[MD] Die Legende des Dämons

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  • Part III: Morgengrauen


    Die Lage war aussichtslos. Nicht nur Iro, sondern auch Lucy waren zu Eis erstarrt und erneut war es seine Schuld. Hätte er nicht auf die Worte dieses Wesens gehört, so hätte sie sich nicht erneut in den Angriff geworfen.


    „Jimmy! Konzentrier‘ dich!“, drang Max‘ Stimme wie von weiter Ferne auf ihn zu. Und panisch erkannte Jimmy, dass die Gefahr deswegen noch lange nicht vorbei war. Er schrie auf, als das Pokémon, gegen das sie kämpften, nun auf ihn herabstürzte. In seinen rot leuchtenden Augen lag ein gieriger und triumphierender Glanz und Jimmy spürte, es würde jeden einzelnen von ihnen zu Statuen gefrieren lassen. Jimmy warf ihm in seiner Hektik einen Schwall Flammen zu, doch das Wesen pustete diese mühelos, geradezu spielerisch aus.

    „Erbärmlich!“, kommentierte das Pokémon so kaltherzig wie sein eisiger Körper. „Doch ich habe ohnehin nichts Interessantes bei dir beobachten können!“


    Jimmy regte sich nicht, denn die Worte waren doch zu wahr, als dass er sich gegen diese hätte wehren können. Und er hörte schon, wie sein Gegenüber tief Luft holte und Jimmy spürte, wie die Kälte um ihn intensiver wurde. Doch kurz bevor auch er eingefroren werden konnte, schlang sich ein schlanker grüner Arm um Jimmys Brust, der ihn fast plötzlich von der Stelle wegriss. So schnell wie es seine Agilität erlaubte, rettete Max ihn aus dieser misslichen Lage. Scham stieg in Jimmy auf, während er und Max ein paar Schritte vom Gegner entfernt zum Halt kamen. Wie oft noch musste er gerettet werden? Doch eine Ohrfeige von Max holte Jimmy zurück aus seinen Gedanken:

    „Wenn du jetzt nachlässt, zieh dich zurück! Ich kann nicht zulassen, dass du auch noch eingefroren wirst!“, sagte Max streng, richtete sich auf und wandte sich mit erhobenen Klingen dem Feind zu. Perplex blickte Jimmy zu Max auf. Nach allem, was er durch seine Fehler an Schaden angerichtet hatte, sorgte sich Max immer noch um sein Wohl?


    „Wie rührend!“, sagte das Pokémon vor ihnen und Jimmy hörte, wie es knirschend lachte. „Die Schwachen zu schützen ist wahrlich ein nobler Zug. Schade nur, dass du das nicht von deinem Freund erwarten kannst!“

    „Du machst denselben Fehler wie alle anderen zuvor, die wir besiegt haben!“, zischte Max wütend und hob die Klingen hoch. „Wage es ja nicht, Jimmy zu unterschätzen!“

    „Max …“, hauchte, doch der Feind vor ihnen stieß einen gezackten hellblauen Blitz aus, ehe er noch was sagen konnte. Diese Art von Eisstrahl war zu schnell, als dass Max hätte ausweichen können. Doch grimmige Entschlossenheit lag in seinem Gesicht. Jimmy ahnte, dass Max nicht weichen würde, ganz gleich was auf ihn zukäme. Und das alles wegen ihm.


    Max stieß einen lauten Schrei von sich aus und Jimmy war jäh auf den Beinen. Er hatte versucht, den Eisstrahl mit seinen Laubklingen abzuwehren, woraufhin diese sofort zu Eis gefroren waren. Als dann ein neuer Eisstrahl diese traf, zersprangen diese in hundert Eissplitter, die zu Boden fielen. Auch Max sank auf die Knie und hielt mit schmerzerfülltem Gesicht seine beiden nun klingenlosen Arme.

    „Max!“, rief Jimmy entsetzt und trat an seine Seite, doch ihr Feind ließ ihnen keine Ruhe zum Atmen. Abermals holte er tief Luft und zum fünften Mal wurde die Luft kälter.

    „Nein!“, rief Jimmy. Er wollte verhindern, dass er und Max wie Lucy und Iro zu starren Figuren werden würden. Nie wieder sollten seinetwegen Pokémon zu Schaden kommen. Und wie von einem Wahnsinn erfüllt bäumte sich Jimmy vor Max auf und warf abermals einen Flammenwurf nach ihrem Gegner aus. Dieser warf ihn fast selber nach hinten, so mächtig brach dieser aus seinem Mund hervor. Und das bemerkte auch sein Gegenüber. Knapp wich er dem Flammenwurf und seine Augen blitzten gefährlich auf. Doch bevor er wieder angreifen konnte, sprang ein weißer robbenartiger Körper vom Boden ab und rammte dessen Horn, das sich stumpf auf seinem Kopf befand, in den eisigen Körper des Feindes.


    Sofort wich dieses bis zu dem Eiskristall zurück und funkelte Pawo zornig an, der wütend zurückblickte.

    „Zu schade, dass dein Horn bereits so abgenutzt ist!“, knirschte der Feind. Pawo schnaubte.

    „Es wird trotzdem genug sein, dich zu zerstören!“

    „Bist du sicher?“, höhnte ihr Gegenüber. „Eine einfache Kerbe hast du mir verpassen können, nichts weiter.“

    Und tatsächlich erkannte Jimmy vage einen feinen Riss im sonst so glatten Eiskörper. Doch der Feind lachte nur: „Das ist aber nichts, worüber ich mir groß Sorgen machen müsste. Seht her!“


    Und sowohl er als auch der Eiskristall hinter ihm leuchteten in einem violetten Licht auf, das den ganzen Gipfel beleuchtete und Jimmy, Pawo und Max in ein geisterhaftes Licht tauchte, in dem sie alle farblos wirkten. Als es sich dann wieder legte, war der Riss verschwunden, als wäre ihr Feind von Treffern völlig unberührt gewesen. Jimmy sank auf die Knie und auch Pawo stockte der Atem. Selbst wenn es ihnen gelänge, ihren Feind zu treffen, würde sich dieser offenbar mithilfe des Kristalls hinter ihm regenerieren. Ein knirschendes Lachen bestätigte diese niederschlagende Vermutung.

    „Seit fünf Jahren schon nähre ich mich von der Kraft des Wächters und des Lawinenbergs, um diesen Fluch aufrecht zu halten. Glaubt ihr etwas, dass Pokémon wie ihr eine Chance hättet, dies mit euren mickrigen Fähigkeiten zunichte zu machen?“

    „Es … muss doch …“, stammelte Jimmy, doch angesichts von Max‘ waffenlosen Armen, Lucys und Iros Zustand musste er erkennen, dass die Aussichten alles andere als gut waren. Der Feind war zu mächtig, als dass sie zu dritt was ausrichten würden.

    „Beenden wir es nun“, sagte der Feind vor ihnen und Langeweile lag in seiner Stimme.

    „Schade, dass ihr mich so enttäuscht habt, ich habe wirklich gehofft, dass ihr-!“


    Er verstummte und richtete seinen Blick auf die Treppe hinter ihnen. Auch Jimmy hörte es. Eine Art Klappern, das wie Hufe klang, die auf Gestein trafen. Und dann tauchte Rose Gestalt auf, welche schwer keuchend auf die Knie fiel und sich die Brust hielt.

    „Diese Stufen … nach dem ganzen Aufstieg noch Stufen … ich kann nicht mehr …“

    Der Feind seufzte, was wie ein leises Windheulen klang. „Ich habe wirklich gehofft, eine Herausforderung würde mir die Langeweile vertreiben!“

    Rose blickte auf und sah verdutzt erst den Feind an, ehe ihr Blick mit größer werdendem Entsetzen auf Lucy, Iro und dann auf die drei Pokémon fiel, die dicht beieinander kauerten. Und obwohl es gänzlich nach einer aussichtslosen Lage aussah, schaffte Rose es aus irgendeinem Grund, trotzig zu lächeln.

    „Keine Sorge, sie ist auf dem Weg!“, sagte sie und ein anderes Geräusch baute sich auf. Es war eine Art heulendes Tosen, das vom unteren Ende der Treppe kam. Und dann brach ein Schneesturm aus, der sich bis zu ihnen erstreckte. Laut heulte der Wind auf und Jimmy hielt sich schützend die Arme vors Gesicht, doch er bemerkte eine Veränderung im Vergleich zu den Schneestürmen davor. Zuvor hatten diese eiskalt und unbarmherzig mit schärferen Eiskristallen auf ihre Körper eingewirkt, als würden sie diese schaden wollen. Dieser Schneesturm hingegen war angenehmer von der Kälte her und die Eiskristalle streiften trotz der starken Brise sanft gegen ihre Brise. Und Jimmy bildete es sich vermutlich ein, doch es war, als würde dieser Schneesturm ihnen sagen wollen, dass er dieses Mal auf ihrer Seite war.

    Und nun sahen Jimmy, Max und Pawo, wie ein Schatten aus dem Schneesturm heraus sich ihnen näherte. Ein Augenpaar, das in einem hellen Blau leuchtete, blickte den Feind unnachgiebig an, der stumm diesen Blick erwiderte. Er stieg in die Luft und blies kräftig in die Luft. Der Schneesturm hörte auf und ein schönes Pokémon offenbarte sich.


    Jimmy hatte selten ein Pokémon gesehen, dessen Anblick einen in den Bann zog. Die Gestalt über ihnen blickte mit immer noch blau leuchtenden Augen ihren Feind an, der auf gleicher Höhe mit ihr schwebte. Sie hatte einen Körper, der danach aussah, als wäre er rundum mit feinstem Puderschnee überzogen, der dauerhaft seine Form behielt. Und sie schwebte in der Luft, obwohl sie kein einziges Mal mit ihren Flügeln schlug, die dünn wie Glass waren, aber wie eine Schicht aus Eis glänzten. Woher kam dieses Pokémon nur?

    „Sieh an …“, sagte der Feind leise. „Das kleine Wesen zeigt sich in seiner richtigen Gestalt …“


    Konnte es sein? War das Eva? Jimmy sowie Max und Pawo warfen einen Blick auf Rose, die aber gespannt zur neuen Erscheinung aufblickte. „Du hast nur eine Chance!“, sagte diese und tatsächlich drang Evas Stimme aus ihr hervor, doch sie klang fester, kräftiger als zuvor und eine sonderbare Aura strömte von ihr aus.

    „Verlasse diesen Ort! Oder du, der dem Lawinenberg schadest, wirst hier zerstört!“ Der Feind lachte knirschend. Ihn schien Evas Entwicklung keineswegs zu beeindrucken.

    „Nachdem ich den Wächter solange schon unter Verschluss halte, glaubst du, kleines Wesen, dass du es mit mir aufnehmen kannst? Du magst zwar eine neue Form haben, doch wirst du mir gewachsen sein?“

    „Wir beide wissen“, donnerte Eva so kühl, dass Jimmy die Nackenhaare aufstanden, „dass du nicht derjenige warst, der den Wächter Arktos in diesen Zustand versetzt hast. Du bist nur stellvertretend für jene Person hier, die für all das verantwortlich ist.“

    „Es kommt auf dasselbe hinaus“, sagte der Feind kalt. Evas blau leuchtender Blick verengte sich.

    „Das tut es nicht … denn du verfügst nicht annähernd über dieselbe Kraft wie die Hexe, in deren Auftrag du hier bist.“


    „So sprichst du nicht über meine Herrin!“, rief der Feind zornig und stieß abermals einen blau leuchtenden Blitz in Richtung Eva. Ihre Augen blitzten in dem hellen Blauton auf und eine Sphäre aus Wind, die Schneeflocken mit sich trug, formte sich um sie und der Blitz prallte von dieser in mehreren Richtungen ab. Abermals blitzte es auf und Jimmy spürte, wie der Wind um sie herum sich ausweitete, doch er erfasste den Feind als einzigen so stark, dass dieser rücklings gegen den Eiskristall geschleudert wurde. Sofort schwebte er vom Kristall weg und auf Eva zu, die sich in die Luft schwang und an Höhe gewann. Mit zornig rot funkelnden Augen setzte der Feind ihr nach

    Und obwohl sie sich in einiger Höhe befanden und deren Angriffe in Form von eisigen Blitzen, Windböen und Schneestürmen leiser in der Luft widerhallten, spürte Jimmy die Macht ihrer Energien auf seiner Haut kribbeln. Er ließ sich auf den Boden herab und atmete mehrmals ein und aus. Auch wenn die Gefahr gewiss alles andere als gebannt war, so konnte er endlich aufatmen.


    Dieser Ansicht schien Rose nicht zu sein. Nachdem sie mit sorgenvollem Blick den Kampf zwischen Eva und ihrem Gegner für einige Sekunden beobachtet hatte, wandte sie ihre Aufmerksamkeit auf die Pokémon, die sich auf dem Boden befanden. Sofort sprintete sie an Max‘ Seite und untersuchte eingehend dessen Arm. Beklommenheit lag in ihren Augen, als sie die Überreste von Max‘ ehemaligen Klingen an seinen Armen betrachtete.

    „Es geht schon“, sagte Max im Versuch tapfer zu klingen, doch sein Gesicht verzog sich und er keuchte abermals und hielt die Arme eng an sich gepresst.

    „Ihr seid irgendwie affin für diese Verletzungen, nicht wahr? Erst Jimmys Arm, dann Ironhards und nun deine …“, sagte Rose und sie schien sich mit einem strengen Ton zurückzuhalten. Ihr Blick fiel auf die erstarrten Körper von Iro und Lucy.


    „Sind sie …?“, fing sie an, doch sie schien sich mit ihrer Vermutung zurückzuhalten. Pawo schien zu wissen, woran sie dachte, und robbte auf Lucys Körper zu. Jimmy blickte ihn erschrocken an, als er mit seinem Horn ausholte. Doch er stieß nur sachte gegen Lucys eiskalten Körper und begutachtete das Ergebnis, wobei Jimmy nichts erkennen konnte


    ***


    Immer wieder wich Eva den Angriffen aus, die der Feind gegen sie schleuderte. Offenbar empfand er dies als Vergnügen, denn immer wieder kam ein knirschendes Lachen aus seiner Richtung.

    „Es ist zu früh nach deiner Entwicklung, gegen mich anzutreten!“, rief er laut aus und setzte Eva abermals mehrere Attacken nach. Eisige Blitze sowie feste Eisspeere flogen durch die Luft und Eva wich ihnen immer wieder mit schwingenden Bewegungen ihrer Flügel aus. Sie selber war in der Defensive und konnte selber ihren Feind nicht angreifen, was dieser auch immer wieder ausnutzte. Immer mehr trieben sie vom Gipfel des Lawinenbergs ab und immer mehr gewann der Feind an Höhe, während Eva immer weiter nach unten sank.

    „Gib schon endlich auf!“, rief er ihr zu und ließ aus seinem dunklen Eiskörper mehrere Ketten aus Eis schießen, die sich wie Schlangen in der Luft auf sie zu bewegten. Es waren zu viele, Eva konnte ihnen nicht alle ausweichen. Ein paar der Ketten trafen ihren Körper und durchbohrten einen ihrer Flügel. Eva schrie schmerzerfüllt auf und wurde durch die Wucht der Ketten nach unten gedrückt. Hart prallte sie gegen eine Felsspitze, die vom Lawinenberg herausragte. Die Ketten schlangen sich um Evas Flügel, den sie erwischt hatten, und verankerten sich im Felsen. Sie war gefangen, unfähig sich zu bewegen. Der Feind über schwebte langsam zu ihr hinunter und seine roten Augen glänzten gierig.

    „Selbst mit der Kraft des Wächters in dir bist du meinen Fähigkeiten nicht gewachsen, sehr enttäuschend. Dass du dich fünf Jahre versteckt hast, war vergeblich. Kein Wunder, dass du Erkunder darum bittest, für dich die Arbeit zu erledigen. Du hast ja gesehen, wie sehr sie mir unterlegen waren!“


    Eva erwiderte nichts, sondern kämpfte noch immer gegen die Ketten aus Eis an. Der Feind war nun dicht über ihr und blickte mit unheilvoll rot leuchtenden Augen auf sie herab.

    „Hast du nichts zu sagen?“, fragte er in einem spöttischen Ton.

    Nicht weniger spöttisch blickte Eva zu ihm auf. Der blau leuchtende Glanz ihrer Augen war verschwunden, doch sie funkelten den Feind in ihrem tiefblauen Ton trotzig an.„Wir haben einen Fehler gemacht“, sagte sie dann. Der Feind blickte sie mit ausdrucksloser Miene an. Eva grinste nun frech und in ihrer Stimme lag eine Kampfeslust, wie sie zuvor noch nie erklungen war.

    „Dieser Fehler war …?“, sagte der Feind über ihr. Eva erwiderte seinen Blick.

    „Ich war nicht mutig und bin nicht direkt mit hochgekommen. Aber jetzt …“


    Und kaum, dass der Feind etwas erwidern konnte, wurde ihm von hinten eine blau leuchtende Energiekugel auf seine Rückseite geworfen. Er stieß ein wütendes aus und wandte sich abrupt um, um deren Ursprung zu erkennen. Eine Weile blieb er verdutzt in der Luft schweben, als er Lucys finsterem Blick begegnete. Dann stieß er wütend mehrere Eisstrahlen nach ihr aus, die sie aber mit gekonnten Sprüngen und geschicktem Klettern auf dem Lawinenberg ausweichen konnten. Offenbar stellte sie eine größere Bedrohung als Eva dar, denn diese ignorierte er vollkommen. Hastig schwebte er wieder hinauf zum Gipfel, auf den Lucy soeben wieder geklettert war.


    Doch kaum, dass er über dessen Rand geschwebt war, ergoss sich eine Wasserfontäne über ihn. Seine Augen blitzten abermals zornig auf, als er sah, wie Iro nun dem Wasser seines Nassschweifes freien Lauf ließ. Den Feind warf es nach unten und er krachte gegen die rauen Felswände des Berges. Es knackte und feine Risse zogen sich über seinen Körper. Er stieß einen wütenden Schrei aus und war schon dabei, wieder hinauf zu schweben, als ein Windhauch ihn umfasste. Das Wasser, das in feinen Tropfen seinen Körper entlang lief, gefror augenblicklich zu Eis, was den Feind in seiner eigenen Bewegung verhinderte. Sein wütender Blick glitt nach hinten und er sah, wie Eva ihm mit nicht weniger zornigen Blick über ihn hinwegschwebte, auch wenn ihre Flugbahn nicht mehr ganz elegant war. Das Loch in ihrem Flügel machte ihr das Fliegen schwer, doch sie schaffte es, sich auf den Gipfel zu kämpfen.

    „Vielen Dank!“, keuchte sie, als sie matt auf dem Boden landete. Rose eilte sofort zu ihr herbei und stützte ihren Flügel, doch Eva hatte nur Blick für die anderen, die argwöhnisch und kampfbereit sie anblickten.

    „Ich habe ihn vorübergehend festsetzen können, doch er wird gleich wieder hier oben sein!“ „Es wird aber nichts bringen, wenn wir ihm nur einzelne Treffer verpassen!“, rief Pawo hastig ein. „Er kann sich regenerieren!“

    „Können wir Pa-, ich meine den Wächter nicht schon befreien?“, wandte sich Eva an Lucy, wobei sie immer wieder einen Blick nach hinten warf, um die Ankunft des Feindes rechtzeitig zu erkennen.


    „Ich habe es gerade nochmal versucht, nachdem ich ihm eine Aurasphäre in den Rücken geworfen habe“, erklärte sie ernst. „Doch immer noch schießen Ketten hervor, wenn ich das Eis zerstören will.“

    „Dann müssen wir zuerst ihn loswerden, oder?“, sagte Iro mit dem Anflug eines herausfordernden Grinsens und schlug mit seinem Schweif auf den Boden.

    „Dann müssen wir alle zusammenarbeiten!“, sagte Max dann.


    Doch sie hatten keine Zeit mehr, sich ausführlich über einen Schlachtplan zu einigen. Der Feind war wieder da und dieses Mal spürte Jimmy regelrecht die kraftvolle Aura des Zorns, der von ihm ausging. Seine Augen glühten wie zwei Unheil verkündende rote Kometen vom Nachthimmel zu ihnen herunter und er stieß einen mächtigen Blizzard gegen sie aus. Es war offensichtlich, dass er versuchte, sie alle auf einmal einzufrieren. Doch Eva hatte sich rasch wieder ihm zugewandt. Sie schien die Schmerzen, die ihren Flügel plagen mussten, zu ignorieren und ließ mit blau leuchtenden Augen ebenso Windböen um sie aufbauen, die sie gegen den Blizzard schickte.

    Nie zuvor hatte Jimmy die Wirkung von zwei starken Winden gespürt, die aufeinandertrafen. Doch inmitten der Luft bildete sich ein dichter Wirbel aus Schnee und Eis, der die Sicht auf den Feind verdeckte. Jimmy hatte keine Idee, wie sie gegen einen Feind kämpfen sollten, der sich hoch über ihnen in der Luft befand. Doch Lucy keuchte dann aufgeregt auf: „Ironhard, kannst du mich nach oben schmeißen?“

    Erst war nicht nur Iro, sondern auch alle anderen verwirrt. Dann aber schien es dem Impergator zu dämmern und er holte mit seinem Schweif mächtig aus. Als er dann mit diesem einen kräftigen Schwung nach oben tat, sprang Lucy geschickt auf diesen, die beiden Pfoten formten derweil eine blau leuchtende Sphäre.


    „Ab dafür!“, rief Iro energisch und schleuderte Lucy in die Höhe. Sofort verschwand sie im Wirbel aus Schnee, so dass sie sich nur vorstellen konnten, was dort drinnen passierte. Dann erklang ein Krachen, das durch den Wirbel zu ihnen widerhallte.

    „Sie muss wohl getroffen haben!“, rief Jimmy aufgeregt und erfreut aus. Lucys Körper fiel von oben wieder auf sie herab. Der Wirbel aber brachte sie zum Drehen in der Luft und sie wäre deutlich unangenehm und sicher mit Knochenbrüchen auf dem Boden gelandet, wenn Iro ihren Sturz nicht mit einem Schwall Wasser aus seinem Mund gemildert hätte.

    „Danke, Iro!“, sagte Lucy rasch und richtete sich. Sie wandte sich hastig an Eva.

    „Meinst du, du kannst schon wieder hoch und ihn an Ort und Stelle halten, wo er sich gerade befindet?“

    „Ich gebe mein Bestes, doch ich halte nicht mehr lange aus!“, sagte Eva prompt mit ihrem leuchtenden Augenpaar und hob sich wieder empor auf den Feind zu, woraufhin die Luftschlacht wieder von Neuem begann.


    „Du hast doch nicht etwa vor …?“, sagte Max verblüfft, nachdem er Lucy dabei beobachtet hatte, wie sie dem Schneesturm und dem Schweif von Iro berechnende Blicke zuwarf. Sie grinste frech: „Auf die Art kann ich den Abstand verkürzen und ihm Aurasphären verpassen, die ihm schaden.“

    „Du missbrauchst mich also tatsächlich als Katapult?“, sagte Iro, doch Jimmy hörte, dass er den strengen Ton nicht wirklich ernst meinte. Lucy warf ihm einen fragenden Blick zu. Als Iro nickte, strahlte sie ihn an.

    „Hey, dann will ich aber auch meinen Teil machen!“, rief Pawo aus und robbte auf Iro zu. Lucy aber trat zwischen die beiden. „Es wäre zu gefährlich, da du mit deinem Horn ihn direkt treffen müsstest!“

    „Und wenn schon!“, entgegnete Pawo wütend und wollte sich an Lucy vorbeischieben. Doch sie hielt ihn mit sanfter Gewalt zurück.

    „Tatsächlich …“, sagte sie vorsichtig, „könnte aber wer anders mir helfen … Jimmy?“


    Als sie ihn anblickte, spürte Jimmy, wie ein heißes und schweres Gewicht in seinen Magen fiel.
    "Eh … ich?“, sagte er perplex.


    „Leute, beeilt euch! Ich glaube, Eva hält es nicht mehr lange aus!“, rief Rose entsetzt auf und sie blickten hoch, gerade als eine eisige Kette Evas anderen Flügel durchbohrte.

    „Jimmy, wir müssen es jetzt tun! Es ist keine Zeit, sich den Zweifeln hinzugeben. Das hattest du dir doch vorgenommen, oder?“

    Und ohne eine Antwort abzuwarten, nickte sie Iro zu und beide bereiteten sich darauf vor, dass Lucy zu Eva hinauf geschleudert wurde.

    „Sie hat recht …“, flüsterte eine andere vertraute Stimme in sein Ohr. „Jetzt stellt sich wirklich für dich die Frage: Kannst du deine Angst für einen Moment vergessen?“

    Und als Lucy nach oben geschleudert wurde, fühlte Jimmy, wie eine seltsame Kraft ihn sowohl von hinten anstupste als auch seine Beine erfüllte. Es kam ihm fast wahnsinnig vor, wie auch er Iro mit einem Nicken das Zeichen gab, worauf dieser verdutzt reagierte. Doch fasste er sich schnell wieder, holte aus und Jimmy sprang ebenso auf den Schweif.


    Worauf habe ich mich da eingelassen?, fragte er sich in einem Anflug aufkeimender Panik.
    Doch nun gab es kein Zurück mehr. Iro schwang seinen Schweif nach oben und Jimmy spürte direkt, wie ihm der Wind ins Gesicht peitschte. Lucys Aurasphäre hatte mittlerweile getroffen, das hatte ein erneutes Krachen und ein erneuter Aufschrei des Feindes verkündet. Und mit einem Mal kamen sowohl Eva, die in Spiralen nach unten segelte, als auch dieser immer näher und näher, sodass Jimmy ihm ein sein gemeines rotglänzendes Augenpaar blicken konnte. Doch kaum, dass er aufhörte an Höhe zuzunehmen, und der Moment gekommen war, spürte er etwas anderes in sich. Eine unbändige Wut hatte Besitz von ihm begriffen. Nachdem, was er in der Höhle des Lawinenbergs von Pawo und den anderen gehört hatte, sah er die Ursache für all das Üble, was die Firntundra heimgesucht hatte, vor sich in der Luft. Ein Antrieb in seinem Inneren wurde in Gang gesetzt, der ihn von innen heraus aufheizte. Und fast zeitgleich holten Jimmy und der Feind Luft und genauso zur selben Zeit spien beide ihre Angriffe aus.

    Und dieses Mal legte Jimmy alle Entschlossenheit in diesen einen Flammenwurf, der sich mächtiger als je zuvor entlud. Jimmy hielt die Augen geschlossen, da er sich darauf konzentrieren musste, mit möglichst viel gerechtem Zorn sein Feuer auflodern zu lassen. Das Brausen und Tosen erfüllte seine Ohren und er spürte kaum, wie ihn der Flammenwurf nach hinten warf. Auch hörte er den erschrockenen und dann langgezogenen Aufschrei nicht, den der Feind von sich gab. Erst als Jimmy die Puste ausging, sein Feuer erlosch und er mit dem Rücken voran nach unten fiel, sah er den einstmals perfekt zugeschnittenen Eiskörper des Feindes zur Hälfte geschmolzen zu Boden gleiten. Wo einst dessen rot glühendes Augenpaar zu sehen war, war nur noch ein Spalt im Eis zu sehen.

    Erst als zwei grüne Arme ihn in der Luft auffingen, er das schmerzerfüllte Keuchen seines Freundes hörte und dann dessen stolzes Gesicht über ihn sah, wurde Jimmy klar, dass er dem Feind einen mächtigen Schlag verpasst hatte. Endlich brachte Jimmy es über sich, selber über seinen Erfolg schwach zu lächeln.


    Doch die Freude hielt nicht lange an. Unter einem „Nicht möglich!“ von Lucy sahen sie, wie der Feind in der Luft schweben blieb und dessen Spalt sich erneut mit jenem rotem Licht füllte. Angst stieg in Jimmy auf, denn er spürte sofort, dass dieses Glühen ihm allein galt.

    „DAS! WIRST! DU! BEZAHLEN!“, brach der Feind mit einem derartig verzerrt klingenden Röcheln und Krachen aus, dass Jimmy die Haare zu Berge standen. Auch Max‘ Arme verkrampften sich und beide schrien entsetzt auf, als der Feind wohl zu seiner mächtigsten Attacke ansetzte. Wind, Eis, Schnee sowie dunkle Energie, die aus dem kristallinen Kern des Lawinenbergs herausgesogen wurde sammelten sich um ihn und verdichteten sich zu einer einzigen dunklen Sphäre.

    „Wir müssen schnell in Deckung gehen!“, rief Lucy, doch Jimmy fürchtete, dass es dafür zu spät war. Selbst Eva, die deutlich mitgenommen wirkte, schien dem mit ihren Kräften nichts entgegensetzen zu können. War das Ende also gekommen?


    Doch dann erklang ein zweifacher Kanonendonner sowie ein zweifaches Rauschen. Vier Lichtstrahlen, zwei in gelblicher und die anderen in jeweils weißer und dunkler Farbe, schossen von unterhalb der Treppe auf die Energiesphäre des Feindes zu. Diese explodierte, als sie sich mit den vier dazukommenden Strahlen verband. Alle hielten sich die Ohren zu und Jimmy glaubte fast, sein Trommelfell würde zerreißen. Ihn selber warf es fast gänzlich vom Gipfel, als die Druckwelle ihn erfasste. Er hörte, wie ihr Feind abermals laut aufschrie, er aber dann schlagartig verstummte.

    Als sich dann die Explosion legte, blickten die Erkunder verwirrt nach oben. Vom Feind war keine Spur mehr zu sehen. Von rechts hörten sie, wie drei Gestalten sich nach oben über die Treppe kämpften.

    „Was war denn das für einer?“

    „Seid ihr alle verletzt?“

    „Wir haben wohl ein ziemlich cooles Spektakel verpasst, was?“


    Vom Licht der Morgendämmerung angestrahlt, traten Shadow, Emil und Vane, die ziemlich angeschlagen wirkten, breit grinsend auf sie zu.

  • Hallo,


    mit Frigometri als Gegner hast du eine formidable Auseinandersetzung zwischen den kämpfenden Pokémon geschaffen. Dass es den eingefrorenen Wächter stellvertretend für die Hexe bewacht, wird schon beinahe zu beiläufig erwähnt, ist am Ende aber vermutlich einerlei. Mir gefiel in den letzten vier Parts die Beachtung der Typenwechselwirkungen, sodass Reptain schon beinahe wie Ballast wirkte und Jimmy als noch unsicherer Mitstreiter eine große Stärke in der kalten Umgebung mit sich führte. Ein gefinkelter Plan, ihn mental zu attackieren, letztendlich aber wirkungslos und so verpuffte auch dieser Gegner. Übrigens war Evas Entwicklung angesichts ihrer Einsicht eine schöne Sache.


    Wir lesen uns!


  • 23

    Im Licht der Sonne


    Part I: Vater, Tochter, Mutter, Bruder

    „Euch geht es gut!“, rief Rose aus, sichtlich verblüfft und auch erleichtert. Sie sprang von Evas Körper, der matt auf dem Boden lag, auf und rannte auf Shadow zu und wollte ihn in ihre Arme schließen. Ihr Körper fiel durch seinen schattenhaften, sodass sie gegen Vane prallte, der sie sachte auffing und dabei amüsiert lächelte. Shadow und Emil lächelten ebenso verschmitzt.

    „Glaubst du denn, eine lächerliche Lawine würde uns derartig leicht erledigen?“, sagte Shadow und warf Vane einen anerkennenden Blick zu.

    „Er hier hat rechtzeitig einen Felsen zum Schutz hochschießen lassen, hinter dem wir uns verstecken konnten. Daher wurden wir nicht direkt nach unten geworfen.“

    Nicht direkt?“, entgegnete Max und blickte zwischen den drei Sternenjägern hin und her, die daraufhin betreten wirkten.


    „Der Fels hat dann irgendwann doch nachgegeben und wir wurden an den Rand des Berges gedrängt. Wir purzelten auch ein paar Meter herab, dann hat Shadow es irgendwie geschafft, mich und Vane in seinen Schatten zu ziehen, sodass wir an einem freien Stück Bergwand in luftiger Höhe waren.“

    „Ja, und glimpflich sind wir auch nicht gerade davongekommen!“, knirschte Vane und Max erkannte, wie steif seine Bewegungen waren. „Ich habe mich irgendwie verrenkt, mir tut alles weh im Körper!“

    „Nicht nur dir!“, murrte Emil, der seinen Kopf nicht zu ihm wenden konnte und sich daher mit seinem ganzen Körper zu ihm drehte. Shadow, der keinen festen Körper und daher kaum Knochenbrüche oder Verrenkungen zu erwarten hatte, blickte sich währenddessen auf dem Gipfel um. Er inspizierte die Spuren des Kampfes, der bis zu ihrem Eintreffen noch getobt hatte.

    „Was genau ist denn hier oben nun passiert? Und wer ist das?“, sagte er und deutete dann mit einem schwarzen Finger auf Eva, die mit ausgebreiteten und verletzten Flügeln auf dem Boden lag und ihre tiefblauen Augen auf Shadow gerichtet hatte.


    Rasch erklärte Max, mit einigen Ergänzungen von Rose und Jimmy, was auf dem Gipfel geschehen war. Lucy, die mit einem Ohr zuhörte, hatte sich Vane und Emil zugewandt und setzte gekonnte Griffe und Techniken ein, die die Verrenkung der beiden lösten. Vane keuchte erleichtert auf, als Lucy seine Arme, seinen metallbesetzten Rücken sowie seinen Nacken mit kräftigen Hieben krachen ließ. Nach einem Knacken seines Nackens war auch Emil wieder in der Lage, seinen Kopf in mehrere Richtungen zu bewegen. Er blickte zu Eva, nachdem Max geendet hatte.

    „Ich habe es mir schon gedacht, dass mehr in dir verborgen ist, als du uns zunächst offenbart hast!“, sagte er mit leicht selbstgefälligem Lächeln. „Du wirktest irgendwie … überreif für dein Alter, von deinen Kräften mal zu schweigen.“

    „Ich habe auch die ganze Zeit eine seltsame Aura bei dir gespürt, seit ich dich das erste Mal gesehen habe“, sagte Lucy, die sich zu Eva auf den Boden gesetzt hatte, um ihr möglichst auf Augenhöhe zu begegnen. „Dass du aber die Tochter des Wächters bist, hätte ich jetzt nicht gedacht.“

    „Ist sie im Grunde eigentlich nicht“, erklärte ihr Rose, während sie und Eva sich gegenseitig zulächelten. „Sie hat nur Kräfte von ihm erhalten, bevor sie in den Schlaf geschickt wurde. Das war es, oder, Eva?“


    Eva nickte mit dem Kopf. Sie versuchte, ihre Flügel zu bewegen, deren Löcher in der kurzen Zeit mit einer dünnen Eisschicht überzogen hatten. Offenbar wollte sie verhindern, dass Bewegungen diesen Heilprozess verhinderten, denn mit einem Seufzen entschied sich Eva, noch auf dem Boden zu verweilen.

    „Wieso hast du es uns nicht gleich erzählt?“, wandte sich Pawo an sie. Sein Blick war schwer zu deuten, dachte sich Max. Es lag sowohl Neugier als auch Aufregung und Wut dahinter. Doch Eva ließ sich davon aus der Ruhe bringen.


    „Zuerst ist mir diese Erinnerung auch nicht in den Sinn gekommen. Erst, als wir uns dem Lawinenberg näherten, habe ich immer wieder Einblicke in Arktos Geist erhalten können, auch wenn nicht viel zu sehen war. Ich wusste daher auch, dass er nicht tot sein konnte. Und mir ist es auch erst innerhalb des Lawinenbergs gedämmert, dass ich kurz vor seiner Gefangennahme Kräfte von ihm erhalten habe. Es hat sich erst nach und nach mir alles eröffnet.“

    Sie richtete ihren Blick auf Pawo und blickte ihm tief in seine Augen: „Hätte es einen Unterschied gemacht, wenn ich euch jeglichen Fortschritt meiner wiederkehrenden Erinnerung mitgeteilt hätte?“

    „Nun …“, wollte Pawo entgegnen, doch er verstummte, als er von Eva auf den Eisblock blickte, in dem Arktos noch immer gefangen war.

    „Die Lage hätte sich nicht geändert …ich hätte so oder so nicht gewusst, wie ich diese Kräfte freisetzen und ob ich mich hätte nützlich machen können. Ich war selber verwirrt über diese Tatsache, denn ich verstehe nicht, warum ich überhaupt diese erhalten hatte. Hätte Arktos diese nicht eher behalten sollen, um eine größere Chance gegen diese Hexe zu haben? Wieso schien er darauf zu vertrauen, dass ich erwachen und mit Unterstützung zu ihm kommen würde? Hat er das überhaupt so von mir erwartet?“


    Stille legte sich zwischen ihnen. Max tauschte Blicke mit Lucy, die Eva interessiert beobachtet. Ihre roten Augen fielen nun auf Arktos‘ eisiges Gefängnis. Mit aufmunterndem Lächeln wandte sie sich dann wieder Eva zu: „Wir könnten ihn all das jetzt fragen … wenn du soweit bist?“

    Eva, deren Flügel nun fast gänzlich seiden und eisig schimmernd waren, schwang sich behutsam in die Luft und blickte erst Lucy und dann die anderen an. Lucy bot sich mit einer Geste an, doch Eva verneinte mit einem Schütteln ihres weißen Kopfes. Mit einer anmutigen Bewegung drehte sie sich in der Luft und näherte sich dem riesigen Eisblock. Gespannt sahen die anderen ihr dabei zu, wie sie ihre Augen hellblau aufleuchten ließ. Sie stieß einen Windhauch gegen das Eis und Max meinte, sowohl weiße als auch hellblaue Schneeflocken zu sehen, die wie feinste Diamanten glitzerten und sich auf dem Eis häuften. Dann verschwanden diese, als würden sie vom Eis absorbiert werden. Einige Sekunden lang passierte nichts, bis dann aus dem Inneren des Eisblocks ein Leuchten entstieg und ein tiefes Grollen erklang. Das Eis fing an vielen Stellen große und tiefe Risse, aus denen Luft herauszischte, als hätte sich ein im Inneren des Eises ein enormer Druck aufgebaut.


