Erzählungen einer Katze

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  • Erzählungen einer Katze




    Ich hatte einmal ein Topic bei den Sammlungen und schreibe auch eher selten Kurzgeschichten. Wenn ich doch welche verfasst habe, dann für die Wettbewerbe hier (habe nicht allzu oft teilgenommen) und für Animexxaktionen.
    Meist habe ich dafür Originale geschrieben, aber ab und an könnt ihr von mir ebenfalls Fandomwerke erwarten.
    Die ich bereits geschrieben habe, werde ich nicht alle aufeinmal posten, um euch nicht damit zu erschlagen und übrigens schreibe ich zu jeder KG die Wortanzahl dazu, damit ihr wisst, ob ihr sie in einer Pause oä. lesen könnt. ^^
    Ansonsten gibt es nicht sonderlich viel zu sagen, da jede für sich steht, selten in zwei Posts / Kapitel geteilt ist und es unterschiedliche Werke sind. Weihnachtsgeschichten, Fantasy, Romance (Boys Love, Girls Love, Het), ... ihr findet alles. =)


    Viel Spaß mit ihnen. :heart:



    Inhaltsverzeichnis


  • Lichter über den Trümmern der Welt





    Animexx Winter-Wichtelgeschichte 2017 / 2018
    Fandom: Owari no Seraph


    Genres: Dystopie / Post-Apokalypse, Drama, Freundschaft, Familie, (Boys Love)



    Vorwort


    Das Pairing ist nur angedeutet und kann auch gerne platonisch interpretiert werden. Zumindest sehe ich das so. ^^


    Würde behaupten, dass der One-Shot vor allem character-centric aus Yuus Sicht ist und sich etwas mit seinen Eindrücken von Sanguinem und den Geschehnissen beschäftigt. ^^
    Ein paar "kleinere" Ereignisse aus Yuus Vergangenheit, vor allem was seine Eltern betrifft, werden eventuell gespoilert und wahrscheinlich wäre es von Vorteil das Fandom zu kennen.
    Jedenfalls habe ich mich sehr gefreut für die Wichtelaktion mal etwas anderes als im Pokemonfandom oder ein Original zu schreiben. Das letzte Mal, als ich mich in einem anderen Fandom versucht habe, hatte ich vor recht vielen Jahren eine Digimonstory begonnen.


    Zudem habe ich ein kleines Flashback zwischen Guren und Yuu eingebaut, das in der zweiten Staffel vorkommt und eigentlich gar nichts Handlungstechnisches spoilert, aber dafür imo einfach nur schön war. ^^
    Von meinem persönlichen Standpunkt aus, bin ich auch großer Fan von der Guren-Yuu-Dynamik und die Beziehung, die beide zueinander haben, gehört zu einen meiner liebsten „Vater-Sohn-/Mentor-Schüler“-Beziehungen, ob nun leiblich oder nicht. Daher wollte ich noch etwas Kleines in diese Richtung einbauen.


    Hab den Dialog zwischen Yuu und Kouta dann ein wenig angepasst, um dem Thema des Winterwichtelns, "Polarlichter", gerecht zu werden, weil ich es eigentlich zuallererst vergessen hatte. So nachträglich wirkt es für mich etwas erzwungen, tho... well.


    (Vollkommen unnötiger Funfact: Sanguinem bedeutet Blut oder blutrot, wie ich gelesen habe. The more you know.)


    Viel Spaß!


    (Das Fanart des Covers gehört nicht mir.)




    Lichter über den Trümmern der Welt


    Wörter: 3.398



    Die Erinnerung der Kinder daran wie der Himmel aussah, wie sich Gras, Wind, Regen und wärmende Sonnenstrahlen auf der Haut anfühlten, war verblasst. All das war einer düsteren Stadt unter Kyoto mit matten Lichtquellen gewichen, deren Firmament eine Steinkuppel darstellte.
    Obwohl die Vampire vor Jahrhunderten bereits Wege gefunden hatten, um sich vor der Sonne mit Schmuck zu schützen, der UV-Strahlen abschirmte, scheuten sie diese. Nicht nur diese. An der Oberfläche hätten die Kinder gigantische Monster erwartet. Unförmig und unproportioniert, sahen sie nicht wirklich real aus. Damals, als alle Erwachsenen innerhalb eines Abends in sich zusammengebrochen waren und tausende Tote auf den Straßen lagen, hatten die Kinder einen Blick auf die Vier Apokalyptischen Reiter erhaschen können. Ein Anblick, der ihnen in Mark und Bein gefahren war.
    Nur wenige Minuten später waren sie von Vampiren, Gestalten, die davor in den Köpfen der Menschen ebenfalls nur in Märchen und Gruselgeschichten existiert hatten, in eine unterirdische Stadt entführt worden, um dort von fortan als lebende Blutbank ein freudloses Leben zu fristen. So fühlte es sich an, wenn die Welt vor den eigenen Augen unterging und da ihnen alles so unwahrscheinlich und irreal erschien, hofften einige der Kinder immer noch jeden Abend, dass sie in ihren Betten daheim erwachten, wenn sie nachts in den Schlaf fielen und endlich diesem irrsinnigen Albtraum entkamen.
    Da die Ungeheuer an der Erdoberfläche aussahen, als wären sie einem Horrorfilm entsprungen, hatten die Kinder anfangs jede einzelne dieser Lügen geglaubt; dass man sie nicht bezwingen könnte – die Vampire selbstverständlich erst recht nicht -, dass sie bloß in Sanguinem sicher wären und ein Leben an der Oberfläche nicht mehr möglich war.


    Yuuichirou protestierte dagegen und erzählte allen, gleichgültig, ob sie es hören wollten, dass er jeden einzelnen Vampir töten könnte. Unaufhörlich, voller Stolz und Inbrunst. Von Mika und Akane abgesehen, waren die anderen der Hyakuya-Waisen so viel jünger als er und hörten seinen Fantasierein gerne zu. Sie blühten zusammen mit ihm darin auf, schnappten sich umherliegende Gegenstände, meist Kochlöffel und Stöcke, und spielten ihre Fantasien nach. Zuerst hatte Mika protestiert, bis er verstanden hatte, dass die Vorstellung einer besseren und freien Zukunft die Kinder davon abhielt, ebenfalls so gleichgültig und tot wie die bereits vor langem verstorbenen Mythengestalten, in deren Gewalt sie waren, dahinzuvegetieren. Nicht nur den Jüngeren. Es half auch ihm. Und alles, was Yuuichirou dabei half seinen Lebensmut zu behalten, war willkommen. Der Junge glaubte selbst jedes seiner eigenen Worte und irgendwann entschied auch Mika, dass er Recht behalten könnte und er etwas dazu beitragen müsste. Bloß nicht auf Yuuichirous Art und Weise.


    Reale Vampire, das waren emotions- und regungslose Gestalten, in deren roten, toten Augen keine aufrichtige Regung zu finden war. Sie trugen steril weiße Uniformen und hausten in jener ebenso sterilen, dafür stockfinsteren Untergrundstadt.
    Selbst, wenn die Kinder dachten, sie hätten sich an den Anblick der Stadt gewöhnt, wachten sie morgens auf den harten Holzböden auf und sahen aus den steinernen Fenstern einen riesigen Komplex aus mittelalterlichen Bauten. Zumindest glichen sie den altertümlichen, europäischen Bauwerken, die die Kinder in den Büchern zu Gesicht bekommen hatten. Yuuichirou hatte kein Wort dafür gefunden, bis Mika den Stil als Gotik bezeichnet und sogar eine Menge darüber zu erzählen gehabt hatte. Vermutlich hatte er die Bezeichnung aus einem der Bücher aufgeschnappt, die man sich in einer Bibliothek ausleihen durfte. „Dann sind die Plagen wenigstens beschäftigt und still“, hatte eine der Garden abwertend gesagt.
    Wissen ohne praktischen Nutzen empfand Yuuichirou als unnötigen Ballast. All seine Gedanken waren ohnehin bloß auf Flucht und Hass ausgerichtet und solch unnötiges Wissen belastete bloß.
    Solange er das Gefühl hatte an diesem elendigen Ort zu ersticken, weil diese Monster ihnen die Freiheit und den Mut raubten und ganz langsam neben ihrem Blut ebenfalls alle Menschlichkeit aussaugten, konnte er ohnehin nichts davon aufnehmen.


