Blätterhaufen

Wir sammeln alle Infos der Bonusepisode von Pokémon Karmesin und Purpur für euch!

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  • Hallo,


    einen Pokémon-Bezug hatte ich bei Gescheitert nicht angenommen. Generell lässt sich das wohl auf jede Situation runterbrechen, in der ein Team dem anderen unterlegen ist, wobei ich schon eine Sportart vor Augen hatte.


    Jedenfalls, neues Werk: Ich muss zugeben, dass ich bei Evoli mit einer direkten Entwicklung zu der einen weisen Evoli-Entwicklung gerechnet hatte. Dass du dabei den Geist-Typ eingebracht und mit einer Legende verwoben hast, macht es sehr kreativ und spannend, diese Entwicklung zu erhalten. Andererseits lässt du offen, warum sie bisher nicht öfter gesehen wurde. Vielleicht war es bei der Hütte einfach sehr schön.


    Wir lesen uns!

  • Ich werde auf den Kommentar beim nächsten Update eingehen, jedoch fehlt mir leider gerade die Zeit. Tut mir leid.



    Die Stille und Dunkelheit um mich herum sind gespenstisch. Kein einziger Laut ist zu hören, kein noch so kleiner Lichtstreifen zu sehen. Auch mein Geruchssinn kann mir nicht weiterhelfen. Ich bin einfach irgendwo im Nirgendwo, hier ist nichts und so fühle ich mich auch. Wie ein Nichts, das nie existierte. Ich weiß nicht einmal, ob ich noch lebe oder was passiert ist. Wer bin ich und was bin ich? Aus welchem Grund bin ich nun hier - wo auch immer dieses Hier ist? Noch dazu fühle ich außer dieser Ratlosigkeit nichts Anderes. Als wäre ich wirklich ein Teil dieses Nichts.

  • Ursprünglich für die erste Schreibturnierrunde 2022 verfasst.


    Nach langer Zeit kehre ich in mein Elternhaus zurück. Der Grund ist allerdings ein trauriger. Meine alten Herrschaften starben unerwartet bei einem Schiffsunglück. Der Brief, in dem sie mir freudig vom Start der Kreuzfahrt berichtet hatten, befindet sich in meiner linken Hand. Ich halte ihn fest umklammert, noch immer bin ich fassungslos. Um die Gebühren für den gewünschten sechsmonatigen Urlaub aufbringen zu können, hatten sie lange sparen müssen.


    „Man möchte sich ja auch mal etwas gönnen“, waren die Worte meines Vaters gewesen. Die letzten, die ich von ihm vernommen habe, bevor er Mutter das Handy übergeben hatte. Kurz darauf hatte der Einlass zum Schiff begonnen. Ich hatte mich für die beiden gefreut und ihnen eine schöne Reise gewünscht. Ehrlich. Auch wenn unsere Treffen mit der Zeit immer seltener geworden waren, weil sich unsere Ansichten und Lebensweisen zunehmend voneinander unterschieden hatten. Obwohl unsere Telefonate nur noch sehr sporadisch stattgefunden hatten, und ich bestimmt zehn Jahre lang nicht mehr persönlich bei ihnen gewesen war, muss ich nun feststellen, dass mein ehemaliges Jugendzimmer noch immer existiert. Aber anders als man annehmen würde, sind weder der Schreibtisch noch die Kommode oder der Schrank mit sonderlich viel Staub bedeckt. Lediglich die Folie, die über mein Bett ausgebreitet worden war, um es vor Staub und Dreck zu schützen, wirkt etwas mitgenommen. Ich muss schlucken und mich zusammenreißen, als ich registriere, was das bedeutet.

    Noch habe ich überraschenderweise keine einzige Träne vergossen. Vermutlich „Dank“ des Schocks durch die plötzliche Hiobsbotschaft, die mir in dem Schreiben, welches von meiner rechten Hand beinahe zerdrückt wird, schwarz auf weiß mitgeteilt wird. Vier Wochen ist das Unglück nun her und erst jetzt habe ich den Mut fassen können, mich hierher zu wagen.

    Das Gepäck meiner Eltern – oder besser das, was noch davon übrig ist – war von einer freundlichen Nachbarin entgegengenommen worden. Als ich es vorhin abgeholt habe, hat sie mir ein paar tröstliche Worte auf dem Weg mitgegeben, was nett von ihr war, da sie mich noch nie zuvor gesehen hatte. Aber auch die gutgemeinten Zusprüche können die Wunden in meinem Herzen nicht heilen. Nun stehe ich hier in meinem früheren Zimmer mit beiden Briefen in den Händen, daneben auf dem Boden der stark beschädigte Koffer meiner Mutter, der aufgrund des defekten Schlosses nur mit einem dicken Seil zusammengehalten wird.

    Es ist viel zu bedrückend, hier zu sein mit dem Wissen, dass nichts mehr so wird, wie es einst war.

    Nichts kann die beiden zurückholen, und auch nicht die vergangenen Zeiten, als ich noch bei ihnen gelebt habe. Auch die letzten zehn Jahre kann mir niemand mehr geben, um andere Entscheidungen zu treffen und etwa öfter hierherzukommen. Ich kann mich gar nicht mehr erinnern, wann wir zuletzt als Familie einen Ausflug unternommen haben, so lange ist das alles her. Die Tatsache, dass wir nie mehr einander sehen werden, ist unerträglich. Ihr Tod kam viel zu plötzlich. Die Beerdigung vor wenigen Tagen war eine Qual gewesen. Aber ich hatte geglaubt, dass es wieder besser wird. Doch nun bin ich hier und die Last auf meinem Herzen droht mich zu erdrücken. Ich lege beide Briefe auf meine alte Kommode, die meine Mutter scheinbar ebenso wie die anderen Möbel regelmäßig entstaubt haben musste, sonst wäre der Staub viel dicker. Und das, obwohl ich doch ewig nicht mehr hier gewesen war, als hätte ich jeden Moment hineinschneien können. Das macht mir einmal mehr bewusst, dass ich mich zu selten habe blicken lassen. Sie haben es nie wortwörtlich gesagt, aber womöglich hatten sie immer die Hoffnung gehegt, dass ich sie wieder besuche.

    Bei dem Gedanken läuft es mir eiskalt den Rücken runter und ich versuche, mich abzulenken, indem ich mich einer schweren Aufgabe stelle und das Seil des Koffers löse. Ich lege behutsam Stück für Stück des Inhalts auf dem abgedeckten Bett. Doch was ich sehe, raubt mir die letzte Kraft an Selbstbeherrschung. Die Tränen fließen nun unkontrolliert an meinen Wangen hinab und ich ziehe mir den Schreibtischstuhl heran, auf welchen ich mich erschöpft sinken lasse. Nach einer ganzen Weile hören die Tränen auf, doch die Trauer und das Gefühl der Machtlosigkeit wiegen schwer.

    Mein Blick fällt erneut auf die geretteten Habseligkeiten. Etwas Kleidung, ein Notizblock und ein etwa 30 Zentimeter großer, graubrauner Plüschbär, dessen eines Ohr abgerissen war und durch die Feuchtigkeit – er musste einige Tage im beschädigten Gepäckstück gelegen und Wasser aufgesogen haben – an Volumen verloren hatte. Dieser Bär hat einst mir gehört. Ich kann nur rätseln, weshalb Mutter ihn eingepackt hat, eventuell um das Gefühl zu haben, das ich, ihr einziger Sohn, ebenfalls dabei sein würde? Der Gedanke, dass dieser Teddy, den ich damals zur Einschulung bekommen habe, den Urlaub begleitet und das Unglück miterlebt hat, lässt mich nicht los. Zögernd, aber wie magisch gesteuert, nähere ich mich dem Stofftier, dem ein Auge auszufallen droht und der an einigen Stellen dringend geflickt werden müsste. Als ich ihn vom Bett hochhebe und an mich drücke und dabei die Flecken, die er auf meinem Traueranzug hinterlässt, ignoriere und ihn eingehend betrachte, schaue ich ihm in die Augen. Seine Augen haben meine Eltern in den letzten Jahren gesehen und sie bei ihren letzten Stunden beobachtet. In seinen Augen spiegele nur ich mich etwas undeutlich, doch wenn er sprechen könnte, hätte er sicherlich viel zu sagen.

    Ich lege den alten Freund aufs Bett und möchte mich abwenden, als ich merke, dass ich mich nicht bewegen kann. Erst denke ich, dass es noch dem Schock verschuldet ist, dann blicke ich ihn nochmals genauer an, meine Augen treffen die seinen – und plötzlich falle ich.


    Ich falle aber nicht auf dem Boden, sondern scheine das Gefühl unter den Füßen zu verlieren und überhaupt stehe ich nicht mehr in meinem Zimmer, sondern drehe mich um mich selbst, ohne dies willentlich herbeizuführen. Ich drehe mich immer schneller und habe das eigenartige Gefühl, nicht alleine zu sein. Als ich endlich zu stehen komme, befinde ich mich immer noch in meinem Zimmer, aber es sieht ganz anders aus. Das Bett ist nicht abgedeckt und hat einen anderen Bezug. Der vorher ordentliche Schreibtisch ist übersät mit Buntstiften und Zetteln, die wild bekritzelt sind. Die Schublade der Kommode steht achtlos offen und daneben – ich erstarre – meine Schultüte, die vor einigen Jahren von Motten angefressen und in der Folge darauf entsorgt worden war. Doch jetzt ist sie in einem tadellosen Zustand. Ihr Inhalt – Süßigkeiten und Schreibutensilien für den Schulanfang – befinden sich wohl noch darin. Süßigkeiten, die längst gegessen waren und Schreibsachen, die schon lange ihren Dienst geleistet hatten.

    Was war hier los? Irgendwie habe ich den Drang, mich davon zu überzeugen, nun völlig den Verstand verloren zu haben und öffne meinen Schrank, in dem ich eigentlich Spiele, Bücher und Fotoalben aus alten Tagen aufbewahre. Diese sind dort auch aufzufinden, jedoch nicht aus meiner Jugendzeit, nur die aus der Kinderzeit kann ich entdecken. Mir wird das Herz schwer, als ich in das unterste Fach den Plüschbären sehe, den meine Eltern damals als Überraschung dort hingestellt haben, damit ich ihn nach dem ersten Schultag finde. Doch anders als die anderen Gegenstände, scheint er nicht aus der damaligen Zeit zu sein. Denn sein Fell ist abgenutzt und nicht wie damals in einem fröhlicheren Dunkelbraun, sondern Graubraun. Auch fehlt das eine Ohr und das linke Auge hängt nur noch halb daran…

    Mir wird wieder eiskalt. Wenn ich wirklich in einer anderen Zeit, in meinem früheren Leben zurück bin, wieso war dieser Bär dann aus der Zukunft – meiner jetzigen Gegenwart - hier? Wie war es überhaupt möglich, dass ich hier war? Spielt mir mein Hirn einen Streich?