    „Ich glaube, wir sollten …“, rief Shadow und Max wusste, dass auch er daran dachte, sich vor Trümmern des Eises zu verstecken, die unweigerlich auf sie herabfallen würden. Doch sei es, dass Eva eine gute Kontrolle über diese hatte oder dass das Glück nun auf ihrer Seite war. Als ein lautes Krachen, ähnlich eines Donners, ertönte, flogen diese Trümmer in hohen Bogen zur Seite. Sie schlugen gegen Felsen des Berges oder rollten unter schwächer werdendem Grollen diesen hinunter. Und in der Mitte des einstigen Eisblockes fiel die riesige vogelhafte Gestalt Arktos‘ herab.


    Max schätzte, dass der Wächter dreimal so groß war wie er selbst. Arktos, der nach fünf Jahren endlich wieder befreit wurde, fiel ohnmächtig auf den Boden vor ihnen. Sein langer scharf wirkender Schnabel stieß in den Boden. Drei Höcker zogen sich von dessen Beginn über seine Augen, sodass er trotz seiner Ohnmacht einen grimmigen Eindruck machte. Beeindruckt war Max aber am ehesten von seinem Schweif ganz hinten, der nicht so aussah, als wäre er wie der Rest des Körpers mit Federn überzogen. In einer fließenden Eleganz, fast wie Wasser, glitt der Schweif neben Arktos zu Boden, über den sich dessen Flügel legten, die zum Zeitpunkt des Erstarrens ausgebreitet gewesen waren. Arktos wirkte, als wäre er im Flug erwischt worden und hätte eine Bruchlandung auf dem Gipfel geleistet. Sofort glitt Eva an ihn heran und legte ihren Kopf an den seinen.

    „Arktos! Bitte! Wach auf … Arktos! Papa!“


    Der Wächter rührte sich nicht. Max stieg ein unheilvolles Gefühl in ihm hoch. Sie konnten nicht zu spät sein, Eva selber hatte es zuvor bestätigt, dass sie das Lebenszeichen Arktos‘ in sich gespürt hatte. Abermals leuchteten Evas Augen in einem hellblauen Licht auf und dieses Mal schien dieses sie zur Gänze zu umhüllen. Und dann glitt dieses Licht auch auf Arktos hinüber, dessen tiefblaues Gefieder schimmerte und ebenso aufleuchtete. Eine ungewöhnliche Wärme erfüllte die Luft, bis das Licht wieder erlosch. Es vergingen einige Sekunden, als dann die Augen des Wächters zuckten und dieser sich regte. Unter großem Zittern und Stöhnen richtete sich Arktos hoch. Und nun, da er sich zur vollen Größe aufrichtete, sahen alle mit bestürzten Gesichtern, wie abgerupft und mager er war. Seine Federn hingen schlaff herunter und durch sie hindurch wurde erkennbar, dass sich sein Fleisch über seine Knochen spannte. Arktos Augen lagen tief in ihren Höhlen, doch funkelten sie wie Eiskristalle, als er erst die Umgebung, dann die Erkunder und dann zuletzt Eva ansah.

    „Silena?“, sagte Arktos. Seine krächzte und es hatte den Anschein, als würde es den Wächter viel an Anstrengung kosten, seine Stimme zu gebrauchen.

    „Nein“, sagte Eva, der die Tränen in den Augen standen. „Ich bin es, Arktos.“

    „Eva?“, flüsterte der Wächter leise und trat ein paar Schritte auf sie zu. Er beugte seinen schmalen Kopf zu ihr hinunter, sodass sein Augenpaar auf gleicher Höhe mit dem ihren war. Dann ließen beide ihre Köpfe sanft gegeneinander fallen, worauf beide ihre Augen schlossen.

    „Ich bin sehr froh darüber, dass es dir gut geht, Eva!“, hauchte Arktos kaum vernehmlich und über Evas Gesicht flossen stumme Tränen. Dann lösten sich beide voneinander und Arktos betrachtete Eva von allen Seiten.

    „Sieh dich nur an … du siehst Silena wirklich ähnlich … wahrhaftig ihre Tochter, nicht nur im Aussehen …“

    „Arktos …“, begann Eva und Angst ließ ihre Stimme zittern. „Ich muss dich jetzt schon fragen … meine Mutter … ist …?"

    „Ah“, sagte Arktos langsam und sein Ausdruck war direkt leidend. Er trat ein paar Schritte von Eva zurück und blickte von ihr weg, als fühlte er sich nicht würdig, ihr in die Augen zu blicken.

    „Eva … deine Mutter … sie ist … nun …“


    Eva erwiderte nichts, sondern sie schloss die Augen. Stumm liefen Tränen über ihr Gesicht, doch als sie sprach, klang ihre Stimme gefasst, was Max sehr überraschte.

    „Ich habe es irgendwie die ganze Zeit gespürt … spätestens seit ich hier oben angekommen bin und gesehen habe, dass sie nicht hier ist …“

    Arktos blickte sie gequält an. Immer wieder verlagerte er ein Gewicht von einem Bein auf das andere und wirkte, als wäre auch er den Tränen nahe. Rose trat an Eva heran und legte behutsam einen Huf auf ihren Körper. Eva sank zu ihr hinab und schmiegte ihren Kopf an den von Rose, während sie weiterhin stumm weinte.

    „Silena … deine Mutter … war immer darauf bedacht, jene zu beschützen, die sie liebte“, sagte Arktos mit schwerer Stimme. „Dich, ihre Tochter, und schließlich mich.“

    Eva blickte auf und begegnete seinem Blick.

    „Was genau ist vor fünf Jahren geschehen? Wieso hast du einen Teil deiner Kräfte auf mich übertragen?“


    Vane scharrte angespannt mit seinen Füßen im Hintergrund. Arktos schien noch immer keine sonderliche Notiz von den restlichen Erkundern zu nehmen, da sein Augenmerk hauptsächlich Eva galt. Dann atmete er tief aus, als würde er sich für das folgende wappnen.

    „Vor fünf Jahren näherte sich vom Meer eine … Präsenz, die ich noch zuvor gespürt habe. Selbst von hier oben, vom Gipfel aus, fühlte ich, dass jene Macht der meiner gleichkommen, gar übertreffen würde. Ich flog los, um dem Pokémon zu begegnen, dem diese Macht gehörte. Was ich dann gesehen habe, hat mich schlichtweg schockiert …“

    Arktos hielt inne und Max spürte die Angst, die von ihm ausging und ihn ansteckte. Wenn selbst der Wächter so eine verspürte, was war es dann für ein Pokémon gewesen?


    „Es war weniger das Ausmaß ihrer Macht, das mich entsetzte. Es waren jene Taten, die sie zu tun bereit war. Das Einfrieren der Garados, das Gefrieren des Ozeans ... und diese Entschlossenheit, das mir ebenso anzutun. Ich fürchtete zwar um mein Wohl, aber mehr um das Wohl derer, die mich verteidigen würden. Ich habe mein Bestes versucht, sie alle zum Gehen zu bewegen …“

    „Hat nicht sonderlich geklappt!“, rief Pawo wütend von hinten. Arktos blickte verdutzt auf, als Pawo auf ihn zu robbte.

    „Wir haben es nicht mal mitbekommen, dass du uns zum Gehen aufgefordert hast. Wir haben dich kein bisschen gesehen, während diese Hexe alle anderen eingefroren hat!“


    Arktos blickte Pawo ziemlich lange an, bis er dann abermals den Kopf hängen ließ.

    „Die Zeit … hat nicht mehr gereicht … ich habe unterschätzt, wie schnell diese Person auf dem Gipfel ankommen würde. Es hätte mir eigentlich klar sein sollen, denn sie brachte den ewigen Winter mit sich. Die Tundra und die Gefahren des Lawinenbergs würden ihr gewiss nichts antun!“

    „Wo bist du dann hin?“, rief Pawo erbost aus. Arktos richtete seinen Blick auf und wandte sich an Eva, die bedeutungsvoll nickte.

    „Du bist hierher zurückgekommen … du hast mich und meine Mutter getroffen und ihr gesagt, dass sie mich nehmen und sich verstecken soll …“, sagte Eva langsam, als würde ihr dies Wort für Wort enthüllt werden. Arktos nickte.

    „Ich habe versucht, euch beide fortzuschicken, in der Hoffnung, dass ihr euch in Sicherheit bringt. Ich hätte dann versucht, alle anderen davon zu überzeugen, von der Firntundra zu verschwinden, doch …“


    „Du hast die Hexe unterschätzt“, beendete Max, nachdem Arktos nicht mehr weitersprach. Er nickte mit geschlossenen Augen.

    „Ich bin traurig, dass Baumblizz diese Person durchgelassen hatte. Aber letztlich überrascht es mich nicht, wenn er dabei an sein eigenes Leben dachte. Ich spürte sie immer näher kommen und ich ahnte, dass mir noch wenig Zeit mit euch beiden blieb …“

    „Arktos … Her Wächter?“, sagte Rose mit rotem Gesicht. Arktos blickte erstaunt auf, als er auf die Weise angesprochen wurde.


    „Wir haben uns zuvor gefragt … wieso Sie einen Teil ihrer Kraft in Eva versiegelt haben. Wäre es nicht sinnvoller gewesen, diese zu behalten, wenn die Hexe so mächtig gewesen ist?“

    „Vermutlich hätte dies meine Chancen gesteigert, aber das auch nur geringfügig …“, entgegnete Arktos leise, der Rose fest in die Augen blickte. „Du bist der Person nicht begegnet. Auch du hättest das Ausmaß ihrer Macht gespürt. Mir war von vorneherein klar, dass meine Kräfte der ihren unterlegen waren …“

    „Obwohl du ein Wächter bist, der von Arceus quasi mit halbgöttlichen Kräften gesegnet wurde?“, rief Iro skeptisch aus. Abermals blickte Arktos auch ihm in die Augen. Generell schien ihm jetzt bewusst zu werden, wer noch mit Eva auf dem Gipfel war. Seine roten eingefallenen Augen fielen auf Max, dessen von Klingen befreiten Armen noch immer schmerzten, auf Jimmy, der erschöpft auf dem Boden saß, sowie auf alle anderen, die vom Kampf deutlich mitgenommen wirkten. Verdutzt blickte er Eva an.

    „Wer sind eigentlich …?“

    „Erkunder, die mich im Schneeschleierforst gerettet und mich bis hierher begleitet haben“, erklärte sie ihm. Sie warf Rose einen strahlenden Blick zu, ehe sie fortfuhr: „Ihnen habe ich es zu verdanken, dass ich mich entwickeln konnte.“

    „Gerettet?“, hauchte Arktos schockiert. „Du warst doch nicht etwa in Gefahr?“


    Hastig erklärte Eva ihm, wie Max und die anderen sie gefunden hatten. Auch Lucy und Jimmy hörten interessiert zu. Als sie endete, nickte Arktos langsam und schien in Überlegungen vertieft.

    „Das würde erklären, warum Silena alleine hierher zurückgekommen war. Nachdem sie dich in Sicherheit wusste, wollte sie mir zu Hilfe kommen …“

    Arktos stieß einen tiefen Seufzer aus und als er dann Eva wieder anblickte, glitzerten seine feuchten roten Augen. „Sie hat versucht, mich im Kampf gegen diese Person zu unterstützen … doch diese war zu mächtig, für uns beide …“

    Arktos schloss die Augen und dicke Tränen fielen wie herabfallende Eiszapfen auf den Boden. Auch Evas Augen glänzten feucht, doch sie schaffte es, Haltung zu bewahren. Einige Male holte sie tief Luft, ehe sie Arktos‘ Blick suchte.

    „Meine Mutter wollte dich beschützen, weil sie dich geliebt hat, Arktos … natürlich wollte sie verhindern, dass du von dieser Hexe eingesperrt wirst. Sie war, wie du es sagtest, eine mutige Frau, die sich selbstlos um jene kümmerte, die ihr wichtig waren …“


    Eva bebte mit ihrem Körper und es schien ihr sehr viel Kraft zu kosten, nicht wie Arktos den Tränen nachzugeben. Rose trat an sie heran und legte ihr behutsam einen Huf auf ihren Körper. Eva schloss die Augen und atmete nach einer Weile wieder ruhiger aus.

    „Ich könnte es verstehe, wenn du mich hassen würdest, Eva …“, sagte Arktos, der es vermied, ihr in die Augen zu blicken, und stattdessen beschämt auf den Boden blickte. Verdutzt starrte Eva ihn an, ehe sie den Kopf schüttelte.

    „Da ich einen Teil deiner Kräfte erhalten habe, ist mir auch in gewisser Weise klargeworden, warum du selber nicht geflohen bist. Du tatest deine Pflicht als Wächter und hast den Kern des Lawinenbergs nicht im Stich gelassen.“


    „Ja …“, erwiderte Arktos mit schwerer Stimme. „Ich habe mich, nachdem sich deine Mutter der Person in den Weg gestellt hat, kampflos ergeben. Sie hat mir frei heraus ihre Pläne mitgeteilt, dass sie meine Kraft dazu nutzen würde, um einen Fluch zu stärken, der den ewigen Winter bewirken würde. Ich habe mich freiwillig einsperren lassen, um dem entgegen zu wirken und auf die Weise, wie ich hoffte, wertvolle Zeit zu gewinnen. Die Kraft, die ich dir habe zukommen lassen, sollte währenddessen reifen, sodass du in der Lage gewesen wärst, den Fluch vom Lawinenberg zu nehmen und mich zu befreien. Und dann-“


    „Du tatest das der Tochter derer an, die dich dich geliebt hat?!“, rief Rose zornig aus. Max war erschrocken darüber, wie sich vor Wut ihr Gesicht verzerrte und dass sie jeglichen Respekt vor Arktos verloren hatte.

    „Hattest du auch nur eine Sekunde daran gedacht, wie sich Eva fühlen würde? Hast du sie letzten Endes nur als … als … Instrument deiner Befreiung missbraucht?“

    Max hatte erwartet, dass Arktos sein Vorgehen verteidigen würde, doch es überraschte ihn, dass dieser den Kopf sinken ließ und dass abermals Tränen, die wie Eissplitter glitzerten, zu Boden fielen.

    „Ich wusste in meiner Not nicht mehr weiter … mir war klar, dass es für den Lawinenberg und irgendwann auch für die Welt das Ende bedeutet hätte, wenn meine gesamte Kraft versiegelt worden wäre. Dass ich zum Zeitpunkt meines Einfrierens einen Teil dieser sicher in Eva verwahrt wusste, gab mir einen Funken Hoffnung, der mir auch immer wieder Kraft gegeben hat, mich dem Fortschreiten des Fluches zu widersetzen.

    Doch mir ist auch bewusst, welche Bürde ich dir auferlegt habe, Eva. Du warst so klein und jung und wusstest nicht im Geringsten über das Ausmaß meiner Entscheidungen Bescheid. Und doch hast du es nach so langer Zeit vollbracht … deine Mutter wäre sehr-“

    „Sie wäre schockiert darüber gewesen, was du Eva aufgezwungen …“, fuhr Rose ihn an, doch sie verstummte angesichts des Blickes, den Eva ihr zuwarf. Bestimmtheit und Strenge lag in ihm und Rose verstummte und trat etwas zurück.

    „Meine Mutter hätte es verstanden, auch wenn sie sich gewiss Sorgen gemacht hätte …“, erklärte Eva ihr dann ruhig. Sie seufzte und blickte dann wieder zu Arktos auf: „Sie wusste, wie wichtig dir deine Aufgabe als Wächter des Lawinenbergs war und vermutlich hat sie deswegen nichts gesagt, als du einen Teil deiner Kraft in mich gelegt hast…“


    „Eva? Kannst du mir verzeihen, dass ich nicht mächtig genug war, um dich und deine Mutter zu beschützen?“

    „Arktos …“, sagte Eva bestimmt, „natürlich verzeihe ich dir … auch wenn es nicht leichter dadurch ist …“, und dieses Mal gab sie unter den aufgestauten Tränen und schluchzte heftig. Wieder legte Rose ihr tröstend einen Huf auf den Körper, worauf sich Eva ihr zuwandte und ihren schönen Kopf in Roses Brust vergrub.


    „Klingt alles schön und gut!“, rief Pawo verärgert aus. Die Blicke der anderen und des Wächters ruhten nun auf ihm.

    „Was ist mit jenen, die von der Hexe eingefroren wurden? Ich hoffe, du hast einen Plan, diese zu befreien?“

    „Ah ja“, sagte Arktos langsam, nachdem er Pawo eine Weile lang betrachtet hatte. „Du hast auch schwere Verluste erlitten nicht wahr, kleines Jurob?“

    „Du hast keine Ahnung …“, sagte Pawo, dessen Wut bei der Erwähnung besagten Verlustes zu verfliegen schien. Auf seine betrübte Miene hin nickte Arktos ihm zu und das erste Mal lag so etwas wie Aufmunterung in seinen Augen: „Jene, die durch die Hexe eingefroren wurden, die Garados sowie das Meer um die Tundra, werden bald wieder vom Eis befreit sein, das sie umgibt. Ich werde mich direkt darum kümmern. Zuerst aber …“

    Nun wandte sich Arktos gänzlich an die Erkunder, wobei er jeden einzelnen von ihnen interessiert musterte.


    „Euch bin ich zum Dank verpflichtet, dass ihr nicht nur Eva gerettet, sondern auch zu meiner Befreiung beigetragen habt. Doch ich muss mich schon wundern … ihr seid nicht deswegen hierher gekommen, oder?“

    „Nicht direkt deswegen, Wächter Arktos“, meldete sich Lucy und trat vor. Arktos musterte sie interessiert, während sie sprach:


    „Ich wurde von meiner Erkunder-Gilde ausgesandt, um die Störungen zu untersuchen, die seit einigen Jahren vom Lawinenberg ausgehen. Weil aufgrund der Strömungen, Klippen und anderen Eisbiestern ein Eindringen in die Firntundra vom Meer aus nicht möglich war, habe ich mich mit den anderen hier über den Schlangenpass geschlagen. Erst durch Eva wurde mir die Ursache dieser Störungen bewusst. Und ich bin froh sagen zu können, dass diese Mission – für mich jedenfalls – ein voller Erfolg war. Denn“, und sie schloss die Augen und lächelte dann nach einigen Sekunden, „die Aura um diesen Berg ist nicht mehr von Finsternis umgeben. Sie ist wieder rein geworden.“

    „Wir haben dir eine Menge zu verdanken!“, bestätigte Jimmy ihr, doch sie schüttelte den Kopf, als sie sich ihm zuwandte: „Wir alle haben unseren gleichwertigen Beitrag geleistet!“


    „So wie ihr alle ausseht, habt ihr alle gleichermaßen gelitten …“, entgegnete Arktos, der sie alle musterte. „Seid ihr denn alle aus demselben Grund hierher gekommen?“

    Max, Jimmy und Iro wechselten Blicke. Auch spürte Max die Blicke von Shadow und den anderen des Team Sternenjägers auf sich ruhen. Doch schließlich stimmte es, denn ihr Auftrag war der Grund, weswegen sie überhaupt all diese Strapazen auf sich genommen hatten. In Gedanken an Iros gebrochenem rechten Arm, ihre Trennung, die Angriffe der Garados sowie den Kampf mit jenem namenlosen Feind schritt Max auf die Tasche zu, die er vor Beginn des Kampfes nahe einem Felsen gelegt hatte. Er griff in diese hinein und holte jenen Orb hervor, den Mew ihnen mitgegeben hatte. Als er ihn in die Hand nahm, spürte er eine seltsame Aura und Wärme von diesem ausgehen, die die Spitzen seiner Finger erfüllte. Mit dem Orb in der Hand trat er unter den schweigsamen Blicken der anderen an Arktos heran und hielt den Orb hoch:

    „Mew hat uns geschickt. Wir sollen dir von der Rückkehr des Dämons Kyurem berichten, die in einem Jahr geschehen wird.“


    Arktos hätte eigentlich überrascht sein sollen, dass Max und die anderen von Kyurem und Mew wussten. Doch Arktos wirkte nicht überrascht. Vielmehr erfüllten Zeichen tieferer Trauer seine eingefallenen Gesichtszüge und schließlich seufzte Arktos laut auf: „Ich habe es geahnt, dass Urdra zurückkehren wird … doch so bald also …“

    „Wer?“, fragte Jimmy verwirrt. Arktos blickte ihm in die Augen, dann verlor sich sein Blick in den Himmel, der immer heller wurde.

    „Urdra, mein Bruder von vor so langer Zeit. Er hat einst mir und den anderen Wächtern geschworen, dass er eines Tages zurückkehren würde. Und er war immer gut darin, seine Versprechen einzuhalten …“

    „Du … also …“, begann Jimmy zaghaft und suchte Hilfe bei den anderen. „Du kanntest ihn also?“


    „Natürlich kannte ich ihn … er war der ältere Bruder von uns allen. Einzig Mew war der Erstgeborene. Immer waren wir alle seine Brüderchen beziehungsweise Schwesterchen …“

    Arktos lachte auf und zum ersten Mal funkelten seine Augen vor Glückseligkeit.

    „Rai und Heaty hat das gar nicht gefallen, während Don, Kya oder Tina damit vollkommen entspannt umgingen. Und Urdra war eifrig darum bemüht, als Zweitgeborener es Mew in Sachen Verantwortung und Fähigkeiten gleich zu machen. Insbesondere in der Zeit, als unser Vater, Arceus, damit begann, Hüter der Welt zu ernennen…“


    Arktos hielt inne. Das Funkeln erlosch schlagartig und seine Stimme füllte sich wieder mit Trauer und Bedauern. Er ließ den Kopf sinken und fuhr, dem Boden zugewandt, fort:

    „Urdra war in der festen Erwartung, dass auch er wie Mew und die anderen zu einem Hüter der Welt ernannt werden würde. Als dann der Zeitpunkt kam, einen Hüter des Winters zu ernennen, war Urdra, der sehr begabt mit den Kräften des Eises war, sehr davon überzeugt, dass er ausgewählt werden würde. Doch dann fiel die Entscheidung unseres Vaters auf mich …“

    „Kyurem, ich meine Urdra, hätte ein Hüter werden können?“, platzte es aus Jimmy heraus. Iro zischte und Jimmy verstummte schlagartig. Die anderen ließen sich nicht davon stören, so auch Arktos.


    „Ich kann es bis heute nicht verstehen, wieso Vater mich für diese Aufgabe auserkoren hat … ich war der Jüngste von uns, meine Kräfte waren im Vergleich zu denen Urdras ein Witz … und dennoch glaubte Vater wohl, ich sei der Aufgabe eher gewachsen als Urdra …“

    „Warst du das letztlich nicht?“, warf Max ein. „Die Welt ist kein Schneeball geworden in der Zeit, in dem du der Wächter warst.“

    Arktos druckste und auch Max lächelte schwach über seinen Witz.


    „War ich tatsächlich besser geeignet? Hätte Urdra nicht jener Einhalt gebieten können, die mich in das eisige Gefängnis gesperrt hat? Ich wage zu behaupten, dass Urdra kurzen Prozess mit ihr gemacht hätte, hätte sie ihn statt mich bedroht…“

    „Aber dennoch …“, versuchte Max einzuwerfen, doch Arktos hob einen seiner mächtigen Flügel, die trotz des Morgengrauens schimmerten, als würden sie von der Sonne angestrahlt werden.

    „Ich wollte mich damals beweisen, dass ich der Aufgabe gewachsen war. Ich wollte beweisen, dass ich nicht so schwach war, wie es den Anschein hatte!“

    Max hörte, wie Jimmy nervös mit den Füßen scharrte.


    „Ich hätte aber mehr auf Urdra achten sollen … mir war sofort klar, dass er genauso wie ich überrascht über Vaters Wahl, aber auch entsprechend enttäuscht und zornig gewesen war. Ich hätte Vater davon überzeugen sollen, dass er doch Urdra statt mich zum Hüter ernennen soll, doch er ließ sich in seiner Entscheidung nicht beirren. Und dann …“

    Arktos stockte und schloss die Augen. Als er fortfuhr lag Bitterkeit in seinen Worten:


    „Wenn ihr von Mew und Kyurem wisst, dann wisst ihr auch, was danach passiert ist. Urdra hat das Paradies verlassen und irgendwo außerhalb ist er zu dem Dämon Kyurem geworden. Als er dann zurückkehrte, mussten ich und die anderen Hüter ihn in seiner Rage aufhalten. Bis wir uns aber entgegen aller Gegensätze formiert hatten, hatte Kyurem bereits mehrere Seelen unserer Mit-Pokémon verzehrt und war immer stärker geworden. Erst mit Vaters Hilfe konnten wir ihn verbannen und wir alle hofften, dass es damit erledigt war. Doch ich habe immer geahnt, dass er zurückkommen würde … doch wie und warum? Darauf habe ich keine Antwort …“

    „Hast du nicht?“, fragte Max. Betreten schüttelte Arktos den Kopf.

    „Es würde mich nicht wundern, wenn Kyurems Zorn auf die Wächter, insbesondere auf mich, diese Rückkehr ihm ermöglichen würde …“


    „Hast du …“, begann Rose nun zaghaft. „Hast du … Angst, deinem Bruder … Kyurem … wieder zu begegnen?“

    Eine Weile lang starrte Arktos sie an. Dann schloss er die Augen und holte tief Luft, als würde er sich zu einem unangenehmen Entschluss durchringen.

    „Wenn Kyurem tatsächlich droht zurückzukommen, muss dies verhindert werden. Andernfalls wäre der Schaden, der durch ihn entstehen würde, zu groß, als dass sich je wieder ein Gleichgewicht der Welt einstellen könnte!“

    „Was würde genau passieren, wenn Kyurem nicht aufgehalten werden könnte?“, meldete sich Lucy. Arktos begegnete ernst ihrem Blick.

    „Nicht nur, dass Kyurem der Hunger nach Seelen treibt, die er sich von den Unschuldigen einverleiben würde, sondern auch das Böse in den Herzen der Pokémon würde durch seine Anwesenheit genährt werden. Auf der einen Seiten seelenlose Hüllen von Pokémon vor sich hin existieren, während andere dem Dämon dabei behilflich wären, die Welt, wie wir sie kennen, zu zerstören.“

    „Wäre es dann nicht besser, dass du die anderen Wächter sofort benachrichtigst?“


    Jimmy brachte diesen Vorschlag mit dem Versuch eines Lächelns, das aber sofort erlosch, als Arktos ihn betrübt anblickte.

    „Dafür fehlt mir zum einen die Kraft. Die Gefangenschaft der letzten fünf Jahre hat mich sehr geschwächt, ich hoffe du verstehst … Und selbst wenn ich diese Kraft hätte, könnte ich nicht viel bewirken.“

    „Wie meinst du das?“, fragte Max mit ungutem Gefühl.

    „Es ist unüblich, dass sich die Sphären der Wächter überschneiden. Das letzte Mal, vor fast zweitausend Jahren, mussten Kya und Don, für euch also Groudon und Kyogre, in einen tiefen Schlaf versetzt werden. Ihre Streitigkeiten hätten beinahe genauso die Welt zerstört wie Kyurems Anwesenheit es tun würde. Auch Rayquaza ist seitdem verschwunden und ich weiß nicht, was aus ihnen seither geworden ist. Heatran zollt mir, dem jüngsten der Wächter, keinen Respekt, weswegen ich auch nicht einfach ihn besuchen kann. Und was Mew betrifft …“

    „Mew haben wir bereits getroffen!“, erinnerte Max ihn. Arktos Miene hellte sich, als er den Orb in Max‘ Hand betrachtete.

    „Ah ja! Ich spüre auch seine Macht in diesem Orb. Es wundert mich nicht, dass Mew von Kyurems Rückkehr Bescheid weiß. Seine psychischen Kräfte waren immer schon sehr fein ausgeprägt und ihn hat die Verbannung unseres Bruders genauso hart getroffen.“

    „Wenn also drei der Wächter verschwunden sind“, zählte Shadow an seinen dunklen Fingern auf, „und ein anderer gerade nicht erreichbar ist, während ein Wächter, dieser Mew, schon aufgesucht wurde … was ist dann mit dem siebten Wächter?“


    „Du meinst Tina?“

    Die Erkunder blickten sich verdutzt an, als Arktos den Namen aussprach, als wäre dieser selbstverständlich.

    „Verzeiht!“, sagte Arktos mit dem Anflug eines Schmunzelns, das seine trüben Augen kurz erhellte. „Ich meinte Giratina, die Wächterin über das Grundgerüst der Welt. Und tatsächlich wäre sie diejenige, die von alle Wächtern am bequemsten zu erreichen ist. Sie residiert in der Weltenschlucht und ich versichere euch, dass diese-“

    Die Weltenschlucht?“, rief Shadow überrascht aus. Alle Blicke ruhten auf ihm. Ein Lächeln fuhr über sein schattenhaftes Gesicht: „Sie lässt sich in der Tat kaum verfehlen, sie zieht eine breite Schneise durch Ekunda.“

    „Das ist die Weltenschlucht?“, erkundigte sich Jimmy, der zum Beutel geeilt war und die Karte herausholte, die er auffaltete: „Die ist aber hier unbenannt!“


    „Glaub‘ mir“, sagte Shadow mit einem Lächeln. „Jeder, in der Nähe von Großschatzstadt wohnt, kennt diese bei ihrem Namen. Sie ist berüchtigt! Angeblich auch dafür, dass Pokémon in deren Höhle hineingehen und dann auf nimmer Wiedersehen verschwunden sind!“

  • Part II: Eine auftauende Szene


    „Verschwunden? Und darüber grinst du?“, sagte Rose und blickte Shadow entgeistert an. Auch Max überraschte es ein wenig, dass Shadow diese Tatsache fast amüsiert hinnahm. Doch das Gengar schüttelte rasch den Kopf:

    „Gewiss ist der Ort nicht ungefährlich, aber dorthin zu reisen bedeutet nicht, sich abermals durch eine Wüste oder Tundra zu schlagen. Tatsächlich braucht man, eben, weil so viele Pokémon dort verschwunden sind, eine Genehmigung vom Oberbürgermeister Großschatzstadts, die dich als die Art von Pokémon kennzeichnet, die eher mit den Gefahren dort zurechtkommt. Und ich bin froh zu sagen, dass ich Beziehungen habe, die uns diese Genehmigung sehr leicht verschaffen kann.“

    „Lass mich raten, aufgrund deiner Vorgeschichte?“, sagte Rose spitz, worauf Shadow verschmitzt grinste.

    „Du, Max?“, sagte Jimmy, der dicht an ihn herangetreten war und versuchte zu flüstern, sodass nur Max ihn hören konnte. „Wie kommt es, dass ihr mit Shadow, Emil, Rose und diesem Stolloss unterwegs seid? Wollte Shadow nicht Rache an uns nehmen?“


    Zu seiner eigenen Erleichterung lachte Max leise und blickte Jimmy aufmunternd an: „Das ist eine lange Geschichte, die aber damit endet, dass wir Shadow und die anderen zu vertrauen gelernt haben. Stimmt doch, Iro?“

    Als Max den Blick des Impergators suchte, brummte dieser zustimmend. Jimmy sah ganz danach aus, als wollte er genauer erfahren, wie es zu diesem Zusammenschluss von Erkundern und gesuchten Verbrechern kam, doch er kam nicht mehr dazu danach zu fragen. Vanes Stimme hallte über sie alle hinweg und sie blickten ihn an. Er hielt in seinen stählernen Klauen eine Art Rose aus, deren Blätter diamantartig im Licht der aufgehenden Sonne glitzerten.

    „Wächter Arktos? Wäre es in Ordnung, wenn ich diese als Souvenir mitnehmen könnte? Sie hat einfach diese coole und tolle Form!“

    „Die ist nicht von hier …“, sagte Arktos langsam und trat langsam an Vane heran, während er die Rose neugierig in Augenschein nahm. Vane strahlte übers Gesicht: „Dann darf ich die also mitnehmen?“


    Ehe Arktos etwas sagen konnte, trat Lucy schon an Vane heran und nahm ihm die Rose ohne weiteres aus der Hand.

    „Hey!“, rief Vane empört, doch Lucy betrachtete nun selbst die Rose eingehend und ließ ihre blau leuchtenden Pfoten über diese wandern. Und dann warf sie plötzlich die Rose in die Luft und zerschmetterte sie mit einem gezielten Hieb.

    „Was soll das denn?“, fuhr Vane sie empört an. Lucy warf ihm einen entschuldigenden Blick zu.

    „Tut mir leid, Vane, doch ich habe aus der Rose gespürt, dass wir aus dieser heraus beobachtet wurden. Ich wollte nicht, dass das weiter passiert, wenn wir sie mitnehmen.“

    Stille legte sich über sie, in der Vane vergaß, wütend auf Lucy zu sein.


    „Bist du sicher?“, fragte Eva.

    „Es war nur eine sehr geringfügige Spur, aber sie war wie jene, die vom Lawinenberg ausgegangen war, als Arktos sich noch in Gefangenschaft befand.“

    „Aber wir haben doch den Kern des Fluchs zerstört, oder?“, warf Rose beklommen ein.

    „Ich glaube eher, dass wir von dieser Hexe höchst selbst beobachtet wurden. Ich vermute, dass sie seit unserem Sieg schon Bescheid weiß, dass Arktos wieder befreit wurde.“

    „Soll das heißen“, sagte Jimmy und seine Stimme zitterte nervös, „dass diese Hexe eventuell zurückkehren und Arktos erneut einfrieren könnte?“

    „Versuchen soll sie es!“, rief Eva erbost und ihre Flügel spannten sich kampfbereit. Doch Arktos trat an sie heran und warf ihr einen bestimmten Blick zu.

    „Sollte sie tatsächlich zurückkehren, müssten wir andere Wege probieren. Eine direkte Konfrontation hat schon einmal nicht funktioniert!“


    „Wir können hierbleiben und euch unterstützen!“, schlug Max vor, dem auch Shadow und Vane zustimmten. Nur Jimmy, Iro sowie Emil und Rose wirkten nicht begeistert von der Idee. Auch Arktos schien von dieser nicht viel zu halten.

    „Ein ehrenhaftes Angebot, allerdings habt ihr eine dringendere Aufgabe zu erledigen. Wenn ich wählen müsste zwischen einer weiteren Gefangenschaft oder einem frei herumwütenden Kyurem, so ziehe ich die Gefangenschaft einer zerstörten Welt alle Male vor. Ich muss euch daher wie Mew damit beauftragen, dass ihr die verbliebenen Wächter so schnell es geht aufsucht und von der herannahenden Katastrophe in Kenntnis setzt!“

    Daran war nichts anzufechten, auch wenn Max nicht wohl dabei war. Noch nie hatte er einen Ort verlassen, den er nicht in Sicherheit wähnte. Und gewiss würden sie alle ihre Kräfte erneut vereinen müssen, um der Hexe entgegen zu treten. Doch Arktos Worte über Kyurem hallten in ihm wieder und er stimmte dem Wächter zu, dass es von größerer Dringlichkeit war, dieses Ereignis abzuwehren.


    Er spürte die warmen Strahlen der Sonne auf seinem Arm, der daraufhin kribbelte. Der Schmerz, der diese zuvor erfüllt hatte, war zum größten Teil abgeklungen. Mit sorgenvoller Miene betrachte Max die Überreste seiner einstigen Laubklingen. Sie hatten mehrmals Schäden davongetragen und immer wuchsen sie auch dann zu ihrer gesunden Form nach. Wie lange aber würde es dauern, bis komplett neue Klingen gewachsen waren? Und dazu fühlte sich Max auch noch schutz- und wehrlos. Es waren Momente wie diese, wo er einfach froh war, dass er dann auf seine Freunde zählen konnte für die Zeit, in der er sich regenerieren musste. Er warf verstohlene Blicke zu Jimmy und Iro. Ob die beiden endlich miteinander vertragen würden, jetzt, wo sie den Wächter befreit haben? Doch zu seinem Leidwesen stellte er fest, dass Iro sich immer noch ziemlich abweisend gegenüber Jimmy verhielt und Max fühlte sich, als könne er nicht viel tun, als müsse er einfach abwarten, dass die beiden von sich aus miteinander aussprechen würden. Max hoffte, dass dies sehr bald der Fall sein würde.



    Weil nun Arktos befreit und in Kenntnis über Kyurems bevorstehende Rückkehr gesetzt wurde, gab es für das Team Mystery nichts mehr auf dem Gipfel des Lawinenbergs zu erledigen. Und das bedeutete, dass sie wohl oder übel wieder den Heimweg antreten mussten. Und das wiederrum bedeutete, dass sie den ganzen Weg zurückgehen mussten, durch die Firntundra, über den Schlangenpass und dann auch noch durch die Schädelwüste. Max‘ Körper protestierte bemerkbar bei der Aussicht, durch diese Gebiete nochmals zu waten. Und ihm wurde heiß und kalt bei der Vorstellung, dass ihm auch etwas schwindlig wurde.

