Saisonfinale 2018
Runde 2 - Epik
Information / Vote
Hallo und herzlich Willkommen zum zweiten Vote des Saisonfinales 2018!
Zitat von AufgabenstellungEure Aufgabe in dieser Runde besteht darin, Epik zum Thema Erlebnis zu schreiben. Lasst euren Charakter die Euphorie des Lebens spüren oder führt ihm vor Augen, wie ein Augenblick alles verändern kann. Egal welche Form es annehmen wird, präsentiert uns etwas, das wir nie wieder vergessen werden.
Beim Voting könnt ihr den einzelnen Abgaben zwischen 1 (nicht gut) und 10 (sehr gut) Punkte vergeben. Dabei sind auch halbe Punkte (wie 2.5) möglich. Wichtig ist dabei, dass ihr alle Abgaben bewertet. Da der Wettbewerb anonym ist, vergeben auch Teilnehmer beim Voten Punkte an alle (auch an die eigene) Abgaben. Diese werden bei der Auswertung nicht beachtet, stattdessen erhaltet Teilnehmer einen Punkteausgleich für ihre Unterstützung. Begründungen sind nicht verpflichtend.
Der Vote läuft bis zum 25. November 2018 um 23:59 Uhr.
Verwendet bitte folgende Schablone für den Vote:
Es war eine raue und unruhige Nacht, in welcher ein Schiff sich auf dem Meer hin und her bewegte, als schaukelte es rastlos zwischen Himmel und Erde umher. In dieser Nacht sah man keine Sterne am Firmament, denn die Wolken verschlangen jeden Lichtstrahl, so dass völlige Dunkelheit herrschte. Ein Sturm zog auf, der das Schiff in seiner Gewalt hielt, zunächst so, dass es nicht weniger besorgniserregend war als eine etwas zu hohe Welle, bald jedoch mit solch beharrlicher Gewalt, dass es den Anschein machte, der Sturm wolle Herr des Schiffes werden und sich dies zu Eigen machen. Doch gab es kein Schiff ohne einen Captain. Und dieser war ein Mann stattlicher Gestalt, schwarze Haare, markantes Kinn, starke Arme. In jeder Hinsicht der Vorstellung eines Kapitäns würdig. Er befand sich unter Deck, studierte seine Karten, wägte ab, welche Seerouten für ihn und seine Crew am sichersten waren, denn nicht nur, dass sich der Sturm binnen der letzten Stunden verschlimmert hatte, vielmehr drohte außerhalb dieser Gefahr noch jene der feindlichen Truppen in den verschiedenen Gewässern. Es war Vorsicht geboten. Der Captain wollte diese walten lassen. Doch vergaß er ob dieser Vorsicht, dass sich die wahre Gefahr vor seinen Augen abspielte.
Es ertönten Glocken, Warnglocken, laut und schrill und das Geräusch eines aufkommenden Regengusses übertönend. Der Captain schreckte auf, war er doch zuvor so intensiv mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt gewesen. Er griff zu seiner Öllampe und stürmte hinaus auf Deck. Dort traf ihn der Schreck erneut – die Segel flatterten im starken Wind, die Mannschaft war durchnässt und Blitze durchbrachen als einzige die stetig herrschende Dunkelheit. Der Sturm wurde von Minute zu Minute stärker, der Wind erklang wie ein bedrohliches Zischen in aller Ohren und sorgte dafür, dass das Wasser des Meeres unnachgiebig über die Reling gelangte. Der Captain schluckte. Ein solches Unwetter hatte er noch nie gesehen.
„Was sind Eure Befehle, Captain?“ rief ihm eines der Crewmitglieder zu, doch beim Captain traf er damit nur auf taube Angst. Die Mäste drohten zu bersten, weil der Wind mit ihnen spielte wie mit Zahnstochern. Vor und hinter ihnen lag nichts als das offene, todbringende Meer, das keine Gnade kannte. Kalter Schweiß lief die Stirn des Captains hinab. Er hatte seine Mannschaft ins Verderben gestürzt.
„Geht unter Deck und versteckt euch so lange vor Neptuns Zorn, wie ihr könnt.“, sagte der Mann gerade so laut, dass ihn die umstehenden Männer hören konnten. Ein entsetzter Ausdruck legte sich über ihre Gesichter, jedoch kurz gefolgt von Akzeptanz. Denn sie hörten das Brechen der Maste, hörten, wie das Meer unnachgiebig nach ihren Seelen schrie. Und sie verziehen ihrem Captain, denn sie wussten, dass niemand die Macht hatte, Neptuns Willen auszutricksen.
Also rannten sie unter Deck, der Captain blieb alleine oben. Es wurde still, beunruhigend still, und das, obwohl der Sturm lauter tobte als zuvor. Der Mann meinte, vernehmen zu können, wie der Wind seinen Namen rief. Er meinte fühlen zu können, wie sich die Wellen nach ihm verzehrten. Wieder Blitze, Donner. Er sah ruhig auf die See, die er so liebte. Nie hatte er gedacht, dass ihn der Zorn Neptuns ereilen könnte, war er doch immer ein ehrenwerter Seemann gewesen, der das Meer und seine Bewohner liebte. Sanftmütig lächelte der Seefahrer. Das Wasser um ihn herum war noch schwärzer als der Himmel, wenn das überhaupt möglich war. Und auch, wenn es so hoffnungslos schien und das Meer grauenerregend aussah, verspürte der Captain keine Angst. Es gab schlimmeres, als dort sein Leben zu lassen, wo man am liebsten war. Wo man sich sein ganzes Leben lang sicher gefühlt hatte. Der Captain salutierte. Nicht vor seinem Land, nicht vor seinem Gott. Einzig vor der Macht des Meeres. Und dann brachen die Wellen das Boot, als wäre es aus Papier, und der Captain sah nur noch schwarz.
