Hallo und herzlich willkommen zum neunten Vote der Wettbewerbssaison 2019!
Beim Voting könnt ihr den einzelnen Abgaben zwischen 1 (nicht gut) und 10 (sehr gut) Punkte vergeben. Dabei sind auch halbe Punkte (wie 2.5) möglich. Wichtig ist dabei, dass ihr alle Abgaben bewertet. Da der Wettbewerb anonym ist, vergeben Teilnehmer beim Voten Punkte an alle Abgaben - auch an die eigene. Diese werden bei der Auswertung nicht beachtet. Stattdessen erhalten Teilnehmer einen Punkteausgleich für ihre Unterstützung. Begründungen sind nicht verpflichtend.
Der Vote läuft bis zum Sonntag, den 20.10., um 23:59 Uhr.
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Zitat von AufgabenstellungWas bleibt, wenn wir gewesen sind? Wie wird die Erde aussehen, wenn die Ära der Menschen zu Ende ist? Wie genau das Ende der Menschen geschah, ist hier nicht weiter wichtig, stattdessen soll im Vordergrund stehen, was sie hinterließen: Städte, Straßen, Satelliten, eine Welt, die sie selbst zu ihrem eigenen Nutzen geformt haben.
In Form eines Briefes sollt ihr nun beschreiben, wie eine andere intelligente Wesenheit dies betrachtet. Ob ihr hierfür eine intelligente Spezies nutzt, die aus einer unserer heutigen Tierarten entstand, oder gleich einen Besucher aus dem All, ist vollkommen euch überlassen. Wichtig ist nur, dass ihr die Gedanken und die Fragen herausarbeitet, die diesen Fremden beschäftigen.
Mein liebstes Leanchen,
du fragst dich sicherlich, was das ist, was du jetzt in den Händen hältst. Die Bevölkerung dieses Planeten nannte es einen επιστολή, eine epistolí, neben vielen anderen Bezeichnungen – die intelligente Lebensform scheint niemals einen Sprachausgleich durchgeführt zu haben. Was ich schreibe, stellt wohl eine frühe Form der Kommunikation dar, welche notwendigerweise physisch war und dieses Pflanzenfasermaterials bedurfte. Deshalb hege ich die Hoffnung, dass es trotz des Teletransports unbeschadet bei dir angekommen ist.
Wie ich dich kenne, sitzt du nun da und verziehst das Gesicht, fragst dich, warum ich dir ein seltsames epistolí und keine digitale Nachricht sende. Ich habe viel über die intelligente Lebensform, die άνθρωποι oder ánthropoi herausgefunden; sie legten viel Wert auf Dinge, die sie überdauerten. Eine digitale Nachricht würde sich auflösen, sobald du sie abgerufen hättest, dieses Pflanzenmaterial, χαρτί (chartí), soll dir über die Zeit hinweghelfen, die ich für den Rückweg zu dir brauchen werde.
Ánthropoi versandten viele epistolí an ihre Liebsten; ein Brauch den ich gerne für dich übernehme. Sie waren letztlich eine der größten Quellen für unsere Forschung. Aber die ánthropoi nutzten chartí auch für andere Dinge, sie banden sie zusammen zu βιβλία bzw. vivlía. Vielleicht hilft uns das sogar bei unserer Forschung zu den alten Kantei-Zivilisationen unseres Planeten. Viele Steinbilder aus dieser Epoche weisen erstaunliche Ähnlichkeit zu den hier gefundenen vivlía auf. Möglicherweise waren sich unsere Planeten einst sehr ähnlich. Darum ist es, sosehr ich mich auch nach dir sehne, umso frustrierender diesen Planeten verlassen zu müssen, ohne den Grund für das Ableben der ánthropoi zu kennen. Ihre heimische Fauna und Flora scheint nicht von dem Ereignis betroffen gewesen zu sein, denn die meisten der in den vivlía abgebildeten Tierarten konnten unsere Forscher in den verschiedenen Regionen des Planeten ausfindig machen. Wir konnten noch nicht alle Schriften entziffern, aber es scheint, dass sich einige Spezies weiterentwickelten, um sich an die veränderten Lebensbedingungen ohne ánthropoi anzupassen. Diese evolutionären Tendenzen ...