    „Ich will hier weg“, sprach er schließlich, wieder einmal, laut aus.
    „Draußen gibt es Monster. Hast du darüber schon nachgedacht? Wir haben sie mit eigenen Augen gesehen und wovon sollen wir uns ernähren? Es wird zwar eine Menge verlassener Supermärkte geben. Davon können wir vielleicht leben, aber… die Monster sind bestimmt immer noch da.“ Mika sah sich um, um sich sicherzugehen, dass die anderen Kinder im Haus waren.
    „Über sowas hab‘ ich noch nie nachgedacht“, musste Yuuichirou eingestehen und stieß ihn beleidigt an, als er in Gelächter verfiel.
    „Und trink das“, fügte Mika hinzu. „Du wirst nichts anderes bekommen, nur weil du dich querstellst. Nicht damit. Du musst mit ihnen kooperieren.“
    „Kooperieren“, wiederholte er und verdrehte die Augen. So eine dumme Aussage. Die wollte Mika ihm bloß mit einem dieser hochgestochenen Wörter schmackhaft machen. „Halt den Mund. Ich will sowas nicht hören.“
    Unbeirrt fuhr er fort: „Die interessieren sich nicht dafür, ob du damit einverstanden oder bei Kräften bist. Die werden dir trotzdem regelmäßig dein Blut abzapfen.“
    Yuuichirou verzog das Gesicht und quetschte den Beutel in seiner Hand, ehe er ausholte und ihn zu Boden werfen wollte. Ein fester Griff um sein Handgelenk hielt ihn davon ab. „Trink das.“
    „Nein.“
    „Doch.“
    „Nein“, versuchte er lauter seinen Willen durchzubringen.
    „Du bist dumm.“
    „Selbst!“
    Er ließ von ihm ab. „Selbst? Das macht doch gar keinen Sinn. Ich hatte vernünftige Argumente.“
    „Na und? Außerdem schmeckt mir das nicht“, widersprach er, behielt es aber in der Hand und führte den Beutel trotz allen Protests an seine Lippen.
    „Sei nicht so kindisch. Das schmeckt keinem von uns.“ Locker legte Mika einen Arm um seine Schultern und rückte etwas näher an ihn heran. Sowohl Mika wie auch Akane taten das öfter und er verstand nicht so recht weshalb. Letztes Mal war er etwas von Akane zurückgewichen, als sie bereits so nah war, dass ihre Haarsträhne an seiner Wange gekitzelt hatte. Berührungen waren ihm zuwider und Menschen, die ihm zu nahekamen, erst recht. Wozu sollte das auch gut sein? Bisher waren es seine eigenen Eltern gewesen, die ihn als Dämonenjungen betitelt und mit einem Messer attackiert hatten. Vor Mika jedoch rückte er nicht ab. „Yuu-chan, du wirst kein einziges Monster töten, wenn du davor zusammenbrichst“, sagte dieser und Yuuichirou lehnte sich ein kleines Stückchen in seine Richtung.
    Er verfluchte jedes rationale Argument, dem er nichts entgegnen konnte, und nahm angewidert einen weiteren Schluck. Wenn es denn wenigstens ekelhaft geschmeckt hätte. Selbst Wasser, soweit er sich erinnern konnte, besaß einen gewissen Geschmack, aber das…?
    „Monster kann man töten“, sagte Yuuichirou irgendwann. „Dafür wurden Waffen erfunden. Um sich gegen schlechte Menschen und solche Ungeheuer zu wehren.“ Sein Blick glitt von dem Beutel zu einer vorbeimarschierenden Garde, die den herumlümmelnden Kindern auf den Stiegen keines Blickes würdigte. Bestimmt interessierte sie sich auch nicht für Fantasierein kleiner Menschen, die aus deren Sicht ohnehin nicht viel mehr als Blutbanken waren.
    Die strahlend weißen Uniformen der Vampire leuchteten aus der ständigen Finsternis in Sanguinem heraus. Diese und die leuchtenden, roten Augen. Wie Blut. Nachts wurden die Lichter der Straßenlaternen zusätzlich gedämmt, sodass der Komplex aus unheimlichen, doch imposanten, Steinbauten in vollkommener Dunkelheit versank. Dann sah man bloß nur noch ein steriles, bedrohliches Weiß und Rot. Wie Raubtiere, die auf sie hinter jedem Eck lauerten.
    „Nicht gegen diese. Noch eher gegen die an der Oberfläche und außerdem hilft dir eine Waffe nicht, wenn du nicht geübt darin bist sie zu benutzen.“
    „Blödsinn“, keifte er zurück. „Ich kann das lernen und die Monster draußen…“
    „Sei nicht so laut. Die anderen sind vielleicht noch wach und hören dich. Außerdem, du weißt, die Wachen. Ich möchte keine Probleme bekommen.“ Nochmals drehte er sich zu beiden Seiten um. Aus der Tür kam keines der Kinder heraus und die Garde war bereits außer Sichtweite und verschwand in den verwinkelten Gassen. Schmale Wege schlängelten sich durch die Distrikte, in denen die Kinder meist zu einem guten Dutzend in spärlich eingerichteten Häusern zusammengepfercht waren. Wenigstens waren einige alte, klobige Straßenlaternen mit schwachem Licht an manchen Ecken und auf Brückenpfeilern aufgestellt.
    Die Distrikte säumten wiederrum das Schloss der Königin, das mit all seinem Prunk, den Marmorsäulen und pompösen Torbögen, den Kindern aufzeigte, wie machtlos sie waren. Es fühlte sich falsch an diese Ansicht noch zu bestaunen.
    „Und? Wieso?“
    „Das möchte ich nicht. Zuerst müssen wir zusehen, dass wir alles Notwendige besprechen und regeln.“
    „Bevor was?“, spornte Yuuichirou ihn an weiterzusprechen.
    Anstatt ihm zu antworten, zog Mika ihn auf und leitete ihn ins Haus. „Drinnen sag ich‘s dir.“ Der Stein unter seinen nackten Füßen war angenehm kalt. Er war manchmal einer der einzigen Sinneseindrücke, die auf die antriebslosen Kinder einwirkten. Kalte, von Steinen gepflasterte, Wege und harte Holzböden, auf denen man schlief. Zwischen manchen Fugen in den Wänden und Böden wuchs sogar Moos hervor. Es war weich und warm. Mit ein wenig kindlicher Fantasie wurde es zu Gras und rasch führten die Gedanken zu einer grünen Wiese unter warmem Sonnenlicht. In so einigen Ecken fand man Spinnen und anderes Ungeziefer. Die Kinder waren nicht mehr wählerisch, solange sie bloß irgendein anderes Lebewesen sahen, das sie an draußen erinnerte. Was auch immer ihn dort erwarten mochte, alles war besser als ein verschwendetes Leben zwischen Dämmerlicht und Dunkelheit und geschmackloser Flüssigkeit als Nahrung zu fristen.
    „Was ist?“, fragte Yuuichirou missmutig nach.
    Mika schloss die schwere, knarrende Tür hinter sich und fühlte sich frei genug, um vor den bereits schlafenden Kindern zu sprechen. „Manchmal bekommen wir zusätzliches Essen.“
    „Von wo be…“
    „Ich regle das schon.“ Er zog die Schulter ein und der Kragen des ärmellosen, weißen Hemdes, das aussah, als wären sie Insassen eines Gefängnisses, fiel über die zwei nadelähnlichen Einstiche an seinem Nacken. Yuuichirou sah sie bereits zu lange an, sodass er sich nervös darüber rieb und die Hand eine Weile an der Stelle beließ. „Lass das mir über und dann werden wir von hier flüchten. Wir werden uns draußen schon durchzuschlagen wissen. Die Vampire tragen Schwerter und besitzen einige von diesen altmodischen Pistolen. Ich habe welche in der Bibliothek gesehen. Damit können wir auch umzugehen lernen. Doch zuerst müssen wir von hier flüchten und dabei werden wir Waffen mitnehmen.“ Er versuchte Yuuichirou mit einem gewinnenden Lächeln zu überzeugen, was eher selten funktionieren wollte.
    Diesmal war es an ihm seine Hand wegzuschlagen und sie voller Zorn zu packen. Seine grünen Augen weiteten sich vor Schreck, als er endgültig zu verstehen schien. In seiner Mimik spiegelte sich alles an Zorn und Sorge wieder, was er nicht aussprach und wohl niemals ausgesprochen hätte. Stattdessen stieß er Mika weg und setzte einen Fausthieb hinterher, in dem nicht die gesamte Wut steckte, die er sah.