Doch er war nicht tot. Es fühlte sich grausamer an, als sich der Tod anfühlen musste. Aber er lebte. Doch das Wasser um ihn herum raubte ihm jede Orientierung, jeden Sinn, jedes Gefühl, das er kannte. Es drang in seine Lungen, schnell und grausam, ihm keine Zeit lassend, sich auf das Gefühl des Ertrinkens einzulassen. Nur kurz fühlte er Panik, ehe ihn eine alles einhüllende Ruhe erfasste. Wenn es doch nur nicht so kalt wäre. Es fühlte sich an, als würden tausende Messerspitzen seine Haut langsam aufschlitzen. Der Captain konnte nicht sagen, welcher Tod ihn früher ereilen würde – Erfrieren oder Ertrinken. Er wurde hin und her gerissen von den Wellen, selbst dann noch, als er sich bereits viele Meter unter der Wasseroberfläche befand. Und fühlten sich diese Momente auch wie Stunden der Qual an, waren es doch nur Sekunden, die er noch bei Bewusstsein war. Die Kälte und die Dunkelheit wurden sein Gefängnis. Seine Lungen drohten zu bersten, und er litt Schmerzen, die sich nicht einmal Satan für ihn hätte wünschen können. Er wollte schreien, doch aus seinem Mund kamen nur Blasen, die die letzte Luft seiner Lungen beinhalteten. Doch dann war die Qual wie durch Nebel verhüllt. Hinter seinen Lidern wurde es heller, grauer. Seine Lungen schmerzten nicht mehr. Er fühlte nichts. Ein gnädiges Nichts, als er in die Ohnmacht entglitt.
Erst nach langer Zeit kam der Captain wieder zu sich. Der Sturm war bereits einige Tage her und an Land hatte man nicht einmal etwas von ihm mitbekommen.
Der Mann hatte gedacht, er sei tot. Er hatte den Tod Willkommen geheißen nach der Folter, die er erlitten hatte. Doch er öffnete die Augen und blinzelte verwirrt der Sonne entgegen. Unter seinen Handflächen spürte er Sand. Er lag auf Sand. Kein Wasser umschloss ihn mehr und drängte seinen Tod. Kein Wasser wollte seine Lungen zum Platzen bringen. Er weinte, als ihm bewusst wurde, dass er überlebt hatte. Nach einiger Zeit stand er auf, taumelnd erst noch, doch mit jedem Schritt sicherer, und hielt sich eine Weile an Land auf, um wieder zu Kräften zu kommen. Nach vielen Wochen und Monaten heuerte er eine neue Crew und ersteigerte ein Schiff. Er wollte keine Angst zeigen. Er ging wieder auf See und fühlte sich freier denn je. Und nicht ein weiteres Mal wurde er Opfer eines solchen Sturms.
Nur manchmal träumte er noch von dem Unglück. Dann sah er Bilder vor sich, die er als Hirngespinst kurz vor dem Tode abtat. Er sah eine Flosse, lang und kräftig. Er sah prachtvolle Haare, die eine wunderschöne Gestalt umschlossen. Er meinte in seinen Träumen, Berührungen dieses Geistes zu spüren. Berührungen, erst kräftig und fordernd. Denn in seinen Träumen wurde er von der Gestalt mitgezogen, fort von der Dunkelheit und der rettenden Oberfläche entgegen. Er meinte, sich zu erinnern, wie er auf eine Sandbank an Land gebettet wurde, ehe diese märchenhafte Gestalt ihn mit Berührungen liebkoste, die Heilung versprachen und Sehnsucht sowie von Neugierde zeugten. Manchmal spürte er ein Kribbeln auf seinen Lippen.
Und dann wachte er auf, der Traum nur eine flüchtige Erinnerung an ein Erlebnis, das er sich bis an sein Lebensende nicht erklären konnte.
„Zum Glück“, seufze ich, als ich ein Pokémon-Center in einer kleinen Lichtung erblicke. Ich hatte schon befürchtet, mir im Wald ein Lager aufschlagen zu müssen. Wo bin ich überhaupt? Und warum dämmert es schon wieder? Ich bin doch gerade erst losgezogen.
„Guten Abend, Trainer“, begrüßt mich Schwester Joy und lächelt freundlich.
„Guten Abend“, grüße ich zurück und lege meine Pokébälle vor sie auf den Tisch. „Könnten Sie bitte meine Pokémon heilen?“
„Selbstverständlich“, sagt sie. „Aber was ist denn mit diesem roten Ball an deinem Gürtel?“
Ich schaue verwirrt an mir herunter. Tatsächlich, ein roter Ball mit schwarzen Einkerbungen an den Seiten. Wo habe ich den überhaupt her? Es ist, als wäre der ganze Tag ein einziger Filmriss.