    „Das ist kein Streich.“

    Ich zucke zusammen und suche wild nach demjenigen, der diese Worte in dem leeren Zimmer ausgesprochen hat.

    „Ich bin doch genau vor dir, hier unten“, ertönt die Stimme erneut. Entsetzt wird mir klar, dass der kaputte Teddy reden kann. Sein Mund bewegt sich nicht, aber ich weiß es.

    „Du bist zurück in deiner Kindheitszeit, auch wenn du nicht jünger geworden bist. Dieser Zustand wird nicht ewig anhalten, also nutze den Moment.“

    „W-wofür?“, bringe ich stotternd hervor.

    „Du wolltest doch deine Eltern wiedersehen, oder?“, sagt er und ich bilde mir ein, dass dieser unbewegliche Plüschbär lächelt.

    „Ich weiß nicht“, gebe ich zögernd zurück. Die ganze Situation ist mir unheimlich. Und was, wenn ich auf mein altes Ich treffe?

    „Das wird nicht passieren“, erklärt mir mein ungewöhnliches Gegenüber, als könnte es Gedanken lesen. „Dein jüngeres Ich ist nicht da, weil du in dieser Gestalt anwesend bist.“

    Ich nicke langsam, zum Zeichen des Verstehens, auch wenn ich mir ein wenig albern vorkomme, mit einem Stofftier zu kommunizieren.

    „Aber sie werden mich nicht erkennen.“

    „Doch, das werden sie. Sie werden es nicht begreifen und würden es in deiner Gegenwart auch nicht mehr wissen, wenn sie leben würden.“

    Diese Worte treffen mich hart. Dann setze ich mich in Bewegung und bin beinahe aus dem Raum getreten, als ich abrupt – einer plötzlichen Eingebung folgend, kehrtmache und den ramponierten Bären, fest an meine Brust gedrückt, mitnehme, während ich die Treppen zur Küche hinuntersteige, weil ich von dort aus Besteck klappern höre.


    Ich stehe schneller in der Küche, als ich überlegen kann, was ich sage. Meine Eltern, die gerade essen, schauen erschrocken hoch, als ein 32-Jähriger mit einem kaputten Teddy vor ihnen steht. Meinem Vater fällt das Besteck auf den Teller zurück und meine Mutter fährt mit einem Schrei hoch.

    „Was, wie kann das sein?“, ruft sie mit schriller Stimme.

    „Ich bin es, Mama“, bringe ich, kaum lauter als im Flüsterton, hervor.

    „Aber du bist so viel älter geworden“, sagt mein Vater. „Und außerdem, außerdem bist du doch-„

    „Hör auf!“, fährt meine Mutter dazwischen. „Sei leise. Er scheint es nicht zu wissen.“

    „Verstehst du das Ganze etwa?“, fragt er sie verwirrt. Sie schüttelt den Kopf und sieht mich immer noch verstört an, dann eilt sie zu mir und schließt mich in die Arme. „Du wirst ganz dreckig“, wende ich verlegen ein, obwohl ich ihre Umarmung so gut es geht erwidere.

    „Um dich ein letztes Mal umarmen zu können, würde ich alles auf mir nehmen“, murmelt sie an meiner Schulter. Ihre zierliche Gestalt lehnt schwer an mir. Auch mein Vater erhebt sich nun vom Tisch und schließt sich der Umarmung an.

    Einige Minuten vergehen so, bis wir uns wieder voneinander lösen und uns an den Tisch setzen. Dabei bemerke ich, dass eine schwarze Schleife um meinen Stuhl gebunden ist. Ich kommentiere das nicht und nehme Platz. Meine Mutter serviert mir schweigend etwas von der Gemüselasagne und dem frischen Feldsalat. Weil ich den Bären noch in den Händen halte, schiebt mein Vater einen weiteren Stuhl her, damit ich ihn dort absetzen kann. Dabei hat Vater einen undefinierbaren Gesichtsausdruck. Eine Weile essen wir schweigend, bis ich mein Besteck beiseitelege und mich räuspere. „Was ist hier los? Wisst ihr, was euch passiert ist?“

    Die beiden sehen einander an, offensichtlich wissen sie nicht weiter. Schließlich redet Mutter mit schwerer Stimme: „Wir müssen es dir wohl doch sagen.“

    „Was?“, frage ich nur und greife zu dem Bären, der mir aus unerfindlichen Gründen Kraft gibt. Auch die Augen meiner Eltern wandern zu ihm. „Du bist auf einmal erwachsen und wir fühlen, dass du unser Sohn bist“, beginnt sie.

    „Aber es ist ganz anders. Eigentlich bist du nie erwachsen geworden.“

    Der Satz hallt in meinen Ohren. „Wie meinst du das?“, frage ich Vater.

    „Auf dem Weg nach Hause, an deinem ersten Schultag - du wolltest unbedingt wie ein ‚großer Junge‘ den kurzen Weg alleine gehen -, wurdest du von einem Auto erfasst, das einfach weitergefahren war. Man fand dich später leblos auf, neben dir deine Schultüte.“ Ich kann kaum glauben, was ich höre und mein Mund wird trocken. „Und der Bär?“ Es ist eine dumme Frage. Aber sie brennt mir auf der Seele.

    „Dieser Bär, den du neben dir hast, hast du nie gesehen, denn eigentlich konntest du den erst daheim finden-„

    „- im Kleiderschrank“, sagen wir gleichzeitig. Entsetzt schlägt sie die Hände vors Gesicht. „Woher weißt du das?“, fragt mein Vater beunruhigt. „Ich habe den Bären damals glücklich im untersten Schrankfach gefunden, nachdem ich unbeschadet von der Schule heimgekommen bin“, sage ich, obwohl beide traurig die Köpfe schütteln. Ich starre den Bären an, auf der Suche nach Antworten, doch diesmal spricht er nicht.

    „Ich bin hier, weil ihr … weil ihr auf einer Kreuzfahrt wart, doch euer Schiff sank aus bisher unerklärlichen Gründen und ihr seid gestorben.“ Diese Worte tun weh, ebenso wie ihre bestürzten Gesichter. „Aber ihr seid meine Eltern“, sage ich mit Nachdruck. „Und du bist unser Sohn.“, geben Mutter und Vater zurück und erneut umarmen wir uns. Mir wird schwindelig und ich kann mich gerade noch am Stuhl abstützen.

    „Es ist bald Zeit, sich zu verabschieden.“ Die Stimme des Teddys.

    Zu meiner Überraschung sehen wir alle drei ihn an. „Ihr könnt ihn hören?“ Beide nicken.

    „Er war bei der Kreuzfahrt dabei.“

    „Eine Kreuzfahrt, kaum zu glauben, dass wir dafür das Geld haben sollten“, murmelt Mutter abwesend. „Noch unglaublicher ist, dass du hier als erwachsener Mann stehst, obwohl du dieses Alter nie erreicht hast.“ Vater sieht gequält drein. „Wie lange ist der Unfall her?“, erkundige mich und bin nicht erstaunt, als „Vier Wochen“ die Antwort sind.

    „Durch jene zeitliche Überschneidung war es dir möglich, in diese Zeit zurückzukehren, um deine Eltern, die in deiner Gegenwart tot sind, ein letztes Mal zu sehen.“, gibt der alte Bär von sich. Seine Stimme wirkt schwächer. „Und ihr“, richtet er sich an meine Eltern, „hattet so die Möglichkeit, mich an euren Sohn übergeben zu können. Ich habe die Sehnsucht nach eurem Kind immer gehört, aber erst viel später war ich in der Lage, in die Zukunft einer Parallelwelt zu gelangen und ein Wiedersehen zu vereinbaren.“

    Einen Augenblick lang spricht niemand, dann kann ich mich nicht zurückhalten und blicke den Bären geradewegs an. „Hast du meine Eltern in meiner Zeit etwa bewusst sterben lassen, damit dieses Treffen zustandekommt?“ Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis er antwortet. „Nein. Solch große Macht besitze ich nicht. Ich habe seit dem Tag deines Autounfalls gewartet, denn ich wusste, was in deiner Parallelwelt geschehen wird.“

    „Parallelwelt?“, fragen wir alle wie aus einem Mund. Es hört sich absurd an und ergibt dennoch irgendwie Sinn.

    „Ja, von jedem Menschen existiert mindestens ein weiteres Ich in einer anderen Welt, die aber allesamt sehr ähnlich aufgebaut sind. Dennoch war diese zeitliche Überschneidung notwendig, denn normalerweise können Personen aus unterschiedlichen Welten nicht aufeinandertreffen. Im Grunde gibt es auch mich zweimal. Aber da ich hier bin, ist mein anderes Ich nicht hier. Denn ich bin mit dir aus der Zukunft hierher gereist.“ Er macht eine Pause, dann fährt er fort.

    „Ich wusste zwar, was geschehen wird, aber leider war ich nicht imstande, die Unglücke zu verhindern. Auch konnte ich zu dem Zeitpunkt keinen Kontakt aufnehmen. Erst als das zweite Unglück entstand und ich quasi mit deinen Eltern gestorben bin, war ich in der Lage, eine Verbindung herzustellen. Ich befinde mich zwischen dem Diesseits und dem Jenseits, zwischen der Vergangenheit und der Zukunft.“ Verwirrende Worte, die trotzdem einleuchten. Normalerweise hätte ich eine solche Geschichte nie geglaubt, aber da ich sie hier selbst miterlebe, bleibt mir nichts Anderes übrig. Aber es tut ungemein gut zu wissen, dass mein alter Spielkamerad niemanden eigenmächtig sterben ließ.

    „Dieser Bär, der plötzlich so alt aussieht“, sagt mein Vater nun langsam, „scheint uns alle immer beschützt zu haben, bis heute. Auch wenn wir das erst jetzt bemerken.“

    „Es ist bald Zeit, sich zu verabschieden“, wiederholt sich jenes Stofftier.

    „In dieser Zeit hat er euch beschützt, in meiner Zeit ebenfalls. Oder zumindest hat er es da versucht“, sage ich traurig.

    „Nun beschützt er dich, da bin ich mir sicher.“ Mutters Worte wirken sehr gedämpft und mir wird schlagartig klar, dass ich gleich wieder aus dieser Zeit gerissen werde. Deshalb drücke ich sie an mich. Dann umarme ich auch Vater. Ein letztes Mal. Wir lächeln uns traurig und bedrückt an. Ein letztes Mal.


    Dann falle ich erneut durch die Zeit und befinde ich mich wieder in meinem Zimmer, das nun in seinen ursprünglichen Zustand ist, neben mir der kaputte Plüschbär, den ich nun fassungslos und von Gefühlen überwältigt an mich reiße. „Das hast alles du gemacht, nicht wahr?“

    „Ja, das habe ich. Um Eltern und Kind ihren Wunsch zu ermöglichen“, gibt er zurück.


    Das war letzte Mal, dass er mit mir geredet hat, danach habe ich seine Stimme nie mehr gehört.