    Mit einem angewiderten Schnauben drehte sich Yuuichirou von ihm weg und ließ ihn stehen, sah nach links und rechts, um zu sehen, ob die anderen Waisen erwacht waren und legte sich für diese Nacht in Koutas Nähe. Neben ihm lag ein offenes Buch, über dem er eingeschlafen war. Der Kleine lernte eben zu lesen, obwohl ohnehin keiner wusste wozu. Zur Hölle, er selbst konnte noch nicht einmal Kanji lesen. Hiragana, die lateinische Schrift und ein wenig Englisch waren ihm genug, denn wichtiger war es kämpfen und überleben zu lernen. Das konnte man gebrauchen.
    Yuuichirou drehte sich um und sah, dass sich Mika in ein anderes Eck verzogen hatte. Recht so. Er wollte gar nicht darüber nachdenken, was er gesehen hatte.
    Da griff er schließlich doch nach der Öllampe aus schwarzem Gusseisen, in der noch ein Feuer brannte und entzog Kouta vorsichtig das Buch. Was hatte er schon Besseres zu tun? Gelangweilt blätterte er über die Erklärungen, die in dem viel zu komplizierteren Kanjischriftsystem verfasst waren und der Junge erst recht nicht lesen konnte, bis er zu der Stelle kam, die Kouta mit farbenfrohen Lesezeichen aus zerrissenem Buntpapier versehen hatte. Glanzseiten voller Abbildungen von Landschaften und Naturphänomenen. Wälder, die er sehr lange nicht mehr mit eigenem Auge gesehen hatte, aber glaubte sich daran erinnern zu können wie deren sattes Grün aussah und wie sie nach süß-würzigen Zapfen dufteten. An manchen Tagen hatten seine Eltern tatsächlich Ausflüge mit ihm unternommen. Das waren ihre besseren Tage gewesen, an denen es ihnen geistig wieder gut gegangen war und solche, an denen sie ein normales Kind statt einen Dämonen in ihm sahen.
    Er versuchte zu vergessen und blätterte weiter in dem Buch vor und zurück. Die Abbildungen machten ihn schließlich vergessen und allmählich verstand er, weshalb Mika und einige der anderen Waisen so oft ihre Nasen in Bücher steckten. Zumindest ein wenig. Der alte, modrige Papiergeruch und das Geräusch des Umblätterns waren ihm ein Graus. Davon hatte er schon genug, von den Gerüchen an Moos, Stein und altes Papier.
    Etwas schien Kouta besonders zu faszinieren. Seiten voller selbstgebastelter Lesezeichen, die allesamt auf ein Kapitel über Polarlichter gesteckt waren und herausfielen, sobald er die Seiten aufblätterte.
    „Du machst es kaputt“, hörte er ein verschlafenes Jammern.
    Yuuichirou sah auf und sammelte die wild umherliegenden Streifen. „Tut mir leid. Ich richt‘ es dir nachher wieder, okay?“
    „Ist gut. Sind ja nur Bilder.“ Die Kinderhand tappte auf ein Foto, auf dem sich durch die dunkle Nacht leuchtend bunte Schlieren zogen. Es sah beinahe unwirklich aus, als hätte es jemand gemalt, weil er davon träumte etwas Leuchtendes im schwarzen Himmel erblicken zu können.
    „Wenn du die Monster hier unten und dort oben besiegt hast, können wir überallhin fahren und vielleicht sehen wir sie dann.“
    „Sicher“, ereiferte er sich sofort und begann allmählich selbst zu zweifeln.




    Yuuichirous Erinnerung an die matten Lichter in der Dunkelheit von Sanguinem verblasste nicht. Die Finsternis folgte ihm und selbst, wenn er den weiten Himmel und das Sonnenlicht wiedergesehen hatte, so war er alleine gewesen. Er hatte seine Familie, die er endlich gefunden hatte, zum Sterben zurückgelassen und jede Nacht nahm der Dämon in seinem Schwert die Form der Kinder an. Besonders gerne mimte er Mika. Der verfluchte Dämon erkannte, dass er einen besonderen Stellenwert besaß, den sich Yuuichirou selbst nicht hatte erklären können. Es war schließlich seit dem ersten Tag im Heim an so gewesen und immer, wenn er über die Hyakuya-Waisen nachdachte und die Erinnerung wieder zu lebendig war, so dachte er stets über Mika und die anderen nach. Selbstverständlich waren sie ihm alle wichtig gewesen und dennoch …


    An jenem Abend war Yuuichirou alleine geflohen.
    Und nun? Endlich erhielt er die Gelegenheit, um die anderen zu rächen und jedes Monster, das seinen Weg kreuzte, zu vernichten.
    Er hatte sich mit zwölf Jahren, blutüberströmt und traumatisiert, aber nicht realisierend, was da eben geschehen war, dem ersten Erwachsenen entgegengeworfen, der ihn im Schnee aufgegabelt hatte. Erst nach einigen Minuten, war die Kälte des Winters in seinen Körper gekrochen und er hatte den knirschenden Schnee unter seinen Füßen gespürt. Die einzige Lichtquelle am Himmel war ein strahlender und voller Mond gewesen. Das war nicht richtig so. Die anderen waren tot und er sollte nicht die frische Luft atmen und ein offenes Firmament sehen dürfen. Seine Vorstellung malte über den dunklen Himmel jene strahlenden Farben, die Kouta hatte sehen wollen.
    Der Schnee unter ihm färbte sich rot und es war noch nicht einmal sein eigenes Blut. Jemand hatte einen Mantel über den frierenden Jungen gelegt und Gurens Stimme war ihm noch im Gedächtnis: „Wenn du mit mir kommst, dann werde ich dir die Möglichkeit bieten sie zu töten. Alle. Das ist doch das, was du möchtest? Bei dem, was sie dir angetan haben?“ Irgendwo gab es wohl noch eine Zivilisation mit Erwachsenen, die Waffen bei sich trugen und in Militäruniformen gekleidet waren. Die konnten ihm seinen Wunsch verwirklichen. In der Ferne brannten, zwischen all den einsamen Ruinen und eingefallenen Hochhäusern Kyotos, noch von Menschenhand geschaffene Lichter. Yuuichirou umfasste die Mitte des jungen Mannes, an den er sich klammerte. Es gab noch Menschen – Erwachsene dazu – und die anderen durften sie nicht kennenlernen. Diese Ironie war so grausam, sie raubte ihm fast den Verstand. „Ich will die blutsaugenden Biester töten. Alle.“
    Schließlich war es um so vieles leichter Hass in sich zu tragen als Trauer. Sie trieb ihn dazu an den nächsten Tag erleben zu wollen.


    Dabei stellte sich in den Jahren heraus: Guren war ein Idiot und manchmal ein Mistkerl, wenn es nach Yuuichirou ging, aber gleichzeitig war er der erste Erwachsene, der sich nachts neben sein Bett setzte, wenn er wieder einmal von Albträumen geplagt wurde und tatsächlich zuhörte. Etwas, das wohl auch sonst keiner von ihm erwartet hätte und er dementsprechend verschwieg.
    Eigentlich waren die Waisenkinder seit jeher an ein eher schroffes Leben gewohnt gewesen und es war ihnen ein wenig leichter gefallen sich an die neue Situation anzupassen, als den Kindern nebenan, die aus einem geborgenen Elternhaus herausgerissen worden waren. Wahren Luxus kannte die Waisenkinder nicht; materieller und emotionaler Art. Bloß ein Funken an Zuneigung und Freundlichkeit eines Erwachsenen, wäre ihnen mehr wert gewesen, als ein täglich warmes Mittagessen auf dem Tisch. Vermutlich hatten die anderen Kinder etwas Zuwendung durch die Heimmutter erfahren. Yuuichirou hingegen hatte sie bloß einige Stunden gekannt, bevor sie ebenfalls dem Virus zum Opfer gefallen war – und es hatte ihn nicht interessiert sie näher kennenzulernen.
    Genauso wenig Interesse empfand er nun an seinen neuen Teamkameraden. Das war es, was er anfangs noch gedacht hatte.
    Guren war dahingegen der erste Erwachsene, der sich um sein Leben scherte, sich ernsthaft mit ihm befasste, wenigstens ab und an ein freundliches oder aufbauendes Wort für ihn übrighatte - selbst wenn es zwischen gespielter Gleichgültigkeit und Kälte verborgen war - und mit ihm trainierte. Irgendwann würde er dank Gurens Training dazu in der Lage sein jeden einzelnen dieser blutsaugenden Parasiten zu vernichten. Daher beschloss Yuuichirou, dass Guren seine Familie war und er ihm vertrauen und ihm gegenüber loyal sein würde. Ohne zu fragen und zu zögern.
    Selbst Gurens Lebensweisheit hatte sich in ihm eingebrannt. Bloß ein kleiner Satz, eine kleine Aufmunterung, die der Mentor dem damals verstörten Jungen mit auf den Weg gegeben und der ihm trotz allem geholfen hatte, sich weiter durch das Training zu beißen und die Albträume, die Asuramaru ihm bescherte, zu ertragen.


