Ich möchte mit euch über ein Thema sprechen, das ich für wichtig und medial unterrepräsentiert halte: Kolonialismus. Denn Kolonialismus hat bis heute starke Auswirkungen auf Politik und Weltgeschehen und es ist wichtig, ein Verständnis dafür zu haben wieso.
Was ist Kolonialismus?
Fangen wir mit einer wichtigen Frage an: Was ist Kolonialismus eigentlich? Nun, prinzipiell beschreibt es eigentlich die „Politik“ auf fremdes Land zu gehen und dort eine Kolonie aufzubauen unabhängig davon, ob dieses schon besiedelt ist oder nicht. Kolonialismus gab es durch die gesamte Menschheitsgeschichte, da sehr oft, wenn ein Reich irgendeiner Form (man denke nur an die Römer) sich weiter ausgebreitet hat und neues Land für sich beanspruchte, eine Form von Kolonialismus vorlag.
Mit Columbus und seiner mehr oder minder Entdeckung von Land, wo bereits Menschen lebten,
fing das Zeitalter des Kolonialismus an.
Sprechen wir heute aber von Kolonialismus, sprechen wir meistens von der Periode zwischen 1690 und 1950, in der europäische Mächte (Großbritannien, Spanien, Portugal, Frankreich, Italien, Niederlande und Deutschland in erster Linie, später auch die USA, die ihrerseits von europäischen Menschen geführt wurden) praktisch den Rest der Welt zwischen sich aufteilten. Dies begann mit der Entdeckung der amerikanischen Kontinente und dem folgenden Rennen, diese zu besiedeln, breitete sich aber später auf den Rest der Welt aus. Da Europa in vielen Fällen einfach die fortschrittlichere Waffentechnologie hatte, konnten sie einfach in fremde Länder einmarschieren und sie als ihres erklären.
Kolonialismus und Genozide
Was wichtig zu verstehen ist, dass der Kolonialismus in vielen Fällen mit Genoziden daher ging. Sowohl absichtliche Genozide, als auch welche, die einfach nur billigend in Kauf genommen wurden. Dies fing mit dem Genozid der indigenen amerikanischen Bevölkerung an. Bereits Kolumbus tötete viele der Taino, die auf den Inseln, die er eigentlich entdeckte, lebten – während viele der anderen Taino durch europäische Krankheiten, gegen die sie keine Abwehrkräfte hatten, zu Tode kamen. Dasselbe setzte sich auch auf dem amerikanischen Festland fort: Viele indigene Menschen starben durch Krankheiten. Die überlebenden wurden teilweise in Auseinandersetzungen umgebracht, teilweise vom Land vertrieben. (Man weiß heute nicht, wie hoch die Bevölkerungszahlen der Amerikas vor europäischen Kontakt waren. Aber einige Schätzungen gehen davon aus, dass durch die europäische Besiedlung direkt oder indirekt bis zu 90 Millionen Menschen ums Leben kamen.)
Dann folgte eben noch die Sklaverei, bei der über 12 Millionen Sklaven von Ost- und Zentralafrika größtenteils nach Amerika gebracht wurden, um dort auf den Feldern zu arbeiten. Allein über 2 Millionen starben bei der Überfahrt, noch mehr wurden zu Tode gearbeitet. Wer überlebte, überlebte halt versklavt. Dies hatte ebenfalls tiefgehende Folgen auf die afrikanische Diaspora.
Ähnliches wiederholte sich auch anderswo. Wie gesagt: Am Ende war beinahe die ganze Welt zwischen einigen europäischen Mächten aufgeteilt.
Die Cree waren ein Volk, das von seiner Land vertrieben
wurde. Das Bild stammt von einer Gedenkstädte in Oklahoma.
Menschliche Folgen
Bis heute halten davon verschiedene Folgen an. Ein Teil dieser Folgen sind menschlich, ein anderer Teil politisch – selbst wenn sich beides nie gänzlich voneinander trennen lässt.
Zu den menschlichen Folgen gehört, dass bis heute viele Menschen, die Nachkommen von ehemaligen Sklav*innen sind in Armut leben, besonders in den Amerikas, da das Ende der Sklaverei leider nicht zur erhofften Gleichstellung führte, sondern zu einer gesellschaftlichen Teilung zwischen schwarzen und weißen Menschen, bei der weiterhin gegen Schwarze diskriminiert wurde. Diese Diskriminierung ist teilweise bis heute sogar noch gesetzlich spürbar.