Das ist wohl das Faszinierendste an epistolí: Wenn man einmal etwas geschrieben hat, so lässt es sich nicht mehr entfernen. Entschuldige deshalb meine wissenschaftlichen Ausführungen, ich weiß, dass sie dich langweilen. Dennoch wünsche ich mir, dass du von den Gegebenheiten ebenso fasziniert wirst wie ich. Also lass mich dir mit meinen Worten ein Bild malen:
Die Entfernung zu seiner Sonne hat diesen Planeten zu einem grünen Planeten gemacht. Das seltene Gras wächst hier an vielen Stellen und paart sich mit Moos, sodass ein weicher, grüner Teppich entsteht, auf dem man tatsächlich barfuß laufen kann. Er ist kühl und weich. Moos scheint generell die Pflanze zu sein, die sich am weitesten verbreitet hat; fast jede Steinfläche ist mit ihr überzogen. Wir mussten viele Artefakte aus ihrem Griff befreien. Die meisten Häuser der ánthropoi hatten in früheren Zeiten scharfe Kanten und gerade oder gar seltsame Formen, welche wahrscheinlich weit in den Himmel ragten. Einige vivlía zeigten Bilder von ihnen, aber auf ihre tatsächliche Größe konnten wir nur anhand der Masse an Trümmern schließen, die um die stabileren Fundamente zu finden waren. Viele Tierarten haben sich diese Trümmer als Wohnstätte ausgesucht, Gras, Moos, vereinzelte Bäume und eine Vielzahl an Efeuranken bieten ihnen zusätzlich Schutz, Futter und Baumaterial. An einigen Stellen war ein Vorankommen am Boden unmöglich, wodurch uns eine authentische Erfahrung verwehrt blieb, denn es scheint, dass die ánthropoi sich in Bodennähe auf unebenen schwarzen Wegen bewegten. Wobei einige Kollegen die Theorie vertreten, sie seien früher einmal glatt gewesen und erst nach dem Verschwinden der ánthropoi aufgeplatzt. Doch die Antwort auf die Frage nach der Fortbewegung ist noch unsicher, denn einige Stellen mit eingefallenem Boden, an welchen die Trümmer selbst für die Tierwelt oftmals kaum noch zugänglich sind, legen die Vermutung nahe, dass ánthropoi vielleicht auch unterirdisch reisten. Es mangelte uns allerdings an Zeit und Personal, um diese Stellen näher zu untersuchen.
Im Zusammenhang mit den Häusern hatte ich den Himmel ja schon einmal erwähnt, aber es wird ihm nicht gerecht, da sein tiefes, dunkles Blau alles in den Schatten stellt, was du dir vorstellen kannst. Ich kann es kaum erwarten, dass unsere Forschungsmaterialien freigegeben werden und ich dir die Bilder zeigen kann. Denn eine andere faszinierende Eigenart des Himmels dieses Planeten sind die Wolken, welche alle paar Wochen auftauchen und zum Teil einfach nur am Himmel ziehen, ohne dass aus ihnen Regen fließt. Wir waren alle äußerst überrascht von diesem Phänomen.
Wasser ist generell eine Besonderheit dieses Planeten. Deutlich über die Hälfte seiner Oberfläche ist mit Wasser bedeckt, wobei man es nur in Ausnahmefällen trinken kann. Entweder ist es mit zu viel Salzmineral gefüllt oder besitzt einen zu hohen Säuregehalt. Die einheimische Fauna scheint sich daran angepasst zu haben und auch die ánthropoi schienen zumindest eine Vorliebe für Kohlenstoffdioxid besessen zu haben, da wir einige Gerätschaften gefunden haben, welche dieses herstellen. Allerdings waren sie zumeist verfallen, verrostet und anderweitig beschädigt, dass erst eine exakte Rekonstruktion in unseren Heimatlaboren genauere Erkenntnisse bringen kann. Bevor ich aber wieder abschweife, lass dir sagen, dass wir diese Gerätschaften in Unmengen an den verschiedensten Plätzen gefunden haben: In Trümmerhaufen, bei den schwarzen Wegen, in den Wassern – sie sind überall. Möglicherweise hatten sich sogar einige Gebäude speziell der Herstellung von Kohlendioxid verschrieben. Aber um noch einmal zum Wasser zurückzukommen: Die besterhaltenen Gebäude dieses Planeten finden sich hinter dem Rand der Landmasse in den riesigen Salzgewässern. Einige vivlía zeigen Bilder einer fischähnlichen Abzweigung der ánthropoi, wobei hierzu die Meinungen auseinandergehen, denn die gefundenen Unterwasserstädte scheinen keinerlei Vorteile aus ihrer Umgebung zu ziehen und einige Dinge scheinen auch nur über der Oberfläche überhaupt zu funktionieren. Außerdem würde sich die Frage stellen, was zwei Unterarten der ánthropoi aus verschiedenen Lebensräumen ausrottete, nicht aber die dazugehörige Tierwelt, denn wir fanden sowohl Fische als auch Säugetiere. Aber auch einige Vögel bevölkern den Planteten. Du würdest ihre Gesänge lieben. Sie erfüllen die Stille.