    Yuuichirou schreckte aus einem Albtraum, der eigentlich eine Erinnerung war, hoch und fand sich in einem weichen Bett wieder, das er zu gerne gegen den harten Fußboden von damals eingetauscht hätte, wenn dies seine Familie ins Leben zurückholen hätte können.
    Das Licht ging an. „Was ist nun schon wieder?“
    Yuuichirou hörte, wie Guren den Stuhl neben dem Bett verrückte und sich setzte. Da drehte er ihm den Rücken zu und zog die Decke höher. Die Tränen waren beschämend. „Nichts.“
    „Dann halt den Mund und leg dich schlafen.“
    Hatte er denn geschrien? „Das geht auch nicht.“
    Guren grummelte etwas vor sich hin und schlug ein Buch auf. „Soll ich wieder darin lesen?“
    „Ja. Nein.“ Die Tränen flossen und benässten den Kissenbezug. Als er schließlich ein Schluchzen unterdrückte, fühlte er sich ertappt.
    Da rückte Guren etwas vor und legte eine Hand auf seine Schulter. Bloß locker. Trost zu spenden war nicht seine größte Stärke.
    Yuuichirou blieb stur und weigerte sich immer noch umzudrehen.
    „Weißt du… Wenn es dir schwer fällt zu leben, dann sind wir uns vermutlich gar nicht so unähnlich. Dann solltest du weitermachen, bis du einen Grund findest zu leben.“


    Daran hielt sich Yuuichirou. Solange man ihm die Möglichkeit gab zu kämpfen, zwang er sich zu leben. Es fühlte sich nicht nach einem Sinn an, doch zumindest trieb ihn der Gedanke daran Monster abzuschlachten morgens aus den Federn.
    Leider war er auch seinen Teamkameraden zu nahegekommen. Sie waren ebenfalls zu seiner Familie geworden – und es fühlte sich immer noch nicht sinngebend an.


    Dann fand er inmitten einer Schlacht Mika wieder. Er war älter geworden, doch hatte sich sonst kaum verändert, selbst wenn die vier Jahren unter den Vampiren Mikas Optimismus zerstört hatten. Dieser war ohnehin eine Farce gewesen, um die Jüngeren aufzubauen, und Yuuichirou wusste das.
    Zuerst hatte Yuuichirou es nicht glauben können und eigentlich verstand er es immer noch nicht ganz. Erst recht nicht, dass ihm ein Vampir in einer dieser elendig steril-weißen Uniformen mit einem leuchtend roten Schwert gegenüberstand. Über diese Ereignisse war er natürlich nicht froh und erst recht nicht über die spitzen Eckzähne, die an jene eines Raubtieres erinnerten. Monster, hätte sein tiefliegender Hass bei jedem anderen Vampir gegrollt. Bei diesem war der alleinige Gedanke daran unmöglich.
    Bald wurde ihm bewusst, wie sich Mika selbst sah.
    „Monster kann man töten. Nicht nur die Vier Apokalyptischen Reiter. Auch solche“, sagte Mika später zwischen zwei Sätzen, als wäre so etwas auszusprechen selbstverständlich – und Yuuichirou verneinte vehement, weil er plötzlich darauf beharrte, dass nicht alle Vampire Monster seien. Zumindest nicht er. Der Hass, der ihn so lange antrieb, ebbte ab.
    Wenigstens konnte er mit ihm gemeinsam die Außenwelt wieder betrachten, unter freiem Himmel unter der Sonne stehen. Selbst, wenn sie auf eine zerstörte Welt schien.

  • Mit Schirm, Charme und Macchiato


    Wie Totoro sie zusammenbrachte und Laura zum Otaku werden ließ





    Animexx Weihnachtsgeschichte 2017



    Zweiteiler!
    Wortanzahl insgesamt: 2051
    Genres: Romance, Girls Love, Comedy



    Vorwort


    "Weißt du noch? Weihnachten vor zwei Jahren?"
    "Nein, was war da?"
    "Du kannst es doch nicht verge-"
    "Ich neck dich doch nur!"
    "Das will ich hoffen, Schatz. Ich hab sogar noch den Chatverlauf. Hörst du zu? Was machst du da?"
    "Mein Make-Up ist verschmiert."
    "Lass es doch einmal gut sein. Du bist unverbesserlich. Also, ich hab vorhin gesagt, dass ich den Chatverlauf von damals noch gespeichert hab."
    "Ohja, ich auch. Besser keiner bekommt ihn zu Gesicht..."



    Prolog: Überteuerter Kaffee und müde Studenten


    Wörter: 578



    Es duftete verführerisch nach Kaffee-Bohnen, Sirup und Kuchen. Laura wollte bloß nur ihren Unistress vergessen, die lange Schlange an der Kasse überstehen, sich an ihrem Ziel angekommen einen überteuerten Kaffee mit zu viel Zucker und Sirup leisten - Gott hab ihre großzügigen Eltern selig – und sich schlussendlich in einen der komfortablen Sesseln sinken lassen.
    Kaum hielt sie den weihnachtlich geschmückten Becher in den Händen, musste sie feststellen, dass es keinen freien Tisch mehr gab. Alles hätte perfekt sein können. Sie konnte bereits die Wärme genießen, die langsam in ihre Finger zurückkroch.
    Nachdem sie die Lippen benässte, konnte sie auch das erste, angenehme Hochgefühl aus Zucker-und Koffeinschock spüren.


    Dort drüben, in einem abgelegenen und bestimmt angenehm ruhigen Eck, konnte sie einen einzigen Platz ausmachen, auf dessen Tisch eine junge Frau schlief. Der Platz neben ihr war frei und der Polstersessel rief nach ihr.
    Vorsichtig trat Laura an sie heran und suchte in ihrem Gesicht nach einer Regung. Beinahe fünf Euro für einen Kaffee zu bezahlen, verlieh schließlich Mut. „Darf ich mich zu dir setzen? Heute ist alles besetzt.“
    Noch sah sie nichts als langes, dunkles Haar, das auf die vor ihr ausgebreiteten Unterlagen fiel. Ihre Arme lagen schlaff auf beiden Büchern. War sie etwa tatsächlich eingeschlafen? Laura konnte ihren Zustand bestens nachfühlen; wer auch immer sie sein mochte.
    Verschlafen sah die junge Frau auf und nickte. Worum Laura sie gefragt hatte, verstand sie im Moment vermutlich nicht.
    Sie ist hübsch.
    Ihr Gesicht war fein geschnitten, mit großen braunen Augen. Mahagoni, kam Laura in den Sinn, als sie ihre Haarfarbe im Licht der Tischlampe betrachtete. Glänzend schön und unglaublich voluminös. Auch ihre Hautfarbe war um wenige Nuancen dunkler als die Eigene. Woher sie wohl kam?
    Irgendetwas war an dieser jungen Frau, das Laura dazu brachte ihr eigenes Make-Up hinter der vorgehaltenen Handykamera nachzubessern.
    „Klar darfst du“, sagte sie schließlich und versuchte ein müdes Lächeln.
    Rasch steckte Laura das Make-Up wieder weg und erwiderte freundlich.
    Die beiden jungen Frauen sahen sich verstohlen an. Mit einer Fremden zu reden, an deren Tisch man zufällig saß, war seltsam, oder etwa nicht? „Danke.“
    „Bitte.“
    Wieder einige Sekunden des Schweigens. Verlegen nippte Laura an ihrem Becher.
    „Ich werde meine Unterlagen wegräumen. Heute wird das ohnehin nichts mehr.“
    Sollte das den Anfang eines Gesprächs darstellen? „Was machst du denn?“
    „Informatik. Drittes Semester, fühlt sich an wie das Zehnte.“
    „Oh, keine Motivation?“
    „Phasenweise? Ja.“ Sie lachte, schien ihre Frage abzuwägen und traute sich schließlich: „Was machst du denn?“
    „Chemie. Erstes Semester“, sprudelte es aus Laura heraus. „Es ist so super! Total interessant und…“
    „Erstsemester sind süß.“ Ihr Gegenüber kicherte und brach das Eis mit einer entgegengeschreckten Hand. „Elif. Ein Latte Macchiato hilft mir allerdings ein wenig. Und wenn nicht, tut es ein Espresso immer. Merk dir den Tipp. Werde koffeinabhängig.“
    „Laura.“ Ihr Blick fiel auf die Hand. Sie war schlank, sehr gepflegt und ihre Fingernägel waren von Klarlack überzogen. Zögerlich ließ Laura sie wieder los und vertiefte sich in das Gespräch mit der schönen, jungen Frau. „Wenn es denn nicht anders geht.“


    Draußen wurde es dunkel und sie führten stundenlang leichten Smalltalk, tauschten sogar Nummern aus und Laura merkte am Rande ihres Bewusstseins, wie sie sich ein Stückchen weiter zu Elif vorlehnte. Um besser zu hören, was sie sagte und weil ihre Anwesenheit etwas Vertrauliches ausstrahlte. Dabei wurde sogar der Kaffee kalt.
    Als Elif sich verabschieden musste, blieb ein seltsamer Schirm auf ihrem Platz zurück. Den würde Laura ihr bei der nächsten Gelegenheit zurückbringen.

