwein in kleiner Runde ausklingen, bevor sie sich auf den Weg nach Hause und in ihre gemütlichen Betten machten.
Schließlich blieben nur noch drei Personen in der Schänke übrig. Der Wirt, der in die monotone Arbeit des Gläser Polierens vertieft war, der alte Eddie, der fast immer als letzter übrig war und sein Bier genoss und schließlich eine Gestalt im schwarzen Umhang, die alleine und schweigend in einer dunklen Ecke des Schankraums saß. Durch die tief ins Gesicht gezogene Kapuze konnte man ihr Gesicht nicht erkennen, doch weder der betrunkene Eddie, noch der Wirt beachteten sie, waren sie doch in ein Gespräch über die neusten Vorfälle verwickelt, die sich erst am Abend zuvor in den Straßen der Nachbarstadt Ostwacht ereignet hatten.
»...kaum zu glauben«, stellte Eddie sichtlich angetrunken fest. »Untote in dieser Gegend? Das hat es doch schon seit Jahrzehnten nicht mehr gegeben.«
Bei diesen Worten hob die Gestalt in der Ecke kaum merklich ihren Kopf, so wenig, dass es den beiden an der Theke nicht auffiel.
»Wohl wahr«, pflichtete der Wirt Eddie bei. »Ich bin zum Glück zu jung, um mich an die Vorfälle von damals erinnern zu können, aber du warst doch hautnah dabei, nicht wahr, Ed?«
»Das war ich, das war ich...«, murmelte Eddie. Der Alkohol schien ihm zu Kopf gestiegen zu sein und seine Worte waren kaum noch mehr als ein undeutliches Gebrummel.
»Was soll das denn heißen?«, ertönte plötzlich die junge, weibliche Stimme der Gestalt in der Ecke. Diese Stimme erklang durch die Leere und Stille des Schankraumes lauter als die beiden an der Theke es erwartet hätten und Eddie zuckte aufgrund dieses lauten Geräusches und seinem Rausch leicht zusammen.
»Verzeihung«, sagte die Frau etwas leiser, als sie sich der Lautstärke ihrer Stimme bewusst wurde. Sie stand auf und ging langsam in Richtung des Tresens. Dabei verrutschte ihr Mantel und entblößte dabei für einen kurzen Augenblick eines Teil ihres sportlichen Körpers und eine Reihe von Messern, die an ihrem Gürtel hingen. Als sie bemerkte, dass der Wirt sie gesehen haben musste, warf sie schnell wieder ihren Umhang darüber.
»Ist so etwas denn schon einmal passiert?«, fragte sie den Wirt interessiert. Dieser hielt einen Moment inne, um nachzudenken.
»Vor etwa 50 Jahren«, begann er schließlich, »gab es eine ähnliche Zeit. Damals trieb ein wahnsinniger Hexer sein Unwesen in unserer Welt. Auf seinem Gewissen lasten tausende Tote. Viele stellten sich ihm und seiner Armee der Toten damals entgegen, unter anderem unser Freund Ed hier, doch seine Übermacht metzelte einen nach dem anderen nieder. Nur einige wenige tapfere Kämpfer blieben am Leben und konnten sich schließlich zusammenschließen und den Hexer in einem gewaltigen Kampf aufhalten.
Wir dachten, er wäre für immer verschwunden, doch jetzt sieht es so aus, als wäre er zurück. In Ostwacht wurden wieder wandelnde Tote gesehen, diese Nachricht hat ein Kurier heute morgen vorbeigebracht. Die Armee des Königs hat sie zurückgeschlagen, doch ich fürchte, es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Stadt fällt und auch unser kleines Dorf in Gefahr ist.«
»Du solltest die Stadt verlassen, so schnell du kannst«, sagte Ed melancholisch zu dem Mädchen, »lauf einfach weg, so weit wies geht...« Das Mädchen ignorierte ihn.
»Also gibt es einen Widerstand gegen diese Dinger?«, fragte sie aufgeregt. In ihrer Aufregung bermerkte sie nicht, wie ihr währenddessen die Kapuze des Umhangs etwas nach hinten rutschte und den Blick auf ihr junges Gesicht freigab.