    Dennoch fühle ich mich von ihm beschützt und mittlerweile stimmt mich sein Anblick – gewaschen und geflickt – auch nicht mehr traurig, da ich weiß, dass sein anderes Ich in der Vergangenheit über meine Eltern wacht, so wie er es hier tut. Ich bin ihm zutiefst dankbar.

    Zwei Jahre ist der Tod meiner Eltern nun her, und ich bin wieder in ihr Haus gezogen. Manchmal bedrückt mich die Erinnerungen an vergangene Zeiten, aber dann beruhigt mich der Gedanke, dass sie noch leben, nur in einer anderen Zeit.

  • Huhu Evo Lee!


    Ich möchte dir kurz einen relativ spontanen Kommentar zu deinem titellosen Update schreiben, weil mich der Text beim Lesen eben so sehr mitgenommen hat, wie ich es schon lange nicht mehr erlebt habe. Gerade wenn kein Titel vorhanden ist, geht man ja erstmal ohne wirkliche Erwartungen an einen Text heran. Hier beginnt der Text aber direkt mit einer sehr bedrückenden Information: Die Eltern des Ichs sind tot. In der Folge entwickelt sich eine sehr fragile Form der Traurigkeit, die sich durch den gesamten Text zieht, dabei aber sehr behutsam und mit einem bewusst langsamen Tempo aufgebaut wird, sodass sich die Traurigkeit im Verlauf der Handlung immer intensiver entfalten kann. So erfährt man erst relativ spät, wen man da eigentlich gerade als ich kennenlernt, nämlich einen 32-jährigen Mann – und das ist es dann eigentlich auch schon, was man an Sachinformationen über ihn erfährt. Viel wichtiger scheint dagegen die Beziehung zu den Eltern zu sein: die ausbleibenden Besuche, das buchstäbliche Verstummen der Kommunikation, was nun (natürlich viel zu spät) auf einmal so viel dramatischer erscheint. All das wird ausführlich und mit bedrückender Melancholie eingeführt, ohne dabei Spannung oder Stimmung aus dem Text herauszunehmen. Mit dem Wechsel in eine andere Zeit und der Kommunikation mit dem Teddy bekommt die Geschichte zusätzlich etwas Magisches, das aber sowohl vom Erzähler als auch von mir als Leser fast beiläufig akzeptiert wird, weil man sich der Umgebung und der Vergangenheit einfach ein Stück weit hingeben möchte. Auch die Kommunikation mit den bereits verstorbenen Eltern finde ich vor diesem Hintergrund sehr gelungen. Hervorheben möchte ich hier vor allem die subtilen Hinweise, dass der Erzähler in der Welt der Eltern eigentlich bereits verstorben ist. Die ausformulierte Auflösung mit der Parallelwelt hätte ich letztlich nicht mehr benötigt, da das Gespräch zwischen Eltern und Kind das im Prinzip schon hergegeben hat; ein wenig wird die Magie des Moments damit tatsächlich abgebrochen. Für den positiven Gedanken am Ende ist der Schritt aber wohl notwendig, insofern stört mich das jetzt auch nicht allzu sehr. Dass der Erzähler den Bären nach all den Erlebnissen nun wieder pflegt, lässt mich abschließend mit einem warmen Gefühl zurück.


    Viel mehr habe ich zu dem Text ansonsten eigentlich auch gar nicht zu schreiben. Da er mir mit dieser magisch-tristen Stimmung gerade aber doch ein paar mehr Tränen entlocken konnte, wollte ich dir unbedingt einen kurzen Kommentar hinterlassen. Danke, dass du diesen wundervollen Text hier ausgestellt hast! ♥

  • Ein Update gibt es heute keines, aber dafür Rekommis, die teilweise schon lange fällig waren, sowie Infos zu meinem neuesten Update.



    Informationen zum Update.

    Der Text ist während der Abgabephase für die erste Runde des diesjährigen Schreibturnieres entstanden und handelt von dem Thema "In einer anderen Zeit". Er ist nach meinem Abgabentext "Die Dame des Schlosses" entstanden, eine vage Idee war aber schon vorher da, allerdings bin ich beim Schreiben dann immer mehr davon abgewichen, weil meine Texte gerne ein Eigenleben entwickeln. Ursprünglich sollte der Hauptcharakter, der übrigens schon bei der ersten Idee ein erwachsener Mann war, mit "Hilfe" eines Teddys durch die Zeit reisen, der allerdings, anders als der Bär der Geschichte, bösartig war und vielleicht sogar den Tod der Eltern zu verantworten hatte. Er bekam daher den reizenden Spitznamen "Teddy aus der Hölle" oder "Höllischer Teddybär". Der Protagonist wollte/sollte den Tod der Eltern in der Vergangenheit verhindern (ist selbst jedoch nie gestorben), aber viel weiter habe ich diese Möglichkeit nicht gesponnen, weil ich dann in eine andere Richtung gegangen bin, die mir letztendlich auch viel mehr zugesagt hat.

    Im Allgemeinen mag ich den Text sehr und hätte ihn gerne beim Turnier eingereicht, aber mit etwa 2800 Wörtern überschritt er die Wortgrenze deutlich und ich wollte ihn definitiv nicht um 800 Wörter kürzen, weil das meiner Ansicht nach den Text zerstört und abgehackt hätte.

    Deshalb ist er in dieser Sammlung gelandet, was letztendlich aber fast unmöglich schien, weil ich natürlich wieder mal keine Backups angelegt hatte (jetzt schon!) und der Laptop mittlerweile unbrauchbar ist. Vor allem, wenn man etwas tippen möchte und die Tastatur eine Katastrophe ist. Das ist keine Untertreibung. (Zitat von mir selbst, als ich das jemanden geschildert habe: Andere Buchstaben als gewünscht erscheinen oder mehrere beim Drücken einer Taste, oder der Flugmodus (de)aktiviert sich, Seiten öffnen sich ungefragt, Screenshots statt kopierte Texte werden eingefügt und, und, und. Die Tastatur war praktisch nutzlos und ich musste einzelne Buchstaben/Leerzeichen mit der Maus (die gnädigerweise geht) kopieren, weil es sonst unmöglich gewesen wäre. Dass ich den einen Infosatz dazuschreiben konnte, war schon mühsam genug.)

    Unter großer Mühe und Frust konnte der Text, den ich zumindest versucht habe, unter erschwerten Bedingungen Korrektur zu lesen, was aber nicht vollständig gelang, dennoch gerettet und hier hochgeladen werden, was mich dann doch sehr gefreut hat.

    Dass ich vergessen habe, ihm einen Titel zu verleihen, wurde mir erst durch den Kommentar von Flocon bewusst. Vermutlich würde der Titel "Der Teddy aus der Vergangenheit" lauten oder so ähnlich. Im Nachhinein werde ich jedoch nun keinen mehr hinzufügen. Ich hoffe, der Text findet/fand Anklang. Meinungen dazu sind gerne gesehen. (:


  • Inhaltswarnung: Tod, Trauer


    Anfang und Ende


    Pflanze

    Der Frühlingswind bringt die Pflanzen, die langsam wieder wachsen, zum Rascheln. Ich laufe mit der Enton-Kanne zu der Stelle, an der du nun ruhst. Ich erinnere mich noch genau daran, als ich dich zum ersten Mal traf. Wilde Staralilis griffen mich am Wahrheitsufer an - du aber kanntest keine Scheu und kamst mir zu Hilfe. Obwohl du typenmäßig unterlegen und anschließend erschöpft warst, setztest du dich für mich ein. Wir erlebten miteinander einige Abenteuer und Jahre, bis dich die Natur wieder zu sich nahm. Der Baum, den du als Chelterrar auf dem Rücken trugst, ist nun ein Teil dieses Gartens. 🌳


    Wasser

    Ich stehe am Wahrheitsufer und lasse die Gedanken zu jenem Tag schweifen, als ich dich kennenlernte. Du warst nur ein kleines Plinfa, doch als der Professor mich bat, mir ein Pokémon auszusuchen, schloss ich dich sofort in mein Herz. Du wuchsest zu einem majestätischen Impoleon heran und bewiesest immer wieder deine Stärke. Dein Whirlpool brachte uns durch einige Wettbewerbe, die Zeit war zu schön. Viel zu schnell wurdest du mir wieder genommen. Ich habe das Gefühl, bereits so viele Tränen vergossen zu haben, wie der See der Wahrheit an Wasser enthält. Aber ich weiß, dieser Ort wird uns immer verbinden. 🌊


    Feuer

    Die Kerze auf deinem Grab lodert wild, als wärst du noch am Leben. Schließlich hast du selbst darauf bestanden, die Flamme mit dem Rest deiner Kräfte anzuzünden. Erstaunlicherweise hält das Feuer noch immer an, eine Überdachung sorgt dafür, dass kein Regen sie erlöschen lässt. Schweren Herzens denke ich an deine Wärme, die nicht nur von deinem Köper, sondern auch aus deinem Herzen kam. Gemeinsam standen wir einige harte Kämpfe, aber auch bitterkalte Tage durch. Stets war ich von deiner Wärme umgeben. Ich muss gehen, aber morgen und die nächsten Tage komme ich wieder, mein Panferno. Mögest du für immer brennen. 🔥


    Evoli

    Einst kannte ich einen zielstrebigen Jungen namens Blau. Er hatte mir ein Ei gegeben, aus dem du geschlüpft bist. Schon bald hatten wir eine Bindung zueinander aufgebaut, die niemand durchtrennen konnte. Je mehr Zeit verstrich, desto mehr wuchsest du mir ans Herz, und sicherlich auch andersrum. Dein flauschiges Fell wärmte mich, wenn wir an kalte Orte waren. Deine Nase spürte die besten Beeren auf. Du bliebst bis zum Schluss ein Evoli, weil du so bleiben wolltest, wie du mich kennenlerntest. Es fällt mir schwer, Abschied zu nehmen. Im Grunde ist das auch nicht nötig, weil ich dich nicht vergessen kann. ☄

  • Hallo,


    mir gefällt die Idee, Chelterrars Baum direkt in die Natur einzubinden. Anhand der Geschichte, die du innerhalb des Drabbles erzählst, wird auch die Verbundenheit zwischen Trainer und Pokémon sehr stark verdeutlicht. Insbesondere mag ich dabei die letzten beiden Sätze, die etwas Abschließendes, Vertröstendes, ja sogar Hoffnungsvolles an sich haben, da sie sich noch immer nahe sind.

    Dass der Text ausschlaggebend für die anderen drei war, ist in dieser Hinsicht eine schöne Inspirationsquelle. Auch dort stehen die elementaren Eigenschaften und jeweils die lange Reise sowie das erste Kennenlernen im Mittelpunkt. In gewisser Hinsicht bittersüß, aber auch hoffnungsvoll.


    Wir lesen uns!



  • Kleiner Teddybär

    liebevolle Augen, wenn‘s

    doch noch damals wär


    Erinnerungen

    aus einer anderen Zeit

    kuschlige Tage


    Sie sind lang vorbei

    denn „uns“ gibt’s nicht mehr, da hilft

    kein Ruf und kein Schrei.


