Fanwork-Wichteln 2019: Geschenke-Topic

Nebulak ist traurig, es gehört nicht in die Famile der Traunmagil und Traunfugil. Diese Familie bereitet gerade das Fest vor. Das jüngste Traunfugil sieht das Nebulak. Traunfugil macht der Anblick Nebulaks so traurig, dass es mit Mutter Traunmagil redet. Diese gibt ihm ein Geschenk für Nebulak. Damit geht es zu Nebulak. Dieses ist verwirrt über das Auftauchen des jüngsten Traunfugil. Traunfugil zeigt Nebulak das Geschenk. Darüber freut sich Nebulak so sehr, dass es sich weiter entwickelt.

Schlussendlich feiert die Familie zusammen mit Alpollo Weihnachten.

"Hey, Michelle?", fragte Mia und steckte ihren Kopf aus dem Stroh. Das Mähikel drehte sich um und trottete ihr herüber.
"Du sollst doch warten, bis ich dich gefunden habe. Was ist denn sonst der Sinn am Versteckspielen?"
"Aber das ist sooo langweilig, wenn du immer an den falschen Stellen suchst. Außerdem hättest du mich sicher nie in den Heuballen gefunden", sagte sie und sprang heraus. Ein paar der vertrockneten Halme hatten sich in ihrem Stroh verfangen und kaum hatte sie ihre Pfoten auf die Erde gesetzt, setzte sie sich hin und leckte mit ihrer Zunge über das Fell, um den Schmutz herauszuputzen.
Michelle fand das total sinnlos, sich zu putzen, wenn man den ganzen Tag draußen oder in einem Stall verbrachte, der noch nie richtig geputzt worden war. Nun, sie fand ihn sauber genug, aber laut Mia war es kein Vergleich zu den Häusern, in denen die Menschen lebten. Da konnte man sogar vom Boden essen, sagte sie immer, während sie das Essen, das man ihr hier hinstellte, nur aus einem Napf nahm. Für Michelle war das alles Anstellerei. Sie selbst hatte kein Problem damit, das Heu auf dem Boden des Stalls zu fressen oder die Grasbüschel auf dem Feld, selbst wenn daran noch Erde hing.
"Was wünscht du dir eigentlich zu Weihnachten?", fragte Mia unvermittelt und schaute ihre Freundin erwartungsvoll an.
Diese lachte verlegen auf. "Ich habe schon ganz vergessen, dass es schon wieder Zeit für soetwas ist."
Mia verdrehte die Augen. "Das geht doch nicht. Das ist der Tag, auf den man sich das ganze Jahr am meisten freut! Sogar die Menschen machen einen riesigen Hehl darum. Die sind schon die ganze Zeit dabei, ihre Häuser zu schmücken und alles sauber zu machen. Du solltest mal die Bäuerin sehen. Die steht den ganzen Tag in der Küche und bereitet alles vor."
"Oh, ich kann es kaum noch erwarten", antwortete Michelle seufzend. "Dann gibt es immer was ganz Leckeres, so wie Heu mit getrockneten Kräutern. Das könnte ich jeden Tag essen."
Normalerweise meckerte Mia immer, wenn ihre Freundin - ihrer Meinung nach - zu viel vom Essen redete, aber diesmal schien ihr das gar nicht aufzufallen. "Ich kann den Thunfisch schon jetzt auf meiner Zunge schmecken.", schwärmte sie und Michelle meinte, sogar ein bisschen Sabber an ihrem Mundwinkel zu sehen.
"Bähähä, Thunfisch", blökte das Mähikel nur. Einmal hatte Mia ihr etwas von ihrer Leckerei abgegeben, doch Michelle hätte es fast wieder ausgespuckt. Es war so salzig wie der Stein draußen, an dem sie manchmal leckte, und schmeckte so bitter, dass sie es hatte ausspucken wollen. Vielleicht hätte sie das tun sollen, denn sie hatte die ganze Nacht Bauchschmerzen gehabt.
"Selber bäh. Dein Heu schmeckt wie Gras", entgegnete sie.
Michelle lachte. "Das ist ja auch das Gleiche. Nur trocken."
Mia schaute das Heu an, als würde es sie aufs Korn nehmen wollen. "Das glaube ich dir nicht! Grad ist doch grün und weich, wenn man sich reinlegt. Manchmal ist es nass vom Tau oder warm von der Sonne, aber… doch nicht das hier. Das ist hart und piekst, wenn man sich reinlegt."
Michelle blökte kurz auf, amüsiert über ihre Freundin. "Sagt die, sie sich eben noch da reingezwängt hat."
Mia schmollte. "Manchmal ist es eben notwendig, dass man so etwas in Kauf nimmt, wenn es der Moment erfordert." Sie seufzte. "Warum kann es nicht genauso gemütlich sein wie das Körbchen, in dem ich zur Welt gekommen bin? Wenn ich wieder so eines habe, würde ich nie wieder aufstehen." Mia hatte bereits davon erzählt, wie sie mit ihrer Mutter und ihren Geschwistern Seite an Seite geschlafen hatte. Sie konnte sich nicht mehr an ihre Namen erinnern oder warum man sie weggeben hatte, aber danach hatte sie bei einer anderen Familie gelebt, die nur aus Menschen bestanden hatte. Damals war ihr Territorium klein gewesen, nur ein paar beengte Räume, aber mit vielen Möglichkeiten zum Herumtollen und verstecken. Nur waren die Sachen nicht so stabil wie im Wald und wenn mal wieder etwas auf dem Boden aufgeschlagen war, hatte sie die Beine in die Hand nehmen müssen, um ihrer wütenden Zweibeinerin zu entkommen. Vielleicht war sie deshalb irgendwann in dem Wald neben dem Bauernhof aufgewacht, ohne eine Ahnung, wo ihre zweite Familie war und wie sie zurückkommen sollte. Seitdem hatte Mia das umliegende Gebiet als ihr neues Zuhause erklärt und ernährte sich von den zahlreichen Rattfratz, die durch die Gemäuer der Bauernhöfe streunten, oder den Belohnungen, die die Menschen ihr für ihre Jagddienste hinstellten. Wenn sie es rechtzeitig zum Melken in den Stall schaffte, bekam sie sogar ein Schälchen frische Mähikel-Milch.