Das Mädchen war sehr jung, vielleicht vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Die gelockten, schwarzen Haare, die ihr bis knapp über die Schultern fielen und die smaragdgrünen Augen verliehen ihr etwas mysteriöses, das in starkem Kontrast zu ihren kindlichen Gesichtszügen und den paar Sommersprossen stand, die sich um ihre Nase herum ausgebreitet hatten. Ihr Körper war von dem Mantel verhüllt, doch der Wirt konnte erkennen, dass sie sportlich sein musste. Vielleicht lebte sie auf der Straße und musste agil sein, um Schlägern und etwaigen anderen Gefahren aus dem Weg gehen zu können.
»Natürlich gibt es den«, erwiderte der Wirt, »doch der besteht hauptsächlich aus ein paar Magiern vom Hof und der inzwischen sicherlich ziemlich kleinen Armee des Königs. Wenn es wieder so abläuft wie damals, hält die Armee nicht lange gegen die Untoten stand.«
»Dann sollte man sie vielleicht unterstützen und nicht untätig hier herumsitzen, wie ihr es tut!«, protestierte das Mädchen zornig, »ich für meinen Teil werde etwas tun!«
Und noch bevor der Wirt oder der Alte Eddie etwas weiteres erwidern konnten, hatte sie bereits wutentbrannt ihre Kapuze wieder ins Gesicht gezogen und war durch die hinter ihr zuschlagende Eichentür hinaus in die kalte Herbstnacht gestürmt.
Andoras und Ezra saßen an einem runden Tisch in der Mitte des Labors. Vor ihnen stapelten sich haufenweise alte Bücher und Schriften und eine dicke Kerze erhellte den Raum. An den Wänden standen Regale über Regale mit zig Einmachgläsern und Flaschen, die mit allerlei Absonderlichkeiten gefüllt waren. Da gab es Pulver und Flüssigkeiten, Kräuter und Gräser, Schuppen und Federn, die alle in den buntesten Farben glitzerten, leuchteten oder floureszierten.
An ein paar Tischen an den Wänden standen lauter Materialien für die alchemistische Arbeit, deren Zweck mal mehr, mal weniger offensichtlich war. Schälchen zum Zermahlen von Kräutern, Flaschen und Bunsenbrenner zum Erhitzen von Flüssigkeiten, Schläuche, die von einem Gefäss in ein anderes ragten und merkwürdige, mechanische Apparaturen, deren Nutzen man nur vermuten konnte.
Die beiden Arkanen grübelten im Kerzenschein über den Schriften und murmelten vor sich hin. Samyra schlief friedlich in einer Ecke des Labors. Ihr schien es wohl kaum etwas auszumachen, dass die Stadt in so großer Gefahr war.
»Hier, ich glaube, ich habe etwas«, sagte Ezra schließlich langsam.
»Zeig mal her«, meinte Andoras und beugte sich zu Ezra hinüber. Das Manuskript, das vor dem Schüler lag war alt, sehr alt. Es musste noch aus der Zeit der Verlorenen Welt stammen. Die Worte waren aufgrund des Alters des Pergaments und der Handschrift schwer zu entziffern.
In schwarzer Tinte stand dort:
Wenn das Tote zum Leben erwacht,
Und der Tag wird zu tiefster Nacht,
Wenn Dunkelheit nimmt dir die Sicht,
Und finstre Macht den Willen bricht,
Dann eile dich und such das Licht!
