Need to win

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  • Teil 2: Need to go - Der südliche Ring

    (c) Nintendo - Szene aus Pokémon Schwert/Schild


    Kapitel 16


    Hop beschloss, noch am selben Abend Route 3 zu bereisen und dann dort irgendwo zu campen. Ich hingegen blieb noch eine Nacht in Engine City, um dem großen Ansturm an Trainern aus dem Weg zu gehen. Ich entschied mich sogar dafür, erst nach dem Mittag loszugehen. Denn das letzte, was ich wollte, war, von jemandem beobachtet zu werden, wie ich blind durch das hohe Gras stolperte, bis mich ein Pokémon angriff. Auf irgendwelche komischen Gerüchte, die Cosma etwas gegen mich in die Hand legten, hatte ich nun wirklich keine Lust.

    Als ich schließlich auf Route 3 ankam, musste ich allerdings feststellen, dass ich trotz allem nicht ganz alleine war. Ein Mann mittleren Alters stand dort und schien die Mittagssonne zu genießen. Ich straffte also die Schultern und versuchte, so ruhig wie möglich zu atmen, während sich meine Brillengläser pechschwarz verfärbten und ich nur noch im peripheren Sichtfeld erkennen konnte, ob ich vielleicht gegen einen Felsen laufen würde. Glücklicherweise hatte ich nun schon ein bisschen Erfahrung mit diesem Vorgehen und verhielt mich hoffentlich wenigstens einigermaßen normal. Zumindest zuckte ich nicht bei jedem Pokémon-Ruf, den ich hörte, zusammen.

    Obwohl ich nicht weit kam, dauerte es eine Weile, bis mich ein Pokémon angriff. Ich erkannte den Ruf nicht, aber als meine Brillengläser wieder durchsichtig wurden, erblickte ich ein Skunkapuh. Zum Glück machte mir die Kleine keine großen Schwierigkeiten und ließ sich gut einfangen.

    Zum ersten Mal, seit ich sie bekommen hatte, nutzte ich die Pokémon-Box und holte mein neues Pokémon ins Team. Da ich aber nur sechs Pokémon bei mir tragen konnte, beschloss ich, Merkur eine kleine Pause zu gönnen.

    Für den Rest des Tages ließ ich das Skunkapuh neben mir her laufen, um es etwas besser kennenzulernen. Dabei entschied ich mich irgendwann, der Stinktierdame den Namen Goldi zu geben.

    Ihren ersten Kampf bestritt sie gegen ein Keradar, das zwei Level über ihr war. Dessen Käfertrutz machte mir einige Sorgen und brachte sie ins Straucheln, doch Goldi schaffte es, ihren ersten Gegner zu besiegen, und ich bekam absolut das Gefühl, als würde ihr das Kämpfen Spaß machen.

    Vom späten Nachmittag an bis ich am Abend die Mine erreichte, von der Sania am Tag zuvor gesprochen hatte, ragte neben mir eines von Roses Kraftwerken auf. Es war schon irgendwie ein faszinierender Anblick. Trotz der Entfernung zum Weg, auf dem ich lief, ragten die Schornsteine hoch in den Himmel; es wirkte fast so, als wollten sie ihre Dominanz beweisen. Ich versuchte, es irgendwie zu ignorieren, aber dennoch huschte mein Blick immer wieder nach rechts. Als bräuchte ich noch einen weiteren Beweis für die Omnipräsenz dieser Firma.

    Goldi, die noch keine Ahnung hatte, was hier vor sich ging, schien meine Unsicherheit aufzunehmen und sah mich fragend an.

    Ich merkte, wie meine Augen feucht wurden, als ich sie aufnahm und ihr weiches Fell kraulte. „Alles gut“, flüsterte ich, mehr um mich selbst zu überzeugen. „Ich werde nicht zulassen, dass euch etwas passiert.“ Und ich hoffte so sehr, diese Worte wahr machen zu können.


    Am nächsten Morgen baute ich mein Zelt wieder ab. Goldi war still geworden, seit ich ihr am Abend von unserem Los erzählt hatte. Heute ließ ich sie in ihrem Pokéball. Ich war sowieso schon nervös genug wegen dem, was mich wohl in der Mine erwarten würde.

    Ich atmete mehrfach tief durch und betrat dann das dunkle Loch, das sich vor mir in den Berg fraß. Augenblicklich wurden meine Brillengläser pechschwarz. Ich fühlte mich so eingeschüchtert wie bei meinem nächtlichen Ausflug in die Naturzone, denn in der Finsternis der Mine konnte ich auch an den Rändern meines Sichtfeldes kaum etwas erkennen. Lediglich ab und zu leuchteten bunte Lichtpunkte auf, die ich nicht einordnen konnte. Ich hoffte nur, dass ich nicht unglücklich fiel und mir irgendetwas brach oder so.

    Ich rannte erstaunlich lange blind durch die Dunkelheit, bis mir ein Pokémon begegnete. Ich bemühte mich, immer in Kreisen zu gehen, um auf sicherem Grund zu bleiben und mich nicht irgendwo zu verlaufen, aber immer wieder rammte ich die Wände und konnte spüren, wie ich meine Arme mit blauen Flecken verzierte. Ich hoffte inständig, dass niemand mich so zu Gesicht bekam.

    Dann, endlich, spürte ich, wie Holz gegen meine Beine geschlagen wurde. Meine Brille wurde wieder durchsichtig und ich sah mich einem Praktibalk gegenüber, das mich kampflustig anstarrte. Ehe es ein weiteres Mal ausholen konnte, rief ich Goldi in den Kampf. Sie landete auch sogleich den ersten Treffer, während das Praktibalk seine Strategie wechselte und sich mit Energiefokus aufpumpte. Es wirkte nicht deutlich schwächer als Goldi, weshalb mir dies durchaus gefährlich werden konnte. Also befahl ich meinem Skunkapuh Rauchwolke, was tatsächlich einen Fußkick unseres Gegners ins Leere laufen ließ.

    Nachdem das Praktibalk beschlossen hatte, Goldis Verteidigung mit Silberblick zu senken, wurde es mir wirklich zu gefährlich und ich wechselte zu Perle, der einen Steinwurf abfing, ehe Goldi wieder zurück aufs Feld kam, um das Pokémon weiter zu schwächen.

    Glücklicherweise blieb das Praktibalk gleich im ersten Superball, den ich warf, ohne eines meiner Teammitglieder für immer in seinen Ball zu zwingen. Ich schickte das neugefangene Pokémon in die Box und hatte zum ersten Mal die Ruhe, mich wirklich in der Mine umzugucken.

    Die Galar-Mine wurde von einfachen Lampen erleuchtet, die ein orange schimmerndes Licht abgaben. Sie hingen immer in einigem Abstand zueinander, sodass die Zwischenräume gerade eben hell genug waren, um etwas sehen zu können. Ich befand mich in einer großen Halle, von der verschiedene Gänge abgingen. Dort waren Schienen für die Loren gelegt und Holzbalken stützten die Decken, fielen vor dem bräunlichen Gestein jedoch gar nicht auf.

    Die Lichtpunkte, die ich gesehen hatte, kamen von den sternförmigen Steinen, die hier offensichtlich abgebaut wurden. In einer Ecke entdeckte ich, abgegrenzt durch ein paar Seile, eine Lore mit ebendiesen Steinen darin. Neben ihr lag einiges Baumaterial; Kisten, Schaufeln, Spitzhaken, sogar ein Verkehrshütchen entdeckte ich. Ich fragte mich, ob die Arbeiter keine Angst vor Diebstahl hatten, wenn hier doch so viele Trainer durchliefen. In meiner Nähe schien zumindest niemand Wache zu schieben. Allerdings waren die ganzen Sachen auch alle noch da. Vielleicht gab es hier ja auch irgendwo Sicherheitskameras, die nun mein Irren durch die Dunkelheit aufgenommen hatten. Kein sehr beruhigender Gedanke.

    Wenn der Maßstab meiner Karte stimmte, war die Galar-Mine 1 nicht sonderlich lang. Also beschloss ich, den Vormittag für ein kleines Training von Goldi und meinem frisch gefangenen Praktibalk zu nutzen. Dafür ließ ich Flügel und Piano in der Box und holte Merkur zurück, damit sie Goldi im Training von Unlicht-Attacken unterstützen konnte.