  • Kapitel 1: Zeig diesen Chat niemandem


    Wörter: 1.473



    +43 664 12893467
    Hey. =) Hast du vielleicht meinen Schirm mitgenommen? (21:20)


    Sie sah das winzige Bildchen neben der Telefonnummer länger als gewöhnlich an. Ein breites Lächeln lud sie geradezu ein, es anzuklicken und vergrößert zu betrachten. Elif war tatsächlich ausgesprochen hübsch, musste sich Laura nochmals eingestehen.
    Ihr Daumen berührte die Nachricht. WhatsApp stellte Laura vor die Auswahl den neuen Kontakt zu blockieren oder hinzuzufügen. Besser erstmal abwarten.


    Laura
    Den mit dem fetten Hasen? ^^
    Ja, hab ich für dich mitgenommen. Wollte dich eben anschreiben. (21:23)


    +43 664 12893467
    Das ist Totoro! (21:23)


    Irgendwo hatte Laura diesen Namen aufgeschnappt, konnte ihn jedoch beim besten Willen nicht zuordnen.


    Laura
    Du gibst deinem Schirm einen Namen? ;)
    Ist das nicht ein etwas seltsamer Name? (21:23)


    +43 664 12893467
    Totoro ist… warte. (21:23)


    Eine Minute später drehte sich das Laderädchen über einem Bildanhang, der Totoro auf blauem Hintergrund zeigte. Er sah in die Richtung der japanischen Schriftzeichen, unter denen im westlichen Alphabet Ghibli geschrieben war. Wie sprach man denn dieses seltsame Wort aus? „Gibli?“, „Gschibli?“, „Schibli?“ Jedenfalls kannte sie den Schriftzug, konnte aber auch ihn nirgendwo zuordnen.


    Laura
    Es ist eigentlich ur süß. *_* Aber was soll mir das sagen?
    Wie spricht man das eigentlich aus? (21:25)


    +43 664 12893467
    Ja, gell? Er ist süß. Der passt perfekt zu mir.
    Und nun hast du ihn – da passt er auch gut hin. ^^ (21:25)


    Laura
    Aww. Mir steht der aber nicht so gut. :( (21:25)


    Laura scrollte nach oben, legte den Finger vorsichtig auf den „hinzufügen“-Button und betätigte ihn, bevor sie es sich anders überlegen konnte.


    Einen neuen Kontakt erstellen oder zu einem bestehenden Kontakt hinzufügen?
    - NEU.


    Ein weiteres Fenster sprang auf. Sie trug in das dafür vorgesehene Kästchen den Namen Elif ein. Sie speicherte und ließ sich in den Chat zurückleiten. Wenigstens war die unpersönliche Telefonnummer nun verschwunden und gegen einen Namen ausgetauscht worden. Als sie noch – und wieder einmal – das Bild ansah, trafen zwei neue Nachrichten ein.


    Elif
    Unsinn. Der steht auch dir.
    Dschibli. Aber das ‚D‘ wird nicht zu markant ausgesprochen, wenn du weißt, was ich meine.
    Das ist ein Animestudio. Kennst du Chihiros Reise ins Zauberland? (21:26)


    Laura
    Der Zeichentrickfilm mit dem weißen, chinesischen Drachen? Klar. Der war richtig schön. (21:26)


    Elif
    Anime! (21:26)


    Eigentlich wollte sich Laura erst ausbessern, entschied sich jedoch das Mädchen noch etwas zu foppen.


    Laura
    Zeichentrick. (21:26)


    Elif
    Anime! (21:26)


    Laura
    *Anime. So wie Naruto oder Sailor Moon?
    Sag mal. Was ist Elif eigentlich für ein Name? (21:27)


    Elif
    Einer mit vier Buchstaben. ^^
    Nicht jeder Anime ist Naruto oder Sailor Moon, aber… ja. Ja, so in etwa so. (21:27)


    Laura
    Ooh … der war schlecht. Drop that mic. :O (21:27)


    Elif
    *picks it up* ;P (21:28)


    Laura
    … And never pick it up again! (21:28)


    Elif
    Haha. Fies.
    Du? Treffen wir uns nach den Ferien, damit du mir den Schirm zurückgeben kannst? (21:28)


    Laura
    Bist du in den Ferien nicht da?
    Woher kommst du denn? (21:28)


    Elif
    Bin ich leider nicht.
    Aus der Türkei. Ich kann meinen Bruder nur über die Feiertage sehen. Er ist um sieben Jahre älter als ich und ist zurückgegangen. Er arbeitet dort und dann gibt es noch die Pflichtbesuche bei den Großeltern. (21:28)


    Laura
    Also bist du auch den ganzen Februar über weg.
    Der ganze Februar ist vorlesungsfrei, hab ich gehört. Dachte nach der Matura noch nicht, dass es so toll ist zu studieren. (21:29)


    Elif
    Lol. Freu dich nicht zu früh. Im Februar sind manchmal wichtige Tests. Das weißt du, oder? Da ist nicht bloß vorlesungsfrei.
    Ich komm deshalb schon am 8.2 wieder. (21:30)


    Laura
    Verdammt.
    Na gut, da musst du noch etwas auf Totoro warten. (21:31)


    Drei Minuten lang kam keine Antwort und Laura erwischte sich dabei, wie sie auf das Display starrte, obwohl sie viel Besseres zu tun gehabt hätte. Dinge vorbereiten. Dinge nachbereiten. Die Serie weiterschauen, die sie vorgestern begonnen hatte und deshalb seitdem am Bildschirm klebte.
    Vielleicht sollte sie manchen Animes ja eine Chance geben. Nur um zu wissen, was die Fans daran fanden und woher der Hype kam.
    So sah sie sieben Minuten auf den regungslosen Bildschirm.


    Elif
    Hab meine Katzen gefüttert. =D
    Hab fünf von denen. (21:38)


    Laura
    Fünf? Oh wow! Mir reicht ein Hund. (21:38)


    Elif
    Oh, ein Hundemensch? (21:38)


    Laura
    Hunde lieben dich wenigstens. (21:38)


    Elif
    Katzen ebenfalls.
    Auf ihre Weise. Irgendwie eben. Manchmal.
    Wie heißt er denn? Was ist das für einer? Zeig mal! (21:39)


    Laura
    Benji. Warte. Das Handy ist neu. Ich werde ihn mal stalken gehen.
    Was ist mit deinen Katzen? (21:39)


    Elif
    Aufgegabelt. Aus allen verschiedenen Straßenecken und Tierheimen. ^^ (21:40)


    Es war bloß Smalltalk, doch Laura versank in dem Gespräch. Hätte jemand anderes nach einem Foto gefragt, wäre sie nicht so bereitwillig aus dem weichen Bett gesprungen und hätte Benji in seinem nicht-gar-so-verdienten Schlaf belästigt. Sie nahm sich einen Moment, um den Labrador zu bewundern, und hielt ihm das Handy. Schlaftrunken öffnete er ein Auge, blinzelte in die Kamera und ertrug das kurze Shooting mit seiner üblichen Gelassenheit.


    Zehn Bildanhänge verschicken?, fragte WhatsApp nach.
    Natürlich.


    Laura
    Hier, das ist mein Benji. ^_^ (21:51)


    Elif
    Oh wow, Bilderspam!
    Der ist ja wirklich niedlich.
    Hast du ihn etwa dafür exta geweckt? Und dafür elf Minuten gebraucht? (21:52)


    Laura
    Jetzt hör mal, sowas braucht seine Zeit. (21:52)


    Elif
    Um die Schönheit deines Tieres perfekt einzufangen, nicht? =D
    Warte! (21:52)


    Und dann fügte diese Verrückte insgesamt dreißig Bildanhänge an und brachte Lauras Handy an den Rande des Absturzes. Sechs Bilder pro Katze, behauptete sie, dürfte sie schon verschicken. Wie solle sie denn sonst in allen Lebenslagen darstellen?


    Irgendwann war es beinahe Mitternacht und Laura hing immer noch im Messanger fest, sog jedes Detail auf, das Elif von sich preisgab und öffnete sich ihr langsam ebenso.