„Äh, ja, den natürlich auch“, sage ich peinlich berührt, doch bemüht, mir nichts anmerken zu lassen. Dann hole ich meinen Reiseführer heraus und schlage die Seite mit der Karte auf. „Können Sie mir sagen, wo ich gerade bin? Ich habe mich wohl verlaufen.“
„Oh, aber natürlich“, sagt Schwester Joy und deutet auf eine Route. „Hier, im Osten der Route 36. Viola City ist zu Fuß nur etwa eine halbe Stunde von hier entfernt.“
„Vielen Dank“, sage ich und lasse die Schwester meine Pokébälle zur Behandlung bringen. Was ist heute nur geschehen? Ich bin anscheinend in die komplett falsche Richtung gelaufen.
30 Minuten vorher:
Ich gehe weiter voran. Ich weiß zwar nicht, ob das der richtige Weg ist, aber es gibt nur diesen einen, also habe ich sowieso keine Wahl. Die Sonne steht schon ziemlich niedrig und mich beschleicht ein merkwürdiges Gefühl, als wäre heute irgendetwas Schreckliches passiert, an das ich mich nicht erinnern kann.
Mein Magen knurrt. Ich öffne meinen Rucksack und suche nach dem Proviant, den ich mir heute Morgen eingesteckt hatte. Wo ist er nur? Merkwürdig. Habe ich ihn etwa irgendwann gegessen und danach vergessen? Es wäre zumindest nicht das erste Mal, dass mir so etwas passiert. Vielleicht habe ich ja Glück und finde bald ein Pokémon-Center.
Ein Rascheln reißt mich aus meinen Gedanken und ich drehe mich schnell um. Auf den Weg vor mir springt ein wildes Pokémon und ich kann meinen Augen kaum trauen. Ist das … ist das wirklich ein Traumato? Aber es ist nicht gelb, sondern leuchtend pink. Ich zögere nicht lange, greife nach dem Jubelball in meiner Tasche und werfe ihn auf das Pokémon. Er wackelt noch ein bisschen, dann bleibt er zu. Unglaublich! Aber Moment mal … Wo habe ich diesen Jubelball überhaupt her?
Ich hebe ihn auf und betrachte ihn ungläubig, da springt mein neues Traumato wieder aus dem Ball. Es bewegt seine Arme hin und her wie bei einem hypnotisierenden Tanz und ich fühle mich auf einmal ganz schwummrig.
25 Minuten vorher:
Meine Beine werden langsam müde, also halte ich Ausschau nach einem schönen Platz, um ein paar Minuten Rast zu machen. Zwischen einigen Bäumen entdecke ich schließlich einen kleinen See und beschließe, mich dort ans Ufer zu setzen. Die Taubsi zwitschern fröhlich in den Bäumen und ein paar Ledyba fliegen über das im Sonnenlicht glitzernde Gewässer hinweg.
Ich stelle meinen Rucksack neben mir ab und hole meine Wasserflasche heraus. Wenn ich schon an einem Ort wie diesem bin, kann ich sie ja auch gleich auffüllen – laut meinem Reiseführer gibt es in dieser Gegend das klarste Wasser der gesamten Region.
Als ich gerade am See knie, höre ich ein dumpfes Geräusch hinter mir. Instinktiv drehe ich mich um und sehe etwas Pinkes an meinem Rucksack. Es fischt sich gerade mein Essen heraus.
„Hey!“, rufe ich und das Pokémon dreht sich um. Erst jetzt erkenne ich, dass es ein Traumato ist. Ein pinkes Traumato. Als wollte es mich damit provozieren, beißt es genüsslich von meinem Sandwich ab und legt mein Essen dann neben sich auf den Boden. Es bewegt seine Arme seltsam auf und ab und ich merke nur noch, wie mir schwarz vor Augen wird.
35 Minuten vorher:
„Traue niemals einem pinken Traumato“, sage ich gedankenverloren vor mich hin.
Moment, was? Einen Moment lang halte ich inne. Ich habe keine Ahnung, wie ich nun darauf gekommen bin. War wohl einer dieser seltsamen Momente des Gehirntotalausfalls. Als gäbe es so etwas wie ein pinkes Traumato wirklich …
Ich gehe weiter und versuche, nicht länger daran zu denken, doch der absurde Gedanke an ein pinkes Traumato hat sich bereits in meinem Kopf festgesetzt und ich werde ihn nicht mehr los.
Ein Geräusch lässt mich anhalten. Irgendetwas versteckt sich in den Büschen. Für ein kleines Übungskämpfchen mit einem wilden Pokémon bin ich gerade gern zu haben, also schleiche ich mich näher und beobachte, was dort vor sich geht. In einer kleinen hohlen Stelle zwischen den Wurzeln eines Baumes macht sich ein pinkes Pokémon an etwas zu schaffen, das ich nur als ein Lager für gestohlene oder gefundene Gegenstände erkennen kann.