    Die Vergangenheit

    Kein Zurückdreh‘n der Zeit. Kind-

    heit kommt nicht mehr.


    Der Teddybär, er

    bleibt in Gedanken ein Freund.

    Aus anderer Zeit.




    Eine Stimme ruft nach mir,

    sie ist leis‘ und dennoch hier.


    Das weiß ich, denn ich höre sie,

    verstummt ist sie bisher noch nie.

  • Hallo,


    die Haiku-Kette hat eine verblüffende Ähnlichkeit zur Teddybärgeschichte, das stimmt. Besonders mag ich daran, wie feinfühlig du auch hier mit der Thematik des Verlustes umgehst. Innerhalb so weniger Silben ist das tatsächlich noch etwas schwieriger zu gestalten, ist dir in meinen Augen aber gut gelungen. Übrigens hatte ich das Gefühl, als wäre der Teddybär mit der Zeit als enger Freund verloren gegangen. Das lässt unwillkürlich darüber nachdenken, wie schnell das Erwachsenwerden meist voranschreitet und die eigene Kindheit in immer weitere Ferne rückt. Man sollte sich öfter seiner eigenen Wurzeln besinnen, damit es nicht so weit kommt.


    Wir lesen uns!



  • Feuriger Entschluss oder Eine warme Freundschaft


    Es war ein ungewöhnlicher Anblick, der sich einem in Wiesenflur bot. Ein kleines Mädchen mit ungleichen und nicht gerade sorgfältig geflochtenen Zöpfen schlappte in übergroßen Schuhen an der Seite ihres Flamaras mit einem entschlossenen Ausdruck im Gesicht zum Eingang der Wettbewerbshalle. Noch bevor sie diese betreten konnte, wurde sie vom Wachpersonal aufgehalten.

    „Entschuldige bitte, aber vorhin kam es zu einem Vorfall mit einem Pokémon, das aufgrund der Aufregung vor der ersten Teilnahme beinahe die Vorhalle verwüstet hätte. Deshalb sind alle Gäste dazu aufgefordert, ihre Pokémon in ihren Pokéball zu rufen.“

    Das Kind wirkte einen Moment verunsichert, doch rasch konnte es sich wieder sammeln. „Mein Pokémon hat den Typ Feuer und hat große Energie, deshalb möchte es nicht in einem Ball eingesperrt werden. Es ist auch ganz lieb und tut niemanden etwas“, setzte das Mädchen rasch hinterher. Dann schritt sie an dem protestierenden Mann vorbei und eilte zum Empfangsschalter, hinter dem eine Frau höflich lächelte.

    „Guten Tag, ich möchte am Wettbewerb teilnehmen.“

    „Hallo. Ist dies dein erster Wettbewerb?“ - „Ja.“

    „Möchtest du dein Pokémon nicht in seinen Ball rufen?“

    „Nein, Flamara braucht ihre Freiheit.“

    „Nun, dann benötige ich deine Wettbewerbskarte. Falls du noch keine hast, reicht fürs Erste deine Trainerlizenz und ich erstelle dir eine Karte.“

    Nun fiel die vorgetäuschte Ruhe des Mädchens ein wenig zusammen. Es knotete nervös seine mit lila Glitzernagellack bemalten Hände. „Meine Trainerlizenz … die habe ich, die habe ich vergessen.“

    „Trainerinnen und Trainer sollten diese Lizenz unbedingt immer mit sich tragen, damit es zu keinen Missverständnissen kommt. Vielleicht mag ja deine Mutter oder dein Vater nächstes Mal mitkommen? Leider ist die Anmeldung gerade abgelaufen…“

    „Nein, ich … Dann gehe ich wieder!“, rief das Mädchen und steppte zum Ausgang, allmählich immer hastiger, bis sie letztendlich rannte und die Wettbewerbshalle und Wiesenflur hinter sich ließ. Erstaunte Rufe der Wettbewerbsmitarbeiterinnen und Wettbewerbsmitarbeiter nahm sie nur flüchtig war. Flamara setzte in schnellen Sprüngen nach, um die junge Trainerin einzuholen, was dem Pokémon nicht sonderlich schwerfiel, da sie in den zu großen Schuhen immerzu das Gleichgewicht verlor und beinahe stolperte. Erst, als sie den Metaflurtunnel erreichten und vor neugierigen Blicken geschützt waren, hielten sie schwer atmend inne.

    „Verdammt, es sollte doch unser Auftritt werden“, sagte das Kind mit Tränen erstickter Stimme. „Aber überall dasselbe. Jeder möchte eine Trainerlizenz und deinen Pokéball sehen. Aber ich besitze beides nicht.“

    Flamara schmiegte sich tröstend an ihre Beine, als sie sich schließlich mit angezogenen Knien hinsetzte und den Kopf darauf verbarg. „Du bist doch auch ohne diese Dokumente meine Freundin, oder?“ Flamara sah sie treu an.

    „Ich wusste es! Wir bleiben zusammen, auch wenn man uns trennen möchte. Ich gehe nicht ins Kinderheim zurück. Als wir beide uns beim Feurigen Pfad trafen und du mich vor einer Horde Qurtel beschützt und dich mir angeschlossen hast, wusste ich, dass ich nur mit dir weiterziehen möchte, von Stadt zu Stadt, von Dorf zu Dorf, nur nie wieder zurück.“ Flamara nickte bestätigend. „Flam!“, machte es leise.

    „Irgendwann fegen wir die alle weg beim Wettbewerb, okay? Aber bis dahin müssen wir weiter, immer weiter, bis wir irgendwann einen Platz finden, an dem wir uns niederlassen können. Selbst wenn wir den Feuerberg durchqueren müssen!“


  • Dedenne

    Lesend schritt das Dedenne voran - las

    Ein Buch nach dem ander'n

    Seit' für Seit' zog es in seinen Bann - fuhr fort

    Eifrig durch die Bibliothek zu wandern

    Runen, Kanji und Alphabet

    Alles keine Schwierigkeit

    Titel für Titel wird eingeprägt

    Tassen Tee steh'n schon bereit

    Es ist immer Lesezeit!




    Entstehung eines Maskottchens


    DEDENNE, ENDIVIE, FLUFFELUFF, FEELINARA, ein EVOLI sowie ein BEBRILLTES EVOLI sitzen in einer regen Diskussion vertieft an ihren Besprechungstisch.


    DEDENNE: So kann es nicht weitergehen! Seit Tagen bleiben die Besucherinnen und Besucher aus.

    ENDIVIE: Das wissen wir, deshalb haben wir uns ja versammelt.

    FLUFFELUFF: Ich bin immer noch dafür, dass wir gratis Himbeerkuchen als Lockmittel anbieten sollten.

    EVOLI: Und wer soll den backen?

    FLUFFELUFF: Na, du!

    EVOLI: (entrüstet) Kommt nicht infrage! Reichen dir die ganzen gebackenen Gedichte immer noch nicht?

    FEELINARA: Die waren aber lecker. Und der Pantun-Punsch dazu war mega!

    DEDENNE: Können wir wieder zum Thema kommen?


    Die Angesprochenen sehen schuldbewusst aus und nicken.


    DEDENNE: Gut. Also, weitere Ideen?

    ENDIVIE: Wir könnten einen Lyrik-Wettbewerb abhalten.

    FLUFFELUFF: Das ist eine gute Idee, aber auch das müsste beworben werden.

    FEELINARA: Ach, kein Problem. Wir verschenken einfach ganz viele Melonen mit dem Datum der Deadline!

    BEBRILLTES EVOLI: Meinst du nicht, das könnte missverstanden werden? Melonen, auf denen einfach ein Datum steht. Ich würde wohl denken, es wären Zeitbomben und an dem Tag der Deadline geht alles hoch. BUMM! (kichert beinahe mordlustig)

    FEELINARA: (voller Entsetzen) Du schon wieder mit deinem Depri-Talk!

    EVOLI (ebenfalls schockiert) Das geht nicht! Diese Idee mit hochgehenden Bomben hatte bereits der PAM-Berei- (hält erschrocken inne und schlägt ihre Pfoten vor den Mund)


    Ein Schweigen dehnt sich aus und alle blicken nun die beiden EVOLIS an.


    EVOLI: (mit gedämpfter Stimme hinter ihren Pfoten) Nur ein Scherz, nur ein Scherz!

    DEDENNE: (schüttelt seufzend den Kopf) Ich möchte besser gar nicht wissen, was das bedeuten sollte. (räuspert sich) Also hat niemand einen brauchbaren Vorschlag?


    FLUFFELUFF starrt mit einem Mal Dedenne derart intensiv an, dass dieses nervös wird.


    DEDENNE: Ja, Fluffeluff?

    FLUFFELUFF: Du ... bist irgendwie perfekt.

    DEDENNE: (irritiert) Ähm, danke. Aber für Komplimente ist nun keine Zeit, wir-


    Auch ENDIVIE sieht DEDENNE nun nachdenklich an. Nach und nach richten alle anwesenden Pokémon ihre Aufmerksamkeit auf DEDENNE.


    DEDENNE: Leute, was soll das? (mit blitzenden Schnurrhaaren) Bleibt bitte ernst!

    ENDIVIE: Aber das sind wir doch. Und ich verstehe, was Fluffeluff sagen möchte.

    DEDENNE: Tatsächlich? Ich verstehe es nicht, klärt mich bitte auf!

    FEELINARA: (mit funkelnden Augen) Es gibt eine ganz einfache Möglichkeit, die Leute vom Fanfiction-Bereich zu verzaubern. Wer hat das das eifrigste, intelligenteste und süßeste Maskottchen? Wir!

    DEDENNE: Ma-Maskottchen? Ich begreife nicht...

    EVOLI: Du bist nicht nur unser Oberhaupt und Freund, sondern auch allen Lesebegeisterten und Schreibwütigen hier nur allzu bekannt.

    DEDENNE: (in einem lauernden Tonfall) Und das heißt?

    ENDIVIE: Wenn jede Besucherin und jeder Besucher dich mag und schätzt, und sie einen Ansporn brauchen, dann ist doch die naheliegendste Lösung ...

    FLUFFELUFF: ... dich anzubieten! Die Leute haben Lieblingswerke Im Bereich? Dann sollen sie sie vorstellen und erhalten einen Abend mit dir! Alternativ können sie sich auch in allen drei Gattungen beweisen!

    DEDENNE: (entgeistert) Solche schmutzigen Geschäfte mache ich nicht mit!

    FLUFFELUFF: (springt wild auf und ab) Doch nicht solche Abende! Wie denkst du denn von uns! Gemütliche Vorlesungen am Abend oder-

    FEELINARA: Oder wir drucken Sticker und verteilen diese als Belohnung für besagte Aufgaben!

    DEDENNE: Aber ich bin doch kein Idol...

    ENDIVIE: (ernst) Wir und die anderen Schreiberlinge schätzen dich sehr. Bitte mach mit!