    Elif
    So, ich bin langsam wirklich müde.
    Treffen wir uns Anfang Februar irgendwann wegen Totoro? (00:03)


    Laura drehte sich wieder von einer Seite zur anderen, sah Benji zur Türe hineinkommen und rief ihn zu sich, um ihm das Handy unter die Nase zu halten. „Ich bräuchte mal deine Meinung. Kann man das jemanden sagen, den man noch nicht so lange kennt … und ziemlich niedlich findet?“
    Benjis fragender Blick half nicht weiter – welch ein Wunder.


    Laura
    Nur wegen Totoro? ;)
    Weißt du, ich kann dich noch auf einen Macchiato einladen. Als Entschuldigung dafür, dass ich dir deinen wertvollen Totoro geklaut habe. (00:04)


    Elif
    Ja gerne!
    Du könntest ihn auch über die Feiertage gucken. Ist superniedlich. *_*
    Außerdem könntest du noch... (00:05)


    Sie wartete und wartete. Nach drei Minuten entschied sie sich einen Tee zu machen. Schwanzwedelnd folgte Benji ihr in die Küche, wo sie summend über dem dampfenden Wasser stand und ihren Blick immer wieder aufs Handy abschweifen ließ. Fünfzehn Minuten waren vergangen.


    Laura
    ... ich könnte noch? (00:15)


    WhatsApp verriet, dass Elif immer noch mit ihrer Nachricht beschäftigt war. Viellicht ein Bug?


    Weitere zwei Minuten später traf eine Liste an Titeln ein, die Laura mit großem Erstaunen betrachtete. Sie scrollte hinauf. Sie scrollte hinunter. Diese Liste nahm kein Ende.


    Elif
    Das könntest du auch noch über die Feiertage (ähm und darüber hinaus) anschauen! =D (00:18)


    Laura
    Was ist das …? o.o (00:18)


    Elif
    Animes!
    Moment. Ich erkläre dir die Liste. (00:19)


    Laura konnte ihren Blick nicht abwenden. Bewunderung? Erstaunen? Alles miteinander?


    Elif
    Meine Lieblinge und andere, die ich gerne mag. Ich hab sie folgendermaßen sortiert:
    Diejenigen, die über 300 Folgen haben, stehen ganz oben. Zwischen 100 und 300 Folgen, sind darunter. Darunter folgen jeweils absteigend: zwischen 50 und 100, 25 bis 50 und alle unter 25. Ganz unten findest du die Filme. Die meisten sind Ghibli. Sind aber auch einige andere dabei.
    Siehst du, ist ganz einfach. ^^(00:21)


    Laura
    Hast du all das etwa gesehen? Ich meine, wow… (00:21)


    Elif
    Mit was verbringst du denn deine Zeit? ;P (00:22)


    Laura kicherte.


    Laura
    Games of Thrones und… genügend. Viel zu viel! Ich weiß, man sieht es mir nicht an, aber ich mag diese Fantasyserien und so.
    Nun gut, ich bin neugierig. Ich werde mit einigen Filmen beginnen. (00:23)


    Elif
    Aww, das freut mich.
    Wie denkst du denn, müsste man ausschauen, um als Nerd durchzugehen? (00:24)


    Laura
    Zum Beispiel, indem man einen Totoroschirm im Café liegenlässt. ^^ (00:24)


    Elif
    Du willst Fantasy? Ich könnte dir eine weitere Liste damit machen, hehe. (00:25)


    Ihre Finger huschten über die Tastatur.


    Laura
    Keine neuen Listen mehr.
    Diese hier genügt für ein Leben! (00:25)


    Elif
    Wage ich zu bezweifeln. XD
    Wollen wir öfter schreiben? Und uns danach öfter treffen? Wie wäre es mit, nun ja, beispielsweise, sehr oft? ^^
    Und du, Laura? Ich glaube, ich hab meinen Totoro absichtlich auf deinem Platz vergessen. *pfeif*(00:30)


    Die Nachricht kam etwas verspätet an. Fast so, als hätte Elif ebenfalls erst um Rat fragen müssen.
    Laures Finger tippten schneller, weil sie nicht mehr zögerte.


    Laura
    Dachte ich es mir!
    Auf jeden Fall. x3 (00:30)


  • Yuri Plisetsky - In Regards To Love: Agape






    Animexx Sommer-Wichtelgeschichte 2018

    Fandom: Yuri on Ice



    Genres: Sport, Familie, (Boys Love - zweite Kurzgeschichte)



    Vorwort


    Mein Wichtelkind ist sehr sportbegeistert (und leider bin ich es nicht, sodass ich selbst bei der Recherche dachte: Chemie ist leichter nachzuvollziehen lol) und hat sich am liebsten etwas mit Sportbezug in ihren Fandoms gewünscht. Darunter auch Yuri on Ice und ich dachte: Da kennst du die Charaktere ziemlich gut und sie mag Yuri Plisetsky auch am liebsten. Probier ich's mal mit etwas Recherche... ging ein wenig daneben. xD

    Froh war ich, dass sie auch gerne Gen haben wollte (also ohne Pairing), sodass ich mal an etwas Neues heranwagen wollte, und wie soll ich sagen... ich selbst bin deutlich eher der Agape- und weniger der Erosmensch. xD
    Dafür hab ich zwar schon sehr berechtigte Kritik bekommen, aber sie meinte andere Yuri-Fans und so würden mir dennoch um den Hals fallen, und hat sich im Großen und Ganzen dennoch gefreut. ^^

    Agape kann ich nun auch auswendig.

    I did my best!


    Im Anschluss ist noch eine ganz kurze, fluffige Kurzgeschichte angehängt, weil mein Wichtelkind auch gerne Fluff und bisschen Kitsch wollte (nach meiner Interpretation ihrer Wünscheliste xD) und da das Thema eigentlich "Je ne parle pas francais" gewesen wäre und ich noch kurz von Viktor und Yuri (Katsuki) schreiben wollte. Und da dachte ich schon, dass der Kern der KG und Yuris Erosthema gut ankommen würde. If you know what I mean. =D


    Ich habe einige Aussagen, die Viktor im Anime tätigt, für mich übrigens frei auf Deutsch übersetzt, da ich nur mit englischen Subs gesehen habe.
    Ansonsten hoffe ich, dass ich die Charaktere recht IC getroffen habe (Yurios Darstellung mochte sie und das freut mich x3).

    Leider ist gerade Viktor, einer ihrer Lieblinge, ein Charakter, von dem ich mir nicht ganz sicher bin, wie ich ihn darstellen und interpretieren soll, aber es gab keine Klagen, so...
    Ich glaube, mir liegen meine angry & grumpy boys und Crybabys einfach mehr. X'D


    Viel Spaß!


    (Die Fanarts des Covers und am Ende gehört nicht mir.)





    In Regards To Love: Agape


    Wortanzahl: 1.985


    Yuri nahm an der Russischen Meisterschaft 2018 teil – und er würde sie gewinnen. Es gab keine Möglichkeit in dem Wettbewerb seines Heimatlandes mit leeren Händen heimzugehen, nachdem er international bereits so erfolgreich gewesen war. In einem Jahr bereits, da wäre er achtzehn Jahre alt und aus seiner Sicht hatte er immernoch viel zu wenig erreicht. Wenn er sich diesen Fakt vor Augen hielt, gingen ihm all die verpatzten Schrittfolgen, unsauberen Sprünge und die zweiten, dritten Plätze, eventuell sogar dahinter, durch den Kopf. Das ging besser. Er musste immer besser werden. Sein Können, der derzeitige Stand, auf dem er war; das war ihm nicht genug. Nie genug!

    Als er noch fünfzehn Jahre alt gewesen war, wurde sein Alter ständig angesprochen. Yuri hatte alle möglichen Spitznamen erhalten, die er ohnehin nicht so rasch abschütteln konnte. Sie hielten sich hartnäckig bis heute. Russischer Punk, russischer Tiger, russische „Fee“; was sollte der Schwachsinn? Nicht dass er sich über die ersten beiden beklagen wollte. Als Tiger durften sie ihn bezeichnen. Das blieb ohne Einwand.

    Die Mädchen liefen ihm nach. Damals wie heute. All das interessierte ihn nicht sonderlich, nervte ihn eher.

    Er wollte bloß immer höher auf die Erfolgsleiter steigen und selbst zusehen, wozu er fähig war und auf welcher Sprosse er nun mit siebzehn stand. Manchmal erlaubte er sich sogar etwas Stolz, als Randbemerkung für all seine Selbstkritik.