    Es zeigte sich, dass zwar beide meiner neuen Teammitglieder sehr gerne ihre Kämpfe austrugen (auch wenn Goldi deutlich unsicherer wirkte als am Tag zuvor), sich gegenseitig allerdings nicht so gerne zu mögen schienen. Dennoch ergänzten sie sich gut. Goldi erledigte die Fleknoil und das Praktibalk die Klonklett. Lediglich die zwei Rotomurf, denen wir begegneten, machten meinen Pokémon Probleme. Aber auch aus diesen Kämpfen ging ich siegreich hervor.

    Währenddessen kam mir auch eine gute Idee für einen Namen und ich beschloss, mein Praktibalk von nun an Schmetterling zu nennen. Und hoffte, dass mir dieses kleine Wortspiel erlaubt war. Immerhin dachte man bei Schmetterlingen nicht als erstes an muskelbepackte Balkenschwinger.

    Gegen Mittag machte ich uns ein Curry, ehe ich weiter die Mine erkundete. Da ich nun recht viel Zeit in der ersten Halle verbracht hatte, entschied ich mich, auf dem Hauptweg zu bleiben und den Schienen auf die andere Seite der Höhle zu folgen. Dabei begegnete ich tatsächlich auch einem anderen Menschen, einer Arbeiterin namens Larissa, die mich zu einem Freundschaftskampf herausforderte. Natürlich musste ich annehmen, aber Glöckchen machte mit ihren drei Praktibalk kurzen Prozess. Doch dann fing er plötzlich an zu leuchten.

    Mit großen Augen beobachtete ich, wie sich der Körper der kleinen Eule veränderte. Ich hatte zwar schon Perles und Merkurs Entwicklung beobachten können, aber es wirkte auf mich immer noch wie ein Wunder.

    „Glöckchen!“, rief ich. „Unglaublich!“

    Das frisch entwickelte Noctu stieß einen zustimmenden Schrei aus, den ich mit einem Lachen kommentierte.

    „Mann, du bist echt gut“, meinte Larissa anerkennend. „Kein Wunder, dass du bei der Arena-Challenge mitmachst.“

    „Tja …“, meinte ich nur, weil ich noch immer nicht wusste, wie ich ohne große Lüge auf diese Aussage reagieren sollte.

    „Hier kommen aber auch viele Arena-Challenger vorbei“, sagte Larissa. „Gerade vorhin war da so ein unfreundlicher Typ, der hat mich nicht mal eines Blickes gewürdigt und schien ganz vertieft in die Suche nach irgendwas … Hätte er mich nur gefragt, ich hab gerade heute Morgen diese TM gefunden.“ Sie hielt eine graue Disk hoch. „Keine Ahnung wofür die gut ist. Vielleicht willst du sie ja haben.“

    „Danke“, sagte ich überrascht und nahm die Disk entgegen.

    „Keine Ursache. Es hat mich auf sehr gefreut, dich kennenzulernen, aber ich sollte wohl besser wieder an die Arbeit.“

    „Wiedersehen, Larissa. Und danke nochmal“, verabschiedete ich mich und setzte meinen Weg entlang der Schienen fort. An ihrem Ende erreichte ich eine etwas unsicher wirkende Brücke über eine Spalte in der Mine.

    Unsicher betrachtete ich die Konstruktion, aber dann hörte ich ein Rufen zu meiner Rechten: „Das ist völlig ungefährlich!“

    Ich sah mich um und entdeckte eine andere Arbeiterin, die gerade mit dem Abbau der leuchtenden Steine beschäftigt war. „Ach ja?“, fragte ich sie skeptisch.

    „Ja. Die Fleknoil, die hier leben, haben eine unsichtbare Barriere geschaffen, sodass wir kein Geländer brauchen. Ich weiß allerdings nicht, ob sie es taten, um uns zu beschützen oder weil sie die Nase voll von uns haben.“ Die Arbeiterin lachte und ich drang mich zu einem Lächeln durch. Dann machte sie sich wieder an ihre Arbeit und ich atmete tief durch, ehe ich mich wieder vorwärts bewegte.

    Immer noch skeptisch betrat ich die Brücke und hielt mich sicherheitshalber möglichst mittig. Die Brücke war länger, als mir lieb war, doch durch meine erzwungene Voraussetzung für das Pokémonfangen war ich gruselige Situationen inzwischen gewöhnt – was mein Herz allerdings nicht davor bewahrte, wie wild zu schlagen, sodass ich erst einen Moment verschnaufen musste, als ich die andere Seite erreicht hatte. Hoffentlich hatte die Galar-Mine 2, die ich auf dem Rückweg nach Engine City würde durchqueren müssen, keine solch gefährlich wirkenden Brückenkonstruktionen. Oder ich sollte vielleicht ein Zugticket in Erwägung ziehen …

    Als sich mein Herz schließlich wieder beruhigt hatte, folgte ich weiterhin den Schienen, welche auf dieser Seite des Abgrundes weitergeführt wurden und erkannte schon bald das helle Licht, das mir vom Ausgang der Mine entgegen strahlte. Je näher ich ihm kam, desto deutlicher zeichnete sich allerdings eine Silhouette vor dem blauen Himmel an. Die Konturen mit dem kurzen Haar und dem dicken Mantel kamen mir irgendwie bekannt vor, aber ich konnte die Gestalt noch nicht wirklich einordnen. Erst als ich näher kam und Farben im Gegenlicht erkennen konnte, wusste ich, wen ich vor mir hatte.

    „Du“, sagte ich abfällig, als ich mich daran erinnerte, wie er sich nicht mal die Mühe gemacht hatte, sich bei Hop zu entschuldigen, nachdem er ihn angerempelt hatte.

    Der Fremde musterte mich mit einem abschätzigen Blick. „Du bist doch diejenige, die vom Champ für die Arena-Challenge empfohlen wurde. Willst du etwa hier durch?“

    War das sein ernst? „Ja“, erwiderte ich, „irgendwie schon.“

    „Das würde ich mir an deiner Stelle noch einmal gut überlegen“, meinte er, als wäre er der Endboss in irgendeinem Videospiel. Obwohl … so wie es um meine Situation stand, konnte das eigentlich jeder sein.

    „Und was für ein Problem hast du mit mir?“, fragte ich genervt. Ich hatte schon genug Probleme, da wollte ich mich nicht auch noch mit einem arroganten Idioten rumschlagen müssen.

    „An mir kommt kein Trainer, der im Besitz eines Wunschsterns ist, ungeschoren vorbei“, erklärte er und mein Blick huschte zu meinem Dynamax-Band. Wollte er es mir etwa abnehmen. Ich hatte zwar an sich nichts dagegen, den Peilsender loszuwerden, aber was würde Cosma dann tun? Würde er merken, dass ich es nicht freiwillig weggab?

    Ein abfälliges Lachen entwich meiner Kehle. Warum dachte ich überhaupt darüber nach? Was schuldete ich diesem Idioten schon?

    Unbeirrt trat ich noch einen Schritt auf den Unbekannten zu und sein Gesicht verzog sich zu etwas, was mit viel Fantasie als ein Lächeln durchgehen könnte. Ein äußerst abwertendes. „Deine Empfehlung vom Champ juckt mich nicht. Der Liga-Präsident ist tausendmal wichtiger als der Champ. Kapiert? ICH hab eine Empfehlung vom Liga-Präsidenten. Das heißt, ich bin auch tausendmal wichtiger als du.“

    In mir zog sich alles zusammen, weil ich immer noch nicht wusste, welche Rolle Rose in diesem verdrehten Stück spielte. Was auch bedeutete, dass ich nicht wusste, auf welcher Seite mein Gegenüber stand. Wollte er mir zu verstehen geben, dass wir beide für die gleiche Sache, sprich Cosma arbeiteten? Ich biss die Zähne zusammen und starrte ihn böse an, weil ich echt nicht wusste, was ich hätte erwidern sollen.

    Nun erschien tatsächlich ein grausiges Lächeln auf seinem Gesicht und ließ seine Zähne aufblitzen. „Wenn dir das zu hoch war“, kommentierte er mein Schweigen, „demonstriere ich dir meine Überlegenheit jetzt im Kampf. Drei gegen Drei. Der Gewinner bekommt den Wunschstern.“

    Würde er gegen mich kämpfen, wenn er auch für Cosma arbeitete und wusste, dass er dadurch meine Chancen, ins Champ-Turnier zu kommen, schmälerte? War das Teil von Cosmas Plan oder es ihm egal? Oder war es doch ein Zeichen, dass der Fremde keine Ahnung hatte?