    „Max? Alles in Ordnung?“

    Es war Rose, die an ihn herangetreten war und ihn sorgenvoll musterte.

    „Du siehst etwas blass aus …“

    „Es ist nichts“, sagte Max rasch und bemühte sich um ein zuversichtliches Lächeln. „Ich mag die Vorstellung nicht, dass wir erneut durch die Tundra und Wüste müssen!“

    „Glaub‘ mir; wir alle finden das nicht berauschend!“, rief Emil entgeistert aus.


    Glücklicherweise hatten sie den Wächter nun befreit. Denn dieser versicherte ihnen eine durchaus angenehmere Rückreise. Mit einem großen Schwung seiner Flügel vertrieb er sämtliche graue Wolken vom Himmel und auch sicherte er ihnen zu, dass die Winde für die Dauer ihrer Reise aufhören würden. Arktos selbst entschied sich, auf dem Gipfel zu verweilen, um sich nach seinen fünf Jahren der Gefangenschaft zu erholen. Eva allerdings erklärte sich bereit, sie bis zum Beginn des Schlangenpasses zu begleiten. Zusammen also stiegen sie den Lawinenberg herab. Ohne die Winde, Lawinenfälle und Eisbiester war der Weg in der Tat angenehmer zu begehen als zuvor. Es ging zudem bergab und Max war froh, dass sie nicht erneut irgendwo hinaufsteigen mussten. Im Inneren des Lawinenbergs konnten sie dessen Kern in seinem wahren Licht betrachten. Hellblau und eine angenehme Kühle vermittelnd erleuchtete die riesige Eissäule die gesamte Zentralhöhle und gerne hätte Max die anderen Gänge untersucht.

    „Wenn ihr mit eurer Mission fertig seid“, sagte Eva aufgeregt, „könnt ihr sehr gerne zurückkehren und ich führe euch im gesamten Lawinenberg rum. Es gibt zum Beispiel noch einen Fluss, der inmitten in das offene Meer führt und-“

    „Das sagst du erst jetzt?!“, rief Pawo erbost aus. Eva wandte sich ihm verdutzt um. Nicht minder perplex blickte Pawo sie alle an.

    „Na, glaubt ihr denn, es macht mir Spaß, den ganzen Weg hinter euch her zu robben? Irgendwann würde ich schon gerne wieder im Wasser schwimmen wollen!“

    Er wandte sich an Eva:

    „Ist dieser Fluss denn wieder zugänglich und ich könnte schon ins Meer schwimmen? Und wo lang geht es, um dorthin zu gelangen?“

    Eva wies ihm den Weg, doch sie warf Pawo einen flehenden Blick zu: „Willst du nicht noch etwas bei uns bleiben?“

    „Geht nicht, pardon!“, rief Pawo aus. „Je eher ich ins Wasser komme, umso eher kann ich zum See zurück um zu prüfen, ob meine Freunde mittlerweile aus dem Eis befreit sind. Notfalls helfe ich ihnen dabei!“


    Und schon robbte er auch los. Doch nach wenigen Metern wandte er sich um und sah, dass alle ihm nachblickten. Pawo schmunzelte, ehe er dann seinen gehörnten Kopf neigte:

    „Danke übrigens, dass ihr alle geholfen habt … ich glaube, nur zusammen waren wir in der Lage, all dies zu beenden …“

    Er lächelte verlegen. Dann drehte er sich um und robbte auf den Höhlengang zu, auf den Eva zuvor gewiesen hatte.

    „Meint ihr, er kommt klar?“, fragte Rose leise und blickte dem Jurob sorgenvoll hinterher. Eva begegnete ihrem Blick und sie lächelte: „Für ein Jurob hat er sich sehr gut geschlagen, wenn er bis zum Gipfel mitgekommen ist. Ich mache mir keine Sorgen, wobei ich es schade finde, dass er jetzt schon von uns geht …“

    „Er will halt prüfen, ob es allen anderen seiner Art gut geht. Das ist auch nur verständlich“, sagte Rose mit aufmunternden Lächeln. Auch Eva lächelte wieder schwach und sie gingen weiter den Weg entlang, auf dem sie hergekommen waren.


    Max staunte immer wieder, wie viel kürzer der Rückweg war, während der Hinweg sich ewig zu erstrecken schien. Sie brauchten nicht lange, um den langen Höhlengang zu durchqueren, obwohl sie dieses Mal zu Fuß liefen, ohne Shadows Schatten. Vermutlich half die Tatsache, dass die Bedrohung durch den Fluch vorbei war und dass sie alle munter miteinander schwatzten. Von Lucy erfuhren sie, dass sich ihre Gilde vom südpolaren Bereich Ekundas befand, nahe der Blizzard-Inseln befand, die Max und Jimmy vor vielen Jahren besucht hatten. Als eine vergleichsweise junge Gilde – vor einem Jahr erst wurde sie begründet – erhalte Glacial Hearth auch entsprechende Unterstützung seitens der Regierung, die ihr einen besonderen Auftrag erteilt hatte. Auf die Frage Shadows, um was es bei diesem Auftrag ging, musste Lucy mit entschuldigender Miene erklären, dass die Details einzig den Mitgliedern von Glacial-Hearth bekannt waren und dass sie alle von ihrer Gildenmeisterin zum Schweigen gegenüber Außenstehenden verpflichtet wurden.

    „Nun, jede Gilde hat ihre Regeln und Verfahrensweisen“, sagte Shadow mit einem Seufzen und selbst im schwachen Licht des Leuchtorbs sah Max, wie das Gengar lächelte, als würde es an eine glücklichere längst vergangene Zeit denken.


    Noch immer versperrte eine hohe und dicke Schneedecke den Ausgang aus dem Lawinenberg. Es wäre anstrengend gewesen, sich durch diese zu graben, wobei Vane schon die Finger seiner diamantüberzogenen Krallen knacken ließ. Doch Eva schloss lässig die Augen und sie leuchtete in einem sanften hellblauen Licht auf. Der Schneehügel erzitterte und unter leisem Knirschen und Brodeln brach dieser auf. Streifen hellen Lichts fielen durch die Risse und als Eva dann den Schnee nach vorne stieß, flutete das helle Sonnenlicht in die Dunkelheit, sodass sie alle, insbesondere Shadow, die Augen schließen mussten.


    Sie traten hinaus in das helle Licht und sofort fiel ihnen die Veränderungen der Umgebung auf. Jetzt, wo der scheinbar ewig andauernde Schneesturm aufgehört hatte und Sonnenlicht über die Tundra fiel, glitzerte der Schnee ihnen aus allen Richtungen diamanten entgegen. Vane stieß ein bewunderndes „Wow“ aus und auch Rose hielt vor Begeisterung den Atem an. Max glaubte, ein umfassendes Gemälde vor sich zu sehen, das die Essenz des Winters eingefangen hatte. Eine weite, weiße und glitzernde Fläche erstrecke sich vor ihnen und ganz hinten, vom Licht der Sonne vage überdeckt, sah Max den breiten See, vom dem auftauende Wassermassen zu ihnen hinüber schimmerten. Auch die Mamutel waren da und standen in einer Reihe, um die Erkunder zu empfangen, wie Max hoffte. Und tatsächlich verbeugten sie sich stumm, als Eva an sie herantrat. Im Licht der Sonne bemerkte Max dann auch, wie dünn diese drei Riesen waren und dass sie zitternd auf ihren mächtigen Beinen standen. Fünf Jahre des Hungers ließen die Riesen wie windschiefe Häuser wirken.

    „Ihr solltet euch dringend etwas zu essen holen!“, rief Eva zu ihnen hoch. Unruhe, mit einer Spur Panik, lag in ihrer Stimme. Die Mamutel aber, zu ihrer aller Überraschung, schüttelten den Kopf und der Gigant trat dabei einen Schritt vor: „Vergib uns!“


    „Du kannst doch sprechen?“, rief Vane überrascht aus, doch keiner achtete in dem Moment auf ihn. Gespannt sahen sie zu, wie das riesige Mamutel sein Haupt und seine Hörner schwang: „Danke! Der Fluch ist fort! Nahrung ist wieder da!“

    Auch die anderen stimmten in seine Kopfbewegungen mit ein und tröteten, sodass es mehrfach in der Luft widerhallte. Die Mamutel nickten allesamt mit dem Kopf, wandten sich dann um und gingen, wie Eva es darauf erzählte, in Richtung von Stellen, wo sie meist etwas zu fressen fanden.

    „Nach Schneestürmen, ganz gleich, wie lange sie dauern, wächst eine bestimmte Art von Beeren, die es sonst nicht gibt. Mama hat immer gemeint, dass diese Beeren besondere stärkende Wirkung besitzen … wie sieht es aus?“

    Sie wandte sich mit fragender Miene den Erkundern um: „Ich weiß, ihr habt es eilig, doch wollt ihr euch vielleicht das ansehen?“

    Obwohl Kyurems Gebrüll schon von weitester Entfernung zu vernehmen war, wollten alle nicht jene Seiten der Firntundra verpassen, die zur Abwechslung etwas angenehmer waren. Und tatsächlich auch sehr schön anzublicken waren, wie Max feststellen musste, nachdem sie den Mamutel in ein tiefer gelegenes Tal gefolgt waren.


    In diesem standen, dicht an dicht, eine Vielzahl von Bäumen und Büschen, die nur wenig Platz boten, sodass man zwischen ihnen sich bewegen konnte. Sie alle hatten, entgegen ihrer grauen Äste und Stämme, schneeweiße Blätter, von denen manche mit Eis überzogen waren. Als seien sie mit Edelsteinen besetzt glitzerten sie den ankommenden Erkundern entgegen und unter diesem Glitzern erkannte Max die schimmernde Oberfläche von Früchten, die ebenso aus Eis zu bestehen schienen. Die Mamutel taten sich bereits genüsslich an diesen, während die anderen andächtig nähertraten.

    „Ihr könnt sie essen!“, ermutigte Eva sie. Vane, der von dem ultracoolen Anblick, wie er ihn nannte, fasziniert war, trat als erster heran und griff sich eine von einem Baum. Prompt biss er in diese hinein und kaute einige Sekunden. Und dann schauerte er und betrachtete argwöhnisch die Frucht in seinen Händen.

    „Schmeckt sie nicht?“, fragte Rose vorsichtig.

    „Doch, schon, aber sie ist sehr kalt, dass dir die Zähne wehtun!“, kommentierte er, während er seine Schläfen rieb. Auch die anderen nahmen sich jeweils eine der Früchte, die in ihrer Nähe wuchsen. Als Max in eine kleine, hellblaue und vom Eis her glitzernde Beere in den Mund nahm, musste er wie die anderen einen Schauer über sich ergehen lassen. Sie war bitter im ersten Geschmack, bis sie dann auf seiner Zunge süßer wurde. Als er dann schluckte, bemerkte er direkt, um wieviel wacher sein Körper wurde. Auch die anderen wirkten verblüfft über diese rasche Wirkung.

    Ein Krachen hinter Max lenkte dann die Aufmerksamkeit aller auf einen eingefrorenen Teich, der aber schon Risse aufwies, aus denen Wasser langsam hervorquoll.

    „Ah!“, sagte Eva mit einem Lächeln und glitt an den Teich heran. Als die anderen ihr folgten, wandte sie sich mit einem Lächeln zu ihnen:

    „Ab und an bricht eine Fontäne aus dem Boden hervor. Und offenbar ist es gleich soweit. Wartet noch ein paar Minuten und ihr werdet es sehen!“

    „Warum denn warten?“, meldete sich Shadow zu Wort und wandte sich mit einem Grinsen an Jimmy, der verdutzt aufblickte: „Meinst du, du kannst dem nachhelfen?“


    Unter den ermutigenden Blicken von Max, Lucy und Eva trat Jimmy an den Rand des Teiches und spie breite Flammenwürfe über die eingefrorene Oberfläche. Das Krachen wurde lauter und folgte in immer kürzer werdenden Intervallen, als dann die Oberfläche aufbrach und eine mächtige Wassersäule in den Himmel schoss. Wie ein rauschender Wasserfall ging diese Säule im Himmel auf und deren Spritzer verteilten sich über den Rand des Teiches hinaus. Sie gefroren sofort in der Luft und segelten als tanzende und funkelnde Edelsteine herab. Im Licht der Sonne glitzerten sie in den Farben des Regenbogen und ein solcher legte sich blass über die Lichtung.

    Langgezogene Ohs und Ahs kamen von den Erkundern und Max fühlte sich schlagartig an jenen Geysir vom Nebelsee erinnert. Wie damals tanzten Lichter um sie alle herum und Max wollte in dem Moment nichts sehnlicher al für immer in diesem Moment zu verweilen. Es war ein solcher, wo alle Probleme der Welt einfach nichtig erschienen und diesen Anblick auf gar keine Weise trüben könnten. Sein Blick glitt hinüber auf Jimmy und Iro, die beide auf ihre jeweilige Art vom Anblick des Geysirs fasziniert waren. Und als er dann seinen Blick auf Shadow, Emil, Vane, Rose sowie Lucy und Eva richtete, die gleichermaßen im Moment gebannt waren, fühlte er sich glücklich und zufrieden. Wenn wie damals auch die Mitglieder der Knuddeluff-Gilde anwesend wären, so würde dies den Moment vollkommen machen.

    „Das … ist …“, brach Rose in Tränen hervor, doch vor lauter Ehrfurcht brachte sie kein Wort heraus. Als sie weinte, legte Vane ihr tröstend eine Stahlhand auf ihre Schulter. Rose versuchte sich zu fassen und ein Lächeln fuhr über ihr tränenfeuchtes Gesicht: „Es ist einfach ein wundervoller Anblick, Eva! Ich kann es nicht glauben, dass ich … dass wir so etwas erblicken! Nach all dem …“

    „Ich schätze“, bestätigte Shadow sie, „das ist in der Tat eine schöne Art der Belohnung! Nur leider …“, und er seufzte schwer, „können wir nicht für immer hierbleiben, nicht wahr?“

    „Wir könnten schon …“, erwiderte Emil mit schrägem Lächeln. „Leider nur haben wir wichtigere Dinge zu erledigen!“

    „Du meinst den Dämon, nicht wahr?“, sagte Vane ernst. Emil begegnete seinem Blick.

    „Eigentlich dachte ich daran, dass wir immer noch diesen Mistsack an Kürbis finden wollen. Ihr erinnert euch?“

    „Ihr wollt nicht mit uns kommen?“, sagte Jimmy enttäuscht. Max staunte, dass sowohl das Panflam als auch er sich in der kurzen Zeit an die Anwesenheit dieser vier Pokémon gewöhnt hatte, dass nun die Vorstellung tatsächlich vorkam, sich bald wieder von ihnen verabschieden zu müssen.

    „Emil hat Recht … bevor wir uns einem neuen Auftrag zuwenden können, müssen wir den einen erst zu Ende bringen … außer …“, und Shadow wandte sich an Max. „Sollten wir uns wieder einmal über den Weg laufen, während ihr auf der Jagd nach den Wächtern seid, können wir euch gerne wieder zur Hilfe kommen!“

    Er hielt Max eine schattenhafte Hand entgegen und Max schlug ohne zu zögern ein. Beide blickten sich in die Augen, ehe sie einander zulächelten.

    „Ich wünschte, ich könnte euch unterstützen!“, bedauerte Eva. „Doch ich glaube, dass Arktos meine Hilfe braucht, sich um die Firntundra zu kümmern. Wir sollten übrigens langsam los“, setzte sie mit einem Blick an die anderen gewandt fort. „Ihr habt noch einen langen Weg vor euch und je eher ihr über den Schlangenpass kommt, solange die Garados noch auftauen, desto besser!“

    „Auf jeden Fall!“, rief Rose bestürzt aus. „Noch eine Kanonade an Hyperstrahlen werden wir nicht überleben!“

    „Na dann?“, setzte Shadow mit fragendem Blick in die Runde an. „Wollen wir los?“


    Alle nickten und wandten sich vom schönen Anblick an. Nur eine Gestalt blieb zurück. Max drehte sich um und sah, dass Jimmy mit gesenktem Blick an Ort und Stelle stehen blieb.

    „Komm schon, Jimmy!“, rief Max mit ermunternden Lächeln.

    Dieser wandte sich nun um und sah Max und Iro eindringlich an. Erschrocken bemerkte Max, wie Tränen seine Augen füllten.

    „Max … Iro … ich …“, begann Jimmy, doch sowohl seine Stimme als auch er selbst zitterten heftig. Max spürte sofort, was Jimmy auf dem Herzen lag. Schließlich haben sie dieses Thema noch nicht ausführlich miteinander besprechen können. Wenn es nach Max ginge, würde er Jimmy sofort verzeihen. Doch sein Blick fiel auf Iro, der mit steinerner Miene den Schimpansen betrachtete, der zitternd zu Boden blickte.

    Jimmy rang um Worte, die offensichtlich sein Leid zum Ausdruck bringen sollten und Max tat es weh, ihm dabei zuzusehen.

    „Lass gut sein, Jimmy!“, rief dann Iro aus. Max und auch Jimmy blickten ihn verdutzt an. Max befürchtete es schon, doch er sah, dass Iro von Jimmy wegblickte und selber mit sich rang.

    „Ich sehe es dir schon an … kein Grund, das weiter zu vertiefen. Solche Szenen mag ich nicht, weißt du?“


    Und dann schloss Iro die Augen, lächelte sanft und hielt Jimmy auf Augenhöhe seine gesunde linke Faust hin. Jimmy schlotterte ziemlich und wankte auf Iro zu. Zitternd hob nun er seine kleine Faust und schlug sie gegen Iros. Dieser nickte und wandte sich mit verlegender Miene von ihm. Nun begegneten Jimmys feuchte Augen dem Blick von Max. Und endlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, konnten sich beide endlich wieder in die Arme schließen. Und beide fühlten eine enorme Last von ihrem Herzen weichen, worauf beide anfingen zu schluchzen.

  • Extra: Im Garten der Ewigkeit


    Sie liebte den Anblick der Pokémon, die im Eis eingeschlossen waren, das im Licht der Sonne schimmerte. In ihren Haltungen sahen sie wie Skulpturen aus, die mit größter Sorgfalt und Feinheit aus Stein gehauen wurden. Und durch das Eis wurden sie zu einem imposanten Anblick, der ewig andauern und nie langweilig werden würde.


    Zwischen ihnen hindurch zu gleiten, während das klare Wasser des Baches, der mitten durch ihren Garten in melodischer Harmonie floss, sachte, weder zu stark noch zu schwach, neben ihr strömte. Sie blieb bei einer Heldenfigur stehen und betrachtete sie eingehend. Sie musste es leider zugeben, dass sie sich nicht an den genauen Tag erinnerte, an dem diese Figur in ihre Sammlung aufgenommen wurde. Vor hundert Jahren ungefähr hatte diese zum Schlag gegen sie ausgeholt und zu der Zeit war sie selbst nicht jene Magierin des Eises, die sie heute war. Doch diese Tatsache erfüllte sie mit Unterhaltung und Stolz. Diese Heldenfigur war die erste große Errungenschaft. Sie erinnerte sich gut an jenen Tag, an dem sie dem Helden persönlich gegenüber stand. Ihr erster Rivale von nur so wenigen, der zu einem mächtigen Schlag gegen sie ausgeholt hatte. Sie hatte nur auf so einen Moment gewartet, denn dieser Held war es tatsächlich würdig gewesen, in einer besonderen Haltung verewigt zu werden.

    Geistesabwesend ließ sie ihre weißen Finger über das Eis gleiten. Eine Sache bedauerte sie bei jeder Figur, die ihren Garten zierte. Sie hatten zwar die Gabe der Ewigkeit verliehen bekommen, doch hatten sie die Fähigkeit eingebüßt, mit irgendjemanden zu sprechen. Mit nur wenigen hätte sie gerne Wörter gewechselt, doch wenn sie daran dachte, dass aus absolut jedem Pokémon hässliche Worte kommen konnte, drohte ein Brechreiz ihre eigene ewige Schönheit zu verzerren.


    Ihre Miene glättete sich wie das Eis, das die Figuren in schimmernder Anmut umgab. Sie wandte sich nach einem letzten Blick von der Heldenfigur ab und schritt in stiller Grazie über den makellos gestalteten Weg. Der Bach schwang sich nun in mehreren eleganten Bögen. Einer Schlange gleich schlug er sich seinen Weg durch den Garten.


    Nahe einer Reihe von Becken, die auf gleicher Höhe an der glatten Wand angebracht waren, hielt sie wieder an und blickte in das Mittlere von ihnen. Sanfte Ströme an Wasser flossen aus der Wand in das bereits volle Becken, von wo sie in Gestalt wallender Wasserfälle in den darunterliegenden Bach fielen.

    Sie schloss die Augen. Nicht mehr lange und er würde bald da sein, dachte sie sich. Noch während sie in die Zeit hinein horchte, ging sie die letzten Minuten durch, die sie durch die Rose hatte beobachten können. Sie musste es sich wohl oder über eingestehen, dass sie diese Ereignisse nicht hatte vorhersehen können. Tatsächlich schien es auch fast unmöglich, die Ankunft von gleich acht Pokémon zu erleben, die sich, von der Schädelwüste kommend, über den Schlangenpass und durch die Firntundra geschlagen haben. Doch sie hatte zum Glück gelernt, solche unvorhergesehenen Vorkommnisse mit Seelenruhe aufzunehmen. Wut, Ärger sowie Enttäuschung waren ohnehin etwas für die schwachen Gemüter. Sie verunstalten die sonst feinen Züge, zu denen eigentlich alle Pokémon in der Lage wären. Doch hatte sie es zu oft schon erlebt, wie Ersteres die Pokémon dominierte. Und umso mehr fühlte sie sich in ihrem Entschluss bestätigt, dem ein Ende zu setzen. Sie lächelte über diese Art der Rechtmäßigkeit.

    Jetzt dauerte es nur noch zehn Sekunden. Im Stillen zählte sie diese herab. Neun. Acht. Sieben. Sechs. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins.


    Und sie lächelte zufrieden über diese Unfehlbarkeit. Ein Plätschern sowie ein knirschendes Geräusch kündigten den Besuch an. Sie öffnete die Augen und sah in ein Paar rot leuchtender Augen, die von der Oberfläche des Beckens zu ihr hinaufblickten.

    „Vergebt mir, Herrin! Ich habe versagt!“, sprach eine knirschende Stimme.

    Sie spürte keinerlei Regung in sich und sie war froh darüber. Und nur milde überraschte sie der Gedanke, dass die Vereitelung ihres Plans sie nicht Unruhe versetzte. Was bedeuteten auch diese fünf Jahre eines Experiments, in dem sie lediglich einen Zeitvertreib sah. Sie lächelte sanft und ihre Stimme war ruhig, als sie der Stimme antwortete:
    „Ich mache dir keine Vorwürfe, Crys. Gegen eine solche Überzahl können sich nur die wenigsten wappnen. Du kannst nun gehen. Lass dir einen neuen Körper wachsen.“

    „Danke, Herrin!“


    Das rotleuchtende Augenpaar erlosch und sie war wieder allein. Diese Art von Kurzbesuchen stimmten sie zuversichtlich. Allein ihren Untergebenen, die einer Aufgabe nicht nachgehen konnten, diese Ruhe und Milde zukommen zu lassen, bestätigten sie in ihrer Perfektion. Denn diese würde sie brauchen, wenn sie irgendwann ihre Vision einer Welt der ewigen Schönheit umsetzen könnte.

    Ihre Gedanken ruhten bei jenen, die dieses beiläufige Experiment zu einem vorzeitigen Ende gebracht hatten. Über etliche Augen, die in der ganzen Tundra verteilt waren, hatte sie diese mit geringfügigem Interesse beobachten können. Bei einem der zwei Erkundungsteams wurde sie besonders neugierig.


    „Team Mystery“, sagte sie langsam. Dann lächelte sie.

    Es hatte ganz den Anschein, als würde diese hässliche Welt doch noch ein paar interessante Charaktere mehr hervorbringen.


  • 24

    Der Einsatzleiter


    Part I: Zurück durch die Mauer


    Eva begleitete sie noch bis zum Beginn des Schlangenpasses, über den sie zurück in die Schädelwüste gelangen wollten. Noch immer war der größte Teil des Meeres eingefroren, aber die ersten Flächen glitzernden freien Wassers schimmerten zu ihnen hinauf. Der Nebel hatte sich derweil durch die aufgegangene Sonne gelichtet und sie konnten viel weiter auf das Meer hinausblicken. Der Schlangenpass bahnte sich seinen Weg in einer fast geraden Linie durchs Meer. Nur ganz entfernt am Horizont war Ekundas Festland verschwommen zu erkennen.

    „Irgendwie unwirklich, jetzt wieder hier zu sein“, sagte Shadow und war blickte zwischen dem Pass und dem Lawinenberg, der in beträchtlicher Entfernung in den Himmel hineinragte, hin und her. Auch Max fühlte, was Shadow meinte. Obwohl sie keinen langen Aufenthalt hatten, fühlte sich dieser so an, als hätten sie Wochen in der Firntundra verbracht. Und mit Jimmy, der sich wieder Max und Iro angeschlossen hatte, und Lucy, die ihnen so sehr geholfen hatte, war es, als hätten sie weit mehr aus der Tundra mitgenommen als sie in diese hineingetragen hatten.


    Eva schwebte vor ihnen, den Schneeschleierforst im Rücken. Dessen schneebedeckte Bäume strahlten in einem fast blendenden Weiß, während der Raum unter diesen immer noch im Schatten lag. Eva strahlte umso mehr vor diesem Schatten und ihre Augen ruhten auf jedem der Erkunder. Max wusste, was nun kommen würde. Auch die anderen spürten es, doch keiner war so sehr erschüttert wie Rose, die bebte und Eva mit tränenfeuchten Augen anblickte.

    „Die Zeit ist gekommen“, sagte Eva bestimmt und mit schwerer Stimme.

    „Ich weiß nicht, was gewesen wäre, wenn ihr nicht gewesen wärt. Wie lange wohl hätte ich noch geschlafen? Wie lange hätte Pawo am Eistunnel gearbeitet, wenn Vane nicht geholfen hätte? Wäre Arktos je wieder freigekommen?“


    „Wir sollten nicht allzu sehr darüber nachdenken … die Hauptsache ist, dass all das sein Ende gefunden hat. Und das haben wir dir zu verdanken!“, erklärte ihr Rose im Versuch, ihre Tränen zu unterdrücken. Eva schüttelte den Kopf.

    „Wir alle haben jeweils dazu beigetragen, den Fluch zu brechen. Und ich hätte nicht einmal helfen können, wenn du mir nicht Kraft gegeben hättest, Rose …“

    Die beiden blickten einander tief in die Augen. Es dauerte nicht lange, bis Eva dann in Roses Arme schwebte beide innig ihre Köpfe einander schmiegten.


    „Du bist in der kurzen Zeit zu einem so schönen Pokémon herangewachsen, Eva!“, sagte Rose mit brüchiger Stimme und Tränen liefen ihr übers Gesicht.

    „Alles nur dank deiner Hilfe und Liebe, Mama!“, erwiderte Eva. Beide Frauen schluchzten nun kläglich. Gewiss wären sie ewig so an Ort und Stelle festgefroren gewesen, wenn Vane seine Klaue nicht sanft auf Roses Schulter gelegt und sie von Eva weggezogen hätte. Eva richtete sich auf und rang um Fassung. Auch Rose fächelte sich Luft zu, um ihr Gesicht zu trocknen.


    „Nehmt das hier bitte!“, sagte Eva und blies einmal kräftig in die Luft. Ein winziger Schneewirbel formte sich vor ihr, über den sich eine Eisschicht bildete. Dann verfestigte sich diese Eisschicht zu einem Kristall, der glitzernd in der Luft hing. Vorsichtig, um ihn nicht zu zerbrechen, nahm Rose diesen in ihre Hufe.

    „Solltet ihr jemals in Schwierigkeiten stecken, könnt ihr mich einmalig mit diesem Kristall herbeirufen … zumindest eine Art Aspekt von mir. Dieser kann euch dann mit einem mächtigen Schneesturm zur Hilfe kommen, zu dem sonst nur Arktos in der Lage wäre.“

    „Du hast wohl noch immer einen Teil seiner Kraft in dir, oder?“, stellte Shadow mit einem Grinsen fest. Auch Evas Augen funkelten in Erwiderung dieses Lächelns.

    „Fürs Erste werde ich diese noch behalten, bis Arktos wieder zu Kräften kommt. Oder vielleicht bringt er mir auch bei, wie ich diese effektiver nutzen kann. Vielleicht haben wir zu zweit bessere Chancen, sollte diese Hexe je zurückkehren …“


    „Was das betrifft“, meldete sich Lucy zu Wort und holte aus ihrer Tasche einen runden Orb aus weißem Glas hervor. Sie hob ihn in die Luft, sodass Eva und alle anderen Erkunder einen guten Blick auf diesen werfen konnten.

    „Ein Signal-Orb, der speziell den Mitgliedern von Glacial Hearth überreicht wird. Mit diesem können wir der Gilde mitteilen, sollten wir während unserer Mission in Schwierigkeiten geraten. Ein Empfänger kann den jeweiligen Aufenthaltsort dann bestimmen und Hilfe wird dann ausgesandt.“

    Sie überreichte Eva den Orb, den sie in ihre zwischen ihren kurzen Käferbeinen hielt.

    „Ich werde die Gilde davon in Kenntnis setzen, was sich auf dem Lawinenberg zugetragen hat. Sollte die Hexe tatsächlich zurückkehren, so kannst du uns ein Signal senden und sollte ich dann zugegen sein, werde ich so schnell es geht hierher zurückeilen, um euch zu unterstützen. Und wenn nicht ich, wird es definitiv ein anderes Mitglied tun.“

    „Das nenne ich mal einen Rettungsdienst!“, kommentierte Shadow anerkennend. Lucy schenkte ihm ein Lächeln, ehe sie sich Eva zuwandte, die sie dankbar anfunkelte.

    „Ich werde definitiv ihn benutzen, sollten Arktos und ich ihre Präsenz spüren. Je mehr Pokémon helfen, umso größer ist die Chance, dass sie abgewehrt werden kann!“

    „Ich werde mich beeilen, die Gilde so schnell es geht davon in Kenntnis zu setzen, dass sie sich stets bereit halten soll“, versicherte ihr Lucy.

    Eva schenkte allen Erkundern ein strahlendes Funkeln ihrer Augen. Dann verneigte sie sich in der Luft und sie alle verstanden dies als Zeichen des Verabschiedens. Rose war die letzte, die sich von ihr entfernte. Noch immer mit feuchten Augen drehte sie sich um und folgte den anderen über den Schlangenpass.


    Max vermutete, dass die Garados wussten, dass sie die Befreiung ihrer Artgenossen aus dem Eis ihnen zu verdanken hatten. Jene, die Torbögen aus Eis gleich gewesen sind, waren nicht mehr da. Sie hatten große Löcher im eingefrorenen Meer zurückgelassen und offenbar erkannten die Garados, dass die Pokémon, die auf dem Schlangenpass wanderten, keine Feinde waren. Sie griffen sie jedenfalls nicht mehr an und obwohl Max und die anderen immer wieder angespannt in die Ferne blickten, tauchte kein Garados mehr auf. Emil brummte schon, dass die Garados recht feige seien und nur angreifen würden, wenn der Nebel ihre sich aufbauenden Angriffe verdecken würde. Max musste zugeben, dass diese Möglichkeit auch nicht von der Hand zu weisen war.

    Jimmy erklärte ihnen, dass er und Lucy sich gar nicht erst auf große Kampfhandlungen mit ihnen eingelassen hatten. Nach dem ersten Hyperstrahl hätte Lucy ihn an der Hand gepackt und in Windeseile wären sie über Schlangenpass gespurtet, sodass die Garados überhaupt keine Chance zu einem weiteren Angriff hatten. Max war Lucy sehr dankbar dafür, dass sie Jimmy durch diese Gefahren gebracht hatte. Seine Begegnung mit den Garados hatte er noch in leibhaftiger Erinnerung und als sie über jene Stellen des schmalen Berges schritten, der von den Hyperstrahlen am allermeisten gebrandmarkt waren, wunderte er sich schon, dass dieser Berg nicht gänzlich in das Meer eingefallen war.


    Alles in Allem kam auch hier der Rückweg nicht so lange vor wie der Hinweg. Mit deutlich weniger Sorgen im Gepäck und wesentlich leichterem Herzen war das auch nicht verwunderlich, wie Max fand. Max, Jimmy und Iro gaben Anekdoten über die Knuddeluff-Gilde zum Besten und erzählten ihnen allen, wie sie einst eine Party in dieser gefeiert hatten, als sowohl Knuddeluff als auch Plaudagei nicht in dieser zugegen gewesen waren. Shadow und Vane, die eine recht geringe Schwelle zu haben schienen, brüllten auf vor Lachen, als Max und Jimmy von Krebscorps‘ Schauspiel berichteten, in dem er Plaudagei auf peinlich treffende Art und Weise nachgeahmt habe und wie Krakeelo, hin und wieder laut brüllend, Knuddeluff gespielt hatte.

    „Mimi hatte mir von diesem Abend erzählt“, sagte Rose mit teils amüsierter, teils missbilligender Miene. „Ist an dem Abend nicht sehr viel bei euch kaputt gegangen?“

    „Iros Schuld“, sagte Jimmy prompt und wies mit dem Daumen zum Impergator. Dieser blitzte ihn scharf an, ehe er dann verschmitzt grinste: „Meine und Maschocks, meinst du. Zu meiner Verteidigung, der hatte sich ganz groß aufgespielt.“

    „Und anders konntest du ihn nicht auf den Boden der Tatsachen zurückbringen?“, schielte ihn Jimmy von der Seite an. Iro zuckte mit den Achseln.

    „Die Gilde von euch scheint ja richtig Spaß zu machen!“, sagte Vane breit grinsend.


    „Ihr müsst unbedingt mitkommen, bevor wir in Richtung von Giratina aufbrechen!“, sagte Jimmy begeistert. Vanes Diamanten haben ihn sehr beeindruckt und Jimmys Augen leuchteten jedes Mal vor Bewunderung, wenn Vane ihm zuliebe seine Diamantenhaut funkeln ließ. Nun aber stutzte Jimmy, als er sah, wie Vane und Shadow und danach auch Emil und Rose stehen blieben. In Emils Blick lag ein wissender Blick und auch Rose schien zu verstehen.

    „Was ist?“, fragte Jimmy und blickte die Sternenjäger verwirrt an.

    „Nun“, sagte Shadow leise und blickte Jimmy eindringlich an. „Glaubst du denn, wir würden willkommen geheißen werden?“

    „Aber natürl-“

    „Auch mich und Emil?“, sagte Shadow ernst. Jimmy verstummte und Max wusste, dass auch er nun verstand. Sie schwiegen sich einander an und keiner der anderen wollte kein Wort verlieren.

    „Schon in Ordnung“, sagte Shadow und ging den anderen voran. Stumm folgten alle ihm.


    Als sie das Ende des Schlangenpasses erreichten, sahen sie in einiger Entfernung auch schon die Sandsturmmauer emporragen, deren Rauschen leise bis zu ihnen hinüber drang. Kaum, dass sie alle den rauen Felsweg verlassen hatten und sich nun auf vergleichsweise angenehm weichen Sandboden befanden, wurde Max etwas schlagartig bewusst: Wie sollten sie eigentlich durch diese Mauer treten, wenn Nocrow und die anderen Nomaden sich noch auf der anderen Seite befanden? Und generell wurde ihm gerade peinlich klar, dass sie sich auf der Suche nach einem Pokémon befanden, das aber mittlerweile wieder zu ihm gestoßen war. Gewiss würden sie lange, ewig, darauf warten, dass Nocrow Jimmy finden und erneut durch die Mauer brechen würde.

    Als würde Jimmy das Stichwort in Max‘ Gedanken hören, meldete er sich zeitgleich mit Iro, der sich an ihn und Lucy wandte: „Was ich noch fragen wollte, wie seid ihr eigentlich durch die Mauer gekommen?“


    Jimmy und Iro blickten sich amüsiert an, ehe Max dann von den Nomaden erzählte, mit denen sie zeitweise gereist waren. Jimmy machte große Augen und auch Lucy zeigte sich von der Überlebensfähigkeit der Nomaden beeindruckt. Als dann sie beide an der Reihe waren, bemerkte Max, wie Jimmy ihr einen ehrfurchtsvollen Blick zuwandte. Ihr Blick wurde ernst und sie zählte die Zahl der Erkunder ab.

    „Ich weiß nicht so recht, Jimmy … es könnte ziemlich knapp werden mit acht Pokémon …“

    „Beim ersten Mal fühltest du dich recht sicher“, erwiderte Jimmy.

    „Beim ersten Mal waren das auch nur wir beide“, erinnerte Lucy.

    „Wovon redet ihr?“, fragte Max. Jimmy wandte sich mit vor Bewunderung glühenden Augen ihm zu:

    „Du wirst es sehen … Lucys Aura … sie kann weit mehr mit dieser machen als nur angreifen. Sie kann auch damit eine Art Sphäre erzeugen, die sie und einige andere vor etlichen Angriffen schützen kann!“


    „Und mit so einer Sphäre seid ihr durch die Mauer gekommen?“, fragte Shadow interessiert.

    „Nun“, sagte Lucy im sachlichen Ton. „Ich kann diese Sphäre nicht ewig aufrecht erhalten. Je größer ich sie gestalte, umso schwieriger wird es. Und für Vane und Ironhard-“

    „Ich bin nicht dick!“, rief Vane erbost aus. Lucy überhörte ihn.

