Sternensagung

„Hey Schatz. Sorry, aber ich muss heute wieder länger arbeiten und bis ich daheim bin ist es sicher schon zu spät für unser geplantes Dinner… Tut mir wirklich leid…“

Mein Finger schwebte über dem Senden-Knopf. Es war nicht das erste Mal, dass ich absagen musste und ich wusste auch, dass Lou das nicht besonders toll finden würde. Aber dank meines neuen Vorgesetzten stapelten sich die Akten bis zur Decke und wurden auch gefühlt nur mehr. Ich seufzte. Wäre es doch nur nicht unser Jahrestagdinner, welches ich jetzt seit 2 Monaten immer wieder absagen musste, dann müsste ich auch nicht mehr jeden Tag mit der Angst nach Hause kommen, dass Lou nicht mehr da war.

Ich schüttelte leicht den Kopf und drückte auf Senden. Wenn ich mich jetzt nicht auf meine Arbeit konzentrieren würde, käme ich heute sicher nicht mehr nach Hause. Also auf zur nächsten Akte…

Mit zitternden Fingern schloss ich die Tür zu unserer Wohnung auf. Es brannte kein Licht mehr und Panik stieg in mir auf. Schnell legte ich meine Tasche ab und ging ins Schlafzimmer. Mir fielen tausend Steine vom Herzen, als ich Lous Silhouette im Bett ausmachen konnte. Ein weiterer Tag, an dem ich meine Beziehung noch nicht zerstört hatte. Ich ging zurück in den Flur, um auch meine Jacke und meine Schuhe abzulegen und die Haustür abzuschließen. Leise, um Lou nicht zu wecken, schlich ich in die Küche und schaute in den Kühlschrank. Es lag eine halbe Pizza auf einem Teller mit einem Zettel mit der Aufschrift: „Damit du mich nicht wieder wecken musst für deine Mitternachtspizza“ Ich lächelte. Niemand kannte meine Vorliebe für kalte Pizza nachts so gut wie Lou. Es war ein wunder, dass solch eine wundervolle Person noch nicht die Flucht ergriffen hatte, so wie ich in letzter Zeit drauf war.

Mein Wecker klingelte am nächsten Morgen mal wieder viel zu früh und ich war wie jeden Morgen kurz davor, mein Handy einfach an die Wand zu werfen. Ich setzte mich im Bett auf und sah neben mich in die halb geöffneten Augen des verschlafensten Menschen, den die Welt wohl je gesehen hat. „Wehe du bist heute Abend wieder nicht da“, wurde mir zwischen zwei Küssen zugenuschelt und ich machte mich wieder für die Arbeit fertig.

Und schon wieder brach ein Arbeitstag über mich herein, der mir mehr Arbeit brachte, als ich erledigen konnte. Und schon wieder war absehbar, dass ich Überstunden einlegen musste. Doch dann stürmte mein Vorgesetzter in mein Büro und sah mich entsetzt an. „Warum sind Sie noch hier? Ich dachte Sie wären schon weg!“, keuchte er entgeistert hervor. Ich war verwirrt. „Was meinen Sie?“, fragte ich mit gerunzelter Stirn und er fuchtelte mit seinem Telefon vor meiner Nase rum. „Ich habe eben erfahren, dass Ihre Mutter im Krankenhaus liegt! Jetzt gehen Sie schon, los! Den Rest der Woche bekommen Sie von Ihren Überstunden frei, kümmern Sie sich gefälligst um Ihre Familie!“

Seine Worte ließen keinen Widerspruch zu, also packte ich schnell meine Sachen und verschwand aus dem Büro. Als ich draußen war, drückte ich die Schnellwahltaste und nach dem ersten klingeln meldete sich schon eine sehr vertraute Stimme. „Lou, was soll der Mist. Wieso rufst du meinen Vorgesetzten an und behauptest, meine Mutter läge im Krankenhaus? Die liegt friedlich unter der Erde und das weißt du selbst!“, schimpfte ich los. „Jetzt beruhige dich. Irgendwas muss ich mir doch einfallen lassen, um dich mal wieder zu Gesicht zu bekommen. Und jetzt weniger aufregen und mehr zum Hafen kommen, wir sehen uns gleich da.“ Bevor ich darauf reagieren konnte, war die Verbindung schon wieder beendet. Typisch Lou.

Am Hafen angekommen sah ich das kleine Segelboot, dass Lou seit einigen Jahren am Restaurieren war. Ich wusste gar nicht, dass es schon fertig war, aber so viel wie ich generell mit Lou in der letzten Zeit redete, war das auch kein Wunder. „Jetzt komm endlich! Ich will ablegen!“, wurde mir zugerufen und ich beeilte mich, der Bitte nachzukommen.

Eine ganze Weile segelten wir einfach nur schweigend durchs Wasser. Ich traute mich nicht wirklich, irgendwas zu sagen und Lou wirkte auch nicht so, als wäre Reden grade eine gute Idee. Irgendwann wurde eine kleine Insel vor uns sichtbar. Ich wusste, dass es in der Mitte des großen Sees eine Insel geben musste, aber wirklich da gewesen war ich noch nie. Schien wohl so, als würde sich das jetzt ändern.

Zusammen zogen wir das Segelboot ein Stück den Strand rauf, damit es nicht wegtreiben konnte. „Komm mit, ich will dir was zeigen“, sagte Lou und nahm meine Hand. Wir liefen den Strand entlang, bis wir auf der anderen Seite der Insel angekommen waren und wir stehen blieben. Bevor ich eine der tausend Fragen in meinem Kopf stellen konnte, waren aber schon Lippen auf meinen.

„Lou, was…“, versuchte ich zwischen den Küssen zu sagen, doch mir wurde keine Chance gelassen. „Seit Wochen bist du nur am arbeiten und ich bekomm von dir nichts mehr mit. Jetzt zerstör nicht gleich den ersten Moment seit all der Zeit, den wir endlich mal nur für uns haben…“

Die Sonne ging langsam unter, während wir Arm in Arm am Strand saßen und dem Naturschauspiel zusahen. „Tut mir wirklich Leid, dass ich dich in letzter Zeit so vernachlässigt habe… Irgendwie war ich so in meiner Ansicht gefangen, dass ich so viel für die Arbeit tun müsste, dass ich gar nicht mehr dazu in der Lage war, zu sehen, dass ich all die Zeit dir hätte geben sollen… Danke, dass du mich da rausgeholt hast.“ Meine Stimme zitterte, als ich die Worte sprach. Lou lächelte mich an. „Ist schon okay, jetzt haben wir ja wieder einander.“