    Ich schob die Fragen beiseite, als er ein Monozyto aus dem Ball holte und bereits eine Konfusion anordnete, bevor ich Goldis Pokéball überhaupt geworfen hatte. Glücklicherweise war sie immun gegen solcherlei Attacken und konnte problemlos mit einem Gegenschlag kontern.

    „Ich muss deinen Pokémon ja auch eine Chance geben, ihr Können zu zeigen“, meinte mein Herausforderer, während er das besiegte Monozyto zurückrief.

    „Ja, klar“, erwiderte ich ironisch, ließ mir dadurch allerdings nicht die Konzentration nehmen.

    Als zweites schickte er ein Brimova in den Kampf.

    „Goldi, nochmal Gegenstoß!“, rief ich.

    „Ausweichen und Kanon“, konterte er.

    Das gegnerische Pokémon sprang behände zur Seite und entging so einem direkten Treffer. Unglücklicherweise breiteten sich die Schallwellen des Kanons so ungünstig aus, dass Goldi ihnen nicht ausweichen konnte.

    „Alles in Ordnung, Süße?“, fragte ich und erhielt ein aufmunterndes Rufen zur Antwort.

    „Erbärmlich“, kommentierte mein Gegner und ordnete direkt einen weiteren Kanon an.

    „Spring hoch und noch einmal Gegenstoß!“, befahl ich.

    Goldi tat, wie ihr geheißen, und das gegnerische Brimova ging besiegt zu Boden.

    „Argh, was hab ich mir dabei gedacht?“ Der Fremde verzog das Gesicht. „Lass uns die Sache schnell beenden.“

    „Das hab ich vor“, entgegnete ich. „Goldi, du weißt, was zu tun ist!“

    Das Skunkapuh nickte und kaum Stand das dritte Pokémon des Fremden, Mollimorba, kampfbereit vor ihr, ließ Goldi einen vierten Gegenstoß los. Das Mollimorba allerdings wich nicht aus, sondern rannte unbeirrt auf Goldi zu.

    „Klaps!“, befahl mein Gegner und Mollimorba schlug Goldi direkt ins Gesicht, um sich dann mit einem Rückwärtssalto aus dem Gefahrenbereich zurückzuziehen.

    „Nicht schlecht“, kommentierte ich und zog anerkennend die Augenbrauen hoch.

    Der Fremde machte einen abwertenden Laut, als wäre dieses Manöver nicht der Rede wert.

    Ich seufzte. Wenn er nicht mal ein Kompliment annehmen konnte … „Beende es einfach, Goldi“, befahl ich und sah zu, wie das kleine Psychopokémon von noch einem Gegenstoß getroffen zu Boden ging.

    Grimmig starrte der Fremde mir entgegen und rief sein Mollimorba zurück in den Ball. „Verstehe … Na, was soll’s. Ich habe auch nicht ernst gemacht. Ich hätte nicht gedacht, dass du überhaupt dazu fähig wärst, dich zu wehren.“

    Ich verdrehte die Augen, rief Goldi aber ebenfalls in ihren Pokéball zurück. „Darf ich jetzt vorbei?“, fragte ich leicht genervt.

    „Aber natürlich“, meinte er und dieses halbgare Lächeln erschien wieder auf seinem Gesicht. „Jetzt kenne ich deine Tricks und Strategien. Und ich vergesse nichts. Sollten wir uns je in einem offiziellen Kampf begegnen, hast du keine Chance gegen mich.“

    Ich unterließ es, ihn darauf hinzuweisen, dass ich noch gar keine Strategien besaß, weil ich gerade erst dabei war, mich und meine Pokémon besser kennenzulernen, und bewegte mich einfach weiter in Richtung Ausgang.

    „Geh ruhig“, rief er mir nach. „Ich habe eh alle Wunschsterne, die es hier drin gab, bereits eingesammelt. Höchste Zeit, dieses Loch zu verlassen.“

    Es war ziemlich unangenehm, wie er schräg hinter mir ebenfalls auf den Höhlenausgang zulief. Aber ich versuchte mir nichts anmerken zu lassen, streckte den Rücken durch und verließ so würdevoll, wie ich nur konnte, die Mine.

    Als das helle Licht des Nachmittags meine Augen traf, musste ich blinzelnd stehen bleiben, um meine Augen daran zu gewöhnen. Vor mir erstreckte sich eine hügelige Landschaft mit gold-gelbem Gras. In der Ferne konnte ich einige Felder erkennen – und mitten drin erhob sich das Arena-Stadion von Turffield.

    „Man sieht sich, Schwächling“, verabschiedete sich der Fremde, ohne mich anzusehen und verschwand um die nächste Ecke.

    „Hey! Ich hab dich besiegt!“, rief ich ihm hinterher, erhielt aber keine Antwort mehr.

    Ich beschloss, dass er meine Gedanken nicht wert war. Selbst wenn er nicht für Cosma arbeitete, würden wir wohl niemals Freunde werden. Ich sollte mich also wohl einfach damit abfinden, noch einen Rivalen zu haben, egal welche Rolle er in diesem Spiel spielte. Wenn ich aber vor Einbruch der Dunkelheit in Turffield ankommen wollte, sollte ich mich lieber bald auf den Weg machen.


  • Hallo,


    die Spitznamen der neuen Pokémon sind hervorragend gewählt. Goldi für ein Skunkapuh lässt die Verbindung zwischen ihr und Emilia sehr positiv erscheinen und auch bei Schmetterling denke ich, dass er noch seine volle Grazie entfalten wird. Den Aufenthalt in der Mine hast du mit Pokémon-Begegnungen, unsicher wirkenden Brücken und Kämpfen spannend gestaltet, wobei Betys am Ende ein besonderes Highlight darstellte. Zum vielleicht ersten Mal war Emilia wirklich aufgebracht und von sich selbst überzeugt, ihm das Handwerk zu legen. Gleichzeitig freut es mich aber zu sehen, dass sie in einer solchen Situation die Freundschaft zu Hop schätzt.


    Wir lesen uns!

  • Kapitel 17


    Ich schaffte es, zwei Schritte zu gehen, bis mich Cosmas Überwachung wieder daran erinnerte, wo ich war und was ich zu tun hatte. Ich stöhnte auf, als sich meine Brillengläser schwarz verfärbten und ich mal wieder blind durch die Gegend irren musste.

    Es dauerte auf dieser Route tatsächlich nicht sehr lange, bis mir ein Kratzer auf meinem Arm sagte, dass ich mein nächstes Pokémon gefunden hatte. Als meine Sicht wieder klar wurde, betrachtete ich erst die blutige Linie, die sich über meinen Unterarm zog, und dann das Mauzi, das sie mir zugefügt hatte. Ich hatte bereits gehört, dass die in Galar vorkommende Variante aggressiver war als ihr Kantonischen Verwandten, aber so etwas hatte ich nun wirklich nicht erwartet.

    Ich schickte Schmetterling in den Kampf, um es mit Steinwurf zu schwächen, aber das Mauzi war nicht auf den Kopf gefallen. Geschickt wich es den Steinen aus und schleuderte immer wieder Münzen in Richtung meines Praktibalks.

    Als es schließlich doch von einem der Steine getroffen wurde, änderte das Mauzi seine Taktik, senkte mit Heuler Schmetterlings Angriff, griff mit Kratzer an und kam Schmetterling dabei immer wieder so nah, dass es ihm schwer fiel, die Steine so zu platzieren, dass er nicht selbst getroffen wurde. Ich hatte es hier also mit einer kleinen Strategin zu tun.

    Schließlich gelang es mir aber doch, sie genügend zu schwächen, dass sie im Pokéball blieb, den ich auf sie warf.

    Erleichtert seufzte ich auf, denn ich konnte mich endlich auf den Weg ins Pokémon-Center von Turffield machen, da erklang eine Stimme hinter mir: „Du bist also ein Katzen-Typ.“

    Ich drehte mich um und entdeckte Mary, die es sich auf einem der Zäune, die das hohe Gras umrundeten, gemütlich gemacht hatte.