Die ánthropoi waren ein faszinierendes Volk und ich kann es nicht erwarten, unsere Ergebnisse auszuwerten und eines Tages widerzukehren und neue Erkenntnisse zu sammeln. Noch weniger kann ich jedoch erwarten, dich wiederzusehen. Der Platz auf dem chartí, dass ich in einem der ehemaligen Häuser gefunden habe, neigt sich nun auch dem Ende. Ich hoffe, du hast deine Freude an dieser fremdartigen Kommunikationsform und dass sie dir die lange Zeit meiner Reise verkürzt.
Ich freue mich darauf, dich bald wieder in die Arme schließen zu können.
In Liebe,
Luan
An Mihlwel, Vorsitzender des linguistischen Instituts von Drebrineel
Es gibt zwei wundervolle Zeiten, in die ein intelligentes Wesen geboren werden kann: In die Zeit, in der es seinen eigenen Planeten erkunden kann, und in die Zeit, in der es andere Welten erkunden kann. Wir beide haben das außergewöhnliche Privileg, in letzterer Situation zu leben. Die Menschen allerdings haben es, soweit ich es erkennen kann, nicht aus der ersten Phase hinausgeschafft, und was müssen ihre Entdecker für eine traurige Existenz geführt haben, als es immer weniger zu entdecken gab, da die Menge des erreichbaren Unbekannten auf ihrer Welt immer kleiner wurde, während das Unbekannte auf anderen Welten fast in Gänze unerreichbar blieb?
Mittlerweile ist es nämlich durchaus sehr wahrscheinlich, dass die Menschen nie ihr eigenes Sternensystem verlassen konnten, auch wenn sich Anzeichen dafür finden, dass sie zumindest nicht auf einen Planeten begrenzt waren. Während der Zielort unserer Reise der dritte Planet (ganz offensichtlich ihre ursprüngliche Heimat – sie nannten ihn „Erde“) war, fanden sich auch vereinzelte Überreste ihrer Zivilisation auf dem ihren Heimatplaneten umkreisenden Mond sowie dem vierten Planeten des Sonnensystems (genannt „Mars“) – die Bedingungen auf den anderen Planeten hingegen sind offensichtlich nicht lebensfreundlich genug.
Darüber hinaus gibt es vereinzelten Weltraumschrott in den äußeren Bereichen des Systems, dessen Dichte mit zunehmender Nähe zum dritten Planeten größer wird. Um die Erde gibt es praktisch einen dünnen Ring aus alten Maschinen. Nicht alles davon scheint auf die Erforschung oder Besiedlung des Weltraums ausgerichtet gewesen zu sein – unsere ersten Untersuchungen legen nahe, dass bei einigen der Apparate die Untersuchung des eigenen Planeten die vorrangige Funktion war, während andere diverse Prozesse auf der „Erde“ steuerten, der Kommunikation dienten oder Unterhaltungsprogramme übertrugen. Darüber hinaus, und das ist leider wenig erfreulich, erfüllten einige der Satelliten wohl eine militärische Funktion.
Wenig erfreulich ist es insbesondere deshalb, weil wir in unserer zeitlichen Datierung der Objekte feststellten, dass es eine Phase gegeben haben muss, in der der militärische Zweck deutlich in den Vordergrund trat. Das deutete bereits auf einen Krieg oder aber eine Welt am Rande eines Krieges hin. Allerdings sind die Überreste der Siedlungen auf dem vierten Planeten zeitlich nach der militärischen Phase einzuordnen, sodass wohl anzunehmen ist, dass die Menschheit sich nicht selbst in einem Krieg zerstörte, sondern noch fähig und willens war, sich von ihrem Heimatplaneten fort zu wagen.