    FLUFFELUFF: Genau! Du bist klasse. Wisst ihr was? Sticker sind zu schnöde. Lasst uns besondere Medaillen mit Dedennes Abbild herstellen. Das wird ein Erfolg!

    EVOLI und BEBRILLTES EVOLI: Ein Bombenerfolg!


    DEDENNE: (denkt sichtlich nach und nickt schließlich) Also gut. Ich bin einverstanden. Wenn ich euch so viel bedeute...


    DEDENNE wirkt geschmeichelt und zufrieden. Die anderen Pokémon erheben sich stürmisch und lassen ihr Maskottchen fröhlich hochleben.




    Ratgeber gesucht


    Im schönen Bisa-Tal schien die Sonne und sorgte damit für ein angenehmes Klima. Während viele Pokémon es sich am Bisa-See gemütlich machten oder sich ein kühles Dessert an der Eisdiele genehmigten, saß Bisa, der Bürgermeister des Tals, an seinem Schreibtisch und starrte auf seinem Laptop. Diese verflixten Updates raubten ihm Zeit, die er sinnvoller hätte nutzen können. „Ich muss Plaudagei demnächst darauf hinweisen, dass sie die Internetleitungen besser verwalten soll“, brummte er.

    Dedenne, seine gute Freundin, die Inhaberin der berühmten Buchhandlung inklusive des „Schreibcafés der guten Laune“, blickte überrascht von dem Ordner hoch, den sie gerade abarbeitete. Manchmal, so wie heute, kam sie am späten Nachmittag vorbei und unterstützte Bisa beim leidlichen Bürokram. Wenn dies getan war, saßen sie anschließend häufig bei einem Evoli-Milchkaffee zusammen, oder, wenn es etwas zum Feiern gab – und Dedenne fand eigentlich immer irgendetwas Feiernswertes –, bei einem Pikachu-Luxuspudding.

    „Plaudagei kann nichts dafür, wenn dein Laptop uralt ist“, gab sie zu bedenken. „Du hast das Teil bereits seit zwanzig Jahren, nicht wahr?“

    Bisa wandte den Blick vom Bildschirm ab. „Ja. Ich werde ihn auch weiterhin verwenden. Du weißt, er bedeutet mir viel. Mit ihm habe ich hier angefangen.“


    Einst, im Jahre 2001, hatte er sich von seinem früheren Zuhause verabschiedet und war auf Reisen gegangen. Damals, als junges Bisasam, war er voller Tatendrang gewesen und wollte viel von der Welt sehen. Eines Tages dann hatte er eine unberührte Gegend - das heutige Bisa-Tal – entdeckt und sich dort niedergelassen. Er hatte den Ort neu aufgebaut und ein Reich geschaffen, welches Pokémon gerne besuchten oder ebenfalls dort hinzogen. Er hatte nur wenig Reisegepäck gehabt. Darunter besagter Laptop, der zum damaligen Zeitpunkt nagelneu gewesen, inzwischen jedoch deutlich in die Jahre gekommen war. Obwohl er oft über dessen nachlassende Leistungen klagte, hing er sehr an diesem Gerät, das ihm in den letzten beiden Jahrzehnten so treu gedient hatte.


    Dedenne lenkte ein. „Mag sein. Aber trotzdem ist es nicht Plaudageis Schuld geschweige denn ihre Aufgabe. Das Internet selbst hat nichts mit deinem Betriebssystem zu tun, welches für die Updates verantwortl-“. - „Schon gut, schon gut“, wurde sie unterbrochen. „Bitte verschone mich mit all diesen Fachbegriffen“.

    Bisa hob die Ranken gen Zimmerdecke. „Jedenfalls“, sagte er, während er sich von seinem Drehstuhl erhob, „bringt mich das hier nicht weiter. Bis die Updates beendet sind, kann ich etwas Anderes tun.“ Der kleine Elektronager nickte verständnisvoll. „Ich bin hier sowieso gerade fertig geworden. Komm, lass uns einen Spaziergang machen. Die ganzen Unterlagen hier machen einen ja wirr im Kopf.“

    „Das musst du gerade sagen!“, lachte Bisa, jetzt wieder etwas munterer, während er die Freundin nach draußen geleitete und das Büro abschloss. „Du hockst doch den ganzen Tag über Lektüren oder servierst inmitten von Büchern deine leckeren Gerichte. Kommst du mit dem Schreiben eigentlich gut voran?“, erkundigte er sich und spielte damit auf Dedennes neuestes Projekt an.


    „Ach, ich weiß nicht. Mir sprudeln die Ideen nur so über, aber ich komme an einer bestimmten Stelle einfach nicht weiter“, gab sie zu. Sie hatten das Gebäude, welches äußerlich an die Bisasam-Evolutionsreihe erinnerte, verlassen und strebten dem Bisa-Park zu. Vor Kurzem wurde dort das Olympiaschloss für ein großes Event errichtet, welches Pokémon und Menschen einander näherbringen sollte. Es zog die Blicke auf sich und lud Tourist:innen aus aller Welt zu sich ein. Ja, auch Menschen waren im Bisa-Tal willkommen, jedoch gab es keine festen Einwohner:innen unter ihnen im Tal, weshalb sie von den Einheimischen manchmal scherzhaft als „Nutzer:innen“ betitelt wurden, da sie das Bisa-Tal besuchten und dessen Einrichtungen benutzten, aber dann wieder gingen.

    „Ich verstehe“, meinte Bisa nun. „Hast du dich schon an Simsala gewandt?“

    Simsala war Dedennes Stellvertreter und das genaue Gegenteil der quirligen Elektrofee. Wesentlich strenger und anders als seine Kollegin, schien er andere Pokémon und Menschen nicht sonderlich zu mögen. Er zog Bücher vor. Dedenne zögerte mit der Antwort, während sie sich eine Bank suchten. Nicht weit von ihnen hatten einige Feuer-Pokémon einen Sitzkreis errichtet, in welchem rege über allerlei Themen diskutiert wurde. Etwas weiter hinten konnte man direkt auf eine Bühne schauen, worauf begnadete Schauspieler:innen Aufführungen gaben. Beliebte Gattungen waren Rollenspiele und „Stift und Papier“ sowie „Mafia“, geleitet von Ditto, Trikephalo und Kramshef. Auch Audio- und Video-Veranstaltungen kamen dank Kappalores nicht zu kurz, sodass jede Menge Unterhaltung dargeboten wurde.


    „Also“, sagte Dedenne endlich und lächelte schwach. „Ich schätze Simsala als Mitarbeiter sehr. Er ist so klug, aber ihn fragen, ob er mir bei einer Fanfiction hilft… Ich glaube, da ist er nicht der richtige Ansprechpartner. Vielleicht können mir Mauzi, der die Pokémon-Buch und –DVD-Abteilung beaufsichtigt, helfen. Oder Sen-Long, welcher für Mangas und Animes allgemein zuständig ist“, erklärte sie. Bisa grinste. Dedenne und Simsala waren ein gutes Team, allerdings sehr unterschiedlich in ihrem Wesen. Dedenne war eher sanft, Simsala wirkte manchmal etwas hart.

    „Aber ist Simsala nicht auch für die Pokémon-Editionen zuständig und könnte kreative Einfälle beitragen?“, fragte er.

    „Das ist richtig, jedoch überlässt er das lieber seinen Angestellten, den Käfer-Pokémon. Simsala schafft so viel.“ In ihrer Stimme klang ehrliche Bewunderung. „Er leitet die Buchhandlung mit, überwacht die Herstellung der Pokémon-Spiele und veranstaltet zusammen mit Guardevoir die Sammelkarten-Turniere. Da kann ich ihn nicht auch noch mit einem solch belanglosen Problem stören.“

    Bisa überlegte. „Es stimmt, dass er viel macht, aber ihr seid immerhin Kollegen. Dedenne, versuch es einfach! Mehr als Nein sagen kann er nicht“, sagte er ermutigend.

    Dedenne wirkte nicht ganz überzeugt und dachte nach. Schließlich nickte sie. „Meinetwegen. Dann werde ich ihn in den nächsten Tagen mal ansprechen, ob er eine Idee für meine Story hat“, murmelte sie, wurde jedoch sogleich tadelnd angesehen. „Nein. Du machst das am besten so schnell wie möglich. Dir liegt viel an deiner Geschichte und Simsala kann dir mit seiner Intelligenz sicherlich einen guten Rat geben.“ Dedenne seufzte. „In Ordnung.“


    Bereits am anderen Tag, als Bisa seiner Freundin einen Besuch abstattete, konnte er sie eifrig schreiben sehen, während Simsala danebenstand und Tipps erteilte. So konnte Dedennes Story doch noch erfolgreich fortgeführt werden. Bisa nickte zufrieden. Das Problem war somit erledigt.

  • Hallo,


    beim Teddybärgedicht habe ich das Werk für sich betrachtet gelesen. Insofern würde ich behaupten, dass auch ohne Vorkenntnisse der Geschichte ein angemessenes Gefühlsbild vermittelt wird.

    Apropos Gefühle: Die werden bei der Geschichte mit dem Mädchen und Flamara ebenfalls groß geschrieben. Zuerst wirkte es tatsächlich befremdlich, dass sie nicht einfach den Pokéball zeigte. Als sich herausstellte, dass sie keine offizielle Trainerin ist, hat sich einiges geklärt und die anschließende Szene im Metaflurtunnel sprühte dabei nur vor Ehrgeiz und Positivität. Es bleibt zu hoffen, dass die beiden noch lange gemeinsame Freunde sein werden und viele Abenteuer erleben werden.


    Wir lesen uns!



  • Entschluss.

    Entscheidungen. Wir stehen ihnen Tag für Tag gegenüber und fällen welche. Mal bewusst, mal unbewusst. Immer aufs Neue gelangen wir in Situationen, in der es mehr als zwei Lösungen gibt, und wählen eine davon. Mal führen sie uns ans Ziel. Mal führen sie uns weg, weil wir eine falsche Entscheidung trafen. Doch sie alle sind dafür da, uns voranzubringen. Jede einzelne, noch so unbedeutend wirkende. Wir landen schließlich an einem Punkt, der richtig oder falsch ist. Manchmal ist er einfach perfekt und führt uns in ein zauberhaftes Reich voller magischer Feen, die uns mit Glitzer bestäuben und Geschichten erfinden.


    Anfänge.

    Evoli hob den Kopf, als das Bisaphone vibrierend summte und eine Eilmeldung hereinkam. Vergessen waren der Roman, den es nun eilig aus den Pfoten legte, vergessen die spannende Story um einen Trainer, der angeblich das stärkste Pikachu besaß. Evoli las die Meldung einmal, zweimal und noch einmal. Immer wieder lasen die braunen Augen den Text und schließlich nickte das flauschige Pokémon. Rasch warf es seinen Laptop der Firma Knapple an und begann loszutippen. Aufgeregt klickte es nach getaner Arbeit auf „senden“.