    Ich machte ein undefinierbares Geräusch. „Man nimmt, was man kriegen kann.“

    Mary machte ein Geräusch, das man als abfälliges Lachen identifizieren könnte, allerdings zuckten ihre Mundwinkel noch nicht einmal nach oben. „Du kannst mir nicht sagen, dass du so oberflächlich bist.“

    Nein, war ich nicht. Aber es war trotzdem die Wahrheit. „Sie wird bestimmt ein tolles Teammitglied“, sagte ich nur und verstaute den Pokéball in meiner Pokémon-Box. Einen Namen würde ich mir später überlegen müssen.

    Mary sprang vom Zaun und betrachtete mich von oben bis unten. „Du hast ein Geheimnis“, sagte sie. Keine Frage. Eine Feststellung.

    Meine Eingeweide zogen sich zusammen, aber ich zwang mich zu einem unbeteiligten Gesichtsausdruck. Ich wurde immer besser darin, auch wenn ich mich nicht sicher sein könnte, ob meine Überraschung nicht einen Moment lang durchgerutscht war. „Mein Geheimnis“, begann ich langsam, um von meinem rasenden Herzen abzulenken, „ist, dass ich weiß, dass ich den unbesiegbaren Champ besiegen werde. Genau wie jeden anderen Trainer.“

    „Da hast du dir deine Ziele aber hoch gesteckt.“

    Nicht ich …, dachte ich, aber ich zuckte nur mit den Schultern, als wäre es keine große Sache.

    „Vor dem ersten Arena-Kampf musst du dich aber noch ein bisschen in Geduld üben“, erklärte Mary dann, als sei das Thema damit beendet. „Der Arenaleiter Yarro ist wohl aktuell anderweitig beschäftigt.“

    „Gut zu wissen“, antwortete ich. Doch während wir belanglose Themen abhandelten, kam in mir plötzlich der Wunsch auf, ein richtiges Gespräch mit ihr zu führen. Eines, in dem ich ehrlich sein konnte und nicht jedes meiner Worte abwiegen musste.

    Mary zögerte, als wüsste auch sie nichts weiter zu sagen. Ihr Blick huschte in Richtung Turffield, dann fragte sie: „Willst du jetzt auch in die Stadt? Ich kann dir den Weg zum Pokémon-Center zeigen.“

    „Ja, danke“, antwortete ich. Doch der Weg in die Stadt verlief in unangenehmem Schweigen.


    „Hey Milli! Schau mal, schau mal! Das Arena-Stadion von Turffield! Wir sind da!“

    Hops Schreie begrüßten uns, als wir kurz nach Sonnenuntergang endlich die Stadt erreichten. Eigentlich wollte ich nur noch im Pokémon-Center nach einem Zimmer fragen, ins Bett fallen und schlafen. Stattdessen setzte ich ein Lächeln auf und bewunderte mit meinem besten Freund zusammen die erste Hürde auf unserem Weg.

    Das Arena-Stadion von Turffield hatte große Ähnlichkeit mit jenem von Engine City, nur dass die Banner der einzelnen Arenen fehlten, welche immer für die Eröffnungszeremonie angebracht wurden. Stattdessen erstrahlte das Stadion in verschiedenen Grüntönen, als nach und nach die Lampen angemacht wurden. Eine Pflanzen-Arena passte wirklich perfekt in diese Landschaft mit ihren sanften Hügeln, auf denen hauptsächlich Landwirtschaft betrieben wurde. Die Häuser der Stadt erinnerten mich an jene bei uns zuhause in Furlongham; und doch wirkten sie fremd mit all den Megalithen, welche in der Stadt verteilt herumstanden.

    „Wir sind da“, wiederholte ich, während Hop Mary entdeckte.

    „Mary, wie cool! Bist du auch da, um den Arenaleiter herauszufordern?“

    „Natürlich“, erwiderte sie. „Allerdings habe ich das schon erledigt.“

    Überrascht blickte ich zu ihr und auch Hop machte große Augen. „Du hast deinen ersten Orden?“, fragte er. „Zeig mal her!“

    Mary schien diese Art von Aufmerksamkeit unangenehm zu sein. Wenn man überlegte, dass sie mit einer fast schon fanatischen Fangemeinde reiste, war das nicht schwer nachzuvollziehen. Trotzdem holte sie die Ordensschachtel heraus, die jedem Arena-Challenger gegeben wurde, und öffnete sie.

    „So cool!“, wiederholte Hop und betrachtete den leicht unförmigen, gold-grün glänzenden Orden. Die Orden in Galar sind eine Art Puzzle; und nur wenn man alle gesammelt hat, ergeben sie einen vollständigen Kreis. Eine vollständig abgeschlossene Challenge.

    „Herzlichen Glückwunsch!“, sagte ich und meinte es auch so. Ich wollte sie nicht zur Rivalin haben, aber Mary war mir sympathisch und ich freute mich über ihren Fortschritt.

    „Danke“, meinte sie und verschloss die Box wieder. „Ich werde gleich morgen früh weiterreisen.“

    „Und ich werde gleich als erster vor der Arena stehen!“, behauptete Hop. „Arenaleiter Yarro ist zwar aktuell nicht da, aber das wird mich nicht abhalten.“ Er warf mir einen amüsierten Seitenblick zu. „Sieht so aus, als müsstest du dann eine Weile warten, bis am Arena-Stadion etwas weniger Andrang ist.“

    „Wenn du gerne die volle Power seiner frisch erholten Pokémon abkriegen willst, warte ich mit Vergnügen auf eine angenehmere Partie“, erwiderte ich überlegen grinsend und bemerkte, wie Mary mich wieder musterte.

    Hop überging die Stichelei. „Ach übrigens, Sania hat nach dir gesucht. Sie will dich was fragen, Milli. Mich hat sie auch schon damit genervt, aber ich hab nicht ganz geschnallt, was sie von mir wollte. Du solltest sie auf dem Hügel finden.“

    „Meinst du, sie ist noch da?“, fragte ich.

    Doch bevor Hop mir antworten konnte, unterbrach Mary noch einmal das Gespräch: „Ich werde jetzt mal zurück zum Pokémon-Center gehen, um morgen früh ausgeruht aufbrechen zu können.“

    „Wiedersehen, Mary“, sagte ich und merkte, dass meine Stimme fast zu einem Murmeln wurde.

    Mary drehte sich zum Gehen und hob zum Abschied die Hand.

    „Bis dann!“, rief Hop, ehe er sich wieder mir zuwandte, um auf meine Frage zu antworten. Allerdings kam er nicht dazu, da er von einem „Vol, vol“ unterbrochen wurde. „Hey, das ist doch Sanias Voldi!“

    Ich drehte mich um und entdeckte tatsächlich Sanias kleinen Elektro-Hund hinter mir. Er schien aus der Richtung des Hügels zu kommen, auf dem Sania sein sollte.

    Hop schien die gleiche Idee zu haben: „Am besten folgst du ihm einfach zu ihr. Es ist der geborene Wegweiser!“

    „Oder du machst die Augen auf und siehst, dass ich auch da bin“, ertönte die Stimme von Sania, welche gerade hinter ihrem Voldi herlief. Als sie uns erreicht hatte, umspielte ein Lächeln ihr Gesicht. „Das erklärt dann auch, warum Voldi es so eilig hatte. Freut mich, dich auch endlich hier zu sehen, Emilia.“

    „Es freut mich, endlich angekommen zu sein“, erwiderte ich ehrlich.

    „Hey Sania!“, begrüßte Hop sie. „Ich hab Milli gerade gesagt, dass du sie suchst.“

    Sania nickte. „Ja, ich wollte dir etwas zeigen“, erwiderte sie an mich gewandt. „Aber es wird langsam zu dunkel. Und wahrscheinlich möchtest du dich auch lieber erst einmal ein bisschen ausruhen. Wie wäre es also, wenn wir uns morgen früh noch einmal treffen?“

    „Ich hab zwar immer noch keine Ahnung, worum es geht, aber wenn ich helfen kann, klar, warum nicht?“, meinte ich. Wahrscheinlich würde es auch helfen, vor meinem ersten Arenakampf auf andere Gedanken zu kommen.

    „Super! Wir treffen uns dann einfach morgen früh vor dem Pokémon-Center.“ Dann wandte Sania sich an Hop: „Ich nehme an, du wirst direkt deinen ersten offiziellen Kampf in Angriff nehmen?“

    „Sobald die Sonne aufgeht!“, bestätigte Hop enthusiastisch. „Irgendwann muss der Arenaleiter ja wieder auftauchen!“

    Sania musste kichern. „Ja, Yarro hat früher schon immer alle Hände voll zu tun gehabt mit seinen Arena-Wolly. Ich hätte echt für ihn gehofft, dass es in den letzten Jahren besser geworden wäre.“

    „Tja“, Hop zuckte mit den Schultern, „er wird wieder auftauchen und dann wird er keine Chance gegen mich haben!“

    „Deine Zuversicht hätte ich gerne“, rutschte es mir raus, bevor ich darüber nachdenken konnte.