Doch natürlich ist es die „Erde“ selbst, die uns am meisten interessiert und wohl den eindeutigsten Aufschluss darüber geben kann, wer die Menschen waren und was aus ihnen geworden ist. Spuren der menschlichen Zivilisation, obwohl mitunter von Flora und Fauna eingenommen, finden sich auf den Großteilen der Landmassen, die allerdings bekanntermaßen nur etwas weniger als dreißig Prozent der Erdoberfläche ausmachen. Allerdings gibt es auch hier eine Entwicklung zu beobachten: Die neuesten Bauten befinden sich nur in bestimmten Gebieten und deuten auf eine immer größere Siedlungsdichte hin, während in einigen anderen Regionen nur sehr alte und deutlich verfallenere Gebäude befinden, die wir zeitlich deutlich früher datieren können. Der Grund hierfür kann, so scheint mir, nur gewesen sein, dass die letzteren Gebiete mit der Zeit unbewohnbar geworden sind – tatsächlich ist man in ihnen extremeren Temperaturen und Wetterphänomenen als anderswo ausgesetzt.
Derartige Veränderungen im Klima, die Wanderungen ganzer Völker ausgelöst haben könnten, sind vermutlich auf die Emission von Gasen in die Atmosphäre zurückzuführen, die das Rückhaltevermögen für infrarote Wärmestrahlung erhöhen – diverse alte Anlagen deuten darauf hin, dass zur Energiegewinnung Substanzen verbrannt wurden, die derartige Gase freisetzen, welche dann in der Atmosphäre verblieben sind – du, mein lieber Bruder, wirst dich sicher erinnern, dass unser Planet in der Vergangenheit mit ähnlichen Problemen konfrontiert war.
In Verbindung mit unseren anderen Funden ergibt sich damit allerdings ein bedrückendes Bild: Die militärische Phase, die wir durch die Satelliten feststellen konnten, schließt sich offenbar an die Völkerwanderungen an bzw. überschneidet sich teilweise damit. Ich kann dies nicht anders deuten, als dass ein zunehmender Kampf um Ressourcen und Land entstanden ist.
Doch ein Hoffnungsschimmer für die Menschheit bleibt insofern, als dass einige sehr neue Anlagen, die wir als technische Forschungsbetriebe identifizieren würden, den Eindruck machen, als sei hier weiter an der Raumfahrt und darüber hinaus an der Kryostase geforscht worden. Leider gibt es keine Anzeichen dafür, ob diese Bemühungen erfolgreich waren – sollten sie es aber gewesen sein, dann ist vielleicht etwas von der Menschheit übrig geblieben. Vielleicht schwebt irgendwo da draußen im All ein Raumschiff mit Menschen im Kälteschlaf herum, den Kurs auf einen fremden, als bewohnbar identifizierten Planeten gesetzt. Sollten wir das Glück haben, so etwas zu finden, dann wäre das eine wortwörtlich galaktische Entdeckung – wir hätten dann Zeugen einer längst vergangenen Zeit, die uns alles über ihre Geschichte erzählen könnten, was uns heute noch ein Rätsel ist. Natürlich aber ist das nur eine Hypothese, und obwohl ich mir von meinen drei Herzen her wünschte, sie wäre wahr, kann ich keine Anzeichen dafür finden, dass dem so ist.
Dabei wäre die Hilfe eines Menschen der damaligen Zeit bei der Aufklärung einiger Rätsel wirklich willkommen: Wir sind etwa in einigen der als gemäßigt zu identifizierenden (also dichter besiedelten) Klimazonen auf eine Vielzahl von Objekten gestoßen, deren genauer Zweck uns noch unklar ist. Sie bestehen aus einem leichten, äußerst haltbaren Material, das auch nach all den Jahren nicht verrottet ist, und tragen neben Symbolen bisher noch nicht übersetzte Inschriften: „Lidl“, „ALDI“, „IKEA“, „EDEKA“. Von der äußerlichen Beschaffenheit her entsprechen die Objekte einer Art Sack – vielleicht waren sie ein Behältnis für irgendetwas? Möglich wäre, dass es sich um religiöse Objekte handelt. Es könnten etwa Gefäße für Opfergaben gewesen sein, die in Zeremonien benutzt wurden. Die nicht übersetzten Inschriften wären dann vielleicht als die Namen von Gottheiten zu interpretieren, denen zu Ehren die Menschen besagte Opfergaben dargeboten haben. Tatsächlich haben wir einige Gebäude gefunden, auf denen ebenfalls Überreste der gleichen Inschriften zu erkennen sind – es könnten die Tempel der besagten Gottheiten sein.