    „Für die beiden müsste ich bei ihrer Größe schon eine größere Sphäre gestalten. Und gewiss wollt ihr nicht alle derartig zusammengepfercht werden, oder?“

    „Wir haben uns zwar wieder vertragen, aber kuscheln mag ich deswegen noch lange nicht!“, sagte Iro und schenkte Jimmy ein herausforderndes Lächeln, das Jimmy auf dieselbe Art erwiderte.

    „Vielleicht können wir in Runden gehen?“, schlug Rose vor. „Du nimmst eine Hälfte mit, kehrst hierher zurück und nimmst dann die andere mit?“

    „Dreimal so eine Aurasphäre, die an sich schon zehrend ist?“, fragte Lucy skeptisch. Rose schluckte peinlich berührt und entschuldigte sich. Max versuchte selbst, eine Lösung zu finden. Er wollte Lucy nicht so eine Last aufbürden, nachdem sie so viel schon bisher geleistet hatte.

    „Geht es um die Anzahl oder nur um das Räumliche?“, fragte Shadow dann mit erhobener Schattenklaue. Lucy blickte ihn verdutzt. Er lächelte und räusperte sich:

    „Mal angenommen, ich würde die meisten von uns in meinem Schatten verstecken und ich selber klinke mich in den Schatten von jemand anders ein, sodass du mit diesem allein wärst. Würde das angenehmer für dich werden?“

    „Das schaffst du?“, fragte Lucy respektvoll. Shadow grinste nun breiter.

    „Gewiss stellen Iro und Vane ein gewisses Gewicht-„

    „Boss! Ich bin nicht dick!“

    „- bei ihrer Größe darstellen, aber wenn der Durchgang selber nicht lange dauert, kann ich sie eine Weile im Schatten versteckt halten“

    „Dieses Reisen im Schatten fand ich beim letzten Mal schon etwas unheimlich“, gab Jimmy zu bekennen. Als Shadow seinen Blick ihm zuwandte, bemühte er sich jedoch, tapfer zu klingen und meinte, dass er das für Lucy in Kauf nehme. Lucy lächelte amüsiert.

    „Max? Wärst du bereit, deinen Schatten für Shadow zur Verfügung zu stellen?“

    Max warf dem Gengar einen Blick zu und nickte. Abermals lächelte Shadow breit.

    „Na dann, wenn ihr soweit seid, bereit halten, bitte!“, sagte und klatschte in die Hände.


    Sein Schatten weitete sich aus und umfasste die der anderen, wobei Max und Lucy unberührt blieben. Einer nach dem anderen verschwanden sie im Schwarz Shadows, bis sie nur noch zu dritt waren.

    „Werde ich irgendwas merken, wenn du meinen Schatten besetzt?“, fragte Max interessiert. Shadow grinste verschmitzt.

    „Nö. Das ist ziemlich nützlich, wenn man in ein gut bewachtes Gebäude eindringen will. Auf Hochzeiten wäre ich immer das sogenannte Plus Eins, wenn ich im Schatten eines anderen aufkreuzen würde.“

    Max lachte und Shadow sank nun selber in seinem Schatten ein. Max sah, wie er sich dann langsam auf ihn zubewegte und dann, wie sein eigener Schatten kurz pechschwarz wurde und dann wieder da lag, als wäre nichts passiert. Max tat ein paar Schritte. Tatsächlich fühlte er sich nicht schwerer, wie er zuerst befürchtet hatte. Doch er bemerkte, dass er keine Sprünge mehr tun konnte.

    „Die Schwere des Schattens scheint einen wohl am Boden festzuhalten“, stellte Lucy fest. Sie warf Max einen Blick zu: „Sollen wir los?“

    „Ja“, sagte Max bestimmt und Lucy formte ihre Pfoten vor ihrer Brust, als würde sie einen Ball in der Hand halten. Die Luft zwischen ihren Händen flimmerte bläulich und Max spürte mit einem Kribbeln seiner Haut die Macht, die sich formte. Lucy bewegte ihre Arme dann seitlich und ein kaum merklicher Wind fuhr über sie beide. Und obwohl dann nichts mehr zu hören, spürte Max, wie sich jene Macht um sie herum aufgebaut hatte.

    „Los geht’s“, sagte Lucy mit konzentrierter Miene.

    Sie ging voran und Max, der darauf bedacht war, in ihrer Nähe zu bleiben, folgte ihr.



    Und tatsächlich prallten die Sandkörner der Sturmmauer gegen ihre unsichtbare Sphäre und Max spürte keinen starken Wind, der verstummt war, und kein Beißen auf seiner Haut. Zwar empfing sie im Inneren der Mauer eine tiefbraune Dunkelheit, gegen die Max allerdings einen Leuchtorb hervorgeholt hatte. Wie flüchtige Schatten oder Geister glitten die sandtragenden Winde gegen ihre Sphäre und Max wurde dieses eine unbehagliche Gefühl nicht los, dass irgendetwas in diesem Sandsturm auf sie lauerte. Oder war es vielleicht jene Tatsache, dass Lucys Aura tatsächlich mächtiger war, als er es sowohl zuvor als auch jetzt gerade erlebte? Ihm fröstelte es leicht bei den Gedanken. Lucys rote Augen funkelten ihn an:


    „Du spürst sie, oder?“

    „Was?“

    „Meine Aura. Du wirkst ziemlich eingeschüchtert.“

    „Ich kann mir nicht vorstellen, dass da keiner Respekt hat“.

    Lucy betrachtete ihn eine Weile, während sie sich weiterhin darauf konzentrierte, die Sphäre aufrecht zu erhalten. Eine Weile lang schwiegen sie, während sie durch die Dunkelheit schritten.

    „Du scheinst einer der feinfühligeren Art zu sein“, sagte dann Lucy in feststellendem Ton. Max, der selten bis gar nicht sowas über sich gehört hatte, lächelte verlegen. Doch Lucys Blick blieb ernst:

    „Sonderbar … kein anderes Pokémon scheint die Aura so zu spüren wie du …“

    „Vielleicht ist das bei mir was anderes“, sagte Max und erklärte ihr, dass er einst ein Mensch gewesen, der dann ohne Erinnerungen an sein vorheriges Leben als Pokémon aufgewacht war. Lucy hörte ihm fasziniert zu und war dann in Überlegungen vertieft.

    „Ich will mich nochmal bedanken, dass du Jimmy in der Schädelwüste gefunden und damit gerettet hast!“, sagte dann Max. Lucy lächelte und winkte ab, doch Max ließ nicht locker:

    „Jimmy schien offenbar direkt Vertrauen zu dir gefasst zu haben, als du ihn gefunden hast. Er hat sich dir direkt angeschlossen, als du ihm von der Störung vom Lawinenberg erzählt hast! Ich war, als ich mit Iro und den anderen in der Wüste unterwegs war, zumindest beruhigt zu wissen, dass Jimmy nicht allein war, dass du bei ihm warst!“

    „In der Wüste?“

    Lucy hielt inne und musterte Max mit wachsamen Interesse. „Du hast in der Wüste schon davon erfahren, dass ich wegen einer Störung zum Lawinenberg unterwegs war?“

    „Nun“, sagte Max und erklärte ihr von der Vision, die er durch den Dimensionalen Schrei erfahren hatte, und weihte Lucy auch in dieser besonderen Fähigkeit von ihm ein. Ihre Aufmerksamkeit lag fast so sehr auf Max, dass die Sphäre um sie herum zu bröckeln begann. Der Wind wurde lauter und einzelne scharfe Sandkörner schnitten Max in die Haut. Rasch war Lucy wieder dabei, die Sphäre wiederaufzurichten. Doch sie musste dies nicht mehr lange aushalten.



    Endlich lichtete sich die Mauer, immer mehr Licht drang in feinen Streifen zu ihnen durch. Und nach nur wenigen Metern mehr schritten Lucy und Max durch die Sturmmauer. Gleißendes Sonnenlicht empfing, sodass es Max in die Augen stach und als Lucy die Sphäre auflöste spürte er die Hitze der Schädelwüste wie eine Flutwelle auf seiner Haut.

  • Hallo,


    das Abenteuer in der Firntundra ging einigermaßen glimpflich für alle aus. Dass die Hexe Frosdedje bereits einen eigenen Part bekam, fand ich etwas schade. Auf diese Weise sind einige Geheimnisse zu ihrem Charakter nämlich bereits geklärt. Im Gegenzug ist so allerdings zu erwarten, dass sie bald einen Auftritt bekommen könnte und insbesondere Team Mystery auflauert.

    Tatsächlich habe ich auch noch einige Bedenken bezüglich Lucy und dass Max ihr von seinen tiefsten Geheimnissen erzählt. Dass er sich ihr so offen gibt, ist nicht direkt nachvollziehbar, aber ich gehe davon aus, dass das vor allem als Freundschaftsbeweis dient.


    Wir lesen uns!



  • Part II: Der Verfolger


    „Ich kann mich einfach nicht dran gewöhnen; diese Dunkelheit, diese roten Augen. Und dann sich nicht groß bewegen können!“

    „Du sagst Bescheid, wenn ich verduften soll, ja?“

    Jimmy blickte peinlich berührt, während Shadow ihm zuzwinkerte. Fernab von der Mauer, die nur noch als breiter Streifen am Horizont zu erkennen war, waren alle anderen Erkunder aus dem Schatten herausgeholt worden. Rose, Emil, Vane und Iro, die sich an diese Art des Reisens gewöhnt haben, wirkten gänzlich unbeeindruckt. Nur Jimmy stand noch das Unbehagen ins Gesicht geschrieben. Max, der selbst bei den ersten Malen eine Befremdlichkeit verspürt hatte, konnte es ihm nicht verübeln. Rasch legte er sich wie alle anderen das Kühlband an, das Shadow aus seinem Schatten für ihn herausgeholt hatte. Sofort empfing ihn wieder die Kühle, von der er eigentlich geglaubt hatte, sie nie wieder erleben zu müssen. Doch nun, wo die Hitze der Schädelwüste auf ein erträgliches Maß heruntergesetzt wurde, war er dankbar drum.

    „Shadow …“, rief Rose ungeduldig, nachdem sie ihr Kühlband entgegengenommen hatte. Das Gengar blickte sie verdutzt an.

    „Wir können doch durch den Wüstensand in deinem Schatten gleiten, oder? Wieso dann müssen wir die Kühlband anlegen?“

    Abermals wickelten sie darauf ihre Bänder wieder ab. Verlegenes Gelächter erklang als sie Shadow wieder die Bänder reichten.

    „Nochmal?“, rief Jimmy entgeistert aus. Doch er ließ sich dann dazu herab, wieder von Shadow in seinen Schatten gezogen zu werden. Lucy war erstaunt, dass Shadow eine solche Ausdauer an den Tag legte.

    „Wenn wir die Nordwüste erreicht haben, laufen wir aber!“, rief Shadow mahnend aus. „Auf Dauer kann ich nicht sieben Pokémon in mir aufnehmen!“


    Abermals spürte Max jene geisterhaften Hände seine Füße umfassen, doch dieses Mal erschrak es ihn nicht. Es war schon seltsam, wie elegant er schon fast in diese Schattenwelt von Shadow glitt und sich mittlerweile in dieser recht aufgehoben fühlte. Durch die roten Fenster sah er, wie auch Lucy als letztes im Schatten verschwand und wie sich Shadow dann auch in Bewegung setzte. Und aus irgendeinem Grund – vielleicht lag es daran, dass Max tatsächlich weniger bleierne Gewichte an Sorgen mit sich trug – war die Fahrt im Schatten relativ schnell vorbei. Sie durchfuhren keine Sandstürme, die sie an andere Orte bringen können und dann endlich schon sah Max jenen Rand der Schädelwüste, den er mit Jimmy und Iro schnell aus den Augen verloren hatte. Shadow verlangsamte seinen Spurt und glitt vorsichtig an den steilen Felswänden entlang.

    In einem Felsspalt dann konnten sie erneut seinen Schatten verlassen und Jimmy sprang auf den Boden und küsste diesen.

    „Ein bisschen mehr Fassung, Jimmy!“, rief Iro spöttisch, aber doch belustigt aus. Jimmy richtete seinen Blick auf ihn und Tränen liefen über seine Wange:

    „Wir sind draußen! Durch die Schädelwüste über die Tundra zum Lawinenberg und zurück! Wir haben es geschafft! Wir sind wirklich draußen!“

    „Diese Temperaturen liegen mir viel eher!“, sagte Rose, die sich an einer schattigen Felsenwand lehnte und sich Luft zufächelte. „Die Nordwüste kommt einem viel kühler vor, wenn man aus der Schädelwüste herauskommt.“

    „Wenn der General und Axel das erfahren“, sagte Iro mit unterdrückter Siegesfreude.


    Max teilte allesamt ihr Empfinden. Auch er war froh, endlich aus diesen Gebieten raus zu sein, so einladend sie entweder durch Eva oder die Nomaden geworden sein mochten. Auf einem halbwegs vertrauten Boden zu sein erfüllte ihn eher mit einem Gefühl der Sicherheit und der Gedanke, sich bald nach Schatzstadt zu begeben und sich auszuruhen, füllte ihn mit Kraft. Doch er schwankte etwas leicht und sein Blick trübte sich für einen Moment.


    „Alles in Ordnung?“

    Lucy war an ihn herangetreten und legte behutsam eine Pfote auf seine Schulter. Währenddessen legte sich Max’ seltsames Gefühl.

    „Alles gut … ich bin wohl doch nur erleichtert, dass es vorbei ist“, sagte er mit einem Lächeln, das Lucy erwiderte.

    „Boss, wollen wir die Wüste dann jetzt schon verlassen?“, rief Vane, doch Shadow sackte schon auf dem Boden zusammen und ließ die Zunge raushängen.

    "Gib mir etwas Zeit … euch alle fast durchgehend zu transportieren ist schon ein Stück Arbeit …“


    „Wie wäre es, wenn wir hier einfach unser Lager für heute aufschlagen?“, rief Rose in die Runde. Der Vorschlag erntete überwiegende Zustimmung.

    „Haben wir nicht hier auch übernachtet?“, fragte Jimmy.

    Max konnte es nicht klar sagen, aber letztlich war das auch nicht so wichtig. Mit ihnen allen hier zu sein, einigermaßen gesund und munter, machte ihn so glücklich wie er es seit langer Zeit nicht mehr war, seit sie den Auftrag von Lashon angenommen hatten. Rose kochte, mit Hilfe von Lucy und Jimmy, der für ein prasselndes Feuer sorgte, einen herrlich duftenden und köstlichen Eintopf aus Gemüse und Reis und selbst Iro, der sonst gerne Fleisch aß, tat sich mit mehreren Portionen an diesen gemütlich. Sie schwatzten und mampften den ganzen Tag. Obwohl es noch hell war, lag der Spalt im dauerhaften Schatten, sodass sich eine Art abendliche Stimmung zwischen ihnen breit machte. Da sie alle seit ihrer Abreise vom Lawinenberg kein Auge mehr zugedrückt haben, beschlossen sie nach diesem Mahl, sich allesamt auszuruhen. Sie gingen davon aus, dass sie durch den Spalt so gut vor unerwünschten Blicken geschützt waren, dass sie keine Wache halten mussten.

    Max bemerkte auch nun, gesättigt und ruhig wie er war, wie die Müdigkeit seine Glieder ergriff. Selbst die harte Felswand wirkte relativ weich für seine matten Glieder und obwohl diese gewiss seinem Bett in der Tohaidoklippe deutlich unterlegen war, so fiel er doch in einen tieferen Schlaf und er war froh, dass ihn dieses Mal keine großen Sorgen im Traum quälten. Jimmy war in Sicherheit, Arktos war befreit und Kyurem brüllte noch immer aus sehr weiter Ferne. Ruhig trieb er vor sich hin und erlaubte sich, endlich mal zu ruhen ...


    „Wenn du glaubst, ich lasse ihn einfach so davonkommen, dann hast du dich getäuscht, Rose!“

    Max schlug die Augen auf. Er musste schon eine Weile geschlafen haben, denn an dem Spalt vorbei sah er, wie der Himmel eine purpurne Farbe angenommen hatte. Auch Jimmy rieb sich schlaftrunken die Augen. Vane und Emil waren schon hellwach und versuchten, Shadow und Rose davon abzuhalten, aufeinander loszugehen.

    „Das will er doch, dass du ihm in die Falle läufst! Warum will er so unbedingt, dass du ihm folgst?“

    „Was ist denn los?“, rief Lucy, die sich schnell aufgerichtet hatte und mit wachsamen Augen umsah.

    „Dieser Mistsack!“, erklärte Shadow wütend und seine roten Augen verengten sich zu Schlitzen.


    „Da taucht er in Sichtweite vor uns auf und verspottet uns, da wir ihn nicht gefasst haben!“

    „Heißt das, dass er sich hier in der Wüste befindet?“, fragte Max erstaunt.

    „Befunden hat! Der ist Richtung Süden los, und ich werde ihm folgen!“

    „Wie oft denn noch? Das ist eine Falle, Shadow!“

    Roses Gesicht leuchtete nun in einem Rot wie Shadows Augen und sie stand vor dem Spalt, um dem Gengar den Weg zu versperren.

    „Aus dem Weg, Rose!“, zischte Shadow. „Oder ich muss dich beiseite räumen!“

    „Nun hör mal, Boss!“, warf Vane ein. „Wir können alle verstehen, dass du wütend bist, doch was Rose sagt, hat durchaus Hand und Fuß.“

    „Es ist schon verdächtig“, sagte Emil nachdenklich. „Die ganze Zeit über flieht er vor uns und nun ist er angeblich mutig genug, sich uns zu zeigen und uns zu verspotten?“


    „Dem wird das Grinsen noch vergehen“, sagte Shadow und wollte sich an Rose vorbeischieben, doch dieses Mal hielt ihm Lucy eine blau schimmernde Pfote in den Weg.

    „Ich höre zwar raus, worum es geht, doch ich muss den dreien Recht geben. Das klingt wirklich nach einer Falle“

    „Und wenn schon, ich werde-“

    „Glaube ja nicht, dass wir dich alleine gehen lassen!“, sagte Rose erhitzt. „Nimm uns wenn mit, dann können wir immer noch jeglichen Hinterhalt überstehen.“

    „Du würdest mitkommen?“, sagte Shadow und seine harte Miene weichte etwas auf. Vane schlug als Antwort darauf in seine stählernen Fäuste.

    „Deswegen wollten wir dich daran hindern, direkt loszustürmen, das wollen wir schon die ganze Zeit erklären!“


    „Kommt ihr mit?“, wandte sich Rose mit fragendem Blick an das Team Mystery und Lucy. Max fühlte sich noch etwas benebelt, doch angesichts von Shadows entschlossener Miene und der Geschichte, die das Team Sternenjäger ihnen erzählt hatte, stimmten er, Jimmy, Iro und Lucy ein.

    Rasch wurde das Nachtlager sowie alle anwesenden Erkunder in Shadows Schatten aufgenommen und abermals glitt Max, gut in dessen Schatten verborgen, in einer frischen Kühle über den Wüstenboden. Es dauerte nicht lange, als sie sich den hohen Felswänden näherten, die die Nordwüste vom grüneren Ekunda trennten. Max fragte sich, ob Shadow wusste, wohin er steuern musste, da bog dieser schon nach rechts ab und wenige Augenblicke erkannte Max auch jene Schlucht, die er mit Jimmy und Iro am Beginn ihrer Reise zum Lawinenberg verlassen hatten. Im Schatten der Schlucht sah er auch dann direkt eine andere Gestalt.


    Eine Art dunkler Schatten mit orange leuchtenden Augen, der aus einem ausgehöhlten Kürbis emporstieg. Prompt wurden Max und alle anderen aus Shadows Schatten entlassen und auch dieser tauchte wieder mit zornigem Blick auf. Bevor sie ihn irgendwie aufhalten konnten, warf Shadow dem Kürbisgeist eine Ladung Spukbälle entgegen, die durch die Luft sausten. Doch der Geist glitt lässig nach hinten und ließ die Spukbälle vor sich auf dem Boden verpuffen.


    „Ich sehe, du hast noch mehr Verstärkung geholt …“, flüsterte der Geist amüsiert. Er hatte eine hohe Fistelstimme und auch sein amüsiertes Kichern war derartig schrill, dass Max direkt ein Schauer über den Rücken lief.

    „Die sind nur hier, um dich ein für alle Mal am Entkommen zu hindern. Mit dir werde ich alleine fertig!“, rief Shadow wütend und trat auf den Kürbis zu. Darüber lächelte der Kürbisgeist umso breiter und Max wusste, dass Rose, Emil, Vane und Lucy Recht hatten. Dies schrie förmlich nach einem Hinterhalt. Max wollte seine Laubklinge erheben und sich umsehen, doch er hatte vergessen, dass seine Laubklingen erst wieder nachwachsen mussten, nachdem er sie auf dem Lawinenberggipfel eingebüßt hatte.


    „Shadow, warte-“, wollte Rose ihn daran erinnern, doch schon war es zu spät. Kaum, dass Shadow drei Schritte mehr getätigt hatte, leuchtete um ihn herum ein helles Quadrat auf. Ein gleißender Blitz blendete sie alle und während Max die Augen rieb, hörte er Shadow schmerzerfüllt aufschreien.

    „Shadow!“

    Sofort wollten sie ihm zur Hilfe kommen, doch in dem Moment tauchten vier Magnetilo auf. Zwei von ihnen lösten sich aus ihrer Formation und schwebten auf Shadow zu, der in einer Art elektrischem Käfig reglos in der Luft schwebte. Eine Para-Falle.

    Die zwei Magnetilo nahmen Shadow zwischen sich, ließen mit einem Zurren ihrer Magnete die Falle lösten und das Gengar selbst in der Luft hielten. Max hörte Emil leise hinter sich fluchen und er ahnte, dass das verbliebene Paar der Magnetilo für das Turtok bestimmt waren. Doch stattdessen glitten sie auf den Kürbisgeist zu, der die Augen aufriss und aufkreischte. Doch bevor er selber in seinem Schatten verschwinden konnte, hatten die Magnetilo auch ihn in die Zange genommen.

    „Was soll das?“, kreischte der Geist. „Ich dachte, wir hätten einen Deal! Ich überbringe euch diesen Shadow und ihr würdet mich laufen lassen!“


    „Du solltest beim nächsten Mal genauer hinhören“, meldete sich eine kalte Stimme. Ein Pokémon, das sich hinter einem großen Felsen versteckt hatte, trat hervor. Mit federnden Schritten seiner Füße, zwischen deren drei Zehen sich Schwimmhäute befanden, trat es auf die Erkunder zu. Es war hochgewachsen und strahlte trotz seiner schlanken Gestalt eine entschlossene Stärke aus. Er hatte ein spitz zulaufendes Gesicht und die roten Augen mit weißen Pupillen blickten Shadow abschätzig an.

    „Dass es so leicht werden würde, dich wieder zu fassen …“, sagte es und wandte sich mit ernstem Gesicht dem Kürbis zu: „Ich habe dir gesagt, dass wir dich nicht verhaften würden, solange wir noch Shadow zu fassen gedenken. Wie du sehen kannst“, und er wies mit Händen, zwischen deren drei Fingern sich ebenso Schwimmhäute befanden, zum Gengar, „ist Shadow wieder in unserem Gewahrsam. Und das bedeutet, dass wir deine Vergehen nicht mehr zu übersehen brauchen: Kindesentführung, Widersetzung polizeilicher Anordnung … allein für Ersteres steht dir eine Haftstrafe bevor!“


    „So haben wir aber nicht gewettet!“, schrie der Kürbis panisch. Das Pokémon nickte den Magnetilo, die ihn festhielten, zu und prompt entschwebten sie mit dem Kürbis. Dessen Schrei wurde immer leiser, bis es dann verstarb. Das Pokémon wandte sich dann Shadow zu, der gehässig lächelte.

    „Schnüffelst du immer noch herum, was, Chase?“

    „Das muss ich wohl, wenn du zwischendurch beschlossen hast, zu fliehen“, sagte das Pokémon kühl. Es wandte sich dann an die Erkunder.

    „Vielen Dank, dass ihr dafür gesorgt habt, dass Shadow nicht wieder entwischt!“

    Er schritt mit ausgestreckter Hand auf Max, Jimmy und Iro zu.


    „Wir mögen uns bisher nicht getroffen haben, doch wir haben indirekt schon miteinander zu tun gehabt. Von mir kamen die Hinweise, wo sich Shadow jeweils aufgehalten hat; ich selber befand mich an anderen Orten, wo der entflohene Ganove sich aufgehalten hat. Ich wollte mich persönlich dafür bedanken, dass ihr ihn gefasst hattet, als er in eurer Nähe war. Und mich auch dafür entschuldigen, dass er so leicht fliehen konnte.“

    Chases Blick fiel auf Emil und seine roten Augen verengten sich. Max verstand erst nicht, worauf dieser hinauswollte, doch dann erinnerte er sich, dass Magnezone von einem Einsatzleiter gesprochen hatte, der sich an Shadows Fersen geheftet hatte.


    „Woher wusstet ihr, dass ihr Shadow hier antreffen möget?“, fragte Emil grimmig. Chase erwiderte das Lächeln nicht weniger grimmig.

    „Es war leicht. Wir haben die Information erhalten, dass Shadow Vergeltung an das Team Mystery ausüben würde. Zunächst haben wir auch versucht, das Team Mystery aufzuspüren, um eine Zusammenarbeit in diesem Fall vorzuschlagen. Wir kamen an der Taverne Zur munteren Kuh vorbei, wo wir eine aufgelöste Kangama vorgefunden haben, die kurz zuvor mit ihrem Kind wieder vereint wurde. Wir haben dann erfahren, dass Shadow die Spur des Entführers aufgenommen hatte und tatsächlich haben wir diesen auch gefasst. Wir haben ihn dann … überredet“, und ein leichtes Grinsen umspielte Chases Mund, „uns in der Sache zu helfen. Da Shadow ihm in die Wüste gefolgt war, wollten wir auch hier auf ihn warten, während das Pumpdjinn mit Namen Owyn ihn zu uns locken sollte.“

    Er wandte sich an Shadow und ein triumphierendes Grinsen ließ sein Gesicht aufleuchten.

    „Mir war klar, dass du, sobald du ein Ziel hattest, dieses überall hin verfolgen würdest. Dafür bist du schließlich bekannt, nicht wahr?“

    „Dann haben wir beide was gemeinsam!“, giftete Shadow zurück. „Wir beide verfolgen unsere Ziele, wohlwissend, dass wir ihnen damit auf die Nerven gehen.“

    „Du kannst jedenfalls davon ausgehen, dass du und dieses Pumpdjinn gleichermaßen bestraft werden; Kindesentführung auf der einen Seite, Flucht aus der Untersuchungshaft auf der anderen …“


    „Bitte, Sirs?“, meldete sich Rose und trat hervor. Auch Lucy tat dies. Shadow und auch Chase blickten beide verdutzt an.

    „Ich nehme an, du bist der Einsatzleiter in Shadows Fall?“, fragte Lucy ihn. Chase nickte.

    „Ich würde Sie gerne davon in Kenntnis setzen, dass Shadow in der Zwischenzeit sehr viel Gutes geleistet hat. Wenn Sie uns anhören würden, könnten wir für ihn bürgen.“

    „Bitte, Shadow ist ein gutes Pokémon!“, flehte Rose Chase an.

    Er erwiderte ihren und Lucys Blick mit keiner einzigen Regung in seinem Gesicht. Er blickte dann die Erkunder abschätzig an: „Ganz gleich, was er in der Zwischenzeit getan hat. Er stand zur Fahndung ausgeschrieben. Er wurde gefasst. Und er brach aus dem Gefängnis aus, und das wahrscheinlich mit deiner Hilfe, Emil“, und er blickte dem Turtok kalt ins Gesicht.

    „Dafür aber haben wir keinen Beweis. Und du kannst von Glück reden, dass wir dich jetzt nicht mitnehmen. Wir hatten es vor, doch dann haben wir das Pumpdjinn aufgegriffen. Ich habe keine Zeit, darauf zu warten, dass deinetwegen weitere Magnetilo angerückt kommen. Ich will diesen Fall so schnell es geht beenden.“

    „Wenn du unseren Boss mitnehmen willst“, rief Vane erbost, „dann musst du erst uns al-“


    „Vane, halt die Klappe!“, rief Shadow so laut er konnte. Perplex starrte das Stolloss ihn an. Shadow hatte sich, sofern es sein Schwebezustand zwischen den Magnetilo ermöglichte, mit dem Gesicht ihm zugewandt und seine Augen waren zu warnenden Schlitzen verengt.


    „Aber Boss!“, rief Vane matt.

    „Shadow!“, pflichtete Rose ihm bei.

    Doch Shadow wandte sich schon an Chase: „Ich bin ehrlich gesagt froh, dass ich diese Trottel nun endlich loswerden kann! Ich habe mir überlegt, ob es vielleicht spannend wäre, mit anderen meinen Racheplan auszuüben. Doch ihre Art geht mir allmählich auf den Geist!“


    Sein Blick funkelte hinüber zu Max und seine Augen verengten sich zu Schlitzen: „Ihr habt wirkliches Glück, Team Mystery! Fast hätte ich es wirklich geschafft, euch und alle anderen Zeugen loszuwerden.“

    „Du plädierst dafür, dass du alle benutzt hast?“, fragte Chase kalt. Shadow wandte sich ihm zu und nickte mit einem gemeinen Grinsen. „Das werde ich vor Gericht auch so immer wieder behaupten!“


    „Was redest du da, Shadow?“, fragte Rose erschüttert, doch Max verstand sofort. Shadow wollte offensichtlich alle anderen davon freisprechen, dass sie ihn in seinem Freigang unterstützt und nicht direkt wieder gefasst haben.

    „Unklar ist mir nur, wieso die Erkunder dich nicht direkt gefasst haben“, murmelte Chase und blickte alle finster an. Doch Shadow lachte kalt auf.

    „Ist doch klar, das sind Erkunder. Die sind dermaßen gutgläubig! Ich habe ihnen diese und jene Geschichte erzählt, dass sie Mitleid mit mir haben und mir glauben, ich hätte von jeglicher Rache abgesehen. Die haben, dämlich wie sie sind, nicht gecheckt, dass ich ihnen nur was vorgeschwindelt habe, um sie alle in einem unbeobachteten Moment zu erledigen!“

    „Das stimmt nicht!“, rief Rose aus, die den Tränen nah war. „Du bist ein gutes Pokémon und das weißt du, Shadow! Bitte, Sirs!“, und sie trat an Chase heran und fasste ihn an der Hand. Überrascht und auch angewidert zog er diese sofort zurück. Voller Abscheu betrachtete er ihr feuchtes Gesicht, ehe er sich mit harter Miene an die anderen wandte: „Ich muss tun, womit ich beauftragt wurde. Und das ist, dem flüchtigen Ganoven seiner gerechten Strafe zuzuführen. Ich bin nicht hier, um euch als Verdächtige zu verhören. Ich habe ohnehin nichts mehr hier verloren. Magnetilo, wir rücken ab!“


    Er gab den schwebenden Magnet-Pokémon ein Zeichen und mit Shadow zwischen ihnen folgten sie Chase. Shadow ließ seinen Blick auf die Erkunder verweilen, ehe er seinen Blick senkte. Und Max glaubte, eine Spur Traurigkeit in seinem Gesicht erhascht zu haben. Wortlos sahen sie dabei zu, wie sie die ersten Schritte taten.

    Und dann auf einmal spürte Max ein brennendes Verlangen, irgendetwas zu tun. Er wollte schon voranpreschen und sich Chase und den Magnetilo in den Weg stellen. Doch schon stieß Rose ihn zur Seite tat es an seiner Stelle. Mit ausgebreiteten Armen und Tränen in den Augen stand sie vor Chase.

    „Aus dem Weg“, zischte dieser nur. In seiner Stimme lag kein Erbarmen. Doch Rose dachte nicht daran, sich fortzubewegen.

    „Letzte Warnung!“, knurrte Chase noch bedrohlicher. Und als Rose sich nicht bewegen wollte, schlug er ihr mit einem weiten Schwung ins Gesicht, worauf sie zur Seite kippte.


    In dem Moment erklang ein vielseitiges Donnergrollen. Chase hatte einen Sturm heraufbeschworen, den weder er noch die Magnetilo vorausgesehen hatten. Wasserstrahlen und Flammenschweife flogen durch die Luft, die sich mit geworfenen blauen Energiekugeln und brummenden Hyperstrahlen verbanden. Und Chase sowie die Magnetilo schrien auf, während ein Krachen die Luft erfüllte und Ohren an den Rand des Zerfetzens trieb. Staub wirbelte auf und legte sich über sie und Max musste den Arm vor seine Augen halten, damit dieser nicht in diese hineingetrieben wurde.


    Dann wurde es ruhiger und der Staub legte sich. Als Max den Arm wieder herunter nahm, sah er kleine Krater vor sich, zwischen denen sich Shadow matt regte. Chase und die Magnetilo lagen ohnmächtig in den Zentren der Krater. Sie schien diese Kanonade an Angriffen am heftigsten erwischt zu haben. Max blickte sich um und sah, wie Jimmy mit vor Entsetzen geweiteten Augen auf diese blickte, und auch, wie unbehaglich es Lucy war, dass sie Polizisten außer Gefecht gesetzt hatte. Iro, Vane und Emil jedoch blickten voll zorniger Genugtuung auf ihr Werk herab. Irgendwo, tief in sich, teilte Max diese Wut. Hätte er auch nur seinen Teil dazu beitragen können, doch seine Kugelsaat hätte bei Weitem nicht so viel ausgerichtet.


    „Ach, du meine …“, flüsterte Jimmy panisch. Er wandte sich hilfesuchend an die anderen.

    „Wir haben Polizisten angegriffen, oh oh oh! Das wird mächtigen Ärger geben!“

    „Wird es nicht“, krächzte eine Stimme.

    Shadow hatte sich zitternd vom Boden aufgehoben. Mit deutlichen Spuren der Angriffe, die rötliche Streifen auf seinem Schatten hinterlassen hatten, war er an Rose herangetreten und half ihr wieder auf die Beine. Auch sie wirkte nicht minder erschrocken als Jimmy über die Taten der anderen.

    „Das hättet ihr nicht tun dürfen!“, keuchte sie und blickte die Erkunder allesamt an. „Wisst ihr, was das bedeutet?“

    „Dass wir nun erst Recht zu Mittäter geworden sind“, sagte Emil recht trocken. Sein Blick fiel auf Jimmy, Iro und Lucy und er brachte ein leichtes anerkennendes Grinsen zustande: „Hätte nicht gedacht, dass ihr euch dazu herablassen würdet, Polizisten anzugreifen.“

    „Red‘ keinen Stuss!“, brummte Iro.

    „Er hat Rose geschlagen, glaubst du, das lassen wir einfach so durchgehen?“, sagte Lucy, die zum ersten Mal richtig wütend war, wie Max bestürzt feststellte. Eine wahrhaft mächtige Aura der Macht ging von ihr aus und Max glaubte, dass ihre geworfene Energie-Sphäre schon genug gewesen wäre, sowohl Chase als auch die Magnetilo auszuknocken.

    „Das hättet ihr nicht machen sollen … nicht meinetwegen …“, sagte Rose und war abermals den Tränen nah.


    „Wir wollten ohnehin gerade loslegen, oder?“, rief Vane und blickte erst in die Runde und dann auf Shadow. „Schließlich lassen wir es nicht zu, dass unser Boss einfach so mitgenommen wird.“

    „Ich wollte euch da raushalten!“, fauchte Shadow ihn an. Nachdem seine Sorge um Rose sich gelegt hatte, sah er nun wahrhaft bedrohlich aus. „Ich habe gewollt, dass ihr euch nicht einmischt! Das war eine einmalige Sache, euch da rauszuhalten, und jetzt-“

    „Und jetzt sitzen wir alle im selben Boot“, endete Vane sachlich. Shadow funkelte ihn wütend und wandte sich dann Emil.

    „Warum hast du dich nicht rausgehalten? Du stehst ohnehin schon unter Verdacht, mich befreit zu haben, jetzt werden sie erst recht wieder hinter dir her sein.“

    „Als ob sich etwas groß dadurch verändern würde“, erwiderte Emil aalglatt.


    Nun wollte Shadow seine Wut an die anderen Erkunder rauslassen, doch Lucy hielt ihm schon eine Pfote entgegen: „Wir wussten, was für Konsequenzen entstehen würden.“

    Sie grinste amüsiert: „Dieser Chase wusste eh nicht, wer ich bin und ich sehe auch keinen Grund, mich selbst anzuzeigen. Oder wollt ihr das etwa tun?“

    Grinsend blickte sie in die Runde. Shadow blickte sie eine Weile lang an, bis er dann fragte: „Warum?“


    „Warum ich ein gutes Pokémon davor bewahren wollte, ins Gefängnis zu gehen?“, erwiderte Lucy und sah Shadow eindringlich an. Als er sich dann an Max, Jimmy und Iro wandte auch diese ihm zunickten, stockte ihm eine Weile der Atem. Dann verzog sich sein Mund und seine Augen füllten sich mit Tränen: „Ich weiß nicht, wie … ich …“

    „Reden wir gerade besser darüber, was wir jetzt tun sollen!“, sagte Emil mahnend. Er nickte mit dem Kopf zu den drei bewusstlosen Gestalten auf dem Boden.

    „Lassen wir sie einfach hier?“


    „Ich schätze, das Team Mystery und Lucy sollten auch hier bleiben“, sagte Shadow kurz angebunden.