    Einige Tage und eine weitere Nachricht später konnte man ein Evoli geschäftig mit dem Regelbuch des Feenreiches hantieren sehen.


  • Herz

    bruch


    Du hältst mich fest,

    Du lässt mich nicht los,

    Du lässt mich nicht geh'n,

    Ich will doch nur fort.


    Ich sehe den Blick, deine beinahe

    Chronische Angst, du möchtest fort,

    Hinaus in die Welt, doch.


    Will dich nicht verlieren.

    Ich möchte nichts riskieren.

    Liebe ist so vergänglich,

    Leider nicht lebenslänglich.


    Du windest dich in meinen Armen.

    Ich lasse mich nicht erbarmen.

    Chancenlos versuche ich dich zu halten, dein

    Herz aber habe ich längst verloren.

  • Trennung


    Du siehst weg, meidest meinen Blick. Meine Augen suchen die deinen, doch es ist zwecklos. Du hast deine Entscheidung für die Zukunft längst getroffen. Für deine Zukunft, in der ich kein Teil mehr deines Lebens sein werde. Es tut weh, aber ich weiß, dass ich dich nicht aufhalten kann. Du wirst einen Weg ohne mich gehen, für mich bleibt dieser Pfad versperrt. Es ist nicht nötig, es aus deinem Mund zu hören. Dein Gesicht offenbart mir all deine Gefühle wie ein Buch, das ich nie lesen wollte. Dessen Ende traurig und bitter ist. In der Fortsetzung gibt es mich nicht.

  • Hallo,


    der Herzbruch zeigt bereits durch seinen Titel eine besondere Form an, die im Gedicht selbst ebenfalls noch relevant wird. Zu Beginn wirkt das Beisammensein harmonisch, wenngleich du im vierten Vers der ersten Strophe bereits Anderes andeutest. Im Anschluss wird das Unwohlsein durch die besitzergreifenden Gedanken erklärt und verstärkt. Gemeinsam mit dem Titel spielt dieser Bruch zwischen den Perspektiven mit der Erwartungshaltung an das Gedicht, schafft es aber gleichzeitig, auf eine emotionale Art mitzureißen. In gewisser Hinsicht scheint die anschließend veröffentlichte Trennung direkt an das Geschehen anzuknüpfen, wodurch die erzählte Geschichte einen angemessenen Ausklang mit sich bringt.


    Wir lesen uns!



  • Rocko aus Marmoria City nach Belästigungen verhaftet!


    Ein Beamer projiziert eine Videokonferenz an die Wand. Lediglich Lilian Meridian steht auf der Bühne, mit dem Gesicht zum Publikum.


    LILIAN: Zum heutigen Mittag erreichte unsere "Pokemon Allgemeine Redaktion" eine schockierende Nachricht. Rocko, der Arenaleiter aus Marmoria City, wurde nach Belästigungen gegenüber einer Frau höchstpersönlich von Officer Rocky verhaftet. Da es sich hier um eine bekannte Persönlichkeit handelt, scheuten wir uns nicht davor, uns die Meinungen ausgewählter Personen aus dem Bekanntenkreis des Beschuldigten zu einer Videokonferenz einzuladen, um uns ihre Sicht zu dem Skandal anzuhören. Ich, Lilian Meridian, Moderatorin aus der heimeligen Kanto-Region, habe diese Gespräche eigens organisiert! (wendet sich der Wand mit den Bildschirmen zu) Bitte, meine Herrschaften!

    MISTY, Azuria City: (aufgebracht) Ich habe es schon immer gewusst! Auch wenn Rocko sonst ganz in Ordnung ist, kann er bei Frauen nicht widerstehen! Aber trotzdem, ob er wirklich...?

    Nach dieser ersten Aussage, die sich einerseits gegen und andererseits für den ehemaligen Reisegefährten ausspricht, forscht Lillian eifrig weiter.


    LUCIA, Zweiblattdorf: Nein, wirklich? Rocko soll derart hartnäckig geworden sein, dass er abgeführt werden musste? Das kann ich einfach nicht glauben. Das ... kann nicht wahr sein!

    DREW, LaRousse City: Hm, der Kerl, mit dem Maike herumgezogen ist, war schon etwas seltsam. Aber mir gegenüber war er stets freundlich. Nun, wir werden es ja sehen, was die weiteren Ermittlungen ergeben werden (wirft eine Haarsträhne in gewohnter Manier lässig zur Seite). Mehr habe ich dazu auch nicht zu sagen.

    SCHWESTER JOYs aus mehreren Orten: Der junge Mann wirkte immer energisch und rücksichtsvoll, ja, natürlich durchaus etwas zudringlich, aber das ist eher seinem jugendlichem Elan zuzusprechen.

    ASH KETCHUM, Alabastia: (stotternd) I-ch weiß nicht, was ich dazu sagen soll. Rocko ist mein bester Freund, wir haben mehrere Regionen zusammen bereist. Klar, er spricht jede Dame an, aber das ist doch nicht verboten? (nun selbstsicherer) Rocko hatte sicherlich seine Gründe.


    Welche Gründe das sein könnten, bleibt der junge Trainer allerdings schuldig. Abweisend blickt er weg und schweigt.


    PROFESSOR EICH, Alabastia: Herrje, das ist ja nicht zu fassen! Das schreit nach einem Gedicht, ich kann es nicht lassen. Ein junges Herz, voller Schmerz- (Verbindung wird abgebrochen)

    LILLIAN: Danke, Professor Eich, gerne hören wir uns Ihre lyrische Darbietung zu einem anderen Zeitpunkt an!

    MAIKE, Wurzelheim: Ich kenne Rocko sehr gut und auch wenn ich meinen Vorrednerinnen und Vorrednern teilweise zustimmen muss, so ist Rocko niemals unverschämt geworden.

    MAX, Wurzelheim: Schwierig zu sagen. Aber ich bin derselben Meinung meiner Schwester - und das kommt nicht gerade häufig vor. Rocko ist ein guter Mensch.

    DELIA KETCHUM, Alabastia: Ich kann kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass ich mich so getäuscht haben könnte in diesem jungen Mann, der Ash so lange zur Seite stand.

    JESSIE, Team Rocket: (wütend) Wie bitte, er soll jede hübsche Frau angeflirtet haben? (beißt vor Wut auf eine Haarsträhne herum) Das ist ja wohl die Höhe! Mir hat er nie ein Kompliment gemacht!

    LILLIAN: (etwas verunsichert ob Jessies Wutausbruches) In Ordnung ... Das sind ja viele verschiedene Ansichten. Aber hören wir uns weitere Gäste an!

    Cassidy, Team Rocket: Dass dieser Schürzenjäger Jessie nicht nachgelaufen ist, verstehe ich vollkommen (lacht gehässig auf und grinst zu Jessies Bildschirm, auf dem eine gemutete Jessie wütend Drohgebärden zeigt). Aber ich bezweifle, dass er überhaupt Geschmack hat. Meine Schönheit hat er schließlich verkannt!

    PAUL, Schleiede: Was kümmert mich das? Wenn es wahr ist, ist es einfach jämmerlich (bricht die Verbindung ab).

    SOLIDAD, Marmoria City: Rocko ist ein freundlicher und guter Freund von mir. Ich kann gewisse Flirtversuche nicht leugnen, manchmal war das unangenehm. Allerdings ist Rocko dennoch niemand, der weitergehen würde, als gewünscht.

    Professorin Ivy, Orange-Archipel: (zu Solidad) Das sehe ich anders. Ich möchte mich zu diesem Mann eigentlich nicht äußern müssen. Obwohl, wenn Sie es genau wissen möchten: Ich kann mir gut vorstellen, dass er die eine oder andere Grenze nicht beachtet hat. Es hat schließlich seine Gründe, weshalb ich ihn damals aus dem Labor geworfen habe.

    HARLEY, Graphitport City: Arggh, dieser arrogante Typ mit seinen neunmalklugen Sprüchen! Stets war er um Maike herum - nein, nein. Natürlich fällt diese Göre nicht in sein Beuteschema. Dafür müsste sie hübsch sein. Sicher bin ich mir nicht, aber wundern würde mich sein Verhalten nicht, widerlich!


    Wie vorhin bei Jessie entscheidet sich Lillian, den Teilnehmer zur Vorsicht stummzuschalten, lächelt gequält und wendet sich dann der letzten Teilnehmerin zu.


    CYNTHIA, Ondula: Guten Tag. Die Nachricht hat mich ziemlich überrascht. Ich habe Rocko schon öfter auf offiziellen Treffen der Arenaleiterinnen und Arenaleitern getroffen. In meiner Position als ein Champ einer Region ist es meine Pflicht, mich um einen guten Austausch zu bemühen. Er ist sehr wohl dem weiblichen Geschlecht zugetan, aber ich bezweifle, dass es ausarten würde, wenn man ihn klar und deutlich abweist.

    LILLIAN: Das also waren die Kommentare von Rockos mehr oder weniger vertrautem Umfeld! Wir bedanken uns herzlich bei allen, die uns Auskunft gegeben haben und verabschieden uns hiermi- ... Moment, gerade versucht sich Officer Rocky zuzuschalten. Lassen wir die Dame, die sicherlich Informationen aus erster Hand zu erzählen weiß, doch sprechen!

    OFFICER ROCKY: Danke, sehr freundlich, Lillian. Wie sich herausgestellt hat, ist der Arenaleiter aus Marmoria City völlig unschuldig! Nach eindringlichen Befragungen kamen wir zu den Schluss, dass Rocko von einem Pokémon mit der Attacke Anziehung in einer Art Trance versetzt sein musste. Diese bewirkte, dass er der besagten Frau bis nach Hause folgte und sich in Komplimenten förmlich überschlug. Selbst die Anwesenheit ihres Freundes und dessen Bemühungen, ihn fernzuhalten, halfen da nicht. Nach der letzten Befragung - sein Schicksal schien besiegelt - kam ein kleines Kussilla aus Rockos Rucksack hervor. Die fähige Schwester Joy, die den Gesundheitszustand des jungen Mannes prüfen sollte, kam sofort darauf, dass das Pokémon für das Malheur verantwortlich sein müsste. Nach einem verabreichten Gegenmittel bestätigte Rocko, einem vermeintlich verletzten Kussilla begegnet zu sein und dieses mitgenommen zu haben, um es zu pflegen. Doch das Kleine hatte es faustdick hinter den Ohren ... Moment, haben Kussillas überhaupt Ohren? Jedenfalls ist das Baby-Pokémon nun der Obhut des Pokémon-Centers anvertraut worden und der Fall erledigt.

    LILLIAN: Vielen Dank, Officer Rocky für die klärenden Worte. Nun, dann können wir uns mit gutem Gewissen verabschied-

    OFFICER ROCKY: (mit strenger Miene) Diese öffentliche Talkshow, ohne endgültige Beweise oder Ähnlichem, von Ihnen geführt, wird ein Nachspiel haben, meine Liebe!

    LILLIAN: (mit nervösem Lächeln) Oh, nun ... Und hiermit verabschieden wir uns nun, auf Wiedersehen!