Eine andere Seltsamkeit sind einige unterirdische Anlagen, in die wir bisher noch nicht eindringen konnten – zwar könnten wir sie durch Einsatz unserer Waffentechnologie mit Leichtigkeit öffnen, aber es besteht dabei das Risiko, die Anlagen oder ihren Inhalt zu beschädigen, weshalb wir uns auf weniger aggressivere, aber zeitaufwändigere Wege beschränken müssen. Diese Anlagen sind ungewöhnlich stabil gebaut, und was sie enthalten, muss folglich besonders wertvoll sein. Vielleicht sind hier drin ja sogar Menschen im Kälteschlaf? Ich hoffe darauf, aber wir müssen es wohl abwarten. Der einzige Hinweis auf den Inhalt dieser Anlagen sind die außen angebrachten Zeichen: Es sind Dreiecke mit schwarzer Umrandung, die gelb ausgefüllt sind und in dieser gelben Innenfläche ein schwarzes Symbol enthalten, das einen Kreis mit drei ihn umgebenden, untereinander gleich aussehenden und im gleichen Abstand angeordneten Flächen, die an Abschnitte eines Kreises erinnern, darstellt. Wir wissen nicht, was es bedeutet – es erinnert mich an einen Propeller der alten Flugmaschinen, die in unseren Museen rekonstruiert worden sind. Da solche Propeller Wind verströmen und so für ein Gefühl der Abkühlung sorgen können, kam ich auf den Gedanken, dass das ein stützendes Indiz für meine Kälteschlaf-Hypothese sein könnte – aber natürlich wäre das sehr voreilig anzunehmen, und ich sollte wohl einfach abwarten, was wir finden werden.
Abseits der Menschen sind natürlich auch die verbliebenen Lebewesen auf dem Planeten von Interesse, wobei wir bisher noch keine Gelegenheit hatten, die Meere ausführlich zu untersuchen – unseren Scans zufolge gibt es dort aber keine Gebäude oder sonstigen Anzeichen von Zivilisation, weshalb wir sie bisher vernachlässigt haben. An Land allerdings gibt es einige Spezies, die tatsächlich Anzeichen von Intelligenz zeigen, wenn auch von sehr rudimentärer Art. In ihrer Gestalt ähneln sie ungefähr dem Bild, dass wir uns anhand von Funden bereits von den Menschen haben machen können, sie sind aber deutlich kleiner und beharrter, ihre Gesichtszüge und Extremitäten im Detail anders gebaut. Ein erster Gedanke war, dass es bei den Menschen zu einer Rückbildung der Intelligenz kam, und dies ihre Nachfahren sind. Allerdings können so große Veränderungen in einer Spezies nicht in der Zeit aufgetreten sein, die seit den von uns als am spätesten datierten Gebäuden vergangen ist. Nichtsdestoweniger deutet die Ähnlichkeit vielleicht auf eine Verwandtschaft hin, ein Zusammenhang, der sicher noch weiter zu untersuchen ist.
Tier und Pflanzenwelt scheinen uns insgesamt nicht so vielfältig, wie man es eigentlich bei einem Planeten dieser Größe erwarten würde, tatsächlich würde ich eher davon sprechen, dass beide Sphären relativ einseitig sind. Erneut – ich kann das nur auf den bereits beschriebenen Erwärmungseffekt zurückführen, der neben den Völkerwanderungen auch ein Artensterben ausgelöst haben dürfte. Zudem scheint eine Anpassung der Pflanzenwelt an die Nahrungsbedürfnisse der Menschheit vorgenommen worden zu sein, wodurch andere Pflanzenarten verdrängt wurden: Um die besiedelten Gebiete herum kann man kaum noch von einer Vielfalt im eigentlichen Sinne sprechen.