»Das ist es, Ezra!«, rief Andoras aufgeregt, »das ist der Schlüssel zum Sieg über die Untoten! Sofern sie, wie wir vermuten, wieder vom Hexer Ethros gelenkt werden. Jetzt müssen wir nur noch herausfinden, was wir mit dieser Information anfangen.«
»Welche Information denn bitte? Ich verstehe gar nichts. Das ist doch nur ein Gedicht, wie soll uns das weiterhelfen?«
»Wenn das Tote zum Leben erwacht und der Tag wird zu finstrer Nacht...« - »Ja, das leuchtet alles ein!«, unterbrach Ezra den Arkanen, »doch was soll die letzte Zeile? Die ist so nichtssagend, die könnte alles bedeuten!«
»Das muss... das muss...«, grübelte Andoras leise, »vielleicht eine ArtWaffe... Eine Waffe, die man effektiv gegen dunkle Magie einsetzen kann... Lass mich bitte eine Zeit nachdenken, Ezra. Mach doch bitte einen Spaziergang und sieh nach dem aktuellen Stand der Aufräumarbeiten in der Stadt, ja? Vielleicht fällt dir ja unterwegs auch etwas kluges zu den Zeilen ein.«
Ezra wanderte durch die von der gestrigen Schlacht verwüstete Stadt. Überall waren Einwohner zu sehen, die Schutt auf Karren luden, größere Gesteinsbrocken in Gruppen davonschleppten und die leblosen Überreste der Untoten auf große Haufen warfen und verbrannten.
›Wie angestrengt und ordentlich sie arbeiten‹, dachte Ezra bewundernd, ›dabei haben manche sogar ihr gesamtes Hab und Gut verloren.‹ Er war immer wieder erstaunt vom Zusammenhalt und der Hingabe der Stadtbewohner.
Der Schüler bemerkte zuerst nicht, dass er verfolgt wurde. Die Gestalt im dunkeln Umhang fiel ihm erst auf, als er bereits die halbe Stadt durchquert hatte. Als er sich dessen bewusst wurde, änderte er sein Tempo und wich in Seitengassen aus, in der Hoffnung, den Verfolger abzuschütteln. Irgendwann konnte er niemanden mehr in der Menschenmasse entdecken und glaubte sich sicher.
Bis er schließlich um eine weitere Ecke bog und die Person vor ihm stand. Ezra erschrak kurz, doch davon versuchte er, nichts zu zeigen.
»Warum folgst du mir?«, fragte er.
»Du bist ja mit deinem blauen Mantel kaum zu übersehen, wie du hier durch die Straßen tigerst. Du arbeitest doch an der Bekämpfung der Monster, hab ich nicht recht?«
Die Stimme klang weiblich. Und auch der Körperbau war eindeutig feminin, soweit Ezra das durch den Mantel, den die Gestalt trug, beurteilen konnte. Zudem musste diese Frau außerordentlich leichtfüßig sein, wenn sie selbst seinem geschulten Gehör entgehen konnte.
Er ging nicht weiter auf die soeben gestellte Frage ein. Ezra hätte nicht gedacht, dass diese Information so schnell nach draußen gelangen würde, erst recht nicht, da Andoras und er bis auf dieses Gedicht noch nicht einmal sichtliche Ergebnisse hatten.
»Wer bist du? Und wie kommst du auf sowas?«, fragte er stattdessen.
»Mein Name tut nichts zur Sache!«, fauchte sie, »stimmt es denn oder nicht? Du bist sicher einer von diesen Zaubertypen, so edle Kleidung kann sich das normale Volk doch niemals leisten. Habt ihr nun einen Plan gegen diese Viecher, oder was? Ihr werdet doch sicher nicht den ganzen Tag nur in eurer riesigen Akademie sitzen und Däumchen drehen.«
»Nun ja...«, zögerte Ezra. Er konnte nicht einfach einer völlig fremden Person alles über ihre Arbeit erzählen. Andererseits, wenn sie so interessiert war, konnte sie sich vielleicht als nützliche Verbündete erweisen. Und sechs Augen sahen ja bekanntlich mehr als vier.
»Ich mache dir ein Angebot«, sagte er letztendlich, »ich nehme dich mit zu meinem Lehrmeister. Entweder er wird dir erzählen, was Sache ist oder er wird dich dazu bringen, alles über uns Magier und die Untoten zu vergessen. Klingt das gut für dich?«
»Hm«, grübelte sie, »einverstanden. Aber keine krummen Dinger, ja? Ich mag zierlich wirken, aber ich kann kämpfen! Und das gar nicht mal so schlecht! Im Übrigen: mein Name ist Lillith. Aber nenn mich Lil.«
Lillith und Ezra betraten das Laboratorium. Irgendetwas schien anders als bei Ezras Verlassen, doch ihm war nicht sofort klar, was es war.