„Ist das etwa ein … ein …“, stottere ich, nicht in der Lage, meinen Gedanken ganz auszusprechen. Das Traumato dreht sich zu mir um, sichtlich erschreckt darüber, dass ich sein Lager entdeckt habe, und lässt dabei einen Gegenstand fallen, der in meine Richtung rollt. Ein sehr seltener Pokéball. Ich hebe ihn auf und stecke ihn in meinen Rucksack. Wo auch immer es ihn her hat, es selbst kann ihn sowieso nicht gebrauchen. Das Traumato stellt sich vor den Baum und blitzt mich angriffslustig an.
„Los, Karnimani!“, rufe ich und lasse mein Pokémon aus seinem Ball. Vor mir materialisiert sich ein Wesen, das einen guten Meter groß ist und irritiert in meine Richtung schaut. Es hat sich entwickelt? Wie ist das passiert? Wie konnte ich das vergessen? So sehr ich mich auch anstrenge, ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern. Das Tyracroc keucht angestrengt, dann bricht es vor meinen Augen zusammen. Ich rufe es vollkommen irritiert zurück.
Das pinke Traumato wedelt mit seinen Armen und ich habe das Gefühl, jeden Moment selbst zusammenzubrechen.
40 Minuten vorher:
Endlich komme ich an einer kleinen lichten Stelle im Wald an. Ich schaue in meinen Reiseführer, dann auf den Weg vor mir, dann wieder in den Reiseführer, dann wieder auf den Weg vor mir. Ja, hier bin ich richtig. An dieser Stelle muss ich nach Norden weiter, dann dürfte ich schon gegen Abend mein Ziel erreichen. Ich drücke mich an einem Mogelbaum vorbei, das seine Tarnung um keinen Preis aufgeben möchte.
Im hohen Gras am Wegesrand zieht auf einmal etwas meine Aufmerksamkeit auf sich. Es ist definitiv ein Pokémon, und es ist pink. Ich kann mich nicht erinnern, auf dieser Route schon einmal ein wildes Pokémon gesehen zu haben, das eine so auffällige Farbe hatte. Ich nähere mich langsam, da dreht es sich um.
„Ist das ein pinkes Traumato?“, frage ich laut, als könnte mir jetzt irgendjemand diese Frage beantworten. Das Pokémon kommt langsam auf mich zu und schnuppert vorsichtig. Ich streichle ihm über den Kopf.
„Hey, willst du mich vielleicht auf meiner Reise begleiten?“, frage ich. Das Traumato schaut mich mit großen Augen an und nickt. „Das freut mich.“ Ich zücke einen Pokéball. „Aber zuerst sollten wir gegenseitig austesten, wie stark wir eigentlich sind.“ Ich lasse mein Karnimani heraus und beide positionieren sich für einen Kampf.
„Los, Aquaknarre!“, rufe ich meinem Karnimani zu. Es sammelt Wasser in seinem Mund und lässt dieses dann mit hohem Druck auf das pinke Pokémon los. Dieses springt gerade noch rechtzeitig zur Seite, dann springt es auf mein Pokémon zu und schlägt zu.
„Pfund? Ist das alles, was du kannst?“, frage ich herausfordernd. Mein Karnimani greift erneut mit Aquaknarre an, diesmal sogar mit Erfolg. Das Traumato bleibt einen Moment lang am Boden liegen, da beginnt mein Pokémon zu leuchten.
Ich kann es kaum glauben. Mein Karnimani entwickelt sich endlich weiter! Es dauert nur Sekunden, dann ist das kleine Pokémon auf etwa die doppelte Größe angewachsen und sieht auch gleich mindestens viermal so stark aus. So können wir gar nicht verlieren!
Ich überlege kurz, welche Attacken es nun beherrschen müsste. Diese Zeit nutzt das Traumato, um sich wieder aufzurichten. „Okay, Tyracroc, setz Biss ein!“, befehle ich. Es rennt auf das Psycho-Pokémon zu, springt kurz vor ihm ab und stürzt dann auf es nieder. Fast der ganze Kopf des Gegners steckt nun in seinem Maul, doch dieser scheint auch weiterhin sehr unbeeindruckt zu sein. Das Traumato hebt seine Hände hoch und Tyracroc beginnt, über ihm zu schweben. Dann lässt es meinen Partner mehrmals auf dem Boden aufknallen, nur um ihn jedes Mal wieder mit seiner Konfusion hochzuheben und wieder fallen zu lassen.
„Das reicht jetzt!“, rufe ich und rufe dabei auch mein Pokémon in seinen Ball zurück. „Du bist wirklich stark“, sage ich anerkennend und werfe einen Pokéball. Das Traumato grinst verschmitzt, hält seine linke Hand hoch, und der Ball zerschellt noch in der Luft.
„W-was?“, stottere ich ungläubig. Das pinke Pokémon schwingt seine Arme auf und ab und zieht mich damit vollkommen in seinen Bann. Ich kann nicht wegsehen, ich muss ihm bei seinem merkwürdigen Tanz zusehen. Langsam fühle ich, wie mir die Sinne schwinden und ich mich nicht mehr auf den Beinen halten kann.
8 Stunden vorher:
Pokémon, Bälle, Proviant, Wasser, Reiseführer, Geld. Gut, ich habe alles eingepackt. Ich verlasse mein Zimmer und schaue auf dem Weg nach draußen noch einmal kurz bei Schwester Joy vorbei.