    Schon damals war er ein ausgezeichneter Eiskunstläufer gewesen und endlich verstimmten die Rufe, die sein Alter benannten und so sehr in den Mittelpunkt rückten, zusehends. Endlich waren sie allein aufgrund seines Könnens begeistert, nicht von der Tatsache, dass er dieses schon in seinem Alter besaß.

    Und er besaß all sein Können nicht, weil es ihm etwa in die Wiege gelegt worden wäre – vermutlich war dies ein Teil davon –, nein, dank seines Großvaters, und den Erfolg aufgebaut auf seinem eigenen Willen, stand er hier.


    Er stand hier, um die nächste Goldmedaille zu gewinnen, um Meisterschaften für sich zu entscheiden.

    Von der Planke glitt er auf die Mitte des Eises und nahm seine Startposition ein.

    Während der Ansager seinen Namen und den Titel seiner Performance verlautete, senkte er den Blick noch für einen Moment.

    Das Publikum störte ihn, seitdem er ein Kind war, nicht mehr. Ihre Gesichter verschwammen mit den Lichtern des Scheinwerfers in der sonst verdunkelten Halle. Zu wissen, dass sein Großvater dort drüben in den Zuschauertribünen saß, genügte. Ab und an schaffte es Yuuko und Otabek zu seinen Auftritten, ebenso Viktor und Yuri Katsuki.

    Yuuko war heute hier, sie rief „Yuri, davai!“. „Schast'ya“, viel Glück, hörte er von den anderen Stimmen in seiner Muttersprache.


    Die Musik setzte ein und Lichter hinter ihm leuchteten auf, die sogleich den gesamten, bisher im Dämmerlicht gehaltenen Raum, durchfluteten und die gesamte Eisfläche für den Blick des Publikums freigaben. Die Musik durchflutete ihn.

    Klassische, sanft-besinnliche Musik, begleitet von einer hohen und wunderbar klaren Frauenstimme, setzte ein. Sie sank sanft auf die Halle hinab und lullte die Zuschauer ein, die in ihrer Begleitung Yuris Auftritt als Gesamtkunstwerk betrachten sollten.

    Allem voran wollte Yuri eines, inzwischen noch mehr als die Medaille: Die Agape zur Perfektion bringen. Diese Perfektion verdiente sie. Und Yuri hatte sie zwei Jahre lang immer und immer wieder geübt, Viktors Choreographie mit der Zeit ein wenig angepasst und sie in seinen individuellen Laufstil integriert. Nach einer solch langen Zeit und den hundertsten Wiederholungen, führte sein Körper jede noch so kleine Bewegung der Choreographie von alleine aus. Der Tanz war eins mit ihm geworden und ihm nun so vertraut, dass er sich dem eigentlichen, dahinterliegenden Ausdruck widmen konnte.

    In der Frauenstimme lag eine gewisse Melancholie verborgen, die den Text begleitete, aber niemals in Hoffnungslosigkeit umschwenkte.

    Die erste Zeile sprach von der Demut dem Leben gegenüber, dem Wissen, dass das eigene Leben vergänglich war. Ein Motiv, das sich durch die gesamte Melodie wie ein Faden durchzog, an dem er seine Orientierung fand.


    Er streckte den Arm zur Decke aus, sein Blick folgte ihm. Mit einer fließenden Bewegung setzte er seinen Lauf an und glitt in dem gelernten Tanz über das Eis. Das gleichmäßige Kratzen der Kufen auf dem glatten Eis, begleitete die Vorführung,

    Sein erster Sprung, ein Axel, folgte. Die Kufen sanken etwas mehr auf der Eisoberfläche ein, kratzten bei der Landung eine Spur lauter darüber.

    Der Sprecher schien ihn zu loben.


    Auch dieses Mal würde er nicht bloß auf die Technik seiner Performance achten.

    Schon mehr als einmal war es ihm gelungen in seinen Auftritt mehr zu legen und den Kern dieses Eiskunstanzes zu treffen: Die Agape. Eine platonische, bedingungslose Liebe, die alles umspannte und akzeptierte, ohne nachzufragen und zu verurteilen.
    Yuri hatte sich bereits als Kind entschieden jede Performance seinem Großvater zu widmen, doch speziell die Agape-Auftritte sollten ein Ausdruck seiner Dankbarkeit werden. Dankbar dafür, dass er Yuri diese Agape stets entgegengebracht hatte.

    Er würde ihm nachher wieder mit den selbstgemachten Pirozhki auf ihn warten und im Gesamten bloß da sein.

    Sowie er da gewesen war, als Yuris Vater, Nikolais eigener Sohn, verstorben war, und diese Zeit war für den alten Mann selbst schwer gewesen.

    Nachdem ihn seine Mutter abgegeben hatte. Sie war verzweifelt gewesen, das wusste Yuri und er hatte es immer verstanden, aber nie so recht schlucken können. Als ehemalige russische Sängerin, die vor allem in der Jugendkultur als Idol bekannt gewesen war, war sie vor dem finanziellen Ruin gestanden und ihn lieber beim Großvater gelassen. Manchmal kam sie und Yuri versuchte es zu würdigen, auch wenn der Umgang mit ihr seit jeher ein wenig eisig war. Deshalb kam sie selten; sie wusste nicht mit ihm umzugehen.

    Der Gedanke den Sohn ein Leben beim Großvater zu bieten, das war auch Agape.


    Konzentration.

    Die Schrittfolge, die Sprünge, Energie, Kraft und die akkurate Ausführung und Technik waren wichtig.

    Energie besaß er zu Genüge. In jede seiner Darbietungen lag dieses Feuer und manchmal spürte er es: Es zerfraß ihn. Es war der Wille zu gewinnen und die Angst zu versagen. Mit jedem Fehltritt blamierte er sich vor tausenden Menschen, vor sich selbst, vor seinem Großvater, vor seinen Coaches, vor Otabek und Yuuko. Frau Baranovskayas Strenge war ihm von Anfang an in den Ballettstunden willkommen gewesen. Das war ihre Art zu zeigen, dass ihr etwas an seinen Auftritten und seinem Erfolg lag.


    Da die Zuseher nicht jedes Mal dieselbe Choreographie sehen wollten, nicht jedes Mal dasselbe Lied mit ihm in Verbindung bringen sollten, hatte er die Agape bereits etwas länger nicht auf einer solch großen Bühne aufgeführt. Dennoch; sie war zu etwas Ähnlichem wie seiner Signatur geworden und daher war sie in Russland, der Meisterschaft seines Heimatlandes, gut aufgehoben.

    Bei jedem Auftritt war er Viktor dankbarer geworden. Selbst, wenn er eine lange Zeit auf ihn wütend gewesen war. Der Junge von damals war enttäuscht gewesen. Sein damaliges, großes Idol machte leere Versprechungen, die er nicht hielt, und statt diese einzuhalten, coachte er seinen, Nun-Ehemann.

    Yuri hätte sich vor der ersten Vorführung nicht träumen lassen, dass in einem recht langsamen, eleganten und besinnlichen Musikstück so viel Energie innewohnen konnte. Damals hatte es seine Wut beruhigt, mit der er durch die Welt gegangen war, die er an jedem ausgelassen hatte.

    Er hatte sich etwas Energiegeladenes, etwas Schnelles und Kraftvolles gewünscht, und dabei hatte Viktors Wahl bei dem damals fünfzehnjährigen Jungen bei jeder Trainingseinheit und jedem Wettbewerb das Gegenteil bewirkt. Er zwang Yuri mit der Agape in sich zu gehen; ruhiger und demütiger zu werden; um sich der Musik anzupassen. Hätte er sich nicht auf die Musik eingelassen, wäre er seinem eigenen Anspruch nach Perfektion nicht nachgekommen.

    Mit der Zeit hatte er sich auf Agape eingelassen, als verstünde er seither die tiefere Bedeutung hinter ihrem beruhigenden Klang; ihrer Melodie und den Lyrics, die ihm vertrauter und vertrauter geworden waren.


    Nicht, dass er in den zwei Jahren an Ehrgeiz verloren hätte. Sicherlich nicht. Ehrgeiz war wie ein Feuer, an das er gerne festhielt. Er war etwas älter und reifer geworden und schlicht gelernt sich und andere daran nicht mehr gar so sehr zu verbrennen, wie es gewesen war.

    So einige könnten meinen davon nichts zu sehen, aber er versuchte es ehrlich, und er wusste ebenso, dass er seinem Erfolg schaden würde, wenn er es sich zu sehr zurückhielt.


    Weiter Sprünge folgten.

    Weiteres Lob.

    Das Publikum klatschte Beifall.