    Verdutzt blickten die vier genannten Erkunder ihn an, doch mit leuchtenden Augen, die sowohl von Tränen als auch von einem Einfall kamen, blickte er sie an.

    "Wir können so tun, als hättet ihr keinen Part darin gespielt, sie außer Gefecht zu setzen“

    „Wie hast du dir das genau vorgestellt?“, grunzte Iro vor unterdrücktem Kichern, während er sich die einzelnen Krater besah. „Es sieht nicht gerade danach aus, als hätten wir keinen Anteil an dieser Zerstörung.“


    „Nun ja im Prinzip könnte man darauf … plädieren“, sagte Shadow, wobei er das letzte Wort spöttisch nachäffte, als er einen abfälligen Blick auf Chase warf, „dass es wohl platzierte Hyperstrahlen von Vane und Emil waren … Sie haben schließlich nicht gesehen, wer sie tatsächlich angegriffen hat. Wenn ihr dann noch so tun würdet, als hätten die beiden auch euch außer Gefecht gesetzt …“, und an der Stelle warf er einen fragenden Blick auf Max, Jimmy, Iro und Lucy, die verdutzt, aber auch mit Verständnis zurückblickten.


    „Würde es dann nicht heißen, dass Vane und Emil und vielleicht auch dann Rose tatsächlich zu Mittätern werden?“, fragte Jimmy. Nervös trat er von einem Bein aufs andere und blickte die drei Pokémon an. Doch Vane, der seinen Blick erwiderte, lachte dröhnend auf.

    „Bei uns macht das keinen Unterschied! Wir sind sowie schon mit unserem Boss vereint im Geiste, dann können wir genauso auch auf der Flucht mit ihm sein!“

    Auch Emil ruckte zustimmend mit dem Kopf. Shadow nickte ihnen dankbar zu und wandte sich an Rose: „Du musst nicht … wenn du es vorziehst, nicht gesucht zu werden …“, doch Rose warf sich in seine Arme. Sie deutete es zumindest an, denn als ein fester Körper würde sie durch Shadow hindurchgleiten. Doch er festigte sich selber zu einer festeren Materie und schloss Rose dankbar in seine Arme. Sie lösten sich dann wenige Augenblicke voneinander und blickten sich mit gegenseitigem Respekt an.


    „Tut mir leid für die harschen Worte von vorhin“, sagte er mit entschuldigender Miene an alle gewandt. Sie lachten sich an, bis dann sich wieder Stille über sie legte. In dieser wandte sich Shadow an Max und Lucy: „Wenn ihr dem Plan zustimmt, werde ich euch ohnmächtig machen müssen. Nur so wirkt es glaubhafter, als dass ihr euch einfach schlafen legt.“

    „Wir verstehen“, sagte Max und Jimmy, Iro und auch Lucy nickten. Max fühlte eine seltsame Atmosphäre zwischen sich und Shadow. Etwas wie Melancholie stieg in ihm auf bei dem Gedanken, sich bei Shadow, Emil, Vane und Rose verabschieden zu müssen.


    Sie nickten einander zu. Dann ließ Shadow seinen Schatten sich ausbreiten. Max spürte nicht, wie sich sein Schatten mit dem des Gengars verband. Er hörte noch, wie Rose und Vane ein halb trauriges, halb dankbares „Auf Wiedersehen“ riefen, dann sah er nur noch Dunkelheit vor sich und er fiel ohnmächtig zu Boden.

  • Hallo,


    ich bin mir sicher, dass es einige Leute gibt, die das Kapitel mit der Hexe interessant fanden. Im Endeffekt ist meine Meinung wohl auch nur eine von vielen.

    Jedenfalls, zum Kapitel: Interessante Einführung von Quajutsu! Durch seine Fähigkeiten scheint es beinahe prädestiniert für verdeckte Arbeiten zu sein und dass es bisher verborgen blieb, zeugt von seiner Expertise. Dass Shadows Team so rabiat mit Attacken gegen Chase vorging, war überraschend, lässt allerdings die Treue zu ihrem Boss durchscheinen. Der Abschied ist etwas unkonventionell, für Team Mystery aber vermutlich das Beste, um vorerst weiter ungestört agieren zu können.


    Wir lesen uns!



  • 25

    Schweres Fieber


    Part I - Die Heimkehr


    Als Max aufwachte, fühlten sich seine Glieder schwer an. Noch nie zuvor war er derartig in einen Schlaf versetzt worden. Und zugleich wusste er, dass er die natürliche Art bevorzugen würde. Lucy kniete an seiner Seite und blickte ihn sorgenvoll an.

    „Es geht schon“, murmelte Max und richtete sich mühselig auf. Er blickte sich um. Nicht weit von ihnen entfernt standen Jimmy und Iro, die ihre Gesichter Chase zugewandt hatten, der wütend auf sie einredete.


    „Nochmal! Ihr sagt mir jetzt, wohin Shadow geflohen ist, oder-“

    „Zum fünften Mal!“, rief Jimmy sichtlich gereizt, während seine Hinternflamme loderte. „Wir haben keinen Plan, wohin Shadow geflüchtet ist. Kaum, dass Emil und Vane euch außer Gefecht hatten, hatten sie sich gleich uns zugewandt und-„

    „Dass ich nicht lache!“, rief Chase mit Zornesröte in seinem froschhaften Gesicht. „Ihr habt ihn gehen lassen! Ihr habt euch der Mithilfe zur Flucht schuldig gemacht!“

    „Du hast uns doch erst wachrütteln müssen!“, sagte Iro scharf. „Sieht es für dich danach aus, als hätten wir Shadow mit Absicht uns k.o. setzen lassen?“


    Chase wandte sein Kopf Max und Lucy zu. Als er sah, dass auch Max endlich erwacht war, trat er prompt auf ihn zu.

    „Du! Du wirst bestimmt sagen können, wohin Shadow entflohen ist, oder?“

    „Nein“, sagte Max. Er brauchte auch gar nicht mal trotzig zu sein. Es stimmte, dass sie alle nicht wussten, wohin genau Shadow mit Rose, Vane und Emil gegangen war.


    „Verstehe!“, sagte Chase und seine Augen blitzten auf. „Ihr habt also alle beschlossen, einem gesuchten Verbrecher neben Komplizen laufen zu lassen. Das hätte ich gerade von euch Erkundern nicht gedacht, nachdem ihr Shadow selbst habt!“

    „Einsatzleiter Chase“, sagte Lucy in bedächtig ruhigem Ton. „Sie und Ihre Kollegen haben uns ohnmächtig vorgefunden. Sie haben mich als erste aufwachen lassen und ich habe Ihnen wahrheitsgemäß erzählt, dass Shadow uns allesamt mit seinem Schatten schlafen geschickt hat. Werte Magnetilo“, und sie wandte sich an die beiden Magnete, die ratlos neben Chase in der Luft schwebten. „Ihr könnt doch bestätigen, dass wir ohnmächtig waren, oder?“


    „Zzt, das stimmt“, zurrte eines der Magnetilo und das andere bestätigte mit dem Ansatz eines Nickens.

    „Und was war das für ein Angriff?“, fauchte Chase und blickte Lucy wütend an. „Ihr habt euch an dem Angriff, der mich und meine Kollegen ausgeschaltet hat, beteiligt, oder?“

    „An diesem Angriff waren Vane, das Stolloss, und Emil, das Turtok, beteiligt“, sagte Lucy in ruhigem Ton.

    „Und kaum, dass wir uns ihnen zugewandt haben“, erklärte Jimmy, der mit Iro an sie alle herangetreten war, „hat Shadow uns hinterrücks mit seinem Schatten betäubt!“

    Iro nickte zustimmend sowie Max, als Chase ihn anblickte. Lucys Miene blieb gleichgültig.


    „Zzt, Einsatzleiter?“, wandte sich eines der Magnetilo an ihn. „Was sollen wir tun?“

    Chase rang um Fassung. Zornig und wenig überzeugt blickte er zwischen den Erkundern hin und her.

    „Können wir nun gehen?“, fragte Iro mit einer Spur Ungeduld. „Wir haben selber ein paar Dinge noch zu erledigen und daher-“

    „Ihr könnt eben nicht gehen! Nicht, wenn die Tatsachen klar auf der Hand liegen, dass ihr euch der Mithilfe zur Shadows Flucht schuldig gemacht habt!“

    „Das ist Ihre Theorie!“, sagte Max kühn. „Doch gibt es dafür einen Beweis?“


    Chase funkelte ihn zornig an, seine Augen waren zu Schlitzen verengt.

    „Ein falsches Wort und du-“

    „Wirst du wieder jemand Unschuldiges ohrfeigen, wie Rose?“, rief Jimmy bissig. Chase wandte sich ihm zu. Max glaubte, einen Funken von Beklommenheit in seinen Augen zu vernehmen. Auch Lucy schien dies bemerkt zu haben, weil sie sich räusperte und ruhig mit Chase sprach.

    „Wir beide haben verschiedene Ansichten zu der Geschichte. Ich könnte unter Eid bezeugen, dass sich Vane und Emil an den Angriff beteiligt haben, der Sie und Ihre Kollegen außer Gefecht gesetzt hat. Und genauso kann ich bezeugen, dass Shadow uns allesamt betäubt habt und wir erst aufgewacht sind, als Sie uns aufgeweckt haben. Wir haben daher auch keine Vorstellung davon, wohin Shadow mit seinen Komplizen geflohen ist. Es sei denn, das Team Mystery hat eher eine?“


    Sie wandte sich an Max, der sie verdutzt anblickte.

    „Schließlich habt ihr euch vor eurem aktuellen Auftrag mit der Ergreifung Shadows befasst, wie ich heraus hörte?“

    „Achso!“, sagte Max, der nun verstand. Er überlegte kurz, was er zuvor von Shadow erfahren hatte, ehe sie ihn gestellt hatten. Und da gab es auch keinen Anhaltspunkt. Erst durch Chases Arbeit haben sie herausfinden können, wo sie Shadow dingfest machen konnten. Sie selber aber verfügten über keine eigenen Informationen, was er auch Chase mitteilte. Immer noch ungläubig blickte er die Erkunder einer nach dem anderen, als wollte er einen von ihnen bei einer Lüge ertappen. Schließlich meldete sich eines der Magnetilo wieder.

    „Zzz, Einsatzleiter, ich fürchte wir können nicht viel machen. Wir selber können bestätigen, dass sie ohnmächtig waren. Jeder Anwalt könnte von ihrer Sicht der Dinge überzeugen, während wir nur mutmaßen, aber nichts beweisen können.“


    Chases Miene blieb hart, während er dem Magnetilo zuhörte. Dann schloss er die Augen und atmete tief ein und aus, als würde er sich höchst widerwillig zu etwas überreden lassen.

    „Na schön!“, fauchte er dann. „Ich werde diese Sache fürs Erste ruhen lassen. Geo, Mag, wir gehen!“

    Er wandte sich abrupt um und ging. Die Magnetilo nickten den Erkundern höflich zu und folgten ihm. Nach nur wenigen Schritten wandte sich Chase nochmal und blickte voller Argwohn die Erkunder an.

    „Wenn ich euch nochmal in der Gegenwart des Ganoven erwische und ihr unternehmt keinerlei Anstalten, ihn und seine Kumpane zu verhaften, dann werde ich euch aufgrund anderer Machenschaften mit ihm verhaften lassen!“

    Und damit spurtete er los, mit den Magnetilo im Schlepptau.


    „Das war knapp!“, keuchte Jimmy und rieb sich seine verschwitzte Stirn. „Ich habe wirklich gedacht, dass er uns verhaften würde!“

    „Er konnte nicht anders als zu gehen“, sagte Iro amüsiert. „Es ist wie du sagtest, Lucy. Jeder Anwalt würde uns da raushauen, weil wir im Grunde die Wahrheit gesagt haben.“

    „Wir haben sie schon strapaziert“, murmelte Lucy nachdenklich. „Es gefällt mir nicht, jemanden, der nur geltendes Gesetz vertritt, derartig was vorzulügen.“

    „So sauber war er auch nicht mit dem, was er mit Rose angestellt hat“, brummte Iro. Lucy nickte.

    „Da magst du Recht haben, Ironhard. Was meint ihr, wohin sie jetzt unterwegs sein könnten?“


    „Keinen blassen Schimmer“, sagte Jimmy traurig. „Es ist irgendwie seltsam, dass ich mich so rasch an deren Anwesenheit gewöhnt habe. Sie fehlen mir jetzt sogar schon ein bisschen.“

    „Im Gegensatz zu dir brachten sie auch Schwung in unsere Gruppe“, kommentierte Iro mit Blick auf Jimmy. Als der Schimpanse zu ihm hochblickte und eine rüde Geste mit der Hand machte, lächelte Iro amüsiert.

    „Wie wollt ihr eigentlich nach Hause kommen? Die Knuddeluff-Gilde liegt in Schatzstadt, oder?“, fragte Lucy an Max gewandt, dem das Herz in den Magen sank. Mit dem Stahlos hatten sie einen guten Tag gebraucht, bis sie von Schatzstadt aus die Grenze der Nordwüste erreicht hatten. Nun aber, da sie eben jenes Stahlos fortgeschickt haben statt es auf sie warten zu lassen, kam ihm die plötzliche Erkenntnis, dass sie einen beträchtlich langen Heimweg vor sich hatten. Auch Jimmy und Iro, die sich bei Lucys Frage ihr zugewandt hatten, sahen genauso wenig begeistert aus. Lucy schien ihre Mienen richtig zu deuten, doch sie lächelte belustigt.

    „Kommt mit, vielleicht kann ich euch mitnehmen.“


    Max blickte Jimmy an in der Hoffnung, er wüsste, was sie meinte. Doch da sowohl er als auch Iro die Schulter zuckten, folgten sie Lucy.

    Zu ihrer Überraschung führte sie die drei Pokémon zurück in die Wüste, doch hielten sie sich dieses Mal nah der Klippe und wandten sich rechts. Eine Weile lang gingen sie munter schwatzend und konnten die Nordwüste im letzten Licht der Abendsonne betrachten. Max blickte auf den dunklen Himmel, der sich bereits über den Horizont erstreckt hatte. Es kam ihm nun so unwirklich vor, dass sich hinter diesem Horizont zwei dermaßen lebensfeindliche Gebiete befanden, die er mit Jimmy, Iro, Lucy sowie mit Shadow und den anderen beschritten hatte. Und am Ende dieser Ferne hatte sich der Lawinenberg in die Höhe gestreckt und Max wurde nun schlagartig bewusst, was sie alles überstanden hatten. Eine Welle von Stolz, sowohl über sich als auch Jimmy und Iro, erfüllte seine Brust so sehr, dass ihm etwas schwindlig wurde.


    Rasch aber besann er sich rechtzeitig, denn Lucy hatte sie zu einem Felsspalt rechts von ihnen geführt, der in eine kleine Schlucht führte, deren Ende eine Art Rampe darstellte, die auf die höheren Ebene der Klippe führte. Und nicht weit von ihnen befand sich ein Planwagen, dessen Verdeck aufgeklappt war. Und als sie sich dem näherten, sahen sie nicht weit von ihnen wilde Galoppa, die sich an großen Heubücheln genüsslich taten. Bei dem Geräusch ihrer Schritte hoben sie ihren Kopf mit der feurigen Mähne und wieherten beim Anblick von Lucy, auf die sie nun zutraten. Breit lächelnd hob Lucy ihre beide Pfoten und tätschelte andächtig die breiten und muskulösen Hälse der Galoppa.


    „Ihr seid wohlauf …“, meldete sich aus dem Schatten eine träge Stimme, die Max sofort erkannte. Ein Leuchtorb leuchtete auf und Zikabelle blickte sie neugierig an. Insbesondere Max, Jimmy und Iro nahm sie in ihren Augenschein.

    „Dafür, dass ihr euch in die Schädelwüste begeben habt, seht ihr genauso überstürzt und unvorbereitet aus wie zuvor“, sagte sie und ihr Blick fiel auf Iros bandagiertem Arm. Doch Lucy ließ sich von ihrer Art nicht beeindrucken

    „Zika, sei nett!“, sagte sie in einem gespielt strengen Ton. Die Vibrava starrte sie an: „Musst du diesen Namen hier vor ihnen aussprechen, Lu?“

    „Bist du nicht überrascht, dass wir überhaupt wiedergekehrt sind?“, fragte Iro grimmig. Zikabelle betrachtete ihn eine Weile mäßig interessiert, dann zuckte sie mit ihren Libellenflügeln: „Glückwunsch, dass ihr heil herausgekommen seid. Tut mir nur leid, dass wir gerade keinen Kuchen zur Feier haben. Ihr wisst ja, es war recht unwahrscheinlich, dass ihr überhaupt so … unversehrt“, und wieder fiel ihr Blick auf Iros Arm, „herauskommen würdet.“


    „Und doch erwartest du uns hier, Zika?“, sagte Lucy erstaunt. Die Vibrava gähnte.

    „Das haben wir dir zu verdanken, Lu. Irgendeiner muss sich ja um die Galoppa kümmern, die du in unsere Obhut übergeben hast.“

    Zikabelle starrte Lucy an und ihre Augen funkelten: „Du hast es also geschafft, was?“

    „Mit der Hilfe von Jimmy und den anderen, ja!“, sagte Lucy mit einem breiten Lächeln und wies auf das Team Mystery. Zikabelle machte große Augen, als würde ihr ein Licht aufgehen: „Ihr wart auch dort? In der Firntundra?“


    Die drei nickten. Für einen Moment wirkte Zikabelle regelrecht verblüfft.

    „Ich muss es wohl zugeben, dass ich euch unterschätzt habe … von Lucy habe ich schon fast erwartet, aber bei euch dreien in eurem … angeschlagenen Zustand …“

    Als ihr Blick dann ein drittes Mal auf Iros Arm fiel, drehte sich dieser genervt von ihr weg, sodass er seinen rechten Arm verborgen hielt.

    „Danke jedenfalls, dass ihr euch um sie gekümmert hat!“, sagte Lucy und verbeugte sich zum Dank. Als sie sich den Galoppa zuwandte, fiel Zikabelles Blick auf die glänzende Brandnarbe, die sich über Lucys Oberschenkel und Hüfte zog.

    „Wer hat dir das angetan?!“, fragte sie scharf und sofort fiel ihr Blick auf Jimmy, der betreten dreinschaute. Zikabelles Flügel brummten bedrohlich, doch Lucy hielt ihr mahnend eine Pfote hin.

    „Jimmy hat mein Leben gerettet, Zika“, erklärte sie hastig. „Die Brandnarbe war dafür nicht zu vermeiden!“

    Prompt erstarb das Gebrumme und Zikabelle taxierte Jimmy mit einem argwöhnischen Blick, dann aber nickte sie.


    Lucy legte dann geschickt den Galoppa Geschirr an, das nicht in Flammen aufging, und machte es am Planwagen fest. Als die Feuer-Pferde dann eingespannt waren und diese dann mit den Hufen scharrten, sprang Lucy auf den Sitz und nahm die Zügel in die Hand. Sie warf den drei Erkundern einen fragenden Blick zu, die alle sofort verstanden. Dankbar, dass sie bei Lucy mitreisen konnten, kletterten sie in den Wagen, dessen Boden mit einer dicken Schicht Stroh ausgelegt war.

    „Ich hoffe, dass euch der Himmel auf den Kopf fällt!“, sagte Zikabelle schleppend.

    „Mögen dir die Flügel ausfallen!“, konterte Lucy bissig zurück, lächelte aber dann. Sie gab den Galoppa ein Zeichen, worauf sie kräftig lostraten. Die drei Erkunder wurden leicht nach hinten geworfen, als sie sich in Bewegung setzten. Aus den Augenwinkeln heraus sah Max, wie die Galoppa über den Boden fegten und dabei kleine tiefe Löcher in den Boden stampften, aus denen kurz eine Feuerzunge hervorschoss.


    Lucy war wohl die Art von Fahrerin, die den Ritt auf dem Stahloss bestimmt gemocht hätte. Sie trieb mit ihren Rufen die Galoppa an, worauf sie noch schneller trabten, als sie die Ebene erreichten, durch das sich immer noch die breite Schneise zog, die das Stahlos hinterlassen hatte.

    „Mögen dir die Flügel ausfallen?“, rief Jimmy über das Gepolter der Hufe hinweg, nachdem er sich mühsam vom Boden aufgerichtet hatte und sich nun am Holzrand des Wagens klammerte. Lucy lachte.


    „Das ist so ein Ding zwischen mir und Zika. Das stammt noch aus unserer Zeit, als wir gemeinsam auf Reisen waren, ehe wir verschiedenen Gilden beigetreten sind.“

    „Wieso verschiedene?“, rief Max, der sich erst nicht die Mühe machte, vom Holzboden sich aufzurichten.

    „Zika hasst die Kälte und mir behagt die Wüste nicht sonderlich“, sagte Lucy mit einem Schmunzeln. „Aber wir stehen trotzdem noch in Kontakt. Durch ihre Kontakte zur Red Scorpion-Gilde konnte ich in dieser eine Nacht schlafen, ehe ich mich in die Schädelwüste begeben habe.“

    „Ist Zikabelle nicht mitgekommen?“, fragte Iro.


    „Sie hat Wachdienst gehabt“, erklärte Lucy, „hat aber versprochen, dass sie oder wer anders von der Gilde regelmäßig bei den Galoppa vorbeischaut, ehe sie von Dieben gestohlen werden. Denn die Galoppa sowie der Wagen sind auch nur geliehen. Bevor ich aber nach Süden aufbreche, kann ich euch bei Schatzstadt absetzen, wenn ihr wollt.“

    „Gute Idee!“, rief Jimmy und man konnte ihm sichtlich die Vorfreude ansehen, wieder in seinem Bett zu übernachten.


    Zu Schlaf wären sie im Moment definitiv nicht gekommen. Jedes Mal, wenn die Räder des Wagens über einen Stein fuhren, machte er einen ziemlichen Ruck und mindestens einer von ihnen wurde längst auf den Boden des Wagens geworfen. Sie folgten der Schneise, die das Stahlos gezogen hatte. So fuhren sie auch die ganze Nacht über. Dass Lucy das Verdeck aufgelassen hatte, stellte sich als eine schöne Idee heraus, denn so hatten Max, Jimmy, Iro und auch Lucy, wenn sie ab und an aufblickte, eine tief beeindruckende Sicht auf den Sternenhimmel. Max glaubte, das Sternbild der Fische auszumachen und er fühlte sich in dem Moment innerlich befreit. Bald schon würden sie sich auf den Weg zur Weltenschlucht machen und dort der dritten Wächterin begegnen. Er fand, dass sie mit der Zeit recht gut vorankamen. Es ist gerade mal ein Monat vergangen und sie haben bereits zwei der sieben Wächter aufgesucht. Wenn sie dieses Tempo halten würden, könnten sie es tatsächlich schaffen.


    Im Morgengrauen dann bog der Wagen dann endlich auf eine Straße nach Westen ein. Ein großes Holzschild wies sie in Richtung Schatzstadt, das sich nur noch einige Kilometer von ihnen entfernt fand. Max wurde auch allmählich müde und das stetige Klappern und Rütteln des Wagens hatte ihn benommen und müde gemacht. Auch er sehnte sich nun nach seinem weichen Strohbett. Und wie er an den Gesichtern seiner zwei Kollegen sehen konnten, wirkten auch sie erleichtert, bald wieder zu Hause zu sein.


    Frühmorgendliche Pendler und Erkunder der Knuddeluff-Gilde traten erschrocken zur Seite, als Lucy mit einigem Karacho das Stadttor passierte. Sie nahm die Zügel in die Hand und zog an diesen und wiehernd kamen die Galoppa abrupt zum Stehen. Die drei Erkunder warf es nach vorne und Lucy lachte begeistert.

    „Nie wieder mit ihr“, hörte Max Jimmy dumpf murmeln. Offenbar war sein Gesicht abermals gegen den Rand des Wagens geworfen worden. Auch Iro brummte zustimmend. Max war schwindlig und er fühlte sich taub. Zitternd und mit schweren Gliedern richtete er sich auf und sah verschwommen vor Müdigkeit zu, wie Jimmy und Iro aus dem Wagen kletterten. Dann sprang auch er herab.


    Offenbar landete er fester auf dem Boden als er es vorgehabt hatte. Denn jäh knickten seine Beine ein und als Max vornüberfiel, drehten sich seine Augäpfel nach oben.

  • Part II: Gen Westen


    Prompt hatte sich Iro Max gepackt und zusammen mit Lucy spurteten sie die große Treppe zur Knuddeluff-Gilde hoch. Krakeelo, schlaftrunken von seinem Dienst als Torwächter, blickte sie mit verklebten Augen durch das Fallgitter der Gilde. an

    „Ah, Team Mystery! Ich wollte die Gilde eröffnen. Wollt ihr etwa-“


    Krakeelo brach ab, denn er hatte bemerkt, wie Max ohnmächtig auf Iros Schulter ruhte.

    „WAS IST PASSIERT?“, rief Krakeelo in seiner wachen Lautstärke und trat bestürzt an das Gitter heran. Doch Iro knurrte bedrohlich.

    "Mach das Tor auf, Krakeelo, oder ich trete das Gitter ein! Wir brauchen Palimpalims Hilfe!“


    Eiligst drehte Krakeelo an einer Kurbel, mit der er das Fallgatter hochzog. Iro, Jimmy und Lucy beugten sich herunter und krochen darunter her. Krakeelo ließ die Kurbel los und er achtete nicht mehr darauf, wie das Fallgitter sofort wieder nach unten schnellte. Er ging den Erkundern voran in das zweite Untergeschoss der Gilde, wo sich die Quartiere einzelner Mitglieder befanden. Jimmy wusste, dass er sofort in Palimpalims und Sonnfloras Zimmer krachen würde und da hörte er auch schon das laute Rufen Krakeelos: „AUFWACHEN! ES IST EIN NOTFALL!“


    „Was geht hier vor?“, meldete sich von oben, in Richtung der Decke, eine gereizte Stimme. Plaudagei war erwacht und missmutig blickte er auf die Erkunder herab.

    „Es ist gerade mal früh am Morgen, da müsst ihr so einen Krach machen?“


    „Plaudagei“, japste Jimmy, der immer wieder voller Sorge auf Max blickte, der sich nicht regte. Panik stieg in ihm auf. Dass Max einfach so zusammengebrochen war, konnte nichts Gutes bedeuten. Ehe Jimmy aber erklären konnte, was los war, erklang abermals ein Geräusch. Die Tür zur Kammer des Gildenmeisters wurde aufgesperrt und Knuddeluff kam heraus. Er war milde verdutzt, als er Iro, Jimmy und Lucy erblickte. Offenbar wollte er sich in die Vorratskammer stehlen, um ein paar Äpfel zu stibitzen.


    „Ah, hallo!“, sagte er in einem gespielt unschuldigem Ton und lächelte die Erkunder an. „Ich hätte nicht gedacht, dass so früh welche auf den Beinen sind. Ihr wolltet wohl auf einen Morgenspaziergang hierher oder?“

    Seine Miene aber wurde sofort ernst, als er dann Max erblickte.


    „Was ist passiert? Was fehlt Max?“, sagte er scharf. Auch Plaudagei schien nun begriffen zu haben, weswegen das Team Mystery sich so früh in der Gilde befand. Er flatterte vor Iro und betrachte Max eingehend.

    „Er sieht furchtbar krank aus“, sagte er sorgenvoll. „Jemand sollte sofort Palimpalim holen!“


    „Ich bin schon hier!“, meldete sich eine Stimme, die von einem sanften Klingeln begleitet wurde. Mit Sonnflora und Krakeelo im Schlepptau trat die Ärztin der Gilde zu ihnen und bat sofort Iro darum, sich zu ihr herunter zu knien, damit sie sich Max ansehen konnte. Ihre Miene verdüsterte sich.

    „Schnell, in unser Zimmer!“, sagte sie scharf und winkte die Umstehenden zu, ihr zu folgen.

    Eilig traten sie in Sonnfloras und ihres Zimmer, wo Max auf eines der zwei Betten gelegt wurden. Abermals gingen Türen auf und schlaftrunkene Gesichter anderer Gildenmitglieder erschienen.


    „Hey, hey, was ist denn los?“, fragte Krebscorps, der sich mit seinen Scheren die Augen rieb. Doch keiner antwortete ihm. Diejenigen, die Max am nächsten waren, sahen stumm und angespannt zu, wie Palimpalim Max eindringlich untersuchte. Sie fühlte seine Stirn, hob eines einer Augen an und untersuchte die Pupillen. Sie horchte dessen Atemzüge, die – wie Jimmy jetzt deutlich hörte – schwach und stoßhaft waren. Sie legte ihre Hände auf seine Brust, die sich unregelmäßig hob und senkte, und flüsterte einige Worte, wobei ihre Antenne hell aufleuchtete. Sie wiederholte diese Prozedur mehrmals und inständig hoffte Jimmy, dass dies helfen würde.

    Doch Palimpalims Miene blieb weiter angespannt und finster und als sie ihre Hände von Max nahm, sah sie enttäuscht und frustriert aus.


    „Was fehlt ihm, Palimpalim?“, fragte Knuddeluff ernst und blickte voller Sorge und Argwohn auf Max.

    „Sein Fieber ist sehr hoch …“, fing sie an, doch ihre Stimme zitterte. „Und während seine Stirn heiß ist, sind empfindliche Stellen seines Körpers kalt.“


    „Kannst du es heilen?“, rief Jimmy aus, der sich einfach nicht beherrschen konnte. Die Sorge um seinen besten Freund machte ihn rasend. Auch Iros Miene war steinern und Jimmy spürte, dass er sich machtlos fühlte, da ein Fieber nicht mit Fäusten wegzuschlagen wäre. Palimpalim zögerte mit der Antwort, doch als sie dann sprach, verkündete ihre zitternde Stimme Unheil:

    „Es ist das Heißkalt-Fieber ... es ist das schwerste seiner Art und es ist selten. Die Überlebenschancen sind … sind …“, und sie brach ab. Doch Jimmy wusste, dass sie sich nicht traute zu sagen: Gering.


    „Soll das heißen …?“, hauchte Jimmy entsetzt und sank auf dem freien Bett des Zimmers zusammen. Doch Palimpalim fasste sich jäh wieder und an Krakeelo und Sonnflora gewandt fuhr sie fort: „Weckt sofort Yulia auf! Sie soll aus den Vorräten, die wir haben, das kräftigste Gericht kochen, zu dem sie in Stande ist. Und keine Widerrede, Knuddeluff, wir werden die perfekten Äpfel brauchen!“


    „Ich wollte nicht-“, sagte Knuddeluff entrüstet, doch seine enttäuscht glitzernden Augen verrieten sein Bedauern. Doch er war sofort hilfsbereit, als Palimpalim nach einer wärmeren Decke fragte. Er sprintete zurück zu seiner Kammer und brachte wenige Sekunden später eine rote Decke aus dieser mit. Plaudagei faltete derweil die Schaulustigen zusammen und verdonnerte sie dazu, augenblicklich zurück in ihre Zimmer zu verschwinden. Eingeschüchtert wie sie waren folgten sie auch der Bitte.


    Schlecht gelaunt, wie sie es immer war, trat wenig später auch Yulia in das Zimmer. Der rote Federkamm auf dem Kopf der Snibunna war zerzaust und in ihren weißen Krallen hielt sie eine Schale mit dampfender Flüssigkeit, die sie wortlos Palimpalim reichte, die dankte. Sie tauchte einen Löffel in die Suppe und schob diesen vorsichtig in Max‘ halb geöffnetem Mund. Einige Sekunden vergingen, dann hustete Max und endlich öffneten sich seine Augen zur Hälfte. Ihr Topasgelb war nicht so kräftig, wie Jimmy es von Max gewohnt war. Es war blass und auch die Augen blickten trüb umher.


    „Wo …“, krächzte Max mit heiserer Stimme. Sofort waren Jimmy und Iro an seiner Seite, während sich Lucy respektvoll zurückhielt.

    „Wir sind in der Knuddeluff-Gilde“, erklärte Jimmy ruhig. Die trüben Augen seines Freundes fanden seinen Blick und Jimmy lächelte aufmunternd. Palimpalim beugte sich sanft lächelnd über an Max heran: „Wie fühlst du dich, Max?“


    „Schlecht …“, krächzte Max und machte Anstalten zu bewegen. Palimpalim wollte ihn daran hindern, doch Max schien nicht in der Lage, sich überhaupt zu bewegen. Stöhnend lag er da und bot einen noch nie da gewesenen Mitleid erregenden Anblick.

    „Wo könnte er sich angesteckt haben?“, fragte Plaudagei forsch und wandte sich Jimmy und Iro. Diese drehten sich um beteuerten, keiner kranken Person begegnet zu sein. Doch bevor Plaudagei weiter fragen konnte, schüttelte Palimpalim den Kopf: „Das ist keine Infektion durch einen Erreger. Das Heißkalt-Fieber ergibt sich in seltenen Fällen und bisher nur bei Pflanzen-Pokémon, wenn sie dauerhaften Schwankungen von Hitze und Kälte ausgesetzt sind. Und verschlimmert werden kann dieser Zustand durch zusätzlichen körperlichen oder emotionalen Stress“


    Sofort warfen Jimmy und Iro einander Blicke zu und in dem Moment verstanden beide. Ein Schuldgefühl stieg wie ein kriechendes Feuer in Jimmy hoch und sein Inneres verkrampfte sich. Emotionaler Stress? Gewiss war auch dann jener gemeint, der entsteht, wenn sich Freunde gestritten, getrennt, umeinander Sorgen gemacht und wieder vereinigt haben. Und noch dazu hatte Max beide Laubklingen verloren, womit auch der körperliche Stress gegeben wäre.


    „Seid ihr irgendwo in letzter Zeit gewesen, wo diese Hitze- und Kälteschwankungen aufgetreten sind?“, fragte Plaudagei die beiden. In seinem Blick lag eine Gewissheit, die Jimmy als unangenehm empfand. Doch ehe er oder Iro etwas antworten konnten, fuhr Palimpalim hoch: „Ich muss euch bitten, dass ihr Max in Ruhe lässt. Er muss sich ausruhen und was immer ihr zu besprechen habt, könnt ihr auch woanders machen!“

    Und ehe die anderen ein Wort des Protestes von sich geben konnten, scheuchte sie alle auf den Gildenflur und ließ die Tür zu ihrem Zimmer ins Schloss fallen. Jimmy blickte auf die Tür, hinter der sein und Iros Freund gerade um sein Leben kämpfte.


    „Kommt mit, Jimmy, Ironhard“, sagte Knuddeluff sanft und wies in Richtung der Gildenhalle.

    „Wir trinken eine Tasse Tee in meiner Kammer. Yulia, wenn ich dich darum bitten darf?“

    Die Snibunna blickte den Gildenmeister entgeistert an, zuckte aber dann mit den Schultern und schritt in Richtung Küche.


    Wenig später, in der Kammer von Knuddeluff, hatten sich Jimmy und Iro auf den Boden gesetzt. Lucy, die es vorzog zu stehen, lehnte nicht weit von ihnen entfernt an der Wand. Sie alle hielten einen Becher dampfenden Tees in ihren Händen, doch nur Knuddeluff, der in seinem großen Sessel saß, nippte hin und wieder an seiner Tasse. Plaudagei stand auf der Lehne des Sessels und blickte gespannt Jimmy und Iro an.

    „Ich hoffe, ihr verzeiht, wenn ich euch direkt danach frage, aber –“


    „Muss das sein?“, unterbrach ihn Iro. Plaudagei plusterte sich auf, ein gefährliches Zeichen, dass er verärgert war. Doch Plaudagei fasste sich wieder und fuhr fort: „Mir ist nicht entgangen, dass Max‘ Arme wie zerrupft aussehen und neulich erst hat uns Palimpalim von deiner Begegnung mit dem General erzählt, Iro.“

    „Hat sie?“, brummte Iro wütend. Plaudagei blickte ihn scharf an.

    „Heißkalt-Fieber“, sagte er bestimmt. „Und habt ihr nicht zuvor noch vorgehabt, euch in die Schädelwüste und in die Firntundra zu begeben?“

    „Ja …“, sagte Jimmy zaghaft und Plaudagei fühlte sich in seiner Annahme bestätigt.

    „Ihr habt es wohl geschafft, oder? Ihr wart dort? Oder seid unverrichteter Dinge wieder abgereist?“


    „Wir waren dort!“, rief Jimmy bestimmt und Iro nickte grimmig. Plaudagei und Knuddeluff tauschten verblüffte Blicke über diese Neuigkeit.

    „Und?“, sagte Plaudagei und gestikulierte energisch mit einem Flügel: „Wie war es? Was könnt ihr über dem Lawinenberg erzählen?“

    Jimmy und Iro tauschten Blicke. Sollten sie alles erzählen, was vorgefallen war? Von der Trennung in der Wüste zu berichten, wie sie mit Shadow und den anderen die Gefahren der Tundra gerade noch so überwunden hatten?


    „Ach, Plaudagei“, sagte Knuddeluff munter. „Lassen wir sie doch erstmal sich erholen. Wenn sie gerade erst wiedergekommen sind, brauchen sie etwas Ruhe und Schlaf. Gerade jetzt angesichts der Umstände.“

    Er stand auf, nahm die eine unberührte Tasse Tee vom Tisch und schritt auf Lucy zu, die sie verdutzt annahm.