»Andoras?«, rief er ins Labor zurück, doch es kam keine Antwort.
»Sei vorsichtig«, riet er Lillith, »wir wissen nicht, was hier passiert ist. Sei auf alles gefasst.«
»Ihr habt ja unglaubliche Sachen hier!«, rief das Mädchen aufgeregt, »wofür ist dasdenn? Und das hier?« Sie stand vor einem der alchemistischen Geräte und betrachtete es verwundert.
»Fass hier ja nichts an! Du weißt ja gar nicht, was alles passieren könnte.« - Was denn, wird es explodieren, oder was?«, kicherte sie.
»Ja!«
»Oh.« Lillith zog langsam die Finger zurück.
»Irgendwas stimmt hier nicht«, sagte Ezra leise, »wo ist Andoras? Und warum zieht es hier so?«
Die beiden folgten dem Luftzug langsam in die angrenzende Bibliothek. »Was zum...« Eines der Bücherregale war beiseite geworfen und im ganzen Raum verteilt lagen Bücher, Manuskripte und Papierfetzen verteilt. Doch das unglaublichste daran war, dass in der Wand, wo vorher das Regal stand, ein dunkles Loch von etwa anderthalb Metern Durchmesser klaffte. Dahinter konnte Ezra bloß eine unregelmäßige Treppe erkennen, die grob ins Gestein gehauen war.
»Was sollen wir jetzt machen?«, fragte Lillith zögernd, »wo ist dein sogenannter Lehrmeister? Und war dieses riesige Loch schon immer da?«
»Natürlich nicht, jedenfalls weiß ich nichts davon.«
Lillith spähte vorsichtig die Treppe herab. »Ganz schön dunkel da unten«, stellte sie fest, »was meinst du wie tief das runtergeht? Und wo der Gang hinführt?«
»Das kann man einfach herausfinden. Wir müssen einfach da runter. Von hier kommt auch der Luftzug, den ich eben gespürt habe, also muss es dort unten irgendwo weitergehen. Ich bin mir sicher, was immer Andoras, mein Lehrer, vorgehabt hat oder was ihn geholt hat, da unten werden wir eine Antwort finden.«
»Aber...«, setzte Lillith zu einem Protest an, doch schloss den Mund gleich wieder. »Willst du da wirklich runtergehen?«, fragte sie stattdessen zögernd, »da könnte Gott weiß was auf uns lauern. Und es ist auch ziemlich dunkel, wie willst du verhindern, dass wir einfach die Treppe runterfallen und uns das Genick brechen?«
»Das ist das geringste Problem«, erwiderte Ezra ruhig und ernst. Er konzentrierte sich einen Moment und schnippte dann mit den Fingern. Ein kleiner Funken erschien und eine Sekunde später loderte in seiner Hand eine kleine, blaue Flamme auf. Das Feuer schien zu schweben und auch nicht besonders heiß zu sein, denn Ezra verzog keine Miene.
»Wow«, hauchte Lillith beeindruckt, »ihr Arkanen scheint ja doch zu mehr gut zu sein als nur Zaubertricks. Oder zumindest helfen diese Tricks in diesem Fall wenigstens weiter.«
Als das blaue Licht auf die Treppe fiel, stockte den beiden der Atem. Der Gang war offenbar bereits vor langer Zeit mit Werkzeugen in das Gestein gegraben worden zu sein. Davon zeugten in die Wände geritzte Runen und andere seltsame Schriftzeichen, die Ezra noch nie gesehen hatte. Mit Runen war er zwar aus den vielen alten Büchern vertraut, die er in seiner bisherigen Lehre bei Andoras gelesen und studiert hatte, doch konnte er sie ohne Lexika und Übersetzungstabellen unmöglich entschlüsseln.