    Yuri blendete es aus und folgte dem Programm. Seine Sprünge waren stets großartig gewesen, voller Kraft und technisch perfekt ausgeführt, um in den Fluss des Tanzes eingebunden zu sein. Seine Coaches und er entschieden die Performance ein wenig danach anzupassen und Viktor teilte ihm letztens mit, dass er solche Überraschungen mochte. Die Individualität darin.

    Und Yuri lernte alle eingewobenen Elemente zu schätzen, da sie nötig waren, um das auszudrücken, was er verlautbaren wollte; dass er diese Menschen nun schätzte und dankbar war sie in der begrenzten Zeit seines Lebens zu kennen.

    Die letzte Phase setzte ein und er spürte, wie er müde geworden war. Das würde er sich nicht so rasch ansehen lassen.

    Er streckte sich zu seiner Endposition aus, um das Gesamtwerk mit einem schönen Bild abzuschließen und erlaubte sich schlussendlich, nachdem die Musik verklang, schwer zu atmen.

    Das Licht des Scheinwerfers bündelte sich erneut auf ihn, um ihn nochmals in den Mittelpunkt zu stellen.

    „Das ginge besser“, dachte er sonst so oft und schalt sich, weil er nie zufrieden war. „Ich kann das besser. Ich habe Fehler gemacht“, meldete sich die Selbstkritik bei so vielen anderen Auftritten, gleich nachdem die Musik verstummte.

    Yuri stellte sich gerade hin, beruhigte seine Atmung und streckte den Arm aus. „Ich bin zufrieden. Im Großen und Ganzen bin ich zufrieden“, rief die lauteste Stimme in seinem Kopf und stimmte mit dem Applaus des Publikums überein. Sie war beruhigend.

    Vielleicht könnte er noch mehr erreichen, sehen wie viele Erfolge ein einzelner Eiskunstverläufer für sich verzeichnen konnte und um wie viel besser er als alle anderen sein konnte. Doch vorerst, für den Moment, erfüllte ihn ein gewisser Stolz. Er war beinahe fehlerfrei gelaufen und er konnte all das, was in den knappen zweieinhalb Minuten mitzuteilen war, ausdrücken: Wie er seine Performance interpretierte und was er aus ihr für sich mitnahm.

    Doch die russische Meisterschaft, deren Sieg über sie, war ihm nicht minder wichtig. Er wollte und würde gewinnen! Wenn man kein Ziel vor Augen hatte, dann lebte man schließlich nicht richtig. Dann war man in dieser kurzen Zeit nur vorhanden. Genauso wenig, wie wenn es niemanden gab, mit dem man es teilte.


    „Was für eine wunderbare, wunderbare Performance!

    Das war Yuri Plisetsky mit Agape!“
    Geschafft.

    Auf eine großartige Art und Weise geschafft; wirklich ein Kunstwerk dargeboten.

    Und vorerst war das genug.


    Bol'shoye Spasibo, Dedushka*.



    * Vielen Dank, Opa






    Agape


    Btw. die wunderbare Agape-Musik, falls sie jemand möchte. :bigheart:




    Lyrics


    Latein Englisch
    Sic mea vita est temporaria,
    cupit ardenter caritatem aeternam

    Credam, dabo, sperabo,
    honorabo, laborabo, gratias agam!

    Et denique aperiens fores occultas,
    nobis grandis et clara, nosque curabit
    nobis grandis et clara, nosque curabit

    magna magna, caritas
    magna magna, caritas

    Ah! Ah! Audio vocem tuam!
    Adest mi libertas!

    Mea vita amabit,
    caritatis pacem, caritatis pacem,
    Hanc felicitatem aeternam esse oro.
    Since this life of mine is only temporary,
    I ardently desire eternal love

    I will believe, I will give, I will hope,
    I will honor, I will work, I will give thanks!

    And finally I'm opening the doors hiding you,
    We are strong and bright, we too will be healed
    We are strong and bright, we too will be healed

    The greatest, greatest, giving love.
    Ah! Ah! I hear your voice calling!
    My freedom is here!

    I love my life,
    Love and peace, love and peace,
    I pray that this happiness exists eternally.





    Yuri Katsuki - In Regards To Love: Eros (Kurze Zusatzgeschichte)


    Wortanzahl: 575






    „Hey, Viktor. Hast du eben im Nachrichtenfeed gesehen, dass Yurio die russische Meisterschaft gewonnen hat?“

    „Hm“, summte Viktor zufrieden. „Das freut mich. Wir sollten ihm Glückwünsche schreiben und zur Feier des Tages Katsudon essen gehen.“

    „Hier in Frankreich?“

    „Ja, hier in Frankreich.“

    Die Flitterwochen in Frankreich zu verbringen, die Weihnachtsbeleuchtung einer solchen europäischen Metropole wie Paris zu erleben, war wunderbar, doch…

    „So?“ Neckend fügte er hinzu: „Je ne parle francais, Viktor.“

    „Je ne parle pas francais, Viktor“, besserte ihn sein kürzlich angetrauter Ehemann schmunzelnd und sichtlich belustigt aus. „Nicht palle, Yuri. Parle. R und kein e. Aber das l am Ende ist sehr klangvoll.“

    „Dann kannst du das ja wunderbar übernehmen“, erwiderte er auf Japanisch. „Mein r klingt gut genug.“

    „Oh, no-no-no. Je ne parle pas francais, Yuri.“

    „Wir sprechen Englisch.“

    „Aber die Franzosen, die nicht. Glaub mir. Manche würden eher den Fall des Eiffelturms riskieren, bevor sie bereit wären französisch zu sprechen.“

    „So schlimm wird es schon nicht sein. Du übertreibst.“

    „Niemals würde ich es etwas hochspielen oder übertreiben!“

    Yuri ließ das Wortgefecht fallen und lachte. „Weißt du was? Wir sollten nach dem Essen Eislaufen gehen. Vor dem Rathaus, am riesigen Platz vor dem Weihnachtsmarkt.“

    Diese neue Spontanität war ihm willkommen. Sie waren frei zu tun, was sie wollten und die Atmosphäre der Stadt in all ihren Zügen zu genießen, sie zu atmen. Spontane Einfällen nachgehen, die ihre Flitterwochen in etwas Unvergesslichen verwandelten.


    Er drehte an dem Ring seiner Hand, trug nun einen Goldenen.

    Viktor hatte in einer dramatischen, doch sehr berührenden Geste, den Ring nach der Trauung geküsst. Erst ihn, dann hatte er Yuris Hand an seine Lippen geführt. „Ich habe doch damals gesagt, ich küsse nur Gold. Ich war erfolgreich, doch einsam und je mehr Erfolge du verbuchen kannst, desto bewusster wirst du dir deiner Einsamkeit. Je bewusster du dir deiner Einsamkeit wirst, desto erfolgreicher versuchst du zu sein. Dann habe ich dich getroffen und wusste, dass ich all meine Liebe in dich fließen lassen wollte. Ich möchte mit dir gemeinsam erfolgreich sein. Auf dem Eis und im Leben und die Einsamkeit für nun an ausschließen.“ Er betonte jedes seiner Worte mit Nachdruck und einer solchen Ehrlichkeit, die Yuri tief bewegte. An diesen Augenblick erinnerte er sich, als hätten sie sich eben vor wenigen Minuten getraut. Daran wie fest er Viktors Hände drückte und sie entschloss nicht wieder freizugeben.

    Dafür gab es Hochzeitbilder, auf denen Yuri Rotz und Wasser heulte; wohl um seinem Ruf, als jener Eiskunstläufer mit dem Herzen aus Glas, gerecht zu werden. Sie würden nie wieder gelöscht werden können, doch was sollte es…?

    Sie war wunderschön gewesen. Nicht so ausgefallen, wie sich Yuri eine von Viktor geplante Hochzeit ausgemalt hätte. Im Gegenteil: Sie hatte besinnlich in einem kleinen Kreis stattgefunden, um sich über jedes Gesicht zu freuen, das erschien.


    „Wir sollten etwas essen und dann eislaufen gehen“, stimmte Viktor zu, nahm ihn an der Hand und zog ihn voller Freude mit sich. „Yuri Nikiforov-Katsuki, oh bitte, zeigst du mir Eros? Mir und den anderen?“ Wieder dieses Lächeln, so verschmitzt und voller Hintergedanken. Eines, das Yuri zu gut kannte und dafür gesorgt hatte, dass nun auch er schon viel zweideutiger dachte, als er je gewünscht hätte. „Ich denke, ich habe noch nicht genug von dem Eros von gestern Nacht gesehen. Was meinst du?“

    Yuri blieb stehen und sah ihn herausfordernd an. „Viktor Nikiforov-Katsuki. Ich zeige dir liebend gerne so viel Eros, wie du sehen möchtest.“