„Du brichst also auf? Teak City war dein nächstes Ziel, nicht?“, fragt sie.
„Mhm, genau“, sage ich.
„Die Stadt solltest du ja bis Sonnenuntergang erreichen können“, sagt sie und lächelt. „Viel Spaß auf deiner weiteren Reise.“
Ich bedanke mich und ziehe los. Morgen könnte es schon so weit sein – mein vierter Arenakampf ist zum Greifen nah!
Felix stapfte den Waldweg entlang, nach links und nach rechts schauend, während ihm bereits der Schweiß von der Stirn lief. Es war ein relativ heißer Sommertag und auch wenn die Bäume natürlich Schatten spendeten, so war es doch immer noch viel zu warm. Die Luft fühlte sich drückend an, roch nach trockenem Holz und Blättern. Hin und wieder sang irgendwo ein Vogel oder hämmerte ein Specht an die Rinde eines Baumes.
Felix wusste, dass er im Grunde selbst schuld war. Er hatte seinen Eltern von seinen Hausaufgaben erzählt und natürlich hatten sie ihn danach nicht an den Computer gelassen, um einfach ein Bild von Scharbockskrautwurzeln aus dem Internet rauszusuchen und abzuzeichnen. Nein, er sollte natürlich ganz wie von der Lehrerin verlangt rausgehen und dieses blöde Gewächs selbstständig auftreiben. Bewegung an der frischen Luft würde ihm schließlich mal ganz gut tun und im Wald würde das schon irgendwo wachsen. „Irgendwo“ war aber keine präzise Angabe.
Felix sah auf seine Armbanduhr und stellte verärgert fest, dass er nun schon eine Stunde umherirrte. In der Zeit hätte er Gitarre üben können …
Etwas Gelbes am Rand des Wegs fiel ihm ins Auge. Schnell lief er zu der Stelle, stellte seinen Rucksack ab und kniete sich nieder, um die Blüte in Augenschein zu nehmen – nur um direkt wieder enttäuscht zu werden: Ein Löwenzahn. Seufzend richtete Felix sich wieder auf und bemerkte, dass er nicht mehr alleine war.
„Tomomi?“, fragte Felix und sah das Mädchen überrascht an. Sie war in seiner Schulklasse – sie hatte vor zwei Monaten die Schule zu seiner gewechselt –, allerdings hatten sie nie miteinander geredet. Tomomi hatte hübsche asiatische Gesichtszüge und glänzendes schwarzes Haar, in dem sie eine Spange trug. Um ihre Schulter hing eine kleine Tasche.
„Oh“, machte Tomomi leise. „Hallo, Felix.“ Sie sah ihn nicht direkt an, sondern wich seinem Blick aus. Tomomi war, wie Felix wusste, eher eine schüchterne Person – im Unterricht meldete sie sich fast nie.
„Was machst du hier?“, fragte Felix.
„Ich … Die Hausaufgaben“, antwortete Tomomi. „Ich wollte diese Pflanze suchen.“
„Du auch? Ich dachte, ich wäre der Einzige, der das tatsächlich macht. Alle anderen gucken wahrscheinlich einfach im Internet nach.“
„Hm“, mache Tomomi zustimmend.
„Hätte ich ja auch gemacht, aber meine Eltern lassen mich nicht“, sagte Felix.
„Oh“, erwiderte Tomomi und machte eine Pause, als ob sie nicht wisse, was sie sagen sollte. „Das … ist blöd.“
„Ja“, sagte Felix. „Du hast dieses Scharbocksdingens nicht zufällig schon gefunden?“
Tomomi schüttelte den Kopf. „Ich … Ich weiß nur vielleicht, wo welches wächst“, sagte sie zaghaft.
„Cool“, sagte Felix. „Kannst du mir zeigen, wo?“
„Ähm …“ Tomomi wirkte verunsichert. „Ich bin nicht sicher, ob … Also …“
„Bitte“, sagte Felix. „Ich bin jetzt schon seit einer Stunde unterwegs.“
„Also … Gut“, sagte Tomomi, auch wenn sie irgendwie gar nicht danach klang, als würde ihr das gefallen. „Aber nur, wenn du niemandem den Ort verrätst.“
Das war eine merkwürdige Bedingung, aber Felix
„Danke“, sagte Felix und lächelte auf eine – wie er hoffte – freundliche Weise.
„Wir müssen da lang“, sagte Tomomi und zeigte in die Richtung, aus der Felix gekommen war. „Und dann später den Weg an einer Stelle verlassen.“
„Okay“, sagte Felix und sie gingen los – was bedeutete, sie gingen langsam nebeneinander her, ohne zu sprechen. Felix fand es irgendwie schwierig, sich Tomomis Gehgeschwindigkeit anzupassen. Vielleicht ging es ihr ähnlich.
„Ähm …“, machte Felix in dem Versuch, ein Gespräch zu starten. „Du … bist öfters hier im Wald?“
„Weil ich weiß, wo das Kraut wächst? Ja, bin ich“, sagte Tomomi.
„Aha“, erwiderte Felix. Irgendwie fand er ihre Antwort komisch. „Das ist also dein Hobby? Im Wald zu sein?“
„Hm“, machte Tomomi, sagte aber weiter nichts. Dieses Gespräch war eine Katastrophe.