    „Deiner Tasche nach nehme ich an, dass du eine Erkunderin der Glacial Hearth-Gilde bist namens Lucy bist, oder?“


    „Woher …?“, fragte Lucy erstaunt, die den Becher von Knuddeluff annahm. Doch dieser grinste: „Glaciela, deine Gildenmeisterin, hat mir viel von dir und deiner Aura-Fähigkeiten erzählt. Und die Lucario sind sehr selten auf der Welt anzutreffen, daher nahm ich an, dass du aus ihrer Gilde sein musst.“

    Lucy wirkte aufs Angenehme überrascht, nickte aber lächelnd und nippte an ihrem Tee. Jimmy erklärte dem Gildenmeister und Plaudagei, wie sie auf Lucy getroffen waren und dass sie eine Zeit lang mit ihr unterwegs waren.

    „Ich danke dir jedenfalls, dass du die drei hierher gebracht hast. Es war auch wohl höchste Zeit, wenn man sich Max‘ Zustand ansieht …“


    Seine Miene wurde ernst, doch er schüttelte rasch den Kopf und lächelte der Lucario zu: „Wir können dir gern ein Zimmer hier geben, wenn du dich ausruhen willst, bevor du dich auf die Heimreise begibst.“

    Lucy nickte dankbar und reichte Knuddeluff ihren doch rasch ausgetrunkenen Becher: „Ein großzügiges Angebot, Meister Knuddeluff. Aber ich werde in meiner Gilde erwartet, weswegen ich bald aufbreche. Ich will mich nur vergewissern, dass Max sich in guten Händen befindet, ehe ich weg bin.“


    „Palimpalim wird alles in ihrer Macht stehende tun, damit es Max besser geht, du hast darauf mein Wort!“, sagte Knuddeluff beschwörend. Lucy nickte und wandte sich an Jimmy und Iro.

    „Ich hoffe sehr, euch demnächst wiederzutreffen. Ich weiß nicht, ob ich meinen Auftrag ohne eure Hilfe je geschafft hätte …“

    "Du hast Reden, das gleiche können wir auch über dich sagen!“, rief Jimmy. Schließlich war sie es, die ihn mehrmals aus lebensgefährlichen Lagen gerettet hatte. Sie schenkte ihm breites Lächeln, dass er etwas verlegen erwiderte. Bevor sie ging, drückte sie seine Schulter sanft, als wollte sie ihm damit alles Gute wünschen. Von Iro verabschiedete sich, indem sie beide ihre Fäuste einander schlugen. Mit einer letzten Verneigung in Richtung Knuddeluff und Plaudagei verließ sie dann die Kammer des Gildenmeisters.


    „Ihr macht interessante Bekanntschaften“, stellte Plaudagei fest. „Erst dieser Cephal und dann auch noch diese Lucy. Der Geheimauftrag, den ihr angenommen habt, führte euch an einen spannenden Ort. Gut zu wissen jedenfalls, dass ihr damit wohl durch seid!“

    „Wie?“, sagte Jimmy verdutzt. Der Ara begegnete seinem Blick.

    „War es nicht so, dass ihr wegen dem Auftrag dorthin gegangen seid? Dass ihr hier seid, beweist doch, dass ihr die Mission erfüllt habt, nicht wahr?“


    Dass Plaudagei so ein Vertrauen in Jimmy, Iro und damit auch Max setzte, ließ Jimmys Brust mit Stolz erfüllen. Doch bei dem Gedanken an seinen Freund kam sogleich auch das tief nagende Schuldgefühl in ihm hoch. Er konnte es nicht abstreiten, dass er sehr wohl dazu beigetragen hatte, dass Max zusätzlichem emotionalen Stress ausgesetzt war.

    Wie auf Stichwort klopfte es an der Tür und als sie sich dieser zuwandten, trat Palimpalim mit ausdrucklosem Gesicht ein.



    „Wie geht es Max?“, platzte es sofort aus Jimmy heraus. Er kümmerte sich nicht darum, dass er unhöflich die Ärztin belagerte. Diese holte tief Luft:

    „Ich habe ihn vorübergehend stabilisieren können. Er schläft gerade.“

    Erleichtert sackte Jimmy auf dem Boden und auch Iro nickte dankbar. Doch Knuddeluff blickte Palimpalim durchdringend an, die ein schiefes Lächeln ansetzte.

    „Es soll nicht heißen“, begann sie langsam, „dass er über dem Berg ist. Meine Fähigkeiten reichen bei so einem Fieber gerade noch aus, um es einzudämmen. Es erfordert aber eine intensivere Behandlung, dass Max wieder vollständig genesen kann.“


    „Und du bist nicht imstande?“, fragte Knuddeluff, ohne die Spur eines Vorwurfs. Das Lächeln wich von Palimpalims Gesicht und sie schüttelte den Kopf: „Das Fieber ist sehr schwer. Ich kann Max nur dabei stabilisieren, während sein Körper dagegen ankämpft. Doch zu mehr bin ich nicht fähig. Es gibt drei dokumentierte Fälle von Heißkalt-Fieber, doch diese liegen hunderte von Jahren in der Vergangenheit und in all diesen sind die Patienten daran verstorben.“

    „Was soll das heißen? Ist Max etwa … am Sterben?“, hauchte Jimmy entsetzt und ihm war, als würde sonst so feste Boden weich werden, sodass er darin versank.

    „Mit der Zeit wird er das, wenn nicht bald ein Spezialist ihn behandelt. Sein Körper kann nicht ewig dagegen ankämpfen, da hilft aller Trank zum Aufpäppeln nicht.“


    „Wo finden wir so einen Spezialisten?“, fragte Iro prompt und richtete sich auf. Es war offensichtlich, dass er bereit war, loszustürmen. Palimpalim begegnete nervös seinem Blick, ehe sie sprach:

    „Die Sache ist die … es gibt unter den Medizinern gewiss große Namen, doch kaum einer von ihnen ist in Ekunda ansässig. Man müsse nach Savor oder Ylmnaz reisen, um dort einen von ihnen aufzusuchen. Und dann müssten diese auch noch hierher kommen und das kann dann Wochen in Anspruch nehmen. Und es tut mir wirklich leid, aber das Fieber ist so weit schon fortgeschritten, dass im Grunde jeder Tag ab jetzt zählt!“


    Eine lähmende Stille legte sich über sie alle. Jimmy fühlte, wie die Welt vor seinen Augen zusammenbrach. Es war so unwirklich. In einem Moment war Max noch am scherzen mit ihnen gewesen, im nächsten schon trug er einen Kampf auf Leben und Tod aus. Und das Ende dieses Kampfes stand kurz bevor.

    „Pa-Palimpalim?“, sagte Plaudagei, der kreideweiß angelaufen und zum ersten Mal, seit Jimmy ihn kannte, um Worte verlegen war. „W-Wie lange glaubst du, würde Max das …?“


    Sie brachte kaum ein Wort heraus. Sie selber rang um Fassung. Knuddeluff derweil war vom Sessel aufgestanden und schritt nun zum Fenster, aus dem er hinausblickte. Jimmy konnte sein Gesicht nicht sehen, doch er vermutete, dass der Gildenmeister seine Tränen nicht vor allen zeigen wollte. Ihm selber tropften nun dicke Perlen das Gesicht hinunter.

    „Drei Tage“, hauchte Palimpalim bang. „Wenn bis dahin kein Spezialist ihn behandelt …“


    „Wenn das so ist“, sagte Knuddeluff langsam. Er klang nicht, wie Jimmy erwartet hatte. Zwar war der Gildenmeister angespannt, doch in seiner Stimme lag etwas wie Zuversicht, eine klammernde Hoffnung. Er wandte sich und ernst blickte er Plaudagei an, der seinen Blick erwiderte.

    „Weißt du zufällig ob er noch auf der Ascheninsel ansässig ist?“

    Plaudagei blickte erst verwirrt, als wüsste er nicht, was Knuddeluff meinte. Dann hellte sich seine Miene auf.

    „Das war vor fünfundzwanzig Jahren! Ob er immer noch dort ist, weiß ich nicht, Knuddeluff!“


    Der Gildenmeister nickte und wandte sich Jimmy und Iro zu: „Wir haben keine Zeit zu verlieren, also mache ich es kurz. Vor vielen Jahren bin ich auf der Ascheninsel, die westlich von hier liegt, einem Erkunder namens Alakrates begegnet. Er gehörte zu seiner Zeit zu den größeren Erkundern und war genauso bekannt wie General Stahlard, als er noch Erkunder war. Ich bin ihm nur einmal bisher begegnet, aber selbst zu dem Zeitpunkt war ich von seinem enormen Wissen tief beeindruckt. Vor allem im Gebiet der Medizin galt er als Koryphäe!“


    „Das stimmt!“, bestätigte Palimpalim aufgeregt. „Seine Werke zur modernen Heilung waren richtungsweisend und jeder Mediziner spricht in den höchsten Tönen von ihm. Doch ist er immer auf Wanderschaft gewesen, oder?“

    „Als Plaudagei und ich ihm begegnet sind, hatte er sein Quartier auf der Ascheninsel. Er versorgte damals die Einwohner, die durch einen Vulkanausbruch ihr Zuhause verloren und sich schwer dadurch verletzt hatten. Ich weiß zwar nicht, wie es aktuell auf der Ascheninsel aussieht, aber vielleicht könntet ihr ihn dort antreffen!“

    „Obwohl das fünfundzwanzig Jahre her ist?“, fragte Iro skeptisch. Jimmy allerdings erkannte, worin Knuddeluff die Hoffnung für Max sah.

    „Wie weit liegt diese Ascheninsel entfernt?“, fragte er und sprang auf.


    „Je nach, wie schnell ihr über das Meer kommt, bis zu einem Tag. Ich würde daher raten, ihr brecht sofort-“, sagte Knuddeluff, doch seine Worte gingen unter, als sich Jimmy aufgeregt Iro zuwandte: „Wir müssen Lapras aufsuchen!“

  • Hallo,


    das Wiedersehen mit Zikabelle war angenehm und es ist schön zu sehen, dass die Gilden so gut untereinander vernetzt sind. Auf diese Weise fühlt sich die Welt wesentlich lebendiger an, als wenn alle Gruppierungen nur auf sich selbst achten würden. Wenn man bedenkt, wie viel Max in der bisherigen Geschichte bereits erdulden musste, empfand ich es nachvollziehbar, dass das Team Mystery irgendwann anderweitig aufgehalten wird. Persönlich denke ich aber auch, dass die Rettungsmission unweigerlich mit dem nächsten Legendären Pokémon verbunden ist. Ich bin daher mehr als gespannt, welche Strapazen auf dem Weg zur Ascheninsel lauern werden.


    Wir lesen uns!

  • Nach länger Pause (Neue Arbeitsstelle, einige emotionale Dramen mit toxischen Personen sowie das Verfolgen anderer Hobbys und neuen Interessen) will ich endlich mal dazu kommen, Arc 3 zu beginnen :)

    Viel Spaß auf der Ascheninsel!


    26
    Alakrates


    Part I: Sein Element


    Jimmy und Iro haben sich von Max verabschieden wollen, doch er hatte geschlafen und Palimpalim hat sie dazu ermahnt, ihn nicht aufzuwecken. Sie versicherte ihnen, dass sie ihn über den Stand der Dinge informieren würde, sobald er aufwachte.

    So liefen Jimmy und Iro eiligst die Stufen hinunter in Richtung Strand, an dem Lapras häufig anzutreffen war. Sie musste direkt dort sein, denn sie hatten kaum Zeit zu verlieren. Als sich das Meer ihnen näherte und sie auf weichem Sand liefen, schaute sich Jimmy eiligst um. Einige Krabby zogen sich gerade in die kühlen Schatten zwischen den Felsen zurück oder tauchten in seichtes Meerwasser ein. Reste von Blubberblasen, mit denen die Krabby die aufgehende Sonne begrüßt hatten, flogen noch in der Luft und schimmerten in blassen Regenbogenfarben, ehe sie zerplatzten.


    Der Strand war wie eh und je mit seinen rauen Felsen, zwischen denen sich der Spalt in die Strandhöhle auftat. Doch von Lapras war keine Spur zu sehen, ganz gleich wie oft Jimmy sich umblickte.

    „Nicht doch“, murmelte er verzweifelt. Von allen Tagen musste sie ausgerechnet jetzt unterwegs sein? Und für wie lange? Nachdem er sich vergewissert hatte, dass Lapras nicht in nächster Nähe war, wandte sich Jimmy zu Iro: „Vielleicht kommt sie bald zurück ..."

    „Sollen wir etwa solange hier warten?“, sagte Iro tonlos. Er sah nicht danach aus, als würde ihm eine bessere Idee einfallen. Das half Jimmy auch nicht weiter.

    „Es muss doch was geben! Wenn du nur dorthin schwimmen könntest …“

    „Mit dem Arm?“, unterbrach Iro und deutete unwirsch auf seine bandagierte rechte Seite. „Glaub‘ mir Jimmy, ich hätte dich ohne zu fragen mitgerissen, wenn ich dazu in der Lage wäre.“

    „Vielleicht geht es ihm ja mittlerweile besser?“, fragte Jimmy hoffnungsvoll. Doch als Iro Anstalten machte seinen Arm zu bewegen, biss er die Zähne vor Schmerz zusammen.

    „Nichts zu machen Jimmy, immer noch zerschmettert!“


    "Habe ich doch richtig gehört … Jimmy? Ironhard? Seid ihr das?“

    Sie wandten sich um. Axel trat hinter einem großen Felsen hervor, der ihn verborgen hatte. Verblüfft starrte er die beiden Erkunder an.

    „Sagt mir nicht … dass ihr es tatsächlich geschafft habt?!“, rief er und blickte mit einem Anflug von Begeisterung die Erkunder an. Sie verstanden beide nicht zuerst, worauf er anspielte, dann fiel es ihnen ein, dass sie auch Axel und dem General von ihrem letzten Ziel erzählt haben.

    „Ja, wir haben es geschafft“, sagte Jimmy knapp, da er nicht die Lust verspürte, ein ergiebiges Gespräch mit dem Sumpex zu führen.


    „Was tust du hier eigentlich?“, fragte Iro. Axel stutzte und blickte die Erkunder an. Er zuckte mit den Achseln und deutete zur aufgegangenen Sonne, deren helles Licht vom Meer aus zu ihnen herüber gespiegelt wurde.

    „Manchmal komme ich hierher und sehe mir den Sonnenaufgang an. Ihr seid dafür leider zu spät, das Schönste habt ihr verpasst.“

    Aufmerksam blickte er Jimmy und Iro abermals an und seine Miene verdüsterte sich.

    „Ist alles in Ordnung? Ihr zwei seht ziemlich gehetzt aus…“


    Rasch erklärte Jimmy, wie es zur Zeit um Max stand und dass sie dringendst Alakrates auf der Ascheninsel antreffen mussten.

    „Es würde mich nicht wundern, wenn ihr ihn dort nachwievor antreffen würdet“, sagte Axel mit einem Ton, als würde er sich an eine zurückliegende gute Zeit erinnern. „Er meinte, dass er auf der Insel gerne seinen Rückzug genießen würde.“

    „Du kennst ihn?“, fragte Jimmy verdutzt. Axel nickte.

    „Ich und Stahl sind ihm begegnet, als wir alle jünger waren. An dem Tat sind wir auch Knuddeluff begegnet. Das war ein Erlebnis, das kann ich euch sagen, denn-“


    „Axel, du bist dir sicher, dass Alakrates noch auf der Insel wohnt?“, sagte Jimmy mit eindringlich flehender Stimme. Das nostalgische Grinsen wich aus Axels Gesicht und er nickte ernst.

    „Er hätte seine Gründe auf der Insel zu bleiben“, erklärte er den beiden. „Daher bin ich mir sicher.“

    „Immerhin eine gute Nachricht!“, rief Jimmy erleichtert aus. „Aber wir müssen immer noch einen Weg finden, wie wir zur Ascheninsel gelangen.“

    Er raufte sich in wilden Gedanken sein Kopffell, dann wandte er sich an Axel: „Du hast nicht zufällig Lapras hier in der Nähe schwimmen gesehen, oder?“

    „Vor wenigen Minuten ist sie davon“, antwortete Axel. Jimmy und Iro horchten auf. „Sie hat irgendwas davon gesagt, dass sie einen alten Freund besuchen wollte oder etwas in der Art.“

    „Vor wenigen Minuten?“, rief Jimmy erschrocken aus und trat hastig an Axel heran, der verdutzt zu ihm hinunterblickte.

    „Kannst du sie vielleicht einholen und bitten, zurück zu kommen? Wir brauchen dringend ihre Hilfe!“

    Axel blickte von Jimmy und Iro, der zur Bestätigung nickte. Dann willigte auch er langsam und begab sich erst langsam ins kühle Meerwasser, ehe er dann ganz eintauchte, sodass nur noch seine Kopfkämme zu sehen waren. Mit beruhigender Geschwindigkeit stießen sie durch das Wasser und waren nach wenigen Augenblicken nicht mehr sehen.

    „Jetzt warten wir“, sagte Jimmy matt und setzte sich auf den Sandboden. Iro blieb stehen und blickte angespannt auf die Stelle, an der sie Axels Kämme noch gesehen hatten.

    „Hoffen wir, dass er es rechtzeitig schafft“, sagte er knapp.


    Eine Weile schwiegen sie und lauschten dem Rauschen der Wellen, die gegen die Klippen schlugen. Ab und reichten Wellen bis zu Jimmys Füßen. Gewiss war sie kalt und gerade im Winter würden seine Füße frösteln, doch Jimmy spürte nichts dergleichen. Zu sehr dachte er an Max und die Sorge darüber, wie er in dem Moment gegen das Fieber kämpfte, ließ ihn absolut taub werden.

    „Max ist zäh!“, erwiderte Iro, als Jimmy sich ihm damit geöffnet hatte. „Er wird das für eine Weile noch aushalten können!“

    „Wenn wir Alakrates nicht rechtzeitig nicht finden … oder was wenn er sich weigert, die Insel zu verlassen? Axel meinte, er habe Gründe, auf dieser zu bleiben? Was, wenn-“

    „Um Himmels Willen, Jimmy!“, rief Iro und fasste den Schimpansen streng ins Auge, der daraufhin zusammenzuckte.

    „Noch mehr von dieser Negativität und du verwünschst es fast damit!“

    „Entschuldigung, es ist nur …“, sagte Jimmy und Tränen stiegen ihm ins Gesicht. Iro blickte ihn eine Weile grimmig an, dann wandte er sich seufzend ab.

    „Ich weiß! Mir geht es ähnlich! Wie schon im Geheimnisdschungel, als ich mit damit beschäftigt war, Zutaten für dein Heilmittel zu finden. Da ging es in knapper Zeit auch um Leben oder Tod.“


    „Hätte ich beinahe vergessen …“, sagte Jimmy und schämte sich dafür. In einem für ihn fremden Dorf aufzuwachen und gesagt zu bekommen, dass er vergiftet und beinahe am Sterben war und dass Iro eigenhändig Schwierigkeiten auf sich genommen hatte, um ein Heilmittel zu ermöglichen. Das hatte Jimmy schockiert und erst danach hat er erst realisieren können, wie dankbar er Iro dafür war. Und gar nicht solange darauf hatte er es gewagt, Iro für das zu verfluchen, was für ihn nur selbstverständlich war, nur weil er selber zu anderem nicht in der Lage war.


    Eilig schüttelte er den Kopf. Nicht daran denken!, ermahnte er sich. Lucy hatte es ihm eingebläut. Er durfte sich nicht auf die Art mit Iro oder sonst wem vergleichen, da er gewiss seine eigenen Qualitäten hatte. Und es war auch nicht die Zeit, über so etwas nachzudenken. Ärger über sich stieg in Jimmy hoch und er richtete seinen Blick auf das fernere Meer.


    Und dann endlich tauchten zwei kaum zu erkennende Kämme auf, die von einem größeren Pokémon gefolgt wurden. Erleichtert lächelte Jimmy und auch Iro wirkte eine Spur entspannter. Lapras glitt auf sie zu, während sie sich mit ihren vier Flossen kräftig nach vorne stieß. Wie immer war ihr schöner schlanker Hals aufrecht, doch ihre Augen waren vor Sorge verengt und entsprechend blickte sie die beiden an. Axel tauchte wieder auf, der am ganzen Körper zitterte und trat eilig wieder aufs Land.

    „Man hat mir erzählt, dass es Max nicht gut gehe und ihr zur Ascheninsel müsst?“, sagte Lapras gerade heraus, woraufhin die beiden nickten.


    „Ihr habt Glück, auch ich wollte mich gerade auf dem Weg dorthin begeben. Schnell, klettert auf meinen Rücken.“, und sie drehte sich im Wasser, sodass sie ihren Rücken zu ihnen wandte, der wie ein großes Korallenriff wirkte, auf dem man mehr oder weniger bequem Platz nehmen konnte. Mit einem Peitschenhieb seines Schweifes stieß sich Iro vom Boden und landete etwas unbedarft auf ihrem Rücken. Jimmy suchte die üblichen Punkte und kletterte an diesen hoch. Doch selbst als beide einigermaßen sicher auf dem Rücken saßen, bewegte sich Lapras nicht fort. Den Blick von ihnen gewandt starrte sie in Richtung des Aufstiegs nach Großschatzstadt. Jimmy und Iro folgten ihrem Blick und sahen eine Gestalt im Schatten auf sie zu torkeln. Immer wieder hielt diese an und drohte, zur Seite zu fallen.


    „MAX!“, schrie Jimmy und sprang sofort von Lapras herunter und sprintete auf diesen los. Auch Iro folgte ihm mit steinernen Blick.

    Max sah furchtbar aus. Stark schwitzend und mit trübem Blick schielte er Jimmy an, als er auf ihn zutrat. Er kippte vornüber und Jimmy fing ihn rechtzeitig auf, worauf er beinahe selbst einknickte. Iro kam hinzu und zusammen brachten sie Max in eine angenehmere Haltung, mit der Max sie beide anblicken konnten. Obwohl seine Stirn ein rötliches Grün aufwies und seine Augen in der Zwischenzeit noch blasser geworden waren, brachte er den Ansatz eines Lächelns zustande, das Jimmy und Iro aber nicht erwidern konnte.

    „Was machst du denn hier?!“, rief Jimmy entsetzt und blickte sich panisch um.

    „Du solltest in der Gilde bleiben, man! Du siehst schrecklich aus!“, stimmte ihm Iro zu.


    Max drehte seinen Kopf und hustete. Als er wieder aufblickte, krächzte er kaum vernehmlich: „Wenn ihr aufbrecht, um einen Heiler zu finden … dann komme ich mit!“

    „Weiß Palimpalim Bescheid?“, fragte Iro argwöhnisch. Jimmy fand auch, dass es verantwortungslos von ihr war, ihn einfach so gehen zu lassen.

    „Sie … also“, krächzte Max und Jimmy glaubte eine Spur von Schuld in seiner Stimme zu hören. Sofort verstand er und fand, dass Max seine Stimme schonen sollte. Er blickte nach rechts auf den Weg, der hoch nach Schatzstadt führte. Würden Palimpalim, vielleicht auch Plaudagei ihnen folgen, wenn sie merkten, dass Max verschwunden war? Würden sie sich einen Reim darauf machen, wohin er gegangen ist?

    Wenn sie aber Glück hatten und sie würden Alakrates auf der Ascheninsel antreffen, könnte er Max sofort behandeln statt, dass er noch mit ihnen zurückkehren müsste. Deswegen fasste sich Jimmy ein Herz und bat Iro darum, Max auf Lapras zu hieven. Als Max seinen Arm um Jimmy legte, so dass er sich auf ihn stützen konnte, drückte er Jimmy kräftig an sich. Aus Dankbarkeit, dachte sich Jimmy. Iro folgte dem nur zögernd und auch Lapras blickte drein, als missbilligte sie, dass sie einen schwer Erkrankten transportieren müsse.


    „Das Fieber wird vermutlich durch die Reise schlimmer werden“, erklärte sie ihnen, doch nachdem Jimmy ihr seine Idee mitgeteilt hatte, war sie mehr dazu bereit, dieser zu folgen. Man sah es ihr aber, dass sie sich nicht wohl dabei fühlte.

    „Ich nehme an, ich soll schweigen, oder?“ sagte Axel mit ernster Miene, als er Jimmy und Iro dabei zusah, wie sie umsichtig Max an Lapras Hals lehnten.

    „Wenn du so tun würdest, als hättest du uns nicht gesehen …“, fing Jimmy an, doch seine Stimme verlor sich, als er Max anblickte, dessen Augen schwer wirkten. Er schüttelte den Kopf und dankte dann Axel dafür, dass er Lapras geholt hat.
    „Grüß den General von mir!“ sagte Iro mit unverhohlener Genugtuung. Axel lächelte schief und winkte den dreien und Lapras zum Abschied, die sich nun in Bewegung setzte.


    Lapras glitt in anmutiger Hast durch das Meer. Höhere Wellen umging sie rechtzeitig, sodass sie nicht allzu sehr ins Schaukeln kam. Jimmy richtete seinen Blick durchgehend auf Max und hoffte schon beinahe flehentlich, dass sie sicher ankommen mögen.

    „Bitte beeile dich, Lapras!“, rief er ihrem langen Hals zu. Sie wandte kaum merklich den Kopf zu ihm.

    „Mache dir keine Sorgen, Jimmy! Die See scheint heute ruhig zu sein, da werden wir relativ schnell da sein. Ein bis zwei Stunden aber wird es noch dauern.“


    „Großartig“, brummte Iro missvergnügt, der sich, so gut er es konnte, zu einer unförmigen blauen Kugel zusammengeformt hatte. Als Hüne, wie er es war, hatte er gerade noch so Platz auf Lapras‘ Panzer gehabt und dass Jimmy und Max diesen mit beanspruchten, machte die Sache für sie alle nicht leichter. Und nun kam auch diese lange Reisezeit hinzu, während scheinbar jedoch Sekunde zählte.

    Jimmy fühlte, als hätte er sich noch nie zuvor in einer gestressteren Situation befunden. Doch das stimmte nicht, wie ihm in dem Augenblick einfiel. Die Reise durch die Wüste hatte genauso an seinen Nerven gezehrt. Und dazu hatte er sich wie der größte Vollidiot benommen, was auch eine Mitursache für Max‘ Zustand war. Jimmy ballte Fäuste und er hatte große Lust, sich zur Sühne auf die Zunge zu beißen.


    „Was hast du denn auf der Ascheninsel zu schaffen?“, fragte Iro einige Zeit später an Lapras gewandt. Froh, aus seinen Gedanken herausgezogen zu werden, blickte Jimmy auf.

    „Ich denke, dasselbe Pokémon aufsuchen wie ihr, wenn ihr einen Heiler für Max braucht, oder?“, sagte sie gleichmütig.

    „Alakrates?“, rief Jimmy erstaunt und erleichtert zugleich. „Das heißt, er befindet sich wahrhaftig auf der Ascheninsel?“


    „Dorthin hat er sich für seine alten Jahre zurückgezogen“, sagte sie und ihr Ton ließ vermuten, dass sie sanft lächelte. „Ich habe eigentlich gedacht, dass er nie sesshaft werden würde.“

    „Du kennst ihn also was länger?“, hakte Iro nach. Lapras nickte.




    „Ich habe ihn, als er noch ein Kadabra war, gelegentlich von einem Ort zum anderen getragen. Er selber hat mir einst einen sehr großen Gefallen getan. Eine meiner Flossen war sehr schlimm verletzt und Alakrates hat sie gepflegt und sehr gut zur Heilung geführt. So sind wir Freunde geworden.“

    „Wenn er früher ein Kadabra war“, murmelte Jimmy, in Überlegungen vertieft, „dann müsste er jetzt ein Simsala sein, oder?“


    „Ja“, sagte Lapras sanft. „Er war generell sehr frühreif, auch wenn er gewisse Eigenheiten hat. Ihr könnt ihn euch etwas wie Knuddeluff vorstellen. Wenn er nicht in seinem Element ist, kann er manchmal ziemlich durcheinander sein und Dinge verwechseln oder nicht weit denken. Einmal wollte er mir zum Dank für das viele Herumtragen Handschuhe gestrickt haben und er hatte auch schon diese in einer Geschenkbox verpackt, bis ihm einfiel, dass ich als ein Pokémon der Art Lapras keine Hände, sondern Flossen habe. Er hat vielleicht vor Verlegenheit geglüht, sage ich euch!“

    Sie lachte, offensichtlich in seliger Erinnerung. Auch Jimmy brachte ein schwaches Lächeln zustande. Doch mit Blick auf Max, der wieder ohnmächtig an Lapras‘ Hals lehnte, schwand dieses sofort.


    „Glaubst du“, begann er zaghaft. Lapras Kopf drehte sich leicht und sie sah ihn aufmerksam mit einem ihrer tiefbraunen Augen an. Jimmy schluckte.

    „Glaubst du, dass er Max heilen kann?“

    „Was fehlt ihm eigentlich? Axelot hat es nicht erwähnt.“

    „Axelot?“, rief Iro und unterdrückte ein Kichern. Lapras sah ihn verdutzt mit ihrem Auge an.

    „Das Sumpex, das ihr nach mir geschickt habt. Sein Name ist Axelot. Wusstet ihr das nicht?“

    „Uns hat er sich bisher immer als Axel vorgestellt“, sagte Iro kichernd, doch Jimmy schnitt laut dazwischen.


    „Es ist das Heißkalt-Fieber. Palimpalim meinte, dass dieses sehr selten und sehr schwierig zu behandeln sei …“

    „Hm …“, sagte Lapras und blickte nachdenklich ins Wasser, das während ihres Gleitens durch das Meer in kleinen Wellen zur Seite stob.

    „Ich habe selber keine Kenntnis von der Krankheit. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass mir Alakrates je davon erzählt hat. Und er hat mir während unserer gemeinsamen Reisen sehr viel von seinen Abenteuern erzählt.“

    „Klingt aber nicht dann so, als wäre er dazu in der Lage“, meinte Iro. Dass er die Worte so einfach sagte, machte Jimmy wütend. Es war für ihn, als würde sich der tumbe Alligator nicht zu sehr um den Zustand ihres Freundes Sorgen machen.


    „Täusche dich da mal nicht, Ironhard“, sagte Lapras bestimmt. Beide Erkunder blickten auf.

    „Nur, weil Alakrates mir bisher davon nichts erzählt hat, soll das nicht heißen, dass er keine Kenntnis davon hat. Er hat sich im Laufe seines Lebens einen derartig großen Wissensschatz angeeignet … ich denke, ein beleseneres und intelligenteres Pokémon werdet ihr auf der Welt nicht finden!“

    „Wenn diese Krankheit aber so selten ist …“, sagte Jimmy, doch Lapras wandte dieses Mal gänzlich den Kopf zu ihnen und blickte sie mit glühenden Augen an.

    „Das ist Alakrates‘ Element: Wenn er einer medizinischen Frage auf den Grund gehen will, hört er nicht auf zu forschen und Wissen zu sammeln, bis er für sich eine umfassende und befriedigende Antwort gefunden hat. Bis dahin ist er hochkonzentriert und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen und weiß dann alles drum herum zu koordinieren. Er ist …“, sie holte tief und ehrfürchtig Luft und es ließ Jimmy staunen. Lapras war die Ruhe und Gelassenheit in Person und dass der Gedanke an ein bestimmtes Pokémon sie derartig ins Schwärmen brachte, machte ihm deutlich, dass Alakrates eine ganz und gar besondere Persönlichkeit sein musste.

    „Ihr werdet es sehen, wenn ihr ihn trefft. Und bestimmt wird er auch etwas wegen deines Arms unternehmen, Ironhard.


    Iro blickte auf seine Bandage um seinen rechten Arm und verdeckte diesen mit seinem linken. Eine Zeit lang glitten sie noch durchs Wasser und Lapras fragte, wie es dem Team Mystery vor all dem ergangen sei. Insbesondere war sie neugierig darauf, wie es zu den Verletzungen von Max‘ und Iros Armen gekommen war. Jimmy erklärte, mit ein paar Auslassungen, dass ein Eis-Angriff für den Verlust von Max‘ Klingen verantwortlich war. Und was Iros Arm betraf, wollte er den Alligator reden lassen, doch ehe dieser irgendwas sagen konnte, rief Lapras auf einmal aus: „Da ist sie, die Ascheninsel!“

  • Hallo,


    als sich Jimmy und Iro zu einem Heilmittel aufgemacht hatten, bin ich ehrlich gesagt davon ausgegangen, dass sich Max auch dazugesellt. Einerseits weil es nicht zu ihm passen würde, vorübergehend auszusetzen, und andererseits, um so natürlich die Spannung während der eigentlichen Erzählung zu erhöhen. Lapras hat aber recht damit, dass das eigentlich verantwortungslos ist.

    Davon abgesehen mochte ich die Tatsache, dass mehrere Pokémon ihre vollständigen Namen nicht nennen. Es entwickelt sich schon zu einer Art gutem Running Gag und das Wiedersehen mit Axel war angenehm und die Begegnung mit Alakrates könnte durch seine Verwirrtheit witzig werden.


    Wir lesen uns!

  • Part II: Villbénie


    Ein Berg immensen Ausmaßes ragte in den Himmel hinein. Unweigerlich fühlte sich Jimmy an den Lawinenberg erinnert und dieses Mal war er froh, dass sie nicht durch ein Eis- und Schneegebiet waten mussten. Und er hoffte, dass sie nicht diesen Berg ebenso besteigen mussten; es sei denn Alakrates wohnte auf dem Gipfel …


    „Was ist denn das für ein Fels?“, fragte Iro im anerkennenden Ton, während sie sich der Insel näherten.

    „Das ist der Riesenvulkan“, sagte Lapras. Jimmy horchte auf und leichtes Unbehagen stieg in ihm hoch.

    „V-Vulkan?“, sagte er. „I-st er … ähm … aktiv?“

    „Er ist nie erloschen“, erklärte Lapras ruhig, doch eine Spur von Bedauern lag in ihrer Stimme. „Vor dreißig Jahren aber ist er einmal ausgebrochen und hat die Hälfte der Insel zerstört.“


    „Die Hälfte?“, riefen Jimmy und Iro wie aus einem Mund und blickten auf die Insel. Auch von weitem sahen sie die grünen Wälder immer deutlicher und ganz links machte die Insel den Anschein, als würde eine große Stadt auf der Seite florieren. Ganz schwach waren rote Dächer von höheren Häusern zu sehen, die Spitze eines Turms sowie das Weiß von Segeln.

    „Diese Seite“, erklärte Lapras, „war jene, die vom Ausbruch verschont blieb. „Als die erste Hilfe von Seiten der Regierung kam, haben viele Stadtbewohner die Chance genutzt, um Kontakte zu knüpfen, auf denen dann Geschäfte und Handelsbeziehungen gefußt haben. Da sie das Glück auf ihrer Seite damals hatten, ist die Stadt seither unter dem Namen Villbénie, was so viel bedeutet wie Die Gesegnete Stadt

    „Passt ja treffend“, sagte Iro. Lapras lächelte schief.

    „Es missfällt mir, wie sie dabei die andere Seite, also jene, die vom Ausbruch betroffen war, vollkommen damit übersehen. Vermutlich aber werdet ihr es selbst sehen, sobald wir am Hafen ankommen.“


    Jimmy staunte nicht schlecht, als Lapras zwischen den Schiffen daher glitt, die sie um das Dreifache überragten. Perlweiße Segel waren eingeholt und von deren Decks hörten sie das geschäftige Rufen von Pokémon. Als sie sich dann einem Pier näherten, sahen sie allerlei Pokémon, die Rampen ihrer jeweiligen Schiffe auf und ab gehen, während sie Kisten auf diese brachten oder Pokémon gaben, die eine Liste mit sich führten. Darunter waren Maschok, die mit ihren muskelbewehrten Armen gleich drei große Holzkisten auf einmal verluden. Oder Pokémon, deren Art Jimmy nicht kannte, mit ihren Psychokräften diese Kisten zum Schweben brachten und den Maschok freche Blicke zuwarfen, die verächtlich schnaubten.

    Lapras kam nahe dem hölzernen Steg zum Halt und endlich konnten Jimmy und Iro, der sich mühevoll Max auf seinen Rücken gelegt hatte, von Lapras absteigen. Kaum, dass Lapras ihnen etwas sagen konnten, rief eine schnarrende Stimme zu ihnen: „Hallo, Lapras! Wieder hier zu Besuch?“


    Ein hochgewachsenes und merkwürdig aussehendes Pokémon mit dünnen Gliedmaßen trat auf sie zu. Vom Gesicht her ähnelte es einer Echse, von dessen Kopf sich eine Art gelber Kamm, wie der von Axel, nach hinten streckte. Merkwürdig sah es dadurch aus, dass es wie einige andere um sie herum tatsächliche Kleidung trug. Sein dunkelblauer Gehrock reichte ihm bis zur Taille und die Beine steckten in einer schwarzen Hose. Unter dem Gehrock fiel ein langer glatter Schwanz zu Boden, der dem Pokémon den Eindruck eines guten Schwimmers verlieh. Zusätzlich trug es eine Art gelben Capes, das von seinen Schultern bis zum Ende des Gehrockes fiel.


    „Hallo, Leon“, sagte Lapras und warf einen Blick auf das Klemmbrett, dass dieser auf seinem Arm im Anschlag hielt.

    „Wieder einmal viel zu koordinieren?“

    „So ziemlich“, sagte Leon beflissen, dessen Blick immer wieder zu den Schiffen links und rechts von ihnen huschte.