    Die Videokonferenz löst sich auf. Aus dem Off ertönt eine Stimme:

    Nach dieser ungewöhnlichen Wende war unsere Moderatorin nicht mehr erreichbar. Unklar ist, ob dies der Polizistin geschuldet ist.





  • Marie


    Marie joggte an einem Wintermorgen, Anfang Februar, die letzten Meter bis zu ihrem Haus, während der Himmel den Eindruck erweckte, dass der nächste Schneefall nicht allzu lange auf sich warten lassen würde. Das näher kommende kleine Häuschen mit dem roten Ziegeldach, zählte zwei Stockwerke und nannte einen zugehörigen Garten sein Eigen. Es wirkte nun, nach der sportlichen Ertüchtigung und der Kälte, besonders einladend, wenn sie an die Heizung dachte, die bereits ihre Arbeit tat. Sie verlangsamte ihr Tempo und blieb stehen, während sie ihren Schlüsselbund aus ihrer Hosentasche hervorkramte und die Haustür öffnete. Endlich in den behaglich warmen vier Wänden angekommen, nahm sie ihre hellblaue Wollmütze von ihrem blonden Haar und streifte die Handschuhe ab. Beides warf sie beinahe achtlos auf den Küchentisch, dessen Tischtuch einen starken Kontrast zu der ansonsten in Weiß ausgestatteten Kücheneinrichtung bildete. Das Muster erinnerte an bunte Farbkleckse und war ein Werk ihres Mitbewohners, zu dem Marie vor wenigen Wochen eingezogen war. Nun lief Marie den geräumigen, mit Jonas‘ vielen Bildern behangenen Flur entlang. Er hatte die Angewohnheit, jeden Besucher seines Hauses auf seine Werke und seine Arbeit als freiberuflichen Künstler aufmerksam zu machen. Jonas war auf Landschaftsmalerei spezialisiert und deshalb lachten einem von den Wänden der Fuji aus Japan, der Wolfgangsee aus Österreich, die deutsche Nordsee und weitere Motive entgegen. Am liebsten hatte Marie jedoch ein bescheideneres Bild: Kaum größer als ein Din-A4-Blatt, mit einem dunklen Rahmen versehen, zeigte es dieses Haus samt Garten an einem sommerlichen Nachmittag. Einige Vögel trieben darin auf dem Gartenzaun spielerisch ihr Unwesen; das im Moment unter Schnee vergrabene Gras war beinahe leuchtend grün und darauf wuchsen einige Gänseblümchen, doch auch Sonnenblumen zierten die Zeichnung. Jonas war ein etwas zynischer Perfektionist und hatte sich mittlerweile künstlerisch sehr verbessert, weshalb er ihr dieses Bild nur zögerlich und ein wenig beschämt gezeigt hatte. Er hatte ihr gestanden, dass er sogar erwogen hatte, es abzuhängen, bevor Marie eingezogen war. Umso verblüffter war er gewesen, als sie ihm gestand, dass sie das schlichte Bildchen sehr mochte. Jetzt riss sich die junge Frau aus ihren Gedanken und kehrte zuerst ins Badezimmer ein, um sich der restlichen, verschwitzten Klamotten zu entledigen, und dort Schweiß und Schmutz loszuwerden und sich aufzuwärmen.


    Kurz danach fand sie sich in ihrem Zimmer ein, welches offenbarte, dass sie noch nicht lange hier lebte. Neben dem mit einer lilafarbenen Bettdecke versehenem Bett gab es noch einen Nachttisch sowie einen Kleiderschrank, beides in Beige gehalten. Ein Stapel Karton verriet die Anwesenheit weiterer Gegenstände, die Marie hatte mitnehmen müssen, obwohl sie noch nicht wusste, auf welche Art und Weise sie diese hier einrichten wollte. Die Unmengen an Bücher, ihre Geige und ihr Hobby: Ihre selbst gehäkelten Deckchen, die es in den verschiedensten Exemplaren gab: große, kleine, helle, dunkle, einfarbige, bunte, runde, eckige, sternförmige, und und und. Jonas hatte sie mal scherzhaft als eine Oma im Körper einer 20-jährigen bezeichnet und vorgeschlagen, sie könne ja ihre eigene Wintermode herstellen. Sie hatte grinsend abgewunken, ihm jedoch einen schwarz-weiß gestreiften Schal angefertigt, den er zu ihrer großen Freude oft um den Hals trug, wenn er so wie heute wieder auf der Suche nach guten Zeichenobjekten in der Natur war.

    Marie lehnte - eine Tasse mit heißem Kakao neben sich auf dem Nachttischchen - mit dem Rücken an der Wand, auf ihrem Bett und las die Nachrichten auf ihrem Smartphone durch. Wieder einmal waren schlimme Autounfälle geschehen, Kinder wurden vermisst, man erfuhr von Familiendramen; es wollte nicht aufhören, mit erschütternden Nachrichten aus aller Welt. Kurz stolperte Marie beim Lesen über eine Schlagzeile aus China, in der über ein neues Virus berichtet wurde, das sich dort rasch ausbreitete.

    Wird schon nicht so schlimm sein. Hier in Deutschland sind wir ja sicher, China ist weit weg, dachte sie und blätterte weiter, als sie das Klicken des Türschlosses vernahm und sie Jonas reinstapfen hörte. „Eine Thermoskanne mit Kakao steht in der Küche“, rief sie ihm zu, woraufhin er mit „Super, danke schön!“, antwortete.


    „Weißt du bereits, wie es mit dir weitergeht?“, fragte er sie beim gemeinsamen Abendessen. Marie löffelte bewusst langsam ihre Tomatensuppe und nahm sich Zeit, bevor sie antwortete. Das Thema war ihr etwas unangenehm.

    „Nun“, sagte sie dann nach einer, wie sie annahm, angemessenen Pause. „Ich fange nächste Woche mit einem Nebenjob im Seniorenheim an; du weißt schon, das Chrysanthemenheim. Ich werde dort als Reinigungskraft tätig sein.“ Sie zuckte die Achseln. „Das ist nicht mein Traumberuf, aber besser als nichts. Dann kann ich auch wieder regelmäßiger die Miete bei dir begleichen.“

    Er tunkte ein Brötchen in die Suppe und hob den Kopf. „Du weißt doch, dass ich es damit nicht so eilig habe. Ich kann ganz gut mit meinem Einkommen leben, außerdem zahle ich hierfür keine Miete. Das Haus habe ich ja geerbt.“ Bei den Worten wurde sein Ton bitter und sein Gesicht verdunkelte sich, was ihn um einiges älter als 29 aussehen ließ.


    Dass er vor über einem Jahr den Tod seiner Eltern hatte durchmachen müssen, woraufhin ihm als einziger Nachkomme das Haus vermacht wurde, erwähnte er selten. Kräftig biss er vom mittlerweile durchtränkten Brötchen ab, und der Ausdruck auf seinem Gesicht wurde wieder weicher. „Mach dir bloß keinen Stress wegen der Miete, die ist nicht so dringend. Bis du im September mit einer Ausbildung anfangen kannst, ist der Job im Altenheim vorübergehend eine passable Lösung.“

    Sie nickte knapp. Das, was er gerade nicht auszusprechen wagte, war die Tatsache, warum sie noch keine Ausbildungsstelle gefunden hatte. Den Grund kannten sie beide. Der Unfall, der seinen Eltern das Leben gekostet hatte, hatte auch das ihrer Eltern und ihrer jüngeren Schwester genommen. Lediglich Marie hatte die Kollision der beiden Wägen überlebt, wenn auch so stark verletzt, dass sie monatelang im Krankenhaus versorgt werden musste. Jonas war an jenem Tag nicht dabei gewesen, sie hatte ihn jedoch bald kennengelernt, als er sich bei ihr an ihrem Krankenbett nach dem genauen Hergang des Unglücks erkundigte. Sie hatte sich schuldig gefühlt und befürchtet, dass er wütend auf sie sein könnte, weil sie als einzige Beteiligte lebendig aus der Sache herausgekommen war; doch er hatte es als tragische Angelegenheit akzeptiert, mit der sie beide fertig werden mussten und ihr stattdessen angeboten, zu ihm zu ziehen. Dankbar hatte sie dies angenommen - mittellos und arbeitslos wie sie nach den Strapazen letztendlich war. Er hatte ihr damit sehr geholfen, als sie kurz vor Weihnachten schließlich für genesen erklärt wurde.


    Es war mittlerweile Mitte April, als die Vögel Marie frühmorgens aus ihrem Schlaf weckten. Sie streckte sich gähnend. Sie stellte fest, dass sie noch in Alltagsklamotten auf ihrer Bettdecke lag, neben sich die Wolle und die Häkelnadeln, sowie eine ausgedruckte Anleitung für einen Mund-Nasen-Schutz, den sie am Abend davor angefangen hatte. Denn so harmlos, wie sie einst angenommen hatte, war das neuartige Coronavirus doch nicht und hatte sich bereits auch in Europa ausgebreitet, wovon Deutschland nicht verschont geblieben war. Im Gegenteil: Vorigen Monat wurde der Katastrophennotstand für Deutschland ausgerufen. Auch eine baldige Maskenpflicht wurde verordnet, weshalb nun emsiger Andrang bei sämtlichen Institutionen herrschte, die so etwas verkauften. Marie hatte kaum Geld übrig, dafür aber handwerkliches Geschick, weshalb sie eine solche Maske für Jonas und sich selbst gehäkelt hatte. Auch war eine Idee in ihrem Kopf entstanden, wie sie in dieser Situation würde profitieren können, weswegen sie nun in jeder freien Minute Mundschutze produzierte. Damit hatte sie sich in der Nachbarschaft einen guten Namen gemacht, deren Bewohner ihr nur zu gerne welche abkauften und sie weiterempfohlen. Sie bot ihre handgemachten Werke nun auch online an, wofür sie sich netterweise Jonas‘ Laptop ausleihen durfte, und freute sich über jede Bestellung; denn Jonas kündigte düster eine aufkommende wirtschaftliche Katastrophe an, die das Coronavirus mit sich ziehen würde. So war es für ihn schwieriger geworden, unproblematisch in der Natur zu zeichnen, ohne die Aufmerksamkeit von Streifenpolizisten auf sich zu ziehen, die ihre eigenen Vorgaben aufgrund der Ausgangsbegrenzungen und der Kontaktsperre hatten. Zu allem Überfluss waren die Aufträge weiterer Bilder gesunken.