Ezra spähte noch einmal die Treppe herunter und Lillith tat es ihm gleich.
›Es geht schon ziemlich weit runter‹, dachte er, ›aber es hilft nichts, ich mussAndoras helfen.‹
»Also gut«, sagte er nach einigem Zögern mit festerer Stimme als er es erwartet hatte, »wollen wir oder was?«
»Du gehst vor!«, sagte Lillith kleinlaut. Ihr war es nicht ganz so gut gelungen, ihre Angst zu verbergen, doch sie stellte sich dennoch mutig hinter den jungen Arkanen und zog einen langen Dolch aus dem Gürtel unter ihrem Mantel. »Nur für den Fall.«
»Moment noch. Samyra!«, rief er ins Labor hinein. Ein leiser Schrei gellte aus den Tiefen des Raumes und ein paar Sekunden später kam das gerufene Drachenweibchen angeflogen und landete auf Ezras Schulter.
»Gott, wie niedlich!«, piepste Lillith vergnügt, »es ist so winzig!«
»Ernsthaft? Das hab ich jetzt nicht erwartet. Die meisten Leute zucken zusammen, wenn sie Samyra sehen«, antwortete Ezra überrascht.
»Naja, aber sie ist doch niedlich«, antwortete sie und streckte vorsichtig die Hand nach dem Tier aus. Samyra legte den Kopf an Lilliths Handfläche und schnaubte zufrieden aus.
»Wollen wir dann los oder was?«, fragte Ezra verärgert.
»Entschuldige. Natürlich.«
Die beiden wandten sich wieder dem Loch in der Wand zu und begannen vorsichtig mit dem Abstieg.
Die Treppe zog sich hunderte Meter hin. Auch die unregelmäßigen Wände und die unleserlichen Schriftzeichen halfen nicht wirklich bei der Orientierung weiter. Das Licht in Ezras Hand reichte zwar aus, um die nächsten paar Stufen vor ihnen zu erhellen, doch die beiden konnten das Ende der Treppe nicht erkennen. Wenn sie zurückblickten, war das Licht aus der Bibliothek nur noch ein winziger Punkt in weiter Ferne.
Auch wurde es mit zunehmender Anzahl Stufen, die sie hinabgestiegen waren immer kälter. Ezra fröstelte und Lillith schlang ihren Mantel enger um sich.
Auf einmal blieb Ezra stehen. »Hey, ich hätte dich fast umgerannt!«, rief Lillith laut, »pass mal besser auf! Wieso bist du denn stehengeblieben?«
»Die Treppe ist zu Ende«, antwortete Ezra, »und da vorne ist eine Tür.«
Die beiden standen vor einer massiven hölzernen Tür. Sie war etwa zweieinhalb Meter hoch und aus schwerem, festem Eichenholz. Die Ränder waren mit Eisen beschlagen und unter dem Türknauf war ein großes Messingschloss angebracht. Links und rechts neben der Tür hingen Fackeln an der Wand, die die Tür in ein flackerndes, oranges Licht hüllten. Ezra löschte die Flamme in seiner Hand und sah Lillith an.
»Ich schätze, du hast keinen Hokuspokustrick parat, um Schlösser zu öffnen, oder?«, fragte Lillith schelmisch. »Leider nein«, antwortete Ezra nachdenklich.
»Aber ich«, grinste Lillith und zog aus irgendeiner Tasche ihres Umhangs einen kleinen metallenen Gegenstand.
»Ein Dietrich?«, fragte Ezra unsicher, »kannst du denn damit umgehen?«
»Ich denke schon«, lächelte Lillith verschmitzt, »ich hab schon so einiges unbefugt betreten, da hält mich so ein simples Schloss doch nicht auf.«
Lillith kniete sich vor das Schloss und hantierte eine Weile mit dem Dietrich daran herum. Nach einiger Zeit klickte es leise und das Schloss sprang auf.
»Treten sie ein, mein Herr«, grinste sie und stieß schwungvoll die Tür auf. Was sich hinter der Tür befand, verschlug den beiden den Atem.