Vielleicht fragst du dich – oder vielleicht die Öffentlichkeit, für die dieser Brief aber zweifellos nicht bestimmt ist und die sich in Geduld wird üben müssen –, was ich von der Menschheit halte. Es ist schwer zu sagen, da natürlich noch Vieles erforscht, ausgewertet oder erst noch gefunden werden muss. Aber wenn ich unsere bisherigen Funde so betrachte, dann scheint man die Menschheit wohl nur bedauern zu können. Wie erwähnt war ihr das Privileg der interstellaren Raumfahrt und Forschung offenbar verwehrt, und ein traurigeres Schicksal für eine Zivilisation, die in mancherlei Hinsicht vielversprechend schien, lässt sich kaum denken. Dieses Bedauern ist zweifellos keines, dass darauf basiert, dass unglückliche Umstände oder die Zufälligkeiten des Lebens die Menschheit daran hinderten. Nein, wie so oft ist es Mitleid mit der Spezies selbst: Nach allem, was ich bisher gesehen habe, sind die Menschen durch eine Kurzsicht gekennzeichnet, die zumindest dazu führte, dass Teile ihres Planeten unbewohnbar wurden. Die so geschaffene Situation der Knappheit an Ressourcen und Lebensraum dürfte den Fokus auf langfristige Ziele nur weiter erschwert haben. Der Mars wurde besiedelt, aber vielleicht war das nur ein letztes Aufbäumen vor dem Tode? Vielleicht war das das letzte große Projekt der Menschen, die letzte gemeinsame Anstrengung, nach der sie, enttäuscht und desillusioniert, endgültig in die Barbarei verfielen?
Ob das wahr ist, weiß ich nicht. Wie oben erwähnt, es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass einige Menschen vielleicht doch überlebt haben, etwa im Kälteschlaf. Doch was wäre das für eine Existenz für eine ganze Spezies intelligenter Lebewesen? Wie bezeichnend wäre das doch eigentlich, wenn die letzte Option darin besteht, die Augen zuzumachen, den Verstand auszuschalten, und einfach darauf zu warten, dass die Dinge, von jeglichem eigenen Zutun befreit, von selbst besser werden? Wäre das nicht das Eingeständnis, dass man selbst sich nicht retten konnte und alles nur noch schlimmer machte?
Sollten wir Menschen finden, so hoffe ich inständig, dass diejenigen, die sich retten konnten, diejenigen sind, die von derartiger Kurzsicht befreit waren. Die eigentlich versuchten, ihre Welt zu retten, und am Ende leider nicht mehr tun konnten, als nur noch sich selbst zu retten, weil es für das andere zu spät war. Mit solchen Menschen, denke ich, könnte man gut arbeiten, wenn es sie denn noch gibt. So oder so denke ich aber, dass die Menschen keine Bedrohung für uns darstellen – entweder, weil sie tot oder aber noch irgendwo lebendig, dafür jedoch schwach und in ihrer Technologie weit zurück sind.
Wir sollten aber natürlich, das muss dazu erwähnt werden, nicht den Fehler machen, unsere Forschungsergebnisse zum Anlass zu nehmen, uns den Menschen überlegen zu fühlen. Nach allem, was wir gesehen haben, hatte diese Spezies das Potential zu Großem, und wäre vielleicht die Geschichte nur ein wenig anders verlaufen, hätten sich vielleicht zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Leute durchgesetzt – nun, wer weiß, ob wir dann nicht bereits in friedlichem Kontakt mit ihnen stehen würden, statt durch ihre Ruinen zu wandern?
Aber all das wird wohl Fiktion bleiben, und unsere Aufgabe ist es, die Realität zu untersuchen. Sobald wir die schwer gesicherten Anlagen aufgebrochen haben, werde ich dir wieder schreiben und dich über ihren Inhalt in Kenntnis setzen. Hoffentlich wissen wir dann mehr und können uns ein genaueres Bild über diese untergegangene Zivilisation machen.
Bis dahin verbleibt in gespannter Neugierde
Dein Bruder Daranelex
Nachtrag: Anbei sende ich dir außerdem eine Abschrift all dessen, was wir bisher als menschliche Sprache identifizieren konnten und was wir als Bedeutung hinter einigen Begriffen vermuten – wir konnten damit nur wenig anfangen, doch wenn es jemanden gibt, der diese tote Sprache wieder zum Leben erwecken kann, dann bist das du, mein lieber Bruder.