Michelle lachte. "Dann habe ich ja Glück gehabt. Mit wem würde ich denn sonst verstecken spielen?", fragte sie lachend. Die anderen Tiere auf dem Hof waren alle zu groß und egal wie sehr sie sich bemühten, das Spiel war schon nach ein paar Minuten vorbei. Bei dem Flamiau vor ihr war es allerdings eine echte Herausforderung, ihren schmächtigen Körper zu entdecken, während sie sich an Orte quetschen konnte, die Michelle nicht einmal für möglich gehalten hätte.
Mia riss ihren Mund auf. "Na toll. Jetzt hab ich so viel darüber nachgedacht, dass ich ganz müde bin."
Das Mähikel blickte nach draußen. "Kein Wunder, es wird ja auch schon dunkel", sagte sie und steckte ihren Kopf aus der Stalltür. Diese war im Winter nur angelehnt und wenn eines der Pokémon wollte, konnte es einfach wieder zurück in den Stall gehen, um der Kälte zu entfliehen. Die meisten warfen ihr vor, eine Frostbeule zu sein, aber Michelle sah es nicht ein, draußen in der Kälte zu frieren, wenn sie auch im gemütlichen Stall mit ihrer Freundin spielen konnte. Und die fand die Temperaturen draußen noch tausendmal schlimmer. Allein schon ein Lufthauch reichte, damit sich ihr Fell sträubte.
"Ich will da nicht raus", sagte sie und schien drauf und dran zu sein, nach draußen zu fauchen, wenn es etwas bringen würde.
Michelle kicherte. "Du kannst sicher hier schlafen, wenn du magst."
Mia schien das keineswegs zu überraschen, genauso wie jedes andere Pokémon, das in diesem Stall schlief, nicht mehr als einen müden Blick zu der Ecke warf, in der Michelle schlief. In den Wintertagen war es schon eher verwunderlich, wenn Mia sich nicht an ihre Freundin schmiegte. "Da sage ich nicht nein", sagte sie und gähnte noch einmal herzhaft, bevor sie zu der Ecke trottete und sich im Stroh zusammen rollte.
Michelle legte sich neben ihr auf die Seite und schloss die Augen. Es brauchte ein bisschen, bis sie eine Position gefunden hatte, in der sie mehr auf dem Stroh lag als auf dem Boden, doch schon bald merkte sie nichts anderes mehr als das ruhige Gefühl des Schlafes.

Als Michelle die Augen öffnete, lag sie nicht mehr im Stall. Der Raum war viel zu hell, so sehr, dass es sie blendete. Das war nicht das Licht der Sonne, sondern kam von den komischen Apparaten, mit denen die Menschen die Nächte taghell erleuchten konnten. Um sie herum standen so viele Sachen, dass sie sich gar nicht orientieren konnte. Sie hatte sogar Angst, aufzustehen, weil sie Gefahr drohte, irgendwo gegen zu laufen und etwas umzureißen. Dabei wollte sie auch gar nicht aufstehen. Sie lag so bequem, wie sie es noch auf keiner Wiese getan hatte, und die Luft um sie herum war so warm, dass ihre Gliedmaßen müde wurden. Sie wollte die Augen schließen und den Moment einfach nur genießen.
Plötzlich berührte sie jemand am Rücken und strich darüber. Michelle fragte sich, was das sollte. Sonst machte der Bauer das nur, wenn er sie zur Seite schob, und das ließ sie nur über sich ergehen. Jetzt gefiel es ihr aber so gut, dass sie ihren Kopf gegen die Hand drückte und sich ein zufriedenes Schnurren in ihr ausbreitete.
Michelle runzelte die Stirn. Sie schnurrte doch gar nicht. Das machte doch nur Mia. Verwirrt blinzelte sie und als sie die vertrauten Backsteinwände sah, wurde ihr bewusst, dass all dies nur ein Traum gewesen war. Immer noch benebelt von dem, was sie erlebt hatte, hob sie ihren Kopf und sah sich um. Neben ihr knurrte Mia im Schlaf und drehte sich auf die andere Seite. Nur langsam dämmerte es Michelle, was passiert sein musste. Hatte Mia im Schlaf ihr Horn berührt? Mähikel hatten die Gabe, die Wünsche anderer Lebewesen zu spüren, wenn diese mit ihrem Horn in Kontakt kamen. Ihre Mutter hatte ihr das erzählt, aber Michelle selbst hatte soetwas noch nie erlebt. Immerhin musste der andere in diesem Moment der Berührung auch an das denken, was sie wollten. Sie blickte zu Mia. So zufrieden, wie das Flamiau aussah, gab es keinen Zweifel, was ihr gerade durch den Kopf ging.
Nachdenklich blickte Michelle sie an. Jetzt, wo sie wusste, wovon Mia da gesprochen hatte, verstand sie, warum ihre beste Freundin sich das so sehr wünschte. Stumm nickte sie zu sich selbst. Es war an der Zeit, ein kleines Weihnachtswunder geschehen zu lassen!

Michelle konnte den nächsten Morgen kaum noch erwarten. Sie war viel zu nervös gewesen, um wieder einzuschlafen und als die Stalltür aufging, war sie eine der ersten ihrer Herde, die auf die Weide liefen. Ein kalter Wind empfing sie und einen Moment lang blieb sie fröstelnd stehen, obwohl es, verglichen mit den letzten Tagen, recht mild war. Perfektes Wetter also.
"Komm, Mia, wir müssen uns beeilen."