Sie standen in einer Halle gigantischen Ausmaßes. Sie erstreckte sich über etwa 20 Meter und war erleuchtet von weiteren Fackeln an den Säulen, die in regelmäßigen Abständen in der Mitte des Raumes standen.
Einige Meter von ihnen entfernt lag Andoras zusammengesunken am Boden. Ezra lief schnell zu him, um seinen Puls zu untersuchen. Samyra stieß einen leisen, jammernden Laut aus und stupste Andoras liebevoll mit der Schnauze an.
»Er lebt, aber er ist schwach«, teilte Ezra Lillith besorgt mit, »ich kann keine Verletzungen erkennen, aber er ist geschwächt. Er muss heftig was abbekommen haben.«
»Was machen wir jetzt?«, fragte Lillith besorgt. Sie schien sich jedoch weniger Gedanken um den Mentor, als vielmehr um ihr eigenes Leben zu machen. »Ich meine, denkst du nicht, wir sollten schnellstmöglichst verschwinden? Was wenn das, was ihm so geschadet hat, zurückkommt?«
»Dann müssen wir es aufhalten«, entschied Ezra entschlossen, »wenn Andoras nach hier unten gelangt ist, wurde er entweder mit Gewalt hierher gebracht oder er hat etwas in einem der Bücher gelesen, das sein Interesse geweckt hat. In beiden Fällen denke ich, dass es etwas mit den Untoten und dem dunklen Hexer zu tun hat, der sie schon damals befehligt hat. Bevor ich in die Stadt gegangen bin, hat Andoras irgendetwas von einer Waffe gefaselt, die man gegen den Hexer einsetzen könnte. Es hatte irgendwas mit Licht zu tun...«
Lillith schnaubte abschätzig. »Das hilft uns ja so unglaublich viel weiter. Wo sollen wir denn auf die Schnelle eine Waffeherbekommen? Oder meinte das Buch etwa bloß Sonnenlicht? Auch nicht gerade in greifbarer Nähe.«
In diesem Moment verdunkelte sich der Raum. Die Flammen der Fackeln fielen bis auf eine kleine Glut zusammen und einige erloschen sogar ganz.
Ja, die Dunkelheit schien beinahe greifbar zu sein, wie ein dicker Nebel, der aus allen Ecken der Halle quoll, bis er schließlich den ganzen Raum ausfüllte. Und aus der Tiefe dieses Nebels erhob sich eine Gestalt. Eine Gestalt, die nur aus konzentrierter Dunkelheit zu bestehen schien. Sie lachte ein so schauriges, den gesamten Raum ausfüllendes Lachen, dass Ezra eine Gänsehaut über den Körper lief.
Ezra und Lillith atmeten tief ein und auch Samyra schien von der Dunkelheit verängstigt. Sie stieß eine Flammenzunge in die Dunkelheit, doch der Raum erhellte sich dadurch kaum. Die Dunkelheit war so dicht, dass nicht einmal das Feuer sie wirklich durchdringen konnte.
Sobald Ezra die Gestalt erblickt hatte, wurde ihm schlagartig kalt. Doch die Kälte schien aus seinem Inneren heraus zu kommen, als wäre sein Herz eingefroren, und breitete sich langsam bis in seine Zehenspitzen aus. Das Lachen des Hexers erklang nun auch direkt in seinem Kopf wie eine innere Stimme. Es war beängstigend. Und anhand von Lilliths Miene konnte er ablesen, dass es ihr ähnlich ergehen musste.
Zeitgleich begann der Boden zu vibrieren, wie von einem Erdbeben. In ihrem Schock sahen die drei dabei zu, wie sich vor ihnen eine Hand nach der anderen aus dem Boden herausgrub. Es folgten Schwerter in den Händen und schließlich knochige Köpfe mit toten, leeren Augenhöhlen und in Fetzen hängender Haut, die große Teile des Schädelknochens freilegte. Es waren hunderte der untoten Wesen, die nun vor ihnen standen, die Waffen kampfbereit auf sie gerichtet.