    „Die Ernte dieses Jahr war ertragreich und die Nachfrage nach unseren Waren ist so groß wie letztes Jahr. Übrigens kommt bald ein Schiff aus Savor an, wenn ich euch also darum bitten dürfte, den Pier schnell freizuräumen?“

    Vom Klemmbrett, auf dem er auf einem Blatt Papier geschrieben hatte, blickte er auf und sah die Erkunder und Lapras eindringlich an. Jimmy und Iro blickten sich empört an, doch Lapras lächelte sanft: „Du hast nicht zufällig schon Alakrates gesehen, oder?“

    „Tatsächlich nein, aber das hat kaum einer vom Hafenviertel in letzter Zeit. Ich glaube, er lässt sich zur Zeit nur selten in Villbénie blicken. Aber wenn man bedenkt, dass es Winter ist …“

    Er hielt inne, seufzte und wandte sich wieder seinem Klemmbrett zu. Er murmelte Worte, mehr zu sich als zu den anderen: „Die armen Schlucker … wo bleibt nur die Eora? … diese Maschok …“

    Er blickte auf und war für einen kurzen Moment verdutzt darüber, dass Jimmy, Iro mit Max auf dem Rücken und Lapras noch da waren.

    „Verzeihung“, sagte er knapp. „Viel zu tun“, und er schritt von dannen.


    „Was war das denn für ein Vogel?“, sagte Iro, der dem Echsen-Pokémon hinterher starrte. Doch Lapras seufzte.

    „Für Leons Verhältnisse war das ein recht produktives Gespräch. Manchmal spricht er mit keinem ein Wort, der mit seiner Arbeit nichts zu tun hat.“

    „Und was für eine Arbeit ist das?“, fragte Jimmy.

    „Logistik“, sagte Lapras. „Er ist der Hauptverantwortliche für den Transport, die Lagerung , die Verteilung von Waren und Gütern jeder Art. Villbénie ist seit dem Ausbruch ein großer Umschlagpunkt für den Warenverkehr aus aller Welt geworden. Ich habe euch vorhin erklärt, dass viele Einwohner von hier aus Kontakte mit aller Welt geknüpft haben. Und auch andersrum haben Handelnde, vor allem solche vom westlichen Kontinent, in diesem Ort eine Möglichkeit gesehen, ihre Ware auch in Ekunda zu vertreiben.“

    „Du kennst dich gut aus“, sagte Jimmy anerkennend.


    „Man bekommt mit der Zeit so einiges mit. Ab und an treffe ich hier Alakrates am Hafen, der gern ein interessiertes Auge darauf wirft, was aus fernen Ländern hier ankommt. Und bei solchen Gelegenheiten reden wir miteinander. Doch wie es aussieht“, und sie ließ etwas betrübt ihren Blick über die Menge an Pokémon schweifen, die geschäftig an ihnen vorbeischritten und dabei sie kaum eines Blickes würdigen. Lapras seufzte.

    „Ich werde noch was warten, bis mich Leon tatsächlich nochmal fortschickt. Vielleicht kommt Alakrates noch hierher …“

    „Sollen wir dann vielleicht auch warten?“, fragte Jimmy besorgt und blickte nervös von einem hochgewachsenen Pokémon zum nächsten. Einige von ihnen trugen ebenfalls elegant geschittene Kleidung und machten eher den Eindruck, als würden sie sich Sorgen darüber machen, dass alles auf dem Hafen seinen richtigen Ablauf hatte. Lapras schüttelte den Kopf.


    „Ihr sucht besser die Hohenross-Straße auf. In dieser habe Alakrates - laut eigener Aussage - nämlich seine Praxis, in der er Patienten versorgt. Die Hausnummer weiß ich nicht, aber vermutlich dürfte sie nicht zu übersehen sein.“

    „Hausnummer?“, fragte Iro verwirrt. Als Lapras ihm zulächelte, glaubte Jimmy, dass sie etwas mit diesem andeuten wollte. Sie erklärte ihnen den Weg und weil Max immer wieder von Iros Rücken wegzugleiten drohte, machten sie sich auf, die Praxis aufzusuchen.


    Und obwohl Lapras sich Zeit genommen hatte, ihnen den Weg zu erklären und dabei diverse Namen von bestimmten Straßen genannt hat, war es doch schwieriger gewesen, sich vom Hafengebiet an in Villbénie zurecht zu finden. Etliche Straßen, die aus Kopfstein statt plattgetretener Erde bestanden, bildeten ein vertracktes Labyrinth und die Straßennamen waren auf so kleinen Schildern geschrieben, dass Jimmy und Iro diese leicht übersahen. Die Häuser, die aus Stein mit Holz als Verstärkungselementen gebaut waren, ragte hoch über sie hinauf und durch schimmernde Fenster konnte Jimmy feingehäkelte Gardinen erkennen.


    Erstaunt waren sie auch über die Menge der Pokémon, die fast allesamt Kleidung trugen. Jene, die in der Lage waren auf zwei Beinen zu stehen, trugen wie Leon Hosen aus edlerem Stoff und auch sie wurden von bunter Mode geziert. Eine große und elegant wirkende Florges trug ein Kleid, das von ihrem blumengestückten Kopf wallend zu Boden fiel. Ein Paar, bestehend aus einem Nidoking und einer Nidoqueen und das Arm und Arm der Straße entlang lief, trugen nur ein Oberteil, da ihre Beine zu dick waren. Als Ersatz dafür trugen sie Hüte, die sie immer wieder antippten, wenn sie andere Pokémon grüßten. Vierbeiner hingegen zeigten ihre Modefarben in Form von bunten und fein gewebten Tüchern, die sie über ihre Oberkörper geworfen hatten. Unter diesen mehr oder weniger chic gekleideten Pokémon fühlte sich Jimmy etwas nackt und entblößt, wie er und Iro zwischen diesen herliefen. Und verstärkt wurde dieser Eindruck auch durch die Blicke, die die Passanten ihnen zuwarfen. Nicht selten konnte Jimmy einen Hauch von Herablässigkeit wahrnehmen.

    Schnell hatten sie die Orientierung verloren. Sie wussten nicht, auf welcher Straße sie sich befanden und die Schilder an den Häusern deuteten nicht ansatzweise daraufhin, dass in ihnen eine Arztpraxis eröffnet hatte. Max stöhnte im Schlaf auf Iros Schulter. Er und Jimmy blickten sich an und beide wussten, dass sie sich beeilen mussten. Jimmy wandte sich an das nächste Pokémon, das sich in ihrer Nähe befand. Es war ein vierbeiniges Hunde-Pokémon, dass ein prächtig gehäkeltes Tuch über den Rücken geworfen hatte. Sein cremefarbenes Fell fiel ihm wie ein langer Schnauzbart zu Boden und als Jimmy mit einem andächtigen Entschuldigen Sie seine Aufmerksamkeit erregte, funkelte es den Erkundern freundlich zu.


    „Guten Tag, die Herren! Yorkshire mein Name, habe die Freude!“, sagte der Hund und nickte den beiden Erkundern zu. Er schien Max nicht bemerkt zu haben.

    „Wir suchen Alakrates‘ Praxis!“, erklärte Jimmy rasch. „Unser Freund ist krank und braucht dringend einen Arzt!“

    Er wies auf Max und das Hunde-Pokémon nahm ihn daraufhin in Augenschein. Sorge ließ sein sonst buschiges Fell erschlaffen.

    „Was fehlt ihm denn?“, fragte er und wandte sich wieder an Jimmy und Iro.

    „Er hat hohes und schweres Fieber“, sagte Jimmy rasch. „Bitte, könnten Sie uns den Weg weisen?“

    „Natürlich!“, sagte Yorkshire und drehte sich auf der Stelle. Er ruckte mit seinem Kopf in Richtung der Straße, die in Richtung des Riesenvulkans führte, der über alle anderen Häuser wie ein riesiger Turm ragte.

    „Ihr geht die Hauptstraße hinauf und die dritte Straße rechts, kurz vor Griffins Federn, führt in die Hohenross-Straße. Alakrates‘ Praxis ist die Hausnummer Drei, aber ihr werdet sie nicht übersehen können!“


    „Vielen Dank!“, sagte Jimmy und bevor Yorkshire noch etwas sagen konnte, eilten er und Iro die Straße hinauf. Kurz darauf sahen sie das Schild eines Schreibwaren-Geschäfts mit Namen Griffins Federn und bogen in die Straße vor diesem nach rechts ab. Sie traten auf eine etwas weniger belebte, aber dennoch geschäftige Straße. Weiter vorne konnte Jimmy die Ausläufer eines großen Platzes erkennen, in dessen Zentrum ein großer Springbrunnen stand. Sein Blick galt dann direkt den Nummern, die an die jeweiligen Häuser angebracht waren.

    Endlich sahen sie Alakrates‘ Praxis. Es war ein hohes Gebäude aus weißem Stein und über dem Eingang hin ein Schild, in das ein Löffel und ein Knochen sich kreuzten. Prompt klopfte Jimmy an der Tür und wartete. Als keine Antwort kam, klopfte Jimmy abermals.

    Dann hörten sie eine vertraute Stimme: „Hallo, die Herren!“


    Sie drehten sich um und sahen Yorkshire von zuvor auf sie zuschreiten. Sein Blick fiel von ihnen auf die Praxis und ein wissender Ausdruck lag in seinen braunen Augen.

    „Ich wollte euch noch erzählt haben, dass Alakrates heute nicht in seiner Praxis zu sein scheint. Doch ihr seid schnell davon geeilt, dass ich keine Gelegenheit mehr hatte.“

    „Wieso ist sie zu?“, sagte Jimmy mit ansteigender Verzweiflung und spähte durch die Fenster in die Praxis in der tatsächlich niemand war. Yorkshire seufzte.

    „Weil ohnehin wenig Patienten hierherkommen und offenbar hält sich Alakrates für zu wichtig, als dass er jeden Tag hier auf Bereitschaft wäre.“

    „Sind so wenige etwa krank?“, sagte Iro verdutzt, doch der Hund schüttelte den Kopf.

    „Das nicht, doch die Bewohner der Stadt sparen vorerst, bevor sie ihr körperliches Leiden von Alakrates behandeln müssen. Ihr müsst nämlich wissen, dass er horrende Summen für selbst die kleinsten Beschwerden verlangt.“


    Eine Weile lang sagte keiner drei Pokémon ein Wort. Ein anderes Gefühl der Beklommenheit stieg in Jimmy hoch.

    „W-Wie viel?“, fragte er Yorkshire düster. Dieser senkte betrübt den Kopf.

    „Ich habe einmal rund fünftausend Pokédollar für das bloße Verschreiben von Augentropfen zahlen müssen. Er hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, mich eingehend zu untersuchen. Er blieb ordentlich auf Abstand und hat eine seiner bevorzugten Ferndiagnosen gemacht, wie er sie nennt. Und – ich hoffe ihr nehmt es mir nicht übel! – ihr beide macht nicht gerade den Eindruck, als könntet ihr euch die Behandlung eures Freundes leisten, wenn er so ein hohes Fieber hat. Das dürfte schon bis zu hunderttausend Pokédollar, wenn nicht sogar noch mehr werden …“


    „Aber!“, rief Jimmy sichtlich entrüstet. „Das kann doch nicht sein, dass Alakrates so viel Geld verlangt? Was ist mit den anderen Ärzten auf der Insel? Wieso geht ihr nicht zu denen?“

    „Tja“, seufzte Yorkshire. „Alakrates ist nun mal der einzige Art der Ascheninsel, der für die Einwohner von Villbénie und für jene auf der anderen Seite gleichermaßen da ist. Gerüchte besagen, dass er selbst dafür gesorgt habe, dass dies auch so bleibt. Nun ja, wahrscheinlich behandelt er die armen Wesen dort auf der anderen Seite gar nicht mal, da sie es sich nicht leisten können … währenddessen wirft unser großartiger einziger Arzt das Geld, das er seinen Patienten abpresst, mit beiden Händen zum Fenster raus. Er lässt sich, wie man hört, teure Weine in sein Haus liefern, diniert in den teuersten Restaurants und kauft mehr an Vorräten ein als er sie für sich bräuchte …“


    Yorkshire blickte die Erkunder an.

    „Tut mir wirklich leid! Ich wünschte ich könnte euch finanziell aushelfen, doch ich selber bin nach meinem letzten Besuch bei Alakrates etwas knapp mit dem Geld, aber das ist für mich schon in Ordnung. Ehrlich gesagt“, und er senkte die Stimme, sodass Jimmy sich zu ihm beugen musste. Der Hund sprach so leise, dass nur die Erkunder ihn hören konnten.

    „Man kann auch zu viel an Geld haben … irgendwann verdirbt es den Geist. Ich hätte jedenfalls nichts dagegen, auch mal was bescheidener zu leben, aber gewiss nicht in solchen Verhältnissen wie jene auf der anderen Seite!“

    Er blickte die Erkunder an, die sich gegenseitig Blicke zuwarfen. Was sollten sie nun tun? Warten und hoffen, dass Alakrates bald in seine Praxis gehen würde?


    „Wissen Sie vielleicht, wo er wohnt?“, fragte Jimmy mit der letzten Hoffnung, die ihm blieb. Und zu seiner Erleichterung nickte Yorkshire.

    „Es heißt, er habe sein Haus auf der Klippe auf der anderen Seite. Doch keiner von Villbénie begibt sich in die Einöde vor den Toren der Stadt. Dort soll es von Halunken, giftigen Tieren und unpassierlichen Wegen so wimmeln. Leute unseresgleichen vermeiden solche Tücken.“


    „Und Leute unseresgleichen“, knurrte Iro und ballte die Faust, worauf Yorkshire ihn verdutzt anblickte, „begeben sich in exakt solche Gegenden, um von dort irgendetwas zu holen oder Verbrecher zu stellen. Kannst du uns den Weg weisen, wie wir in diese Einöde kommen?“

    Der Hund blickte ihn an. Dann wackelte sein buschiger Schwanz kaum merklich und er drehte sich um.


    „Folgt mir, die Herren. Ich werde euch zum Stadttor bringen!“

  • Hallo,


    es spricht für dich, wenn man bereits nach kurzer Zeit wieder in der Geschichte drin ist und das nächste Ziel ins Bewusstsein zurückkehrt. Das Konzept einer Insel, wo sich wohlhabende und arme Städte auf gegensätzlichen Hälfte versammeln, finde ich interessant und ich bin gespannt, in welche Richtung sich das bei dir entwickelt. Mit einem Arzt, der mehr oder weniger für alle Pokémon auf der Insel verantwortlich ist, lässt sich viel anstellen und offenbar bringt Alakrates seine eigenen Probleme mit sich. Übrigens eine schöne Darstellung der Pokémon mit eleganter Kleidung und Schmucktüchern, insbesondere bei Bissbark und Intelleon.


    Wir lesen uns!

  • Part III: Die Ödnis


    Yorkshire führte sie in eine Gegend, die mehr einen Park als eine Stadt darstellte. Hochgewachsene Alleen säumten einen Weg, der mit weißem Kies ausgelegt war, und auf dem frisch gemähten Rasen wuchsen in farbiger Pracht eine diverse Zahl an Blumen. Jimmy hatte das Gefühl, als würde er ein Gemälde vor sich sehen, auf dem Künstler mit großen Streifen kräftigen Grüns und etlichen Farbtupfern sich ausgetobt hatte. Zwei Snobilikat, die mit glänzenden Goldmünzen auf der Stirn mit blasierter Miene ihnen entgegenkamen, machten keine Anstalten des Grußes, als Yorkshire ihnen munter Guten Tag sagte. Bestürzt ah Jimmy den katzenartigen Pokémon hinterher, die mit aufgerichtetem Schwanz in Richtung Stadt stolzierten.


    „Das sind die Catania-Zwillinge. Ihre Eltern vertreiben diverse Arten von Wolle und Garne, die in alle Welt verschickt werden. Sie haben daran ein gewisses Vermögen verdient.“

    „Produzieren sie etwa diese Garne selbst?“, fragte Jimmy erstaunt. Yorkshire schüttelte den Kopf.

    „Sie besitzen lediglich die Räumlichkeiten, in denen andere Hände diese Arbeit übernehmen. Aber sie haben ein unglaubliches Geschick bei Verhandlungen und Akquirierungen neuer Kunden. Die Catanias gehören zu den reichsten Familien von Villbénie und genießen daher ein hohes Ansehen.“

    „Mich wundert es, dass wir in Schatzstadt kaum was von denen mitbekommen …“, murmelte Jimmy.


    Als sie einige Schritte durch den Park gegangen waren, drangen die Töne eines Orchesters an ihre Ohren. Gespannt lauschte Jimmy der Musik, auch wenn er fand, dass sich einige schiefe Töne einspielten.

    „Ah“, sagte Yorkshire munter, der Jimmys Interesse bemerkt hatte. Er nickte sie zu einem Pavillon, dessen Dach über eine hohe Hecke zu sehen war. Als sie diese umgingen, sahen sie auch die Spieler, über die Jimmy ins Staunen geriet. Sie alle waren Flug-Pokémon und es war erstaunlich, wie sie in der Lage waren, die hölzernen mit Saiten bespannten Instrumente mit ihren Flügeln zu halten und zu spielen. Ein schwanenartiges Pokémon sowie eines, über dessen Gesicht und Schnabel eine rote Federmähne fiel, spielten die Geigen. Das zweite hielt grimmig und konzentriert die Augen geschlossen, um sich offenbar auf den Takt der Musik zu konzentrieren. Die Schwänin hingegen spielte ihr Instrument so sicher und elegant, als wäre sie eins mit der Musik geworden. Ein anderer Vogel, der rotes und aschgraues Gefieder und schwarze Flügelspitzen besaß, spielte eine größere Ausgabe der Geigen – ein Cello. Jimmy staunte nicht schlecht, dass der tiefe Klang dieses Instruments sich relativ gut mit denen der zwei Geigen biss. Diese drei Spieler standen hinter dem vierten Pokémon, das schlank und hochgewachsen war wie ein Fasan. Es hatte ein hellgraues Gesicht, dessen Federn ein Herz bildeten, und mit seinen gelben Augen blickte es wachsam und erwartungsvoll die Menge der Pokémon, die wie Yorkshire und die Erkunder stehen geblieben waren, um dem Orchester zu lauschen. Als dieses die ersten Takte gespielt hatte, öffnete es seinen Schnabel und sprach mit einer lieblichen Stimme, die Jimmy selten so gehört hatte.


    Direkt aber wurde klar, dass sie zu singen begonnen hatte, doch es war eine Sprache, die Jimmy nicht erkannte; einen Dialekt oder Akzent konnte er auch nicht ausmachen. Doch der Klang ihres Gesanges übernahm das Sprechen. Die Fasanin sang von Schuld und Leid, welche dann in Freude und Glück umschlug. Dann wurde der Ton wieder ernster und die Fasanin schloss dann nach wenigen Minuten mit rauer Stimme, als würde sie eine Art Unheil prophezeien. Ein Schauer ging durch die Menge der Pokémon, die lauschten, und als das Orchester aufgehört hatte zu spielen und die Fasanin dann ihren Gesang beendete, wurde höflicher Applaus gespendet. Die vier Vögel, die ihre Instrumente abgelegt und sich in Reihe gestellt hatten, verneigten sich tief und der Vogel mit dem grimmigen Gesicht wies mit seinen breiten Flügeln auf einen Beutel, der vor ihnen lag. Nacheinander warfen die Zuschauer mit dankenden Worten Goldmünzen in diesen und machten sich wieder auf dem Weg, entweder weiter durch den Park oder nach Villbénie.


    „Das sind Fasandra und ihre drei Flügel“, erklärte Yorkshire den beiden Erkundern.

    „Sie kommen aus einem fernen Land, wie ihr vielleicht gehört habt. Sie sind aber in vielen Teilen der Welt recht bekannt. Eine wahrhaft begnadete Sängerin ist sie!“, und bei den Worten geriet Yorkshire ins Schwärmen. Jimmy gab ihm stumm recht und wollte sich nach Musikgruppe umblicken, da hörte er ein Stöhnen von Iros Rücken. Peinlich berührt und zutiefst entsetzt erkannte Jimmy, dass er Max zeitweise vergessen hatte. Auch Iro stand das Unbehagen ins Gesicht geschrieben. Auch Yorkshire entschuldigte sich betroffen dafür, dass er sie zeitweise vom Weg abgeführt hatte. Sie beeilten sich und traten wieder auf den Weg, den sie vorher gegangen waren. Yorkshire ging ihnen wieder voraus und er setzte zu einem schnelleren Trab an. Jimmy vermutete, dass er die Zeit wettmachen wollte, die sie vertrödelt hatten.


    Er führte sie an ein hohes Tor, das in einer großen Mauer eingelassen war, die sich bis zum Berg links und bis zum Ozean rechts von ihnen erstreckte. Als sie sich dem Tor näherten, sahen sie hinter den Zinnen der Mauer das Gesicht eines grimmigen Tengulist, dessen Mähne glatt zurückgekämmt war. Und obwohl die Mauer gewiss fünf bis sieben Meter hoch war, sprang es herab und landete mit seinen hölzernen Füßen federnd vor ihnen und beäugte sie misstrauisch. Für Kleidung waren seine Proportionen wohl ungeeignet, was aber auch durch die dünnen Arme mit den breiten Blattfächern als Hände oder die kurzen Beine nicht verwunderlich war. Es trug stattdessen eine reich bestickte Schärpe um seine Brust und von dieser schien es Autoriät zu erhoffen, denn finster und gebieterisch blickte es die Ankömmlinge an.


    „Guten Tag, Alice“, sagte Yorkshire freundlich. Jimmy stutzte und erschrak fast, als das Tengulist trotz aller Wildheit mit einer weiblichen Stimme antwortete: „Hallo, Yorkshire.“

    Jimmys Reaktion entging ihr nicht: „Hast du ein Problem, dass ich eine Frau bin?“

    „Nein!“, rief Jimmy entrüstet und hob verteidigend die Hände. Sie beäugte ihn mit ihren gelben Augen misstrauisch, ehe sie dann Iro in Augenschein nahm, der sich gerade Max auf dem Rücken zurecht rückte.

    „Wie du vielleicht sehen kannst“, erklärte Yorkshire im Versuch, die Lage zu beruhigen, „haben diese Herren einen kranken Freund, der dringend behandelt werden müsste.“

    „Und?“, raunzte Alice, die immer noch Jimmy anfunkelte, worauf dieser eingeschüchtert zu Boden blickte.

    „Es scheint wirklich dringend zu sein und es ist deren Wunsch, dass sie Alakrates in der … du weißt schon … aufsuchen.“

    „Und was wollt ihr von mir?“, fragte Alice abermals und blickte Yorkshire an, dessen Schnauzer zuckte.

    „Du bist die Torwächterin und daher wäre es sehr freundlich von dir, wenn du …“, begann Yorkshire, doch hielt er inne angesichts der Miene, die Alice ihm zuwarf.

    „Die zwei sehen mir nicht danach aus, als könnten sie sich mit dem herumschlagen, was da draußen auf sie wartet“, sagte Alice und warf sowohl auf Jimmy als auch auf Iros Arm einen abschätzigen Blick. Jimmy spürte, wie Trotz in ihm aufflackerte wie ein Feuer und er blickte der Tengulist in die Augen.

    „Wir kommen sehr gut alleine klar!“, sagte er bestimmt. „Dürfen wir bitte durch das Tor passieren? Wir haben es sehr eilig!“


    In dem Moment stieß Max ein leises Stöhnen und Röcheln von sich. Alice und Yorkshire warfen ihm einen Blick zu. Der Hund war nachwievor besorgt und auch Alice schien nun zu erkennen, dass die Lage ernst war. Sie nickte knapp, worauf Yorkshire sich bei ihr bedankte. Mit einem Wedeln ihrer stieß sie sich vom Boden ab und schaffte es mit nur einem Sprung, wieder auf die Mauer zu gelangen, hinter deren Zinnen sie verschwand. Dann erklang ein lautes Klirren und Knarren und das große eichene Tor tat sich einen Spalt breit auf, durch den sie gehen konnten.

    „Passt gut auf euch auf“, sagte Yorkshire, als sich Jimmy ihm dankbar für die Hilfe zuwandte.

    „Das Tor hält Banditen und Gauner davon ab, in unsere Stadt zu kommen. Höchstwahrscheinlich werdet ihr statt wir deren Ziel werden, wenn ihr in die Ödnis schreitet.“

    „Mit solchen haben wir bereits Erfahrung“, sagte Iro mit dem Anflug eines Lächeln. Jimmy fragte sich zwar, wie er mit Max auf dem Rücken und einem bandagierten Arm groß kämpfen wollte, aber diesen Gedanken verbannte er kurzzeitig. Sie verabschiedeten sich von Yorkshire, der sich ebenso für diese für ihn interessante Begegnung bedankte und traten durch das Tor, das sich wenige Augenblicke hinter ihnen wieder schloss.


    Es war eine gänzlich andere Welt. Während auf der anderen Seite in Villbénie das Leben nur so strotzte, war es auf der anderen Seite tot. Nur kahles, dunkelgraues und raues Gestein, soweit das Auge reichte, wie ein weiter Ozean. Links von ihnen, wo es nach der Mauer keine Bäume mehr gab, ragte der Riesenvulkan umso steiler und auch bedrohlicher in den Himmel. Bei dem bloßen Anblick stieg Beklommenheit in Jimmy hoch. Im Schatten eines solchen Monstrums zu leben würde ihm nicht behagen, ganz gleich, ob es erloschen wäre oder nicht. Und zu denken, dass diese Seite der Insel einst von Lava überzogen war. Zwar sind dreißig Jahre seit dem letzten Ausbruch vergangen, doch nur spärlich hatte die Natur das kahle Gebiet wieder in Anspruch genommen. Nur wenige Flecken an Gras bedeckten kleine Flächen dieser sonst so trostlosen Landschaft, durch die die Erkunder schritten. Unweigerlich fühlte sich Jimmy an jene Momente im Geheimnisdschungel erinnert, in dem er an einem ähnlichen Ort aufgewacht war. Kurz zuvor war er von Max und Iro getrennt worden. Erst später hatte er zwar erfahren, dass dieser Ort als die Narbe des Geheimnisdschungels bekannt war, doch sofort, als er in dieser aufgewacht war, hatte er Mitleid und Verständnis für die Abneigung der Einwohner gegenüber seinem eigenen Typ empfunden. Jimmy warf dem Impergator einen Blick zu, der diesen erwiderte. Stumm verstanden sie einander und beschleunigten ihre Schritte.


    Wenig später traten sie in eine Senke inmitten des Gesteins, das seltsame Ähnlichkeiten mit einer Arena hatte. Drei Meter hoch ragte das raue Gestein über ihnen und zwei andere Wege führten aus dieser Senke heraus. Einer, so bemerkte Jimmy, führte offenbar direkt zum Vulkan hoch, während ein anderer in Richtung Meer führte. Jimmy blickte zwischen diesen beiden hin und her. Er wollte schon die Karte herausholen, um zu wissen, wo sie sich befanden und wohin genau diese Wege führten, da durchfuhr ihn ein kalter Schauer und sein Magen verkrampfte sich.

    „Verdammt …“, sagte er.

    „Was ist?“, fragte Iro scharf und ballte bereits seine linke Faust, offenbar in Erwartung, dass sie gleich angegriffen werden würden.

    „Wir haben den Beutel in der Gilde vergessen … mit der Wunderkarte drin …“, sagte Jimmy matt.

    Er mied Iros Blick, den dieser auf ihn herab sandte. Er hörte Iros ungläubiges Schnauben, doch der Alligator sagte dankenswerter Weise kein Wort der Kritik.

    „Sollen wir auf gut Glück einen dieser Wege nehmen?“, sagte Iro dann und näherte sich dann dem, der zum Vulkan hinauf führte. Jimmy überlegte eine Weile und ließ alle verfügbaren Optionen durch den Kopf gehen. Doch schnell musste er zu dem Schluss kommen, dass ihnen nichts anderes übrig blieb.

    Kaum, dass sie beschlossen hatten, diesen Weg hinauf zu gehen, drang ein anderes Geräusch an seine Ohren. Ein leises Scharren, als würden Krallen über das Stein kratzen.

    „Wer da?“, rief Jimmy und ließ seine Hinternflamme wild auflodern. Ihm klopfte das Herz im Hals und er hoffte inständig, dass sie nicht gleich überfallen werden würden. Neben sich hörte er Iros Faust knacken.

    Dann sprangen blitzartig drei Gestalten von oben herab und versperrten ihnen den Weg. Ein Skunkapuh, dessen violettes Fell stachelartig vom Körper abstand, ein skorpionartiges kleines Pokémon mit zwei Greifscheren sowie ein Nidorino, dessen ledriger Körper ebenso in einem tiefen Lila-Ton gehalten war. Alle drei sträubten entweder ihr Fell, klackerten mit ihren Scheren oder fuchtelten wüst mit ihrem Horn auf der Stirn gegen die Erkunder.


    „Ihr kommt nicht weiter!“, sagte dann das Nidorino. „Kehrt sofort um oder wir werden euch angreifen!“

    „Wie bitte?“, sagte Iro dann verdutzt. Der Größenunterschied zwischen den beiden war beachtlich und das machte er dem Nidorino auch klar, indem er bewusst einen Schritt vortrat.

    „Du hast mir nichts zu sagen! Tritt zur Seite, bitte!“

    „Ihr könnt gehen, wohin ihr wollt, aber hier entlang könnt ihr nicht!“, fauchte das Nidorino und trat ebenso einen Schritt vor, das Horn gegen Iros Herz gerichtet. Jimmy fürchtete bereits das schlimmste Szenario einer Eskalation. Sie konnten es sich nicht erlauben, jetzt in einen Konflikt zu geraten, zumal nicht nur Max dringend Hilfe brauchte, sondern Iro selbst einen beachtlichen Nachteil hatte, indem er seinen Anführer auf dem Rücken trug und seinen rechten Arm in einem Gips hatte. Jimmy trat nun selber einen Schritt vor und wollte beschwichtigend auf die drei Pokémon einreden.


    Doch schon schoss das Skunkapuh steife Strähnen seines gesträubten Fells auf Jimmy ab. Ihm blieb in seiner Überraschung kaum Zeit auszuweichen. Zwar entging er den meisten Strähnen, die wie Stacheln ins Gestein hinter ihm schlugen, doch einige von ihnen streiften seinen rechten Oberarm. Von den getroffenen Stellen spürte er ein kribbelndes Gefühl, das sich langsam erst im Arm ausbreitete und dann auf seinen Körper ausging. Dann spürte er ein scharfes Brennen und Jimmy wusste, dass diese Strähnen vergiftet waren. Prompt schlug Iro zu. Er dachte erst nicht daran, seinen linken Arm zu benutzen. Er umhüllte seinen Schweif mit Wasser und schlug gegen die drei Angreifer. Das Skunkapuh und das skorpionartige Pokémon riss es bei dem Aufprall der Wassermengen gegen eine naheliegende Felswand, nur das Nidorino wich dem Nassschweif mit einem geschickten Sprung aus. Mit einem wütenden Schrei stürmte auf Iro zu und sein Horn wirkte umso spitzer und Jimmy sah, wie Tropfen einer grünlichen Flüssigkeit sich von diesem absonderten.

    „Pass auf, Iro!“, wollte Jimmy warnen, doch er keuchte jäh vor Schmerz auf, der nun in seinen Brustbereich gekrochen kam. Doch Iro schien schon zu ahnen, dass das Horn giftig war. Als das Nidorino nur wenige Zentimeter von ihm entfernt war, bäumte er sich auf und schob seinen bandagierten rechten Arm vor. Das Horn traf auf den härteren Gips und ein Geräusch erklang, als würde ein Stein auf einen anderen gehauen werden.

    Sofort sprang das Nidorino verbissen zurück und blickte voller Abscheu auf den Arm. Iro setzte zu einem spöttischen Grinsen an: „Was ist los? Schaffst du es nicht mal, einen Armarmigen zu schlagen?“

    Die Augen des Nidorinos verengten sich und trat abermals zu einem Angriff an. Iro hatte sich vergewissert, dass Max einen Moment lang sicherer auf seinem Rücken lag, und machte seine linke Faust bereit und stemmte sich dem Angreifer entgegen. Doch als die Distanz zwischen den beiden geringer wurde, geschah etwas Seltsames.

    Sowohl Iro als auch das Nidorino verharrten in ihrer Bewegung. Beiden war es anzusehen, dass sie selbst davon überrascht wurden. Eine Art unsichtbare Mauer machte sich zwischen ihnen breit, die beide davon abhielt, aufeinander einzuschlagen.

    „Aufhören, ihr alle!“, rief eine Stimme hinter Jimmy.


    Als er sich umwandte, sah er eine Gestalt, die fast so groß wie er war, auf sie zulaufen. Sie hatte langes, grünes Haar, dass ihr über die Schulter fiel. Wie die Pokémon in Villbénie trug auch sie Kleidung in Form eines Frackes, der in der Bauchpartie mit einem grünen Band geschlossen wurde. Auf der Stirn ihres weißen Gesichts funkelte ein Juwel, das in einer grünlich-blauen Farbe leuchtete. Mit ernster Miene trat sie zwischen die Pokémon, die noch immer wie erstarrt wirkten. Sie machte eine fließende Bewegung mit der Hand und das Juwel auf ihrer Stirn hörte auf zu leuchten. Im gleichen Moment wurden auch Iro und das Nidorino aus ihrer Starre gelöst und das Mädchen blickte beide nun wütend an:

    „Was denkt ihr euch dabei, hier einen Streit anzufangen?“

    „Das war nicht unsere Schuld, Sophie!“, sagte das Nidorino hitzig. „Sie wollten auf den Riesenvulkan hinauf.“

    Sophies Blick verengte sich zu zornigen Schlitzen und sie wandte sich den Erkundern zu.

    „Ist das wahr?“


    „Ja“, sagte Jimmy keuchend vor Schmerz und er musste schnell sein, denn ihre Augen blitzten bedrohlich. „Wir sind auf der Suche nach Alakrates. Weil wir uns nicht auskennen, wollten wir schauen, ob wir ihn oben auf dem Vulkan antreffen können.“

    „Was wollt ihr von meinem Vater?“, fragte Sophie argwöhnisch und beäugte Jimmy und Iro misstrauisch. Dann erst fiel ihr Blick auf Max und jäh verstand sie. Es war erstaunlich, wie schnell sich ihre wütende Miene glättete und sofort ernst und besorgt wurde.

    „Was ist mit dem Reptain?“, sagte sie forsch und trat an Iro heran, um Max näher zu untersuchen. Iro zögerte zunächst, doch auf Sophies Bitte hin drehte er seinen Rücken ihr zu, sodass sie einen besseren Blick auf Max hatte.

    „Wir bringen ihn sofort zu meinem Vater!“, sagte sie dann ernst und alarmiert.


    „Aber Sophie“, sagte das Nidorino baff und warf Jimmy und Iro abermals einen finsteren Blick zu. Doch sie wandte sich ihm zu und ihr Blick war wieder wütend: „Wieso habt ihr sie angegriffen, wo sie doch einen Schwerkranken dabei hatten?“

    Ihr Blick fiel auf Jimmy, der sich seinen rechten Arm hielt. Als Sophie die leichten Kratzer bemerkte, die das Skunpapuh Jimmy zugefügt hatte, trat sie auf ihn zu.

    „Darf ich?“, sagte sie prompt und deutete auf die Stelle, wo der Giftstachel Jimmy berührt hatte. Er fragte sich, was sie vorhatte, doch er nahm die Hand von dem Arm. Sofort legte Sophie ihre weißen Hände auf die Stell und abermals leuchtete ihr Juwel auf, dessen Band in ihr Haar geflochten war. Jimmy spürte eine Art Kälte in seinen Arm fahren und er schauderte. Sofort aber wurde dieser dann warm und auch der Schmerz ließ jäh nach.

    „Das sollte die Vergiftung heilen“, sagte Sophie und löste ihre Hände von Jimmys Arm. Dankbar bewegte er diesen völlig widerstandslos und ohne Schmerzen.

    „Danke“, sagte er, doch Sophie wandte sich dann wieder Iro zu und dieses Mal betrachtete sie seinen bandagierten Arm. Kaum merklich schnaubte sie missbilligend, aber als sie sprach, war ihre Stimme ruhig und bestimmt:


    „Kommt jetzt! Mein Vater wird sich um euren Freund und auch um deinen Arm kümmern!“

  • Hallo,


    die weiteren Eindrücke von Villbénie fügen sich gut in das bisherige vermittelte Stadtbild ein. Besonders amüsant fand ich den Namen Fasandra sowie allgemein die Vorstellung, dass eine Gruppe Vögel Streichinstrumente spielt. Nichtsdestotrotz schaffst du es wie immer gut, Charaktere angemessen zu präsentieren und sowohl Alice als auch Sophie zeigen sich sehr bestimmt. Ich gehe davon aus, dass es sich bei letzterer um Guardevoir handelt und die drei kleinen Racker irgendwie mit ihr befreundet sind. Jedenfalls wirft das alles ein interessantes Bild auf die bevorstehende Begegnung mit Alakrates, nun da seine Tochter mit von der Partie ist.


    Wir lesen uns!

  • Part IV: Der Meisterheiler


    Sophie ging ihnen voran, während Jimmy und Iro sich anblickten. Iro war es anzusehen, dass er mit dem Nidorino noch nicht fertig war, und warf diesem einen grimmigen Blick zu. Weil Max aber in dem Moment sich regte und ein schwaches Stöhnen von sich gab, kamen sie zu der Übereinkunft, dass Max nun absoluten Vorrang hatte.