    Hop zog eine Augenbraue hoch. „Ernsthaft? So wie du mich bisher immer besiegt hast, solltest du dir echt keine Gedanken machen müssen.“

    „Hop hat recht“, mischte sich auch Sania ein. „Vertraue einfach dir und deinen Pokémon.“

    Wenn es nur so einfach wäre …

    „Ich hoffe, sie haben im Pokémon-Center noch ein Bett für mich frei“, wechselte ich wenig subtil das Thema. „Ich sollte mal nachgucken gehen.“

    Ich war mir nicht sicher, ob Sanias Ausdruck Verstehen oder etwas anderes bedeutete, aber sie nickte nur und begleitete Hop und mich zu dem großen Gebäude mit dem roten Dach, dass gar nicht weit von uns an der Hauptstraße des Ortes stand. Dann verabschiedete sie sich von uns. „Ich bin in einem kleinen Bed and Breakfast weiter im Ortskern untergekommen“, erklärte sie. „So nehme ich euch jungen Trainern nicht die billigen Plätze im Pokécenter weg.“

    Zum Glück zahlte sich das aus, denn als ich bei Schwester Joy nachfragte, erhielt ich tatsächlich noch ein freies Zimmer, ein Einzelzimmer sogar, das ich, obwohl es etwas teurer war, gleich für die nächsten zwei Nächte buchte.

    Ich verabschiedete mich von meinen Freunden und zog mich direkt zurück. Obwohl ich ziemlich müde war, gab es allerdings noch eine Sache die ich tun musste: Ich hatte ein neues Teammitglied, das laut Cosmas Regeln noch einen Spitznamen brauchte. Also holte ich das Mauzi aus seinem Pokéball und entschied mich dann dafür, auch Glöckchen und Schmetterling aus ihren Bällen zu lassen. Glöckchen, weil ich ihn in der aufkommenden Pflanzenarena besonders brauchen würde, und Schmetterling, weil auch er noch nicht wusste, in was für eine Geschichte ich ihn hineingezogen hatte.

    Leider zeigte sich schnell eine bedeutende Sache: mein neues Mauzi war eher eine Einzelgängerin und schien sich nicht gut mit anderen Pokémon zu verstehen. Während Glöckchen und Schmetterling sich freundlich begrüßten, schaute sie sich lieber im Zimmer um. Wenigstens kam ich so auf einen Namen für sie und nannte sie Himbeere nach einer Beerenart, die zwar für Menschen sehr lecker ist, aber von Pokémon nicht vertragen wird. Deshalb war es wichtig, sie nicht mit Himmihbeeren zu verwechseln.

    Es wurde eine sehr lange Nacht, weil ich nicht nur für meine beiden neuesten Pokémon da sein musste – sie nahmen es erstaunlich ruhig auf –, sondern auch mit Glöckchen verschiedene Strategien für unseren kommenden Arenakampf durchsprach. Hinterher war ich nicht nur völlig fertig, sondern auch zuversichtlicher, dass ich den Kampf überstehen könnte. Zwar blieb die Angst, dass ich uns überschätzen und Glöckchen verlieren würde, weil in Arenakämpfen auch Dynamax-Pokémon eingesetzt wurden, mit denen wir noch keine Erfahrungen hatten, aber ich war froh, einen so beständigen Partner wie Glöckchen für diese Aufgabe an meiner Seite zu haben. Perle konnte mir bei dieser Arena ja leider wenig helfen.

    Mein Kopf war immer noch voll von verschiedenen möglichen Vorgehensweisen, als ich endlich einschlief.


  • Hallo,


    der Kratzer auf dem Unterarm wurde schnell ignoriert, wenn man bedenkt, wie aggressiv ein Mauzi der Region sein kann. Ich mochte hier besonders den Aufbau des Kampfes und dass es sich dabei wohl um ein sehr bedachtes Exemplar handelt. Bei wilden Pokémon lese ich das eher selten und das gibt Himbeere viel Persönlichkeit. Übrigens wirkt Mary wirklich sehr sympathisch und sie scheint Emilias Verschwiegenheit auch auf gewisse Weise zu deuten. Eventuell kennt sie das aufgrund ihrer Fans ja von sich selbst und hat sie deswegen darauf angesprochen? Der bald stattfindende Kampf scheint jedenfalls vielversprechend zu werden.


    Wir lesen uns!

  • Kapitel 18


    Als ich am nächsten Morgen die Augen aufschlug, kam mir der Gedanke, dass ich in einem Zelt irgendwo in der Wildnis besser schlief als in den Städten. Das lag vermutlich hauptsächlich daran, dass ich mir dort weniger Gedanken machen musste, was alles noch wegen meiner Aufgabe passieren würde und wie ich sie am besten vor den anderen geheim hielt.

    Aus diesem Grund ließ ich mir Zeit, mich fertig zu machen – allerdings immer mit dem drängenden Gedanken im Hinterkopf, dass Sania auf mich wartete. Dennoch kostete ich die Zeit im Badezimmer ohne die schreckliche Brille so lange aus wie möglich.

    Sania erwartete mich wie besprochen vor der Tür des Pokémon-Centers. Im Gegensatz zu mir, schien sie sehr gut geschlafen zu haben.

    „Guten Morgen“, begrüßte ich sie. „Ich hoffe, ich hab dich nicht zu lange warten lassen.“

    „Ach Quatsch, ich hab einfach den schönen Morgen genossen.“ Wie zur Demonstration schloss sie die Augen, hielt ihr Gesicht in die aufgehende Sonne und atmete tief durch. „Außerdem finde ich es super, dass du dir extra die Zeit nimmst, mir zu helfen. Ich brauche nämlich mal deine Meinung. Allerdings oben auf dem Hügel. Also, können wir los?“

    Ich nickte und wir machten uns auf den Weg, der zur Spitze des Hügels führte. Er stieg flach an und war auch nicht sonderlich lang, was die Unternehmung zu einem angenehmen Morgenspaziergang werden ließ. Zu beiden Seiten ragten immer wieder die für die Stadt typischen Megalithen auf und erinnerten mich daran, dass ich eigentlich fast gar nichts über diese Stadt wusste.

    „Ist alles in Ordnung?“, unterbrach Sania meine Gedanken.

    Ich sah sie an. „Ja, klar“, antwortete ich automatisch und hoffte, dass mir diese Lüge inzwischen glaubhaft gelang.

    „Hm.“ Sania betrachtete mich nachdenklich. „Manchmal hab ich das Gefühl, in dir steckten zwei verschiedene Personen.“

    „Blödsinn.“ Ich versuchte, nicht ganz so ertappt auszusehen, wie ich mich fühlte. Sania kannte mich kaum, aber im Gegensatz zu Hop war sie nicht von der Arenachallenge abgelenkt, was sie offensichtlich aufmerksamer machte. Ich würde in ihrer Gegenwart von nun an besser aufpassen müssen, was schade war, weil gerade sie mich meine Aufgabe so leicht vergessen ließ.

    Inzwischen hatten wir das Ende des Weges erreicht, ein kleines, eingezäuntes Plateau am höchsten Punkt des Hügels, auf dem sich bereits jetzt einige Touristen tummelten. „Mir geht es wirklich gut“, versicherte ich noch einmal, ehe ich das Thema wechselte: „Also, was wolltest du mir zeigen?“

    Sania hielt noch einen Moment meinem Blick stand, dann wandte sie sich ab und führte mich zum gegenüberliegenden Rand des Platzes. „Siehst du diese Figuren da auf dem Hügel?“

    Der Hügel vor uns war größer als der, auf dem wir standen, und mit einer Grasfläche bedeckt, welche auf seinem Gipfel in einen Mischwald überging. Das Besondere an diesem Hügel war jedoch, dass es so schien, als hätte jemand ein Bild hinein gemalt. Es zeigte eine riesige Figur, die fast den gesamten Hang einnahm und zu einer Spirale schaute, aus der einige Blitze zu kommen schienen. Am unteren Ende des Hügels, kaum so groß wie die Füße der großen Figur, waren einige kleinere Wesen zu erkennen, die wirkten, als würden sie von einer Kraft auseinandergewirbelt werden. Eines war sogar auf dem Kopf dargestellt. Für mich sahen sie aus wie Aliens.