Das Flamiau zog die Stirn kraus. "Beeilen? Warum das denn? Hast du heute noch irgendetwas vor?"
"Und ob", antwortete das Ziegenpokémon und sprang so schnell zum anderen Ende der Weide, dass Mia mit ihren kurzen Beinen kaum folgen konnte.
"Was hast du vor?", fragte diese, als sie neben ihr zum Stehen kam. Der kurze Sprint war anstrengend genug gewesen, dass ihr Atem eine kleine Wolke vor ihrem Gesicht bildete.
"Was was wohl? Wir verschaffen dir dein Weihnachtswunder."
Mia schaute sie mit großen Augen an. Dann schüttelte sie ihr kleines Köpfchen. "Hör mal das war doch nur so dahergesagt. So etwas wie ein Weihnachtswunder gibt es doch gar nicht. Das erzählt man sich nur als Geschichte."
Michelle schüttelte den Kopf. "Das glaube ich nicht. Wir finden schon eine Familie für dich."
Mia blieb wie angewurzelt stehen. "Du willst was?" Ihre Augen funkelten, als sie verstand, worauf der Plan hinauslief. Dann schüttelte sie hektisch den Kopf, um das zu vertreiben und schaute ihre Freundin wieder ganz bei Sinnen an. "Na hör mal, das war doch nur so dahergesagt, dass ich wieder ein Zuhause hätte. Natürlich würde ich mir das wünschen, aber … das schaffen wir doch niemals."
"Wart's ab, ich zeig's dir", sagte Michelle nur und trottete zu dem Teil des Zauns, an dem man das unterste Brett nach oben schieben konnte. Bald würde sie nicht mehr hindurch passen und erst recht nicht, wenn sie sich entwickeln würde, aber bis dahin war es der perfekte Weg von der Weide und hin zu einem Abenteuer. Zum Glück lag diese Stelle am Hang und wenn man schnell genug war, bekam der Bauer gar nicht mit, das ein Tier seiner Herde aus Abwege gelangt war.
Mia war bereits hindurch geschlüpft und hatte dafür nicht mehr tun müssen, als ihren Kopf zu senken. Sie schaute ihrer Freundin dabei zu, wie den Balken mit ihren kurzen Hörnern hochdrückte, und sich dann darunter durch zwängte. "Und ich dachte immer, das wäre dir zu gefährlich da draußen."
"Ach was. Du streifst doch andauernd umher und dir ist noch nichts passiert." Natürlich hatte Mia ihr schon diverse Geschichten von ihren Abenteuern erzählt, aber sie hatten so aufregend geklungen, dass Michelle gar nicht glauben konnte, dass sie wahr waren. Wann immer sie zum Wald schaute, lag er so ruhig da, dass sie sich nicht mal vorstellen konnte, dass da etwas los sein könnte.
"Ich bin ja auch flink und clever - clever genug, um zu sagen, dass das eine ganz dumme Idee ist."
"Jetzt hab dich doch nicht so. Ich war schon so lange nicht mehr mit dir spazieren." Bisher waren sie immer nur ein paar Meter weitergegangen und Michelle hatte nie ihre Herde aus dem Blick verloren. Ihr Ziel waren der klare Bach und die frischen Gräser am Waldrand gewesen. Der Gedanke, jetzt zwischen den Bäumen hindurchzulaufen, gab ihr mit einem Mal ein ganz mulmiges Gefühl. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr, sagte sie sich und setzte ihre ersten Schritte ins Unterholz.

Zusammen liefen sie durch den Wald. Die Sonne reichte kaum durch das dichte Blattwerk und so war noch immer eine dünne Schicht Schnee auf dem Boden, die unter ihnen knirschte. Michelle machte dies nichts aus, dank ihrer Hufe spürte sie den Boden kaum. Mia beschwerte sich immer mal wieder, dass ihr das Wetter zuwider war, aber noch lieber erzählte sie von all den Dingen, die sie im Wald erlebt hatte.
Nach einiger Zeit roch Michelle plötzlich Wasser und merkte, wie durstig sie plötzlich wurde. Ein paar Schritte weiter entdeckte sie eine riesige Masse an Wasser, der sich so weit erstreckte, dass sie sein Ende kaum noch sehen konnte. "Wow", sagte sie, als sie am Rand stand und in die klare Flüssigkeit blickte. Vor sich ging das Ufer steil nach unten. Durch den Bach konnte sie problemlos laufen und im Sommer war es eine tolle Abkühlung, aber hier würde sie sicher nicht mit ihrem Kopf über Wasser stehen können.
"Hast du noch nie von einem See gehört?", fragte Mia, die sich bereits am Ufer niedergelassen hatte und das Wasser trank.
"Doch, natürlich", antwortete Michelle, die sich noch gut daran erinnern konnte, wie ihre Freundin ihr von dieser unendlichen Wassermasse erzählt hatte. "Ich hatte nur nie gedacht, dass sie so groß wäre."
Mia schnurrte. "Die Welt ist eben etwas größer als deine Weide", antwortete sie grinsend, stolz darauf, wie viel sie von der Welt wusste.
Plötzlich hoben sich die Wassermassen und spritzten über den Rand. Mia fauchte auf und sprang überrascht zurück zu ihrer Freundin. Sie versteckte sich unter deren Bauch, wohl wissend, dass dem Mähikel Wasser gar nichts ausmachte, ihr als Feuerpokémon aber schon. Sie war mal in einen Eimer gefallen und hatte das Gefühl gehabt, zu sterben. Selbst als ihr Fell schon lange von der Sonne getrocknet worden war, hatte sie noch ganz ermattet im Gras gelegen und erst nach einer Nacht voll Schlaf wieder ihre Energie zurückerlangt.
Beide sahen ehrfürchtig dabei zu, wie die Wassermassen zurück in den See flossen und das enthüllte, was unter ihnen lag.
Das Wesen hatte Flügel wie eine Taube, die an seinem Körper herunter hingen. Allerdings glaubten die beiden nicht, dass es fliegen konnte, weil es größer war als die Scheunentür. Auf seinen Kopf trug es eine Art Krone und blickte so einschüchternd herab, dass es die beiden fröstelte.
Beide hatten vor Überraschung kurz aufgeschrien. Michelle fand als erste ihre Sprache wieder. "Tut mir leid, wenn wir Sie gestört haben. Wir wollten nur etwas trinken", sagte sie und beugte ihren Kopf, sodass Mia nicht mehr an ihren Beinen vorbeischauen konnte. Obwohl sie sich dort geschützt fühlte, tapste sie heraus und schaute neuguerig zu dem Fremden hoch.
Dieser schaute sie abschätzig an. "Und deshalb kommt ihr bis zu meinem See gelaufen?", fragte es mit tiefer Stimme.
"Wir wussten nicht, dass er Ihnen gehört", sagte sie schnell. "Am besten, wir gehen sofort wieder." Mia nickte ihrer Freundin zu und drehte sich weg.
"Warte!", hörten sie plötzlich von hinten und drehten sich überrascht um. Das Pokémon schien genauso überrascht, dass sie tatsächlich auf ihn gehört hatten. Dann räusperte es sich und fügte hinzu: "Also jetzt, wo ihr schon mal hier seid, könnt ihr mir doch auch erzählen, warum ihr unterwegs seid. Du siehst nicht so aus, als würdest du oft hier sein", sagte er zu Michelle.
Diese grinste. "Wir suchen ein Zuhause für meine Freundin", sagte sie prompt.
Das fremde Pokémon nickte langsam. “Verstehe. Ich habe auch einst mein Zuhause verloren, vor langer, langer Zeit.”
Michelle nickte. “Wir müssen jetzt aber wirklich los. Es ist ja schon bald Weihnachten und da muss Mia ihre neue Familie gefunden haben.” Nachdenklich schaute sie, in welche Richtung sie jetzt gehen sollten.
Das Pinguin-Pokémon schaute sie mit großen Augen an. “Wartet, so geht das aber nicht.”
Die beiden freunde schauten verwirrt zurück. “Was geht so nicht?”
Er verzog das Gesicht. Scheinbar war es ihm ebenso unangenehm, die ganze Sache zu erklären, wie die Vorstellung, sie einfach so ziehen zu lassen. Also räusperte er sich und erklärte: “Naja, ich bin ganz offensichtlich im Inbegriff, euch meine Lebensgeschichte zu erzählen, und da gehört es sich, zuzuhören.”
Mia seufzte. “Aber wir haben keine Zeit dafür”, murrte sie verhalten, was von Michelles “Oh ja, eine Geschichte”, übertönt wurde, bevor sie sich vor das große Pokémon stellte und erwartungsvoll zu ihm aufsah. Mia schüttelte den Kopf, trottete zu ihrer Freundin und setzte sich neben sie auf den Boden, der auf dieser Lichtung zum Glück nicht mehr von Schnee bedeckt war.
“Also, wo fange ich an”, sagte der Fremde und machte eine effektvolle Pause. “Ah, genau. Eine meiner frühesten Erinnerungen ist, als ich damals von meinem zukünftigen Trainer erwählt wurde, ihm bei seiner Reise durch die Region zur Seite zu stehen. Ihr könnt euch garnicht vorstellen, was für eine Ehre es für ein junges Plinfa wie mich gewesen ist. Er gab mir den liebevollen Namen ‘Pieps’.” Die beiden konnten sich ein Kichern kaum verkneifen, doch Pieps schien zu sehr in seiner eigenen Lebensgeschichte zu stecken, dass er diese Reaktion gar nicht wahrnahm. “Seitdem haben wir zahlreiche Abenteuer erlebt und mehrere Arenaleiter geschlagen. Es waren ein paar harte Kämpfe, aber mein Trainer konnte immer auf mich zählen. Wir sind zusammen durch dick und dünn gegangen, über Berge und durch Täler, Wald und Wiesen…”
Mia schloss kurz die Augen, als sich Pieps zu sehr im Detail verlor. Vielleicht war sie sogar eingeschlafen, denn als sie der Geschichte wieder folgte, waren sie bereits am Ende angekommen.
“... Und nach vielen Jahren ist mein Trainer beim Holz holen von einem lockeren Baumstamm erschlagen worden. Also merkt euch, dass ihr beim Spaziergang im Wald keine Weihnachtslieder pfeift, sondern stets nach jedem Geräusch lauscht!” Die beiden nickten folgsam und Pieps tat es ihnen gleich, sichtlich stolz auf sich, dass es mit seinem erzieherischen Ratschlag die Welt für die Jugend ein kleines Stück sicherer gemacht hatte. “So hatten wir niemanden mehr, der sich um uns kümmerte, und mussten getrennte Wege gehen. Ein paar von uns wurden von anderen Trainern adoptiert, um an ihrer Seite zu kämpfen oder ihren Lebensabend ruhig ausklingen lassen zu dürfen. Ich wusste schon früh, dass dies nichts für mich sein würde. Deshalb habe ich mich in den Wald zurückgezogen und bin der Herr über diesen Teich geworden.” Er stemmte die Hände auf die Hüften, streckte die Brust raus und schaute in den Himmel, als wäre Pieps der größte Eroberer, der je gelebt hatte.
Michelle sah angemessen beeindruckt aus, doch Mia fiel es schwer, das gleiche zu empfinden. Für sie sah es eher so aus, als hätte das alte Pokémon sich einfach an diesem Ort niedergelassen und alles verdrängt, was sich mit ihm anlegen wollte. Dabei sah es eigentlich nicht so aus, als wäre es von Natur aus besonders kampfeslustig. Ob das Leben bei einem Trainer einen dazu werden ließ?
Nachdenklich blickte sie auf die Wasseroberfläche, die sich nach dem plötzlichen Erscheinen des Pinguins wieder normalisiert hatte und den blauen Himmel über ihnen zeigte. Obwohl sein Leben aus so vielen Kämpfen bestanden hatte, war das Pokémon sichtlich stolz auf seinen Trainer. Ob Mias Leben auch so verlaufen wäre, wenn man sie behalten hätte? Ob sie jetzt an der Seite eines der Menschenkinder ihrer vorherigen Familie stehen würde, um mit ihm gegen ein Pokémon von jemand anderem zu kämpfen? Es war schwer, sich solch ein Leben vorzustellen, vor allem, weil sie die letzten Jahre in der Nähe der Farm verbracht hatte, wo man jedem Konflikt aus dem Weg rennen konnte, wenn man wollte.
Michelle legte den Kopf schief. “Sind Sie nicht einsam, so ganz ohne Ihre Freunde?”
Pieps schüttelte den Kopf. “Aber nicht doch. Ihr mögt es zwar nicht sehen, aber in diesem See leben ganz viele andere Wesen, die meine Freunde sind. Hier wird es niemals langweilig - vor allem nicht, wenn mich mal jemand besuchen kommt.”
Irgendwie zweifelte Mia daran, dass die Welt so heile war, wie er meinte. Eher vermutete sie, dass ein paar der Fische auf mysteriöse Weise verschwunden waren, weil sie ihm ebenso gut schmeckten wie ihr. “Ich glaube, wir müssen jetzt wirklich weiter. Aber danke, dass Sie uns Ihre Geschichte erzählt haben”, sagte Mia und stand auf. Sie verabschiedeten sich von Pieps, mit dem Versprechen, mal wieder vorbeizuschauen, und gingen wieder ihres Weges.

Mia gähnte herzhaft. Sie hatten die herannahende Dunkelheit auf die Nadeln der Tannenbäume geschoben, die nun überall um sie herum wuchsen, aber mittlerweile konnte man nicht mehr leugnen, dass die Nacht hereingebrochen war. Stück für Stück wurde die Welt um sie herum in eine weitere Stufe Schwarz getaucht, die nicht einmal der letzte Rotschimmer über den Bäumen auffangen konnte. “Meine Beine werden müde”, maulte das Flamiau weiter und wenn der Waldboden nicht so unbequem wäre, hätte es sich vermutlich gleich zum Schlafen hingelegt.
Auch Michelle merkte die Müdigkeit in ihren Knochen. Sie hatte unter der Schneedecke noch reichlich Gras zu essen gefunden und Durst hatte sie auch keinen, aber sie merkte, wie ihr Körper ihr sagen wollte, dass es für heute genug Bewegung war. Wenn man das Leben auf der Weide gewohnt war, war so ein Waldspaziergang immerhin so viel Bewegung wie eine ganze Woche. “Wie weit haben wir denn noch bis nach Hause?”
Mia schaute über ihre Schulter, zurück zu ihrer Freundin, und runzelte die Stirn. “Wieso fragst du mich das? Ich dachte, du kennst den Weg, weil du so zielstrebig läufst.”
“Nein, natürlich nicht. Du bist doch diejenige, die im Wald herumstreift. Woher soll ich das denn wissen?” Beide waren stehengeblieben und schauten sich mit immer größer werdenden Augen an.
“Wald ist aber nicht gleich Wald”, antwortete Mia, während die Unruhe in ihr immer mehr wurde. “Du kannst doch nicht ernsthaft von mir erwarten, dass ich dieses riesige Gebiet kenne wie meine Westentasche.” Es war geradezu ein Reflex, zu erklären, dass sie an dieser Lage keine Schuld hatte, auch wenn es die ganze Sache nur noch schlimmer machte.
Michelle fühlte die Schweißtropfen ihren Nacken herunterrinnen. “Heißt das, wir sind verloren? Dann werden wir ja nie wieder den Hof sehen oder meine Familie. WIr werden hier einsam und allein sterben”, rief sie in die Stille des Waldes hinein und die ersten Tränen kullerten von ihrer Wange.
“Jetzt reiß dich aber mal zusammen!”, rief Mia, wenn auch nur, weil sie sonst nicht klar denken konnte und auch bereits drohte, in diese Hilflosigkeit zu verfallen. “Uns wird schon etwas einfallen. Wir sind schon so weit gekommen, da schaffen wir den Rest des Weges auch noch.”
Michelle schniefte. “Ist gut”, antwortete sie, auch wenn Mia sich nicht erklären konnte, was genau an dieser Situation ‘gut’ sein sollte. Sie schauten sich um, doch außer einem dichten Tannenwald konnten sie nichts entdecken, das ihnen einen Anhaltspunkt geben konnte, was sie jetzt tun sollten.
“Es hilft alles nichts”, sagte Mia seufzend und setzte ihre Beine in Bewegung, bevor sie wegen der Kälte festfrieren würden. “Komm, wir gehen weiter.”
“Aber wohin?”, fragte Michelle und zog die Nase hoch.
Mia zuckte mit den Schultern, zögerte aber nicht, als sie weiter durch den Wald trottete. “Das sehen wir dann. Wenn wir immer weiter geradeaus laufen, kommen wir sicherlich irgendwo an.”
Ihre Freundin nickte. “Da hast du recht”, antwortete sie, schloss zu dem Flamiau auf und lief an ihrer Seite weiter über den harten, unberührten Winterboden.
Plötzlich hörten sie ein Schleifen, als würd ein Voltilamm sein Fell an einer Mauer reiben. Beide bekamen große Augen und schauten sich ängstlich um. Außer dem vielen Bäumen gab es keine gute Möglichkeit, sich zu verstecken, und selbst die dicksten Stämme würden Michelle nicht ganz verbergen. Ein Blick in die Richtung des Geräusches sagte ihnen, dass das unbekannte Objekt immer näher kam, und das mit einer beachtlichen Geschwindigkeit. Selbst wenn sie nicht vollkommen erschöpft wären, waren die beiden nicht sicher, ob sie davonlaufen könnten. Also blieb ihnen wohl oder übel nichts anderes übrig, als stehen zu bleiben und zu warten, was dort auf sie zukam.
Als es nah genug war, konnten sie zwischen den Bäumen hindurch ein vierbeiniges Pokémon erkennen, so ähnlich wie die, auf denen die Menschen auf dem Hof manchmal ritten, und ein wenig kleiner. Hinter sich schleifte es etwas her, das in etwa so hoch und breit wie es selbst war. Es sah aus wie eine große Badewanne, nur aus Holz und in Rot.
Neugierig schauten sie dabei zu, wie das brauen, pferdeartige Pokémon sie entdeckte und auf sie zuhielt.
“Na was macht ihr denn hier so ganz allein?”, fragte es, als es kurz vor ihnen Halt machte. Aus der Nähe konnte man das komische Gefährt als Schlitten erkennen. Wie auf Kommando lugte auf einmal ein kleiner, schwarz-roter Fuchs heraus.
“Nanu? Ihr seht aber nicht so aus, als würdet ihr hier wohnen. Habt ihr euch etwa verlaufen?”
Beide lächelten verlegen. “So könnte man es sagen.”
Der Fuchs seufzte. “Und dabei wohnen wir hier extra so weit außerhalb, dass man uns eigentlich nicht auf die Schliche kommen soll.”
“Ach komm, jetzt hab dich doch nicht so, Zora. Den beiden können wir doch vertrauen. Außerdem sind sie schon so weit gekommen, da kann man sie doch ruhig für das kleine Abenteuer belohnen. Also kommt, springt rein”, sagte es und nickte zu seinem Schlitten.
Die beiden Freundinnen machten große Augen. “Wir dürfen da mitfahren?”, fragte sie und lief so neugierig wie skeptisch um das große Gefährt herum.
Zora grinste. “Ich wäre an eurer Stelle auch ein wenig vorsichtig - vor allem, wenn man bedenkt, wie du fährst, Liam.”
Liam schnaubte. “Na hör mal, ich muss mich eben beeilen. Weißt du, wie viel wir auszuliefern haben? Das schaffen wir doch gar nicht, wenn ich mich nicht beeile.”
“Aber das heißt nicht, dass du so fahren sollst, als würdest du jeden Baum mitnehmen wollen.”
Das Pferd schnaubte. “Da kann ich doch nichts dafür, dass die so dicht nebeneinander stehen. Dabei sollte man meinen, dass es gar keine Tannenbäume mehr gibt, wenn man bedenkt, wie viele die Menschen in ihren Häusern haben.”
Bei den Worten wurde Mia hellhörig. Sobald es Winter wurde und der erste Schnee fiel, fingen die Menschen damit an, die grünen Bäume zu fällen und in ihren Wohnungen aufzustellen. Dort wurden diese mit so vielen funkelnden Dingen behangen, dass Mia sich kaum daran sattsehen konnte. “Ihr wart bei den Menschen? Kommt ihr etwa aus dem Dorf?”
Pampuli nickte. “Ja, wir sind gerade mit unserer Lieferung fertig geworden. Jetzt noch die paar Bauernhöfe in der Umgebung und dann sind wir fertig für heute.”
So schnell konnte man gar nicht schauen, wie Michelle an der Tür des Schlittens stand. “Da ist bestimmt auch unserer dabei. Bitte, nehmt und mit.”
“Ja, wir wollen schon gerne nach Hause”, sagte Mia verhalten, obwohl sie drauf und dran war, einfach aus dem Stand über die Wand zu springen.
Michelle schaute zu Liam. “Aber bist du sicher, dass du uns alle ziehen kannst?”
Das Pokémon wieherte laut auf. “Ich habe schon viel schwerere Dinge getragen als euch. Der Schlitten war voll, als wir hier los sind.”
“Und das mussten wir aaalles ausliefern”, sagte Zora langgezogen und streckte sich, bevor sie mit den Vorderpfoten die Tür an der Seite aufstieß, um die beiden hereinzulassen. “Manchmal frage ich mich wirklich, ob ich nicht schon zu alt für diese Arbeit wäre. Und jedes Jahr werden es mehr Geschenke.”
“Du bist gerade mal 3 Jahre alt”, antwortete Liam über seine Schulter, als er sich nach hinten drehte und mit seiner Schnauze die Tür wieder schloss. “Und du machst das genauso lange wie ich, nebenbei bemerkt.”
“Ja, aber ich bin kleiner, das heißt, dass ich mich viel mehr bewegen muss im Vergleich zu dir, um gleich weit zu kommen. Das heißt, dass es doppelt so anstrengend für mich ist.”
“Hallo? Ich bin hier derjenige, der den schweren Schlitten zieht.”
“Dafür seid ihr Pampuli ja auch gezüchtet worden, also liegt das Lasten ziehen in eurer Natur. Ich hingegen muss mich echt anstrengen, wenn ich mich in einen Menschen verwandel, um nicht aufzufallen.”
Michelle legte den Kopf schief. “Und wieso macht ihr das?”, fragte sie.
Zora grinste stolt. “Natürlich, um das Weihnachtsfest zu retten.” Als sie zwei verwirrte Blicke erntete, fuhr sie fort: “Wir bringen immerhin die Geschenke ins Dorf und liefern sie bei den Menschen ab.”
“Echt? Sowas macht ihr?”
Sie nickten. “Aber natürlich”, erklärte Liam. “Hier bekommt jeder genau das, was er sich wünscht. Früher haben wir das gemacht, als alle schliefen, aber mittlerweile sind hier so viele Menschen hingezogen, dass wir es kaum noch schaffen. Unser alter Herr kommt schon kaum nach bei so vielen Wunschzetteln, die bei ihm eintrudeln.”
“Können wir euch helfen?”, fragte Michelle und sprang auf und ab bei dem Gedanken, anderen eine Freude bereiten zu können.
“Aber nicht, wenn du so weiter machst, dass der Schlitten noch durchbrechen wird”, entgegnete Mia grinsend, die sich schon entschieden hatte, auch zwei helfende Pfoten beizusteuern.
“Oh, Verzeihung”, sagte sie mit einem peinlich berührten Grinsen und setzte sich stattdessen in die eine Ecke des Schlittens. Mia hatte neben Zora Platz genommen auf einem Holzbalken, den normalerweise der Kutscher für sich beanspruchen würde. Da saß nun Zora und hielt die Zügel fest in ihren Pfoten. “Also dann, kann es losgehen?”, fragte sie. Liam senkte seinen Oberkörper leicht ab, als er wie ein Sprinter in seine Startposition ging, und kaum hatte Zora kurz mit den Lederriemen geschlagen, preschte das Esel-Pokémon durch den schneebedeckten Wald.

Die beiden Freunde wussten sofort, was Zora gemeint hatte, als sie von diesem wilden Ritt gesprochen hatte. Der Fahrtwind schlug ihnen so kräftig entgegen, als würde ein Sturm durch die Ritzen des Stalls ziehen. Mias Fell plusterte sich auf, in der Hoffnung, sich dagegen abzuschirmen, und Michelle senkte ihren Kopf so weit wie möglich in den Schlitten, um dem Windzug zu entgehen. Trotzdem schauten sie mit Schmetterlingen in ihren Bäuchen dabei zu, wie die Landschaft an ihnen vorbeizog mit einer Geschwindigkeit, die sie selbst im schnellsten Sprint nicht erreichen könnten. Würde Liam zum Sprung ansetzen, könnten die beiden sich vorstellen, dass sie im nächsten Moment abheben und fliegen würden.
Trotz der Kälte verging die Fahrt viel zu schnell. Als Liam spürbar langsamer wurde und den Schlitten gemächlich die letzten Meter durch den Wald zog, waren die beiden drauf und dran, um eine weitere Fahrt zu betteln, auch wenn diese nur ein paar Sekunden dauern würde. Sie hatten schon nach vorn geschaut, um ihm das mitzuteilen, doch verstummten abrupt, als sie die Lichter vor sich sahen. Vor ihnen stand eine alte, rot angestrichene Holzhütte mit einem Reetdach, die trotz der auffälligen Farbe wie aus dem Nichts aufgetaucht zu sein schien. Alleine hätten die beiden sie auf jeden Fall nicht gefunden, auch wenn sie, der herannahenden Nacht, mit so vielen Lichtern geschmückt war, dass die beiden einen ganzen Tag brauchen würden, um sie zu zählen. Aus dem Schornstein drangen schwarze Wolken, die versprachen, dass es drinnen wohlig warm war.
“Wir können euch leider nicht mit reinnehmen. Betriebsgeheimnis”, sagte Zora, als hätte sie ihren Blick aufgefangen. “Aber das wirklich wichtige ist in der Scheune da drüben.” Sie nickte mit dem Kopf und in einer fließenden Bewegung wendete sich der Schlitten und hielt Kurs auf das große, rechteckige Gebäude. Stolz lächelnd fügte das Fuchs-Pokémon hinzu: “Die war mal bis oben hin voll. Das haben wir alles ausgeliefert.”
“Wow”, sagten Mia und Michelle, die die Köpfe in den Nacken legen mussten, um die Decke zu sehen. “Das habt ihr alles ganz alleine gemacht?”
“Naja, insgesamt sind wir 4 Trupps, da geht das ratz fatz”, erklärte Liam und erntete von Zora einen Seitenblick, als hätte er sie hintergangen.
“Aber wir haben bestimmt den größten Teil geschafft”, sagte sie, stieß die Tür auf und lief auf geradewegs in das Steingebäude hinein. “Nur noch der kleine Teil hier”, rief sie über die Schulter, begleitet vom Echo des leeren Raumes. “Komm, Liam, fahr rein, dann ist der Weg nicht so weit.”
Wie befohlen trottete er hinein, zog den Schlitten in Position und bediente sich am Trog, der an der Wand stand.
“Mach es dir da nicht so gemütlich”, feixte Zora, “mit zwei Helfern sind wir im Nu fertig. Vor allem, wenn ich das mache.” Sie zwinkerte und erstrahlte in einem hellen Licht. Sekunden später stand ein völlig anderes Pokémon vor ihnen. Es war gelb und hatte nur noch eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Fuchs. Am Auffälligsten waren die zwei langen Schnauzbärte, die bis zu seinen Knien reichten, und die Löffel, die es plötzlich in den Händen hielt. “Keine Sorge, ich übernehme die schweren Geschenke. Die packen wir übrigens nach ganz unten.” Kaum hatte es das gesagt, bewegte es seine Arme und wie von Geisterhand schwebte das erste Päckchen in den Schlitten hinein.
“Wie hast du das gemacht? Ich will das auch können!”, rief Michelle, die die Pakete leider nur mit ihrem Kopf über den Boden schieben konnte.
“Vergiff daf nal fnell wieda”, sagte Mia, die ein Päckchen mit ihren Zähnen am Geschenkband gepackt hatte und es vor dem Schlitten absetzte. “Das können nur Psychopokémon.”
Wie sehr Zora sich auch äußerlich verändert hatte, das stolze Grinsen blieb. “Und selbst dann ist es gar nicht so einfach. Ich habe das ganze Jahr dafür geübt.”
Liam lachte. “Wenn man das in der Sonne auf der Wiese liegen als mentales Training bezeichnen will…”, sagte er, woraufhin ein Geschenk nur haarscharf an seinem Kopf vorbeiflog.
“Sei du lieber dankbar, dass ich dir so eine große Hilfe bin, sonst darfst du die Päckchen nächstes Jahr alleine ausliefern.”
Liam rollte grinsend mit den Augen. “Oh ja, du bist mit Abstand das nützlichste Zorua hier.”
Michelle legte den Kopf schief. Wie viele es wohl hier gab? Noch hatte sie kein anderes gesehen. Allerdings war sie zu sehr mit den Geschenken beschäftigt, um sich darüber viele Gedanken zu machen.
Ehe Liam seine Portion Futter hatte verspeisen können, waren die Pakete bereits im Schlitten und bereit zum Transport. Alle Pokémon stiegen wieder ein und sobald die Tür ins Schloss gefallen war, lief das Esel-Pokémon bereits los, den Weg zurück, den sie gekommen waren, und zurück durch den dichten Wald.
“Ein bisschen Licht wäre jetzt ganz gut”, sagte Liam von vorn. Jetzt, wo er es sagte, fragten sich die beiden, wie er es bislang geschafft hatte, nicht gegen den nächsten Baum zu krachen. Mia hatte fast nicht mehr die Pfote gesehen, die sie hatte putzen wollen.
“Okay, ich schätze, hier im Wald können wir das wagen. Dann verbreiten wir doch mal ein bisschen Weihnachtsstimmung”, antwortete Zora und betätigte einen kleinen Hebel neben sich. Mit einem Mal leuchtete der Schlitten sternengelb auf, so stark, dass er auch noch die Umgebung um sich herum erhellte. Neben ihnen war ein Rascheln zu hören, wo ein paar nachtaktive Pokémon vor der plötzlichen Helligkeit vermutlich schnell das Weite gesucht hatten, aber sie waren schon in der Dunkelheit hinter dem Lichtkegel verschwunden, bevor Mia und Michelle ihre Köpfe gedreht hatten.
“Oh ja, das ist viel besser”, sagte Liam, dem Zora auf den Rücken geklettert war und ein Halsband umlegte, an dem ein Strahler befestigt war.
“Reiner Eigennutz”, sagte sie mit einem Zwinkern, bevor sie es sich wieder auf ihrem Sitzplatz bequem machte. “Wir wollen ja nicht als Verkehrsunfall enden - vor allem nicht mit unserer wertvollen Fracht hier.”
Michelle war sich nicht sicher, ob das auf die Insassen oder die Geschenke bezogen war, aber sie machte sich da sowieso keine Gedanken. Immerhin machten die beiden das schon seit Jahren und wenn sie nicht verlässlich waren, hätte man sie nicht mit so einer wichtigen Aufgabe betreut.

Und so genossen sie einfach die Fahrt, bis sie schließlich den vertrauten Umriss ihres Hofes sahen. So aufregend das Abenteuer auch gewesen war, so glücklich waren die beiden, als sie wieder in ihrem vertrauten Zuhause waren.
“So, da wären wir”, sagte Liam, als er langsam zum Stehen kam. Zora öffnete die Tür und ließ die beiden zuerst aussteigen, bevor sie hinterher sprang und sich noch in der Bewegung in einen jungen Mann mit weißem Bart und rotem Anzug verwandelte. “Ich glaube, an diesen Körper werde ich mich nie gewöhnen”, sagte sie, als sie ein paar der Pakete auf ihren Arm lud.
“Du könntest auch als Christkind oder Engel auftreten”, sagte Liam, doch Zora schüttelte nur den Kopf.
“Das habe ich schon einmal probiert. Damals haben die mir etwas geschenkt, weil ich wohl so arm aussah, als müsse ich betteln. Die kennen eben nur noch den Weihnachtsmann, der ihnen Geschenke bringt.”
“Naja, hauptsache, die Menschen freuen sich über das, was wir ihnen bringen. Ist das nicht lohn genug?”, fragte er zurück.
“Eine gute Mahlzeit und eine ausgedehnte Streichelstunde sind auch nicht schlecht”, entgegnete Zora mit einem Zwinkern, doch sie konnte das Grinsen nicht aus ihrem Gesicht wischen, als sie auf die Tür zusteuerte, hinter der die Besitzer des Hofes lebten.
“Na los, ab mit euch, bevor der Bauer noch sieht, dass ihr hier so frei herumauft”, sagte Liam und stupste die beiden mit seiner Schnauze in Richtung der Scheune.
Mia und Michelle nickten. “Vielen Dank für alles”, sagten sie mit einer kleinen Verbeugung, bevor sie zu dem großen Gebäude liefen. Auf halber Strecke aber blieb Michelle wie vom Donner gerührte stehen. “Oh nein.”
“Was ist denn?”, fragte Mia mit schiefgelegtem Kopf.
“Jetzt haben wir doch gar kein Zuhause für dich gefunden”, sagte sie verzweifelt. “Vielleicht solltest du mit den beiden mitfahren und -”
“Ach, lass das mal meine Sorge sein. Ich möchte ja auch nicht in Geschenkpapier eingewickelt unterm Weihnachtsbaum landen und dann nach ein paar Wochen wieder weggeben werden, weil ich als Spielzeug zu langweilig geworden bin.” Sie schüttelte sich bei dem Gedanken. “Wir können das ja nächstes Jahr noch einmal probieren.”
Michelle strahlte bei dem Gedanken. “Oh ja, auf jeden Fall. Das war so aufregend”, sagte sie und sprang sogar ein kleines Stück in die Luft.
Mia schüttelte den Kopf, doch sie hatte das gleiche betrügende Grinsen auf dem Kopf wie Zora zuvor. Und wenn sie ehrlich war, würde sie dieses Leben, wo sie tun und lassen konnte, was sie wollte, gegen nichts auf der Welt eintauschen. Vielleicht überraschte es sie deswegen nicht, dass beim Aufwachen vor ihrer Nase ein breites, weiches Paket stand, das von dort an als Katzenkörbchen in der Ecke des Stalls stand.