    Sie führte die beiden entlang des Weges, der zum Meer führte. Recht schnell wurde deutlich, dass sich am Rand der rauen Klippe, die sich steil vom Meer erhob, eine kleine Ansammlung an Lehmhütten mit Strohdächern befand. Aus der Ferne sah Jimmy, wie eine kleine Rauchfahne vom Zentrum dieser Ansammlung emporstieg und wie sich Pokémon, aus der Entfernung größeren Ameisen gleich, um eine Art Lagerfeuer oder Kochstelle versammelt hatten. Doch Sophie nahm wenig später einen Weg, der etwas von diesem Dorf wegführte. Sie stiegen nun einen gewundenen Bergpfad hinauf, der zu einer anderen, von viel mehr rauerem Gestein umrahmten Klippe führte.

    Als der Weg ebener wurde, sahen sie ein zwar kleines, aber recht beeindruckendes Haus inmitten einer Gesteinsformation, die einem fast geschlossenen Ring ähnelte. Es hatte zwei Stockwerke, das Dach war mit roten Ziegel belegt, und Fensterläden aus dunklem Holz befanden sich vor jedem der Fenster, in denen sich der Himmel widerspiegelte. Die Frontseite des Hauses zierte eine fachmännisch gefertigte Veranda, an deren Zaun rote und violette Geranien hingen. Als sie näher traten, bemerkten sie im Halbschatten ein Pokémon, dass in einem schön geschwungenen Schaukelstuhl saß und strickte. Es schien auch sehr in diese Arbeit vertieft zu sein, denn es schaute erst auf, als Sophie und die Erkunder fast die Veranda erreicht hatten. Es erhob sich und trat aus dem Halbschatten hervor. Sein langer weißgrauer Bart kam zuerst ins Licht und direkt darauf folgte der restliche Körper. Ein Juwel wie das von Sophie, nur in einer orangenen Farbe, funkelte auf seiner Stirn.


    „Ah, Sophie! So früh schon zurück? Und wen hast du mitgebracht?“

    Beklommen sah Jimmy zu, wie das Pokémon, das offenbar Alakrates sein musste, mit sehr dünnen Gliedmaßen und Oberkörper auf sie zutrat. Er staunte, dass er sich überhaupt vom Stuhl aufrichten und auf dem Boden stehen konnte. Und Jimmy fiel es schwer, seine Art zu bestimmen. Von der Statur her ähnelte Alakrates einem Simsala und Lapras selbst hat erzählt, dass Alakrates in seinen jüngeren Jahren ein Kadabra war. Doch es war ein Simsala, das Jimmy noch nie zuvor gesehen hatte. Alakrates war wesentlich dünner als seine Artgenossen und auch sein gut ein Meter langer grauer Bart war definitiv einzigartig. Auch schien Alakrates regelrecht älter zu sein, denn als er sich ihnen näherte, traten seine tiefen Falter umso deutlicher hervor. Doch als er erst Sophie liebevoll und dann die Erkunder neugierig mit seinen glänzenden, klaren und blauen Augen anblickte, spürte Jimmy Energie und Kraft von diesen ausgehen. Und als Alakrates Max auf Iros Schultern bemerkte, wischte der Ernst, der in seinen Augen trat, alle Alterserscheinungen von seinem Gesicht.

    „Papa“, sagte Sophie nicht weniger ernst, doch Worte waren nicht mehr nötig. Alakrates hatte schnell verstanden.

    „Schnell, bring ihn in mein Haus, bitte!“, wies er Iro mit scharfer Stimme an. Sophie schritt zügig auf die Haustür und hielt sie den Erkundern offen, die eintraten. Alakrates folgte ihnen und als sie in das Haus traten, wies er zu einer Tür zu ihrer Linken, auf die Sophie rasch schritt.


    Sie traten in ein spärlich eingerichtetes Zimmer. Nur ein Bett sowie ein Schrank und ein kleiner Holztisch mitsamt Stuhl standen hier. Doch die roten Vorhänge, die vom äußeren Tageslicht zu glühen schien, sowie der schneeweiße und saubere Bezug von Decke und Kissen gaben dem Raum einen gemütlichen Eindruck. Sophie deutete auf das Bett und mit ihrer Hilfe legten sie und Iro Max auf das Bett. Jimmy blickte sich um und er stutzte, als er Alakrates mit einigem Abstand zu ihnen im Eingangsbereich des Hauses hantieren sah und wie dieser ab und an mit wachem Blick zu ihnen herüber spähte. Jimmy vermutete, dass er die Enge des Raumes vermied, doch war das nicht zweitrangig, wo Max dringend behandelt werden musste? Ein Scharren verriet, dass Sophie den Stuhl ans Bett gerückt hatte und nun Max eingehend untersuchte.

    Ihn wieder so aus der Nähe zu sehen, wie er schwitzend und schwachatmig da lag, bereitet Jimmy Übelkeit. Sophie ließ ihre weiße Hand zu ihrer Stirn gleiten. Sie berührte mit ihren Fingern das Juwel, worauf dieses aufleuchtete. Als sie dann die Hand nach oben führte, schien das schwache blaue Licht an deren Fingern zu kleben. Dann löste es sich auf und eine drahtige Brille war plötzlich zwischen Sophies Fingern erschienen. Diese legte sie sich auf ihr Gesicht und untersuchte Max eingehend. Sie legte ihre Hand auf Max‘ Stirn, hob seine Augenlider und Arme an.

    „Und, Sophie?“


    Alakrates tauchte nun an Jimmys Seite auf. Um seinen bärtigen Mund hatte ein breites und dichtmaschiges Tuch gewickelt und auch seine dünnen Hände steckten in Handschuhen, die zuvor in heißes Wasser gekocht waren, denn feinster Dampf stieg noch von ihnen empor. Sophie antwortete nicht direkt, sondern hielt ihre Hand unter der Decke auf Max‘ Unterkörper gedrückt. Alakrates‘ Blick glitt über Max‘ Körper wie ein Suchscheinwerfer. Jimmy erinnerte sich, wie Yorkshire ihnen erzählt hatte, dass der Arzt gerne Ferndiagnosen erstellte.

    Sein Blick wurde forsch, als er die kaputten Laubklingen bemerkte, doch er verlor darüber zunächst kein Wort

    „Es ist das Heißkalt-Fieber“, sagte Sophie dann und blickte Alakrates an. Etwas bestimmendes lag in ihrem Blick und Jimmy sah zu dem Simsala hoch, dessen Augen sich aufhellten. Er riss dann das Tuch und die Handschuhe vom Körper und trat nun mit energischem Eifer an Max heran und legte seine Hand auf dessen Stirn


    „Hm … verstehe“, sagte Alakrates und der Glanz seiner Augen war kaum weniger fiebrig als Max selbst. Dann richtete er sich zur vollen Größe auf. Ohne auf die Erkunder zu achten wandte er sich direkt an Sophie: „Bringe bitte seinen Kreislauf genug in Bewegung. Ich bin gleich wieder da.“


    Er sprach dies mit einer Seelenruhe, die Jimmy stutzig machte. War ihm nicht klar, dass Max einen Kampf auf Leben und Tod führte und dass jede Sekunde zählte. Doch Alakrates nahm keine Notiz mehr von ihnen. Obwohl es relativ eng war, glitt er wie ein Blatt zwischen der hünenhaften Gestalt Iros und der offenen Tür hindurch und als Jimmy ihm nachblickte, sah er, wie Alakrates auf einen großen Tisch auf der anderen Seite des großen Raumes schritt, der, wie er nun erkannte, halb Wohnzimmer und halb Arbeitszimmer war. Auf dem Tisch, so konnte er gerade noch erkennen, schimmerten die verschiedensten Apparaturen und zu dessen beiden Seiten standen zwei hohe Regale, die mit vielen kleinen Schubladen ausstaffiert waren. Alakrates ging zwischen diesen Schubladen hin und her, öffnete immer wieder eine neue und schien etwas herauszuholen, während wie von Geisterhand aktiviert die Apparaturen auf dem Tisch zum Leben erwachten.

    Ein hellblaues Schimmern in seinen Augenwinkeln lenkte seine Aufmerksamkeit auf sich. Sofort wandte er sich um und er beobachtete, wie Sophie, die sich wieder zu Max hinabgebeugt hatte, konzentriert ihre Hände auf dessen Brust legte und diese in einer fließenden Bewegung auf und ab führte. Von Max‘ Hals an führte sie ihre Hände über die Brust zu den unteren Körpergegenden und diese Bewegung vollführte Sophie mehrere Male.

    „Ihr habt wirklich Glück“, sagte sie knapp, ohne den Blick von Max abzuwenden. „Papa forscht schon seit Jahren an dieser Krankheit und er glaubt, ein Heilmittel gegen dieses entdeckt zu haben.“

    „Hat er?“, rief Jimmy und vor Erleichterung ließ er sich beinahe gegen den Türrahmen fallen, als Sophie den Kopf schüttelte.

    „Es gab bisher keine Gelegenheit, dieses auszutesten. Papa ist die Rezeptur hunderte von Malen in seinem Kopf durchgegangen und auch ich habe einige Male seine Notizen dazu angesehen. Wir kommen immer zu demselben Ergebnis. Es ist nur …“

    Nun hob sie ihren Blick von Max und spähte an Iro vorbei zu Alakrates, der tief über den Tisch gebeugt war. Jimmy blickte ungeduldig zwischen ihm und Sophie hin und her.

    „Es ist nur so, wir wissen nicht, wie und vor allem ob das Heilmittel bei eurem Freund hier wirkt … es kommt ganz auf seine eigene Anatomie an …“

    „Was könnte denn passieren?“, fragte Iro brummig. Sophie blickte ihn an und es war schwierig, ihre Miene zu ergründen. Doch als sie ihren Blick wieder auf Max senken ließ, deutete sie ein Lächeln an:

    „So wie ich Papa kenne, wird er alle Eventualitäten mit einkalkuliert haben. Wenn das Heilmittel anschlägt, dürften – wenn überhaupt – nur geringe Nebenwirkungen festzustellen sein. Aber eurer Freund wird geheilt sein, das sollte dann in diesem Fall gewährt sein.“

    „Wenn es aber bisher nicht getestet wurde …“, fragte Jimmy zaghaft, doch schon schob sich Alakrates wieder in den Raum. Dieses Mal hielt er in seinen Händen dreierlei an Fläschen. Das eine enthielt eine klarblaue Flüssigkeit, welche wie flüssiges Samt wirkte. Das zweite enthielt eine transparentere rote Flüssigkeit, von der Dampf durch den dünnen Flaschenhals stieg. Und die dritte enthielt eine giftgrüne Flüssigkeit, die wie Schlamm aussah.

    „Wie gesagt, bisher gab es keine Gelegenheiten, weil dies ein sehr seltenes Fieber ist. Wenn es dieses häufiger gäbe, wäre schon viel eher ein Heilmittel sowohl entdeckt als auch getestet worden. Andererseits wäre die Anzahl der Toten dann höher, bis es soweit wäre …“

    Während Alakrates diese Worte sagte, stellte er zwei der drei Fläschen auf den Tisch. Die mit der blauen Flüssigkeit reichte er Sophie, die sie wortlos annahm. Für einen Moment dachte Jimmy, dass sie selbst diese Flüssigkeit trinken sollte. Doch aus ihrem Juwel holte sie einen Holzlöffel, in dessen Vertiefung sie die Flüssigkeit hineinlaufen ließ. Dann verabreichte sie Max diesen Löffel mitten in seinen Mund.


    Nicht nur Alakrates, sondern auch Jimmy, Iro und Sophie selbst, blickten erwartungsvoll auf Max, der mit einem tiefen Glucksen die Flüssigkeit schluckte. Eine Zeit lang passierte nichts, doch dann schlug Max‘ Körper eine Welle und mit einem Mal saß er aufrecht und hustete, was das Zeug hielt. Ein paar mal klang es so schlimm, als würde er gleich sein Mageninneres ausspeien. Doch von Max‘ Husten und Jimmys wütenden und besorgten Protesten ließ sich Alakrates nicht beirren. Mit einem Glimmen in den Augen nahm er nun die Flasche mit der roten Flüssigkeit vom Tisch und trat an Max heran. Er packte seinen Hinterkopf und riss ihn sanft nach hinten und kippte den roten Trank in Max‘ Hals. Iro wollte schon mit erhobener Faust auf Alakrates einstürmen, doch schon breitete sich zwischen ihm und dem Simsala eine unsichtbare Barriere. Sophie hielt die Erkunder in Schach und ihr Blick bedeutete so viel, dass sie jetzt diesem Schauspiel wohl oder übel beiwohnen mussten. Abermals hustete Max, er würgte hin und wieder. Sofort hielt Alakrates einen Eimer, den er soeben unter orangenem Leuchten aus seinem eigenen Stirnjuwel gezaubert hatte, unter Max‘ Mund und dieser schien es als ein willkommenes Angebot anzunehmen. Er reiherte in den Eimer und bei dem Plätschern wurde Jimmy schlecht. Max würgte ein paar Mal, doch dieses wurde immer schwächer. Er richtete seinen Kopf hoch und suchte mit benebeltem Blick den seiner Kollegen.


    „Max! Wie geht es dir?“, rief Jimmy und kletterte auf das Bett, um besser auf Augenhöhe mit Max zu sprechen. Auch Iro trat besorgt heran und blickte seinen Anführer an.

    „Ich … Schlecht …“, keuchte und schluckte Max matt, doch dieses Mal klang er nicht so krächzend und schwach wie in der Gilde. Er lächelte seinen Kollegen zu, dann drehten sich abermals seine Augäpfel nach oben und Max fiel bewusstlos ins Kissen zurück.

    „Max!“, schrie Jimmy verzweifelt. Alakrates legte eine Hand an Max‘ Hals und wartete. Besorgnis stieg in sein Gesicht und er leckte sich nervös seine runzligen Lippen. Dann fuhr er mit der Hand über Max‘ Stirn und dann legte er sie auf seine Brust und wartete.


    „Ja!“, sagte er mit einem mahnischen Glimmen in seinen Augen. „Ich spüre sein Herz schlagen. Seine Temperatur geht auch zurück!“

    Er suchte Sophies Blick, die ihn glühend und mit breitem Lächeln anblickte. Auch Alakrates lächelte breit. Jimmy verstand nur die Hälfte von dem, was Alakrates meinte, so rasch wechselten sich Sorge und Freude in seinem Inneren ab.

    „Was soll das heißen? Wird Max …?“, fragte Iro, der argwöhnisch Alakrates und Sophie anblickte, die ihn anstrahlte: „Eurem Freund wird es wieder besser gehen! Das Heilmittel hat gewirkt!

    „Schade nur“, sagte Alakrates, der mit einem leichten Anflug von Bitterkeit auf ihn hinabblickte. „Ich habe gehofft, dass das Mittel ihn nicht k.o. setzt.“

    „Aber er wird wieder aufwachen, oder?“, sagte Jimmy angespannt. Er hoffte, dass nichts weiteres passieren würde. Doch Alakrates blickte ihn bestürzt an.

    „Natürlich wird er aufwachen! Ich habe nur gehofft, ihm jetzt schon diesen Aufpäppel-Trank zu verabreichen“, und er deutete auf das letzte Fläschen mit der schlammigen grünen Flüssigkeit.

    „Dies sollte bei einem Pflanzen-Pokémon wie ihm die Genesung und Regeneration seiner Laubklingen beschleunigen.“

    Er seufzte, ehe er fortfuhr: „Er muss sich erst etwas ausruhen, ehe er die Lösung trinken kann. Kommt mit ins Wohnzimmer, wir lassen ihn erstmal schlafen.“


    Er hielt den Erkundern und Sophie die Tür auf und trat als letzter aus dem Zimmer. Jimmy warf noch einen Blick auf Max und seine Brust fühlte sich schon viel leichter, als er seinen Freund wesentlich ruhiger und tiefer atmen sah. Dann schloss Alakrates die Tür und Jimmy und Iro folgten ihm in einen kleinen Wohnbereich nicht weit von dem Arbeitstisch. Nahe einem Kamin stand vor einem kleinen Tisch ein rot gepolstertes Sofa mit schlichtem gesticktem Goldgarn. Auf dieses wies Alakrates und Jimmy setzte sich zögerlich hin. Es war schon fast zu weich, denn er sank etwas in dieses ein. Iro schien das Stehen zu bevorzugen und Jimmy dachte sich, dass das Sofa nicht gerade stabil aussah. Sophie setzte sich mit aufgerichteter Haltung auf einen Holzschemel neben einem Schaukelstuhl, dessen Größe danach aussah, als würde dieser bevorzugt von Alakrates verwendet werden. Dieser nun werkelte in einer kleinen Nische in der Wand, zwischen Arbeitstisch und Kamin und Sekunden später hörte Jimmy das Blubbern kochenden Wassers in einem Teekessel. Wenig später trat er mit einem Tablett voller Teetassen an den Tisch und stellte es auf diesen.

    „Ich muss ehrlicherweise gestehen“, sagte er und seine düstere Stimme kündigte ein Unwetter an, „dass ich gerade größte Lust habe, euch diesen Tee auf den Kopf zu gießen …“

    Er blickte hoch in dem Moment, wo Jimmy mit Iro einen verwirrten Blick tauschte. Er nahm seine Tasse und trank den noch heißen Tee in einem Zug aus. Sophie Augen schlossen sich und sie spannte ihren Körper auf dem Schemel an.

    „Um Himmels Willen!“, rief er dann wütend aus, ohne wirklich zu schreien, und schmetterte seine Teetasse auf den Boden, worauf sie in mehrere Scherben zersprang. Jimmy zuckte zusammen und Iro nahm eine halbe Kampfstellung ein.

    „Wie zur Hölle kommt ihr auf die Idee, einen Schwerkranken den ganzen Weg hierher zu schleppen? Mit so einem Fieber ist nicht zu spaßen! Jede Anstrengung kann für euren Freund tödlich sein, das hätte euch klar sein müssen!“

    „Das wussten wir!“, rief Jimmy laut aus. „Doch wir hatten keine Zeit umzukehren, bevor wir auf die Ascheninsel gekommen sind.“

    „Gerade weil ihr nicht von hier seid, hättet ihr euren Freund nicht diese Übersee-Fahrt ertragen lassen sollen“, sagte Alakrates und wieder strahlten seine blitzenden Augen Macht aus, mit denen er die zwei Erkunder wütend anblickte.

    „Ich habe gedacht, Erkunder seien achtsamer, generell vorsichtiger geworden. Aber wie es scheint, hat sich in all den Jahren nichts geändert.“

    „Mach mal einen Punkt!“, knurrte Iro. Sophie, die sich von Alakrates‘ Wut nicht hatte aus der Ruhe bringen lassen, stand rasch auf und funkelte Iro zornig an: „Sprich nicht so mit ihm!“

    „Wir sind gerade dabei gewesen, aufzubrechen“, versuchte Jimmy sich und Iro zu erklären, „da ist Max zu uns …“

    Jäh brach er ab. Er spürte, wie seine Worte nach dem Versuch klangen, die Schuld auf Max zu schieben, und wollte ganz schnell davon loskommen. Alakrates funkelte ihn grimmig an, denn er schien sich das Restliche selbst zusammenzureimen.

    „Ihr wollt mir nicht erzählen, dass es in ganz Ekunda keinen Heiler oder keine Heilerin gibt, die sich um euren Freund hätte kümmern können?“

    „Die Ärztin unserer Gilde hat sich Max angesehen“, erklärte Jimmy. „Doch sie hatte nicht die Mittel oder das Wissen, sich um Max zu kümmern. Knuddeluff hat uns dann gesagt, dass du-“




    „Knuddeluff? Ihr seid von der Knuddeluff-Gilde?“

    Alakrates sprach diese Worte mit einem plötzlich nun begeisterten Funkeln seiner Augen an. Jimmy blickte ihn verwirrt an. Das Simsala nahm eine entspanntere Haltung ein und lächelte Sophie an: „Ich habe dir doch erzählt, dass ich einst dieser Legende von Erkunder über den Weg gelaufen bin, du erinnerst dich?“

    „An den fröhlichen und kauzigen Gesellen, von dem du mir erzählt hast?“, kicherte sie belustigt. Alakrates schmunzelte und wandte sich wieder an die Erkunder: „Wie geht es denn diesem Kauz und Plaudagei?“

    „Gut …“, sagte Jimmy etwas irritiert. Rasch aber fing er sich wieder.

    „Er hat uns jedenfalls gesagt, dass du vielleicht in der Lage wärst, Max zu behandeln. Und Lapras dann …“

    „Lapras kennt ihr auch?“, sagte Alakrates wieder zur Unterbrechung und abermals funkelten seine Augen, die sich dann wieder trübten.

    „Vermutlich seid ihr dann mit ihr auf diese Insel angekommen …“, murmelte er und warf einen Blick nach draußen.

    „Sie wird wahrscheinlich nicht mehr da sein …“, murmelte er mehr zu sich als zu einem der anderen.

    „Seid ihr dann mit dieser Lapras nach Villbénie gekommen?“, fragte dann Sophie, während Alakrates nachdenklich nach draußen blickte. Jimmy nickte.

    „Wieso habt ihr dann nicht die Notglocke der Praxis geläutet, wenn ihr so dringend Alakrates sprechen wolltet?“, fragte sie und legte skeptisch ihre Stirn in Falten.

    „Die was?“, entgegnete Iro. Sophies blaue Augen weiteten sich vor Erstaunen.

    „Die Notglocke“, sagte Sophie und blickte ihn und Jimmy verwirrt an. „Seid ihr etwa in Villbénie nicht Madame Clara begegnet?“

    „Wer soll das sein?“, fragte Jimmy und das leidlich vertraute Gefühl, einen größeren Fehler gemacht zu haben, machte sich in ihm breit.

    „Die Haushälterin meiner Praxis“, sagte dann Alakrates zur Antwort, der aus seinen Gedanken zurückgekehrt war.

    „Die gute Frau … offenbar ist sie eingenickt oder unterwegs gewesen. Ihr standet doch vor meiner Praxis und habt geklopft, oder?“

    „Haben wir“, sagte Jimmy, der sich zurückerinnerte. Dann erinnerte er sich an das, was Yorkshire ihnen erzählt hatte und ein eisiger Griff umfasste sein Inneres.


    „Wir haben kein Geld!“, sprudelte es dann ungewollt aus ihm heraus. Alakrates, der mit einem sanften Schlenker seiner Hand die zerbrochene Teetasse repariert und befüllt hatte, ließ das Getränk langsam herabsenken. Seine blauen Augen bohrten sich in die Jimmys und es war, als würden sie ihn bis auf die Knochen durchleuchten. Er tauschte einen Blick mit Sophie, ehe dann – zu Jimmys und Iros großer Verwunderung – beide anfingen zu lachen.

    „Was …?“, sagte Jimmy und blickte zwischen den beiden hin und her. Sophie war die erste, die sich wieder fasste.

    „Macht euch mal keine Sorgen!“, sagte sie kichernd. „Euch werden wir nichts berechnen.“

    „Aber …“, sagte Jimmy verdattert, der Alakrates anblickte, ganz so, als erwartete er doch, wie dieser jeden Moment eine lange Rechnung mit einer horrenden Summe hervorholen würde.

    „Yorkshire hat uns gesagt, dass …“

    „Der Gute!“, gluckste Alakrates. „Sophie, erinnere mich bei Gelegenheit daran, seinem Geschäft einen größeren Einkauf zu erstatten.“

    Er wischte sich mit seinen Krallen die Augen und zum ersten Mal, seit Jimmy und Iro in sein Haus eingetreten waren, ließ er sich mit dem Tee in der Hand in den größeren Schaukelstuhl fallen.

    „Für die Bewohner von Villbénie gilt was anderes, da bin ich gerne bereit, etwas mehr Geld von ihnen zu verlangen als es ein anderer Heiler oder eine andere Heilerin tun würde. Bei ihnen denke ich mir, dass es, so gut wie ihre Geschäfte laufen, auf Dauer kein Nachteil ist.“


    Unwillkürlich ließ Jimmy seinen Blick durch das Erdgeschoss gleiten. Yorkshire hatte ihnen beschrieben, wie Alakrates sich allerlei Luxus gönnen würde. Doch als er sich so umblickte, bemerkte er, dass das Haus recht bescheiden eingerichtet war. Tatsächlich waren die roten und mit Gold bestickten Kissen das Sofas die einzigen Dinge, die von einem eventuellen Luxus sprachen. Doch dann sah Jimmy die Treppe schräg gegenüber, die in das obere Stockwerk führte, und jäh kam ihm der Gedanke, dass Alakrates oben jeglichen Reichtum hortete. Alakrates lächelte und Jimmy bemerkte betreten, dass dieser seinem Blick aufmerksam gefolgt war.

    „Ich sehe, die alten Gerüchte über mich bestehen noch immer …“, sagte Alakrates vergnüglich und er tauschte mit Sophie einen vielsagenden Blick.

    „Ich sage nicht, dass mein Preis-Leistungs-System moralisch vertretbar sei …“, erklärte er den Erkundern. „Doch Villbénie ist tatsächlich derartig gesegnet, dass jegliche Verluste so schnell ausgeglichen sind. Bei anderen bin ich nicht so streng. Schließlich bindet mich mein Eid.“

    „Eid?“, fragte Iro skeptisch.

    „Jedes Pokémon zu heilen, dass in irgendeiner Art und Weise medizinische Hilfe benötigt; wofür es eigentlich nicht mal eines Eides bedarf …“, sagte Alakrates und ein Hauch von Bitterkeit lag in seiner Stimme. Er schüttelte aber sofort wieder seinen Kopf und wandte sich nun mit fachlichem Interesse Iro zu: „Wie geht es deinem Arm denn?“


    Verdutzt blickte Iro auf die Bandagen, die seinen rechten Arm umfassten. Weil zum ersten Mal seit geraumer Zeit die Blicke aller Anwesenden auf diesen ruhten, fiel Jimmy mit einem leichten Ekelgefühl auf, wie schmutzig und verwittert diese aussahen. Einstmals weiß waren sie nun von etlichen gelben, braunen und schwarzen Streifen durchzogen und feine Risse haben dafür gesorgt, dass einzelne Fetzen sich gelöst und in die Luft standen. Alakrates‘ Blick verfinsterte sich und er stand von seinem Stuhl auf.

    Er trat auf Iro zu und nach einem stummen fragenden Blick von Alakrates hielt dieser seinen rechten Arm hoch. Wie schon bei Max wurde dieser eingehend untersucht. Alakrates hielt seine Hand über den Bandagen und die Luft zwischen Hand und Arm flimmerte. Er ließ seine Hand über den ganzen Arm fahren und während er dies tat, murmelte er interessierte Laute vor sich hin.

    „Dieser Arm … war mal zur Gänze zersplittert?“, sagte dann Alakrates, ohne den Blick vom Arm abzuwenden.

    „Ja“, brummte Iro knirschend.

    „Verstehe … wie lange ist es her?“, sagte Alakrates unbeeindruckt.

    Iro schien zu überlegen, dann sagte er: „Ich denke, eine Woche“.


    Alakrates und auch Sophie blickten auf und in beiden Gesichtern stand der Unglaube geschrieben.

    „Das kann nicht sein“, sagte Sophie und trat ebenso an Iros Arm heran. Der Alligator wechselte einen genervten Blick mit Jimmy, der die Schultern zuckte.

    „Eine Woche …“, sagte Alakrates, in Gedanken vertieft, und betrachtete den Arm eingehend. Iro sah ganz danach aus, als würde diese Aufregung um sein Körperteil ihn nur noch nerven.

    „Und du bist nicht gerade ruhig daheim geblieben, habe ich recht? Wenn ich mir die Bandagen so ansehe … wobei, die Arme eures Freundes sahen auch nicht gerade gut aus …“

    Er wechselte einen prüfenden Blick mit Jimmy, ehe er sich wieder dem Arm zuwandte. Jimmy war sich aber sicher, dass Alakrates „diese Ungestümengeflucht hatte.

    „Dafür ist er ziemlich gut verheilt“, sagte Sophie, nachdem auch sie mit ihren Händen Iros Arm genauer untersucht hatte. „Wie hast du es hinbekommen? Wer hat dir die Bandagen angelegt?“

    „Palimpalim, die Ärztin der Gilde“, antwortete Iro mit der Miene eines Pokémons, der eine unangenehme Angelegenheit schnell hinter sich bringen wollte.

    „Hm …“, gab Alakrates von sich. „Ja, Pokémon des Typs Psycho sind wahrhafte Naturtalente darin, Knochenbrüche zu heilen. Doch selbst bei einem zersplitterten Arm wäre das Wachstum nicht derartig vorangeschritten … Hast du irgendetwas zu dir genommen seitdem, außer dem, was ein Impergator wie du isst?“

    „Nein“, sagte Iro zuerst, dann aber hielt er inne. „Nun, vielleicht ein Glas Milch, das eine Freundin mir gegeben hat. Sie hat gemeint, das würde den Knochen helfen.“

    „War diese Freundin zufällig ein Miltank? Eines mit einem Bewusstsein?“, fragte Alakrates beharrlich, worauf Iro ein genervtes Ja von sich gab.

    „Hm …“, brummte Alakrates und abermals lag ein fiebriger Glanz in seinen Augen.

    „Diese Miltank würde ich zu gerne mal kennenlernen. Ich arbeite schon länger an der Hypothese, dass die Milch von Miltank mit Bewusstsein sich in ihrer Zusammensetzung generell von der Milch unterscheidet, die wilde Miltank abgeben. Dass es auf entsprechende Lebensweisen ankomme oder wie Hormone innerhalb von Miltank zum Zeitpunkt der Abgabe ausgeschüttet werden, wenn sie bestimmte Emotionen durchleben. Und die Biografie, die so grundsätzlich anders als die von wilden Miltank ist. Die Nahrungsaufnahme von wilden und solchen mit Bewusstsein, darüber könnte man auch Bände schreiben. Neulich habe ich nochmal gelesen, dass-“




    „Vater“, sagte Sophie mit belustigter und strenger Miene. Alakrates lief rot an, räusperte sich und entfernte seine Hand von Iros Arm.

    „Dein Arm macht jedenfalls einen guten Eindruck für die eine Woche, in der er sich befindet. Diese Palimpalim hat sehr gute Vorarbeit geleistet und die Milch deiner Miltank-Freundin hat sehr gute Eigenschaften gehabt, dass dein Arm bereits so gut verheilt bist. Wenn du magst, kann ich den Rest gerne übernehmen.“

    „Rest?“, sagte Iro und blickte verdutzt auf. Alakrates lächelte.

    „Verzeih, wenn es mir an mangelnder Bescheidenheit an der Stellen fehlen sollte, doch ich verfüge über genug Geschick, um die letzten Reste deines Armknochens wieder zusammenzufügen, sodass dieser bald vollkommen einsatzbereit ist. Wenn du aber willst, dass ich nur den Verband wechsle, dann könnte ich-“

    „Mach es dann bitte!“, sagte Iro energisch und hielt ihm den Arm hin. Sophie und Alakrates tauschten verdutzte Blicke.

    „Ich muss dich warnen, die von mir geleitete Prozedur wird sehr schmerzhaft werden. Es sollen um die siebzig lose zusammengefügten Splitter deines Knochens wieder zusammengefügt werden.“

    „Mir egal!“, sagte Iro eindringlich.

    „Iro, bist du sicher, dass du-“

    „Ich bin mir sicher, Jimmy!“, entgegnete Iro mit Blick auf Alakrates, der daraufhin die Schultern zuckte.

    „Dann müsste ich dich darum bitten, still zu halten.“


    Und damit hob er zwei Finger hoch, der Spitzen leuchteten. Mit diesen durchtrennte er die Bandagen, unter denen ein wesentlich dünnerer rechter Arm Iros lag. Ein beißender Geruch nach Moder und Schweiß stieg Jimmy in die Nase, die er sich hielt. Iro blitzte ihn verärgert an, während Alakrates und Sophie keine Reaktion zeigten. Das Simsala nahm mit der einen Hand Iros Arm, während er die Finger seiner anderen Hand mehrmals krümmte.

    Nachdem er und Iro sich stumm einander zugenickt hatten, fing Alakrates dann an. Er setzte an der Beuge von Iros Arm an und seine Hand leuchtete gelb auf. Jimmy hörte ein Knirschen und Beben und er wusste, dass Iro mit den Schmerzen kämpfte, während Alakrates mit seiner Hand langsam den Arm entlang fuhr. Iro stieß dann ein ohrenbetäubendes Brüllen aus und gewiss hätte er sich angesichts der Schmerzen gekrümmt und wild um sich geschlagen, doch Iro schien in seinen Bewegungen erstarrt. Jimmy sah dann, wie Sophie mit vor Konzentration verzerrter Miene die Arme vor Iro hielt und ihn somit in Schach hielt. Alakrates ließ sich von dem Kampf um ihn herum nicht beirren, er murmelte unverständliche Worte vor sich hin, während er mit seiner Hand schon die Hälfte von Iros Arm behandelt hatte.

    Und dann dauerte es nicht mehr lange. Alakrates, der endlich bei Iros Handgelenk angekommen war, löste seine Hand vom Arm und auch Sophie löste schwer keuchend die Ganzkörper-Sperre, die sie auf Iro gelegt hat. Iros Gebrüll wich einem langgezogenen Stöhnen und er selbst kippte nach vorne und fing sich zunächst nur mit dem linken Arm auf. Als er dann mehrmals schwer geatmet hatte, betrachtete er das Ergebnis von Alakrates‘ Werk dicht vor seinen Augen. Sein Arm war ziemlich dünn geworden, während es vom festen Gips umwickelt war. Und das Hochhalten von diesem schien von Iro eine gewisse Anstrengung zu erfordern, denn der Arm zitterte heftig. Iro keuchte angestrengt und fokussierte seine grimmige Miene auf seine Hand. Erst zuckten die Spitzen einzelner Finger, dann schaffte Iro es unter schweren Atemzügen, seine rechte Hand zur Faust zu ballen. Mit dem nächsten Keuchen mischte sich dankbare Freude in Iros Stimme und zitternd stand er auf. Langsam, sehr vorsichtig, bewegte er seinen nun freien rechten Arm, beugte und streckte ihn. Alakrates betrachtete zufrieden diese Bewegung und auch Sophie lächelte erleichtert.


    „Ein paar Tage lang sollte er nicht belastet werden, sonst geht alles wieder von vorne los“, ermahnte er Iro streng, der aber angesichts seines befreiten Armes nicht zuzuhören schien.

    „Iro stellt sich gern bei sowas taub, ganz gleich, was du ihm rätst, Alakrates“, sagte Jimmy vergnügt. „Er ist gern was draufgängerisch und schlägt weise Ratschläge in den Wind.“

    „Ich hätte große Lust, dir mit dieser Faust etwas Weisheit einzubläuen!“, sagte Iro knirschend und wedelte mit seinem rechten Arm. Beide grinsten sich an und in dem Moment knurrte beiden der Magen.

    „Nun, das war auch gewiss viel Aufregung für euch jetzt“, sagte Alakrates und klatschte in die Hände. „Leider bin ich ein sehr miserabler Koch, was das betrifft, doch ich kenne jemanden, der könnte uns allen gerade ein Festessen bereiten!“

    Er schritt zu einem Schrank unterhalb des Kochfeldes in der Nische und holte einen prall gefüllten Sack hervor, von dem allerlei an Dürften ausging. Offenbar war er mit Essen gefüllt.

    „Ich bleibe hier und habe ein Auge auf Max … das war doch sein Name, oder?“, sagte Sophie, die sich wieder auf den Stuhl sinken ließ.

    „Schließlich muss er noch seine Chlorophyll-Lösung noch bekommen, sobald er aufwacht.“

    „Eine gute Idee, wobei ich es schade finde, dass du gerade nicht mitkommst“, sagte Alakrates und blickte seine Tochter betrübt an. Diese aber lächelte: „Ich komme nach, sobald ich mich davon überzeugt habe, dass es Max gut geht. Ich habe ohnehin hier noch etwas zu arbeiten.“

    „Aber überarbeite dich nicht, Sophie. Verstanden?“, sagte Alakrates und blickte sie skeptisch an, was sie aber mit einem spielerischen Winken abtat. Sie sah zu, wie die Erkunder Alakrates‘ Bitte folgten, den Essenssack auf sich zu laden, da er für ihn offenbar zu schwer war, und musste lachen.

    „Du bist ein Psycho-Pokémon, Papa!“


    „Stimmt!“, sagte Alakrates verlegen und er schnippte mit seinen Fingern, worauf der Sack brav neben ihm in der Luft schwebte. Er wandte sich dann an die beiden Erkunder, die einen skeptischen Blick auf die Tür warfen, hinter der Max schlief: „Sophie wird sich gut um euch kümmern. Und wenn ich das Knurren eures Magens richtig deute, wird es Zeit, dass sich Pompei um euch kümmert!“

  • Hallo,


    die bisherigen Erzählungen haben erahnen lassen, dass Alakrates einen sehr eigenwilligen Wesenszug besitzt. Tatsächlich ist es dir gelungen, ihn auf viele verschiedene Weisen glaubwürdig zu porträtieren, sodass er mitunter einer deiner vielseitigsten Charaktere bisher geworden ist. Auch seine Motivationen wurden gut integriert und machen angesichts des Reichtums in Villbénie Sinn. Gleichzeitig frage ich mich, ob Max tatsächlich sofort wieder zu Kräften kommen wird oder ob Nebenwirkungen eintreten werden. Das Arzt-Duo kennenzulernen hat jedenfalls Spaß gemacht und ich freue mich nun sehr darauf zu sehen, wie es weiter geht. Immerhin gibt es noch ein Essen zu verdrücken.


    Wir lesen uns!