Ebenso leben bis heute viele indigene Menschen spezifisch in den USA und Kanada, aber auch in anderen Kolonialgebieten, wie bspw. Australien und Neuseeland, in Reservationen, in die sie während der Kolonialzeit umgesiedelt wurden. Diese Reservationen haben teilweise bis heute keinen Zugang zu verlässlicher Strom- und Wasserversorgung und sind nicht selten im Vergleich zum umliegenden Land verarmt, da ihnen weniger staatliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Auch sind durch die Umsiedlung in Reservationen viele Kulturen von Land getrennt worden, dass ihnen einstmals heilig war.
Rassismus in seinen verschiedenen modernen Formen ist ebenfalls eine direkte Folge aus kolonialistischen Ideologien wie „Die Bürde des weißen Mannes“, die eine moralische Verpflichtung für weiße Menschen sahen, den Rest der Welt zu kolonialisieren, da sie ja fortgeschrittener seien und diesen Fortschritt (am besten gemeinsam mit dem Christentum) zu anderen Kulturen bringen sollten.
Die politischen Folgen
Aber auch politische Folgen sind bis heute zu spüren. Diese fangen damit an, wo verschiedene Grenzen verlaufen. Verschiedene Konfliktregionen der Welt sind eine direkte Folge des Kolonialismus. Nennenswert ist hier zum Beispiel der nahe Osten, der durch die Sykes-Picott-Absprache aufgeteilt wurde, ohne auf Grenzen zu achten, die sich durch natürliche Besiedlung und kultureller Grenzen ergaben. (Die Grenzen im nahen Osten wurden von weißen Menschen ohne Abspreche mit lokaler Bevölkerung gezogen.)
Ähnlich sieht es bspw. mit der Konfliktregion Indien-Pakistan aus. Indien, Pakistan und Bangladesh waren historisch gesehen mal ein Reich, mal eine Anzahl unterschiedlicher Königreiche. Dann kamen die Briten, haben es zur Kolonie gemacht und ausgebeutet … bis sie kein Geld mehr hatten, abgezogen sind und beschlossen haben, dass es absolut nicht sein kann, dass Muslime und Hindus in einem Land leben, weshalb sie einfach grob an Ballungsräumen orientiert die Länder getrennt haben. Auch dies sorgt bis heute für Konflikte.
Und vergleichbar sah es auch in Afrika aus: Afrika wurde besiedelt. Dann kam der zweite Weltkrieg und die Kolonialmächte hatten auf einmal kein Geld mehr. Es wurden Grenzen gezogen und so neue Länder erklärt, die auch wenig Finanzen und Infrastruktur hatten – und nicht selten von Marionetten europäischer Mächte geführt wurden. Auch hier sind viele Konflikte und politische Instabilitäten durch die Grenzen begründet.
Auch gibt es Länder, wie Hawai'i, die bis heute technisch gesehen noch besetzt sind.
Die Frage nach Reperationen
Bis heute gibt es eine unbeantwortete Frage: Nämlich die nach Reperationen. Das gilt sowohl für diverse indigene Gruppen, als auch für die Nachkommen von Sklav*innen.
Die Idee ist an sich folgende: Sowohl indigene Gruppen (speziell, aber nicht ausschließlich in Reservationen), als auch schwarze Menschen (hier speziell in den USA) sind durch Folgen von Kolonialismus, Sklaverei und Zwangsumsiedlung ärmer als der Durchschnitt der jeweiligen Bevölkerung und zudem strukturell benachteiligt. Es gibt daher schon sehr, sehr lange (seit es passiert ist, effektiv) Diskussionen, dass von den beteiligten und profitierenden Staaten Reperationen gezahlt werden sollten. Das heißt es es wird Summe X aus der Staatskasse auf die entsprechenden Bevölkerungsgruppen aufgeteilt. Wie … das ist die andere Frage. Denn bis heute wurden so gut wie keine Reperationen gezahlt. Weder an indigene Menschen, die von ihrem Land vertrieben wurden (das ihnen bestenfalls für einen Spottpreis abgekauft wurde), noch an die ehemaligen Sklav*innen, bzw. an ihre Nachkommen. Weder in den USA, noch Kanada, noch in anderen Ländern.
Die Frage kann auch gestellt werden, ob nicht auch auf Länderebene in gewissen Weiten Wiedergutmachungen gezahlt werden sollten – das heißt Gelder, die ohne Bedingungen kommen. Bspw. an Indien, Pakistan oder auch die afrikanischen Nationen gezahlt werden sollten.
Neokolonialismus
Und wo wir bei Geldern sind, sind diese eine gute Überleitung zum Thema des Neokolonialismus.
Neokolonialismus beschreibt modernen Kolonialismus, der mehr auf Basis von Geldern und Gütern, als auf der Basis der Besiedlung funktioniert – jedoch dieselben Machtverhältnisse, wie klassischer Kolonialismus. Es streiten auch manche Leute ab, dass es eine Form von Kolonialismus sei.
Meist läuft Neokolonialismus so ab: Ein ärmeres Land braucht Geld, bspw. für die eigene Infrastruktur. Ein reicheres Land, nicht selten eine Kolonialmacht (es können manchmal aber auch Firmen sein) bietet Geld oder andere Sachhilfe, im Tausch gegen exklusiven Zugriff auf irgendwelche Ressourcen, wie Bodenschätze an. Das ärmere Land geht den Handel ein, verliert damit aber selbst den (vollständigen) Zugriff auf ggf. wertvolle eigene Ressourcen. Darüber hinaus kann die Hilfe auch an andere Bedingungen geknüpft sein. Bspw. politische Bedingungen, wie das adaptieren bestimmter gesellschaftlicher und politischer Systeme, den Verkauf bestimmter Güter im Land oder ähnliches. In manchen Fällen nehmen die ärmeren Länder auch Schulden auf und verpflichten sich gegenüber den anderen Ländern damit langfristig.
Dekolonialisierung
Zuletzt möchte ich noch mit euch zwei Konzepte besprechen: Dekolonialisierung und Indigenisierung.
Dekolonialisierung beschreibt die Rückgängigmachung – soweit möglich – von Kolonialismus. Das muss nicht zwangsläufig heißen, dass Leute, die ggf. seit Generationen in einem Land wohnen, nach Europa zurück sollen, sondern dass die Macht im Land wieder an die ursprünglichen Bewohner fällt. Es könnte auch heißen Grenzen neu zu ziehen anhand von ehemaligen Gebietsgrenzen, wo Völker gelebt haben. Auch Reperationen können Teil der Dekolonialisierung sein.
Ebenso bedeutet Dekolonialisierung auch, zu erkennen, wie viel von unserem denken von kolonialen Mustern geprägt ist, und dagegen anzukämpfen.
Dazu kommt das Konzept der Indigenisierung. Dies bedeutet, dass indigene Völker, die im Rahmen einer etwaigen Dekolonialisierung wieder Zugriff auf ihr ursprüngliches Land erhalten, ihre ehemalige Kultur wieder aufleben lassen, eigene Schulen bauen und soweit überliefert ihre eigene Religion und Sprache wieder einführen. (Man bedenke, dass viele indigene Völker teilweise bis in die 90er noch ihre Kultur nicht ausleben durften!)
Wer mehr über das Thema lesen möchte: Leider gibt es wenige ausführliche deutsche Onlinequellen, die auf wirklich alle Kolonialgebiete eingehen. Ich habe allerdings aus englischen Quellen in meinem Weblog eine historische Übersicht (1, 2, 3) mit Hilfe zweier Historiker*innen aus meinem Freundeskreis geschrieben.
Leitfragen
Zum Einstieg in dieses Thema ein paar Leitfragen:
- Wie viel habt ihr über den Kolonialismus gelernt?
- Wie viel wisst ihr über deutschen Kolonialismus?
- Habt ihr schon einmal über den Einfluss von Kolonialismus auf euer heutiges Leben nachgedacht?
- Wie denkt ihr über Kolonialismus?
- Glaubt ihr, es wäre angebracht, wenn sich kolonialisierende Nationen für Taten im Rahmen des Kolonialismus entschuldigen?
- Was haltet ihr von dem Konzept Reperationen? Sollten Reperationen gezahlt werden?
- Denkt ihr, es wäre besser, bestimmte Länder dazu anzuhalten, ihre Grenzen neu zu ziehen oder Länder, die dies wollen (bspw. Somaliland und den Nachbarländern) dies zu erlauben und sie dabei zu unterstützen?
- Was denkt ihr über Neokolonialismus?
- Haltet ihr Dekolonialisierung für sinnvoll? Haltet ihr sie für möglich?
- Wie denkt ihr über Indigenisierung?