    „Diese Bodenzeichnung nennt man Geoglyphe“, erklärte Sania. „Was glaubst du, was das darstellen soll?“

    Verwirrt betrachtete ich die Geoglyphe und verfolgte die Schatten, die von den vorbeiziehenden Wolken über den Hügel getrieben wurden.

    „Du glaubst, es hat etwas mit der Finstren Nacht zu tun?“, fragte ich aus einem Verdacht heraus.

    „Gut erkannt!“, lobte mich Sania. „Die Linien dort, die den schwarten Wirbel darstellen sind zwar schon fast verwittert … Aber das muss er sein. Immerhin erschienen mit ihm gigantische Pokémon und begannen in der Region zu wüten … Die riesige Figur muss eines dieser Pokémon darstellen!“

    Langsam nickte ich. „Ja, das könnte durchaus sein.“ Ich hatte mich wohlweißlich bisher von dynamaximierten Pokémon ferngehalten. Und wenn sie wirklich so groß waren, wie diese Geoglyphe andeutete, dann wollte ich auch keinem je begegnen. Zumindest nicht, solange sie nur mit einer Attacke meine Pokémon für immer in ihre Pokébälle bannen könnten. Aber ich wusste, dass das reines Wunschdenken war.

    „Leider gibt diese Zeichnung nicht wirklich Auskunft darüber, was genau der Wirbel war. Und was er mit dem Dynamax-Phänomen zu tun hatte“, überlegte Sania weiter. „Fragen über Fragen … und wie’s aussieht, ist es mein Job, Antworten auf sie zu finden.“ Nachdenklich spielte sie mit einer Strähne ihres roten Haares. Dann wandte sie sich wieder direkt an mich: „Danke auf jeden Fall für deine Hilfe. Ich brauchte eine zweite Meinung, um meine Überlegungen zu bestätigen. Vielleicht lässt mich der Bürgermeister von Turffield jetzt auf den Hügel, um die Geoglyphe von Nahem zu untersuchen.“

    „Meinst du, dadurch wird das Bild klarer?“, fragte ich.

    „Irgendwann müssen Menschen, vielleicht sogar Pokémon dieses Bild geschaffen haben. Und dabei haben sie auf dem Hügel gearbeitet. Vielleicht haben sie irgendwelche Hinweise dort hinterlassen. Etwas, das man aus der Entfernung nicht erkennen kann.“

    „Weißt du was?“, meinte ich. „Ich denke, das ist eine gute Idee.“

    „All die Arbeit; nur weil meine Großmutter mir ins Gewissen geredet hat“, seufzte sie, ehe sich ihr Gesicht zu einem Lachen aufhellte. „Dann sollte ich mal das Beste draus machen, nicht wahr?“

    „Absolut“, stimmte ich zu.

    Sania wandte sich zum Abstieg. „Komm, ich begleite dich zur Arena. Wenn Yarro wieder da ist, kann ich ihn vielleicht davon überzeugen, mir bei meiner Sache zu helfen. Oder wolltest du noch ein bisschen bleiben?“

    „Ach nein“, erwiderte ich. „Ich dachte, ich mache noch einen kleinen Spaziergang durch die Felder, während ich darauf warte, dranzukommen. Ich habe ein neues Pokémon, das ich noch besser kennenlernen muss.“

    „Na dann komm. Lass uns mal sehen, wie Hop sich bisher so schlägt.“

    Sania und ich machten uns auf den Weg zurück zum Stadtkern, als sie plötzlich stehenblieb. „Ich hab völlig vergessen, ich hab noch was für dich!“ Daraufhin kramte sie in ihrer Tasche herum und zauberte zwei kleine Cracker-artige Items hervor. Mir drehte sich fast der Magen um, als ich erkannte, um was es sich handelte. „Falls deine Pokémon im Kampf schlapp machen sollten“, meinte sie und reichte mir die Beleber. „Und eine Trainer-Karte hab ich auch noch. Im Pokémon-Center haben sie mir gestern einen ganzen Stapel in die Hand gedrückt.“

    Sie überreichte mir eine der kleinen Karten und ich konnte ihr zumindest dafür ehrlich danken.

    „Zeig denen im Stadion, was du auf dem Kasten hast!“

    „Ich werde nicht verlieren“, sagte ich; weil das das einzige war, was ich sicher wusste. Ich durfte einfach nicht verlieren.


    Sania und ich trennten uns vor dem Pokémon-Center, wo der Weg sich teilte. Selbst wenn Hop schon mit seinem Kampf fertig sein sollte, brauchte ich noch ein wenig Zeit für mich, um mich vor meinem ersten wichtigen Kampf zu beruhigen.

    Also verließ ich die Stadt und schlenderte zu den Feldern, die ich gestern kaum weiter beachtet hatte, nachdem ich einfach nur die Stadt erreichen wollte. Ich kam allerdings nicht weit, als mich ein Rufen aufschreckte: „Wolly! Bleibst du wohl hier?! Hiergeblieben!“

    Ich wandte meinen Kopf in die entsprechende Richtung und sah gerade noch ein Wolly direkt auf mich zurollen. Geistesgegenwärtig warf ich mich zu Boden. Ein Zusammenprall mit einem Wolly konnte trotz dessen weichem Fell durchaus unangenehm sein. Glücklicherweise konnte ich einem direkten Treffer entgehen, auch wenn ich dennoch im Dreck landete.

    Während ich mich aufrappelte, hörte ich jemanden näherkommen – es war derselbe Typ, dessen Rufen mich zuvor gewarnt hatte, wie ich merkte, als er mich ansprach: „Oje … Ist alles in Ordnung? Das hat einen ganz schönen Knall gegeben …“ Er reichte mir die Hand, obwohl ich schon so gut wie stand. Dennoch nahm ich sie; ich wollte ja nicht unhöflich sein. „Hey, warte mal! Du bist doch ein Arena-Challenger, oder?“, sagte er dann, während ich im selben Moment realisierte, wessen Wolly mich gerade umgeworfen hatte: kräftige Statur, rote Haare, grüne Augen – das konnte nur der hiesige Arenaleiter sein, der erste, der mein Schicksal in der Hand hielt. Oder das meiner Pokémon. Oder meiner Eltern …

    „Ja, bin ich!“, antwortete ich. Langsam war ich wirklich gut darin, ein falsches Lächeln zu tragen.

    „Wusst ich’s doch!“, freute sich Yarro, ehe er sich noch einmal vorstellte. Gab es wirklich Personen in Galar, die einen Arenaleiter nicht erkennen würden? „Ich hab dich bei der Eröffnungszeremonie gesehen. Mein Name ist Yarro. Ich bin einer der Arenaleiter und mein Spezialgebiet sind Pflanzen-Pokémon.“ Er grinste breit. „Ich muss sagen, auf dich bin ich schon besonders gespannt! Schließlich trifft man nicht alle Tage auf einen Trauner mit einer Empfehlung vom Champ!“

    Wussten das eigentlich alle? Als hätte ich nicht schon genug Druck. Aber ich sagte nichts. Solange ich nichts sagte, konnte ich mich auch nicht verplappern. Oder irgendwie verdächtig wirken.

    Aber Yarro war eh viel zu sehr in seinen Monolog vertieft. Vermutlich rasselte er den Großteil einfach nur runter wie bei jedem Arena-Challenger. Es war sicher ein anstrengender Job, sich mit den ganzen Möchtegern-Champs auseinandersetzen zu müssen. Wenigstens schien Yarro sich seine gute Laune zu bewahren. „Du findest mein Stadion gleich da hinten – es ist quasi nicht zu verfehlen“, schloss er.

    „Oder übersehen …“, murmelte ich. Manchmal konnte ich meinen Mund einfach nicht aufhalten.

    Aber entweder hatte Yarro es nicht gehört oder gekonnt ignoriert, denn er sah mich nur noch einen Moment freundlich an, dann wandte er sich an Wolly: „So, und du bist jetzt artig und kommst schön zurück zum Stadion mit mir, Freundchen. Ich will nicht, dass die Arena-Challenger zu lange auf uns warten müssen.“

    „Ach, dann hatte Hop also auch noch keine Chance, gegen dich zu kämpfen“, überlegte ich laut.

    „Der kleine Bruder vom Champ? Nein, der war noch nicht da. Und heute Morgen hatte ich alle Hände voll mit meinen Wolly zu tun. Nie tun die kleinen Racker, was sie sollen!“ Trotz Yarros harten Worten, blieb das Lächeln auf seinem Gesicht, sodass er so aussah wie ein stolzer Vater. Er liebte seine Pokémon, das machte ihn sympathisch. „Mein Arena-Stadion ist die erste Anlaufstelle für alle frischgebackenen Arena-Challenger. Daher gibt es hier so viele Herausforderer, dass ich kaum eine ruhige Minute bekomme … Eigentlich habe ich für ihre Ausflüge gar keine Zeit.“ Einen Moment hielt Yarro inne und musterte mich. „Weißt du, du solltest es nach Sonnenuntergang einmal versuchen. Die meisten Challenger denken, ich schließe meine Arena, wenn es dunkel wird, aber wir haben großartige Scheinwerfer!“ Er zwinkerte mir zu und ein breites Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. „Ich freu mich schon auf unseren Kampf!“

    „Ich mich auch“, log ich und winkte ihm zum Abschied, als er sich mit seinem Wolly auf den Weg zurück zum Stadion machte. Ich hoffte wirklich, dass dieser freundliche Kerl nicht für meinen ersten Verlust verantwortlich sein würde.


    Nachdem Yarro wieder in Richtung Arena verschwunden war, streifte ich gedankenverloren durch die goldenen Felder vor Turffield. Ich musste meine Gedanken vom kommenden Kampf ablenken und außerdem noch ein wenig Zeit totschlagen. Und vielleicht sollte ich auch noch ein bisschen trainieren.

    Ehe ich mich jedoch für eine klare Vorgehensweise entscheiden konnte, wurde ich von einem Kind im Pikachu-Kostüm zum Kampf herausgefordert und musste lernen, dass Schmetterling einige Probleme mit der Paralyse hatte und sich einfach nicht bewegen konnte. Es blieb mir also nur ein Wechsel.

    Als hätte es gewusst, dass meine nächste Wahl auf Himbeere fiel, die als Stahlpokémon resistent gegenüber Normal-Attacken wie Ruckzuckhieb war, befahl das Kind seinem Pikachu einen Elektroball, kaum dass mein Pokémon vollständig aus dem Ball gekommen war. Himbeere wurde frontal getroffen. Sie schwankte bedrohlich. Ich konnte sie doch nicht gleich in ihrem ersten Kampf verlieren!

    Also entschied ich mich doch für die sichere Variante und wechselte zu Schnee, welche das gegnerische Pokémon mit nur einer Dampfwalze besiegte, sodass das Kind gar nicht wusste, wie ihm geschah.

    Trotz meines Sieges klopfte mein Herz wie wild, nachdem ich sich das Kind, dessen Namen ich noch nicht einmal kannte, von mir verabschiedet hatte. So konnte es nicht weitergehen.

    Ich beschloss auch Goldi noch ein paar Kämpfe zu gönnen. Immerhin sollte sie Glöckchens Backup in der Arena werden. Glücklicherweise zeigte sich, dass sie mit ihren Gegnern meist kurzen Prozess machen konnte. Egal ob es nun Pokémon oder Baumstämme waren. Und auch Glöckchen ließ ich noch ein paar Übungen machen, achtete aber genau darauf, dass sich meine Pokémon nicht überanstrengten.

    Nach jedem Sieg (oder gelungenem Zersplittern des Holzes), sah mich das Skunkapuh aufmunternd an, als wollte es mir versichern, dass es mit jedem Gegner klarkäme. Und tatsächlich beruhigte ich mich Zunehmens. Allerdings nur so lange, bis ich mich wieder der Stadt mit ihrem riesigen Stadion zuwandte.

    „Jetzt wird’s ernst“, sagte ich und rief meine beiden Begleiter in ihre Pokébälle zurück. Dann machte ich mich auf den Weg zum ersten Schritt auf dem langen Weg zur Spitze, die ich nie erreichen wollte.


  • Hallo,


    ich fühlte den inneren Aufschrei beim Anblick der Beleber. Hoffentlich kommt es nicht zu oft vor, dass diese Items verschenkt werden. Jedenfalls gefiel mir die Art, wie du Yarro in die Geschichte eingebunden hast. Natürlich macht es Sinn, ihn in Anwesenheit der Wolly vorzufinden und ich frage mich an dieser Stelle auch, ob die Challenge in der Arena behandelt wird. Dass er nachts auch für Kämpfe da ist, passt angesichts des dunklen Himmels während des Arenakampfes.

    Großes Lob übrigens auch für das Training mit Goldi. Skunkapuh in einem Team zu sehen ist wirklich angenehm und abwechslunsgreich.


    Wir lesen uns!

  • Kapitel 19


    Das letzte orangefarbene Licht verblasste, als ich vor den Türen des Stadions stand. Mein Herz schlug wieder wie wild. Das war nun also meine erste große Prüfung. Und leider nicht die letzte. Ich hatte eine Strategie, aber vielleicht war sie nicht sehr gut. Wenn sie misslang, würde ich vermutlich mehr als ein Pokémon verlieren. Aber Glöckchen und ich hatten lange darüber gesprochen. Das heißt, ich hatte gesprochen und mir dann anhand von Glöckchens Reaktionen seine Antworten vorgestellt. Es war mir wichtig, dass Glöckchen mit der Strategie einverstanden war, denn, trotz Goldis Training, im Endeffekt verließ ich mich nur auf ihn. Er sollte mit seinen sehr effektiven Flug-Attacken unterstützt durch das Item „Spitzer Schnabel“, das ich beim Training gefunden hatte, die Pflanzenpokémon besiegen. Es klang so einfach, aber genauso gefährlich. Wahrscheinlich würde mir auch sein Reflektor nicht viel bringen …

    Ich atmete tief durch. Es brachte nichts, mich weiter mit Überlegungen verrückt zu machen. Ich musste diese Arena herausfordern, ich musste Yarro besiegen. Mir blieb gar keine andere Wahl. Also sollte ich es wohl am besten einfach hinter mich bringen.

    Die Türen öffneten sich und machten den Weg in den Eingangsbereich der Arena frei. Im Gegensatz zum Stadion in Engine City war hier alles mit Stahlplatten verhangen und wirkte auch irgendwie kleiner, fast bedrückender. Zum Eingang des eigentlichen Arenaparts des Stadions mir gegenüber führte ein langer, grüngestreifter Teppich, rechts und links davon befanden sich Souvenirshops. Allerdings waren außer mir kaum noch Personen da. Yarro schien tatsächlich die meisten Challenger bereits empfangen zu haben.

    Vielleicht war das gut, meinte eine Stimme in meinem Kopf. Vielleicht sind seine Pokémon dadurch schon müde. Aber ich ließ mich nicht der Illusion hin, dass es einfach werden würde. Neben Glöckchen hatte ich noch Goldi dabei, die wahrscheinlich dann zum Zug käme, sollte mein Noctu scheitern, dann Merkur, Flügel, Schmetterling und Himbeere. Und ich würde mein bestes geben, dass sie alle diese Arena und ihre Pokébälle heil wieder verlassen könnten.

    „Ah, ein Arena-Challenger!“, begrüßte mich die junge Frau, die am Eingang der Arena wartete, als ich ihr mein Challenge-Band zeigte. „Willkommen!“ Dann erklärte sie mir den Ablauf der Arena-Mission. Im Fernsehen wurden immer nur die Arenakämpfe übertragen; dass jeder Herausforderer zuvor die Arena-Mission der jeweiligen Stadt bestehen musste, wurde meist verschwiegen. Doch diese „Eignungstests“, wie die Frau sie nannte, siebten bereits einen Teil der Challenger vor dem Kampf aus. „Die genauen Regeln der Arena-Missionen erhältst du jeweils vor Ort“, schloss sie ihre Erklärung. „Bist du bereit, loszulegen? Dann kannst du gleich weiter in die Umkleide.“

    „Natürlich!“, sagte ich mit viel mehr Elan als ich eigentlich besaß. Am liebsten hätte ich verneint und wäre sofort wieder verschwunden, doch das war keine Option. Also folgte ich dem grünen Teppich weiter durch die Tür, die die Mitarbeiterin freigab, und zog mir in der Umkleide meine Uniform an.