„Also“, fing Felix wieder an, „ich spiele als Hobby ja …“
„Gitarre“, beendete Tomomi tonlos seinen Satz.
Felix war baff. „Äh, ja. Woher weißt du das?“
Tomomi wirkte über sich selbst ein wenig erschrocken, so, als hätte sie das nicht sagen wollen. „Ach, ich … Naja, du bist gut im Musikunterricht. Und deine Finger sind nun einmal durch das Spielen … leicht verhornt.“
„Und das fällt dir auf?“, fragte Felix, immer noch verblüfft. „Das ist …“ Er suchte nach einem Wort. „Bemerkenswert“, schloss er etwas lahm.
„Entschuldige“, sagte Tomomi, und es klang wirklich, als würde es ihr leidtun. „Ich weiß, das muss merkwürdig wirken.“
„Nein, nein“, sagte Felix rasch. „Es ist nur … Nun ja, es ist überraschend.“
Sie gingen ein Stück weiter, ohne miteinander zu sprechen, bis Tomomi sagte, jetzt müssten sie den Weg verlassen und nach rechts gehen. Sie ging voran und Felix folgte, über den von Laub und Zweigen bedeckten Boden, zwischen den Bäumen hindurch. Er musste mehr als einmal darauf achten, nicht zu stolpern, während Tomomi keine Probleme zu haben schien.
„Du bist nicht so ganz der gesellige Typ, hm?“, machte Felix und versuchte, es wie einen harmlosen Witz klingen zu lassen.
Tomomi hielt kurz inne und Felix, der in dem Zeitpunkt mehr den Boden nach Zweigen abgesucht hatte, über die er hätte stolpern können, lief fast in sie hinein. „Ich kann nicht … Ich möchte … Nicht so viel sehen“, sagte Tomomi. „Das macht es schwer mit anderen Menschen.“
„Okay“, erwiderte Felix langsam, ohne wirklich zu verstehen, wie sie das meinte.
„Entschuldige“, sagte Tomomi wieder. „Ich weiß, dass das komisch klingt. Es ist nur … Zu sehen, dass jemand ein Gitarrenspieler ist, ist harmlos. Das tut niemandem weh. Aber zu sehen, dass Leute … einander belügen, das ist … Unser Mathelehrer zum Beispiel, er …“ Sie sah sich um, als könnte jemand zuhören. „Er betrügt seine Frau mit der Biologielehrerin.“
Felix war entgeistert. „Wie kommst du darauf?“, fragte er. „Ich wusste nicht mal, dass er verheiratet ist.“
„Er trägt einen Ehering“, sagte Tomomi. „Aber als ich ihn mal etwas gefragt habe, lag sein Handy auf seinem Pult und ich habe auf dem Sperrbildschirm die Nachrichten gesehen. Außerdem haftet manchmal der Parfümduft von der Biologielehrerin an ihm.“ Tomomi starrte auf den Boden. „Auf meiner … Auf meiner alten Schule habe ich Leute verletzt, weil ich … weil ich zu viel über sie wusste. Und wenn ich Ihnen erklärt habe, wie ich dazu kam, dann waren sie noch wütender. Ich meine, auf anderer Leute Handys zu starren ist unhöflich. Aber ich kann nicht anders. Es ist wie eine innere Stimme, die mir sagt: Sieh hierhin, hör da genau zu, all so was. Und am Ende ergibt sich dann irgendwie ein Zusammenhang. Ich weiß selbst nicht, wieso.“
Eine kurze Stille trat ein, in der Felix sich fragte, ob Tomomi das schon lange in sich reingefressen hatte. Denn hier war sie und erzählte es ausgerechnet ihm, also jemandem, mit dem sie vorher nie wirklich geredet hatte.
„Entschuldige“, sagte Tomomi schon wieder. „Wir kennen uns kaum. Ich sollte nicht …“
„Schon okay“, sagte Felix rasch. Er fand das alles mehr als befremdlich, aber angesichts von Tomomis verzweifeltem Tonfall musste er das wohl ernst nehmen, was sie sagte. Sie sahen sich einen Moment an, dann wandte sich Tomomi ab und sagte: „Es ist nicht mehr weit.“
Sie ging wieder voran und Felix folgte ihr. Nach etwa fünf Minuten glaubte Felix, ein leises Plätschern zu hören. Der Boden schien felsiger zu werden. Kurze Zeit später lichtete sich der Baumwuchs und sie standen auf einer Art kleinen Lichtung, auf der Felix jedoch etwas sah, das eindeutig nicht natürlich hier gewachsen war: Es waren zwei mit Steinen begrenzte Beete, in denen verschiedene Waldblumen und Gewächse wucherten. Das Plätschern kam offenbar von einem kleinen Bächlein, das am Rande der Lichtung entlang verlief.
„Das ist quasi mein Garten“, sagte Tomomi. „Ich komme gerne hierher, um … Nun, um alleine zu sein.“ Deshalb hatte sie wohl auch gezögert, Felix diese Stelle zu zeigen.