»Was sollen wir jetzt tun?«, flüsterte Lillith dem jungen Arkanen panisch zu, ohne dabei den Blick von den sich beinahe vollständig materialisierten Umrissen des Hexers abzuwenden, »Weglaufen scheint mir eine kluge Option zu sein, was-«
»Hast du vorhin Sonnenlicht gesagt?«, unterbrach Ezra sie hektisch, »ich hab da so eine Idee!« Er konzentrierte sich und hielt seine Handflächen aneinander. Ein schwaches Licht schien aus seinen Fingern hervor.
»Ja, das könnte klappen!«, rief er triumphierend, »kannst die Viecher für ne Weile aufhalten, Lil? Samyra, hilf ihr so gut du kannst!« Lillith nickte ernst und warf in einer dramatischen Geste ihren Umhang ab, woraufhin mehrere Gürtel zum Vorschein kamen, die um ihre Hüfte und Oberkörper gewickelt waren und in denen unzählige Wurfmesser, Dolche und kurze Schwerter steckten. Samyra stupste Ezra noch zur Bestätigung in die Wange, dann stürzten die beiden sich ins Gefecht.
Lillith bewegte sich so gewand, wie Ezra es noch nie gesehen hatte. Wo sie in einem Moment noch einem Schwerthieb ausgewichen war, ging der Untote, der ihn ausgeführt hatte, im nächsten Moment auch schon mit einer Klinge im Hinterkopf zu Boden, woraufhin Samyra angeflogen kam und den am Boden liegenden Körper zu Asche verbrannte.
Doch der Drache kam kaum hinterher, so rasant wie Lillith sich durch die Horde der Feinde kämpfte. Gekonnt wich sie jedem einzelnen Hieb oder Schlag aus und auch wenn es einige male sehr knapp wirkte, so wurde sie doch nicht ein einziges mal auch nur gestrichen.
»Wie lange brauchst du da für deinen Hokuspokus noch!?«, rief sie Ezra zu, »ich weiß nicht, wie lange ich das hier noch schaffe!«
»Ich bin soweit!«, rief Ezra zurück, »Augen zu!«Lillith konnte gerade noch die Augen schließen, bevor Ezra die Hände auseinander nahm und die Innenflächen der Horde Untoter entgegenhielt. Ein gleißend grelles Licht, wie von der Sonne höchstpersönlich, schien aus seinen Handflächen und badete den gesamten Raum, bis kein einziges Fleckchen Schatten mehr zu erkennen war. Die Toten schrien gequält auf, das Sonnenlicht schien ihnen Schmerzen zu bereiten. Sie wanden und krümmten sich am Boden zusammen, bis sie letztendlich anfingen, sich aufzulösen und nur noch ein Haufen Staub von ihnen übrig blieb.
»So, und nun zu dir«, wollte Ezra grimmig und laut den Hexer ansprechen, doch der hatte sich in Luft aufgelöst. An der Stelle, wo er vorher stand, fand sich nur eine Notiz in sauberer, geradezu akkurater Handschrift:
Ihr habt mich nicht zum Letzten Mal gesehen. Folgt mir doch, wenn ihr euch traut. Folgt mir bis in die tiefsten Geheimnisse der Magie. Doch verlauft euch nicht darin...
Ezra steckte den zettel nachdenklich in die Tasche und ging langsam zu Andoras hinüber, der noch immer am Boden lag. Doch er war offensichtlich wach geworden und setzte sich nun mit Ezras und Lilliths Hilfe auf.
»Was ist denn passiert?«, fragte er verwirrt, »ich kann mich kaum noch an etwas erinnnern...«
»Ihr werdet es nicht für möglich halten«, antwortete Ezra ihm grinsend, »doch ruht Euch erst einmal aus. Von den Ereignissen kann ich Euch auch morgen noch berichten.«
Hiermit schließt sich nun dieses Kapitel. Was es mit der Verlorenen Welt auf sich hat und ob der dunkle Hexer zurückkehren wird steht, wie man so schön sagt, auf einem anderen Blatt.
Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten.