[MD] Die Legende des Dämons

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  • Part III: Die kleine Raupe


    Das wehklagende Geräusch wurde immer lauter, je weiter sie am Fuß des Hanges entlangliefen. Rose, Max und die anderen blickten immer wieder nach links und rechts. Zum einen waren sie sich sicher, dass sie weiterhin von irgendetwas Finsterem beobachtet wurden. Und zum anderen waren sie der Quelle des Klagens deutlich näher gekommen, denn nun war es so deutlich zu vernehmen, als würde es direkt neben ihnen sein.


    Doch wie oft sie sich auch umschauten, sie konnten kein Pokémon erkennen, weder ein Wildes noch eines, das so kläglich schluchzte. Doch es war sehr nah und Max glaubte, dass dieser Wald verwunschen sein musste, sodass sie dauerhaft von eisigen Gebilden und Phantomschluchzern heimgesucht wurden. Doch Rose schien nicht aufzugeben. Ihre geweiteten Augen funkelten und sie blickte sich immer wieder so schnell um, dass ihr Gesicht nicht mehr scharf zu erkennen war.

    „Schwärmt aus und sucht!“, sagte sie zu den anderen, die nur rumstanden und sich umblickten. „Vielleicht ist es irgendwo im Schnee begraben …“

    „Du kannst den Befehlston gleich mal sein lassen, ja?“, knirschte Vane. Rose warf ihm einen warnenden Blick zu: „Ein Wort noch und du kannst was…!“

    „Was wäre eigentlich, wenn all das nur eine Falle ist?“, rief Emil ein, ehe Roses Gesicht gänzlich rot vor Wut wurde. Sie blitzte ihn an, doch Emil ruckte mit ernster Miene nach hinten in die Richtung, aus der sie gekommen waren.

    „Ich weiß nicht, wie es dir ergangen ist, doch ich glaube schon, dass wir von dieser Eule da hinten ziemlich eingehend betrachtet wurden.“

    „Du hast es auch gespürt?“, wandte sich Max an Emil, während er einen umliegenden schneebedeckten Busch inspizierte, in dem sich aber nichts versteckt hielt. Rose wollte aber von einer möglichen Falle nichts wissen, denn jäh wandte sie sich einem anderen Buschwerk zu und durchwühlte dieses mit bestimmter Vorsicht.


    Ein paar Minuten des erfolglosen Suchens verstrichen, dann sah Max, wie Shadow seltsam steif einen Baum nicht weit von der Gruppe anstarrte.

    „Was ist los, Boss?“, rief Vane, der dies ebenso bemerkt hatte. Shadow regte sich nicht, doch seine Stimme war konzentriert und ruhig, als er ihnen antwortete: „Da hinten … der schneebedeckte Baum, von dem mehrere Eiszapfen herunterhängen …“

    „Was ist damit?“, riefen Max und Rose ihm zu. Max klang gegen seinen Willen neugierig und er wusste, dass er jetzt nicht die Vorsicht fallen lassen durfte. Rose hingegen klang fast desinteressiert, als wollte sie sich nicht ohne guten Grund von der Suche nach dem Klagen abbringen lassen. Nun trat Shadow ein paar Schritte auf den Baum zu. Auch Max blickte diesen nun genauer an.


    Es war ein schaurig schöner Anblick. Auch wenn die schneebedeckten Zweige der Bäume um und über ihnen auf dem Hang den Himmel verdeckten und der untere Teil des Waldes daher im größeren Schatten verborgen lag, glitzerten die Eiszapfen, als würden sie von innen heraus angeleuchtet werden. Helles Licht flammte hinter Max auf und er sah, wie Emil einen Leuchtorb aus seinem Panzer hervorgeholt hatte. Das Licht wurde abermals von den kristallin wirkenden Eiszapfen und auch vom Schnee auf den Ästen widergespiegelt und es war, als würde ein Meer von Glitzer sich über dem Baum ergießen. Shadow war nun nach genug an den Baum herangetreten und seine schwarze Schattengestalt stellte in der glitzernden Szenerie einen starken Kontrast dar. Er ging vorsichtig unter den Eiszapfen einher und schien diese genauer zu untersuchen.


    „Ja, hier ist etwas!“, rief er begeistert und laut aus. Max spürte sofort, dass dies ein Fehler für ihn war. Etwas rauschte und klirrte und eine Sekunde später fielen sowohl Schnee als auch Eis auf Shadow herab. Vane und Emil erschraken laut und auch Rose blickte bestürzt und panisch auf. Sofort eilten sie zu Shadow und fürchteten um seinen Anblick, doch kurz darauf war Erleichterung in ihren Gesichtern abzulesen. Die Eiszapfen waren, so fest wie sie waren, direkt durch Shadows Schattenkörper hindurch gefallen. Einzig der Schnee lag wie eine weiße unförmige Wollmütze auf seinem Kopf. Nachdem der Schrecken abgeklungen war, kugelte sich Vane fast vor Lachen. Auch Rose atmete erleichtert auf, ehe sie wieder ernst wurde: „Wir haben keine Zeit für diese Albernheiten, Shadow!“

    „Als ob ich mich freiwillig bildlich von Eis durchlöchern und von Schnee begraben lassen würde …“, murrte Shadow verdrießlich und schüttelte sich den Schnee ab. „Tatsächlich habe ich was gefunden. Schaut mal, was jetzt noch als einziges am Baum hängt!“


    Sie traten näher an den Baum und betrachteten den nun einzigen Eiszapfen, der verblieben war. Erst beim genaueren Hinsehen konnte Max erkennen, dass er nicht glatt und spitz, sondern viele eisige Noppen besaß und stumpf war. Zumal schien dieser nicht vom Ast zu wachsen, sondern zu hängen. Eine dünne Schnur aus Eis führte vom oberen runden Ende nach oben. Fast hatte es den Anschein, als befände sich ein seltsames eisiges Pendel vor ihnen. Und nun, da sie diesem nahe standen, hörten sie das Wimmern klar und deutlich aus diesem herauskommen. Aufmerksam und skeptisch blickten sie dieses an.

    „Sagt mir nicht“, begann Emil langsam und sah ganz danach aus, als wollte er vorsichtig seine Kanonen ausfahren, „wir haben uns wegen diesem kleinen Ding hier Sorgen gemacht?“


    „Es sieht aus wie …“ antwortete Vane und hob eine stahlbesetzte Kralle. Bevor Max oder die anderen ihn aufhalten konnten, tippte Vane ein paar mal gegen den Eiszapfen. Sein Nagel verursachte ein Ticken, dass seltsam in der Stille widerhallte, die sie umgab. Und der Eiszapfen begann zu zittern. Mit einem Mal riss die dünne Schnur aus Eis und der Eiszapfen fiel wie ein Stein zu Boden. Rose schrie erschrocken auf und schaffte es noch rechtzeitig, ihn mit ihren Armen aufzufangen. Die obere Spitze schlug Risse und mit einem lauten Knall sprang der Eiszapfen an der Stelle auf. Max, Iro und Emil hoben die Arme, um sich vor den Splittern zu schützen. Sie blickten auf die freigelegte Stelle des Zapfens, der innendrin mit einem weißen Sekret gefüllt schien, die sich regte.


    „Wuäh … was ist das denn?“, stieß Vane angeekelt hervor und trat ein paar Schritte weg. Max fand, dass er in seiner Reaktion übertrieb, musste ihm aber Recht geben, dass es keinen angenehmen Anblick darstellte. Auch Rose schien drauf und dran, den Zapfen doch noch fallen zu lassen, als dann das Wimmern wieder laut aus diesem hervordrang. Rose blickte bestürzt die anderen an, die ihr ratlose Blicke zuwarfen. Sie räusperte sich und beugte sich vorsichtig zu dem Sekret herab: „Ähm … Hallo? Alles in Ordnung?“


    Das Wimmern erstarb mit einem Schlag. Das Sekret begann zu pulsieren und anzusteigen. Es träufelte über den Rand und rann über Roses Hufe. Sie schauerte und verzog angeekelt das Gesicht, doch wollte oder konnte sie den schleimüberzogenen Zapfen nicht loslassen. Etwas festeres und weißes quoll nun aus diesem hervor und winzig kleine Füße waren zu erkennen, ehe sie vom weißen Körper verdeckt wurden. Das Wesen, das herauskam, hatte weiße und fettige Haut, die sich in Falten über den Rand des Eiszapfens schob. Max fand, dass es wie geschmolzene Eiscreme aussah, dessen schwarze Knopfaugen mit Sekret bedeckt waren. Es blinzelte mehrmals, um die Augen frei zu haben, und blickte sich mit seinen dicken und glänzenden Wangen um, bis es Rose erblickte, die es immer vor sich ausgestreckt in den Armen hielt. Es öffnete seinen Mund und prustete dabei Schleim in Roses Gesicht, „Mami?“


    Eine Zeit lang lag Stille zwischen ihnen. Das Wesen schaffte es, seine Augen frei vom Sekret zu bekommen, und blinzelte Rose mehrmals an. Die Augen weiteten sich vor Aufregung und das Wesen rief lauter und fröhlicher aus: „Mami! Mami! Du bist endlich gekommen!“

    „Äh…“, antworte Rose, die völlig perplex von dieser Ansprache war. Mit halb geöffnetem Mund starrte sie das Wesen an, das innerhalb seines Eiszapfens aufgeregt auf und ab zu hüpfen schien. Dann schüttelte Rose den Kopf, als ob sie sich endlich auf die sonderbare Situation eingestellt hatte: „Warte mal! Ich bin nicht deine Mutter!“


    „Aber Mami!“, rief das kleine Wesen hell auf, „du hast gesagt, dass du mich von hier abholen würdest, wenn du fertig bist …“,

    „Ich bin aber trotzdem nicht deine Mutter!“, wiederholte Rose bestimmt. Das kleine Wesen erstarrte und blickte Rose lange an. Sofort standen dem kleinen Wesen Tränen in den Augen, die in kleinen Eiskristallen zu Boden fielen. Rose blickte hilflos auf und die Fassungslosigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben. Das kleine Wesen rief nun lauter aus: „Lass mich sofort runter!“

    „Ich muss wohl sehr bitten!“, entgegnete Rose aufgrund dieses Befehlston, doch das kleine Wesen zitterte nun erregt und schrie nun derartig laut, dass sich Max und die anderen die Ohren zuhalten mussten: „LASS MICH RUNTER! LASS MICH RUNTER, DU GEMEINES ETWAS!“

    Immer wieder plärrte es diese Aufforderung und mit jedem Mal wurde sein Schreien durchdringender.

    „Um Himmels Willen, Rose!“, rief Shadow über das Plärren hinweg. „Tu es schon!“


    Rose tat auch wohl nichts lieber als dieser Bitte Folge zu leisten, denn mit angewidertem Gesicht legte sie das kleine Wesen auf den Boden ab. Sofort hörte es auf zu schreien und blickte die anderen musternd an.

    „Keiner von euch ist meine Mami!“, stellte es dann laut und enttäuscht fest und versuchte, auf dem Boden zu krabbeln. Es schaffte es, sich ein paar Zentimeter nach vorne zu bewegen, dann blieb es stehen und zitterte erneut. Dann schrie es erneut derartig laut auf, dass sie sich alle wieder die Ohren zuhalten mussten: „MAMI! MAMI! WO BIST DU NUR?“


    Abermals blickten sich die Erkunder hilflos an und sie alle stellten sich dieselbe, das wusste Max: „Wo sind wir hier reingeraten?“

    Emil schien bald genug von dem Geplärre zu haben, Genervt ließ er eine Kanone ausfahren und schoss einen Hyperstrahl in die Luft, der laut in der Luft widerhallte. Doch das stellte sich bald als ein Fehler heraus. Es rauschte von oben und eine riesige Schneedecke fiel von den obenliegenden Ästen herab, die alle unter sich begrub. Max fühlte eine kalte Welle ihn von allen Seiten umfassen. Er wühlte sich mit halber Belustigung durch den Schnee und tauchte auf, als sich die anderen ebenso aus diesem wühlten. Sie blickten sich und lachten kurz über deren Schneehüte. Dann krabbelte auch das Wesen auch schon aus dem Schnee hervor.


    „Hörst du nun auf zu schreien?“, fuhr Emil es sofort an. Das Wesen blickte ihn mit wachsamen Augen an und ein finsteres Funkeln lag in ihnen: „Bist du ein Böser? Gehörst du zu denen, vor denen mich Mama gewarnt hat? Du hast mich fast zu Tode erschrocken, ich mag dich nicht! Gehört ihr alle dazu?“

    Und kaum hatte es die Worte gesagt, heulte das Wesen, das sich wie eine Raupe auf dem Schnee bewegte, erneut auf: „MAMI! MAMI! WO BIST DU NUR? ICH BIN ALLEIN VON FREMDEN UMGEBEN!“


    „Was machen wir nun?“, war Shadows Frage, während er sich mit zugehaltenen Ohren zu den anderen wandte. Max fand, dass dies eine durchaus berechtigte Frage. Zwar hatten sie ein Ziel, doch er fühlte sich nicht wohl bei dem Gedanken, ein solch hilfloses kleines Pokémon allein zu lassen. Es sah schließlich danach aus, als wäre dieses vollkommen hilflos. Den Gedanken hatte auch Rose, denn sie beugte sich zu der kleinen Raupe hinunter und sah ihr mit sorgenvoller Miene in deren Augen: „Wie lange bist du denn hier schon alleine, Kleines? Und wie heißt du?“

    Die Raupe beäugte sie argwöhnisch und Rose erhob daraufhin ihre Hufe, als würde sie sich ergeben: „Wir sind nicht gefährlich! Ich kann dir versichern, das wir dir nichts tun wollen!“

    „Ihr gehört also nicht zu den Bösen?“, fragte die Raupe skeptisch. Rose schüttelte lächelnd den Kopf.

    „Wie sehen diese Bösen denn aus?“, warf Vane ein.


    „Sie bestehen ganz aus Eis und haben einen ziemlich unheimlichen Blick! Deswegen habe ich mich auch in diesem Kokon versteckt!“, erklärte die Raupe aufgeregt. Die anderen wechselten Blicke.

    „Wir haben vorhin so ein Ding zerstört“, erklärte Shadow dann ohne Weiteres. Die Raupe machte große Augen. Sie wandte sich an Rose, die bestätigend nickte.

    „Dann seid ihr wohl nicht die Bösen, oder?“, fragte die Raupe abermals nach, dieses Mal aber lag etwas weniger Skepsis in ihrer Stimme.

    „Wir sind nur Erkunder, die zum Lawinenberg wollen“, erklärte Iro beiläufig. Max fand, dass sie nicht so offenherzig über ihr Reiseziel reden sollten, denn allmählich war er es leid, die Überraschung anderer bezüglich ihres Reiseziels zu sehen. Und wie erwartet machte auch die Raupe große Augen und wandte sich Iro zu: „Hey, da wollte auch Mami hin!“


    Das erstaunte dann Max. Er und Iro tauschten Blicke mit den anderen, die verdutzt dreinblickten.

    „Du sagst, deine Mutter ist zum Lawinenberg unterwegs?“, fragte Rose vorsichtig nach. Die Raupe murrte, als sie sich wieder mühselig umdrehen musste, doch sie war sofort wieder aufgeregt, als sie Rose antwortete: „Genau! Mami sagte mir, ich soll hier auf sie warten, während sie zum Lawinenberg gegangen ist. Das ist schon fünf Jahre her und langsam mache ich mir Sorgen, dass-“

    Fünf Jahre?!“, rief Rose entsetzt aus und stolperte nach hinten. Max drehte sich der Magen um. Instinktiv wusste er, was das zu bedeuten hatte, dass eine Mutter solange ihr Kind zurückließ. Und sie tat es bestimmt nicht freiwillig, dachte Max sich dabei. Dieselbe Reaktion sah er auch den anderen an, einzig Vane schüttelte mit schiefem Lächeln den Kopf: „Ich will nichts sagen, Kleine, aber … bist du sicher, dass deine Mama hierher zurückkommen wird?“

    „Sie hat es versprochen!“, rief die Raupe so laut, dass sie alle fast wieder die Ohren zuhalten mussten. Dann aber senkte sie betrübt den Blick und ein leises Schluchzen kam von ihr: „Es ist aber mittlerweile so lange her … Mami hat gesagt, dass sie nur kurz zum Lawinenberg gehen wollte. Ich habe das Gefühl, dass sie aufgehalten wurde … deswegen kann sie nicht zurück …“

    „Bist du sicher, dass es das ist?“, entgegnete Vane skeptisch und Max spürte in einem Anflug von Panik instinktiv, dass das Stolloss frei heraussprach ohne darauf zu achten, was er sagte.

    „Ich meine, nach fünf Jahren sollte es klar sein, dass deine Mama dich entweder verlassen hat oder get-“


    „Vane!“, rief Rose so scharf dazwischen, dass alle anderen zusammen zuckten. Vane, dem gerade sein Fehler bewusst wurde, verstummte schlagartig, doch die Raupe schien sich den Rest selbst zusammenzureimen. Ihre schleimüberzogene weiße Haut lief rosa an und mit vor Wut bebender Stimme wandte sie sich an Vane: „Meine Mami würde mich niemals im Stich lassen und getötet werden kann sie nicht! Sie ist dafür viel zu stark!“

    Vane ließ beschämt den Kopf sinken, dass er diese Worte angedeutet hatte. Max war froh, dass er nun daraus seine Lektion zog. Er selber war neugierig, was genau es mit der Mutter dieser Raupe auf sich hatte, doch bevor er fragen konnte, kam Rose ihm zuvor: „Was genau ist denn eigentlich passiert? Wieso musstest du dich überhaupt verstecken?“

    Die Raupe antwortete nicht direkt. Sie wandte ihren wütenden Blick von Vane ab und musterte jeden der Erkunder nochmal eindringlich. Sie entschied sich wohl, allen zu vertrauen, denn sie sprach nun ruhiger, aber Sorge und Angst mischten sich in ihrer Stimme:


    „Vor fünf Jahren hat Mami mich in diesen Wald gebracht. Sie wirkte ziemlich aufgeregt, da irgendetwas Böses und Mächtiges dieses Gebiet betreten hatte. Sie wollte so schnell es geht zum Wächter, um ihn dabei zu helfen, das Böse abzuwehren. Vorher aber hat sie mich eindringlich darum gebeten mich hier versteckt zu halten, bis sie wiederkommen würde. Und während sie weg und ich hier versteckte war, habe ich gespürt, wie diese bösen Dinger den Wald nach mir suchten. Ich konnte zwar nicht viel sehen, aber ab und an habe ich sie ziemlich nahe an meinem Baum scharren gehört. Ich hatte dermaßen Angst, dass sie mich erwischen würden. Ich wusste, dass ich sterben würde, wenn sie mich je finden würden! Und obwohl mir meine Mami fehlte und ich am liebsten geheult und nach ihr gerufen hätte, durfte ich keinen Mucks von mir geben!"


    Bei der Vorstellung, irgendwo zu verharren und zu hoffen, nicht von suchenden Feinden gefunden zu werden, überkam Max das Schaudern. Allein im Wald in so einem beengten Raum, nicht groß dazu fähig, sich zu bewegen. Und tagein und tagein bestand für die Raupe die Gefahr, doch noch entdeckt zu werden. Und das für fünf Jahre, die sich wahrscheinlich wie eine Ewigkeit angefühlt haben mussten. Jähes Mitleid stieg in Max auf und auch die anderen wirkten so, als wäre ihnen übel bei dem Gedanken.

    „Dann habe ich vor wenigen Stunden mitbekommen, wie diese Dinge aufgeregt sich entfernt hatten, und kurz darauf habe ich aus der Ferne Kampfgeräusche sowie Schreie gehört. Dann war es still und es war, als durfte ich endlich wieder einmal meine Stimme benutzen. Und dann habe ich es nicht mehr ausgehalten …“


    „Ja … das haben wir gehört …“, nickte Shadow langsam. Rose biss sich auf die Lippen und sah mit feuchten Augen das kleine Ding vor sich an. Iros Blick wirkte starr vor Anspannung und Entsetzen, die Max nur teilen konnte. Abermals wechselten sie Blicke, bis sich Rose dann wieder räusperte: „Es tut mir wirklich leid, was dir widerfahren ist, Kleines!“

    Sie hob einen Huf und wollte andächtig die Raupe streicheln, die erst zurückwich. Dann aber gestattete sie Rose es, dass sie ihre Stirn tätscheln ließ. Sofort brach die Raupe in Tränen aus: „Du streichelst mich genau wie Mami! Sie fehlt mir gerade unendlich!“


    Rose stoppte und ihr Mund verzog sich. Dann konnte sie ihre eigenen Tränen nicht zurückhalten und sie beugte sich hinunter, sodass sie die Raupe vorsichtig in den Arm nehmen konnte. Das Schluchzen beider hallte mehrfach zwischen den Bäumen wieder. Und je mehr es auf sie alle einwirkte, umso fieberhafter dachte Max nach. Dann, nach mehreren Minuten, lösten sich Rose und die Raupe voneinander und diese sprach unter Schniefen wieder zu allen anderen: „Ihr sagtet, ihr wolltet zum Lawinenberg?“

    Kaum, dass Shadow, Iro und Max bestätigend nickten, schüttelte sich die Raupe, um ihre Augen von den Tränen freizubekommen: „Dann nehmt mich bitte mit! Ich will erfahren, was aus Mami geworden bist! Und gegeben falls werde ich sie retten!“


    „Du … was?“, entgegnete Rose völlig baff und betrachte die Raupe mit großen Augen. Diese bentgegnete ihrem Blick: „Lass mich raten: Du hältst mich für klein, schwach und hilflos?“

    „Ist das nicht offensichtlich für alle?“, entgegnete Emil trocken. Auch Max kam nicht drum zuzugeben, dass die Raupe bisher nicht gerade einen Eindruck danach machte, dass sie allein zu irgendetwas imstande war. Doch die Raupe bebte und abermals lief vor Wut ihr weißer Kopf rosa an: „Ich kann trotzdem meine Mami retten! Einer von euch müsste mich nur tragen und mit zum Lawinenberg nehmen. Wäre das möglich?“


    „Ähm … nun …“, entgegnete Shadow, der sich belustigt an die anderen wandte: „Wäre von euch jemand bereit, den … nun ja … Babysitter zu spielen?“

    „Du denkst wirklich daran, dieses kleine Ding mitzunehmen, Boss?“, warf Vane mit Blick auf die Raupe skeptisch ein. „Es könnte gefährlich werden. Und wenn wir uns verteidigen müssen, laufen wir doch Gefahr, es dabei zu verletzen, wenn wir es mit uns herumtragen.“


    „Wenn sollte es wer sein, der sowieso gerade nicht groß kämpfen kann“, sagte Emil und Max entging nicht, dass er einen flüchtigen Blick auf Iro und dessen bandagierten rechten Arm geworfen hatte. Auch Iro schien dies gespürt zu haben, denn er schnaubte verächtlich über der diese Anmerkung, ohne Emil eines Blickes zu würdigen. Rose beugte sich vor und die Raupe blickte sie aufmerksam an.


    „Bist du dir sicher, dass du mit uns kommen willst? Gerne können wir dafür sorgen, dass du hier weiterhin gut versteckt bleibst und wir kommen wieder, sobald wir deine Mama gefunden haben. Denn wenn du mit uns mitkämst –“

    „Ich weiß, dass die Firntundra an sich schon gefährlich ist, doch …“, und ein Lächeln spielte sich über das Gesicht der Raupe, „ich kenne eine Abkürzung, die uns direkt zu dem Lawinenberg bringen kann. Und durch meine Mami weiß ich auch, wie man diesen Berg fast gefahrlos erklimmen kann!“

  • KLEINE ZWISCHENNOTIZ:


    Die Legende ist nicht wieder tot, ganz im Gegenteil. Fünf Teile (Material für 10 Wochen an Updates stehen in den Startlöchern) sind geschrieben ;)


    Ich war die Tage mehr beschäftigt, zum Einen alte Fehler in früheren Kapiteln auszubessern und auch an einer englischen Version zu arbeiten. Das und andere haben etwas das Updaten eingeschränkt.


    Teil 4 von Kapitel 19 wird morgen hochgeladen :)

    Und es wird eines der besonderen Momente dieses Arcs sein :)

  • Part IV: Die Eishöhle


    Obwohl der Wind den Schnee von der Seite hart gegen sein Gesicht schlug und laut heulte, hörte Jimmy das Keuchen, das Lucy bei der Belastung ihres verletzten Beines von sich stieß. Sie schleppten sich einen steilen Weg hinauf, der von rauen und zerklüfteten Felswänden gesäumt war. Lucy hatte diesen Weg im Schneegestöber des Blizzards erspüren können und Jimmy konnte nachwievor nur über ihr Gespür staunen. Wieder einmal wurde ihm bewusst, dass er ohne Lucy niemals so weit gekommen wäre geschweige jetzt noch leben würde. Ob in der Schädelwüste oder in der Firntundra, allein wäre er aufgeschmissen gewesen. Nicht einmal diese Wölfe, die vollkommen aus Eis bestanden, hatte er nicht wirklich besiegen können. Und weil Lucy ihn vor ihnen retten musste, hatte sie sich diese Verletzung zugezogen, die ihr Bein nun plagte.


    Als würde sie seinen Gedanken spüren, blickte Lucy, die behutsam auftrat, ihn streng von der Seite an. Jimmy zweifelte, dass sie ihre Warnung, er sollte sich keine solchen Schuldgefühle machen, zum gefühlt zehnten Mal wiederholen würde. Sie hatte bei den neun Malen davor immer recht überzeugend gewirkt. Und doch, wenn sie sich schweigsam und gegen den fiesesten aller Schneestürme ihren Weg durch die Tundra suchten, waren es wieder Jimmys eigene Gedanken, die seine Unzulänglichkeiten zu Tage brachten. Wieso auch hatte er sich dazu bereit erklärt, Lucy in so ein feindliches Gebiet zu folgen, wenn er alles andere als stark und groß war? Es wunderte ihn schon, dass der starke Wind ihn nicht längst fortgetragen hatte. Aber vermutlich wäre er irgendwo anders in der Firntundra gelandet und hätte auch dann wieder seine Erinnerung verloren.


    Jimmy blieb stehen und dachte zurück. Lucy hatte ihn, halb vergraben im Sand, in der Schädelwüste ohnmächtig vorgefunden. Jimmy versuchte es erneut angestrengt. Doch nur ein dichter Nebel zog sich durch seine Erinnerung. Er hatte immer noch keinen blassen Schimmer, wie und warum um alles in der Welt er sich in der Schädelwüste befunden hatte. Es war, als wäre sein Leben vor dem Zeitpunkt, an dem Lucy ihn gefunden hatte, wie weggewischt. Nur unscharfe Restspuren zogen sich durch seinen Kopf. Beim ersten Versuch sich zu erinnern, hatte Jimmy einen großen Raum und zwei große Bretter hingen jeweils zur Linken und Rechten neben einer hölzernen Treppe gesehen. Beim zweiten Mal, als Jimmy nach dem Schlangenpass und einer eher unangenehmen Begegnung mit Garados aufatmen konnte, war eine Art Dschungel und eine furchterregende Fratze aus Blättern in seinen Erinnerungen aufgeblitzt. Doch bei beiden konnte er sich keinen Reim darauf machen, wo und wann er diese Bilder je gesehen haben sollte.


    Lucys Stimme erklang dicht an sein Ohr und Jimmy schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er blickte zu ihr auf und bemerkte, wie sie ihn mit sorgenvollem Blick ansah.

    „Es wird schon …“, sagte er matt und im Versuch, zuversichtlich zu klingen. Er warf einen Blick auf Lucys Bein, über dass sich dunkelrote Strähnen zogen.

    „Wie geht es dir mit dem Bein?“

    „Unverändert aber erträglich …“, entgegnete Lucy knapp und ließ ihren Blick von Jimmy nicht ab. Dann aber wandte sie sich dem Weg nach vorne zu. Er begann nun ebener zu werden und die Felswände bauten sich nun vor ihnen in die Höhe auf. Wie eine Mauer aus dunkelgrauem rauen Gestein versperrten sie den Weg und Jimmy fragte sich bestürzt, ob sie in eine Sackgasse geraten waren. Doch Lucy blieb ruhig und schloss ihre Augen. Von ihren spitzen Ohren stemmten sich jeweils zwei schwarze längliche Auswüchse in die Luft und blieben trotz des starken Windes starr. Sie ließ gerade wieder ihre Aura in die Umgebung fahren, stellte Jimmy fest. So ganz verstanden hatte er es immer noch nicht, was es mit dieser auf sich hatte. Lucy hatte sich bemüht, ihm in einer Pause zu erklären, wie sie über ihre Aura mit der Welt verbunden war. Doch es war eine ziemlich bildhafte Erklärung gewesen, die Jimmy mit seinem Denkvermögen nicht direkt verstehen konnte. Was er aber verstanden hatte war, dass Lucy aufgrund dieser Aura nicht zu unterschätzen war. Sie war gerade mal doppelt so groß wie er und hatte an sich eher zierliche Proportionen. Dennoch schaffte sie es, sowohl sehr schnell zu sein als auch kräftige Schläge austeilen zu können. Mit bloßer Hand hatte sie einem Gengar namens Shadow ein blaues Auge verpassen können, dabei gingen physische Angriffe durch Geister-Pokémon hindurch, als wären sie gar nicht erst an Ort und Stelle. Bei dem Gedanken an das Gengar, das Lucys Aussage zufolge ein entflohener Verbrecher war, erinnerte sich Jimmy an die zwei Namen, die dieses genannt hatte: Max und Ironhard.

    Zwar hatte Jimmy das Gefühl, dass er die Namen irgendwo schon einmal gehört hatte, doch für sich konnte er sich nicht vorstellen, dass er mit zwei Pokémon befreundet war, die diese Namen trugen. Bestimmt suchten sie einen anderen Jimmy, denn dieser Name ist auch nicht gerade der seltenste. Auch Max klang eher wie ein Name, den es bestimmt in Hülle und Fülle auf der Welt gab. Dennoch versuchte Jimmy sich vorzustellen, welche Art von Pokémon hinter diesen beiden Namen jeweils zu stecken vermag. Doch es war gerade nicht der passende Zeitpunkt, sich darüber Gedanken zu machen, denn jäh peitschte ihm der Wind von der Seite ins Gesicht, sodass Jimmy taumelte.


    Gerade in dem Moment wandte sich Lucy ihm zu und wies mit einer schwarzen Pfote zu einem schmaleren Weg rechts von ihnen, der dicht an einer Felswand entlang lief. Während sie sich vorsichtig an diesem entlangtasteten, traute sich Jimmy nicht nach unten zu blicken. Recht steil ging es hinab und weiße Schleier wehenden Schnees verdeckten sie Sicht auf das, was unter ihnen lag. Doch Jimmy konnte noch die scharfen Spitzen mehrerer Felsen ausmachen. Seine Sorge galt auch Lucy, da sie es mit ihrem Bein schwerer hatte. Doch sie vollbrachte es zu seiner Überraschung und Bewunderung, sich im Gleichgewicht auf dem Weg zu halten, während der Wind an Jimmys Körper zog. Jimmy stieß in Gedanken ein Stoßgebet zum Himmel, dass er nicht schon wieder von Lucy gerettet werden muss, wenn er tatsächlich in den weißgrauen Abgrund unter ihnen gezogen werden würde.


    Tatsächlich aber schaffte auch er es und er war froh, dass sie auf einem breiteren Vorsprung angekommen waren. Mit einem Blick zur Felswand stellte er fest, dass Lucy ihn zu dem Eingang einer Höhle geführt hatte, deren Mund wie ein klaffendes Loch wirkte und tief in den Berg zu führen schien. Froh über die Gelegenheit, endlich dem Wind und dem lauten Schneegestöber zu entkommen, traten Lucy und Jimmy in die Höhle ein.

    Nach den ersten Schritten schon merkte Jimmy, dass die Stille der Höhle genauso überwältigend auf ihn einwirkte wie das Getöse draußen. Während er dort nur vereinzelt Lucys Keuchen wahrnehmen konnte und gegen den lauten Wind fast brüllen musste, war es innerhalb der Höhle fast so, erschraken ihn fast den Klang ihrer Schritte, die in der Höhle von den Wänden widerhallten. Es war als würden mehrere Pokémon auf einmal eintreten und wild miteinander reden. Als Jimmy sich zu Lucy umwandte und meinte, dass dies ein idealer Ort zum Ausruhen wäre, fühlte er sich auch bestätigt, als Lucy sich auch schon an eine glatte Wand lehnte und langsam zu Boden glitt.


    Erst spät bemerkte Jimmy, dass Lucy dabei schwer atmete und ihre Augen geschlossen hielt, während sie ihr Gesicht verzog. Und plötzlich sackte sie auch zusammen, als wäre sie von Fäden getrennt, die sie vorher aufrecht hielten.

    „Lucy!“

    Jimmy war mit einem Satz bei ihr. Das blaue und schwarze Fell ihres Gesichts war etwas in seinen Farben verblasst und ihre Stirn glänzte vor lauter Schweiß. Schwach und zittrig fuhr Lucy an ihr Bein. Sie keuchte schmerzerfüllt auf und verzog erneut das Gesicht, als würde ihr Bein unerträgliche Qualen bereiten.

    „Du hast doch gesagt, die Schmerzen seien erträglich …“, sagte Jimmy mit zittriger Stimme. Lucy lächelte so schwach, dass es kaum zu erkennen war. Sie öffnete ihre roten Augen einen Spalt breit und blickte ihn mit einem schwachen Funkeln an: „Mit der Aura habe ich die meisten Schmerzen vorübergehend vertreiben können. Jetzt aber … ah Mist!“


    Ihr Atem wurde nun zu einem durchgehenden schmerzerfüllten Keuchen und mit flackerndem Blick begutachtete sie ihre Wunde. Jimmy konnte diese im trüben Licht, das durch den Höhleneingang fiel kaum erkennen. Sein Blick fiel auf die Tasche, die Lucy zuvor getragen und nun auf den Boden fallen gelassen hatte. Er griff in diese hinein und suchte etwas, das er auch direkt fand. Eine kleine Kugel aus Glas, deren Inneres schwach leuchtete.


    Den Leuchtorb ließ er mit einer kurzen Reibung hell aufleuchten, sodass die Höhle in ihren Details besser zu erkennen war. Zwar wären die Schichten von Eis, die von den Wänden und von der Decke glitzerten, sehr schön anzusehen gewesen, doch momentan war Lucys Bein von größerer Relevanz. Als Jimmy aber dann auf dieses hinabblickte, machte sich ein ungutes Gefühl in seiner Magengegend breit. Innerhalb des Blizzards konnte er außer den Rinnsalen an Blut nicht die wahren Ausmaße der Wunde erkennen, die die Eiswölfe Lucy zugefügt hatten. Nun aber betrachtete er angewidert die klaffende Wunde, die sich quer über Lucys Oberschenkel zog. Fast wäre ein gutes Stück von Lucys Bein herausgebissen worden und Jimmy fragte sich, wieso sie nicht eher schon was gesagt hatte, wie schlimm es tatsächlich um ihr Bein bestellt war. Doch Lucy lächelte schwach, als Jimmy sie daraufhin ansprach:

    „Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Für gewöhnlich bin ich durch die Aura auch in der Lage, solche Bisswunden mit der Zeit zu heilen. Ich habe mir selber dabei nicht viel gedacht …“

    „Aber nun?“, fragte Jimmy, der allmählich daran zweifelte, ob die Aura wirklich so eine mächtige Sache war, dass sie gegen Sandstürme, Blizzards und etliche andere Dinge wappnen konnte. Doch erneut wirkte es so, als würde Lucy seinen Gedankengang erahnen. Vehement schüttelte sie den Kopf.

    „Diese Wunde …“, keuchte sie und ließ zwischen den Worten längere Pausen, „ist anders. Es ist … wie eine Art Gift, das sich langsam in meinem Körper ausbreitet …“

    „Dann …“, antwortete Jimmy und sein Blick fiel wieder auf die Tasche neben ihnen. Bestimmt gab es in dieser auch eine Art Gegengift. Abermals jedoch schüttelte Lucy den Kopf: „Das ist kein organisches Gift … mehr wie ein Fluch … und er breitet sich immer weiter aus …“

    Auf einen Blick von Jimmy hin fügte sie hinzu: „Und aus irgendeinem Grund kann ich ihn nicht mit der Aura beheben. Und ich weiß nicht … was sonst dagegen helfen kann …“.


    Sie stieß einen lauten Seufzer aus und drohte von der Wand wegzugleiten. Jimmy fing sie rechtzeitig auf und wollte sie wieder in eine angenehmere Sitzhaltung bringen. Doch Lucy wehrte sich und bedeutete ihm, dass er sie mit dem Rücken voran auf den Boden legen soll. Während Jimmy also damit beschäftigt war, betrachte Lucy unter Zittern ihre Wunde und ließ eine Pfote, von der ein bläulicher Schimmer ausging, knapp über diese wandern.

    „Dieselbe Signatur wie der Wind, der vom Lawinenberg kommt … derselbe Urheber …“, murmelte sie abwesend vor sich hin. Jimmy konnte sich nur ungefähr zusammenreimen, was sie meinte. Endlich schaffte er es, sie auf den Boden zu legen. Er leerte die Tasche aus, faltete sie zusammen und legte sie unter Lucys Kopf. Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln.

    „Jimmy?“


    „Ja?“, sagte dieser, der sich über den zwar zittrigen, aber bestimmten Tonfall in ihrer Stimme wunderte.

    „Ich glaube, ich weiß, wie wir diesen Fluch doch beheben können … genauer, wie du ihn beheben kannst.“

    Etwas in ihrer Stimme klang danach, als würde Lucy zögern, diese Worte auszusprechen. Doch Jimmy achtete nicht drauf und fragte sich, wie er helfen könnte. Aufmerksam hörte er mit nervös pochendem Herzen ihr zu. Lucy fasste ihn mit ihrem Blick, so gut sie es mit halb geschlossenen Augen tun konnte. Dann deutete sie schwach mit zitternder Pfote auf die Wunde: „Siehst du es?“


    Auch wenn Jimmy nicht wohl danach war, so blickte er auf Lucys Bitte hin auf die Wunde. Außer glänzendem rot punktiertem Fleisch konnte er nicht viel erkennen. Dann aber erkannte ein ähnliches Glitzern wie das, das von den Wänden und von der Decke kam. Als er dann genauer hinblickte, erkannte er feine Strähnen von Eis, die sich durch das Fleisch zog.

    „Aber … wie …?“, wollte er von Lucy wissen, doch sie deutete ihm, dass er von nun an aufmerksam zuhören sollte.

    „Wie es scheint …“, begann sie mit schwacher Stimme, „ist der Fluch vom Attribut Eis. Solange dieser in meinem Bein bestehen bleibt, wird dieses weiterhin meinen ganzen Körper infizieren. Gegen sowas … ah verdammt, das tut weh … helfen dreierlei Dinge: Entweder der Urheber hebt den Fluch auf oder das Bein muss langsam in heißen Quellen behandelt werden. Wie du sehen kannst …“, und Lucy hielt inne, um offenbar eine Welle großen Schmerzes über sich ergehen zu lassen. Ihr Gesicht war vor Anstrengung fast bis zum Zerreißen gespannt. Dann atmete sie schwer und blickte Jimmy mit trübem Blick an: „Wie du sehen kannst, haben wir diese beiden Optionen nicht zur Hand. Mit dir aber steht die dritte Option zur Verfügung: Das Ausbrennen dieses eisigen Fluches!“


    Jimmy blickte sie verdutzt und musste erst das Ausmaß ihrer Worte verstehen. Dann stand er plötzlich auf und sah sie entsetzt an: „Nein!“

    „Jimmy …“, begann Lucy, doch Jimmy schüttelte energisch den Kopf: „Es muss doch noch eine andere Möglichkeit geben. Bist du sicher, dass deine Aura nichts dagegen tun kann?“

    „Ich hätte es längst getan, wenn sie dazu fähig wäre …“, entgegnete Lucy mit einem zuckendem Lächeln. „Aber es funktioniert nicht, solange dieser Fluch noch da ist.“

    „Und jetzt verlangst du von mir, dass ich dein Bein verbrenne?“, rief Jimmy fahrig und seine Finger zuckten nervös. Lucy legte eine Pause, in der sie eine neue Welle an Schmerz über sich ergehen ließ.

    „Ich verlange es nicht …“, sagte sie dann zittrig. „Ich bitte dich drum!“


    „Aber …“, wollte Jimmy protestieren, doch Lucy fasste ihn ins Auge: „Wenn du es nicht tust, wird sich der Fluch langsam und qualvoll in meinem restlichen Körper ausbreiten. Und höchstwahrscheinlich werde ich dann sterben dadurch …“

    „Aber wenn ich mein Feuer auf dein Bein anwende … ich meine, ich muss es ja recht lange draufhalten, damit das Eis verbrennt, nicht wahr?“

    „Zehn Sekunden sollten ausreichen …“, murmelte Lucy. „Je mehr Zeit verstreicht umso länger wirst du es müssen … also von daher wäre es sehr lieb von dir, wenn du jetzt-“

    „Aber Lucy!“, rief Jimmy dazwischen und seine Augen waren feucht vor Verzweiflung. „Wenn ich solange mein Feuer aus nächster Nähe darauf anwende, wird das dein Bein ungeheuer schaden!“

    „Im schlimmsten Fall verliere ich es …“, entgegnete Lucy mit trockener und rauer Stimme. Doch die schaffte es, schwach zu lächeln. „Aber es ist immer noch besser als zu sterben …“

    „Dennoch weiß ich nicht, ob ich das auf mich nehmen will … ich will dich nicht verletzen, nachdem du mir nicht nur einmal, sondern gleich zweimal das Leben gerettet hast.“

    „Und du würdest mir das Leben retten, wenn du diese Wunde ausbrennen würdest!“, rief Lucy harsch und Jimmy erschrak. Sofort besann sie sich zu einem ruhigen Ton.

    „Bitte verzeih mir … die Schmerzen sind ziemlich schlimm … aber dürfte ich dich darum bitten, wohlwissend was ich davon tragen würde?“

    „Ich … also …“, stammelte Jimmy und blickte von der Wunde in Lucys Gesicht und dann wieder zurück. Dann, sehr zögerlich, nickte er langsam und ein Lächeln breitete sich auf Lucys Gesicht aus.

    „Danke, Jimmy! Ich verspreche dir, ich werde es dir nicht nachtragen … warum sollte ich es auch, wenn ich deinetwegen am Leben bleiben werde?“


    Damit legte sie ihren Kopf zurück und Jimmy richtete sich zitternd auf. Er blickte nun direkt auf die Bisswunde herab und stellte sich vor, wie er diese mit einem Flammenwurf verbrennen würde. Jetzt schon widerte ihn die Vorstellung an, dass er einem Pokémon bewusst schaden würde. Doch Lucys Leben hing davon ab, auch wenn Jimmy das Gefühl nicht los wurde, dass es noch eine andere Lösung geben musste. Eine, die ihnen noch nicht eingefallen war.

    „Auf drei legst du los, ja?“, holte ihn Lucy aus seinen Gedanken ab. Jimmy nickte zaghaft und konzentrierte sich darauf, Energie sowohl in seinem Bauch als auch in seiner Lunge zu sammeln.

    „Eins!“, sagte Jimmy dann im Versuch, tapfer und entschlossen zu klingen und holte tief Luft. Sofort fühlte er, wie seine Lunge und sein Bauch sich aufblähten und ein Druck machte sich in beiden Organen breit.

    „Zwei!“, setzte Lucy fort und schloss die Augen fest zu. Die Krallen ihrer Pfoten bohrten sich tief in das Gestein unter ihnen. Jimmy ließ nun Energie in seine Organe fahren und er spürte das vertraute wärmende Gefühl, das sie erfüllte. Mit dem nächsten Ausatmer würde er nun Feuer freilassen.

    „Drei!“, rief Lucy dann laut aus und Jimmy selber machte sich darauf gefasst, dass von ihr ein langgezogener Schmerzensschrei kommen würde.


    Doch in dem Moment überkam ihn eine kalte Welle der Angst vor dieser Tat und er spürte sofort, wie das wärmende Gefühl erlosch. Nur kalte und feuchte Luft spie er aus und sein Ausatmer erlahmte innerhalb von Sekunden. Lucys Körper, der vor Anspannung wie erstarrt gewesen war, lockerte sich und sie sah ihn besorgt an. Jimmy versuchte, den Blick zu erwidern, doch seine Sicht verschwamm. Tränen füllten seine Augen und Jimmy spürte die bittere Enttäuschung in sich hochsteigen.

    „Ich kann es nicht …“, sagte er dann leise. In Lucys Blick lag kein Vorwurf, sondern etwas wie Mitleid und Mitgefühl. Und das waren nun Dinge, die Jimmy überhaupt nicht brauchen konnte. „Es tut mir leid, Lucy …“, sagte er noch tonlos und richtete sich auf. Lucy nickte ihm verständnisvoll zu und drehte sich von ihm weg. Er sah nur nur noch ihren Rücken vor sich. Offenbar wollte sie verhindern, dass er ihre Enttäuschung über ihn erblickte. Und in ihrer Nähe zu sein wurde in dem Moment unerträglich. Jimmy drehte sich um und schritt, ohne dass er sich dessen bewusst wurde, auf den Höhlenausgang zu.

  • Part V: Der andere Jimmy


    Kaum, dass Jimmy ans Äußere der Höhle getreten war, schlug ihm der Wind derartig hart entgegen, dass der Schnee, den er mit sich trug, wie Hagelkörner auf ihn einwirkte. Doch dieses Mal hatte Jimmy keinen Grund, sich zu beschweren. Er verdiente es, nach so einem Rückzieher derartig bestraft zu werden. Gerne hätte auch mehr ihn peinigen können.


    Wortlos setzte sich Jimmy an die eisige Felswand und blickte hinaus auf das, was er durch den Schneesturm erkennen konnte, auch wenn es nicht viel bis gar nichts war. Nur das Schneegestöber vor einem ewig grauen Himmel konnte er vor sich sehen. Doch er selber sah schon genug Bilder vor seinem geistigen Auge. Es waren immer noch einzelne Fetzen, die wohl aus der Zeit stammten, bevor er seine Erinnerung verloren hatte. Doch noch immer konnte er sich aus ihnen keinen Reim bilden. Doch das war nicht mehr so wichtig. Denn das jüngste hatte sich in ihm eingebrannt. Lucy, wie sie angespannt auf dem Boden gelegen und auf den Flammenwurf gewartet hatte, der sie vom Fluch hätte erlösen können. Und Jimmy hatte es nicht über sich bringen können, obwohl Leben und Tod auf dem Spiel standen. Dass Lucy ihn dann auch noch mitleidig und sogar verständnisvoll angeblickt hatte, konnte Jimmy nicht aus seinem Kopf verbannen. Gleichzeitig verwirrte und regte es ihn auf, denn lieber hätte er es gehabt, wenn sie ihn aus ihrer Enttäuschung heraus angeschrien hätte. Doch dass sie sich wortlos von ihm weggedreht hatte, machte ihn fertig.

    Vermutlich dachte sie, er würde nicht mit einem lauten Gebrüll zurechtkommen. Das musste es sein, dessen war sich Jimmy sicher. Sie schätzte ihn trotz aller Reden als schwach ein und Jimmy fühlte es tief in sich, dass Lucy nicht das einzige Pokémon war, das so über ihn dachte. Das Gefühl, das er bei dem Gedanken hatte, war jedenfalls nicht neu und war mehr wie etwas, das ihn seit geraumer Zeit begleitete. Er fühlte sich mehr bestätigt in einer dunklen Vorahnung als überrumpelt. Der Schnee, der auf seinen Wangen schmolz, vermischte sich mit den einzelnen Tränen und große Tropfen fielen auf den kalten Stein herab. Und dann erklang ein leises Geräusch, das kaum durch das laute Schneetreiben zu vernehmen war. Es klingelte in Jimmys Ohren immer lauter und ein langsames Klatschen erklang neben ihm: „Du hast es wieder einmal vollbracht, nicht wahr?“


    Erschrocken wandte sich Jimmy nach rechts. Er hatte nicht bemerkt, wie ein anderes Pokémon sich der Höhle genähert hatte. Doch als er zu seiner Rechten blickte, sah er nur ein anderes Panflam neben sich, das lässig, vom Schneesturm vollkommen unbekümmert, an der Wand lehnte und auf ihn herabblickte. Jimmy war vollkommen perplex, wie dieses unbemerkt an ihn herangeschlichen war. Er wollte aufstehen, doch irgendeine Kraft hielt ihn auf dem Boden. Auch das andere Panflam schien dies zu bemerken, denn er hob eine Hand: „Bemühe dich bloß nicht! Mein Besuch wird eventuell nicht von kurzer Dauer sein ...“


    „Wer …“, wollte Jimmy wissen, doch in dem Moment spürte er die Antwort schon tief in sich. Er erkannte die Stimme des Panflams, die seine eigene war. Jimmy wusste, wer das neben ihm war und das andere Panflam lächelte zufrieden: „Gut … ich hatte schon Sorge, du verlierst soweit den Überblick, dass du nicht mehr die Realität und Vorstellung auseinander halten kannst …“

    „Was willst du?“, rief Jimmy gereizt aus und wandte sich ab. Er wollte sich nicht mit einem Hirngespinst unterhalten, er wollte lieber allein sein. Doch der andere Jimmy ließ nicht locker. Unabänderlich blickte er Jimmy an und das regte diesen so sehr auf, dass er sich wütend wieder ihm zuwandte.

    „Kannst du mich bitte in Ruhe lassen?! Ich kann deine Anwesenheit wirklich nicht gebrauchen!“

    „Ich bin da anderer Meinung …“, entgegnete der andere Jimmy hingegen ganz ruhig. Aufmerksam blickte er Jimmy an. „Ich bin der Ansicht, du könntest jetzt erst recht meine Hilfe gebrauchen …“

    „Ich komme ganz gut ohne deine Hilfe klar!“, fauchte Jimmy zurück und hielt seine Ohren und Augen zu. Er sah aber immer noch die glatte Miene des anderen Jimmys vor sich in der Dunkelheit und auch seine Stimme drang genauso laut wie zuvor in sein Ohr: „Ich wäre nicht hier, wenn du es dir nicht selber im tiefsten Unterbewusstsein wünschen würdest. Also gehe ich stark davon aus, dass du meine Hilfe brauchst. Es scheint mir, als benötigst du eine andere Perspektive.“

    „Auf was genau?!“, fauchte Jimmy wütend zurück, richtete sich mit einem Satz auf und blickte seinem Doppelgänger ins Gesicht. Allein seine lässige Haltung und die Klarheit seiner Augen machten Jimmy fast rasend. Wäre er gerade nur in der Verfassung, einfach um mit diesem nervigen Jimmy gleichauf zu sein. Doch als würde dieser seinen Gedankengang erspüren, lächelte er belustigt: „Du? Mit mir gleichauf? Träum weiter, Jimmy! Wir wissen beide, dass das so schnell nicht passieren wird.“


    „Und warum nicht?!“, giftete Jimmy zurück und seine Fäuste ballte sich. Der andere Jimmy hingegen blieb seelenruhig an der Wand gelehnt, als bräuchte er rein gar nichts zu befürchten. Jimmy musste es im Stillen zugeben, dass er auch allen Grund dazu hatte. Wie sollte man auch etwas schlagen können, das nur in der eigenen Vorstellungskraft existierte.

    „Ich kann mir schon denken, dass du mich gern wegdenken würdest, aber so wie du gerade drauf bist, werde ich wohl eine Weile bleiben.“

    „Ich habe aber keine Lust, mit dir zu reden!“, rief Jimmy und wandte sich um. Doch wohin er auch blickte, er konnte sein Spiegelbild nicht mehr aus dem Kopf kriegen. Es hatte sich in sein Sichtfeld eingebrannt. Jetzt löste sich dieses Spiegelbild von der Wand und schritt an Jimmy vorbei. Als würde er die Aussicht auf etwas Anderes als Schnee und Grau genießen, blickte er milde lächelnd in die graue Weite.

    „Du kannst sagen und tun, was du willst, meine Worte wirst du dir trotzdem anhören müssen“, sagte dann der andere Jimmy mit leichtem Nachdruck. Und der echte Jimmy konnte dem nichts entgegen setzen. Tatsächlich wollte er es auch nicht. Zufrieden nickte der andere Jimmy, ohne sich umzuwenden.


    „Also …“, begann der andere Jimmy. „Wieso hast du bei Lucy gezögert?“

    Jimmy erwiderte nichts. Wenn sein Doppelgänger wusste, was er fühlte und dachte, dann brauchte er nicht zu antworten. Doch dieser schüttelte den Kopf: „Ich kann dir nur helfen, wenn du es selber nochmal laut aussprichst, Jimmy. Noch einmal: Warum hast du bei Lucy gezögert, obwohl ihr Leben auf dem Spiel steht?“

    „Ich …“, begann Jimmy, doch seine Antwort wehte im Wind davon. Erwartungsvoll blickte ihn sein Doppelgänger an: „Ich warte.“

    Jimmy blieb der Mund verschlossen, denn ihm fiel keine richtige Antwort ein. Und um den Ganzen noch die Krone aufzusetzen, seufzte der andere Jimmy enttäuscht.

    „Aufgrund deiner Lage fällt es mir selber gerade schwer, ein komplettes Bild zu zeichnen, doch ich scheine dich zumindest daran erinnern zu können, dass es nicht das erste Mal ist, dass du wen zu enttäuschen glaubst, oder?“

    Jimmy blickte eine Weile ihn mit ausdruckslosem Gesicht an.

    „Ich kann mich zwar immer noch nicht erinnern … aber ich denke, du hast Recht …“, gab er dann kleinlaut zu. Der andere Jimmy machte eine Geste mit der Hand und bat damit um mehr Informationen. Jimmy seufzte und horchte in sich hinein.


    „Ich habe das Gefühl, als hätte ich vorher schon bestimmte Erwartungen nicht erfüllen können. Und andere wären von mir enttäuscht gewesen …“

    „Und was hat es mit dir gemacht?“

    „Na, was wohl?“, fluchte Jimmy vor sich hin. „Das hat mir zu denken gegeben!“

    „Aber warum? Und über was denkst du?“, fragte der andere Jimmy in gespielt ahnungslosen Ton. An der Schläfe des echten Jimmy pochte eine Ader: „Wenn du ich bist, dann weißt du das ganz genau!“


    Der andere verdrehte die Augen und trat so dicht an Jimmy heran, dass ihre Gesichter nur wenige Zentimeter voneinander entfernt waren. Eindringlich blickte der andere Jimmy dem echten ins Gesicht: „Ich will, dass du es dir selber laut sagst!“

    Nur zu gern hätte Jimmy seinem Gegenüber eine verpasst, doch als dieser sich wieder entfernte, fühlte er sich auf einmal alleine und zurückgelassen. Selbst sein imaginäres Ich scheute ihn. So schlimm also war es um ihn bestellt, dass er sich selber zu meiden schien.

    „Ich …“, sagte Jimmy zittrig und kämpfte gegen den Strom an Tränen, der sich in seinen Augen aufbaute. „Ich … bin … absolut nutzlos und … andere … übersehen mich einfach … oder schätzen mich nicht wert … wie ich es gerade erlebt habe …“


    Er stockte und wandte sich ab in der Hoffnung, der andere Jimmy würde es nicht sehen, wie er schluchzend und schniefend die Tränen wegwischte. Doch er wusste, dass dies wenig Zweck hatte. Eine lange Pause verging, in der der eisige Wind hart gegen die feuchten Stellen in Jimmys Gesicht schlug und diese fast augenblicklich gefrieren ließ. Dann meldete sich langsam der Andere zu Wort: „Ist es das, was du bist … oder ist es das, wie du fühlst?“

    „Was?“, fragte Jimmy perplex und drehte sich wieder um. Er betrachtete das ausdruckslose Gesicht des Anderen, der ihn stumm musterte, doch er sollte mit der Sprache rausrücken, wenn er doch hier war, um ihn zu nerven.

    „Was meinst du damit?“, wiederholte Jimmy fahrig. „Ist doch beides das Gleiche!“


    „Das glaubst du wirklich?“, entgegnete der Andere langsam und ein mitleidiges Lächeln spielte sich um seine Lippen. Der Flammenwurf von Jimmy schoss direkt durch ihn hindurch, ohne dass irgendeine Brandspur zu erkennen war. Er hätte es sich denken können, doch Jimmy wollte den anderen für dieses eine Lächeln, das er so oft schon gesehen hatte, eine verpassen. In dem Moment schob sich ein Bild in seine Erinnerung: Ein riesiges Impergator mit blauem Kamm, das ihn argwöhnisch anblickte. Und er hörte sich selbst etwas rufen, auch wenn die Worte klangen, als würden sie im Wasser ausgesprochen werden: Und wenn … benutzen … es gibt … und mich!


    Was war das nur für eine Erinnerung und wieso fühlte sich diese so an, als wäre sie keine zwei Wochen alt? Doch Jimmy konnte sich nachwievor nicht an mehr erinnern. Dies schien auch der andere zu bemerken, der ihn aufmerksam musterte: „Dieses Bild nervt dich, oder?“

    „Ach!“, winkte Jimmy wütend ab. Er brauchte nicht nochmal die Bestätigung, dass andere ihn als schwach und nutzlos ansahen, doch damit wollte sich der andere Jimmy nicht zufrieden geben: „Bleib bei dem Bild und sag es mir: Bist du nutzlos oder fühlst du dich nutzlos? Denn du weißt es genauso wie ich – weil ich du bin und du ich bist -, dass da ein himmelweiter Unterschied liegt!“


    „Und wenn schon!“, rief Jimmy laut, dass er sogar den heulenden Wind übertönte: „Dann trifft es dennoch auf jeden Fall zu, dass ich schwach und nutzlos bin, für andere eine Last! Ich bekomme es nicht mal fertig … jemandes Leben zu retten … wenn ich doch der einzige bin … der es …“, und Jimmys Stimme verzagte. Er sank auf den Boden und umschlang mit seinen Armen seine Knie. In diesem Moment lag Lucy inmitten der Höhle, gegen Qualen kämpfend, und er saß nun draußen in der Kälte und machte sich Vorwürfe. Auch der andere Jimmy schüttelte den Kopf: „Wow … du hast wirklich ein Problem, und zwar mit dir selbst … Das ist dir klar, oder?“


    Eine lange Zeit verging, in der keiner von beiden ein Wort sagte. Auch der andere Jimmy ging vor dem echten in die Hocke und sah ihn lange und nachdenklich an. Dann war er auch, der das Schweigen zwischen ihnen wieder brach: „Sei ehrlich, Jimmy: Wieso hast du bei Lucy gezögert?“

    Dieses Mal horchte Jimmy in sich hinein und obwohl er mehrere Dinge als unangenehm, sogar recht bedrückend empfand, schaffte er es doch, eine Antwort zu formulieren:

    „Was wäre … wenn ich diese eine Aufgabe ebenso vermassle? Wenn ich irgendetwas falsch mache, wenn ich mein Feuer zu lange darauf halte oder zu wenig? Lucy wäre im Grunde genauso, vielleicht auch schlechter dran als zuvor. Vermutlich würde ich sie sogar umbringen, wenn ich es vermasseln würde. Und ich kann … ich will das nicht auf mich nehmen. Doch nun liegt sie darin und ist fast schon am Sterben! Und ich sitze hier und mache mir Vorwürfe darüber, dass ich sie nicht vorher von ihrem Leiden erlöse! Wie würdest du dich fühlen? Kannst du so einfach die Angst vor dem Versagen vergessen, wenn so viel auf dem Spiel steht, soviel von dir allein abhängt? Das ist … einfach zu viel Druck … und ich komme damit nicht zurecht. Und ich weiß keinen Ausweg daraus! Wie gehst du damit um? Hallo?“


    Jimmy blickte auf und musste verdutzt und auch mit Entsetzen feststellen, dass sein anderes Ich verschwunden war. Hektisch blickte er sich um, doch dieses schien zurück in das Reich seines Unterbewusstseins zurückgekehrt zu sein. Es hatte die Antwort, die es wollte, und offenbar schien er nicht dabei sein zu wollen, wenn Jimmy deswegen fast einen Nervenzusammenbruch hatte.

    „Ganz ehrlich …“, flüsterte Jimmy dann besiegt, „ich kann es dir nicht verübeln … ich würde auch nicht länger mit jemanden wie mir abhängen …“


    Und Jimmy gab sich seinem Leiden hin, während der Wind umso erbarmungsloser auf ihn einschlug.

  • Part VI: Der Tod des Wächters


    Du kennst einen sicheren Weg zum und auf den Lawinenberg?“, fragte Emil und beäugte die kleine Raupe argwöhnisch. Diese blickte mit aufgeregtem Funkeln in ihren schwarzen Knopfaugen zurück: „Oh ja! Wie ich schon sagte, meine Mami hat mir von diesem Weg erzählt! Natürlich …“, und verlegen ließ sie den Kopf hängen, „müssen wir ein kleines Stück durch die Tundra und ich kann mir denken, dass es für euch kein Zuckerschlecken wird.“


    Ihr Blick huschte zu Max, der auch verstand. Als Pflanzen-Pokémon würde er Schnee und Eis am allerwenigsten vertragen. Fast automatisch zog er darauf das Hitzeband enger um seinen Hals. Doch Emil schien nicht zufrieden mit der Antwort der Raupe.

    „Du sagtest, deine Mutter ist hoch zum Lawinenberg, um den Wächter dabei zu helfen, das Böse abzuwehren? Ich würde denken, der Wächter wäre stark genug, um sich mit den Eindringlingen zu befassen, meinst du nicht?“

    „Das weiß ich nicht so genau …“, gab die Raupe zu. „Ich habe ihn nur einmal im Leben gesehen. Arktos – das ist sein Name – ist sehr nett. Er summt gerne Lieder vor sich hin. Meine Mami bezeichnete ihn hin und wieder als einen alten seltsamen Kauz, und ich finde dass der Name passt. Aber dass er ein Wächter ist, müsste doch eigentlich heißen, dass er stark ist, oder?“

    „Das frage ich dich“, entgegnete Emil und kratzte sich nachdenklich am Hals. „Wenn sie aber dem Wächter helfen will, wieso hat man auch nach dir gesucht? Schließlich ging die Gefahr für diese Eindringlinge von deiner Mutter aus, da sie offenbar auch recht stark zu sein scheint …“


    „Sie ist sehr stark und das wirst du noch sehen!“, rief die Raupe entrüstet aus, während Tränen in ihren Augen glitzerten. Rose trat heran, warf Emil einen verärgerten Blick zu und wandte sich der Raupe zu: „Sag mal, Kleines … wie ist dein Name eigentlich?“

    „Oh, habe ich den noch gar nicht gesagt? Ich heiße Eva!“, sagte die Raupe erstaunt und wandte sich rasch den anderen zu. Auch sie stellten sich der Reihe nach vor, auch Emil, wenn er dies auch recht zögerlich tat. Es war offensichtlich, dass er skeptisch blieb. Max erinnerte sich an die Worte, die Emil ihm in der Schädelwüste mitgeteilt hatte: Halte dich immer für das Schlimmste bereit und du wirst aufs Neue immer wieder überrascht. Hatte Emil etwa damit gemeint, dass man nicht sofort Vertrauen zu Pokémon finden sollte, die man erst getroffen hat? Max blickte zur Raupe und er fand, dass von ihr keine Gefahr ausging, geschweige denn könnte.

    „Kommt schon!“, rief Eva aufgeregt aus und sie nahm Roses Angebot an, auf ihre Schulter zu krabbeln, um so von ihr getragen zu werden. Rose schauerte, als Eva mit ihrer eisigen Unterhälfte an ihr haften blieb. „Je eher wir losgehen, desto eher treffen wir auf meine Mami und den Wächter!“

    Sie zuckte mit ihrem Kopf in die Richtung, in die die Erkunder gehen sollten. Sie alle blickten sich an und kamen stumm zu der Übereinkunft, dass sie Eva als Wegführerin vertrauen würden. Während sie von der Stelle traten und sich erneut den Weg durch den Wald bahnten, sah Max, wie Emil mit wachsamen Blick auf Eva und auf die Umgebung seine Klappen geöffnet ließ, bereit zum Schießen, wenn dies erforderlich war.


    Auch mit Hitzeband waren die Winde der Firntundra eiskalt und bissen auf der Haut. Auch die anderen hatten sichtlich mit ihnen zu kämpfen. Iro hielt seinen gesunden Arm vor die Stirn und ging leicht gebeugt, sodass die harten Schneeflocken nicht gegen seine Augen schlugen. Bei Shadow, Vane, Emil und Rose sah es nicht anders aus, nur Eva wirkte recht munter, auch wenn Max nicht viel von ihr in dem Schneegestöber ausmachen konnte. Er blickte hoch. Es war kaum auszumachen, ob dieses endlose Grau entweder den Himmel, Wolken oder doch nur einen Nebel darstellte, der die gesamte Tundra zu umhüllen schien. In dem Moment war Max froh, dass sie in Eva eine Einheimische gefunden hatten, die sich tatsächlich auskannte. Sie selber hätten sich ohne Karte bestimmt leicht verlaufen. Sie, auf Roses Schulter sitzend, führte die Gruppe an und rief der Miltank entgegen dem lauten Heulen des Windes die Richtung zu, wenn sie etwas von der abwichen. Wie schon in der Schädelwüste stellte sich das Waten durch den Schnee ebenso als eine Herausforderung heraus. Max fragte sich fast aus Reflex, wie Jimmy sich durch diesen geschlagen hätte. Und obwohl der Gedanke an ihn Max‘ Herzen einen Stich versetzte, spürte er doch, wie er dieses Mal weniger verzweifelt wurde. Der Gedanke, dass es Jimmy gut ginge und er sich in guter Begleitung befand, wie Shadow es beschrieben hatte, beruhigte Max und auch wenn die Schädelwüste ein lebensfeindlicher Ort war: Max glaubte, dass Jimmy es in dieser wesentlich besser hatte als er in der Tundra. Als Feuer-Pokémon müsste sich Jimmy in wärmeren Umgebungen auch besser fühlen als in kälteren.


    Max schüttelte den Kopf. Es war nicht der Zeitpunkt, an Jimmy zu denken, während er seine Energie und Konzentration darauf ausrichten musste, nicht die anderen aus dem Blick zu verlieren. Er konnte nur hoffen, dass keiner in dem Schneesturm verloren ging. Erneut dachte er an Jimmy und wie ein Sandsturm ihn von Max und Iro getrennt hatte. In dem Moment schoss Max ein erschreckender Gedanke durch den Kopf: Was, wenn die Firntundra genauso beschaffen war? Schneestürme, die sie von A nach B und von dort nach C teleportieren würden? Doch Eva hätte etwas gesagt, wenn dem so wäre, oder nicht? Andererseits, wenn sie schon vergaß, sich vorzustellen ...


    Doch zum Glück bewahrheiten Max‘ Sorgen nicht. Als Eva nach einer halben Stunde, die sich wie eine volle angefühlt hatte, laut „Wir sind da“ rief, blickte Max mit zusammengekniffenen Augen in die Gegend vor ihnen. Langsam schälte sich aus dem Nebel das mit grauen Steinen belegte Ufer eines Sees, der sich zugefrorenen in die weitere Tundra erstreckte. Während sich nach links dieses Ufer im Nebel verlor, befand sich rechts eine Art Pfad, der tiefer führte. Als sie diesen eine Weile beschritten hatten, sah Max, dass sie von beiden Seiten von Felsen umgeben waren, die sich immer höher auftürmte. Der Wind heulte nun oberhalb dieser Felsen und schlug ihnen nicht mehr entgegen, sodass sie endlich wieder sich gegenseitig hören konnten. Shadow stieß einen Freudenschrei aus und warf sich auf den Boden.


    Fester Boden!“, rief er mit Betonung auf das erste Wort aus und verschwand in diesen, nur um gleich darauf aus diesem wieder hervorzutreten: „Dieser Schnee war einfach unerträglich zum Begehen! Ich bin gerade über jedes Flecken fester Erde richtig froh!“

    „Sicher, dass du uns nicht alle in deinem Schatten hättest mitnehmen können?“, funkelte ihn Rose erschöpft keuchend und argwöhnisch. Das Gengar schüttelte den Kopf: „Ihr wisst ja, wie kühl es in meinem Schatten werden kann. Hätte ich euch in meinen Schatten gepackt, wäret ihr alle schockgefroren gewesen, denn der Schattenraum passt sich den Außentemperaturen an. Die Wüste war kein Problem, aber so ein bitterkalter Schnee wie hier …“

    „Geht es hier zur Abkürzung, von der du uns erzählt hast?“, rief Emil über das freudige Schluchzen von Shadow hinweg und wandte sich damit an Eva, die sich auf Roses Schulter umdrehte und eifrig nickte.

    „Genau! Wobei …“, und Sorge trat in ihr Gesicht. „Normalerweise ist der See nicht zugefroren. Jetzt denke ich mir gerade, dass man auch durchaus über diesen laufen könnte …“

    „Was wäre die Alternative?“, warf Vane neugierig ein.

    „Ein paar Schritte weiter befindet sich der Eingang zu einer Höhle, die den kompletten See umgeht“, erklärte Eva ihm. „Für jene Pokémon, die keine guten Schwimmer sind, hat man einen Weg durch den kleinen Berg gegraben, den wir gleich sehen werden. Der Eingang ist gleich da vorne um die Ecke!“


    „Das ist mir ehrlich gesagt auch lieber, wenn wir durch die Höhle gehen“, sagte Max mit erleichtertem Lächeln und wandte sich an Iro: „Je weniger wir diese scharfen Winde ertragen müssen, umso besser. Iro, alles in Ordnung?“

    Iros Blick hatte sich verengt und konzentriert blickte der Alligator zu Boden. Dann hob er seinen Arm und gebot alle zu schweigen.

    „Hört doch mal …“, sagte er langsam, als die anderen ihn verdutzt anblickten. Sie horchten in die Luft, in der nur leise das Heulen von oberhalb widerhallte. Dann hörten sie es. Eine Art Klicken, das durch die Luft echote und aus der Ecke vor ihnen kam. Und dann ertönte es wenige Sekunden später erneut und dieses Mal klang es, als würde etwas dadurch brechen. Der Verursacher des Klickens ließ sich nicht davon stören und fuhr unbeirrt fort. Eine Weile lang horchten sie dem Geräusch und stumm sahen sie sich an. Wie sollten sie vorgehen? Und was war es für ein Wesen, das dieses Geräusch verursachte?

    Sie beschlossen, Kampfstellung einzunehmen. Emil ließ seine Kanonen hervorschnellen, Iro und Vane ballten die Fäuste und Max hatte eine Laubklinge im Anschlag. Langsam näherten sie sich der Ecke und wollten um diese Blicke, doch Eva sprang ohne viel Federlesen von Roses Schulter an, sobald sie nahe genug dafür waren, um die Ecke zu blicken. Sie plumpste auf den Boden und das Klicken erstarb. Dann – und die anderen blickten sich entsetzt an – rief Eva munter aus: „Hallo!“

    Sie hatten nur eine Sekunde Zeit zum Reagieren. Max preschte nach vorne und schnappte sich Eva, während Emil so schnell um die Ecke huschte wie er konnte. Von ihm als auch von weiter vorne leuchteten helle, azurfarbene Blitze auf, die aufeinander zuschossen. Sie trafen aufeinander und eine Welle von Kälte goss sich über die Erkunder. Die Blitze prallten dann unter dem Geräusch von zerbrechendem Eis voneinander ab und schlugen auf den Felswänden links und rechts von ihnen ein. Dort, wo die Blitze eingeschlagen waren, formten sich jäh Eiskristalle, die spitz vom Stein ragten.

    „Himmel!“, kam es von vorne. „Ihr habt mich erschrocken! Ich dachte schon, diese Eisbiester würden mich gleich überfallen!“


    Ein seltsam geformter Schatten robbte durch den leichten Nebel auf sie zu. Und das war eine sprichwörtliche Beschreibung, denn ein robbenartiges Pokémon mit weißem Fell und einem kleinen Horn auf dem Kopf kam auf sie zu. In dessen braunen Augen lag sowohl Neugier als auch Argwohn und es sah sich die Ankömmlinge genau an. Ein paar Sekunden länger ruhte dann sein Blick auf Eva und das Jurob schnaubte ungläubig: „Du hast vielleicht Nerven, hier im Feindesland Hallo zu rufen! Wer seid ihr überhaupt?“

    „Feindesland?“, entgegnete Eva in Max‘ Armen überrascht. „Seit wann ist der Eismond-See Feindesland?“

    „Seit wa-?“, prustete das Jurob und sah Eva perplex an: „Du fragst ernsthaft, seit wann die ganze Firntundra Feindesland ist?“


    „Die ganze Tundra?“, rief Eva sichtlich entrüstet. Sie und das Jurob blickten sich eine Weile verdutzt an, dann verengte sich dessen Blick und es wandte sich den anderen zu: „Auch, wenn ihr keine Eisbiester seid, seid ihr dennoch schlechte Pokémon? Ich kann mich wehren, damit ihr Bescheid wisst!“

    „Wir sind keine“, antwortete Emil trocken und sah sich die Stellen, auf die die Eisstrahlen getroffenen waren. Sein Mund verzog sich: „Du wolltest die Eisbiester mit einem Eisstrahl aufhalten?“

    „Zumindest festsetzen, bis ich sie mit meinem Horn zerschmettert hätte!“, entgegnete das Jurob, welches beleidigt über Emils Anmerkung wirkte. Max fiel auf, dass das Horn wesentlich stumpf und eine Spur zu kurz war. Er hatte die Art der Jurob schon einmal gesehen und im Vergleich zu den vorherigen wirkte dieses eher mager und kümmerlich. Max ließ seinen Blick auf die Stelle gleiten, von der es auf sie zu gerobbt kam. Kaum durch den Nebel erkennbar erkannte Max die schattigen Umrisse eines großen Berges und am Ende des Pfades konnte er schwach schimmerndes Eis erkennen, das sich wie ein Felsen vor einem Höhleneingang aufbaute.


    „Einfach nur verdammt!“, grummelte die Robbe, als sie ihren Blick ebenso zu dem Eis gleiten ließ. „Es dauert Monate, bis ich mich durch dieses Eis gebohrt habe!“

    „Aber seit wann …“, meldete sich Eva bedrückt zu Wort. Sie suchte den Blick des Jurobs, räusperte sich und fuhr dann mit kräftigerer Stimme fort: „Ich kann mich nicht erinnern, dass die Firntundra so komplett zugefroren ist. Seit wann ist das denn so?“

    „Du bist doch von hier, oder nicht?“, bemerkte das Jurob scharf und blickte Eva an. „Wie kann es sein, dass du von all dem Mist nichts mitbekommen hast?“

    „Ich habe … nun …“, antwortete Eva mit verlegener Röte im Gesicht. „Ich habe geschlafen in der Zeit …“

    „Fünf Jahre lang?“, prustete die Robbe ungläubig und klatschte den hinteren Teil ihres Körpers auf den Boden. „Du willst mir ernsthaft erzählen, dass du fünf Jahre einfach verschlafen hast, während diese Hexe hier rumgewütet hat?“


    „Hexe?“, meldete sich Rose dazwischen und auch Eva blickte verdutzt auf. Aus irgendeinem Grund spürte Max, wie es sich bei der Hexe um ein sehr mächtiges Pokémon handeln musste. Er dachte zurück an die Garados, die eingefroren aus einem zu Eis erstarrtem Meer herausragten, und an jene geisterhaft leuchtenden Augen der Eiseule, die sie zuvor beobachtet hatte.

    „Noch eine sehr mächtige dazu“, erklärte das Jurob und Max hörte, wie Angst und auch Wut dessen Stimme belegte. „Ich habe sie vor fünf Jahren nur aus der Ferne gesehen, wie sie den See überschritten hat. Ich würde es euch nicht verübeln, wenn ihr es nicht glauben würdet, doch sie hat diesen in nur wenigen Sekunden zu Eis erstarren lassen. Wie ich auch direkt darauf erfahren habe, hat sie dies mit dem gesamten Meer rund um die Tundra gemacht. Die Pokémon im See und im Meer …“, und das Jurob brach ab. Es schloss fest die Augen und neigte seinen Kopf nach unten. Sein ganzer Körper fing an zu beben und ein langgezogener Schluchzer erklang.

    „Darunter waren auch einiger meiner Freunde und Familie. Sie sind nun alle zu Eis erstarrt! Und die wenigen, die dem entgangen waren, wollten sie aus der Mitte des Sees befreien … bis dann dieses … riesige tentakelartige Vieh aus Eis sie alle …“, und wütend stieß es sein Horn in den Boden und die Erkunder traten erschrocken einen Schritt zurück. Das Jurob blickte zornig auf und in Evas Gesicht: „Wie hast du von all dem nichts mitbekommen können? Wo warst du denn, als diese Eisbiester in die Firntundra eingefallen sind?“


    „Ich wurde von meiner Mami versteckt“, entgegnete Eva trotzig aber sichtlich bestürzt über diese Erzählung. „Sie wollte mich in Sicherheit wissen, während sie dem Wächter Arktos zur Hilfe eilen wollte.“

    „Der Wächter!“, rief das Jurob hysterisch aus. „Der Wächter ist tot! Oder warum sonst hat sich nach fünf Jahren noch immer nichts geändert?“



    Eine eisige Kälte breitete sich zwischen ihnen, die jenseits von der Firntundra kam. Max spürte, wie der Boden drohte, unter seinen Füßen weggerissen zu werden. Der Wächter war tot? Das konnte doch nicht sein! Immerhin war der Wächter Arktos doch so etwas wie ein Halbgott, der Kräfte von Arceus selbst erhalten hatte. Und so ein Pokémon sollte jetzt tot sein? Er erinnerte dann, dass Lashon ihnen erzählt hatte, dass die Wächter zwar nicht durch Alter oder Krankheiten sterben, aber trotzdem noch immer getötet werden können. Auch bei Iro sah Max, dass dieser mit versteinertem Gesicht die Robbe anblickte. „Der Wächter … tot?“, hauchte Rose entsetzt und suchte die Blicke der anderen, als würde sie hoffen, dass irgendeiner von ihnen ihr widersprechen mochte. Dann setzte sie sich wankend auf einen Stein, der in ihrer Nähe war. Eva, die starr vor Entsetzen auf Roses Schultern saß, sah danach aus, als würde ihr das Leben mit jeder Sekunde aus dem Körper weichen.

    Dann sprach sie wieder, und ihre Stimme war kaum noch zu vernehmen, denn sie zitterte heftig: „Du … das kann … das kann nicht sein! Der Wächter … kann nicht tot sein! Meine Mami …“ „Wenn sie dem Wächter wirklich zur Hilfe eilen wollte, dann ist sie wahrscheinlich auch tot!“, setzte das Jurob mit vor Wut und Trauer verzerrtem Gesicht nach. „Und ganz ehrlich, ich hoffe es! Denn wenn sie beide uns alle im Stich gelassen haben, dann-“

    „WEDER MEINE MAMI NOCH DER WÄCHTER HABEN IRGENDWEN IM STICH GELASSEN!“, brach Eva nun so laut aus, dass ihre Stimme mehrfach und nicht weniger laut von den Wänden widerhallte. „UND TOT SIND SIE AUCH NICHT!“


    Trotzig blickte das Jurob sie an, dann schnaubte es: „Du hast ja gepennt, du hast nicht mitbekommen, wie diese Hexe … alles hier auf den Kopf gestellt hat. Kaum war sie über den See in Richtung des Lawinenbergs, kehrte sie nach nur wenigen Stunden wieder zurück, vollkommen unversehrt. Es sah nicht danach aus, als hätte sie sich mit dem Wächter und mit deiner Mutter einen großen Kampf geltet … wenn es für sie überhaupt einer war …“

    „Als ob es ein Pokémon gäbe, das es unbeschadet mit einem Wächter plus Unterstützung aufnehmen könnte“, stieß Shadow mit einem gezwungenen Kichern hervor. „Ich meine …“, doch als er dem Blick des Jurobs begegnete, versagte ihm die Stimme. Langsam schüttelte das Jurob den Kopf: „Bei dem, was ich gesehen habe … bezweifle ich, dass das überhaupt noch ein Pokémon war … allein ihre Präsenz war … unbeschreiblich ... aber bedrückend …“

    Wieder breitete sich Stille, die nur von Evas „Es kann nicht sein … es kann einfach nicht sein …“-Geflüster unterbrochen wurde.

    Max spürte Iros große Hand auf seiner Schulter. Er wandte sich um und sah, wie Iro mit dem Kopf nach hinten ruckte. Max verstand und sie entfernten sich von den anderen, doch spürte Max Emils und Shadows Blick ihnen folgen.


    „Was meinst du, Max?“, fing Iro an und Max verstand, worauf er hinauswollte.

    „Ich will es ebenso wenig wahrhaben, doch es sind fünf Jahre vergangen … Vielleicht …“

    „Heißt das dann, wir haben den ganzen Weg, all die Strapazen, all die Gefahren für nichts erdulden müssen?“, fragte Iro düster und Max fiel darauf keine Antwort ein. Der Gedanke, dass sie von Jimmy getrennt wurden, dass sie mehrmals fast den Tod gefunden hatten, nur um am Ende in eine Sackgasse zu geraten, drohte ihn zu lähmen. Zuvor lag der Weg mit Aussicht auf die Spitze des Lawinenbergs klar vor ihnen. Nun aber schob sich eine undurchdringliche Nebelwolke vor ihnen, die die komplette Sicht versperrte.


    „Und was genau hast du vorgehabt zu tun, ehe wir dich unterbrochen haben?“, schallte Shadows erhobene Stimme zu den beiden hinüber. Max und Iro blickten sich und mit ausdruckslosem Gesicht stießen sie wieder zu den anderen.

    „Wonach sieht es wohl aus?“, antwortete die Robbe trotzig. „Ich will mir einen Weg durch die Höhle bahnen, um an Ende zum Lawinenberg zu gelangen!“

    „Obwohl der Wächter tot sein soll?“, hakte Rose mit Betonung auf das letzte Wort nach. Ihr Blick galt dabei Eva, die starr vor Entsetzen ins Leere blickte.

    „Ob tot oder nicht … das ist mir jetzt egal!“, entgegnete die Robbe abermals trotzig. „Ich rechne mir selber die Chancen als nicht hoch aus, doch wenn es eine Möglichkeit gibt, diesen Fluch zu brechen, dann nutze ich die Chance auch!“

    „Wie willst du diesen Fluch brechen?“, fragte Gengar skeptisch. „Ist das ein Fluch, den ein Geister-Pokémon ausgesprochen hat?“


    „Was weiß denn ich?“, rief das Jurob gereizt aus. „Auf jeden Fall hatte die Hexe da oben irgendetwas zu schaffen gehabt. Sie war schließlich für ein paar Stunden dort, ehe sie die Tundra wieder verlassen hatte. Ich bin mir sicher, dass sie dort auf der Spitze etwas platziert hat, das diesen Fluch aufrechterhält. Und deswegen mache ich mich auf den Weg. Denn wenn es aus Eis ist, kann ich mit meinem Horn zerbrechen!“

    „Wenn am Ende noch etwas von diesem da ist …“, bemerkte Vane knirschend. Wütend funkelte die Robbe jetzt ihn an: „Hast du gesehen, wie dick dieses Eis ist, das sich bis in die Höhle erstreckt? Das und dieses riesige Tentakelvieh aus Eis sowie die ganzen Eisbiester sind alles das Werk dieser Hexe. Die sind nicht einfach so da, oder?“

    „Du meinst …“, fuhr Emil nachdenklich fort, „dies sind alles Schutzmaßnahmen?“


    „Um Eindringlinge daran zu hindern, zum Lawinenberg zu kommen. Genau!“, nickte die Robbe energisch. „Noch ein Grund, weswegen ich glaube, dass dort oben auf dem Lawinenberg etwas ist, dass diesen vermaledeiten Fluch aufrecht erhält. Denn wenn der nicht gebrochen wird, breitet sich das Eis immer weiter, bis es irgendwann die ganze Welt bedeckt.“

    „Das würde passieren?“, rief Rose ängstlich aus. Die Robbe machte große Augen: „Es wird passieren, wenn dieser Fluch nicht gebrochen wird. Der Wächter Arktos war der Einzige, der verhindert hat, dass ein ewiger Winter diese Erde heimsucht. Jetzt, wo er tot ist, steht dem nichts im Wege!“


    Plötzlich meldete sich Eva wieder so laut zu Wort, dass sie abermals zusammenzuckten: „Wieso aber dann muss dann etwas installiert werden, das diesen Fluch aufrecht erhält, wenn der Wächter eh schon tot ist? Wäre es dann nicht möglich, dass er gefangen gehalten wird und deswegen werden die ganzen Maßnahmen gegen Eindringlinge wie uns aufgestellt? Um zu verhindern, dass der Wächter befreit wird?“

    Die Robbe starrte sie eine Weile an. Dann fuhr ein sehr schwaches Lächeln über ihre Schnauze: „An dieser Hoffnung habe ich mich anfangs auch noch gehalten … doch je mehr Jahre vergingen, umso weniger glaubte ich daran. Warum sollte man auch überhaupt das Pokémon am Leben lassen, das als einziges dein Vorhaben eines ewigen Winters zunichte machen kann? Das macht keinen Sinn!


    „Zugegeben …“, hörte Max Shadow ganz leise zu Emil sprechen, „diese Logik ist nicht ganz von der Hand zu weisen …“
    Shadow begegnete Max‘ Blick und beide wandten sich um. Max musste ihm leider Recht geben. Aber auch Evas Argument machte Sinn. Es sei denn, diese Hexe war einfach nur kaltherzig. Als sich Max an die Eule erinnerte, die sie durchdringend geröntgt zu haben schien, kam ihm der Gedanke der Sinn, dass die Hexe stets zusah, wenn es irgendwelche Vorkommnisse in der Tundra oder im Wald gab. Und er stellte sich ein Pokémon vor, dass zufrieden und boshaft das Leid der Bewohner verfolgte.Vane hingegen schien sich nicht so aktiv an diesem Gespräch zu beteiligen. Sein Blick galt vielmehr der dicken Eisschicht, die er eingehend betastete. Erstaunt sah Max, dass er lächelte.
    „Das wird leicht“, hörte er Vane sagen, ehe dieser seine beiden Hände hob, deren Krallen funkelten. Dann stieß er seine mit Diamant besetzten Klauen ins Eis und unter unangenehmen Schaben und Knirschen brach er große Stücke des Eises ab.
    „Vane, was …?“, wollte Rose erschrocken wissen, doch Emil bedeutete ihr, ruhig zu bleiben.
    „Wenn sich Vane was in den Kopf gesetzt hat, zieht er es auch durch“, bemerkte er mit andächtigem Lächeln. Unter ihren Blicken und dem erstaunten Raumen der Robbe grub sich Vane Zentimeter um Zentimeter in das Eis ein und hinterließ dabei ein größeres Loch als die Robbe es je verursacht hätte.

    „So geht die Arbeit natürlich schneller …“, kommentierte sie matt aber erleichtert. „Aber das müsst ihr nicht tun … oder habt ihr selber etwas auf dem Lawinenberg zu erledigen?“


    Sie starrte alle an, die sich gegenseitig anblickten. Dann meldete sich Rose zu Wort: „Nun, ursprünglich hofften wir, den Wächter dort oben zu treffen …“, doch unter dem Blick der Robbe fügte sie rasch hinzu: „Das war aber, bevor wir von der … nun … Situation wussten …“ „Wir werden uns aber trotzdem auf dem Weg machen!“, sagte Max dann dermaßen bestimmt, dass es ihn selbst schon verwunderte. Ein seltsames Gefühl machte sich in ihm breit und er merkte, dass er dieses seit längerer Zeit nicht mehr so intensiv verspürt hatte. Die anderen blickten ihn nicht weniger erstaunt an.
    „Max, du weißt aber, welcher Fall möglich wäre?“, erinnerte ihn Iro mahnend. Doch Max nickte ihm bereits zu: „Ich weiß … doch wie Eva schon sagte …“, und er lächelte der kleinen Raupe zu. „Es kann nicht sein, dass der Wächter tot ist … Es gibt also die Chance, dass er lebt und gefangen gehalten wird. Wenn es die Chance gibt, ihn und Evas Mutter zu retten, so klein sie auch sein mag …“, und Max holte tief Luft, um sich trotz dieser geringen Wahrscheinlichkeit Mut beizubringen. „Wir werden diese Chance nutzen. Ich habe das Gefühl, ich würde es bereuen, wenn wir jetzt umkehren würden, nach allem was wir …“, und der Gedanke an Jimmy ließ ihn verstummen.


    Iro blickte ihn aufmerksam an. Dann nickte auch er langsam. Eva schenkte ihm ein dankbares Lächeln: „Wir werden ihn retten! Und meine Mami!“.

    Rose warf Max ebenso einen dankbaren Blick zu. Einzig Shadow, Emil und auch die Robbe schüttelten den Kopf.

    „Woher ihr eure Hoffnung nehmt … fast schon bewundernswert … oder doch eher naiv?“


  • 20

    Lawinengefahr


    Part I: Der stumme Gigant


    Man sah es dem Jurob, das sich mittlerweile als Pawo vorgestellt hatte, an, dass er lieber selber das Eis zerschmettert hätte, das den Eingang in die Höhle blockierte. In diesem klaffte nun ein ein fast zwei Meter hohes und recht breites Loch, durch das sie alle ohne Schwierigkeiten passieren konnten. Vane machte seine Arbeit sehr gut, stellte Max lächelnd fest. Die Hoffnung, dass der Wächter noch leben könnte, stimmte ihn zuversichtlich. Das sah er auch den anderen an, besonders Eva. Auch wenn Pawo und Emil ihr immer noch skeptische Blicke zuwarfen, ließ sie sich nicht davon beirren. Shadow war in die Höhle, die Vane freigelegt hatte, gehuscht, um diese für ihn mit einem Leuchtorb auszuleuchten. So mussten die anderen warten, bis beide von einem vollständigen Durchbruch berichten konnten. Mittlerweile erklärte Max Pawo und Eva auch, weswegen er und Iro zum Lawinenberg unterwegs waren. Beide zeigten sich als recht gute Zuhörer und als Max geendet hatte, machten sie große Augen und ihre Miene versteinerte sich.


    „Ihr habt noch einiges vor euch“, kommentierte Pawo dann matt. „Ich hoffe dann für euch, dass der Wächter noch lebt …“

    „Macht dir die Sache mit Kyurem keine Angst?“, fragte Iro verwundert. Pawo schüttelte den Kopf: „Wisst ihr, wenn man fast schon alles verloren hat bis auf seine Rachegefühle, dann schockiert einen nichts mehr. Eventuell werde ich eh schon vorher tot sein, bis dieser … dieses Ding Kyurem eintrifft.“

    „Sag doch sowas nicht!“, fuhr Eva ihn an. Max wunderte sich sehr, dass Eva keine Kindlichkeit mehr aufwies. Sie wirkte wie ausgewechselt und nicht mehr wie das weinerliche Kind, das sie im Wald aufgelesen hatten. Max fand jedoch, dass dieser Wechsel zu plötzlich stattfand. Doch seine Gedanken wurden jäh übertönt von den Streitereien zwischen Pawo und Eva:

    „Ich bleibe dabei, dass der Wächter tot ist. Er hätte sich in den fünf Jahren bestimmt befreien können, oder?“

    „Dennoch müssen wir hoffen, dass dem nicht so ist!“, fuhr ihn Eva hitzig an. Ihre kleinen schwarzen Augen verengten sich zu Schlitzen und mit diesen funkelte sie Pawo finster, der sich schnaubend abwandte. Dann füllte sich ihre Miene wieder mit Sorge und sie blickte zu Max und Iro, der ich an eine Wand gelehnt hatte und seinen bandagierten Arm betrachtete.

    „Wenn Kyurem also nicht rechtzeitig abgewehrt wird … hm … verstehe …“, und sie schloss die Augen und öffnete sie eine Zeit lang nicht mehr. Sie sah aus, als würde sie schlafen, und Max fragte sich, ob sie tatsächlich eingenickt war.

    „Eva?“, fragte Rose, die zur ihrer Rechten saß, vorsichtig und beugte sich langsam runter. Sie hielt einen Huf vor ihr Gesicht und Erleichterung zeigte sich in ihrem Gesicht: „Sie atmet. Ich dachte gerade wirklich …“

    „Wieder eingepennt?“, meldete sich Pawo bissig zu Wort und blickte Eva an. „Dabei hat sie doch angeblich fünf Jahre geschlafen … und ihr habt sie so gefunden?“


    Rose erzählte dann, wie sie im Wald auf Eva getroffen waren. Pawo war mehr daran interessiert, wie sie überhaupt dahingekommen war und wie sie die fünf Jahre überstanden hatte. Als Rose dann auch das erzählte, was sie von Eva erfahren hatten, senkte Pawo nachdenklich den Kopf.

    „Ihre Mutter … muss entweder ein Flugpokémon sein oder eines das sehr schnell rennen kann. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass ich nur die Hexe zum Lawinenberg habe gehen sehen, von einem anderen Pokémon war keine Spur zu erkennen. Aber die Mutter von der Kleinen …“, und er ruckte mit dem Kopf zu Eva, „muss doch bestimmt so aussehen wie sie oder? Und schnell zu Fuß ist die ja nicht, wenn ihr sie tragen müsst, oder?“

    „Das habe ich mich auch schon gefragt“, pflichtete Emil ihm prompt bei. Eva machte noch immer keine Anstalten, auf sie zu reagieren. Emil schien darüber froh zu sein, seinen Gedankengang fertig zu äußern: „Ich frage mich, welche Kräfte ihre Mutter hat, wenn sie dem Wächter zur Hilfe eilen wollte.“

    „Wenn sie diese überhaupt hat“, ergänzte Pawo mit einem Nicken. „Gut möglich, dass sie sich da überschätzt hat.“

    Rose schien davon genug zu haben, denn mit einem Satz stand sie auf ihren Hufen und funkelte Emil und Pawo wütend an: „Ihr beide solltet euch was schämen! Was wenn Eva euch gerade jetzt hören kann, wie ihr über ihre Mutter spricht?“

    „Wir beleidigen sie ja nicht!“, entgegnete Emil entrüstet. „Wir überlegen uns nun mal auch, wie es sonst sein könnte. Wir können nicht all optimistisch sein, Rose.“

    „Solltet ihr aber, ihr zuliebe!“, fauchte Rose zurück.


    Max und Iro blickten sich an und überlegten, ob sie einschreiten sollten, doch das war nicht mehr nötig. Vane und Shadow schoben sich aus dem Loch im Eis hervor und grinsten zufrieden.

    „Es ist getan!“, verkündete Shadow stolz.

    „Der Weg zum Lawinenberg ist freigelegt!“, rief Vane aus. „Wollen wir los?“

    Der im Eis freigelegte Höhlengang war zwar breit genug, dass sie alle passieren konnten, doch mussten sie hintereinander gehen. Auch war die Höhle nur schwach beleuchtet. Ganz vorne führten Vane und Shadow die Gruppe an, wobei Shadow nachwievor einen Leuchtorb in der Hand hielt, und ganz hinten hob Iro mit seinem gesunden Arm einen anderen hoch. Dieser ließ aber mittlerweile an Leuchtkraft nach, sodass Max vor sich seltsam tanzende Schatten und Silhouetten im Halbdunkel erkennen konnte. Zudem war der Boden auch glatt und Max fragte sich, ob die gesamte Höhle, wie groß sie auch sein mochte, mit Eis ausgefüllt war. Doch etwas Gutes hatte es dann doch: Es konnte ihnen kein Feind auflauern, da er sonst mit im Eis eingeschlossen gewesen wäre. Auch von vorne und hinten kamen keine Anzeichen, dass sie erwartet oder verfolgt wurden. Nach einigen Minuten dann hörte Max dann Wind durch die Höhle heulen und er spürte es auch am kalten Luftzug auf seiner Haut, dass sie sich dem Ausgang näherten. Und dann endlich traten sie nach draußen und konnten die Bewegungsfreiheit wieder genießen. Jetzt aber wäre es Max lieber gewesen, sie würden noch etwas enger beieinander sein, denn der Wind war wieder sehr eisig und weil sie dieses Mal nicht von hohen Felswänden umgeben waren, schlug der Wind gegen ihre Körper. Links war der See zu erkennen, dessen anderes Ufer sie erreicht hatten. Auch Pawo warf dem Blick einen wütenden und zornigen Blick zu.


    „Dort in der Mitte … wie gerne würde ich dieses … dieses Ding zerstören …“

    Auf Max‘ fragenden Blick hin schlug Pawo einen Brocken von einem nah gelegenen Stein ab und schleuderte ihn mit seiner Schwanzflosse auf die gefrorene Oberfläche. Sofort schlitterte der Stein in den Nebel und war verschwunden. Doch nun drang aus diesem ein unheimlich lautes und knirschendes Geräusch und Max hörte in der Entfernung das Krachen von etwas, das wie massive Eisblöcke klang. Auch die anderen wirkten wie vor Schreck erstarrt und blickten auf die Oberfläche des Sees.

    „Wäre das einer von uns gewesen“, erklärte Pawo düster, „wäre dieser entweder zu Eis gefroren, zerschmettert oder zu Eis gefroren und dann zerschmettert. Eines von diesen drei Dingen jeweils …“

    „Entsetzlich!“, rief Rose so schwach aus, dass ihre Stimme im Wind fast unterging. Pawo schloss die Augen. Weil Max in nächster Nähe war, hörte er ihn etwas flüstern: „Ich werde euch rächen … Bruder … Mutter …“

    Und ein anderes Wesen schob sich zwischen den beiden. Max bemerkte, wie Eva mittlerweile aufgewacht war und sich nun Pawo genähert hatte. Sie ließ ihren Kopf gegen den seinen fallen und zum ersten Mal, seit sie Pawo getroffen haben, weinte dieser unerbittlich.

    „Es tut mir so unendlich leid, was mit ihnen passiert ist, Pawo“, sagte Eva liebevoll. Sie schmiegte ihren Kopf an und Pawo, der offenbar nicht wollte, dass man seine Tränen sah, vergrub den Kopf im Schnee. Sie ließ erst von ihm ab, als er seinen Kopf wieder herauszog, ihr einen dankbaren Blick zuwarf und dann sich mit grimmiger Miene der Tundra vor ihnen wandte.


    Noch immer schob sich ein undurchdringlicher Nebel in ihr Sichtfeld und Max fragte sich, ob sie in die richtige Richtung blickten. Doch Eva schien sich dessen sicher zu sein. Entschlossen ließ sie sich von Rose aufnehmen und bedeutete ihnen, ihr in den Nebel hinein zu folgen.

    „Wie weit ist es eigentlich noch?“, fragte Shadow, der nun am ganzen Schattenkörper zitterte und mit den Zähnen klapperte. Auch Max hatte das Gefühl, als würde sein Hitzeband an Kraft verlieren. Oder wurde es letztlich kälter, je näher sie dem Lawinenberg kamen?

    „Es ist zwar noch etwas hin“, rief Eva laut von Roses Schulter ihnen zu, „doch wenn wir Glück haben, werden wir hier in der Nähe Hilfe erhalten.“„Hilfe? Was soll das denn sein?“, rief Vane ebenso laut aus.

    Doch nur wenige Augenblicke spürten sie diese sich ankündigen. Mit seinen Füßen, die etwas taub vor Kälte waren, spürte Max den Boden leicht erzittern. Und dann wieder. Und dann erneut. Als würde etwas Schweres im Rhythmus immer wieder auf dem Boden fallen. Der Urheber des Geräuschs schob sich dann wenige Augenblicke hervor und Max stieß fast einen Schrei aus. Ein gigantischer Schatten schälte sich aus dem Nebel vor ihnen, welcher von zwar kleineren, aber dennoch ziemlich großen Schatten begleitet wurde.

    „Oh nein …“, rief Eva dann aus und Max fürchtete schon, dass sie angegriffen wurden. Doch Eva stieß einen traurigen Seufzer aus: „Euch hat es auch erwischt? Nur ihr drei seid noch übrig?“


    Sie sprach wohl mit den Schatten, denn ihr Gesicht war diesen zugewandt. Dann wurde auch, als die Pokémon sich in ihrer nächsten Nähe befanden, deutlich, um was es sich bei ihnen handelte. Kleinere Vertreter dieser Art hatte Max mit Jimmy schon auf den Blizzardinseln gesehen. Sie waren nur einen Meter größer als er gewesen und auch ihre Rüssel waren nicht so lang. Von ihren Stoßzähnen, die lang und gebogen nach vorne wuchsen, wusste Max, dass sie so hart wie Eisen waren. Nun aber traten Mammutel auf sie zu, die an Größe kaum zu übertreffen waren. Während die kleineren nur geschätzt drei Meter maßen, war das größte von ihnen ein Gigant. Allein seine dicken mit dichtem langen Fell bewachsenen Beine waren um die drei Meter hoch und obendrauf ragten vier weitere Meter in den Himmel. Von diesem Riesen fielen vom Rücken an lange Vorhänge von Fell bis zum Boden, sodass es den Anschein hatte, als würde ein haariges Zelt vor ihnen stehen. Auch die Augen des gigantischen Mammutels waren kaum unter dem dichten Gestrüpp zu erkennen gewesen. Dennoch sah Max deren Weiß und er spürte, wie der Gigant auf sie hinabblickte und eindringlich musterte. Eva schien die drei zu kennen, denn sie lächelte schwach und bedeutete Rose auf sie zuzulaufen. Shadow machte schon Anstalten, sie aufzuhalten, doch Eva drehte sich zu ihnen um.


    „Macht euch keine Sorgen, die Mamutel sind freundlich gesinnte Pokémon. Sie sehen imposant und einschüchternd, doch sie würden nie …“, doch Eva musste sofort erkennen, dass sie dieses Mal falsch lag. Denn unter dem stummen Blick des Giganten traten die zwei kleineren Mamutel auf sie und Rose zu und erhoben ihr Haupt zur Seite. Es war zu deutlich, dass sie angreifen wollten, doch Rose und Eva waren zu perplex, um darauf zu reagieren. Und sie hätten die massiven Stoßzähne gespürt, wenn nicht Iro und Vane rechtzeitig zu ihren Seiten gesprungen wären. Iro stemmte sich erst mit seiner gesunden Körperhälfte gegen den herabschwingenden Kopf des Mamutels, ehe er eines der Stoßzähne mit seinem linken Arm im Griff hatte. Vane, der keinen im Gips eingewickelten Arm hatte, wurde nicht derartig eingeschränkt. Mit diamantverstärktem Panzer fing er mühelos die Wucht des zweiten Mamutels auf und fasste dann auch dessen Arm. Dann vollführten beide eine leichte Drehung, sodass sie die riesigen Körper der Mamutel gegeneinander schlugen. Ein röchelndes trötendes Geräusch erklang und die beiden Mamutel blieben sofort reglos am Boden liegen.

    „Aufhören!“, rief Eva schrill aus und Rose trat zu jedem der beiden Erkunder heran und scheuchte sie von den Mamutel.

    „Hätten wir sie euch etwa zermalmen lassen sollen?“, reagierte Vane empört über Roses Kritik, dass sie sich keine Feinde machen sollten. Iro hingegen betrachtete argwöhnisch die auf dem Boden liegenden Mamutel, die sich schwach regten.

    „Vane? Kamen sie dir nicht für ihre Größe etwas zu … leicht vor?“, sagte er und sein Blick verfinsterte sich.


    „Leicht?!“, horchte Rose scharf auf und wandte sich nun den beiden Mamutel zu. Sofort ließ sie sich ihnen auf dem Boden nieder und untersuchte sie. Dass der Wind um ihnen herum heulte und sie scharf in die Körper biss vergaßen sie alle in dem Moment. Max und die anderen beobachteten Rose dabei, wie sie langsam und vorsichtig die Körper der Rüsselpokémon untersuchte. Dann erstarrte sie und durch den feinen Neben erkannten sie gerade noch, wie Rose zitterte.

    „Sie … sind komplett abgemagert! Nur noch Haut und Knochen …“, hauchte sie entsetzt und das laut genug. Max drehte sich der Magen um. Er konnte sich kaum vorstellen, wie die Mamutel unterhalb ihres langen zottigen Fells aussehen mussten und wenn er es versuchte, sah er ein furchtbares und außerirdisches Bild vor seinem Auge. Auch den anderen sah er die Beklommenheit in den Gesichtern an. Iro blickte angewidert zu Vane, der ebenso beschämt dreinblickte.


    Eva gab Rose ein Zeichen, dass sie sich wieder aufrichten sollte, und als sich erhob, wandte sie sich dem gigantischen Mamutel zu, dessen Funkeln in seinen Augen erloschen war.

    „Großer Mammoth! Ich kann verstehen, dass Ihr wütend seid! Doch ich versichere Euch, dass diese Pokémon nichts mit dem Fluch zu tun haben, der sich seit fünf Jahren über die Tundra gelegt hat!“

    Evas Stimme, die viel reifer und erwachsener klang als zuvor, strahlte eine beeindruckende Kraft aus. Selbst Pawo blickte beeindruckt zu ihr auf. Auch das riesige Mamutel wirkte von ihr gebannt, denn es machte keine Anstalten, den Angriff auf seine Artgenossen zu rächen. Stumm und aufmerksam, aber auch mit schwach funkelnden Blick sah er auf Eva herab, die nervös Luft holte und dann weitersprach:

    „Ich kann mir vorstellen, dass dieser Fluch die Lebensweise von uns allen getroffen hat. Dieser ist wohl auch der Grund, weswegen es noch so wenige von euch gibt, oder?“

    Der Gigant sprach abermals nicht, doch als er langsam mit dem Augen blinzelte, schien mit diesem eine Antwort gegeben worden zu sein. Denn als Eva wieder ansetzte, zitterte ihre Stimme und tiefe Erschütterung lag in ihr: „Bestimmt wäre man vor fünf Jahre in der Lage gewesen, all das abzuwenden … doch nun habe ich Verbündete mitgebracht, die in der Lage sind, diesen Fluch zu brechen! Wenn Ihr es uns gestattet, großer Mammoth, dürfen wir auf euren Schutz hoffen, während wir uns auf dem Weg zum Lawinenberg begeben?“


    Während Eva gesprochen hatte, scharrte Max nervös mit den Füßen. Er wusste nicht, wie er so einen Fluch brechen könnte und ob er überhaupt dazu in der Lage war. Zwar fühlte er sich schon geschmeichelt von Evas Aussage, doch in dem Moment ein solches Versprechen gegenüber dem Mamutel abzugeben war doch etwas weit hergeholt. Doch vor diesem wollte er Eva wiederrum auch nicht widersprechen. Sie hatten beschlossen, zum Lawinenberg aufzubrechen, und so wie es Eva hat klingen lassen schien das riesige Mamutel in der Lage zu sein, durch den Blizzard seinen Weg zu finden. In dem Moment richteten sich langsam auch die anderen beiden auf. Iro und Vane machten sich bereit, einen eventuellen Angriff erneut abzufangen, doch dieses Mal wandten sich die Mamutel stumm an ihren Anführer. Die Augen des Giganten glitten über seine Artgenossen, dann hinüber zu Eva und Rose und letztlich blickten sie alle anderen Anwesenden lange an. Dann wedelte der Gigant langsam mit seinem Rüssel und langsam drehte er sich um. Die anderen Mamutel taten es ihm nach. Max wusste nicht, was das zu bedeuten hatte, doch Eva klärte ihn darüber auf, als sie und Rose sich umdrehten.


    Erleichterung stand in Evas Gesicht geschrieben: „Sie gestatten uns, dass wir unterhalb ihrer Felle uns bewegen dürfen. Auf die Art trotzen wir am besten den starken Winden, die vom Lawinenberg aus uns begegnen werden!“









  • Hallo,


    die Geschichte im Geheimnisdschungel habe ich mit Spannung verfolgt und die Reise zum Lawinenberg steht dem bisher in kaum etwas nach. Auch wenn mich interessiert hätte, welcher Pokémon-Art Eva angehört, ist ihre Geschichte und die um ihre Mutter und den Hüter Arktos interessant aufgezogen. Mal sehen, ob sie selbst auch eine bestimmte Rolle spielt. Angesichts dessen, dass alle anderen Pokémon sprechen können, mutet es jedoch seltsam an, dass die Mamutel das offenbar nicht können. Wenn es dafür einen bestimmten Grund gibt, könnte der vielleicht noch eingebracht werden. Jedenfalls bin ich gespannt, was die Gruppe noch erwartet.


    Wir lesen uns!

  • Part II: Vertraute Wärme


    Als Jimmy Lucy, die auf dem Boden lag, vorsichtig anstupste, regte sie sich schwach. Obwohl sie vor Schmerzen stöhnte, drehte sie sich zu ihm um und sah ihn mit fiebrigen und leicht getrübten Augen an. Jimmy unterdrückte den Drang, vor Schreck zusammenzuzucken.

    „Jimmy …“, krächzte sie. Der Fluch, der von der Bisswunde auf ihrem Bein ausging, schien in seiner Wirkung schlimmer geworden zu sein. Jimmy ließ nur für einen kurzen Moment seinen Blick zu dieser gleiten. Eine dünne Schicht aus Eis hatte sich mittlerweile über diese gelegt und Jimmy ahnte, dass dies nicht der Heilung förderlich war. Im Gegenteil: Offenbar schien, so wie Lucy Schwierigkeiten hatte, die Augen aufzuhalten, das Endstadium erreicht worden zu sein. Und wieder schämte sich Jimmy dafür, dass er es zuvor nicht über sich gebracht hatte, mit seinem Feuer diesem ein Ende zu setzen.

    „Jimmy … was ist los? Kommt etwas auf uns zu?“, fragte Lucy ihn unter einem beunruhigenden Keuchen.


    Dass sie immer noch nicht daran dachte, ihn für sein Versagen anzuschreien und zu kritisieren, machte Jimmy zunehmend nervös. Er zweifelte daran, dass Lucy einfach bereitwillig ihren Tod akzeptieren würde, obwohl dieser ihm zu verdanken war. Und seine ohnehin grimmige Miene verzog sich zu einer wütenden Grimasse, als er den Blick vorübergehend von Lucy abwandte. Als er ihr wieder in die Augen sah, musterte sie ihn, so gut sie es in dem Zustand konnte. Sie las seinen grimmigen Ausdruck, von dem er hoffte, dass er als das zu lesen war, was er sich vorgenommen hatte.

    „Du …?“, fragte Lucy wiederholt und der Anflug eines Lächelns erhellte ihr angegrautes Gesicht.

    „Ja“, versuchte Jimmy tapfer und entschlossen zu klingen. „Ich werde es tun! Ich will dich vom Fluch befreien! Tut mir wirklich leid, dass es so lange …“

    Jimmy verstummte, als Lucy eine zitternde Pfote ausstreckte und mit dieser seine Hand nahm. Dankbar lächelte sie ihm zu und trotz des Zitterns war ihre Stimme etwas fester: „Ich wusste, dass du es noch einmal versuchen würdest! Und dieses Mal … wirst du es schaffen … da bin ich mir sicher!“

    Weil sie sich gerade bewegt hatte, keuchte Lucy schmerzhaft auf und sie und Jimmy blickten zu ihrem Oberschenkel. Die Eisschicht vermittelte den Eindruck, als wäre es nur sie, die weggebrannt werden müsste. Doch von dem ersten Versuch wusste noch Jimmy, dass er auch die darunter liegende Haut vom Fluch befreien musste. Er versuchte, sich diesen Gedanken immer wieder vor Augen zu führen. Er hatte beschlossen, sie vom Fluch zu befreien. Dass er dabei ihre Haut verbrennen würde, durfte ihm nicht wieder im Weg stehen. Er wollte nicht vom Anderen hören, dass er wieder aufgrund seiner Feigheit versagt hätte.

    Lucy wartete ab, bis Jimmy ihr ein Zeichen gab. Als er ihr dann zunickte, legte sie sich wieder auf den Rücken und Jimmy trat an die Wunde.

    „Komm schon …“, flüsterte er leise vor sich. „Ignorier die Haut … Konzentrier dich auf das Eis. Ignorier die Haut … Ignorier …“

    Jimmy fluchte. Je mehr er versuchte, diesen Gedanken aus dem Kopf zu verbannen, umso mehr nagte sich dieser an ihm fest. Wenn er es zuließen, würde er sich dann so vorkommen, als würde er mit seinem Feuer mutwillig jemandes Körper verbrennen. Und das war ein Gedanke, mit dem sich Jimmy überhaupt nicht anfreunden wollte. Doch Lucys Leben hing wie schon zuvor daran und so wie es aussah, drängte jetzt die Zeit. Wenn er jetzt nicht handelte, würde ihn, das wusste Jimmy, ein anderer Gedanke auf ewig plagen. Er wäre dann für den Tod des Pokémons verantwortlich, das ihm vorher das Leben gerettet hatte. Und es wäre die schlimmste Art von Undank, die Jimmy Lucy erweisen könnte.

    Jimmy schüttelte den Kopf. Er musste sich nun auf das Hier und Jetzt konzentrieren. Das Eis auf Lucys Oberschenkel war ein neuer Gegner, dem er sich stellen und besiegen musste. Andernfalls würde Lucy sterben.

    Ein paar Sekunden lang noch blickte Jimmy die Stelle an, die er zu bearbeiten hatte. Dann holte er mehrmals tief Luft und war dann mit einem Atemzug gerade dabei, Energie in seinem Bauch zu sammeln, als dann Lucys Stimme schrill ertönte: „STOPP!“


    Jimmy wusste nicht, ob er es dieses Mal geschafft hätte oder nicht. Er war sich auch nicht sicher, ob er jetzt wütend oder erleichtert sein sollte. Verwirrt blickte er auf Lucy, die ihn sorgenvoll beobachtete: „Es tut mir wirklich leid, Jimmy!“

    Beunruhigt stellte er fest, dass Sorge und Verlegenheit in ihrer Stimme lag und schuldbewusst begegnete Lucy seinem Blick: „Ich muss dich noch um etwas bitten, bevor du anfängst …“

    „Das wäre?“, entgegnete Jimmy mit dunkler Vorahnung. Lucy, die vor Aufregung noch mehr keuchte als zuvor, holte tief Luft:

    „Ich werde vermutlich ohnmächtig werden, wenn du mit deinem Feuer arbeitest. Auch wenn du mich vom Fluch befreien wirst … werde ich trotzdem eine große Verbrennung erfahren …“

    Musste sie das jetzt ansprechen? Jimmys Blick verengte sich. Es war schon bedrückend genug, dass er selber daran denken musste. Das aber nun von Lucy zu hören, versetzte ihn nicht bloß in Unruhe, sondern in jähe Aufregung und leichter Panik. Lucy fuhr fort, ehe Jimmy etwas sagen konnte: „Durch den Schock und durch die Schmerzen werde ich ohnmächtig werden. Und deswegen …“, und sie zog unter schmerzerfülltem Keuchen und Zittern ihre Tasche an sich heran, „müsstest du erste Hilfe leisten, was die Brandwunde selber betrifft. Hier ...“

    Lucy öffnete ihre Tasche und zog nach ein paar Handgriffen ein dunkles Tuch sowie eine kleine verkorkte Flasche hervor. Im schwachen Schein des Leuchtorbs schien es, als wäre sie mit einer dunklen Flüssigkeit gefüllt.

    „Fragia-Essenz! Wenn du es schaffst, dieses Tuch mit dieser zu tränken und dann auf meine Wunde zu legen, wird diese beschleunigt heilen. Wenn ich dann aufwache, kann ich dann mit meiner Aura denn Rest erledigen.“

    Jimmy nahm vorsichtig die Flasche und das Tuch und den Händen, betrachtete sie und blickte dann angsterfüllt zu Lucy, die entschuldigend dreinblickte: „Es tut mir wirklich Leid, dass ich dir so viel gerade aufbürde … aber du bist grad derjenige auf den ich zählen kann!“

    Jimmy schnaubte ungläubig: „Du meinst wohl, ich bin der Einzige, auf den du gerade zählen kannst!“

    Lucy schüttelte den Kopf: „Du denkst zuerst an andere, bevor du an dich denkst. Das mag zwar der Grund sein, weswegen du dir so viele Vorwürfe machst, aber letztlich bist du ein Pokémon, der um das Wohl anderer besorgt ist. Du kannst mir glauben, dass …“, und sie hielt inne, weil eine erneute Welle des Schmerzes über sie zu kommen schien. Sie keuchte noch heftiger und Jimmy fragte sich, ob es doch schon zu spät war, sie zu retten.

    Doch Lucy packte ihn mit ihrer letzten Kraft am Arm und sah Jimmy eindringlich an: „Du hast so vielen Pokémon, die ich aus meiner Gilde und von anderswo her kenne, so viel voraus! Wenn du es jetzt schaffst, dich zu konzentrieren, kannst du weitaus Großes erreichen! Und ich zähle auf dich, dass es dir gelingen wird!“


    Mit dem Rücken voran fiel Lucy wieder auf dem Boden. Ihr Kopf wäre sehr hart auf dem eiskalten Steinboden gelandet, wenn Jimmy nicht rechtzeitig an ihrem Arm gezogen hätte. Sanft ließ er sie zu Boden gleiten und Lucy blieb schwer atmend auf diesem liegen.

    Die Zeit war wohl gekommen. Jimmy legte vorsichtig das Fläschen mit der Fragia-Essenz und das Tuch nahe dem Leuchtorb, der auf dem Boden lag, und richtete sich auf. Lucys Worte hallten in seinen Ohren wieder. Auch wenn er sich selber nicht vorstellen konnte, dass die Worte auf ihn zutrafen, so schmeichelte es ihn, dass Lucy doch so viel Vertrauen in ihn setzte.

    „Du bist der Einzige, der gerade hier ist, sie hatte keine Wahl …“, hörte er eine fiese Stimme in seinem Hinterkopf.

    „Hör nicht darauf! Lucy glaubt an dich, und das solltest du auch!“, hörte er die Stimme des anderen Jimmy neben dieser erklingen.

    In Jimmys Kopf rangen gerade Zweifel und Zuversicht miteinander. Und er selber zitterte am ganzen Körper. Jimmy ahnte, dass er es wieder nicht über sich bringen konnte. Und selbst wenn, würde ihm bestimmt die Fragia-Essenz aus der Hand fallen, auf dem Boden zerbrechen. Oder Lucy hatte ihm die falsche Flüssigkeit gegeben, denn wie sicher konnte sie sich in ihrem Zustand sein?

    Dann flüsterte ihm die fiese Stimme zu, dass er es sowohl sich als auch allen, die je Vertrauen in ihn setzen würden, beweisen sollte: „Na los, zeig uns, dass du der Versager bist, für den du dich hältst!“

    Jimmy war dabei, auf ihren Worten Taten folgen zu lassen, indem er tatsächlich alles ruinieren würde, als dann der andere Jimmy vehement dazwischen schrie: „Du schaffst das! Tu es! Jetzt!“


    Und endlich tat Jimmy es. Er sammelte die wohlig warme Energie in seinem Bauch, holte tief Luft und entlud diese Energie in einem Schwall von Flammen. Ihr Licht vertrieb die Dunkelheit der Höhle mit einem Mal so sehr, dass Jimmy fast selber am Licht seines eigenen Feuers erblindete. Das Rauschen des Feuers, dass er unablässig und fast gegen seinen Willen gegen Lucys Oberschenkel richtete, erklang laut in seinen Ohren. Doch dann durchzog Lucys markerschütternder Schmerzensschrei die Luft und übertonte sogar das Rauschen der Flammen. Wie schrillste Alarmglocken, die direkt neben seinem Ohr erklangen, hämmerten Lucys Schreie auf Jimmy ein. Doch er musste ausharren, er spürte, dass er noch nicht die ganze Fläche bearbeitet hatte, die vom Fluch betroffen war. Und während diese wenigen Sekunden zu einzelnen Ewigkeiten wurden, erlebte Jimmy in diesen, wie ihm das Rauschen des Feuers und das warme Gefühl in seinem Mund sehr bekannt vorkamen.

    Und tatsächlich erinnerte er sich: Dieses Feuer der Entschlossenheit, das gegen seine eigene Angst und Unsicherheit ankämpfte, hatte er mehrere Male schon angewandt. Die Bilder der Momente, in denen er diese Entschlossenheit in sich gespürt hatte, strömten auf ihn wie das Feuer auf Lucys Wunde. Und auch bei ihm hinterließen diese Erinnerungen ihre Eindrücke. Jimmy sah sich selbst, wie er todesmutig sein Feuer gegen riesige Pokémon schleuderte, von denen einige sogar Gottheiten waren. Er erkannte sich kaum wieder und Jimmy wurde bewusst, wie sehr er sich seit einiger Zeit wieder unterlegen gefühlt hatte. Es war inspirierend und ermutigend zu sehen, wie tapfer er einst war. Selbst gegen die ärgsten Widersacher erhob er sich und spie ihnen seine Flammen entgegen. Mit Max vollbrachte er einen gemeinsamen Treffer gegen Darkrai und mit Iro ließ er eine Erscheinung des Waldschrats in seine einzelnen Blätter zerbersten.

    „Max! Iro!“


    Jäh brach das Rauschen ab und Jimmy fiel auf seinen Hintern und starrte auf die kahle Wand. Doch sah er Bilder der Vergangenheit auf dieser, die alle in ihm aufgeflammt waren.

    „Nein …“, keuchte er entsetzt über das, was er sah. Doch mit der Hand berührte er etwas Weiches. Jimmy drehte sich verwirrt um und sah ein dunkles Tuch, das neben einem kleinen Fläschen auf dem Boden.

    „Lucy!“, fiel es ihm dann siedend heiß ein. Er suchte ihren Blick, doch Lucy war tatsächlich ohnmächtig geworden, während Tränen ihre Wangen hinunter liefen.

    „Oh nein, nein, nein, nein …“, murmelte Jimmy panisch. Er durfte es nicht wahr werden lassen, was er befürchtet hatte.

    Hastig entkorkte er das Fläschen und beinahe wäre es aus seinen Händen gerutscht. Doch er fing diese rechtzeitig auf und goss den ganzen Inhalt über das dunkle Tuch, dass etwas schwerer wurde. Als er dann sich der Wunde zuwandte, wurde ihm beim Anblick des rötlichen und schwarz-verkohlten Fleisches schlecht. Ohne genau hinzusehen breitete er das angefeuchtete Tuch aus und bedeckte damit die ganze Wunde. Jimmy stand dann eilig auf, rannte zu einer Ecke der Höhle und übergab sich.

    Doch es war nicht nur der Anblick der Wunde gewesen. Er hatte sich endlich wieder erinnert, und zwar an alles. Und Jimmy wusste, dass er einen gewaltig großen Fehler gemacht hatte. Und zwar einen, der vermutlich seine zwei besten Freunde gekostet hatte. Ihm wurde schwindlig, während die letzten Momente auf ihn einprasselten wie stundenlanger Starkregen. Er versuchte, in der Höhle Halt zu finden, doch seine Beine knickten ein und er fiel vornüber auf den Boden und blieb ohnmächtig auf diesem liegen.

  • Hallo,


    die Anmerkung zu den Mamutel ist verständlich und ich erinnerte mich dann auch an die Bemerkung zum damaligen Kapitel. Eventuell lässt sich das in Zukunft noch besser arrangieren.


    Am neuen Kapitel gefällt mir, wie sich Jimmy nach seinem Selbstgespräch vor einigen Kapitelparts nun selbst überwindet und seinem Drang nachkommt, anderen zu helfen. Gut ist auch zu sehen, dass er über all das seine Erinnerungen wieder erlangt hat und nun für demnächst weiß, was er zu tun hat, wenn Lucy wieder erwacht. Die Szene ist insgesamt sehr anschaulich beschrieben und die Interaktion zwischen den beiden ist nachvollziehbar.


    Wir lesen uns!


  • Part III: Erinnerungen an die Freunde


    Es war an einem morgendlichen Sonnenaufgang gewesen, als Jimmy und Max sich überlegt hatten, ob ihre Existenz unerwünscht war. Darkrai, in seiner Verkleidung als Cresselia, hatte sie beinahe dazu gebracht, sich und ihr Leben zum vermeintlichen Wohle der Welt abzuschreiben. Jimmy erinnerte sich schmerzlich, wie schlecht er sich gefühlt hatte. Zum einen, als er auf die List Darkrais hereingefallen war und sich tatsächlich als verbotene Existenz betrachtet hatte, und zum anderen, dass er dies von sich und Max je gedacht hatte. Fast hätte er angesichts von Darkrais Lüge aufgegeben und diese Erinnerung war es, die ihn bis heute noch beschäftigte. Doch eine Sache hatte ihn davon abgehalten, sich gänzlich de Verzweiflung hinzugeben. Die Erinnerung an Reptain, der ihm einst eine wichtige Frage gestellt hatte, die sich in Jimmys Seele eingebrannt hatte: „Was hat dich angetrieben? Wie hast du es geschafft? Wie konntest du so stark bleiben?“


    In einer nahezu aussichtslosen Situation, die sich in der Dunklen Zukunft ereignet hatte, war Jimmy als einziger in der Lage gewesen, Zuversicht zu finden. Er hatte als einziger nicht aufgegeben. Er hatte Reptain gegenüber etwas gebraucht, um den Grund für diese Zuversicht zu finden. Doch letztlich hatte er ihn gefunden. Es war Max gewesen, der Jimmy Kraft gegeben hatte. Jimmy hatte sich gefühlt, dass er mit Max alles schaffen und erreichen könnte, sofern sie dies zusammen taten. Wie Reptain es dann einige Zeit im Verborgenen Land bemerkt hatte: Er und Max waren das beste Gespann, dass es je geben würde. Und als dann Darkrais Lüge sie beide beinahe zur Verzweiflung getrieben hatte, hatte Jimmy dieses Gefühl beinahe vergessen. Doch durch Max dann war er wieder in der Lage gewesen, nicht aufzugeben. Und das war auch die gute Entscheidung gewesen: Darkrais Plan wurde aufgedeckt, seine Lüge durchschaut und er selber wurde, ohne Erinnerung, in eine unbestimmte Zeit verbannt. Wo auch immer Darkrai war, er hatte es verdient, ohne Erinnerung an sein früheres Leben umherzuirren. Und hoffentlich nutzte er dann die Chance, seine Kräfte für Gutes zu entwickeln, auch wenn dies vielleicht unwahrscheinlich war. Und was Jimmy betraf: So gut und selbstsicher hatte er sich noch nie zuvor gefühlt. Die Welt war ins Lot gerückt und er und Max waren nicht mehr zu trennen gewesen.


    Zumindest war das der Fall, was Einflüsse von außen betraf. Denn letzten Endes hatten Jimmy und Max sich getrennt. Und es war Jimmys alleinige Schuld. So einig sie gegen Darkrai und andere Finsterlinge gekämpft hatten, umso schmerzhafter kam ihm die Erkenntnis, dass seine eigenen Zweifel die Trennung herbeigeführt hatten. Was konnte Jimmy alleine schon bewirken, wenn Max nicht da war? Jimmy brauchte Max an seiner Seite, um sich tapfer zu fühlen, doch war dies bei ihm auch der Fall? Oder war Max in der Lage, auch alleine mutig genug zu sein, um sich Gefahren in den Weg zu stellen? Gewiss half es, dass er sich dabei zu einem Reptain entwickelt hatte. Max könnte die Trennung jedenfalls besser einstecken als Jimmy. Er brauchte nicht Jimmy an seiner Seite. Und was dann Iro betraf, so war sich Jimmy definitiv sicher, dass er ganz gut ohne sie auskommen würde.

    Nein, die beiden traf keine Schuld, das wurde Jimmy klar. Es war seine Entscheidung, sich schlecht gegenüber ihren körperlichen Fortschritten zu fühlen, während er sich zurückgeblieben vorkam. Es war seine Entscheidung, darüber einen Groll zu hegen und sich selbst deswegen fertig zu machen. Und es war seine Entscheidung, alles, was an guten Dingen zuvor passiert war, zu vergessen und nur die schlechten eigenen Gefühle in den Vordergrund zu stellen. Er selber hatte die Trennung herbeigeführt, was sich als vermutlich unentschuldbarer Fehler erweisen sollte.


    Jimmy spürte nur am Rande, wie sich sein Körper bewegte. Er wusste nicht einmal, ob er träumte oder gar schlief. Erst, als eine weiche samtene Pfote sein Gesicht mit einem Tuch abtupfte, schreckte er mit einem Aufschrei hoch. Für einen Moment vergaß er, wo er sich befand. Rasch blickte er sich um und sah in das blasse Gesicht einer Lucario, die ihn mit größter Sorge anblickte. Dann strömten die Erinnerungen an die Momente zuvor ein.

    „Lucy!“, rief Jimmy aus und wollte sich aufrichten. Ihm brannten gerade soviele Fragen auf der Zunge, weswegen er nicht ruhig liegen konnte, doch Lucy hielt ihn sanft am Boden.

    „Es geht mir gut … besser jedenfalls als zuvor …“, sagte sie langsam. Ihre Pfote verkrampfte sich auf seinen Schultern und Jimmy erkannte, dass ihr Tränen ins Gesicht standen.

    „Das hast du … wirklich gut gemacht, Jimmy!“, sagte Lucy dankbar, beugte sich nach vorne und nahm Jimmy fest an den Arm. Perplex erstarrte Jimmy und gerade als er zögerlich die Umarmung erwidern wollte, löste sich Lucy von ihm. Sofort fiel sein Blick auf jene Stelle, die er zuvor mit seinem Flammenwurf bearbeitet hatte. Eine einheitlich rötlich glänzende Oberfläche zog sich von ihrer Hüfte bis zur Mitte ihres rechten Oberschenkels. Obwohl sie Jimmy einen Schauer über den Rücken jagte, sah sie aber wesentlich sauberer und geheilter aus als zuvor, als sich noch Eis über diese gezogen hatte. Jimmy wusste nicht recht, was er über diese sagen sollte. Doch Lucy schüttelte den Kopf, ließ eine blaue schimmernde Pfote über sie fahren fahren und lächelte sanft.


    „Es muss noch etwas heilen … und selbst dann wird das Auftreten eine Weile schmerzhaft sein. Es ist aber zumindest besser als das Bein zu verlieren geschweige zu sterben …“

    Sie lächelte Jimmy sanft zu, dann aber legte sie wieder sorgenvoll ihre Stirn in Falten: „Du siehst nicht gut aus Jimmy, du bist leichenblass …“

    Sie stockte und Jimmy glaubte zu wissen, was ihr auf der Zunge lag. Wenn sie vor ihm erwacht war, hatte sie auch gesehen, dass er ohnmächtig gewesen war. Noch dazu hatte sie ihn wahrscheinlich auf dem Boden zurecht gelegt. Jimmy überlegte eine Weile, was er sagen sollte. Dann aber fand er die Worte: „Ich bin froh, dass ich daran gedacht und es noch geschafft habe, dir die Fragia-Essenz aufzutragen, denn … in meinem Kopf stürmte es …“

    „Das heißt …?“, fragte Lucy vorsichtig und Jimmy blickte ihr in die Augen. Aus irgendeinem Grund lächelte er, auch wenn es gequält war: „Ich habe mich erinnert, Lucy.“


    Weil Lucy sich offensichtlich für ihn freute, dass seine Erinnerungen zurückgekehrt waren, wollte Jimmy ihr von diesen berichten. Doch dann erdrückte ihn der Gedanke, all das noch einmal ihr gegenüber aufzubereiten, was er während des Flammenwurfs und auch vor seinem Aufwachen gedacht hatte. Sie sah es ihm an, dass ihn etwas bedrückte, denn ihre Miene wurde ernster, sagte aber kein Wort. Sie wartete offenbar darauf, ob sich Jimmy ihr äußern würde. Und weil er in dem Moment fühlte, dass er irgendeiner Seele sich anvertrauen musste, fasste Jimmy eine große Portion Mut und erzählte ihr von seiner Vergangenheit und den vorherigen Erlebnissen.

    Sie war eine sehr gute Zuhörerin, mit aufmerksamer Miene nickte sie verständnisvoll und reagierte nicht auf seine Erzählung. Jimmy fühlte sich so gut bei ihr aufgehoben, dass er auch von dem eigentlichen Grund erzählte, weswegen er, Max und Iro zum Lawinenberg unterwegs waren. Ihre Miene verdüsterte sich zwar, als er vom Dämon Kyurem sprach, doch fasste sie schnell wieder Haltung. Und als er von den Umständen berichtete, unter denen sich Jimmy von Max und Iro getrennt hatte, lag ein mitfühlendes Funkeln in ihren Augen. Als Jimmy geendet hatte, vergingen die Minuten, ohne dass einer von den beiden ein Wort sprach.


    „Wie fühlst du dich momentan damit, Jimmy?“, sagte dann Lucy in ruhigem Ton. Er starrte sie an und sie lächelte sanft.

    „Hast du keine Anmerkung zu der Art und Weise, wie ich mich von Max und Iro getrennt habe?“, sagte Jimmy überrascht.

    „Ich mache mir schon meine Gedanken, doch viel mehr interessiert es mich gerade, wie du darüber fühlst“, entgegnete Lucy. Jimmy fuhr sich mit seinen Händen über sein Kopffell und griff so fest rein, dass es beim Loslassen zerzaust war.

    „Du kannst dir doch denken, wie ich mich fühle, oder?“, rief Jimmy bitter aus. „Ich habe aus … aus … nichtigen Gründen von meinen zwei besten Freunden getrennt! Wie, glaubst du, fühle ich mich denn?“

    „Weißt du es? Denn offenbar fühlst du allerlei dabei“, sagte Lucy ruhig. Jimmy wusste nicht, ob er jetzt über ihre gänzliche neutrale Art oder über sich wütend war. Jedenfalls konnte er nicht mehr ruhig sitzenbleiben und dieses Mal ließ Lucy ihn gewähren. Mehrmals tigerte er vor ihr hin und her und versuchte im schwachen Licht des Leuchtorbs seine Gedanken zu ordnen, doch immer entfachte ein Sturm in seinem Herzen.


    „Ich war dermaßen ein Idiot!“, rief Jimmy dann laut aus, doch Lucy blieb gelassen. Offenbar rechnete sie damit, dass er lauter wurde. „Es ist so bescheuert, wenn man es aus diesem Blickwinkel betrachtet: Man fühlt sich schlecht, weil man der kleinste aus der Gruppe ist?“

    „Offenbar macht es dir was aus …“, sagte Lucy tonlos. Jimmy schüttelte den Kopf: „An sich ist es mir egal, vorher hat es mich nicht gestört. Aber seit Max und Iro sich entwickelt haben und ich nicht … irgendwie …“.

    Er versuchte die Worte zu finden, doch weil seine Gedanken so schnell rasten, dass er sie nicht direkt fassen konnte, fand er sie auch nicht direkt. Es überkam ihn wie ein Impuls und mit einem Seitenblick auf Lucy drehte er sich um und machte seiner angestauten Wut freien Lauf. Sein Flammenstoß füllte die Höhle mit wärmenden hellen Licht und klang an sich ohrenbetäubend. Doch Jimmy und Lucy kümmerten sich nicht drum. Jimmy tat es gut, die Wärme im Mund und im Körper zu spüren, die er lange hatte zurückhalten müssen. Dann dachte er an Viridium und wie sie ihn zischend ermahnt hatte, sein Feuer nicht im Geheimnisdschungel anzuwenden. Und er dachte an die erste Begegnung mit ihr im Apfelwald, wie Cephal sie frech grinsend dazu überredet hatte, sowohl Max, Iro als auch ihn mitzunehmen. Und dann dachte er an Cephals aufgeregtes Grinsen, als er Max zu seinem Erzrivalen ernannt hatte. Bei Max und Iro hatte das Knarksel keine Probleme, Stärken zu erkennen. Doch bei Jimmy hatte er zweimal schauen müssen.


    „Es ist … ein mieses Gefühl …“, sagte Jimmy dann langsam und mied es erstmal, Lucy in die Augen zu blicken. Dann tat er es doch und er war froh, dass sie ihm nachwievor aufmerksam zuhörte. Verlegenheit mischte sich zu seinen Gefühlen dazu und zögerlich fuhr er fort: „Es ist ein mieses Gefühl … nicht wie andere beachtet und wahrgenommen zu werden … nur weil ich mich bewusst weigere, mich zu entwickeln?“

    Lucy sagte nichts. Sie schien erst nachzudenken, bevor sie antwortete: „Hat man dich je ignoriert oder gab es schon Anerkennung für das, was du erreicht hast?“

    „Nun …“, sagte Jimmy und mit einem Male fielen ihm jene Momente ein, in denen er durchaus Wichtiges beigetragen hatte: Er hatte mit Chuck den Plan ausgearbeitet, wie sie Max von der Kontrolle des Waldschrates befreien konnten. Er hatte mit Hilfe von Cephal das Skaraborn Herakles endgültig besiegen können. Und auch wenn er eher die Ablenkung gewesen war, so war es doch auch irgendwie ihm zu verdanken gewesen, dass Shadow festgenommen wurde. Dieses Gengar ...


    Hatte Shadow die Wahrheit gesagt, als er Jimmy und Lucy in der Schädelwüste begegnet war? Er konnte es sich nicht vorstellen, dass er gerade Jimmy bis in die Wüste gefolgt war und dass Max und Iro etwas mit ihm zu tun hätten. Doch vielmehr beunruhigte ihn der Gedanke, dass in der Wüste ihre Namen nicht seine Erinnerung erweckt hatten. Jimmy schämte sich fast schon, dass er sich nicht früher an seine Freunde erinnert hatte.

    Er sackte auf den Boden und blickte ins Leere. Lucy blickte ihn eine Weile an, ehe sie dann die Augen schloss. Jimmy beobachte sie nun eine Weile dabei, wie sie etwas zu erspüren wollen schien.

    „Du bist ziemlich durch den Wind, nicht wahr?“, sagte sie, ohne die Augen zu öffnen. Dennoch fühlte sich Jimmy, als würde sie ihn durchleuchten. Weil er jetzt lange genug mit ihr unterwegs war, wusste er, dass sie die Aura an ihn aufwandte.

    „Verzeih bitte … ich wollte nur verstehen …“, sagte Lucy dann schuldbewusst und das Gefühl des Durchleuchtens hörte auf. Fast aber schon wünschte sich Jimmy, sie würde weitermachen. Es tat gut, wenn jemand genau wusste und auch vielleicht nachvollziehen konnte, wie er sich fühlte.

    Eine Weile saßen beide dort, wo sie waren, und schwiegen sich an. Dann, sie tat es aber zögerlich, suchte Lucy Jimmys Blick. Erst nach einigen Momenten erwiderte er diesen.

    „Was willst du tun? Willst du umkehren und deine Freunde in der Wüste suchen?“


    Jimmy war der Gedanke auch schon gekommen. Gewiss juckte es ihn, Max und Iro zu suchen, um sich bei ihnen entschuldigen. Doch würden sie ihm vergeben. Er selber würde es wahrscheinlich nicht tun. Er merkte kaum, wie sein Blick verschwamm und Tränen seine Wange hinunterliefen.

    „Ich habe mich derartig schrecklich ihnen gegenüber verhalten und gemeine Dinge gesagt …“, sagte er mit gebrochener Stimme. Er zitterte am ganzen Körper, sein Herz raste und sein Atem wurde schwerer.

    „Ich könnte es verstehen, wenn sie mir nie wieder verzeihen würden!“

    „Kannst du es?“, fragte Lucy ernst. Er blickte sie mit aufquellenden Augen an: „Was?“

    „Kannst du dir vergeben?“, wiederholte Lucy tonlos ihre Frage.


    Jimmy verstand nicht, worauf sie hinauswollte. Spielte es eine Rolle, ob er sich selbst vergab? Schließlich mussten Max und Iro ihm seinen Ausbruch verzeihen. Doch für Lucy spielte es offenbar eine Rolle, denn sie richtete sich auf und trat an Jimmy heran. Er dachte zuerst, dass sie ihn von oben herab anschreien würde, doch sie ließ sich dicht vor ihm wieder nieder und fasste ihn mit beiden Pfoten an seinen Schultern.

    „Es ist wichtiger, dass du dir verzeihst! Generell ist es von essentieller Bedeutung, was du von dir hältst! Wenn du auf die Anerkennung anderer angewiesen bist, ohne aber dich selber als derjenige wertzuschätzen, der du bist, wirst du recht lange damit unglücklich sein! Ich kenne viele Pokémon, denen es ähnlich ergangen ist, und sie alle fühlten sich häufiger schlecht und unzufrieden als gut. Auch ich war einst mal so, bis ich gelernt habe, auf mich zu achten und mich so zu schätzen wie ich bin. Denn selbst wenn dann dich alle hassen und dich meiden würden, so hast du immer noch einen Gefährten der zu dir hält: Nämlich du selbst!“


    Sie blickte ihn mit einem Ausdruck von grimmiger Bestimmtheit an. Ihre Worte hallten in Jimmys Ohren nach.

    „Du meinst also, ich denke zu sehr schlecht von mir?“, sagte Jimmy zaghaft, obwohl er sich der Antwort sicher war. Lucy blinzelte. Sie löste ihren Griff von Jimmy und ließ sich etwas nach hinten fallen: „Dass du überhaupt schlecht von dir denkst, finde ich bestürzend. Du bist so ein wundervolles und hilfsbereites Pokémon … wie kannst du überhaupt dabei denken, dass du irgendwem eine Last bist?“

    „Aber … wenn jemand Stärkeres …“, wollte Jimmy einwenden, doch Lucy winkte ab: „Tut mir leid, wenn dasjetzt was überheblich klingen sollte, doch ich gehe davon aus, dass ich dir in Sachen Macht durch die Aura recht überlegen bin, oder?“

    „Absolut!“, bestätigte Jimmy. Lucy lächelte schief, als würde sie dies nicht so toll finden.

    „Und dennoch“, sagte sie dann langsam, aber mit Gewicht in ihrer Stimme, „wäre ich trotz dieser Macht beinahe gestorben. Und wer hat mich letztlich gerettet?“

    „Du musst aber zugeben, dass du nur wegen mir …“

    „Wer hat mich letztlich gerettet, Jimmy?!“, sagte Lucy dann mit so einem Nachdruck, dass dieser zusammenzuckte. Grimmig blickte sie ihn an und er starrte perplex zurück. Dann antwortete er ganz langsam und zaghaft: „Ich …“

    „Wie bitte?“, fragte Lucy laut.

    „Ich!“, sagte Jimmy etwas bestimmter.

    „Und wie konnte das sein?“, fragte Lucy wiederrum laut. Er blickte sie an und auf einmal spürte er eine Art kleines Flämmchen in sich brennen. Lucy sah ihn herausfordernd und wiederholte ihre Frage: „Wie konnte es sein, dass du mich gerettet hast!“

    „Weil …“, sagte Jimmy, doch er zögerte. Lucy aber ließ es dieses Mal nicht zu, dass er innehielt und drängte ihn mit einer unwirschen Handbewegung zur Antwort.

    „Weil ich Kräfte besitze, die du nicht hast, und die waren es?“


    Lucys Blick verengte sich. Von ihr strömte die Aura nun derartig aus, dass Jimmy sie über jedes Haar auf seinem Körper gleiten ließ. Lucy testete ihn darauf, ob er dieser standhalten könnte. Und er musste sich bestimmt gegen diese stemmen, um nicht einzuknicken.

    „Sag es noch einmal, Jimmy!“, forderte ihn Lucy auf und sie erhob sich. Auch Jimmy stand und obwohl ein Größenunterschied zwischen ihen lag, fühlte er sich mehr und mehr auf einer Augenhöhe mit ihr. Auf einmal füllte sowohl Kraft als auch mehr Luft als zuvor seine Lunge und dieses Mal rief er es derartig laut aus, dass selbst seine Hinternflamme wild aufloderte: „Ich verfüge über meine eigene Kräfte! Und diese können anderen eine Hilfe sein!“

    Er spürte, wie er sich fast in Rage redete und er schrie es hinaus, während Lucy begeistert und stolz lächelnd ihn anfeuerte: „ICH BIN SO GUT WIE ICH BIN! UND ICH HABE KEINEN GRUND, MIR DAS SCHLECHT ZU REDEN!“


    Beide blickten sich an. Jimmy atmete schwer, bestürzt darüber, dass er geschrien hat. Dennoch erfüllte ihn ein ungewohnter Stolz seine Brust. Dieser aber ließ sofort nach. Wie Luft aus einem Ballon entwich er aus Jimmy und sein zuvor aufgeregtes Lächeln zerfiel. Sofort, als hätten sich Schleusen in seinen Augen geöffnet, fielen dicke Tränen über Jimmys Gesicht.

    „Ich wünschte … ich könnte mir selber glauben …“, war seine bitteres Geständnis. Da lag sie offen, die Wurzel aller schlechten Gefühle. Doch er war nicht imstande, sie zu packen und herauszureißen. Nachwievor also war er schwach.

    Als sein Körper zu beben anfing, spürte er zwei Pfoten auf seinen Schultern ruhen. Er blickte hinauf in Lucys freundliches Gesicht, welches durch die Tränen verschwommen wahrzunehmen war.

    „Ich schäme mich so richtig dafür …“, brach es aus Jimmy und er schlotterte fast schon. Lucy festigte ihren Griff auf Jimmys Schultern und sie schüttelte den Kopf.

    „Dafür brauchst du dich nicht zu schämen … erst, wenn du dich entschließt, dich dem vollkommen hinzugeben, obwohl du es nun besser weißt … doch ich bin mir bei einer Sache sicher“, und sie hob Jimmys Kopf, um in sein aufquellendes Gesicht zu sehen.

    „Du hast die Fähigkeit und die Kraft dazu, deinen Schatten zu überwinden! Denn du bist wirklich ein besonderes Pokémon, Jimmy!“


    Jimmy ballte die Fäuste. Er wollte es so sehr für sich behalten. Doch der Damm brach endgültig. Jimmy ließ sich nach vorne in Lucys Brust fallen und legte seine beiden Fäuste neben seinem Kopf. Und er fing derartig an zu schluchzen, dass es an den Wänden widerhallte. Und als dann Lucy ihn fest in den Arm nahm und sie beide in dieser Position verharrten, ließ Jimmy alle Hemmungen von sich fallen und heulte wie er es seit seiner Kindheit nicht mehr getan hatte. Er spürte, dass er diese Last, die er seit so langer Zeit mit sich trug, fallen lassen musste. Auch wenn dies eine unerträgliche, fast zerstörerische Leistung darstellte.

  • Hallo,


    die Lösung für geringe Selbstwertgefühle kam definitiv nicht zu kurz. Nachdem das Thema bereits in den letzten Kapitelparts angerissen wurde, musste Jimmy sich nun mit seiner eigenen Sichtweise auseinandersetzen und das ist dir gelungen. Lucy ging dabei anfangs sehr behutsam mit ihm um und die natürliche Wahrnehmung durch die Aura bot ein geringeres Hindernis für sie, ihn zu verstehen. Speziell dass Jimmy sich am Ende selbst den Fehler eingestand und seine Gefühle offen legte, zeigt, dass ihm die Sache wirklich wichtig war und ihn bereits lange verfolgte. Hoffen wir, dass er daraus neue Kraft schöpfen kann.


    Wir lesen uns!

  • Part IV: Hinterhalt


    Mithilfe der Mamutel war es eine erleichterte Reise. Ob es daher kam, dass sie kurz vor dem Ende ihres Weges standen, konnte Max nicht sagen, doch auf dem letzten Stück zum Lawinenberg drehte der scharfe Wind in Sachen Kälte und Stärke auf. Wenn die Mamutel nicht gewesen wären, würden ausnahmslos alle Erkunder weggeweht werden, Pawo und Eva mit eingeschlossen. Sie alle wanderten im haarigen und muffig riechenden Zelt, dass der stumme Gigant darstellte. Das Licht des Leuchtorbs, den Max vorneweg und leicht erhöht hielt, warf seltsam anmutende Schatten in ihre Gesichter. Das laute Heulen des Windes lieferte sich einen Kampf mit den knirschenden Schritten auf dem Schnee und dem lauten Aufstampfen der Mamutel, in dem sie sich gegenseitig übertönen wollten. Es war schwierig, auch noch die Stimmen der anderen zu vernehmen.


    Eva, die mit Rose recht nah bei Max war, sagte mit anschwellender Aufregung: „Wir sind gleich da, das spüre ich …“

    „Sind wir gleich da?“, röhrte Vane laut von hinten gegen die Geräuschkulisse aus. „Je früher wir von diesem komisch riechenden Mammut wegkommen, desto besser.“

    Ein seltsames Donnergrollen ertönte und von vorne erklang ein seltsamer Laut.

    „Er hat dich gehört“, kommentierte Eva und drehte sich auf Roses Schulter um und versuchte Vane zu erblicken.

    „Ich hoffe wirklich, dass sich unser Trip lohnt und nicht vergebens ist …“, gab Shadow zu bedenken. „Ein bisschen skeptisch bin ich schon noch, ob der Wächter noch lebt … ich meine“, und er sank etwas in sich zusammen, als er Roses strengem Blick begegnete.

    „Er lebt noch, sowie meine Mama, dessen bin ich mir sicher!“, entgegnete Eva hitzig. „Wir müssen einfach nur darauf hoffen!“


    Aus den Augenwinkeln sah Max, dass Shadow dreinblickte, als würde er weiterhin seine Zweifel offen kundtun wollen. Doch er beließ es dabei. In Evas Augen lag eine trotzige Entschlossenheit, worauf sie beinahe glühten.
    „Werden wir eigentlich auch den ganzen Berg an sich erklimmen müssen?“, fragte Max dann Eva. Sie schüttelte sanft den Kopf und wandte sich ihm zu: „Nahe dem Fuß des Lawinenbergs befindet sich eine Höhle, durch die man den größten Teil des Lawinenberges hinter sich lassen kann. Eventuell müssten wir diese erst suchen und dann freilegen müssen …“„Wie meinst du das?“, sagte Max und blickte Eva neugierig und argwöhnisch an. Sie machte große Augen und starrte zurück.

    „Woher, glaubst du, hat der Lawinenberg seinen Namen? In gewissen Abständen rasseln von dort Lawinen herunter.“

    „Beim Fuß des Berges? Auf den wir gerade zusteuern?“, rief Shadow von hinten laut aus. Max sah es ihm an seinen geweiteten roten Augen an, dass ihn diese Nachricht nicht erfreute. Er selbst war nicht erpicht drauf, in die Mitte einer Gegend zu spazieren, die mit großen Schildern umzäunt werden sollte, auf denen Achtung! Lawinengefahr! stünde. Seltsamerweise fand Eva die Reaktion der anderen sehr lustig.

    „Macht euch keine Sorgen! Sie kommen nur einmal am Tag herunter und ich bezweifle, dass sie erst dann herunterkrachen, wenn wir dort sind.“„Nun ja … es ist aber fünf Jahre her, seit du letztes Mal unterwegs warst, oder?“, gab Shadow dann zweifelnd zu erkennen.

    Ehe Eva darauf antworten konnte, ertönte draußen ein neues Donnergrollen, dem ein tiefes, langgezogenes Röhren folgte.

    „Wir sind da!“, rief Eva aufgeregt aus und sie bedeutete Rose, aus dem haarigen Zelt des Mamutel herauszutreten. Als die anderen ihr gespannt folgten, bemerkten sie sofort, dass sie viel weiter als vorher sehen konnten und dass auch der Wind an Stärke nachgelassen hatte. Sofort aber wurden sie in den Bann des Anblicks gezogen, der sich vor ihnen in den Himmel erstreckte.


    Von weitem schon, als das Team Mystery und Team Sternenjäger den Schlangenpass verlassen hatten, hat der Lawinenberg derartig imposant gewirkt. Nun aber wurde Max bewusst, wie schwach seine Vorstellungskraft war.
    Größer, breiter und steiler als in seinen kühnsten Träumen erwartet erhob sich der Lawinenberg in die Höhe. Und obwohl er nach den ersten Metern in Nebelschleiern verschwand, ahnte Max, dass dieser Berg bis in den Himmel hineinzuragen schien. Nicht weniger imposant war die Formation an Felsen, die sich vor ihnen ausbreitete. Es wirkte, als wurden sie bewusst in der Art angeordnet, dass sie wie steinerne Wächter den Weg vor ihnen flankierten, der bis in den Berg zu führen schien. Und tatsächlich erkannte Max ganz weit hinten den Beginn einer Höhle, die sich als klaffendes und doch geformtes Loch in den Berg hinein offenbarte.

    „Sag mir nicht …“, sagte Shadow mit anschwellender Freude, als er wie Max den Höhleneingang darin erkannte. Max wusste, worauf er hinauswollte. Dort drinnen würde es keinen Schnee und nur festes Gestein geben, in das sich Shadow mit seinem Schatten zurückziehen konnte.

    „Irgendwie seltsam …“, verkündete Emil, als er sich umblickte. Währenddessen war Shadow drauf und dran, loszustürmen um in die Höhle zu kommen.

    „Was ist seltsam?“, sagte Rose, die Shadow in seiner ansteigenden Freude beobachtete.

    „Dafür, dass hier regelmäßig Lawinen runterfallen sollten, ist es hier ziemlich schneefrei, nicht wahr?“


    Als Shadow schon losgelaufen war, sahen sich die anderen an. Dann lief es Max eiskalt den Rücken herunter. Sie hatten sich zu früh gefreut.

    „Shadow!“, rief Max. „Du läufst in eine Falle!“

    Zum Glück war Shadow trotz seiner Euphorie über festen Boden noch vorsichtig genug. Er stoppte in seinen Bewegungen und sprang, so gut er es rückwärts konnte, von den Felsen zurück. In dem Moment schob sich eine meterdicke Schicht aus seltsam rötlichem Eis aus dem Boden. Knirschend versperrte sie den Weg in den Lawinenberg hinein. Und damit war es nicht genug. Ein erschrockener Aufschrei von Iro und Vane, die ganz hinten standen, veranlasste die anderen, sich umzudrehen. Überrascht und entsetzt sahen sie, wie die beiden kleineren Mamutel an die beiden herangetreten waren und sie nun von hinten zu Boden drückten, sodass Iro und Vane mit dem Gesicht nach vorne im Schnee lagen.

    „He! Was soll …“, rief Eva aus, doch sie erstarrte augenblicklich. Angst stieg ihr in jähem Anflug in die Augen, als sich mehrere kleine Hügel aus Schnee und Eis zu ihren Seiten erhoben. Und aus diesen brachen Eisskulpturen in Form von Wölfen hervor, die sich aber bewegten und mit ihren rotglänzenden Augen die Erkunder ins Visier nahmen. Sie ähnelten in ihrem bizarren Wirken jener Eule, die sie im Wald mit ihrem roten Licht unheilvoll durchleuchtet hatte, bis sie zersprungen war.

    „Das sind sie!“, kam es sowohl von Eva als auch Pawo. „Das sind die Eisbiester!“


    „Etwas harscher Begriff, meint ihr nicht?“, erklang eine Stimme, die ihr Echo von den vielen Felsen zu den Erkundern warf. Dann fiel aus den Wolken ein großer Schatten herab, der prompt vor der großen Eisschicht landete. Max konnte nicht umhin sich zu wundern, ob soeben ein ganzer, mit Schnee bedeckter Nadelbaum vom Himmel gefallen war. Doch dann erkannte er die Arme und Beine des Rexblisars, dessen rot unterlaufene Augen zu misstrauischen Schlitzen verengt waren. Doch es lächelte, als er dem schockierten Blick Evas begegnete.

    „Dieser Biester sind diejenigen, die die Dinge von nun an im Gleichgewicht halten!“

    „Baumblizz?“, rief Eva überrascht und schockiert aus. „Bist du etwa für diese … diese Wesen verantwortlich?“

    „Sag bloß nicht, du kennst ihn?“, sagte Rose und auch Baumblizz neigte den Kopf, um sich Eva genauer anzusehen.

    „Ich wüsste nicht, dass ich ein kleines Gör wie dich kennen würde …“, sagte er dann schroff und seine Stimme klang nach knirschendem Schnee. Ein dumpfes Brummen hinter ihm ließ Max seine Aufmerksamkeit nach hinten lenken. Iro und Vane sträubten sich gegen das Gewicht der Mamutel, das sie von hinten auf den Boden drückte. Zwar waren sie, wie Rose festgestellt hatte, mager und damit eher kraftlos, doch Iro hatte nur einen Arm und Vane zog offenbar das ganze Gewicht seiner Stahlrüstung noch mehr nach unten. Sie beide hatten Schwierigkeiten, sich dagegen zu wehren. Eva wandte sich mit verwirrtem Blick zu Baumblizz um: „Was hat das alles zu bedeuten? Befehligst du etwa diese Eisbiester!“


    „Muss ich dir darauf antworten?“, entgegnete das Rexblisar kalt. „Es spielt ohnehin keine Rolle, da ihr sowieso euer Schicksal gleich treffen werdet!“

    Und kaum, dass die Erkunder noch eine Chance hatten, sich zu erklären, befahl Baumblizz auch schon den Angriff. Die Eiswölfe stürzten sich auf sie und Max hatte kaum Zeit, seine Laubklingen auszufahren. Doch schon erklangen neben ihm mehrere Kanonenschüsse und mehrere Bälle aus dunkler Energie schossen an seinen Ohren vorbei. Emil und Shadow erwiesen sich als recht treffsicher und durch sie hatte Max genug Zeit, seine Laubklingen immergrün leuchten zu müssen. Schon stürzte sich ein Eiswolf mit weit aufgerissenem Maul auf ihn. Max wusste noch von der Eule, dass sie keine lebenden Wesen waren. Er brauchte sich daher nicht wie sonst immer mit der Kraft seiner Klingen zurückzuhalten. Blitzschnell duckte er sich, entging dem eisigen Biss des Wolfes und schnitt ihm mit einer ausholenden Bewegung den Bauch auf. Jäh leuchteten die Augen des Wolfes in dem geisterhaften Rot auf, ehe dieser in mehrere Eissplitter zersprang. Und sofort holte Max auch schon mit seiner anderen Klinge aus, drehte sich dabei nach links und durchschnitt in einer horizontalen Linie die Schnauze eines anderen Wolfes, worauf dieser wie der erste in mehrere Splitter zersprang.


    Sie schlugen sich gut, Emil und Shadow gelang es mit Distanzangriffen, die Wölfe im Schach zu halten und Max war sehr geübt darin, sich zwischen einer Überzahl an Feinden zu bewegen. Schon als Geckarbor hatte er mit Jimmy auf der Ampere-Ebene mehreren Luxio auf die Art getrotzt. Und selbst Pawo, dem die Rachsucht ins Gesicht geschrieben war, wich immer wieder den Bissen aus und stieß sein stumpfes Horn gegen die eisigen Körper der Wölfe.

    Doch einzig Rose schien keine Erfahrung im Kämpfen zu haben. Es grenzte an ein Wunder, dass die Wölfe bisher sie nicht angegriffen hatten. Sie versuchte, sich unbemerkt aus dem Kampfgeschehen zu schleichen, um sowohl sich als auch Eva in Sicherheit zu bringen, die sich vor lauter Angst in einer Schockstarre befand. Als dann doch letztlich ein Wolf sein Interesse auf sie lenkte, stürzte er sich sofort auf sie. Doch schon schob sich Vane zwischen den beiden und der Wolf zerbiss sich an Vanes Stahlkörper die Eiszähne. Erfreut bemerkte Max, wie er und Iro es doch noch geschafft hatten, sich aus dem Griff der zwei Mamutel zu befreien, die nun wie zuvor auf den Boden geschleudert wurden. Der stumme Gigant Mammoth blickte stumm auf das Kampfgeschehen hinab. Seine Miene war unergründlich und Max konnte nicht klar erkennen, ob er sich wie seine zwei Artgenossen auch noch auf die Erkunder stürzen wollte. Beklommenheit stieg in Max hoch bei dem Gedanken. Dies lenkte ihn kurz von dem eigentlichen Geschehen ab und beinahe hätte er dafür gebüßt, weil ein Eiswolf fast seine Zähne in seine Arme versetzt hätte. Doch Iro schützte seinen Anführer, indem er dem Wolf einen saftigen Hieb mit seiner linken Faust verpasste.

    „Konzentrier‘ dich!“, fuhr Iro Max nur barsch an und dieser gab ihm recht. Doch ein erneuter Aufschrei lenkte ihn fast wieder ab. Er wandte sich um.


    Rose wäre es beinahe gelungen, sich mit Eva vom Kampffeld zu schleichen und sich in Sicherheit zu bringen. Doch hinter den Erkundern taten sich weitere kleine Schneehügel auf, aus denen sich weitere Eiswölfe schälten.

    Sie saßen eindeutig in der Falle. Hatten die Mamutel vielleicht mit Baumblizz paktiert und sie bewusst in die Falle manövriert? Doch Eva schien sich derartig sicher, dass sie mit den Erkundern auf derselben Seite waren.
    Endlich kam sie wieder zu Bewusstsein, doch sie sah ganz danach aus, als würde sie bei dem Anblick der neuen Eisbiester gleich wieder in Ohnmacht fallen. Max wollte den anderen zurufen, dass sie sich um Rose formieren müssten, um sie zu schützen. Doch angesichts der nie enden wollenden Überzahl an Feinden, die sich immer wieder aus dem Schnee schälten, stufte er seine Chancen immer weniger gut ein. Und die anderen waren zu beschäftigt damit, sich die Wölfe vom Leib zu halten, sodass Max‘ Vorschlag kaum gehört wurde. Max wollte dann zumindest selbst Rose zu Hilfe kommen, doch durch die Meute zu kommen erwies sich sowohl schwierig als auch gefährlich, da die Wölfe vermehrt nach ihm schnappten. Rose aber war am ehesten in Gefahr, denn vor Angst und Panik schrie sie laut auf. Kaum hatte Max sich dazu entschlossen, wie einem wahren Klingensturm sich durchzuschneiden, leuchtete es bei Rose auf.
    Ein gleißendes Licht in einem hellen Blau, das Max bekannt vorkam, hüllte Rose und sie alle in Schatten. Augenblick hielten sie alle inne, selbst die Wölfe wirkten wie erstarrt und verdutzt in ihrer Bewegung. Dann grollte es laut auf und eine Welle an Schnee türmte sich vor Rose auf. Doch sie selber schien vollkommen verdutzt über das, was sich vor ihr abspielte.

    Dann sahen sie Eva, wie sie mit geschlossenen Augen sich auf etwas zu konzentrieren versuchte. Und ihr Körper war umhüllt von diesem blauen Licht, dass alle Anwesenden in den Bann zog: Die Erkunder, der Gigant Mammoth, die Wölfe als auch Baumblizz, der schockiert, fast angsterfüllt, zu Eva hinüberblickte.

    „Wölfe! Greift sofort dieses Gör an!“, rief er angstvoll aus. Prompt folgten die Wölfe seinem Befehl und stürmten allesamt auf Eva und Rose zu. Shadow rief noch „Nein!“ vor lauter Entsetzen und die Erkunder wollten selber losstürmen, um Rose und Eva zu schützen. Doch dafür waren sie vom Kampf zu erschöpft, als dass sie die Wölfe überholen konnten. Doch dann öffnete Eva die Augen, die im selben hellblauen Licht leuchten. Und eine kraftvolle Aura stieß sich von ihr ab. Die aufgetürmte Welle aus Schnee brach auf die Eiswölfe vor ihnen ein, die daraufhin verdeckt wurden. Und auch die anderen Wölfe stieß es von Eva weg, worauf sie an die Felsen klatschten und in Splitter zersprangen. Nur die Erkunder und Baumblizz schienen von dieser Aura unberührt.


    Nun standen die Erkunder alleine mit dem Rexblisar dar, das verdattert Eva in Augenschein nahm, deren Leuchten erblasste. Eva sackte daraufhin auf Rose Schulter zusammen und wirkte ohnmächtig, worauf sie von den Erkundern nicht minder perplex betrachtet wurde.

    „Nicht möglich … woher hast du …“, stammelte Baumblizz, dessen Augen sich zu Schlitzen verengten. Dann stieß er einen wütenden Schrei aus und sein hölzener, schneebedeckter zog sich in die Länge und nahm an Breite und Gefährlichkeit zu. Mit einem Poltern stürzte er auf Eva los, stieß dabei Vane zu Seite, der sich zu spät ihm in den Weg stellen wollte. Emil und Shadow setzten ihm ihre Angriffe nach, die Baumblizz aber in seiner Rage nicht zu beachten schien. Als er in Reichweite war, hob er den Holzhammer hoch und Max und Iro würden zu spät reagieren, um Rose davor zu retten, die sich nach Evas verblüffender Aufführung nicht mehr bewegt hatte. Nun sah sie nicht weniger perplex, aber in Todesangst, dem Hammer entgegen, der auf sie herabfiel und weil die anderen nicht schnell genug reagieren konnten, war das definitiv ihr Ende.


    Doch eine schlanke, hundeartige Gestalt schoss an Max vorbei. Er konnte nur verschwommen ein Gesicht erkennen, das vor Konzentration angespannt war, sowie blau schimmernde Pfoten. Ein Pokémon dieser Art hatte er noch nie zuvor gesehen und daher war er wie zuvor perplex, als die hundeartige Gestalt bei Rose ankam, sich blitzschnell zum Hammer drehte und ihm ihre Pfoten entgegen hielt. Ein dumpfes Geräusch erklang, dem das Splittern von Holz folgte. Baumblizz schrie auf, halb vor Zorn, halb vor Schmerz, und kaum, dass Max realisieren konnte, was dieses Pokémon vollbracht hatte, flammte es in seinen Augenwinkeln auf. Verdutzt blickte Max auf das Feuer, das von einem anderen Weg auf sie zuschoss. Er erkannte es, doch es konnte nicht sein. Es war nicht möglich, durch die Sandsturmmauer zu kommen, es sei denn, man ritt auf Castiel. Doch es war Jimmy, dessen war er sich sicher. Wie in Trance, als träumte er, folgte er Jimmys Flammenrad, welcher an sie alle vorbeirauschte und auf Baumblizz zuraste. Dieser war über diese neue Entwicklung so derartig baff, dass er vergaß, über seinen zersplitterten Holzarm wütend zu sein. Doch er schrie dann laut auf, als Jimmy dann sein Flammenrad in ihn versengte. Das Tosen der Flammen, das Max seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr gehört hatte, erfüllte die Luft und Max spürte jene vertraute Wärme, von der er befürchtet hatte, sie nie wieder zu erfahren.


    Es ging alles so schnell. Der Holzarm krachte auf den Boden, der schmerzerfüllte Schrei von Baumblizz erstarb und Jimmy löste sein Flammenrad auf. Baum und Schimpanse landeten auf den Boden. Ersterer mit dem Rücken voran und mit ziemlich verkohlten Zweigen, Letzterer auf beiden Füßen. Jimmy blieb eine Weile stehen und hielt den Erkundern den Rücken zugewandt. Dann drehte er sich langsam um und sah dann erst Iro und dann Max in die Augen.





  • Hallo,


    die Reise durch den Schnee ging überraschend gut voran, bis die Gruppe auf Baumblizz getroffen ist. Es mutet schon interessant an, dass zwei der Mamutel daraufhin Gewalt anwenden, das dritte allerdings lediglich zusieht. Ein simpler Pakt scheint das jedenfalls nicht zu sein, allerdings ist das für die Situation auch nicht direkt relevant. Jimmys und Lucys Auftauchen war an dieser Stelle eigentlich nur noch eine Frage der Zeit und fulminanter hätte es gar nicht sein können, als dass sie sich kurzerhand um Baumblizz kümmern. Fraglich ist nun noch, welches Geheimnis Eva verbirgt. Ein gutes Kapitel, weiter so.


    Wir lesen uns!

  • Part V: Grollen


    Eine seltsame Atmosphäre breitete sich zwischen den Mitgliedern des Team Mysterys aus. Emil sah mit einer gewissen Neugier vom Panflam Jimmy, der zutiefst verlegen lächelte, zu seinen Kollegen, die angespannt zu diesem hinüberblickten. Ironhard war dabei der einzige von den beiden, in dessen Gesicht Argwohn lag. Emil hatte es schon erraten, dass die drei im Streit auseinander gegangen waren. Und dass sie wider Erwarten so früh wieder aufeinander getroffen waren, würde gewiss für eine interessante Situation sorgen. Doch sollte sie nicht von dem eigentlichen Ort ablenken. Shadow, Rose, Vane sowie Eva und Pawo waren gänzlich von dieser Szene eingefangen. Doch das hundeartige Pokémon, das mit Jimmy zu ihnen gestoßen war, warf wie Emil hin und wieder Blicke zu dem geschlagenen Rexblisar, dessen Nadeln noch immer rauchten.


    In Emil stieg schon leichte Sorge auf, ob Jimmys Flammenrad nicht etwas zu viel des Guten war. Doch sein Augenmerk lag mehr auf der anderen Beobachterin. Zweifellos musste das die Pute sein, von der Shadow gesprochen hatte. Sie musste wohl jenes Pokémon sein, dass dem Gengar auf eine bestimmte Art und Weise ein blaues Auge verpasst hatte. Emil fragte sich gerade, wie sie das angestellt haben konnte, als dann Max einen Schritt vortrat. Emil sah, wie Ironhard mit seiner linken Hand zuckte. Offenbar war er bereit, Max davon abzuhalten, auf Jimmy loszustürmen.


    „Nun …“, begann dieser so nervös, dass er von einem Bein auf das andere tat. „Hallo …“

    „Hallo?“, rief Ironhard über Max‘ Schulter und seine Augen verengten sich, als er dem Panflam ins Gesicht blickte.

    „Nach allem, was du uns gesagt hast und wir über dich gehört haben, sagst du einfach Hallo?

    „W-Was habt ihr von mir gehört?“, warf Jimmy mit vor Überraschung aufgerissenen Augen und fand hilfesuchend den Blick seiner Begleiterin. Bevor sie sich aber äußern konnte, beantwortete Ironhard seine Frage: „Ich frage dich mal einfach: Weißt du denn, wer wir sind?“

    „Natürlich!“, antwortete Jimmy sofort und entrüstet, doch schien es ihm zu dämmern. Es war eine subtile, aber doch effektive Bewegung, die ihn klein werden und schuldbewusst blicken ließ. Ironhard schnaubte und übertönte damit die Bitten von Max, einen Augenblick ruhig zu bleiben. „Du willst mir jetzt nicht sagen, dass du dich wieder einfach so an uns erinnerst, nachdem du uns verleugnet hast?“

    „Ich habe euch nicht verleugnet!“, rief Jimmy, warf dabei Shadow einen kurzen Seitenblick zu. Dass ein zur Fahndung ausgeschriebenes Pokémon völlig unbekümmert in seiner Nähe stand, schien Jimmy stutzig zu machen, doch schaffte er es, seinen Blick wieder seinen Noch-Kollegen gelten zu lassen.

    „Es stimmt, ich habe meine Erinnerung kurzzeitig verloren, nachdem mich dieser Sandsturm weggeweht hatte, aber seither ist viel Zeit vergangen, in der ich mich wieder erinnert habe!“

    „Was Jimmy sagt, entspricht der Wahrheit!“, meldete sich nun das hundeartige Pokémon. Alle Umstehenden warfen ihr fragende Blicke zu, die sie sofort richtig deutete. Sie trat einen Schritt vor und sprach erst zu allen, bevor sie sich an Max und Ironhard wandte: „Mein Name ist Lucy, Erkunderin der Glacial Hearth-Gilde. Ich bin Jimmy in der Schädelwüste begegnet und er konnte sich wirklich an nichts erinnern. Erst vor Kurzem, als wir in einem Höhlensystem nicht weit von hier Halt gemacht haben, sind seine Erinnerungen zurückgekehrt. Er hat mir dann seine Geschichte, die auch die eure ist, erzählt.“

    „Sind sie das? Und hat er das?“, entgegnete Ironhard kühl und warf Jimmy einen forschen Blick zu. Max hingegen wandte seine Aufmerksamkeit von Jimmy ab und blickte Lucy an. Verblüffung und Dankbarkeit standen in seinem Gesicht geschrieben:

    „Dir haben wir es zu verdanken, dass Jimmy wohlauf ist, oder?“, sagte er und tat auch mit ausgestreckter Hand einen Schritt auf Lucy zu, die aber abwehrend ihre eigenen hochhielt: „Wir haben uns gegenseitig unser beider Leben zu verdanken. Ich mag ihn zwar in der Schädelwüste aufgelesen und ihn bis hierher gebracht haben, er aber hat auch mein Leben gerettet. Er war sehr tapfer und mutig in der Zeit, in der wir zusammen unterwegs waren!“

    „Hm!“, rief Iro mit hochgetriebener Verwunderung aus und mit verächtlichem Blick sah er seinen Kollegen an. „Das klingt aber nicht nach dem Jimmy, den du uns beschrieben hast, nicht wahr? Ein Feigling, der nicht ernstgenommen werden kann und der uns Vorwürfe wegen unserer Entwicklung macht. Ganz zum Thema, wir würden ihn damit überschatten?“

    „Iro!“, warf Max scharf ein und warf seinem großen Freund einen warnenden Blick zu. Abermals schnaubte Ironhard und wandte sich ab. Seine Worte erzielten bei Jimmy eine Wirkung, denn obwohl er von Emil mehrere Fußlängen entfernt war, sah Emil Tränen in seinen Augen glitzern. Jimmy rieb sich fahrig die Hände, die vor Kälte blau angelaufen waren, doch schien Jimmy dies nicht zu spüren.„Es war falsch von mir …“, brach er dann hervor. „Sowas über euch zu sagen … von mir zu sagen …“


    „Und du glaubst, damit sei alles vergeben und vergessen?“, sagte Iro ernst und Emil hörte einen bedrohlichen Unterton in seiner Stimme. Er konnte sich nun recht gut vorstellen, was alles bei ihrem Streit gesagt wurde, und mehr als zuvor war Emil daran interessiert, wie sich das Gespräch zwischen den dreien entwickeln würde. Auch Lucy, Shadow sowie Rose und Vane schienen am Ausgang interessiert, doch lenkte Eva mit einem lauten Räuspern die Aufmerksamkeit aller auf sich.

    „Tut mir leid!“, sagte sie schuldbewusst über die Unterbrechung der Szene. „Doch was auch immer ihr zu besprechen habt, könntet ihr das vielleicht innerhalb des Lawinenbergs tun? Ich fürchte, wenn wir hier zu lange verweilen, wird uns eine Lawine allesamt überrollen. Und außerdem …“, schloss sie langsam und bedeutete Rose, sich dem Rexblisar zu nähern. Auch die anderen scharten sich um den geschlagenen Körper, wobei Jimmy eher die Nähe zu Lucy als zu seinen eigenen Teamkameraden suchte. Traurig blickte Eva von Roses Schulter auf Baumblizz herab:

    „Eigentlich sei er, so sagt meine Mami jedenfalls, eine Art Hüter, der den Eingang zum Lawinenberg bewachen soll. Er stelle sich Pokémon, die ihn erklimmen wollen, in den Weg und prüft deren Absichten und Stärke …“

    „In den Weg gestellt hat er sich uns …“, kommentierte Shadow trocken. Eva seufzte.

    „Dass er aber bereit war, uns alle mit den Eisbiestern zu töten …“

    „Wurde einer von euch eigentlich gebissen?“, warf Lucy scharf dazwischen ein und blickte in die Runde. Erleichterung stieg ihr ins Gesicht, als sie erkannte, dass keiner der Umstehenden gebissen wurde.

    „Denn die Bisse der Eiswölfe enthalten einen Fluch, der dich langsam aber sicher von innen heraus auffrisst!“, erklärte sie den anderen und wies mit ihrer schwarzen Pfote auf die rechte Seite ihrer Hüfte. Unter Roses erschrockenem Aufschrei sahen alle die große Brandnarbe, die zwar hell und am verheilen, dennoch bizarr anzublicken war. Wie in einer Wellenbewegung blickte alle der Reihe nach zu Jimmy, der zusammenschrumpfte.


    „Warst du das?“, sagte Ironhard tonlos und blickte mit zurückgehaltenem Abscheu zwischen Lucys Narbe und Jimmy hin und her. Ihre Augen verengten sich bedrohlich, als sie dem Impergator ins Gesicht blickte: „Er hat mir mit seinem Feuer das Leben gerettet! Denn diese Bisswunden kann an einem Ort wie diesen am ehesten mit Feuer ausbrennen!“

    Offenbar schien in Ironhard Kampfeslust sich zu entwickeln, denn eine Weile lang starrten er und Lucy sich finster an. Dann weichte sich seine Miene und er murmelte etwas in der Art, dass er voreilig gewesen war.

    „Was ist eigentlich mit denen?“, rief Vane in die Runde und wies zu dem stummen Giganten, der sich wie ein Beschützer vor seinen ohnmächtigen Artgenossen aufgestellt hatte. Auf die Art sah der Gigant noch eindrucksvoller und auch gefährlicher aus, doch Eva war drauf und dran, sie schnell zu beruhigen. Laut rief sie, sodass auch der Gigant ihre Worte trotz des mäßigen Schneegestöbers hören konnte:

    „Wenn er uns bisher nicht angegriffen hat, dann wird er das auch jetzt nicht tun! Ich bin aber immer noch erschrocken, dass sie Iro und Vane angegriffen hatten …“

    „Ich dachte, dass man ihnen vertrauen könnte …“, warf Rose vorsichtig ein und blickte Eva von der Seite her an. Betrübt ließ diese den Kopf hängen.


    „Nun …“, meldete sich Shadow, der aus seinem Schatten eine kleine blaue Beere herausholte. „Wir werden vielleicht von dem hier“, und er deutete auf Baumblizz, „recht bald erfahren, warum hier alles drunter und drüber ging!“

    Er warf Emil einen Blick zu, der sofort verstand. Er stimmte Shadow auch zu. Die Mamutel waren allesamt zu schweigsam und Eva und Pawo waren nicht diejenigen, die Antworten auf diese Fragen geben konnten. Das war in der Hinsicht nur Baumblizz, dem Shadow nun eine Sinelbeere vorsichtig in den halb geöffneten Mund schob. Emil trat einen Schritt zurück, die anderen taten es ihm nach. Und während sie alle mit gespannter Erwartung auf Baumblizz blickten, ließ Emil seine beiden Kanonen nach vorne schnellen, die er auf das Rexblisar richtete.

    Endlich regte sich Baumblizz und seine schneebedeckten Zweige zitterten, sodass feiner Schnee nach unten rieselte. Dann versuchte er sich unter schmerzerfülltem Stöhnen sich aufzurichten, doch mit halb erhobenem Körper hielt er inne. Er hatte die Kanonen gesehen, die Emil völlig gelassen auf seinen Kopf gerichtet hatte. Und Emil war sich sicher, dass sie beide ein und dieselbe Nachricht überbrachten: Eine falsche Bewegung und ein Hyperstrahl schießt dir durch deine Gedanken!


    „Baumblizz …“, begann Eva vorsichtig. Das Rexblisar wandte nur langsam seinen Blick von den Kanonen Emils ab und sah dann Eva argwöhnisch an

    „Du tust immer noch so, als würdest du mich kennen, du kleines Gör?“, sagte er im schroffen Ton, doch entging es Emil nicht, dass er Eva anblickte, als würde er versuchen, sie auf irgendeine Art und Weise wiedererkennen.

    „Du magst mich nicht kennen, doch durch meine Mama und den Wächter weiß ich einiges über dich …“, entgegnete Eva langsam. Bei der Erwähnung des Wächters schnaubte Baumblizz verächtlich und Emil malte sich schon aus, welche Art von Erzählung kommen würde.

    „Du kennst den Wächter? Weißt du auch schon um dessen Schicksal Bescheid?“

    „Welches meinst du?“, fragte Eva, doch schien sie zu wissen, worauf Baumblizz hinauswollte. Ihre Stimme schwächte ab und voller Angst blickte sie zu Baumblizz auf. Dieser lachte in lauten Stößen auf, sodass Schneewolken immer wieder nach vorne geworfen wurden:

    „Der Wächter ist tot! Dafür hat meine Herrin gesorgt! Von Anfang an hatte er keine Chance gegen sie gehabt und hat daher den Kürzeren bei ihr gezogen!“

    „Das glaube ich dir aber nicht!“, entgegnete Eva trotzig und Tränen standen in ihrem Gesicht. Bei der Gelegenheit blickte Emil die anderen reihum an. Rose, Vane und Max wirkten sichtlich bestürzt. Pawo, Ironhard und Shadow blickten grimmig drein. Jimmy, der diese Nachricht zum ersten Mal vernehmen musste, schien schockiert und entsetzt. Bei Lucy allerdings stutzte Emil. Als einzige der Gruppe warf sie immer wieder Blicke sowohl hoch zur verborgenen Spitze des Lawinenberges als auch zu der Mauer aus rötlichem Eis, wobei sie bei beidem die Augen schloss und auf etwas zu achten schien. Als sie sich dann dem Gesprächskreis wieder zuwandte, galt ihr Blick ausschließlich dann Eva. Emil bemerkte, dass in Lucys rötliche Augen sowohl Neugier als auch so etwas wie Argwohn oder Misstrauen lag. Doch ein lautes Poltern von Baumblizz ließ Emil leicht zusammenzucken. Denn er dachte schon, dass dieser zum Angriff ansetzen würde. Doch auf Evas Trotz lachte dieser nur laut auf:

    „Sieh es ein, du Göre! Der Wächter und jene, die ihm zur Hilfe geeilt sind, hätten gut daran getan, zu fliehen, ehe meine Herrin hier angekommen war!“


    „Deine Herrin?“, bemerkte Lucy forsch und erstmals wandte sie sich Baumblizz zu. Dieser warf ihr ehrfürchtige Blicke zu, doch die Ehrfurcht galt nicht Lucy:

    „Meine Herrin … meine Gebieterin … diejenige, die die richtige Vision von der perfekten Welt hatte. Ich habe sie gewarnt, dass Arktos stark gewesen sei, doch das hatte sie nicht wirklich interessiert. Und kaum, dass ich sie durchgelassen hatte, waren nur wenige Stunden vergangen, bis sie siegreich zurückgekehrt war. Von dem Zeitpunkt an würde es nur an etwas Zeit brauchen …“, und Baumblizz lächelte selig. Eva starrte ihn entsetzt an.

    „Du … du hast die Hexe durchgelassen?!“, rief sie. „Ohne, dass du sie daran gehindert hast?“

    „Gehindert? Warum sollte ich das tun?“, entgegnete Baumblizz und fasste Lucy schräg ins Auge. „Nicht nur, dass meine Herrin wusste, was für diese Welt zu tun sein, sie war auch ein Wesen, das eine Macht besaß, von der selbst der Wächter nur träumen konnte. Mir war sofort klar gewesen, dass meine Treue allein meiner neuen Herrin gelten sollte.“

    „Aber … Baumblizz … hat Arktos … hat er dir nie erklärt, was seine Aufgabe für die Welt bedeutet? Du müsstest dann doch verstehen, dass sein Tod eine Katastrophe darstellen würde ..."
    „Nicht für alle …“, schüttelte Baumblizz den Kopf und setzte zu einem Grinsen an, das ihm ein bedrohliches Glimmern verlieh. „Eventuell versteht ihr es, wenn der ewige Winter die gesamte Welt umfasst hat. Ihr werdet dann dessen ewige Schönheit kennen lernen …“

    „Diese Hexe … deine Herrin …“, sagte dann Lucy ruhig, aber Emil spürte eine unterdrückte Abscheu in ihrer Stimme. „Sie ist also verantwortlich für die Störungen, die seit fünf Jahren von dem Lawinenberg ausgehen?“

    Baumblizz schenkte ihr keine Beachtung und wandte seinen Kopf von ihr. Dafür blickte er Eva in die Augen, die zutiefst erschüttert und mit Tränen im Gesicht ihn anblickte. Doch bevor sie etwas sagen konnte, hopste Pawo mit vor Wut verzerrtem Gesicht an ihr vorbei und warf sich mit seinem Horn voran auf Baumblizz.

    „DU … ELENDER … VERRÄTER!“, schrie Pawo zornig und versuchte, das Gesicht des Rexblisars mit seinem Horn zu treffen. Dieser wehrte sich verständlicherweise dagegen und es machte Emil nicht leichter, seine Kanonen auf Baumblizz zu richten. Unter dem wütenden Aufschrei beider fand dieser Kampf statt, bis dann Vane herantrat und Pawo von Baumblizz wegzog, wogegen das Jurob sich sträubte. Doch diesen Moment nutzte Baumblizz blitzschnell aus. Er warf sich nach vorne und hieb mit einem Arm nach Eva und Rose. Beide schrien erschrocken auf und Rose stolperte zurück. Der Hammerarm von Baumblizz verfehlte und bestimmt hätte er es erneut versucht, Eva mit diesem anzugreifen. Doch sofort hatte Shadow ihn mit seinem Schatten gefesselt und Emil stieß bissig eine Hydropumpe in sein Gesicht. Noch dazu war Lucy an seinen Hinterkopf getreten und hatte diesem einen gezielten Schlag mit der Pfote verpasst. Baumblizz fiel vornüber und blieb reglos wie ein gefällter Baum auf dem Boden liegen.


    „Nein, bitte!“, rief Eva den drei Pokémon zu. „Tut ihm nicht weh! Vielleicht wurde er ja von der Hexe verhext und hat deswegen solche Dinge gesagt …“

    „Ich fürchte nein, tut mir leid“, sagte Lucy in sachlichem Ton und blickte Eva ernst an. „Er stand unter keinem Einfluss. Offenbar war er selber recht von dem überzeugt, was er gesagt hat. Und ich bezweifle, dass wir mehr aus ihm herausbekommen hätten …“

    „Du scheinst es ja sehr genau zu wissen, wann ein Pokémon verhext ist oder nicht, was?“, stellte Vane beeindruckt fest. Emil und Shadow wechselten skeptische Blicke, doch Lucy nickte, als sei es für sie nur selbstverständlich. Sie blickte Shadow und Emil an, als sie ihnen die Ungläubigkeit in ihren Gesichtern ansah: „Die Aura hat mir vieles vermittelt, was dem bloßen Auge verborgen bleibt. So auch die Empfindungen des Rexblisars bei seinen Aussagen.“Shadow schnaubte und Lucy blickte ihn geradewegs an und ihre Miene verhärtete sich: „Ich würde an deiner Stelle die Aura ernstnehmen, denn durch sie erst hast du dein blaues Auge erhalten …“

    „Für das du dich langsam mal entschuldigen könntest!“, fauchte Shadow zurück. Seine und Lucys roten Augen sahen sich eine Weile durchdringend an, dann glättete sich Lucys Miene und ihre Stimme klang nun sanfter: „Du hast Recht! Verzeih mir bitte, ich habe vorschnell gehandelt, als wir uns in der Schädelwüste begegnet sind!“

    „Achso …“, rief dann Vane, dem endlich ein Groschen gefallen zu sein schien. Alle blickten ihn an. „Das ist also die Pute, von der du uns erzählt hast, Boss?“

    Lucy druckste bei dem Spitznamen: „Pute?“


    „Gut jedenfalls, dass ihr euch vertragt!“, rief Vane gelassen und trat an Lucy heran und hielt ihr eine stählerne Kralle hin. „Weißt du, der Boss mag zwar ein gesuchter Verbrecher sein, aber er ist ein guter Kerl. Und gut, dass ich nicht mehr sein blaues Auge vergelten muss …“

    „Nun, ich bin sicher, es lässt sich alles aufklären“, entgegnete Lucy und nahm die Kralle von Vane an und schüttelte. „Ungern hätte ich euch alle wehgetan …“

    Vane blinzelte mehrmals und blieb wie angewurzelt stehen. Lucy aber wandte sich von ihm ab und trat an Max und Ironhard heran: „Ich will euch versichern, dass Jimmy mit seinem Erinnerungsverlust die Wahrheit gesagt hat. Er hat sich sozusagen vor wenigen Augenblicken an euch erinnert, bevor wir zu euch gestoßen sind!“

    Sie warf Jimmy einen Blick zu und bemerkte, dass ihm nicht wohl bei dem Gedanken war, dass diese Angelegenheit noch immer im Raum stand. Peinlich berührt entfernte sie sich von dem Team Mystery, dessen Mitglieder sich verlegene und argwöhnische Blicke zuwarfen, und trat an Rose und Eva heran.

    „Du scheinst den Wächter zu kennen, nicht wahr?“, sagte sie zu Eva, die ihren Blick nicht erwiderte. Lucy schien eine Weile zu überlegen, bis sie fortfuhr.

    „Sieh mal … Das Rexblisar schien fest davon überzeugt zu sein, dass der Wächter tot ist … doch du glaubst dem nicht, oder?“ „Er kann nicht tot sein … er ist doch der Wächter, oder?“, sagte Eva leise und blickte zu Lucy auf. Eine Weile lang starrten sie sich an und Lucys Blick schärfte sich, bis sie dann die Augen schloss. Dann nach einigen Sekunden öffnete sie diese wieder und lächelte aus irgendeinem Grund dann zufrieden.


    „Ob tot oder nicht … wir müssen dem Fluch des Lawinenbergs ein Ende setzen!“, rief sie laut über die Köpfe der anderen hinweg, sodass sie sich ihr zuwandten. Sie trat auf das rötliche Eis zu, bei dem bei näherem Betrachten eine außerordentliche glatte Oberfläche zu erkennen. Lucy ließ eine blau leuchtende Pfote über dieses fahren und schien sich auf etwas zu konzentrieren.

    „Das sollte funktionieren …“, sagte sie dann leise, mehr zu sich als zu den anderen. Vane, der an ihre Seite getreten war, stieß einen kurzen Lacher aus: „Natürlich wird das einfach, sieh her!“.

    Und prompt formte sich Diamant um seine ausgebreitete Kralle, die so schnell herabfuhr, dass sie wie ein glitzernder Blitz wirkte. Doch ein seltsames Geräusch, als würden zwei Schwertklingen aufeinander treffen, erklang und Vane fluchte vor Schmerz auf. Das überraschte Emil, denn er hatte das Stolloss noch nie vor Schmerz aufstöhnen hören. Noch dazu bemerkte er nicht weniger erstaunt, dass das Eis keinerlei Kratzer davon getragen hatte. Auch Pawo wollte es bereits versuchen, doch Emil schmunzelte bei dem Gedanken, wie das Horn des Jurobs endgültig den Geist aufgeben und abbrechen würde.

    Bevor es aber dazu kam, hielt Lucy Pawo davon ab, sich dem Eis zu nähern, und blickte zu Vane: „Ich wollte dich noch warnen, dass dein Diamant keine Wirkung zeigen wird. Und Feuer leider auch nicht …“, fügte sie dann an Jimmy gewandt zu, der enttäuscht wirkte.

    „Bist du sicher?“, hakte Shadow skeptisch nach. Als Antwort deutete Lucy erst auf Vanes diamantene Hand und dann auf das Eis.

    „Dieses Eis wird von etwas verstärkt, das sich sowohl innerhalb des Lawinenbergs als auch auf dessen Spitze aufhält. Und dieses Etwas stellt den Kern für all die Störungen dar, die in der ganzen Firntundra zu vernehmen waren. Und dieses Etwas hat auch die ganzen Eisbiester sowohl zum Leben erweckt als auch diese kontrolliert.“

    Stille legte sich über sie, in der das erste Mal wieder der heulende Wind zu vernehmen war. Emil blickte Lucy an. Woher um alles in der Welt wollte sie das so genau wissen? Und anhand der perplexen Mienen der anderen war Emil sich sicher, dass sie genauso dachten. Lucy blickte alle an, ehe sie verlegen lächelte: „Das weiß ich durch die Kraft der Aura … und diese Kraft wird uns auch helfen, durchzubrechen. Eventuell solltet ihr euch auf eine Druckwelle vorbereiten …“

    Ohne auf irgendein Einverständnis oder Widerspruch zu warten drehte sich Lucy um und studierte das rötliche Eis eingehend. Nicht zu überhören schnaubte Vane in ihrer Nähe: „Yeah, sicher … als würde die Aura alles ermöglichen!“

    „Wenn du wüsstest …“, hörte Emil Jimmy leise sagen. Und zugleich sollte er jetzt auch einen Grund bekommen, Lucy da ernster zu nehmen.

    Sie hatte beide Pfoten auf das Eis gelegt und schien in ihren Armen Kraft zu sammeln, die sich auch direkt in einem blauen Schimmer äußerte. Ein Brausen erklang und die Luft schien fast zu vibrieren. Emil spürte, wie sein Atem etwas knapper ausfiel als zuvor und mit einem Anflug von Ehrfurcht blickte er zu Lucy, die nun laut anschwellenden schrie. Der blaue Schimmer, der sich um ihre Arme gebildet hatte, drang nun auf das Eis ein, in das er auch verschwand.

    „Deckung jetzt!“, rief Lucy und sofort erklang ein tiefes Krachen, das durch die Luft hallte. Das rötliche Eis fing Risse, aus denen es laut zischte. Dann zersprang das Eis unter einem lauten, widerhallenden Krachen auf und grobe Bruchstücke verteilten sich auf dem Weg, denen die anderen ausweichen mussten. Doch kaum, dass sie Gelegenheit hatten, Lucys Kräfte zu bestaunen beziehungsweise diese anzuzweifeln. Denn auf das Krachen des Eises folgte ein seltsames Donnergrollen, das sie alle während ihres Aufenthaltes in der Firntundra nicht ein einziges Mal gehört hatten. Doch Emil erkannte, dass kein Gewitter im Ansturm war. Es war ein Grollen, das stimmte, aber es kam von oberhalb des Lawinenberges …


    „LAUFT!“, schrien er und Eva zeitgleich. Emil hatte Schwierigkeiten mit seinen kurzen Beinen und dem schweren Panzer zu rennen. Und er fluchte leise vor sich hin, dass seine Unbeweglichkeit ihm wieder einmal zum Verhängnis wurde. Aus den Augenwinkeln sah er er, wie Jimmy versuchte, den noch ohnmächtigen Baumblizz mit sich zu ziehen, doch wurde er von Iro von diesem weggerissen. Mit Jimmy unterm Arm spurtete er an Emil vorbei. Und weil das Grollen bedrohlich, fast rasend, näher von oben kam, besann sich Emil, der der Letzte der Sprinter war, auf ein Manöver, das er sich bisher nur erdacht, nie aber getestet hatte. Er drehte sich, entgegen des erschrockenen Aufschreis von Shadow und Rose, um und ließ sich mit dem Bauchpanzer voran auf dem Boden fallen, wobei er sowohl Arme, Beine als auch seinen Kopf einzog. Eine vertraute Dunkelheit umfasste ihn und Emil ließ sich innerhalb einer Sekunde die eingeprägten Details seiner Umgebung durch den Kopf gehen. Obwohl er nichts sah, wusste er, dass er seine beiden Kanonen auf den Boden vor ihm gerichtet hatte. Mit zwei Hydropumpen, die sich in mächtigen Strahlen an Wasser entfesselten, stieß er sich vom Boden ab und flog schon fast über diesen. Doch er hatte unterschätzt, wie stark seine Pumpen jeweils wirkten. In der Luft verlor er da Gleichgewicht und er spürte, wie sein Panzer hart gegen eine harte Steinwand krachte. Emil sah kleine Sterne vor sich aufblitzen und der Aufprall erregte Übelkeit in ihm. Sofort steckte er seinen Kopf hervor, um wieder frischere Luft zu atmen. Obwohl seine rechte Seite vom Aufprall noch etwas schmerzte, sah Emil zufrieden, wie sein Manöver ihn bis zum Eingang der Höhle katapultiert hatte, die in den Lawinenberg hineinführte. Er ließ sich von Vane aufhelfen und zusammen mit den anderen spurteten sie in diese hinein.


    In diesem Augenblick hoch erreichte die riesige Lawine den Boden. Unter einem gewaltigen Rauschen und Krachen brachen dicke Schnee- und Eismassen auf den Boden vor der Höhle ein und türmten sich zu einer dicken und undurchsichtigen Mauer auf. Das Rauschen erstarb, ein Grollen blieb übrig. Und irgendwann verstarb auch dies und die Pokémon befanden sich inmitten von undurchdringlicher Dunkelheit.






  • Hallo,


    es hat lange gedauert, aber nun ist die Gruppe endlich wieder beisammen! Auch wenn Iro es am wenigsten zugeben würde, ist er vermutlich am frohesten über den Umstand, dass das Team Mystery wieder vollzählig ist. Gleichzeitig stimmt Baumblizz auf die winterliche Hexe ein, die es wohl am Ende zu bekämpfen gilt und die die Firntundra übernommen hat. Aktuell habe ich ja noch das Gefühl, dass auch hier Geheimnisse lauern, die bisher keine Erwähnung fanden und ich freue mich zu sehen, wie die Auflösung sein wird. Ansonsten: Lucy erwähnt oft ihre Aura, wodurch sie recht eingebildet wirkt.


    Wir lesen uns!



  • 21
    Einfrierender Kern


    Part I: Das Heiligtum


    Gewiss würde ohne Licht der Aufenthalt in einem Höhlengang alles andere als ein Vergnügen sein. Weil sich alle darüber einig waren, war Max froh, dass in ihrer Mitte das Licht eines Leuchtorbs aufging. Lucy hielt ihn in ihren Pfoten und wartete ab, dass auch Shadow und Max jeweils einen solchen Orb herausholten und diese zum Leuchten brachten. Kaltes Licht füllte den engen Höhlengang aus, von dessen Wänden es ab und an glitzerte. Beim genaueren Betrachten erkannte Max Flächen und Kristalle aus Eis, die sich wie Adern über das Gestein zogen. Er konnte fast schön hören, wie das Eis glitzerte, denn eine unheilvolle dröhnende Stille umfasste sie, welche nur von den Bewegungen der anderen unterbrochen wurde.

    Er spähte im Halbdunkeln nach vorne. Vor ihnen führte die Höhle in eine undurchdringliche Tiefe hinein und ein seltsames Pfeifen lag in der Luft, als würde die Luft über sie hinweg in diese hineinrauschen. Max fühlte sich, als hätten sie alle den Rachen einer riesigen Bestie betreten, aus der es so schnell kein Zurück gab. Der Eingang der Höhle war von einer wahrscheinlich meterhohen und auch dicken Schneedecke zugeschüttet worden.


    Auch den anderen merkte Max es an, dass sie diesen Ort nicht gerade als Erholung empfanden. Die sie umgebende Dunkelheit und Stille schien auch sie zu bedrücken. Fast alle blickten argwöhnisch und erwartungsvoll in die Dunkelheit hinein und auch Lucy schien erst zögern zu wollen, weiterzuschreiten. Doch es gab keinen anderen Weg und Max ahnte, dass es unklug wäre, an ein und demselben Ort zu verweilen.

    „Genau …“, sagte Lucy langsam, als Max vorgeschlagen hatte, weiterzugehen. Ihre Stimmen erschallten laut in der Stille, sodass Max über seine eigene Lautstärke erschrak. Unheimlich war auch die Tatsache, dass sie nicht an den Wänden widerhallten, als würden sie direkt von der Dunkelheit verschluckt werden. Lucys Blick wurde argwöhnischer und sie blickte angespannt nach vorne, ehe sie sich wieder den anderen zuwandte. „Haltet aber die Augen auf, ich weiß nicht, ob und was uns in dieser Dunkelheit auflauern könnte …“

    „Kannst du es nicht erspüren?“, rief Jimmys Stimme laut über sie hinweg. Rose und Pawo zischten, da sie sich erschrocken hatten. Stillschweigend kamen sie zu der Übereinkunft, dass sie ab sofort flüstern sollten.


    „Nein …“, entgegnete Lucy leise und Max hörte Besorgnis in ihrer Stimme. „Irgendetwas überlagert meine Sicht …“

    „Du meinst du die Dunkelheit?“, fragte Max, der zu Lucy aufgeschlossen hatte. Ihre roten Augen hatten sich durchgehend auf den Weg vor ihnen fixiert.

    „Nein …“, flüsterte sie. „Irgendetwas stört meine Sicht, die ich sonst mit meiner Aura hätte. Als ich mit Jimmy durch die Tundra unterwegs war, konnte ich mit dieser bis zu dem Lawinenberg sehen. Hier drinnen aber macht sich eine Art dunkle Störung breit … ich kann also genauso weit wie ihr alle sehen …“

    „Diese Aura, von der du sprichst …“, drang Vanes Stimme zu ihnen und obwohl er zu flüstern schien, war seine Stimme wie ein Dröhnen in ihren Ohren. „Was ist das genau für eine Fähigkeit? Es scheint, als klänge sie nützlich …“


    Lucy lächelte sanft. Bevor sie antwortete, kamen sie an einer Stelle, der nach unten in die Erde führte. Ganz schwach konnten sie im Licht der Leuchtorbs Steinflächen erkennen, die groß genug waren, dass man auf ihnen stehen konnten. Doch kaum, als sie und Max voran die ersten Schritte taten, stockten sie unfreiwillig in ihren Bewegungen. Max, der dieses Gefühl schon zweimal erlebt hatte, erschrak nicht so laut wie Lucy, die überrascht aufschrie. Die Stimmen von Pawo, Eva und Jimmy hinter ihnen verriet ihm, dass auch sie von irgendetwas erfasst wurden. Dann spürte er, wie eine Art von Händen seine Fußgelenke packten und ihn in eine neue Art von Schwärze zogen. Diese aber war getaucht in rötliches Licht, dass durch ein kreisrundes Fenster fiel. Durch dieses sah Max, wie sich deutlich mehr Details von der Höhle erkennen ließen. Seine Vermutung, sie hätten das Innere einer Bestie betreten, erhielt durch den Blick auf den Höhlengang Bekräftigung. Wie ein unförmiger Schlund zog sich der Höhlengang in die Länge und Tropfsteine, gegen die Max und auch einige andere bestimmt gestoßen wären, wirkten wie Zähne in diesem Gang. Ein Ruck verriet ihm, dass er sich in Bewegung setzte. Er glitt über das Gestein, als würde er schwimmen und die schimmernden Höhlenwände waren wie verschwommen wahrzunehmen.

    Es vergingen nicht viele Minuten, in denen Max in der Schwärze über eisfreie Stellen glitt. Dann auf einmal schien die Schwärze in einer gewissen Art zu vibrieren, als er in der Ferne einen kreisförmigen Ausgang sah. Mit einem Mal dann zogen ihn Arme, die ihn unter seine Schulter packten, nach oben und er fand sich in der deutlich kühleren Schwärze wieder. Ein mehrfaches Keuchen ließ ihn vermuten, dass auch die anderen aus dieser geholt wurden.

    „Du kannst … ruhig vorher Bescheid sagen“, japste Rose, die sich mit allen Vieren vom Boden aufrichtete. „Es ist erschreckend, wenn du uns ohne Vorwarnung in deinen Schatten packst, Shadow!“

    „Tut mir leid …“, murmelte Shadow, der zwischen ihnen stand und sich vergewisserte, dass es allen gut ging.

    „Das sollte es auch! Sieh dir Eva an, verflixt!“, fauchte Rose ihn und Max sah, wie sie zu Eva beugte, die, erschrocken wie sie war, den Tränen nah war.

    „Was war das überhaupt?“, keuchte Jimmy und sah Shadow entgeistert an. Max erklärte ihm und damit auch Lucy und Pawo, was es mit dem Reisen in Shadows Schatten auf sich hatte.

    „Deinem Namen machst du alle Ehre!“, brummte Pawo und schüttelte sich. Jimmy wirkte zwar von dieser Fähigkeit des Gengars erstaunt, dennoch bestätigte er Roses Ansicht, dass es durchaus unangenehm war, aus dem Nichts heraus in einen Schatten gezogen zu werden. Lucy betrachtete Shadow eine Weile eingehend und Max spürte, dass sie die Situation abwägte. Zum einen stimmte es, was Pawo, Jimmy, Rose und Eva empfanden. Andererseits, und das mussten alle im Schatten gesehen haben, hatten sie soeben einen höchst unsicheren und nahezu unbegehbaren Weg zurückgelegt. Max fragte sich nur, wieso Shadow gerade an der Stelle Halt gemacht hatte. Auf dem Boden vor ihnen befand sich kein Eis. Doch Lucy schien zu ahnen, was Shadow in seiner Bahn aufgehalten hatte. Sie wandte sich dem kreisrunden Loch zu, aus dem ein seltsames rötlich violettes Licht drang. Auch Max spürte es. Es war ähnlich dem rötlichen Licht, das von den Eisbiestern ausging, nachdem sie zerschmettert wurden. Und damit war klar, dass etwas Bedrohliches vor ihnen lag.

    „Macht euch zum Kampf bereit …“, erklärten er und Lucy den anderen, die die Warnung sofort ernst nahmen. Max vermutete, dass auch sie bei dem Licht das Gefühl von Gefahr verspürten. Sie gingen weiter und näherten sich dem Ausgang des Höhlenganges.


    Sie blickten dann auf eine Art riesige kreisrunde Halle herab. Das Auffälligste an dieser war eine riesige Säule aus rötlich-violettem Eis, das ein Leuchten derselben Farbe ausstrahlte. Schemenhaft wurden rings um diese Eissäule riesige Steinsäulen und Steinbögen beleuchtet, die verzerrte Schatten zu den hohen Wänden warfen und hin und wieder Eingänge zu anderen Höhlenabschnitten verdeckten. Die Eissäule hatte einen enormen Fuß, der fast so groß wie ein Eisberg war. Max erkannte, dass sie mit zunehmender Höhe ganz geringfügig schmaler wurde und durch die Höhlendecke zu ragen schien. Als die anderen aus dem Höhlengang traten, pfiff Jimmy erstaunt, während andere den Atem anhielten.

    „Wow … cool …“, sagte Vane ehrfürchtig bei dem Anblick dieser imposanten Eissäule.

    „Was ist das nur für ein … was ist das?“, kam es von Rose, der der Atem stockte.

    Es war klar, dass die anderen wohl kaum eine Antwort darauf hatten, schließlich waren sie die ersten nach … oder sie waren die ersten überhaupt? Max bezweifelte, dass es je ein Erkunder vor ihnen geschafft hatte, diesen Ort zu erreichen, denn sonst hätten gewiss Erzählungen über diesen Ort existiert.

    „Das ist der Kern des Lawinenbergs, der dem Wächter Arktos dabei hilft sicherzustellen, dass Wintereinbrüche auf der Welt kontrolliert werden können“, kam es von Eva. Die anderen starrten sie an und unter ihren Blicken ließ Eva rosa an. Wobei es kaum zu erkennen war, denn das rötlich violette Licht strahlte sie alle an.


    „Du scheinst eine Menge über diesen Ort zu wissen …“, stellte Lucy fest. Weil Eva nicht darauf antwortete, erklärte ihr stattdessen Rose, dass sie von ihrer Mutter viel über den Ort wusste und auch, dass sie durch dieses Wissen erst zu dem Fuß des Lawinenbergs gelangt waren.

    „Und du scheinst den Wächter auch zu kennen, nicht wahr?“, fragte Lucy und blickte Eva nachdenklich an, die ihren Blick erwiderte. Max glaubte zu spüren, wie die Falte zwischen Lucys Augen Misstrauen ankündigte. Das bemerkte auch Rose, die sich so drehte, dass Eva Lucy nicht mehr in die Augen schauen musste.

    „Es ist besser, dass wir weiter gehen. Schließlich müssen wir feststellen, ob der Wächter und die Mutter der Kleinen wohlauf sind …“


    Rose überhörte das ungläubige Schnauben, das Pawo von sich gab. Lucy schienen einige Fragen auf der Zunge zu liegen, sie stellte diese aber nicht. Die erhöhte Plattform war ohnehin nicht groß genug, dass sie alle darauf stehen konnten und sie stiegen einen rauen Felsweg herab, der sie bis nah an den Fuß der Eissäule führte. Aus der Nähe betrachtet war die Eissäule trotz des bedrohlichen Lichtes ein bizarrer schöner Anblick. Die Oberfläche wirkte eher kristallin als eisig und glänzte je nach Blickwinkel in mehreren Farben. Vane schien besonderes Interesse daran zu haben. Seine Faust hatte er mit Diamant überzogen und verglich deren Glitzern mit dem der Eissäule.

    „Was meinst ihr? Ob wir Stücke der Säule als Souvenir mitnehmen könnten?“, und gerade wollte er eine Ecke herausbrechen, als Eva und Lucy laut aufschrien. Vane zuckte zusammen und starrte die beiden an.

    „Das ist das Heiligtum des Lawinenbergs!“, fuhr Eva ihn zornig an. „Wie kannst du daran denken, trotz seines momentanen Zustandes ein Stück davon abzubrechen!“


    „Überhaupt wäre es gerade jetzt keine gute Idee, die Säule anzufassen!“, ergänzte Lucy und hob einen kleinen Stein hoch, den sie warf. Sie alle sahen zu, wie er in einem Bogen zur Säule flog und von dort abprallte. Doch sofort sahen sie, dass der Stein augenblicklich mit einer dickeren Eisschicht überzogen war. Vane trat sofort von der Eissäule zurück und sah diese enttäuscht und sehnsüchtig an.

    „Was meinst du mit ‚momentaner Zustand‘?“, wandte sich Rose an Eva, die Vane noch immer zornig anfunkelte. Dann seufzte sie und traurig ruhte ihr Blick auf der Säule:

    „Meine Mami hat sie mir einmal gezeigt. Diese Säule ist der sehr empfindliche Kern des Lawinenbergs. Sie hat mir erklärt, dass Arktos seine eigentliche Kraft in diese Säule gelegt hat und dadurch imstande ist, Wintereinbrüche auf der ganzen Welt wahrzunehmen. Verstanden habe ich es nie zur Gänze, wie das funktionieren soll, doch Mami hat mir deutlich gemacht, dass dieser Kern in keinem Fall beschädigt oder irgendwie korrumpiert werden darf. Denn sonst … nun ja“, seufzte sie und blickte die anderen an. „Ihr habt es im Schneeschleierforst und auch am See gesehen, was dann der ewige Winter anrichten kann.“

    „Dieses Licht also …“, schloss Lucy und näherte sich der Säule, wobei sie genug sicheren Abstand hielt. Max sah, wie sie die Augen schloss und etwas zu erhorchen versuchte. Doch sofort keuchte Lucy auf und trat erschrocken einen Schritt zurück.

    „Ja, kein Zweifel!“, sagte sie. Alle starrten sie verwirrt an, doch Eva schien sie zu verstehen.

    „Normalerweise leuchtet diese Säule in einem schönen hellen Blau …“, erklärte sie den anderen. „Nun aber scheint tatsächlich irgendwer oder irgendetwas den Kern des Lawinenbergs zu korrumpieren. Daher kommt auch dieses Licht zustande …“


    „Würde es dann nicht eher helfen, den Kern zu zerstören? Klingt nicht ganz danach, als sei das rückgängig zu machen …“, meldete sich Vane. Eva warf ihm einen empörten Blick zu und er spürte sofort, dass er etwas Unüberlegtes gedacht hatte.

    „Man könnte vielleicht es wieder rückgängig machen …“, sagte Shadow und sah sich die Säule von unten bis oben an.

    „Irgendwie erinnert mich das Rötliche in dem Licht an etwas Geisterhaftes, eine Art Fluch. Und Flüche kann man umkehren, wenn diese entweder von den Verursachern aufgehoben werden oder die Verursacher besiegt werden …“

    „Oder eine größere Kraft kann gegen diesen Fluch wirken“, fügte Lucy hinzu und zeigte ihnen eine blau schimmernde Pfote.

    „Konntest du daher das rötliche Eis am Höhleneingang zerstören, während ich nicht dazu fähig war?“, bemerkte Vane bissig, als er Lucys Pfote betrachtete und dabei missmutig auf seine diamantene Kralle blickte.

    „Dank der Aura konnte ich das, genau“, sagte Lucyund betrachtete erst ihre Pfote und dann die Eissäule.

    „Ich bezweifle aber, dass sie hier groß nutzen würde“, sagte sie leise und Vane schnaubte verächtlich. Lucy warf ihm einen scharfen Blick zu.


    „Kann wohl doch nicht alles, die Aura, was?“, kommentierte er. Er und Lucy starrten sich finster an, bis Lucy dann wieder ihre Fassung wieder erlangte:

    „Die Aura ist eine mächtige Verbündete, aber sie stellt keine Allzwecklösung dar, was sie auch nicht beabsichtigt“, erklärte sie ruhig, doch Max spürte den kühlen Unterton in ihrer Stimme, der der Eissäule fast gleichkam. Vane schnaubte und hielt demonstrativ seine diamantene Faust hoch. Jimmy war der Einzige, der dieser einen halb bewundernden Blick zuwarf:

    „Ich bezweifle auch, dass deine Aura gegen meinen Diamanten eine Lösung darstellen würde!“

    „Wie meinen?“, sagte Lucy tonlos. Vane grinste überlegen.

    „Ich meine, selbst wenn deine Angriffe durch die Aura stärker werden, werden sie dennoch nicht durch meinen Diamanten kommen!“

    „Muss das sein, Vane?“, fragte Rose mit einem entschuldigenden Blick zu Lucy, die aber sanft lächelnd Vane anblickte.

    „Du glaubst also, ich könnte ich also nicht durchbrechen?“, fragte sie ihn. Vane warf sich in die Brust.

    „Ich bin froh, dass sich das mit dir und meinem Boss als Missverständnis herausgestellt hat“, sagte er gewichtig mit Blick zu Shadow, der verlegen dreinblickte. „Sonst hätte ich, wie vorher schon gesagt, Vergeltung für sein blaues Auge gezeigt.“

    „Und ich hätte dich daraufhin ungern verletzt“, sagte Lucy ruhig. Abermals blickte Vane drein, als hätte jemand etwas gesagt, dass für ihn gänzlich unglaubwürdig wäre. Dann prustete er los und blickte Lucy an: „Also gut, dann versuch es ruhig!“


    Lucys Augen weiteten sich vor Überraschung.

    „Vane, nicht …“, begann Shadow, doch das Stolloss winkte ab. „Ich würde gerne sehen, wie sie es versucht, durch meinen Diamanten zu schlagen.“

    „Unterschätz‘ sie nicht!“, rief Jimmy mit sorgenvollem Blick auf Lucy, die unabänderlich sanft lächelte: „Ich will nicht meine Kräfte einsetzen, wenn ich keinen triftigen Grund sehe. Also nein, Vane.“

    „Ach komm, ich gebe dir die Genehmigung, es zu versuchen!“, drängte Vane. Lucys Lächeln erlosch und abermals lag Kühle in ihrer Stimme: „Ich wiederhole mich: Ich setzte meine Kräfte nicht für sowas ein!“


    Sie wandte sich ab und wollte weitergehen. Vane schien seinen Entschluss, sie auf die Probe zu stellen, nicht loslassen zu wollen. Er schlug mit der diamantenen Faust auf den Boden und hob dann einen ziemlich großen Brocken hervor. Während Shadow und Rose „Nein!“ riefen, schleuderte Vane den Brocken auf Lucys Rücken. Im Bruchteil einer Sekunde vollführte Lucy eine Drehung, wich um Haaresbreite den Brocken aus und war mit nur wenigen Sätzen an Vane herangesprungen. Dieser grinste herausfordernd und ließ seinen Bauch- und Brustbereich mit Diamant überziehen. Lucy hatte schon mit der Pfote ausgeholt und Max glaubte, sie müsste einen anderen Punkt zum Angreifen suchen. Doch Lucy ließ die angespannte Pfote nach vorne schnellen und Max glaubte schon, ein schmerzerfülltes Keuchen zu hören, wie Iro es schon von sich gegeben hatte.

    Stattdessen aber schnappte Vane nach Luft. Ein unangenehm dumpfes Geräusch ertönte und Vane sackte auf die Knie, die beiden Hände auf die Stelle gelegt, gegen die Lucy ihre Pfote gestoßen hatte. Eine erstaunte Stille machte sich breit und fassungslos blickte Vane zu Lucy hoch, die ihn ernst anblickte: „Es heißt aber nicht, dass ich mich gegen Angriffe zur Wehr setze …“

    Vane blickte sie grimmig eine Weile an, während er nach Luft japste. Lucy schien mit einem Schlag die ganze Luft aus ihm getrieben zu haben. Dann, als sein Atem wieder normaler wurde, lächelte er anerkennend und richtete sich unter großem Wackeln seiner Beine auf: „Ich nehme es zurück … die Aura ist doch eine ganz coole Verbündete!“


    Auch Lucy lächelte, auch wenn sie Vane immer noch kühl anblickte. Ihr Blick fiel dann auf Shadow, der zusammenzuckte. Widerstrebend und mit seinem blauen Auge zuckend lächelte er: „Du kannst wohl alles und jeden treffen, ohne dich groß anzustrengen, oder?“

    Sie durchquerten die große Höhlenhalle. Eva, die nachwievor auf dem Wissen aufbaute, das sie von ihrer Mutter erhalten hatte, sagte ihnen den Weg. Und Max hoffte, dass sie Recht hatte. Er zweifelte, dass selbst Eva wusste, wohin genau all die anderen Gänge führten. Sie traten durch den Eingang eines Loches, das in einen breiteren Höhlengang führte. Tatsächlich war dieser Gang kurz und endete in einer kleineren Höhlenkammer, von der ein Weg wieder nach oben führte.

    „Dort hoch müssen wir!“, sagte Eva und sie schien aufgeregter. „Wir müssten dann nur einmal noch draußen um den Lawinenberg laufen, ehe wir durch eine weitere Höhle zum Gipfel gelangen! Beeilen wir uns besser!“

    „Moment mal!“, rief Shadow und alle drehten sich zu ihm. Trotzig sah er sie an.

    „Wir sind seit - wie vielen Stunden? Egal! – unterwegs und meint ihr nicht, wir sollten uns ausruhen, bevor wir den Aufstieg wagen und uns dem stellen, was uns oben auf dem Gipfel erwartet?“

    „Aber … meine Mutter! Der Wächter!“, rief Eva und blickte Shadow empört an. „Je mehr wir Zeit vertrödeln, umso eher werden beide …“, und sie unterbrach sich, weil der Gedanke an einen möglichen Tod der beiden ihr unerträglich vorkam. Shadows trotzige Miene lockerte sich, doch blieb er bestimmt und wandte sich Max und den anderen zu: „Ihr seid doch bestimmt auch erschöpft von all den Strapazen, oder?“


    Kaum, dass Shadow diese Worte ausgesprochen hatte, fühlte Max, wie ein unsichtbares Etwas von ihm abfiel, das ihn seit dem Aufenthalt am Schlangenpass bei Kräften gehalten hatte. Nun aber füllte Müdigkeit und Schwere seine Knochen und er sah es Jimmy und Iro an, wie auch ihnen danach war, sich auszuruhen. Auch Lucy stimmte Shadow zu und selbst Rose musste sich eingestehen, dass sie seit geraumer Zeit ununterbrochen unterwegs waren. Eine Pause war mehr als fällig und weil dem alle zustimmten, nickte Shadow dankbar. Er wandte sich an Vane: „Wärst du so gut und versperrst du den Gang hinter uns mit deinem Felsen? Ich will nicht, dass wir von hinten von möglichen Angriffen überrascht werden. Und den Höhlengang vor uns auch bitte, ja?“

    „Wird gemacht, Boss!“, rief Vane und machte sich ans Werk. Während er unter Rumpeln Steine vor den jeweiligen Höhlengängen hochragen ließ, wandte sich Vane mit seinem Leuchtorb Jimmy zu. Dieser erschrak, als Shadow auf ihn trat. Max erinnerte sich, dass er nicht dabei, als Shadow ihm und Iro seine Geschichte erzählt hatte. Gewiss konnte Jimmy daher noch nicht Vertrauen zu Shadow gefasst haben. Verwundert stelle Max fest, dass er wohl mittlerweile Shadow zu trauen schien.

    „Geh hier rum und schmelze sämtliches Eis weg, das sich hier befindet. Irgendwie hätte ich keine Ruhe, wenn hier irgendwo größere Eisadern sich befänden.“


    Weil jeder Teil der Höhlenwände mit mehr oder weniger an Eiskristallen bewachsen war, war die Luft erfüllt von einem stetigen Rauschen, das Jimmys Flammenwurf von sich gab, als er diesen die Wände entlangfahren ließ. Mit jedem kurzen Feuerstoß spürte Max die Wärme der Flammen, die er so sehr vermisst hatte. Er warf einen Blick zu Iro, doch der schenkte dem Schimpansen keine Beachtung, sondern hatte sich bereits gegen einen Felsen gelehnt. Die anderen taten es ihm nach und suchten sich allesamt möglichst bequeme Plätze. Als Rose Eva von ihrer Schulter nahm und sie behutsam auf einen Felsen setzte, blickte sie jeden der Erkunder zutiefst erschüttert an: „Das Leben meiner Mutter und der Wächter ist in Gefahr und ihr wollt jetzt eine Runde schlafen?!“

    „Sieh mal …“, versuchte Rose sie zu beruhigen und hob sachte einen ihrer Hufe, doch Eva sträubte sich und krabbelte etwas zurück. Hilfesuchend wandte sich Rose an Shadow, der ratlos zurückblickte.

    „Shadow hat aber Recht“, versuchte Lucy Eva zu erklären. „Wir alle sind seit ziemlich langer Zeit unterwegs und haben viel durchgemacht. Wir sollten uns ausruhen, sonst sehen wir uns den nächsten Gefahren total ausgelaugt und kraftlos gegenüber“

    „Ihr könnt trotzdem jetzt doch nicht schlapp machen!“, rief Eva empört und blickte die Erkunder zornig an. „Wir sind kurz vor dem Gipfel, es ist nur dieses kleine Stück!“

    Sie wandte sich ab, als Rose abermals versuchte zu beschwichtigen: „Und ich dachte, ihr seid starke Pokémon!“


    „Hör mal!“, rief Emil von der Ecke. Er befand sich im Halbschatten, doch seine Augen funkelten finster zu Eva hinüber.

    „Wenn du die ganze Zeit gegangen wärst, würdest du jetzt genauso erschöpft sein wie wir! Wir haben uns über den Schlangenpass über den Wald bis hierher schlagen müssen. Rose hat dich dabei die ganze Zeit getragen! Uns vorzuwerfen, wir würden jetzt schlappmachen, kommt etwas undankbar daher!“

    „Emil …“, versuchte Rose im Versuch zu vermitteln. „Ich bin sicher, Eva meint es nicht so … sie macht sich nur Sorgen um ihre Mutter …“

    „Wenn sie vorausgehen will, weil sie ja augenscheinlich genug Kraft hat, dann soll sie das tun!“, fauchte Emil gereizt zurück. „Wir haben ja gesehen, zu was sie fähig ist. Nicht wahr, Eva?“

    Eva errötete, dann drehte sie sich zu Emil um und sah ihn wütend an: „Ich weiß nicht, was mit mir da passiert ist … ich weiß nicht, wie ich meine Kräfte einsetzen kann geschweige ob ich sie überhaupt habe!“

    „Dann mach dir mal darum Gedanken!“, sagte Emil und seine Arme und Beine zogen sich in den Panzer ein: „Mir jedenfalls kommt es so vor, als würdest du uns nicht alles sagen, was du weißt!“


    Eva bewegte sich nicht und ließ sich körperlich nichts anmerken, doch Max glaubte im schwachen Schein des Leuchtorbs zu erkennen, wie sich ihre dunklen Pupillen entsetzt zusammenzogen. Vielleicht bildete er sich das auch nur. Emil hatte aber etwas angebracht, worüber Max auch kurz nachgedacht hatte: Diese seltsame Kraft, die Eva gegen die Eisbiester angewandt und sie von sich gestoßen hatte. Sie hatte in einem Licht aufgeleuchtet, von dem Max glaubte, es schon einmal gesehen zu haben. Auch Lucy schien Eva bei Emils Worten genauer von der Seite zu betrachten. Bevor sie zu ihr noch ein weiteres Wort sagen konnten, zog sich Eva in ihren eisigen Kokon zurück und reagierte nicht mehr auf Roses Versuche der Besänftigung. Rose blickte drein, als hätte man ihr ohne Grund eine Ohrfeige gegeben. Sie warf Emil einen vernichtenden Blick zu, drehte sich von ihm weg und lehnte sich gegen einen entfernten Felsen.


    Eine bedrückende Stille machte sich zwischen ihnen breit. Max blickte sich um. Jimmy und Iro vermieden es weiterhin, sich in die Augen zu blicken. Emil hatte sich trotzig in seinen Panzer gänzlich verzogen, Vane hatte sich schon hingelegt, um sich von Lucys Schlag zu erholen. Pawo, Lucy, Max und Shadow blickten sich stumm an. Dann nickten sie stillschweigend einander zu und machten es sich bei den Felsen bequem, die sie zum Rasten ausgesucht hatten. Eine Weile lang horchte Max in die Stille, die die Kammer erfüllte. Nur noch das schwache Licht eines Leuchtorbs erfüllte dieser. Die anderen beiden wurden zum Aufladen ausgemacht. Die Stille war fast drückend und Max hatte das Gefühl, das etwas nur darauf wartete, dass sie alle einschliefen. Doch Vane hatte dafür gesorgt, dass die Eingänge versperrt blieben. Da alle Feinde bisher aus Eis gewesen waren, glaubte Max, dass sie sich nicht durch die Felsabsperrungen zwängen konnten. Auch wenn er gemischte Gefühle diesbezüglich hatte, entschied er sich dazu, sich der Müdigkeit zu ergeben. Er fiel in eine kühle Leere, die er genauso wie Jimmys Feuer vermisst hatte, seit sie sich von Castiel und den Wüstennomaden verabschiedet hatten. Max hatte ein schlechtes Gewissen jetzt, da sie in der Wüste nach Jimmy suchten, was jetzt ohne Erfolg sein würde, nun da sich dieser bei ihnen befand.


    Alles in allem war Max darum froh, dass er wohlauf war. Doch machte er sich Sorgen darum, ob er und Iro je wieder Freunde werden würden. Und er nahm Evas Sorgen ernst: Sobald sie aufwachten, würden sie sofort aufbrechen und endgültig Gewissheit haben, was mit dem Wächter und Evas Mutter passiert war.

    Etwas rüttelte Max und bald spürte er einen scharfen Schmerz auf seinen halbtauben Backen spüren. Er schlug die Augen auf und blickte in das grelle Licht eines voll aufgeladenen Leuchtorbs. Max fluchte und rieb sich die Augen.

    „Beeil dich, Max!“, rief Shadow ernst. Max spürte, dass etwas nicht stimmte. Er hörte mehrere Füße aufgeregt über den Boden trampeln und Rose schluchzen hören.

    „Was ist los?!“, sagte Max scharf, nach dem sich seine Augen endlich an das helle Licht gewöhnt hatten. Er sah, wie Vane eilig die Zugänge der Höhlenkammer wieder freilegte. Alle anderen waren bereits wieder wach und in ihren Gesichtern standen Anspannung und Sorge geschrieben. Er begegnete Shadows Blick, der ungewohnt ernst war:


    „Eva ist verschwunden.“

  • Hallo,


    nachdem Lucy zur Gruppe gestoßen ist, war es amüsant, ihre Kräfte in einer direkten Auseinandersetzung gegen einen schwer gepanzerten Gegner zu erleben. Ich gehe davon aus, dass sich mit ihr auch niemand mehr so schnell anlegen möchte. In jedem Fall war die Unterhaltung in der Eissäulenhöhle sehr schnell frostig und die illustre Gruppe aus den verschiedensten Pokémon schien auch mehr angespannt als zufrieden, endlich eine Pause machen zu können. Mit Evas Verschwinden aus der verschlossenen Höhle ergibt sich auch die Frage, wie sie entkommen konnte und was sie vor hat. Der nächste Part wird sicherlich spannend.


    Wir lesen uns!


  • Part II: Der Aufstieg


    „Wieso auch hast du sie so derartig angefahren?!“, schrie Rose Emil an und Zornesröte stand ihr ins Gesicht geschrieben. Emil, der sonst immer ruhig war, stand die Röte nicht weniger ins Gesicht geschrieben.

    „Sie hat den Bogen überspannt, als sie von uns verlangte, Vierundzwanzig-Sieben auf Trab zu sein! Wir sind nicht ihre Babysitter, Rose!“, fauchte er zurück.


    Shadow und Vane standen betreten daneben und wussten nicht, ob sie Partei ergreifen oder sich raushalten sollten. Die Zugänge der Höhle waren mittlerweile wieder freigelegt und Max, Jimmy, Iro sowie Lucy und Pawo standen bereit bei dem Aufgang, der sie nach draußen auf eine höhere Ebene des Lawinenbergs führen sollte. Unentschlossen, ob sie warten sollen oder nicht, blickten sie zwischen Rose und Emil hin und her, die sich gegenseitig anschrien.

    „Ich bezweifle, dass Eva die kleine hilflose Raupe ist, als die sie sich ausgibt!“, konterte Emil bestimmt, als Rose ihn anderweitig überzeugen wollte. „Wenn du mich fragst, hat sie irgendetwas mit dem Wächter zu tun.“

    „Na klar hat sie was mit dem Wächter zu tun!“, entgegnete Rose fahrig. „Sie kennt ihn doch! Bestimmt hat sie ein paar Techniken von ihm gelernt oder dergleichen, oder auch von ihrer Mutter!“

    „Und die weiß sie die ganze Zeit zu verstecken bis zu dem Zeitpunkt, wo ihr beide in Lebensgefahr schwebtet? Wieso hat sie nicht gleich die ganzen Eisbiester abgewehrt?“

    „Das hat sie doch erklärt!“, rief Rose zornig aus. „Sie wusste nicht, dass sie die Fähigkeit in sich hatte. Vielleicht haben sie sich erst in dem Moment aktiviert.“

    „Und das glaubst du, ja?“, schnaubte Emil und wandte sich an die anderen, als würde er deren Meinung hören. Doch Rose stieß einen Pfiff aus, um seine Aufmerksamkeit auf sich zu lenken.

    „Lenke bloß nicht ab, indem du die anderen fragst!“, sagte sie zornig. Emil starrte sie an.

    „Hast du Angst, die anderen würden dich überstimmen?“, sagte er wütend. Rose starrte ihn eine Zeit lang angriffslustig an, dann schnaubte sie, schnappte sich ihre Tasche und schritt auf die anderen zu.

    „Lasst uns gehen, vielleicht können wir Eva noch einholen!“, sagte sie knapp und verschwand mit einem Leuchtorb in der Hand in den Aufgang. Emil sah ihr eine Zeit lang hinterher, dann schüttelte er den Kopf und gab Shadow und Vane ein Zeichen, dass sie ihren Streit vorläufig beigelegt hatten.

    „Ich glaube, da ist was dran, was Emil gesagt hat“, sagte Lucy mit langsam flüsternder Stimme, sodass nur Max, Jimmy, Iro und Pawo, der das Schlusslicht bildete, sie hören konnten. „Draußen nämlich ging von Eva eine ziemlich seltsame Aura aus …“

    „Haben wir gesehen“, stimmte ihr Jimmy zu, der sich vor ihr befand. Max und Iro, die sich hinter Lucy befanden, nickten. Doch Lucy schüttelte den Kopf.

    „Es war nicht dieser Angriff, den sie gegen die Eisbiester angewandt hat … es war, als wäre das nicht mal ihre eigene Attacke gewesen …“

    „Was meinst du damit?“, fragte Iro skeptisch nach.

    „Nun ja … es war, als hätte etwas anderes durch sie gewirkt … habt ihr gesehen, wie entsetzt Baumblizz sie angesehen hatte? Ich wäre erwägt, Emil Recht zu geben, wenn er sagt, dass Eva uns etwas verschweigen würde, was sie betrifft.“


    Max schwieg, so auch Jimmy, Iro und Pawo. Sie kletterten über scharfes Gestein und bergauf war das ein schwieriges Unterfangen. Jetzt wünschte sich Max, dass Shadow sie nochmal in seinen Schatten einziehen und sie nach oben bringen würde. Doch das Gengar schien zu sehr in Gedanken zu sein und Max konnte es ihm nicht verdenken. Doch machte er sich mehr um Eva sorgen, dass sie alleine in größerer Gefahr schweben würde. Die Angst, die sich in ihren Augen befunden hatte, war echt gewesen und er glaubte Eva, dass sie sich vor den Eisbiestern versteckt hatte. Dann aber kam ihm der Gedanke, weswegen überhaupt die Eisbiester nach ihr gesucht hatten. Hatte sie vielleicht doch engere Verbindung zum Wächter und galt deswegen als eine Art Bedrohung, die es zu suchen und beseitigen galt? Doch Baumblizz und auch Pawo hatten sie nicht erkannt und er zweifelte daran, dass Baumblizz die Eisbiester nach ihr suchen gelassen hätte, wenn er sie nicht gekannt hatte.

    „Lucy?“, holte ihn Jimmys sorgenvolle Stimme wieder aus seinen Gedanken heraus. Lucy gab ein Zeichen, das sie ihn hörte.

    „Kannst du vielleicht erspüren, ob sich Eva in der Nähe befindet? Es wäre ziemlich … ungünstig, wenn wir in eine ganz andere Richtung laufen würden als sie …“

    „Das würde ich gerne, Jimmy, doch jetzt, wo wir uns innerhalb des Lawinenbergs befinden und damit auch nahe dem Kern, kann ich mit der Aura gar nichts mehr erkennen. Es ist so, als ob der Kern selber eine Art finstere Aura ausströmt, die meine eigene überdeckt.“

    „Oh … verstehe“, sagte Jimmy etwas bedrückt. „Ich hoffe, wir finden Eva dann bald …“

    „Es spricht nur für dich, dass du dich so um sie sorgst, obwohl du sie nicht so gut kennst, Jimmy“, sagte Lucy und sie neigte ihren Kopf Jimmy zu. Weil Jimmy dann lächelte, glaubte Max dann zu wissen, dass sie ihm aufmunternd zugezwinkert hatte. Im Inneren freute er sich, dass Jimmy von einem Pokémon aufgelesen wurde, dass offensichtlicher ihm Mut zusprach. Hätte er es selber doch nur häufiger gemacht, vielleicht hätte Jimmy nie dann schlecht von sich gedacht.


    „Kann man das eigentlich lernen?“, fragte Iro von hinten. Lucy wandte sich ihm zu und lächelte ihm mitleidig zu: „Leider ist es nur einer Pokémon-Art – nämlich den Lucario – am ehesten möglich, auch nur ein feineres Gespür für die Aura zu entwickeln. Andere haben nicht die dafür nötige Wellenlänge.“

    „Du kannst die Auren anderer sehen?“, fuhr es überrascht von Max. Lucy lächelte und nickte. Sie hielt inne und schloss die Augen und im Licht des Leuchtorbs konnte Max sehen, wie sich Teile ihres Feldes von ihrem Körper aufrichteten. Eine Weile lang passierte dann nichts, bis er dann ein seltsames Gefühl in sich spürte, als würde er innendrin durchleuchtet werden. Lucy legte ihre Stirn in Falten, öffnete die Augen und sah dann Max eindringlich an.

    „Sehr seltsam … deine Aura ist so … sonderbar …“, sagte sie leise.

    „Ach ja?“, entfuhr es Max mit einem Laut, das halb Husten, halb Schlucken war. Lucy blickte ihn schweigend an, bevor sie fortfuhr.

    „Ist … mit dir irgendetwas in der Vergangenheit passiert? Ein sonderbares Erlebnis?“

    „Nun ja“, lächelte Max dann verlegen und so schnell er konnte erklärte er Lucy die wichtigsten Details. Dass er einst ein Mensch gewesen war, der aber aufgrund eines Angriffs während einer Zeitreise in ein Pokémon verwandelt wurde. Es überraschte ihn, dass Lucy nicht einmal überrascht schien. Sie betrachtete ihn fasziniert, als wäre er ein seltenes Naturphänomen.

    „Nun … das dürfte es erklären …“, sagte sie leise, mehr zu sich als zu Max. Sie wandte sich mit einem Lächeln an Iro: „Deine Aura ist bemerkenswert. Ich erkenne einen eisernen Willen. Ist das der Grund, weswegen du trotz Bandagen unterwegs bist?“


    Ihr Blick fiel forsch auf Iros rechten Arm und Iro, der zuerst wegen des Lobs zu seiner Aura zufrieden gelächelt hatte, blickte jetzt trotzig drein.

    „Wir haben leider nicht die Zeit, auf eine vollständige Heilung zu warten“, gab Max mit sorgenvollem Bedauern zu und warf auch einen flüchtigen Blick auf Iros Bandagen, welche nun deutlich mitgenommen aussahen.

    „Ah, ich verstehe“, nickte dann Lucy verständnisvoll. „Es ist wegen eures Auftrages, Kyurem betreffend, oder?“

    Max und Iro starrten sie verdutzt an, worauf Lucy verschmitzt lächelte: „Jimmy hat mir davon erzählt.“

    Jimmy blickte drein, als sei ihm die Sache recht peinlich. Iro hingegen schnaubte: „Was hat er noch alles erzählt?“

    Bevor aber weder Lucy noch Jimmy etwas darauf erwidern konnten, drang Shadows Stimme von weiter vorne zu ihnen hinüber: „Tut mir leid, dass ich es gerade vergessen habe! Sollen wir den Aufgang vielleicht in meinem Schatten abkürzen?“

    Froh darüber, dass sie nicht weiter über scharfes Gestein, das sich in der Dunkelheit befand, klettern mussten, ließen sie sich von Shadow in seinen Schatten ziehen. Der restliche Aufstieg war angenehm, auch wenn Max sich immer noch Sorgen um Eva und um Jimmy und Iro machte. Er fürchtete, dass Iro eine Weile lang noch ziemlich frostig gegenüber Jimmy eingestellt sein würde.


    Die Fahrt in Shadows Schatten dauerte nicht lange. Nach nur gefühlt zwei Minuten sahen sie den Ausgang, der auch offenbar in das schneebedeckte Äußere führte. Spätestens ab hier war Shadow dazu gezwungen, wieder auf normalen Fuß unterwegs zu sein. Rasch legten sie sich die Hitzebänder an und traten hinaus ins Freie.

    Entweder lag es daran, dass sie sich länger in einer windfreien Umgebung befunden hatten, oder auf den höheren Ebenen war es so üblich. Jedenfalls schlug ihnen der Wind härter und erbarmungsloser denn je gegen ihre Gesichter und Jimmy und Pawo machten den Anschein, als würde nicht mehr viel fehlen, bis sie weggeweht werden würden. Hart wirkten Schneeflocken in dem Sturm auf ihre Gesichter ein und Max musste die Augen zukneifen. Durch das starke Schneetreiben konnten sie kaum noch einander hören, doch Lucy deutete auf den Weg vor ihnen, der kaum zu erkennen war. Dicht beieinander gedrängt, um sich eventuell aufzufangen, wenn der Wind sie forttragen sollte, schoben sie sich mit langsamen Schritten den Weg hinauf. Es war schwierig, weiter als zwei Meter vor ihnen zu sehen und Max zweifelte, dass sie ein kleines Wesen wie Eva in dem Schneesturm überhaupt finden konnten.

    Doch nach mehreren geschlagenen Minuten des Marschierens kam ein kleiner gedrungener Schatten in ihr Sichtfeld. Und als sie sich diesem näherten, erkannten sie, wie Eva sichtlich zusammengekrümmt auf dem Boden kauerte. Rose stieß einen Schrei aus und löste sich von der Gruppe. Die andere folgten ihr geschwind, auch wenn sie sich nicht viel schneller bewegen konnten, da der Wind sie alle verlangsamte. Dem wirkte Vane entgegen, indem er einen breiten Fels aus dem Boden schießen ließ, die ihnen einigermaßen Windschutz bot. Der Wind pfiff laut an dessen Rändern vorbei, doch konnten sie einander wieder hören.


    „Eva!“, rief Rose sichtlich panisch. „Eva! Sag doch etwas?“

    Erst nach einigen Sekunden regte sich Eva, wenn auch recht schwach. Rose schluchzte erleichtert auf und drückte fest an sich. Eva brach in Tränen aus und schmiegte sich an ihrer Brust.

    „Bitte! Tu uns das nicht nochmal an! Ich war ganz krank vor Sorge um dich!“, rief Rose gegen den Wind aus.

    „Tut mir leid … Mami …“, weinte Eva in ihre Brust hinein und auch Rose weinte nochmal auf. Eva blickte erst zu ihr und dann zu Emil auf:

    „Ihr hattet Recht ... es wäre besser gewesen zu warten … aber … ich wollte meine Mutter …“

    „Das verstehen wir“, rief Emil bestimmt und mit dem Anflug eines Lächelns. „Wir wollen dir helfen, aber wir müssen dafür bei Kräften sein, verstehst du?“

    Rose schenkte Emil ein dankbares Lächeln, das er erschöpft erwiderte.

    „Wir sind auch fast da!“, rief Eva, die sich ihre Tränen wegschüttelte. „Dort drüben ist der Eingang, der uns zum Gipfel führen wird. Er ist sehr gut in der Wand versteckt und bestimmt wärt ihr daran vorbeigelaufen.“

    „Gut!“, rief Shadow, der tiefblau angelaufen war und mit den Zähnen klapperte. „Ich kann diese eisige Hölle nicht mehr sehen!“


    Sie wollten gerade weiter losgehen, als Eva panisch aufschrie und sich wieder zusammenkrümmte. Max fragte sich, was los war, als er auch schon stechende Blicke spürte, die er von hinten auf seinem Rücken spürte. Hastig drehte er sich um und sah mehrere rot glühende Augenpaare durch den Sturm ihnen nähern. Ein knirschendes Knurren, das von jenseits des Felsens kam, verriet ihm, dass sich auch von der anderen Seite Eisbiester näherten.

    „Ich habe allmählich genug von diesen Viechern!“, rief Vane zornig und ließ den Felsen herabsinken. Sie erkannten nun, wie sie von beiden Seiten von den Eisbiestern umgeben waren. Max spürte etwas kleines an sich vorbeischieben und verdutzt sah er Jimmy dabei zu, wie er sich mit grimmiger Miene den eisigen Wölfen entgegenstellte.

    „Ich habe auch langsam genug!“, rief er wütend aus und Max sah, wie er erst Luft holte und dann einen laut zischenden Flammenwurf auf diese abfeuerte. Auch von der anderen Seite hörte er, wie Vane, Emil, Shadow und auch Iro sich gegen den Ansturm zur Wehr setzten. Doch der Wind war zu stark für ihre Angriffe. Jimmys Flammenwurf erwischte nur wenige von den Wölfen, ehe der Wind diesen zum Erlöschen brachte. Auch Shadow fluchte darüber, dass der Wind seine Spukbälle aus der Bahn brachte. Offenbar sollten nur Nahangriffe funktionieren, doch dafür waren es zu viele. Würden sie kurz vor dem Ende des Lawinenbergs doch noch ihr Ende finden?

    Doch wie als Antwort darauf leuchtete Eva wie schon zuvor auf. Verdutzt blickten die anderen sie an, doch sie hatte ihren wütenden Blick auf die eine Seite gerichtet, auf der sich die Eisbiester befanden. Sie holte tief Luft und der Windhauch, den sie von sich gab, war so gewaltig und mächtig, dass Max die Haut kribbelte. Und mit einem Mal waren die roten Augenpaare verschwunden und Eva wandte sich dem Himmel zu und blies abermals einen enormen Windstoß aus. Der Wind um sie herum wurde immer leiser und auch der Himmel lichtete sich. Flecken eines tiefen, mit Sternen gesprenkelten Blau zeigten sich die restliche Umgebung wurde deutlich sichtbar. Max drehte sich um und sah die mächtige Spitze des Lawinenbergs etwas weiter über sie ragen, doch schien sie nicht mehr sonderlich weit entfernt zu sein. Obwohl er sich schon über Evas Kraft wundern musste, fühlte er bei dem Anblick eine Entschlossenheit in sich aufsteigen.


    „Los, beeilen wir uns!“, rief Eva laut und bestimmt aus und sie alle spurteten los. Ohne den starken Wind war es wesentlich leichter, den Berg hinaufzusteigen. Und endlich sahen sie auch den Eingang, zu dem Eva sie alle führen wollten. Shadow, der darauf erpicht war, wieder festen Boden unter sich zu spüren, preschte los, doch ein massiger Körper schob sich ihm in den Weg. Eine seltsame Figur aus Eis, die Baumblizz nicht unähnlich sah, brach aus dem Boden hervor und versperrte den Eingang in die Höhle. Mehr noch, die seltsame Eisskulptur hatte ein trichterförmiges Loch an der Stelle, wo das Gesicht zu vermuten gewesen wäre. Dieses richtete sie nach oben und ein spitzer, langgezogener Schrei entfuhr ihr, der mehrfach in der Luft widerhallte.

    Auf diesem folgte ein Unheil verkündendes Grollen und weiter oben sah Max, wie sich Schneemassen vom Berg lösten und mit zunehmender Geschwindigkeit auf sie herab stürzten.


    „Ach, hör doch auf!“, rief Shadow entgeistert. Sofort rannten alle zu der Höhle, die die riesige Eisfigur bewachte. Doch diese wandte sein seltsam verzerrtes Gesicht wieder ihnen zu und stürmte auf sie los. Sie versuchten auszuweichen, doch Emil war nicht schnell genug.

    „Nein!“, rief Shadow, als Emil ein paar Meter nach hinten weggeschleudert wurde und die Eiswölfe waren drauf und dran, sich auf ihn zu stürzen.

    „Vane, komm!“, rief Shadow dem Stolloss zu und beide rannten zurück, um Emil zu Hilfe zu eilen.

    „Aber!“, rief Rose entsetzt und blieb stehen. Doch ein Schwall an Wasser erfasste sie und sie wurde nach hinten in die Höhle hinein geschleudert.

    „Geht ihr vor!“, schrie Emil, der sich dank Vanes Hilfe aufgerichtet hatte und nun mit ihm und Shadow die Eisbiester und die Eisfigur vom Leib hielt.

    „Wir kommen schon nach!“, rief Shadow zu ihnen hinüber.

    Vane hielt ihnen einen diamantenen Daumen zu Bestätigung hin.

    „Aber …“, rief Rose und wirkte den Tränen nah. Sie war auch schon drauf und dran, zu den drei zu stoßen, doch Eva erinnerte sie laut an die heranrollende Lawine. Nur widerwillig, unter zornigem und dann enttäuschtem Aufschrei rannte sie tiefer in die Höhle hinein. Prompt schüttete ein weiteres Mal Schnee einen Ausgang zu und abermals befand sich die restliche Gruppe in absoluter Dunkelheit, die dieses Mal von Roses Schluchzen erfüllt wurde. Max wurde schlecht. Bei der Menge an Schnee, die heruntergefallen war, war es sehr unwahrscheinlich, dass Shadow, Emil und Vane dies überleben würden …

  • Frohe Weihnachten euch allen und einen guten Rutsch in das neue Jahr! :-)





    22

    Auf dem Gipfel des Lawinenberges



    Part I: Der Namenlose Feind


    „Bitte nicht …“, schluchzte Rose immer wieder auf. Jimmy hatte sich indessen zu dem von Schnee zugeschütteten Höhleneingang begeben und wandte immer wieder einen Flammenwurf auf diesen an. Doch immer, wenn sein Feuer ein Loch in die Schneedecke bohrte, wurde dieses von anderem Schnee wieder zugeschüttet. Verbissen fuhr Jimmy fort, bis Lucy sich ein Herz fasste und ihn vom Eingang wegzog.

    „Nein!“, sträubte sich Jimmy gegen ihren sanften Griff. „Bestimmt können wir ihnen zu Hilfe eilen!“

    „Ich fürchte es macht keinen Sinn“, erklärte Lucy ihm und Bitterkeit lag in ihrer Stimme.

    „Selbst, wenn sie nicht von der Lawine selbst gestorben sind, so sind sie aller Wahrscheinlichkeit den Berg herabgestürzt …“

    „Und gerade deshalb müssten wir ihnen auch helfen!“, rief Jimmy erbost aus und wandte sich aus Lucys Griff.

    Es sprach für ihn, dachte sich Max. Jimmy hatte in brenzligen Situationen nicht so leicht aufgegeben. Max hätte gerne seinen Wunsch geteilt, dass Shadow, Emil und Vane die Lawine auf wundersame Art und Weise überlebt hätten. Doch Lucys Worte waren zu realistisch, als dass sie nicht zu ignorieren gewesen wären. Beklommenheit stieg in ihm hoch. Das Gefühl von einem schweren Verlust machte sich in ihm breit. Nachdem sie mit dem Team Sternenjäger in der kurzen Zeit so viel durchgemacht hatten, hinterließ die Abwesenheit von drei seiner Mitglieder eine drückende Stimmung. Gerade Vane, der enthusiastisch war und zu Scherzen neigte, fehlte in dieser so drückenden und ernsten Atmosphäre.

    „Lasst uns gehen …“, bat Lucy die anderen im Versuch, tapfer zu klingen. Doch ihre Stimme war etwas brüchig angesichts dieser Lage.


    Wortlos setzten die restlichen Erkunder ihren Weg fort. Die Leuchtorbs erhoben folgten sie dem vor ihnen liegenden Höhlengang, der in mehreren Kurven in eine leichte Steigung ging. Sie näherten sich endlich der Spitze, das fühlte Max. Pawo, Iro und auch Eva hatten seit dem Herabstürzen der Lawine kein Wort mehr gesagt. Offenbar drückte auch auf ihnen die Last des möglichen Verlustes dreier Gefährten.

    Bei dem Gedanken an Eva sah Max sie verstohlen von hinten an. Abermals hatte sie eine seltsame und vor allem mächtige Kraft demonstriert und dieses Mal hatte es den Anschein gehabt, als wüsste sie sehr gut um diese Bescheid. Sie hatte den Schneesturm auflösen können, der sie seit dem Betreten der Firntundra begleitet hatte. Wurde sich Eva erst jetzt ihrer bis jetzt schlummernden Kräfte bewusst oder hatte sie immer schon diese gekannt. Max erinnerte sich, wie sie auf Emils Verdacht hin reagiert hatte. Er bemerkte, dass er nicht der einzige war, der Eva interessiert musterte. Auch Lucy warf immer wieder Blicke zu der kleinen Raupe.


    Max hatte das Zeitgefühl verloren, wie lange sie wortlos durch diese Dunkelheit schritten. Mit Shadow wäre dieser scheinbar endlose Marsch sehr schnell vorbei und abermals wurde auch dessen Abwesenheit Max schmerzlich bewusst. Dann aber sahen sie weiter vorne ein rot violettes Leuchten sowie die leise Ankündigung eines heulenden Windes. Sie warfen sich vielsagende Blicke zu und spurteten los.

    Der Höhlengang blieb unverändert, doch ein breites Stück der Wand links von ihnen stellte einen Teil der Eissäule dar, deren Fuß sie weiter unten schon erblickt hatten. Deren unheimliches Leuchten füllte den gesamten engen Gang aus und weiter vorne wurde dieser steiler. Sie sahen an dessen Ende einen Ausgang, durch den sie auf einen Fetzen dunklen Himmel blicken konnten. Eine jähe Erregung stieg in Max auf. Sie waren ihrem Ziel nahe, das wusste er. Und es war auch keine Zeit mehr innezuhalten.

    Kaum aber, dass Max einen Schritt auf die Steigung gesetzt hatte, hörte er hinter sich, dass nicht alle bereit waren ihm zu folgen. Er wandte sich um und sah, wie Iro, Jimmy, Lucy, Pawo und Rose Eva anblickten, die auf den Schultern der Miltank zitterte.

    „Ich …“, erklärte sie ängstlich. „Ich … will nicht nach oben … ich will nicht sehen, ob … nicht sehen, dass …“


    Max brauchte eine Weile, um zu verstehen, was Eva meinte. Doch er verstand dann, dass Eva eventuell eine weitere unerfreuliche Wahrheit bevorstehen könnte. Dort oben auf dem Gipfel zu sein würde die Gewissheit gebracht werden, ob der Wächter und ihre Mutter noch am Leben seien oder nicht. Und die stellt für so ein kleines Wesen wie Eva eine große Herausforderung dar. Er blickte die anderen, um zu sehen, wie sie darüber dachten. Doch nur Lucy, Rose und auch Jimmy schienen rege Anteilnahme zu zeigen. Iro und Pawo hingegen, die Eva nur kurz betrachtet hatten, blickten grimmig zu dem Ausgang der Höhle über ihnen


    „Könnte ich …“, unterbrach Eva dann das Schweigen, „für eine Weile noch hierbleiben? Ich … brauche noch eine Weile, bis ich soweit bin …“

    „Das verstehen wir … oder?“, sprang Rose ihr sofort bei und blickte sich unsicher um. Max nickte, die anderen taten es ihm nach. Rose schenkte ihnen ein dankbares Lächeln.

    „Ich bleibe mit dir hier!“, erklärte sie dann Eva, die verdutzt aufblickte. Rose erlaubte ihr jedoch keine Widerrede: „Selbst wenn du offenbar recht mächtig zu sein scheinst, wirst du trotzdem schnellere Beine brauchen, wenn du doch auf den Gipfel steigen willst. Wenn du soweit bist, stürmen wir beide gemeinsam hoch und helfen den anderen, wenn sie uns brachen!“

    Sie warf dabei Max, Iro, Lucy und Jimmy ein schwaches und freches Grinsen zu, das sie halbherzig erwiderten. Noch wussten sie nicht, womit sie es auf dem Gipfel zu tun haben würden.

    „Werdet ihr beide allein zurechtkommen?“, warf Iro mit skeptischem Blick ein. Rose warf ihm einen leicht beleidigten Blick zu: „Glaubst du etwa, ich käme nicht zurecht, Eva zu beschützen?“

    „Das nicht“, warf Iro gelassen ein. „Doch was wenn ihr von beiden Seiten umzingelt werdet, während wir oben beschäftigt sein werden? Dürfte dann schwierig werden, dich zu verteidigen, oder?“


    „Nun …“, entgegnete Rose dann peinlich berührt und warf Eva einen verzeihenden Blick zu, doch Jimmy trat dann an ihre Seite:

    „Ich werde bei ihr bleiben und zusammen werden wir eine eventuelle Nachhut bilden!“

    „Aber Jimmy …“, brach es zaghaft aus Max heraus, der seinen Freund anstarrte. Dieser blickte mit einem schiefen Lächeln zurück: „Du, Iro und Lucy seid recht stark genug, ich denke, dass ihr auch ohne meine Hilfe zurechtkommen werdet …“

    „Dem will ich widersprechen …“, setzte Lucy rasch an, doch Jimmy wandte sich mit einem Lächeln an sie: „Ich weiß, dass meine Kräfte euch da oben eine gute Hilfe sein würden. Doch was, wenn das, was oben auf uns wartet, genau will, dass wir Rose und Eva allein lassen? Ich habe das Gefühl, dass Eva eine wichtige Rolle noch spielen wird, und es ist dann besser, wenn zwei auf sie aufpassen, oder?“

    „Mach drei daraus“, grummelte Pawo und robbte ebenfalls an Roses Seite. „Geht ihr schon mal vor, wir kommen dann nach, sobald wir Kampf- und Hilfsgeschrei hören.“


    „Was wir aber bestimmt nicht werden!“, nickte Jimmy ihm zu und warf Max und auch Iro einen vielsagenden Blick. Als er aber dem Blick des Impergators begegnete, schrumpfte Jimmy in sich zusammen.

    Max wusste nicht, ob es so eine gute Idee, sich zu trennen. Andererseits bot der Höhlengang keine Hinterhaltspunkte und Jimmy mit seinem Feuer sowie Pawo mit seinem Horn wären tatsächlich in der Lage, für Deckung zu sorgen. Angesichts der zuversichtlichen Miene Jimmys – zumindest versuchte er so zu wirken -, nickte Max ihm zu und wandte sich an Lucy und Iro, die auch nickten. Sie gingen dann weiter und folgte Lucy dem Aufgang hoch.


    „Jimmy!“

    Max wandte sich um, doch Iro stand hinter ihm, den Rücken hatte er Jimmy zugewandt. Max sah, wie Iro die Augen geschlossen hielt und sich offenbar um etwas rang. Er bemerkte auch, wie Iros linke Faust bebte. Jimmy blickte sorgenvoll auf den Rücken des Impergators.

    „Wir sind miteinander noch nicht fertig!“, sagte Iro in einem nicht ganz so strengen Ton. „Wage es also nicht, dich irgendwie überrumpeln zu lassen. Kapiert?“

    Eine Weile lang blickte Jimmy Iro an, bis er ihm dann ein zaghaftes Ja zusprach. Iro folgte dann Max und Lucy nach draußen, ohne sich noch einmal umzudrehen.


    Draußen war der Himmel immer noch durch Evas Kräfte sternenklar und der Weg vor ihnen wurde schwach durch das Licht des Mondes angeleuchtet. Doch jenseits des Randes, wo unten scharfe Felsen und Abhänge sie erwarteten, war das Meer dichter grauer Wolken zu erkennen, von denen Ma ahnte, dass sie die restliche Firntundra verdeckten. Wie würde diese vom Gipfel des Lawinenbergs aus zu betrachten sein, wenn diese Wolken nicht wären? Neben sich hörte er Iro bewundernd pfeifen.

    „Kommt“, sagte Lucy ernst und wandte sich dem Weg zu, der nach oben führte. Max und Iro blickten sich an, ehe sie gemeinsam diesem folgten. Sofort kamen sie an einer Art kreisförmigen Vorsprungs an, aus dessen Rändern Säulen in den Himmel ragten und dabei in der Mitte eine Art Tor bildeten. Gegenüber diesem Tor führten grob geschlagene Stufen steil zu dem Gipfel hoch, der sich nur noch wenige Meter über ihnen befand.

    „Das muss es endlich sein …“, hauchte Lucy angespannt und schloss die Augen, wobei sie diese wieder sofort öffnete: „Die Störungen der Firntundra kommen von dort, das spüre ich. Seid ihr bereit?“

    Sie blickte Max und Iro an. Max dachte an Eva, die große Angst vor dem hatte, was sich dort oben befand. Und er dachte an Pawo und an dessen Leiden, dass seine Freunde und Familie eingefroren oder gar getötet wurden aufgrund des Fluches, der über der Tundra lag. Er und Iro nickten bestimmt und sie stiegen die Stufen hinauf. Oben angekommen breitete sich ein wahrhaft sonderbarer Anblick aus.


    Max hatte erwartet, dass die Spitze der Eissäule, die den Kern des Lawinenbergs darstellte, recht steil aus dem Boden des Gipfels herausragen würde. Doch ein riesiger kristallin wirkender Block aus Eis hatte sich über den größten Teil des Gipfels ausgebreitet und dessen Details in sich eingeschlossen. Um diesen Kristall herum formierten sich solche, die seltsam anmutenden Blüten ähnelten, deren Zentrum ein Loch darstellte, über das sich ein eisiger Stachel zog. Es war, als würden Dutzende von Augen sie anblicken.

    „Seid wachsam“, erinnerte Lucy die anderen beiden. „Vermutlich versteckt es sich, was auch immer hier ist … ich kann es mit meiner Aura nicht erspüren …“

    Aus Max‘ Sicht brauchte sie dies nicht zu sagen. Offensichtlich war hier etwas versteckt, das sie in diesem Augenblick beobachtete. Vielleicht auch aus den Blüten heraus. Max näherte sich einer von ihnen und blickte eine Weile in das augenförmige Zentrum der Blüte. Dann ließ er seine Laubklinge aufleuchten und fuhr diese herab. Ein sauberer Schnitt trennte die Blüte vom Boden, woraufhin sie auf diesem lag, ohne dass etwas Sonderbares passierte. Auch Lucy versuchte ein paar Dinge mit der Blüte, wobei sie aufpasste, dass die Spitze des Kerns nicht davon getroffen wurde. Iro blickte sich aufmerksam um und versuchte, auf kleinste Veränderungen zu achten, die Hinweise auf einen Angriff liefern könnten. Als sich dann keine erkennen ließen, blickte er dann auf den riesigen Eiskristall vor ihnen. Eine lange Zeit lang blickte er ihn, sodass Max irgendwann seinem Blick folgte und ebenfalls den riesigen Eisblock anstarrte.


    „Da drinnen … ist etwas … seht ihr es?“, murmelte Iro, unsicher, ob er seiner Beobachtung Glauben schenken sollte. Max und Lucy traten näher und spähten in die rot-violetten Tiefen des Kristalls. Und tatsächlich wurde eine vage Silhouette deutlich. Schockiert und verdutzt erkannten sie, dass es die Umrisse eines Pokémons mit breiten Flügeln waren, welches reglos im Kristall verharrte.

    „Glaubt ihr … das ist der Wächter?“, hauchte Lucy andächtig und schloss die Augen. Dieses Mal konzentrierte sie sich und es dauerte einige Sekunden, bis sie ihre Augen aufriss.

    „Es muss der Wächter sein … die Aura, die von diesem ausgeht, ist ganz anders und … und …“, endete sie matt und ihrem Blick nach schien sie in Überlegungen versunken. Sie wandte sich nach hinten, blickte aber nicht Max oder Iro an. Sie blickte auf den Beginn der Treppe nach unten.

    „Kann es sein …?“, flüsterte sie mehr zu sich als zu einem der beiden anderen. Iro trat an den Eisblock heran und ließ seine linke Faust nahe am Eis entlang fahren.

    „Pass bloß auf, Iro!“, erinnerte ihn Max an die sofort-einfrierende Wirkung des Eises. Iro schnaubte: „Und wie genau sollen wir den Wächter da herausbekommen?“

    „Vielleicht …“, murmelte Lucy und betrachtete den Kristall eindringend. Dann schüttelte sie den Kopf.

    „Ironhard hat Recht … uns bleibt nichts anderes übrig als diesen Kristall zu zerschmettern. Doch …“, und sie wandte sich Max um und dieser verstand. Eva hatte sie davor gewarnt, dass der Kern des Lawinenbergs sehr empfindlich sei. Was würde passieren, wenn sie versuchten, den Wächter zu befreien? Würde es bedeuten, dass dieser Kern unwiderruflich beschädigt sein würde?

    „Wir müssen es versuchen … das ist es nämlich … wenn wir den Wächter befreien, müsste das den Fluch auflösen, der auf der Tundra liegt …“

    „Sollen wir dann einfach draufhauen?“, sagte Iro mit einem schiefen Lächeln und schlug mit dem Schweif auf. Lucy grinste und schüttelte den Kopf.

    „Versuchen könntest du es, doch vermutlich ist es wie am Fuß des Lawinenbergs. Rohe Gewalt bringt uns hier nicht weiter. Aber vielleicht hilft sie uns wieder“, sagte Lucy und ließ ihre Pfoten blau schimmern. Max verstand und trat respektvoll zur Seite, doch Lucy blickte ihn scharf an: „Ich werde dennoch eure Hilfe brauchen, vermutlich wird sich das, was den Fluch aufrecht erhält, gegen meinen Eingriff wehren. Eventuell müsst ihr mir beide Rückendeckung geben!“

    „Wenn es nur das ist!“, sagte Iro mit einem angriffslustigen Lächeln und stellte sich an Lucys Seite. Wachsam blickte er um sich und nickte dann Max zu. Auch er nickte jetzt und stellte sich an Lucys andere Seite, beide Laubklingen im Anschlag.


    Lucy sammelte Kraft in ihren Armen und legte dann behutsam ihre Pfoten auf das Eis. Anders als unten in der Höhle gefroren ihre Hände nicht und Max fragte sich, ob das an ihrer Aura lag. Doch als sie dann wie zuvor ihre Aura in das Eis hineinfahren ließ, geschahen viele Dinge gleichzeitig. Ein lautes Splittern erklang und rötliche Ketten aus Eis fuhren aus mehreren Stellen des Eiskristalls hervor, die sich auf die Erkunder stürzten.

    Lucy sprang sofort zurück und wich dabei immer wieder den Enden der Ketten aus, die sie umschlingen wollten. Stattdessen schlugen sie in den Boden ein und blieben dort stecken Max und Iro mussten sich auch wendig und schnell gegen die Ketten wehren. Hin und wieder hieb Max nach ihnen mit seinen Laubklingen und es war, als würde er auf Stahl mit ihnen schlagen, sodass sein Arm schmerzte. Iro hingegen hatte es schwieriger und es war besorgniserregend mit anzusehen, wie die Ketten ihn immer wieder an seinem linken Arm und an seinen Beinen zogen. Doch Lucy sprang ihm zur Hilfe und ließ ihre Aura wirken, sodass die Ketten jedes Mal zersprangen und von Iro abfielen.


    „Sehr lästig … dass überhaupt jemand die Kraft hat, dem Fluch entgegen zu wirken …“, erklang eine Stimme, die wie Eis knirschte. Max, Lucy und Iro blickten sich alarmiert nach deren Urheber um, doch ein Lachen ertönte, das wie Eis klang, das tiefe Risse erfuhr. Und von der Spitze des Eisblocks löste sich eine neue seltsame Figur, die langsam zu ihnen herabschwebte. Ein gleichmäßig sechseckiger Körper aus tiefblauem, fast violettem Eis war zu erkennen, an dessen Ecken Eiskristalle nach außen ragten. Rotleuchtende Augen starrten sie durch Schlitze im eisigen Körper an, ohne dass sie einmal blinzelten. Sie erinnerten an das rote Leuchten, das die Augen der Eisbiester von sich gaben.

    „Ich nehme an“, begann Lucy mit grimmigen Lächeln, „du bist das Pokémon, das für den Fluch der Tundra verantwortlich ist?“

    „Fluch?“, entgegnete die seltsame Gestalt vor ihnen und knirschte abermals, so als würde ihn diese Aussage amüsieren.

    „Ich brauche meine Energie nicht damit verschwenden, euch zu erklären, was meine Aufgabe ist.“

    „Das sehen wir auch so schon“, sagte Lucy kühl und deutete auf den Eisblock hinter der Gestalt: „Du hältst den Wächter Arktos gefangen! Und wir gedenken, dies zu ändern!“

    „Ach ja?“, sagte die Gestalt und ihre Augen leuchteten in einem tiefen Scharlachrot auf. „Du magst zwar bewiesen haben, dass du mein Eis an sich zerschmettern kannst, doch schaffst du es, auch den Wächter zu befreien?“

    „Wir werden es gleich sehen!“, sagte Lucy mit finsterem Blick zu der Gestalt, die abermals lachte.


    „Dann müsst ihr erstmal an mir vorbei kommen!“, rief sie und stieß urplötzlich einen solchen kräftigen Wind aus, der Max und Lucy nach hinten taumeln ließ. Einzig Iro stemmte sich erfolgreich gegen diesen, doch schon war die Gestalt ziemlich nach an ihn herangeschwebt.

    „Du wirst der Erste sein!“, rief sie aus und stieß eine dichte weiße Wolke aus und Max spürte die Eiseskälte von dieser ausgehen.

    „Nein!“, rief er, doch bevor er reagieren konnte, schwebte ihr Feind zurück und hinterließ einen schockgefrorenen Iro zurück, auf dessen Gesicht überraschte Fassungslosigkeit geschrieben stand. Max Eingeweide gefroren augenblicklich. Das konnte nicht sein, nicht Iro, der jede andere schwere Begegnung bisher überstanden hatte …

    „Max, pass auf!“, schrie Lucy und Max erwachte noch rechtzeitig aus seinem Entsetzen und stieß sich mit seiner Agilität von der Stelle ab, so schnell er konnte. Dort, wo er gestanden hatte, fuhr hinterließ die zweite weiße Wolke ein seltsames Gebilde aus Eis, das zweifellos auch ihn eingefangen hätte. Aus dem knirschenden Lachen, dass ihr namenloser Feind von sich gab, schloss Max, dass ihn dieser Kampf amüsierte. Eine lodernde Wut, die die Kälte in und um ihn herum vertrieb, erfüllte Max. Er richtete sich auf und ließ einen Schwall leuchtender Saatkörner auf diesen los. Doch ihr Feind pustete nur sanft und lenkte die Saatkörner auf andere Bahnen, woraufhin sie wirkungslos entweder zu Boden fielen oder gegen den Eisblock stießen.


    „Du langweilst mich …“, begann er, doch rasch wandte er sich nach links und stieß eine Gefrierwolke nach Lucy, die mit geballten, blau schimmernden Pfoten auf ihn zustürmte. Abermals wich Lucy seinem Angriff geschickt aus, indem sie hoch in die Luft sprang. Sie brachte ihre Pfoten zusammen, als würde sie einen unsichtbaren Gegenstand mit ihnen halten. Und Max sah, wie sich blaue Energie zwischen ihnen bildete und sich zu einer perfekten Sphäre bildete, die Lucy auf ihren Gegner war. Dieser schwebte zurück und zuerst dachte Max, er würde das Eis übersehen, das sich hinter ihm befand. Doch ihr Gegner schien sich keineswegs daran zu stören. Jäh verschmolz er mit dem Eis hinter sich und tauchte auch schon fast direkt aus dem Eis auf, das sich hinter Lucy befand. Er stieß einen hellblauen gezackten Blitz nach ihr aus, dem Lucy nur noch mit einer Drehung in der Luft entkommen konnte. Doch ein Aufschrei von ihr verriet Max, dass sie dennoch erwischt wurde. Und tatsächlich hielt sie sich mit schmerzverzerrtem Gesicht ihre Schulter, die von einer dünnen und scharf wirkenden Eisschicht überzogen war.

    „Fünf Jahre lang schon friste ich mein einsames Dasein hier … ihr ahnt nicht, wie viel Vergnügen mir gerade dieser Kampf macht!“, lachte ihr Gegner laut auf. Max blickte Lucy an, die stumm seinen Blick erwiderte. Beide waren sich klar, dass sie zu zweit es schwierig haben würden, ihren Gegner zu schlagen, geschweige denn zu treffen. Wenn wenigstens Iro noch kämpfen könnte.

    „Na los!“, feuerte ihr Gegenüber sie spöttisch an. „Eure Angriffsversuche sich amüsant beobachten!“


    „Dann wirst du das hier lieben!“, rief eine wütende Stimme zu Seiten Max‘ und Lucys. Ein Feuerwirbel schoss über sie hinweg direkt auf den eisigen Feind, der abermals im Eis verschwand, das dann scheinbar unberührt vom Flammenwirbel blieb. Jimmy stellte seinen Feuerwirbel ein und blickte sich um auf der Suche nach diesem.

    „Ah ja“, sagte er mit einem spöttischen Knirschen und tauchte an der Spitze des Eisblocks auf. Seine rötlichen Augen nahmen Jimmy ins Visier. „Der, der mit sich selbst spricht und beinahe einem Nervenzusammenbruch unterlegen war.“

    Jimmys trotzige Miene zerfiel wie ein einbrechendes Haus und ihr Feind lachte: „Ich habe alles mit angesehen! Es war sehr unterhaltsam mitanzusehen, wie du mit dir selber geredet hast! Wie sieht es denn aus? Wirst du dieser Erwartung nun gerecht?“


    „Jimmy! Hör nicht hin!“, rief Lucy ihm zu und warf eine neue blau leuchtende Sphäre auf ihren Gegner, der unter vergnüglichem Kichern wieder im Eis verschwand. Er blieb verschwunden, doch seine Stimme hallte in der Luft wieder und dieses Mal klang sie voller Bosheit: „Du willst nicht, dass er hört, Lucy? Du willst nicht, dass er hört, wie du selber enttäuscht von ihm gewesen bist, nachdem er das erste Mal gezögert hatte, dich vom Eis zu erlösen?“

    „Hör nicht hin, Jimmy! Es lügt!“, rief Lucy Jimmy eindringlich zu, doch Max erkannte, dass Jimmy seinen Blick gesenkt hatte. Doch das war genau das, worauf ihr Feind gewartet zu haben schien. Jäh brach er aus dem Eis hervor, schwebte auf Jimmy zu und hielt wenige Meter vor ihm an. Perplex und überrascht blickte Jimmy auf und sah auch schon die weiße Wolke auf ihn zuschießen. Doch sofort war Lucy auf ihn zugestürmt und stieß ihn von dort weg.


    „LUCY!“, schrie Jimmy entsetzt auf und er und Max mussten dabei zusehen, wie sie nun von der Wolke erwischt wurde. Als diese sich gelegt hatte, stand Lucy vor ihm und mit vor Entsetzen geweiteten Augen sah Jimmy auf eine erstarrte Eisskulptur, die in einer grotesken Haltung ihre Arme ausgestreckt hatten.

  • Part II: Erwachen


    [Einige Momente zuvor]


    „Sicher, dass du nicht zu ihnen stoßen willst, Jimmy?“, fragte Rose mit einem freundlichen Lächeln und blickte den Schimpansen an. Dieser begegnete ihrem Blick, wandte sich aber dann betreten von ihr ab.

    „Es ist, wie ich sagte“, sagte Jimmy dann. „Es wäre besser, wenn ich bei euch bleibe. Schließlich wissen wir nicht, ob uns von hinten diese Eisbiester nochmal überraschen werden oder nicht.“


    „Nun, da ist was dran“, stimmte Pawo ihm zu, wobei er den Blick ununterbrochen auf den Höhlengang nach unten geheftet hielt. „Die Höhe scheint sich nicht auf die Frequenz auszuwirken, in der diese Mistdinger erscheinen.“

    Einen Moment lang schwiegen sie. Eva, die sich auf Roses Schulter zusammengekauert hatte, stieß ein pfeifendes Geräusch aus. Rose und Jimmy sahen sie an, Eva zuckte zusammen und schien sich fast gänzlich in ihren Kokon zurückzuziehen. Anhand eines leichten Bebens vermutete Rose, dass Eva immer noch voller Angst sein musste. Wenn sie nur wüsste, wie sie Eva am ehesten beruhigen könne. Doch was auch immer Rose versuchte, brachte Eva nicht dazu, sich nach draußen auf den Gipfel zu trauen.

    „Vielleicht können wir diese Gelegenheit nutzen …“, wandte sich Pawo vom Gang ab und spähte hinüber zu Eva, die seinen Blick nicht erwidern wollte. „Vielleicht magst du uns jetzt mal erzählen, was es mit dir auf sich hat. Ich meine“, und er hob bedeutungsvoll seine Schwanzflosse in die Luft, ehe er mit dieser auf den Boden schlug. Es hallte an den Wänden wider und Rose spürte, wie Eva sich nervös auf ihrer Schulter bewegte.

    „Du scheinst tatsächlich sehr viel auf den Kasten zu haben, wie dieses Turtok gesagt hat. Woher kannst du all diese Fähigkeiten?“

    „Wie oft denn noch?“, sagte Eva und Rose hörte aus nächster Nahe ihr Unbehagen in der Stimme. „Ich weiß nicht, woher diese Kräfte kommen. Sie sind auf einmal da, und ich kann es mir nicht erklären …“

    „Aha …“, erwiderte Pawo und ließ Eva nicht aus den Augen. „Was für ein Pokémon war deine Mutter eigentlich?“


    „Jetzt reicht es aber, Pawo!“, fuhr Rose ihn gereizt an. Es machte sie wütend, dass er nicht merkte, wie ungern Eva über dieses Thema sprechen wollte, vor allem nicht über ihre Mutter. Pawo blickte nun Rose finster an: „Stellst du dir nicht dieselbe Frage wie wir?“

    Rose warf einen raschen Blick auf Eva, ehe sie antwortete: „Natürlich interessiert es mich, wer die Mutter von Eva ist. Doch wenn sie sich nicht wohl dabei fühlt, sollten wir das respektieren, oder nicht?“




    Sie warf einen schnellen Blick, in der Hoffnung, er würde ihr zustimmen. Jimmy druckste und versuchte eine Antwort zu stammeln. Doch bevor er dann etwas sagen konnte, drangen von außen die unverkennbaren Geräusche eines Kampfes. Und dem Rufen nach, das offenbar Lucy zuzuordnen war, hatten sie, Max und Ironhard es mit einem harten Gegner zu tun. Jimmy machte Anstalten, sich zu bewegen, doch hielt er zögerlich inne. Rose blickte ihn verdutzt an: „Willst du ihnen nicht zur Hilfe eilen?“

    „Doch …“, entgegnete Jimmy, doch klang er alles andere als zuversichtlich. „Ich habe nur das Gefühl, ich würde eventuell in einen gemeinsamen Angriff reinplatzen oder zur ungewollten Zielscheibe werden … was wenn sie meinetwegen Schaden erleiden?“

    Er blickte Rose hilfesuchend an und sie blickte in dessen braunen, nervös zuckenden Augen. Irgendwie fühlte sie seine Anspannung, die offenbar sehr viel tiefer lag, als Jimmy es gerade zeigte. Rose kannte dieses Gefühl zu gut von sich und sie ahnte, dass Jimmy sich nicht gerade zutraute, irgendetwas zu bewirken. Doch sie erinnerte sich, was ihn betraf, an Lucys Worte, dass er ihr Leben gerettet habe. Und auch Rose erinnerte sich dankbar an Vanes Worte, nachdem er sie gerne für die Position der Teamheilerin ihres Erkundungsteams haben wollte. Jimmy zögerte immer noch und Rose warf ihm ein aufmunterndes Lächeln zu: „Ganz gleich, was ihr für einen Streit hattet, du, Max und Ironhard seid bestimmt noch Freunde, oder? Ganz gleich wie, du würdest ihnen auf jeden Fall helfen, wenn du jetzt zu ihnen stoßen würdest?“


    Ein lautes Nein drang zu ihnen hinunter und Rose ahnte, dass auf Seiten von Max etwas passiert war. In der Hoffnung, das würde Jimmy endlich dazu motivieren, loszueilen, blickte sie erneut auf den Schimpansen, der einen Moment lang innehielt. Dann endlich lächelte Rose erfreut, als er endlich nach draußen spurtete.

    „Sollen wir auch langsam los?“, fragte Pawo und Rose sah es ihm an seinen zuckenden Flossen an, dass auch er auf den Kampf brannte. Er wartete auf eine Antwort der immer noch stummen Eva ab, dann aber hatte er wohl genug und er robbte so schnell er konnte auf den Ausgang zu.


    „Sie werden es nicht schaffen …“, flüsterte Eva. Rose hielt inne. Ein flaues Gefühl stieg in ihr hoch und sie wandte den Kopf langsam zu Eva. Todernst starrte sie nach vorne, ohne einen Punkt auf der Wand zu fixieren.

    „Wie … meinst du …“, versuchte Rose ruhig zu klingen, doch der leere Blick Evas und der ernste Ton ihrer Worte machte sie nervös. Behutsam nahm sie Eva von der Schulter, die sich nicht wehrte, und legte sie vorsichtig auf dem Boden ab. Endlich blickte Eva Rose gerade heraus an: „Sie können sich so viel Mühe geben, wie sie wollen … sie werden es nicht schaffen, den Wächter zu befreien. Dafür ist dieses … dieses Ding zu mächtig geworden in den fünf Jahren …“

    „Welches Ding meinst du?“, fragte Rose beklommen. Erschrocken bemerkte sie, dass Eva abermals zitterte und sofort ließ sich Rose, so gut es ihre breiten Beine erlaubten, zu ihr hinunter und nahm sie, im Versuch sie zu beruhigen, in den Arm. Nun fing Eva an zu schluchzen und Rose wusste nicht, was sie tun sollte, außer Eva noch fester in den Arm zu nehmen. „Ich bin so ein Feigling! Ich habe mich nicht getraut, ihnen … die Wahrheit zu sagen!“, heulte Eva und vergrub das Gesicht in Roses Schulter.

    „Welche Wahrheit denn?“, brach es aus Rose hervor, die verzweifelt versuchte, Eva durch das Tätscheln ihres Kopfes zu beruhigen. Es vergingen lange Minuten, bis Eva wieder einigermaßen Luft holen konnte, um ganze Worte wieder hervorzubringen. Mit geröteten Augen und feuchten Wangen löste sie sich von Rose und sah ihr in die Augen: „Seid ich im Schneeschleierforst erwacht bin, habe ich diese … diese seltsame Verbindung … zuerst wusste ich nicht, was das war, dann aber erinnerte ich mich an etwas, was ich kurz vor meinem Einschlafen erlebt habe.“


    Sie blickte Rose eine Weile lang an. Die Miltank wusste nicht, was sie sagen sollte, doch sie bedeutete Eva, dass sie ihr zuhörte. Es war nicht leicht, ruhig dabei zu bleiben, denn Rose hörte draußen das Rauschen und Tosen, das nur von Jimmys Feuer kommen musste. Eva holte tief Luft, ehe sie weitererzählte: „Bevor ich zum Einschlafen gebracht wurde, hat der Wächter mit eine Art Gute-Nacht-Kuss gegeben … er und meine Mutter … hatten in der Tat ein besonderes Verhältnis zueinander … der Wächter …“

    „Ist dein Vater?“, beendete Rose Evas Ausführungen und diese nickte. Rose blickte sie eine Weile lang verdutzt an, ehe sie ehrfürchtig einen Pfiff ausstieß, doch Eva schüttelte den Kopf: „Ich kann nicht genau sagen, ob er mein tatsächlicher Vater ist … doch er war stets wie einer zu mir und bevor ich von ihm und meiner Mutter zum Einschlafen gebracht wurde, hat er einen Teil seiner Kräfte auf mich übertragen. Seit ich erwacht bin, habe ich immer Einblicke in seinen Geist und er … er stirbt wirklich, Rose … auf die langsamte und qualvollste Art, die man sich vorstellen kann …“

    „Er lebt also noch … und wird da oben gefangen gehalten?“, fragte Rose und ihr Herz pochte vor Aufregung fast hörbar in ihrem Hals. Eva nickte, wenn auch deutlich zitternd.


    „Dieses Ding, gegen das die anderen gerade kämpfen … es zehrt von den Kräften meines Vaters … und ich weiß immer noch nicht, wie es um meine Mutter steht, es sei denn … dieses Ding …“, und wieder füllten sich Evas Augen mit Tränen, sodass sie wieder ihr Gesicht in Roses Schultern vergrub und heftig schluchzte.

    „Wie können wir erwarten, dieses Ding zu besiegen, wenn es meinen Vater mühelos im Schach halten kann …“, heulte Eva und bebte unaufhörlich. Auch Rose war den Tränen nahe, obwohl sie es sich kaum ausmalen konnte, was Eva fühlen musste, gerade dann, wenn sie Einblicke in den offenbar gequälten Geist ihres Vaters hatte.

    „Wie können wir von gewöhnlichen Pokémon erwarten, dass sie dieses Ding schlagen können?“

    Rose wusste keine Antwort darauf. Sie nahm Eva fest in die Arme und unterdrückte es dabei, selber in Tränen auszubrechen. Noch nie hatte Rose so eine Hoffnungslosigkeit gespürt, die sie zu umschlingen drohte. Und sie gab Eva Recht, dass gewöhnliche Pokémon nicht in der Lage waren, eine solche Situation zu meistern. Dann aber dämmerte es Rose. Sie kannte Eva nicht so gut, und Eva kannte sie genauso wenig. Doch wenn sie es könnte …

    „Das Team Mystery …. Also Max, Jimmy und Ironhard …“, begann Rose langsam und versuchte mit sanfter Gewalt, Eva von ihrer Schulter zu lösen, um ihr ins Gesicht zu blicken. „Du kennst es nicht so, wie ich es kenne …“

    „Gewiss sind sie vermutlich stark“, entgegnete Eva mit tränenden Augen, „doch sind sie nachwievor gewöhnliche Pokémon, oder?“


    Rose aber schaffte es, wieder schwach zu lächeln, und schüttelte den Kopf: „Das mag sein, doch sie haben als Erkundungsteam wahrhaft Großes geleistet. In den letzten vier bis fünf Jahren haben sie zweimal die Welt vor einer Katastrophe bewahrt, was in allen Zeitungen berichtet wurde.“

    „Sie … haben sie das?“, würgte Eva unter Schluchzen hervor und blickte Rose mit großen feuchten Augen. Rose nickte, vielleicht etwas zu kräftig, denn ihr Hals knackte laut. Doch sie lachte bei dem Gedanken, dass sie überhaupt an dem Team Mystery gezweifelt hatte: „Max und Jimmy waren nicht mal auf dem mächtigen Stand wie heute und trotzdem haben sie es vollbracht, den Plan eines bösen Pokémons gleich zweimal durchzukreuzen. Dabei haben sie es selbst mit Gottheiten zu tun gehabt, gegen die die beiden kämpfen mussten.“

    Rose lächelte, als sie dem ungläubigen Blick Evas begegnete

    „Du lügst doch …“, sagte die Raupe mit flackernden Augen und suchte Roses Gesicht auf das Anzeichen einer Lüge ab.

    „Wäre Shadow hier, würde ich mir von ihm eine Zeitung geben lassen, die von den Taten des Team Mystery berichtet. Die Chancen stehen daher gut, dass sie – jetzt wo auch Jimmy zu ihnen gestoßen ist -, diesen Kampf auf irgendeine Art und Weise bestreiten werden. Und wir haben schon Lucy in Aktion gesehen, was uns alle beeindruckt haben mag, oder? Und wenn du, ich und Pawo es schaffen, können wir einen wichtigen Beitrag dazu leisten, dass die Erkunder vielleicht nicht unbeschadet, aber lebend aus diesem Kampf herausgehen können. Und dann werden wir in der Lage sein, auch deinen Vater zu befreien!“


    Rose blickte Eva an und erleichtert spürte sie, dass ihr Lächeln ein aufrichtiges war. Sie glaubte selber an diese Worte und auch Eva schien dies zu bemerken. Doch ließ sie den Kopf hängen.

    „Ich weiß nicht, ob es längst zu spät ist … ob wir überhaupt noch was bewirken können …“

    „Sieh mal, ich kann gerade nur aus meiner Erfahrung berichten“, sagte Rose und richtete sich auf. Sie streckte sich und blickte dann Eva zuversichtlich in die Augen: „Ich habe mir bis vor wenigen Wochen nicht viel … eigentlich gar nichts zugetraut. Ich bin zu fett, ich bin recht unbeweglich, kämpferisch bin ich eine Null … trotzdem haben gewisse Pokémon meine Talente als Heilerin anerkannt und meine Persönlichkeit so akzeptiert, wie sie ist. Ich muss also nicht so stark wie zum Beispiel Vane oder Ironhard, so ruhig und bemessen wie Emil oder Max oder so lebhaft wie Shadow und Jimmy sein. Ich kann meinen Beitrag leisten, von dem die anderen profitieren können. Und auch wenn es eher unwahrscheinlich aussehen mag, so will ich es dennoch versucht zu haben. Denn …“

    Mit diesen Worten hob sie Eva vom Boden auf, die verdutzt Rose dabei beobachtete, wie diese sie auf ihre Schulter wieder absetzte.


    „Denn es gibt so ein Sprichwort: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Und wir alle könnten deine Hilfe gebrauchen, sowohl deinen Vater als auch die ganze Tundra zu befreien. Und mit etwas Glück sehen wir auch deine Mutter, Eva! Du musst nur daran glauben, und wenn du dich immer noch nicht trauen solltest, dann werden wir dir alle keinen Vorwurf machen. Ich für meinen Teil aber werde mein Bestes tun und den anderen zur Hilfe eilen!“

    Sie wandte sich um und stieg auch nun endlich den Höhlengang hinauf. Eva blickte sie lange an, bis sie wieder dann zu weinen begann. Das hatte Rose nicht erhofft. Sie hatte gehofft, Eva damit zumindest zu beruhigen, doch nun schien dies fürchterlich nach hinten loszugehen. Doch dann spürte sie, wie Eva ihren Kopf an den von Rose heranschmiegte und dann lange Seufzer von sich gab.


    „Danke, Rose … danke … Mama …“, flüsterte Eva. Rose hielt inne und kämpfte mit den Tränen. Sie schmiegte auch ihren Kopf nun an Eva und beide verharrten eine Weile lang so. Dann spürte Rose eine seltsame und doch angenehme Wärme von Eva ausgehen und als sie ihren Kopf zu ihr wandte, leuchtete Eva in einem hellen Licht auf, das sie gänzlich umgab. Es war ein weißes Licht, das wie ein glühendes Feuer voller Energie war. Und aus diesem Licht hörte sie Evas Stimme, die auf einmal reifer und erwachsener als zuvor klang: „Helfen wir den anderen! Retten wir meinen Vater und die Firntundra!“


    Stolz, wie sich eine Mutter fühlen musste, nickte Rose und mit dem Licht auf den Schultern spurtete sie nach außen.