    Marie dagegen war gefragter denn je. Wurde sie anfangs noch leicht verächtlich von Mitarbeitern abseits des Reinigungspersonals wahrgenommen, da sie „nur“ für Reinigungsarbeiten verantwortlich war und somit weniger wichtig schien. So wollte sie nun niemand mehr missen, da sie sich redlich Mühe gab, neben den üblichen Hygienevorschriften nun auch die nötigen Corona-Maßnahmen im Seniorenheim durchzuführen. Dazu zählten unter anderem, alle möglichen und insbesondere die oft genutzten Flächen und Türklinken gut zu desinfizieren, die Räume gut zu durchlüften, dies natürlich in regelmäßigen Zeitabständen und viel häufiger als vorher. Zudem hatte Marie, sofern sich die Möglichkeit ergab, ein offenes Ohr für die Bewohner und ertrug auch geduldig die Sorgen oder Beschwerden der Pflegekräfte und den anderen Mitarbeitern und hörte sich auch jene an, die unbedingt ihre Ansichten bezüglich der aktuellen Situation und den Beschlüssen der Regierung kundgeben mussten. Des Weiteren hatte Marie dem Altenheim mehr als ein Dutzend selbst angefertigte Masken gespendet. So war sie sich ihres Jobs sicher, aber auch des dadurch höheren Ansteckungsrisikos bewusst und hielt umso strenger das Hygienekonzept ein. Dafür hatte sie bald begriffen, dass eine Ausbildung unter den aktuellen Umständen zu finden eine ziemlich komplizierte Angelegenheit war und musste sich erneut um ihre fernere Zukunft sorgen. Als ihr Smartphone klingelte, legte sie ihre Handarbeit beiseite und nahm den Anruf entgegen. Wenige Momente später hatte sie eine weitere Absage eines Unternehmens zu verbuchen und häkelte verbissen darauf los. Ein Blick auf die Zeitangabe des Handydisplays zeigte bereits 12:00 Uhr mittags an. Jonas hatte sich in seinem Zimmer verkrochen und ignorierte seit Tagen sämtliche ihrer Versuche, ihn dazu zu bringen, es zu verlassen und mit ihr persönlich zu sprechen. Er kam nur heraus, um das Badezimmer aufzusuchen oder sich rasch etwas aus der Küche zu holen, wobei er sorgsam darauf achtete, ihr nicht zu begegnen. Wie sie wusste, hatte er eine große Panik vor „diesem bösen Virus“. Es belastete sie, weil er in ihr eine Gefahr sah, da sie nun ständig von gefährdeten und möglicherweise bereits an Covid-19 erkrankten Menschen umgeben war und die Krankheit weitergeben könnte. Seine einst lockere Art hatte sich drastisch verändert und das zerrte auch an ihren Nerven.


    Ihr Taschenkalender kündigte den 12. Mai an. Marie zog den Mundschutz hoch über Kinn, Mund und Nase und trat recht unmotiviert ihre Arbeit an, gefasst auf den Stress und zusätzliche Hygieneaufgaben sowie den gereizten und überforderten Kollegen. Es wurde für sie zunehmend schwieriger, dies alles zu bewältigen und dennoch ein Lächeln auf ihr Gesicht zu erzwingen.


    Mit zitternden Händen verschaffte sie sich Zugang ins Haus und rannte beinahe den Flur entlang, die Treppe hoch und blieb vor Jonas‘ Zimmertür stehen.

    „Jonas?“ Keine Antwort. Sie holte tief Luft und benötigte mehrere Anläufe, bis sie weitersprechen konnte. „Ich… ich wurde positiv auf Covid-19 getestet“, würgte sie hervor und kämpfte gegen aufsteigenden Tränen an. Ihre Angst vor den möglichen Auswirkungen der Krankheit war schon groß genug, doch auch machte sie sich Gedanken vor Jonas‘ Reaktion. Vielleicht warf er sie nun aus seinem Haus raus, gemeinsame, tragische Vergangenheit hin oder her. Und selbst, wenn er dies nicht wagen sollte, würde er sie jetzt nicht mehr beachten und alleine mit ihren negativen Gefühlen lassen. Und wie sollte sie sich während der aufgelegten Quarantäne versorgen? Ob er ihr zumindest damit aushelfen würde? Sie hatte ihn in den vergangenen Monaten liebgewonnen. Ihre Gefühle waren auch nicht geringer geworden, als er sie nun ständig mit knappen SMS-Mitteilungen abwehrte. Es schien eine Ewigkeit her, als sie zusammen gegessen und gelacht hatten.

    Sie schrak zusammen, als seine Tür mit einem Ruck aufgerissen wurde und er ihr leibhaftig gegenüberstand. Wie vom Blitz getroffen wirkte er und starrte sie nur an.

    „Da-dann werde ich wohl in mein Zimmer gehen und dort bleiben und dich nicht weiter stören. Damit du dich nicht ansteckst“, piepste sie hervor und machte Anstalten, sich umzudrehen. Nach einem Moment der Stille machte er rasch einen Schritt auf sie zu und hob die Arme. In Erwartung eines Schlages oder Ähnlichem, war sie umso erstaunter, als sie sich in seinen Armen wiederfand.

    „Mein Gott, Marie“, murmelte er, während sein Kinn auf ihrem Kopf ruhte. „Wirklich überraschend ist diese Neuigkeit nicht; um ehrlich zu sein, habe ich damit gerechnet, dass dies eines Tages eintrifft. Deshalb habe ich deine Anwesenheit auch vermieden, womit ich dich vermutlich verletzt habe. Das tut mir leid, glaube mir bitte. Natürlich ist das nun ein Schock, aber ich lasse dich nicht im Stich. Wir stehen das gemeinsam durch. Wäre nicht die erste Katastrophe für uns zwei, oder?“

    Ein schwaches Lächeln war Marie gerade noch möglich, als ihr mit einem Mal schwarz vor Augen wurde und sie das Bewusstsein verlor.


    In den nächsten Tagen pflegte Jonas seine junge Mitbewohnerin gewissenhaft und mit großer Hingabe. Wenn sie schließlich schlief, war es für ihn eine Wohltat, in ihr hübsches, jedoch etwas in Mitleidenschaft gezogenes Gesicht zu blicken und die Hoffnung, dass sich alles zum Guten wenden könnte, stieg.


    Doch dann sah er sich gezwungen, den Notarzt zu alarmieren, Marie ins Krankenhaus einliefern zu lassen und konnte kurz danach nur noch fassungslos die Nachricht von ihrem Tod entgegennehmen. Komplikationen hätte es gegeben, hieß es seitens der Ärzte, mit bisher unentdeckten Folgen des Autounfalls, die ihrem Körper mehr als ursprünglich angenommen geschadet hatten.

    Innerlich war ihm trotz des warmen Frühlingswetters eiskalt. „Jetzt ist alles vorbei“, sagte er tonlos. Er befand sich vor dem Krankenhaus, in welchem noch ihr Leichnam lag.

    „Es ist alles aus!“, wiederholte er, diesmal schrie er es offen heraus und erschreckte einige Tauben auf dem Gelände, das mit Wiesen und Sitzgelegenheiten ausgestattet war. Außer ihm befand sich hier draußen vor dem Gebäude kaum ein Mensch, alles wirkte wie ausgestorben. Tot. So wie seine Freundin, die den Kampf gegen diese Krankheit verloren hatte. Jonas bemühte sich nicht, die Tränen zurückzuhalten oder zu verbergen. Er brüllte und schluchzte seine Trauer in die Welt hinaus.

  • Hallo,


    mein größter Kritikpunkt an Marie ist, dass sich der Text durch die vielen Informationen recht zäh liest und daher aufgebläht wirkt. Grundsätzlich finde ich es gut, dass du das Leben der beiden immer wieder bis ins Detail beschreibst. Die reine Aufzählung dieser Situationen sorgt allerdings eher dafür, dass sie als Charaktere relativ blass bleiben. Das letzte Drittel empfand ich hierbei als am besten, als Jonas seine aufopferungsvolle Art erneut zeigen und Marie vorübergehend pflegen durfte. Es zeigte, dass er trotz seiner Angst immer für sie da war und in dieser Zeit ist das ein starker Lichtblick.


    Wir lesen uns!


  • Die Verabredung


    Das unternehmungsfreudige Blitzen in deinen Augen verrät mir, dass du noch lange nicht genug von unserem Rendezvous hast. Seit Stunden sind wir unterwegs und betrachten den Park mit seinem kunstvoll verzierten Brunnen so, als sähen wir ihn das erste Mal. Wenn man verliebt ist, sieht man alles mit neuen Augen. Auch im Restaurant haben wir die Tatsache außer Acht gelassen, dass wir die Speisekarte bereits auswendig kennen und taten, als müssten wir uns erst durchprobieren. Es war ein langer, angenehmer Tag. Doch genau wie ich möchtest du ihn noch nicht beenden lassen. Wie in geheimer Absprache steuern wir beide den See an, der von Parklaternen schwach beleuchtet wird und selbst im zarten Lichtschein majestätisch funkelnd vor uns liegt. Wir setzen uns auf eine nahegelegenen Bank und genießen den atemberaubenden Anblick des stillen Gewässers. "Der See schimmert wie flüssige Kristalle", sage ich und befürchte, den Moment durch meine plötzlichen Worte ruiniert zu haben. Als wäre die Stille wichtig, um dieses Date erfolgreich abzuschließen. Schüchtern suche ich in deinem Gesicht nach möglicher Verärgerung, doch du lächelst mich warm an. Sogleich sind alle Zweifel weg und was heute noch zwischen uns beiden geschieht, wird nur jener glitzernde und strahlende See wissen.


    198+2 Wörter, vager Bezug zum Kristallsee, meinem BSC-Ort




    Platzregen


    Schwere Regentropfen treffen platschend auf den geteerten Boden und erzeugen mal große, mal kleine Pfützen. Mit dem kalten Nass kommt auch ein zügiger Wind daher. Durchnässte Haare und durchtränkte Schuhe. Wasserspritzer durch die fahrenden Autos sorgen für zusätzliche Unbequemlichkeit. Die Fußgängerwege scheinen wie leergefegt. Niemand, der es nicht unbedingt muss, wagt sich hinaus. Sie alle suchen Schutz im trockenen Inneren.

    Nur du nicht. Du stehst mitten auf dem Bürgersteig mit weit ausgestreckten Armen, den Kopf gen Himmel gerichtet mit einem seligen Lächeln auf den Lippen. Du bist klatschnass, doch das stört dich überhaupt nicht . Glücklich genießt du den fallenden Regen.


    Drabble 100+1




    Countdown


    It's the final countdown! Nur wenige Sekunden trennen dich von der Freiheit. Freiheit, die Freizeit bedeutet und dir gestattet, das zu tun, wonach dir in Wirklichkeit ist. Nämlich dich mit der Fernbedienung und einem Teller voll saftigen knackigen Gemüsesticks inklusive diverser Dips auf die Couch zu setzen und gemütlich den Abendkrimi im TV zu verfolgen. Doch noch sitzt du hier, in deinem Büro, umgeben von Dokumenten und Aktenordnern. Dich interessiert nur noch die Uhr, die verheißungsvoll den Feierabend ankündigt. Noch drei Sekunden, zwei, eine. Ein weiteres Mal bewegt sich der Zeiger und du atmest auf. Dienstschluss! Endlich der Arbeit entfliehen!


    Drabble 100+1