„Er ist schön“, erwiderte dieser und sah sich die Beete an. „Das hast du alleine gemacht?“
Tomomi nickte und lächelte. Anschließend zeigte sie auf eine Pflanze mit gelben Blüten: „Das hier müsste Scharbockskraut sein“, sagte sie, kniete neben dem Beet nieder und grub vorsichtig mit ihren Händen die Pflanze aus. Felix erkannte die Blüten in der Tat als genau das, wonach sie Ausschau hatten halten sollen. Die Wurzeln der Pflanze hatten Knollen – offenbar das, was die Lehrerin als Zeichnung sehen wollte. Felix und Tomomi machten beide jeweils eine Skizze davon – Felix konnte nicht umhin zu bemerken, dass seine deutlich ordentlicher wirkte – und gruben anschließend das Gewächs wieder ein. Felix zog seine Wasserflasche aus seinem Rucksack und nahm einen Schluck. „Möchtest du auch?“, fragte er Tomomi, denn sie sah nicht aus, als hätte sie in ihrer sehr kleinen Umhängetasche etwas zu trinken dabei. Sie nickte dankbar und wollte gerade nach der Flasche greifen, als sie erstarrte. Sie drehte sich nach links. Ein lautes Flattern ertönte, offenbar von einem aufgeschreckten Vogelschwarm.
„Jemand kommt“, sagte Tomomi. Ihre Stimme klang panisch.
„Ja, und?“, machte Felix.
„Jemand Gefährliches“, sagte Tomomi. „Schnell!“
Ehe Felix irgendetwas tun konnte, drängte sie ihn hinter einen Baum in der Nähe der Beete.
„Tomomi, was …“
„Leise!“, sagte sie, sah sich suchend um und hob schließlich einen dicken Ast auf, der am Rande der Lichtung lag und platzierte ihn zwischen den Beeten und einem anderen Baum, der nur wenige Meter von dem entfernt war, hinter dem Felix stand. Anschließend nahm sie ihre Spange aus dem Haar und warf sie in die Nähe von Felix’ Baum, bevor sie hinter ihrem verschwand. Felix sah sie von seiner Position aus verständnislos an, doch sie legte nur den Finger auf die Lippen. In ihrem Gesicht stand die blanke Angst.
Schritte ertönten, begleitet von einem Pfeifen. Kurz darauf erklang ein Geräusch, das Felix verdächtig an das Geräusch erinnerte, das Waffen in Filmen machten, wenn sie durchgeladen wurden.
„Tomomi!“, hörte er eine Frau mit Singsangstimme rufen. „Komm raus! Es ist vorbei.“
Felix sah Tomomi an. Diese Frau kannte sie?
„Na schön, dann schauen wir mal“, hörte Felix die Frau mit einem Seufzen sagen: „Also, zwei Spuren von plattgedrücktem Gras, ergo zwei Leute. Du hast also Begleitung. Die Spuren führen zu den Bäumen, folglich versteckt ihr euch dahinter. Wahrscheinlich jeder hinter jeweils einem Baum.“
Felix lief es kalt den Rücken herunter. Wer war diese Frau?
„Deine Spange – die du anscheinend immer noch hast – liegt in der Nähe des rechten Baumes. Also sollte man wohl annehmen, dass du dahinter bist. Aber das ist zu offensichtlich, oder? Da die Spange nicht in unmittelbarer Nähe irgendwelcher Spuren im Gras liegt, ist sie wohl kaum versehentlich heruntergefallen, sondern wurde von dir dorthin geworfen, um von deiner eigentlichen Position abzulenken – hinter dem linken Baum.“
Felix sah Tomomi fassungslos an. Hatte sie die Aufmerksamkeit auf ihn lenken wollen?
„Würde ich nun zwischen euren Bäumen hindurch gehen, könntet ihr euch von zwei Seiten auf mich stürzen. Nicht gut. Also nähere ich mich deinem Baum von links, dann habe ich euch beide in der gleichen Richtung. Kommst du jetzt freiwillig raus?“
Tomomi sagte nichts, und Felix rührte sich natürlich auch nicht.
„Schön“, sagte die Frau. „Dann hole ich dich.“
Schritte. Felix sah zu Tomomi, die die Augen geschlossen hatte. Dann, urplötzlich, stürmte sie los – in exakt die Richtung, aus der die Frau kommen würde. Felix konnte nur zusehen, wie sich Tomomi mit einem Schrei auf die Frau stürzte, die offenbar überrascht zurückwich, über den Ast am Boden stolperte und mit dem Hinterkopf auf die steinerne Begrenzung der Beete fiel. Sie blieb liegen und rührte sich nicht mehr.
Tomomi stand einfach nur da, keuchend und mit Tränen in den Augen. „Es … Es tut mir leid, Felix“, sagte sie, rannte zu ihrer Spange und hob sie auf. „Ich … muss weg. Du solltest … Du solltest verschwinden.“
„Tomomi, was …“
„Kümmere dich nicht um sie. Sag niemandem, dass du heute hier warst. Du … Du würdest dich nur selbst in Gefahr bringen.“
Mit diesen Worten rannte Tomomi los, ohne sich umzudrehen.
„Tomomi!“, rief Felix, doch sie hielt nicht inne. Felix sah auf den leblosen Körper der Frau. Dann, ganz allmählich, rannte auch er los.