Hallo liebste Schwester,
Du wolltest ja, dass ich dir regelmäßig von unserem Schulausflug erzähle, also tu ich das jetzt mal.
Unser Ausflug zur Erde ist bisher echt total interessant. Die ganzen Details erzähle ich dir dann, wenn ich in zwei Zyklen wieder zuhause bin.
Wir haben gestern einen kurzen Abstecher auf den Mond dieses Planeten gemacht, das war wirklich cool. Die Menschen – also die Spezies, die noch bis vor ein paar tausend Jahren hier lebte – hatten schon sehr früh eine Möglichkeit gefunden, dorthin zu reisen. Man sieht dort immer noch die Abdrücke ihrer ersten Expedition, sowie ein komplett weißes Banner, das irgendjemand dort aufgestellt hat. Anscheinend hatte das aber ursprünglich ein Muster, das nur von der hiesigen Sonne ausgebleicht worden ist.
Ich habe vergessen, worum es sich bei diesem Muster genau gehandelt haben soll, aber ich glaube, es war das Zeichen für eine bestimmte Menschengruppe. Diese Wesen teilten sich ja die meiste Zeit selbst in verschiedene, örtlich begrenzte Gruppen auf. Was genau es ihnen brachte, können auch die besten Forscher der Menschengeschichte nicht sagen, so sagte unser Expeditionsführer, aber es führte anscheinend oft dazu, dass die Menschen sich gegenseitig dafür attackierten, dass sie zu einer anderen Gruppe gehörten. Ich finde es traurig, dass eine so weit fortgeschrittene Spezies ihresgleichen so sehr hasste. Morgen werden wir einen Ausflug zu einem der letzten Schauplätze ihrer gewaltsamen Auseinandersetzungen machen. Ich hoffe, ich muss dabei nicht zu sehr weinen.
Wo wir aber schon beim Hass auf ihresgleichen sind: Die Arten, wie die Menschen sich gegenseitig verletzt haben, waren teilweise schon wirklich perfide. Sie haben sogar versucht, sich gegenseitig zu vergiften – aber nicht schnell und effektiv, sondern schleichend langsam! Heute haben wir auf dem Kontinent, den sie „Europa“ nannten und der wohl trotz seiner geringen Größe zu den Einflussreichsten zählte, die Ruine einer solchen Giftfabrik besucht. „Brauerei“ nannten sie diese Orte und die produzierten Gifte – ethanolhaltige Flüssigkeiten, die verschiedene Organe der Menschen angriffen – nannten sie „Bier“. Die Menschen müssen sich wohl so sehr gehasst haben, dass sie sogar versucht haben, sich dieses „Bier“ als Nahrungsmittel zu verkaufen. Das musst du dir mal vorstellen! Sie verkauften Gifte an ihre eigenen Leute und verschwiegen offenbar sogar, dass diese gefährlich waren!
Es gibt auch eindeutige Aufzeichnungen darüber, dass die Menschen „Bier“ freiwillig konsumieren wollten, diese Masche hat also tatsächlich funktioniert. Anscheinend hat das Gift nicht direkt Schmerzen verursacht, sondern hatte vor allem irgendeinen seltsamen Effekt auf die Psyche, den ich nicht ganz nachvollziehen konnte (ich finde diese organischen Körper immer noch merkwürdig und kompliziert) und den sie für erstrebenswert hielten.
Übrigens war „Bier“ nicht das einzige Gift, das freiwillig konsumiert wurde. Allerdings ist es eindeutig belegt, dass ausgerechnet hier mitten in „Europa“, wo „Bier“ als Nahrungsmittel verkauft wurde, die meisten anderen Gifte lange Zeit vor dem Gesetz verboten waren – und die Menschen kämpften sogar darum, sie zu erlauben! Das ist so ein merkwürdiger Teil menschlicher Geschichte, den ich ohne Ende faszinierend fand, aber kein bisschen nachvollziehen konnte. Warum würde man sich selbst etwas Schlechtes antun? Waren die Menschen alle so schlecht informiert? Aber wenn sie mehr von dieser Art wollten, kann das doch wohl kaum der Grund gewesen sein.