Felix durchsuchte die folgenden Tage immer wieder die Zeitung nach Berichten über eine tote Frau im Wald, doch es kam nichts. Vielleicht war sie nicht tot gewesen, vielleicht hatte sie auch niemand gefunden. Felix wagte nicht, dorthin zurückzukehren. Was Tomomi betraf, so kam sie nicht mehr in die Schule, und Felix sah sie nie wieder.
Ich kannte dich kaum, als sich unsere Pfade kreuzten. Was ich jedoch noch wusste, war, dass du Cora hießt, dich aber alle, Klassenkameraden, Lehrerinnen und Lehrer, Coco nannten.
Als ich dich zum ersten Mal in meinem neuen Leben wahrnahm, saßt du in deinem eigenen schwarzen Schatten stehend im hintersten Abteil des Klassenraumes. Allein. Ich wusste nicht wieso, aber das machte dich in meinen Augen ziemlich sympathisch. Du musst verstehen, an diesem Donnerstagmorgen war ich ziemlich aufgeregt, denn es kam nicht oft vor, dass ich die Klasse wiederholte. Ich kannte kaum jemanden, nein, ich kannte niemanden in der neuen. Und so kam es, dass auch ich allein saß.
Wochen danach wünschte sich unsere Deutschlehrerin, dass wir uns in Gruppen zusammenfinden, um eine Aufgabe aus dem Buch zu vergleichen. Und wie das Schicksal so wollte – oder unser Beliebtheitsgrad in der Klasse –, blieben du und ich übrig. Also bat sie mich, mich umzudrehen, sodass wir beide zusammenarbeiten konnten.
„Heii, wie geht’s dir?“, flüsterte ich dir zu, doch du schwiegst.
Ich nahm es nicht persönlich, denn ich wusste, dass du nicht gerne redest. Um genau zu sein, hatte ich dich bis jetzt kein einziges Mal Sprechen gehört. Stattdessen lächelte ich die peinliche Stille weg und begann, meine Ergebnisse vorzulesen: „Also, zur ersten Aufgabe habe ich mir aufgeschrieben, dass …“
Du nicktest und schriebst sie dir ab. In diesem Moment blickte ich auf dein rechtes Handgelenk. Ich machte große Augen und hielt meinen Atem an, als ich den großen dunkelblauen, fast schwarzen Fleck aus deinem leicht hochgekrempelten Ärmel aufblitzen sah. In meinen Gedanken versunken bemerkte ich gar nicht, dass ich starrte. Du schon, und so krempeltest du deinen Ärmel fast panisch nach unten.
„Was ist das?“, fragte ich dich, doch du schwiegst.
Bevor ich erneut nachfragen konnte, klingelte es, und du tratst die Flucht an.
In der kleinen Hofpause saß ich auf einer Bank im Schulkorridor. Allein. Und ich überlegte.
„Ich habe es mir nur eingebildet“, erklärte mir meine innere Stimme. „Du interpretierst zu viel darein! Andererseits …“
Ich schälte währenddessen die Banane, welche ich mir von Zuhause mitgebracht hatte. Sie besaß noch einen schwachgrünlichen Schimmer, ebenso wie ich es am liebsten mochte.
„… hätte sie nicht so reagiert, wenn es nur nichts gewesen wäre.“
Also überlegte ich weiter: „Was soll ich nun tun? Wie kann ich ihr helfen?“
Zwei Fünftklässler sausten im Eiltempo an mir vorbei, während der Aufsichtslehrer mit lauter Stimme schrie, dass das Rennen im Schulgebäude verboten war.
„Kann ich ihr überhaupt helfen?“
Doch dann klingelte es erneut, und ich musste mich beeilen, um noch pünktlich zur Sportstunde in der Sportschule gegenüber vom Schulgebäude zu kommen.
Noch auf meinem Weg dorthin beschloss ich, dich nochmal deswegen anzusprechen, denn wenn es ist, was ich denke, brauchtest du jemanden zum Reden. Als ich in der Mädchenkabine ankam, war jedoch keine Spur von dir.
„Wo ist Coco?“, rief ich in die Runde, doch niemand antwortete mir.
Ich durchsuchte den ganzen Raum. Alle waren da. Nur du nicht. Ich machte mir Sorgen, große Sorgen. An Ende blieb ich allein in der Kabine zurück. Zumindest dachte ich, ich wäre allein. Und dann hörte ich ein Schluchzen, dein Schluchzen, aus dem Toilettenraum.
Ich schlich auf Zehenspitzen zur Toilettenraumtür und sah dich durch den Schlitz, wie du nur in Unterwäsche bekleidet in der Ecke hocktest und weintest. Dein Rücken war übersäht mit lauter kleinen und großen Flecken, die dem auf deinem rechten Unterarm glichen.
„Coco“, begann ich, „egal, was es ist, du musst dich jemanden anvertrauen!“
Ich öffnete den Schlitz und trat in den winzigen Raum.
„Ich bin für dich da“, versprach ich dir, und du erzähltest mir die ganze Wahrheit.
„Mein Vater“, schluchztest du. „Mein Vater …“
Ich reichte dir meine rechte Hand, damit du wieder auf die Beine kommen konntest. Du nahmst sie dankend an, und zogst dich mit aller Kraft hoch. Du warst schwerer als du aussiehst.
„Ich heiße im Übrigen Dina“, sagte ich mit einem Lächeln im Gesicht.
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