Ach, liebste Schwester, ich hoffe, mein zielloses Gerede über irgendwelche Gifte hat dich nicht gelangweilt. Ich fand das nur so unglaublich faszinierend: Auf der einen Seite hatten die Menschen (wenn auch primitive) Raumfahrt, auf der anderen hatten sie „Bier“. Aber genug davon jetzt.
Ich wünsche dir noch einen schönen Tag. Wir sehen uns schon bald wieder, vermiss mich bitte nicht zu sehr!
Liebste Grüße,
dein Bruder
Hey…
Ich war auf Reise, als die Welt verendete. Du weißt schon, die Forschungsreise zur Marskolonie, von der ich dir quasi jeden Tag erzählt habe. Es war wirklich cool dort, dir hätte es gefallen.
Und dann kam die Nachricht von der Erde. Ein Notfall, Rückreise nicht gestattet. Aber ich konnte nicht, ich musste einfach zurück. Ich musste nachsehen, ob es meiner Familie gut geht, ob es den anderen gut geht. Ob es dir gut geht. Und jetzt…
Sitze ich vor deinem Grab…
Ich habe es selbst ausgehoben, weißt du? Als ich hier ankam
und sah was passierte… Was ich vorher per Funk im Shuttle gehört habe und nicht
glauben wollte… Wie alles einfach tot
weg war…
Ich bin fast bruchgelandet, weißt du? Du würdest jetzt lachen, sagen dass das typisch Ich ist und mich in den Arm nehmen und sagen, dass ich das nie wieder tun soll. Dass ich nicht so impulsiv handeln und einfach ein Shuttle klauen und zur Erde fliegen soll, ohne überhaupt zu wissen wie das geht. Ein Wunder, dass ich es überhaupt zurück geschafft habe…
Weißt du noch, was Tom immer sagte? Wenn man etwas nur genug will, dann wird es auch so passieren. Und ich wollte zurück. Ich wollte euch holen. Was auch immer dieser Notfall war, es müsste doch genug Zeit geben, um euch in Sicherheit zu bringen. Ich wollte wieder bei dir sein.
Stell dir nur vor wie es wäre, wenn es geklappt hätte. Wir haben immer davon geredet einfach mal durchzubrennen. Und einfach mal ins All durchbrennen, das wäre doch genau unser Abenteuer gewesen. Aber jetzt…
Tom hatte Unrecht.
Ich habe ihm auch ein Grab geschaufelt, weißt du? Aber es ist leer, so wie deins. Ich werde euch nicht finden können. Du kennst doch meinen Orientierungssinn, ich bin irgendwo in Kanada gelandet. Typisch ich halt. Aber du wolltest ja eh immer mal hierherkommen. Jetzt steht hier immerhin dein Name in einem kaputten Holzbrett. Tut mir leid, dass ich nicht mehr tun kann.
Ich bin hier jetzt seit 3 Wochen. Natürlich kam niemand mir hinterher in meine Selbstmordmission. Ich habe seit 4 Tagen nichts gutes mehr zu Essen. Die Vorräte sind verschimmelt. Es funktioniert nichts mehr, womit ich kochen könnte. Die Flaschen mit Trinken werden langsam leer und das nicht abgepackte Wasser leuchtet im Dunkeln…
Ich kann es immer noch nicht fassen. Jeden einzelnen Tag sitze ich hier und starre auf die Buchstaben. Du bist weg. Jeder ist weg. Es ist einfach niemand mehr da. Und doch höre ich noch immer deine Stimme, sehe dich wenn ich die Augen schließe und habe das Gefühl, deine Wärme und Umarmungen zu spüren.
Vielleicht werde ich ja wirklich verrückt. Wir haben früher so oft darüber gelacht, weißt du noch? Wir haben Witze darüber gemacht, dass wir eines Tages einfach verrückt werden und dann alles einfacher wird. Dass wir ja Verbrechen begehen könnten und dann auf unzurechnungsfähig plädieren… Jetzt gibt es kein Gericht mehr, vor dem ich plädieren könnte. Jetzt gibt es nichts mehr.
Ach fuck, schon wieder dieser ekelhafte Husten. Jetzt blute ich den ganzen Brief an dich voll. Ich schätze, lange bleibt mir auch nicht mehr.
Vielleicht hatte Tom ja doch recht. Wenn man etwas wirklich will, dann passiert es. Vielleicht nur nicht so, wie man es sich vorgestellt hat…