    Dann führte mich ein weiterer Liga-Angestellter durch die Arena und schließlich zu einer großen Tür, auf der das Pflanzensymbol von Yarros Orden zu sehen war.

    „Viel Glück“, sagte er freundlich und verschwand wieder. Also war das auf dem Weg vielleicht doch kein angespanntes Schweigen gewesen und der Typ gehörte nicht zu Cosmas Leuten, wie ich zunächst befürchtet hatte. Das alles machte mich wirklich paranoid.

    Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, öffneten sich die Türen und eröffneten so den Weg in das, was, wie es schien, der Keller des Stadions war. Auf jeden Fall war vor mir eine riesige grüne Treppe, die ich nun nach unten ging. Währenddessen hatte ich einen guten Überblick über die hiesige Arena-Mission, die mich stark an die Wolly-Weiden zuhause in Furlongham erinnerte. Selbst die niedrige Steinmauer, die die vor mir liegende Wiese umgab, war genau wie dort mit einer Schicht grünen Mooses überzogen. Nur statt des Himmels gab es hier nur die Wände des Stadions. Irgendwie bedrückend.

    Unten angekommen nahm mich ein weiterer Liga-Angestellter in Empfang und stellte sich als Stuart, der Schiedsrichter der Arena vor. Dann erklärte er mir, dass meine Aufgabe darin bestand, die bockigen Wolly zu den Heuballen zu treiben. „Meine Aufgabe ist es, den geregelten Ablauf der Arena-Mission zu überwachen und die Ergebnisse der Kämpfe weiterzuleiten“, meinte Stuart dann.

    Beinahe hätte ich ihm gesagt, dass ein Aufpasser mehr oder weniger auch keinen Unterschied mehr machen würde, aber ich hielt mich zurück. Allerdings erschien mir Stuart tatsächlich ein aufrichtiger Mann zu sein und nichts mit Cosmas Spielchen zu tun zu haben. Also schenkte ich ihm ein Lächeln und nickte nur.

    „Nun denn“, sagte Stuart, „möge die Arena-Mission beginnen!“ Dann zog er sich hinter die Steinmauer zurück und gab mir mit einem Pfiff seiner Trillerpfeife das Signal, zu starten.

    Tatsächlich zeigte sich, dass es durchaus seine Vorteile hatte, in einem Schäferdorf aufzuwachsen. Ich schaffte es problemlos, die Wolly in die Richtung zu lotsen, in der ich sie haben wollte. Die erstaunliche Kraft, mit der sie die Heuballen niederrissen hatte ich heute Mittag ja bereits am eigenen Leibe erfahren dürfen. Mir taten diejenigen Leid, die immer wieder neue Heuballen aufstellen mussten.

    Die einzige Überraschung hielten für mich die Arenatrainer bereit, die mich plötzlich herausforderten. Ich war so in meine Aufgabe mit den Wolly vertieft gewesen, dass ich gar nicht realisiert hatte, dass neben Stuart und mir noch andere Leute in diesem Keller waren. Glücklicherweise bereiteten sie mir keine Schwierigkeiten, was mich meinem Arenakampf nun doch etwas zuversichtlicher entgegenblicken ließ.

    Dennoch kam es mir viel zu schnell vor, dass ich am anderen Ende des Kellers ankam, die zweite grüne Treppe vor mir hatte und nun meinem ersten Kampf entgegenging.


    Hinter der Tür erwartete mich ein nur schwach beleuchteter Gang, genau wie damals im Engine City-Stadion. Nur dass ich ihn dieses Mal ganz alleine entlangging und mich am Ende meine erste Prüfung erwartete.

    Ich nahm mir noch einen Moment, um tief durchzuatmen, das Stimmengewirr, das mir aus dem Stadion entgegenkam, auszublenden und mich auf die Stärke meiner Pokémon zu verlassen. Glöckchen würde das schon schaffen. Er musste einfach!

    Einen Augenblick war ich geblendet vom Scheinwerferlicht, als ich auf das Kampffeld trat. Dann erkannte ich die undefinierbare Menge an Gesichtern, die mir aus den Rängen entgegenblickten. Die meisten waren in Grün gekleidet – Yarros Farbe.

    Mein Herz pochte viel zu heftig gegen meinen Brustkorb, aber dennoch bemerkte ich, wie mich eine seltsame Ruhe überkam. Das hier war nicht mein erster Kampf. Und es würde nicht mein letzter sein. Das Publikum konnte nichts daran ändern.

    Mit langsamen Schritten durchquerte ich die Arena bis zur Mitte des Kampffeldes, wo ich Yarro gegenüber stehen blieb. Ich hatte oft genug Arenakämpfe auf meinem Smart-Rotom gesehen, um zu wissen, was ich tun musste. Es tatsächlich zu tun, war allerdings etwas ganz anderes.

    „Wie schön, dich wiederzusehen“, begrüßte Yarro mich. „Tja, ich dachte, ich hätte mir eine besonders knifflige Arena-Mission überlegt … Für dich war sie offenbar kein Problem. Hut ab!“ Er lächelte mich an. „Du scheint ein gutes Gespür für Pokémon zu haben … Noch ein Grund mehr für mich, alle Register zu ziehen und meine Pokémon zu dynamaximieren! Das wird ein spannender Kampf …“

    Da konnte ich ihm nur zustimmen. Ich hoffte einfach, dass sich mir die Sache mit dem Dynamaximieren schon erschließen würde. Hoffentlich war es nicht so schwer …

    Yarro nickte mir zu und wir nahmen unsere jeweiligen Positionen auf dem Kampffeld ein. Während mein Gegenüber mit seinem Cottini begann, schickte ich Glöckchen in den Kampf, der mich einen Moment lang beruhigend ansah. Und ich war Glöckchen noch nie so dankbar gewesen.

    Gleichzeitig durchströmte mich eine seltsame Energie. Das musste die besondere Macht sein, die den Pokémon die Dynamaximierung ermöglichte. Und tatsächlich leuchtete auch mein Dynamax-Band in einem seltsamen Rot auf. Jetzt kam es darauf an.

    Als alle bereit waren, trat Stuart an den Rand und verkündete: „Der Kampf zwischen Emilia aus Furlongham und Yarro, dem Arenaleiter von Turffield, ist eröffnet!“ Wahrscheinlich hatte er ein Mikrofon oder so, denn seine Stimme hallte von überall wider und beschleunigte meinen Herzschlag noch einmal.

    Jetzt nur nicht doch noch in Panik verfallen, sagte ich mir. Ich musste einen kühlen Kopf bewahren, wenn ich gewinnen wollte. Und bevor Yarro irgendetwas tun konnte, aktivierte ich mein Dynamax-Band. Es musste einfach klappen!

    Die Energie, die ich zuvor schon gespürt hatte, schien sich in meinen Dynamax-Band zu bündeln. Kurz durchzuckte mich der Gedanke, ob sie wohl den Peilsender lahmlegen konnte, doch ich verscheuchte ihn schnell. Zum einen hatte Cosma unter Garantie daran gedacht, die Energie einzubeziehen, zum anderen musste ich mich jetzt ausschließlich auf den Kampf konzentrieren.

    Ich wusste von den Kämpfen, die ich bisher gesehen hatte, dass man Pokémon für das Dynamax-Phänomen zunächst in ihren Pokéball zurückrufen musste. Hoffentlich funktionierte alles, wie geplant. Warum hatte ich nur nicht besser aufgepasst, als Hop Professor Magnolica ausgequetscht hatte? Na ja, das half jetzt auch nichts mehr, jetzt musste ich es einfach durchziehen.

    Ich versuchte, tief zu atmen, während ich Glöckchens Pokéball hervorholte und mein Noctuh zurückrief. Es war seltsam, wie ich die Energie aus dem Dynamax-Band nun auf den Pokéball übertrug und er in meiner Hand zwar riesig, aber nicht schwerer wurde. Trotzdem nahm ich die zweite Hand zur Hilfe, um ihn hinter mich zu werfen und Glöckchen wieder zu befreien.

    Mir stockte der Atem, als ich ihn so vor mir sah. Riesengroß und mit fokussiertem Blick stand er dort in der Arena, in der ich mich so winzig fühlte. Es war unglaublich, was für eine weise Eule aus meinem kleinen Wirbelwind geworden war. Das Publikum hingegen jubelte lautstark beim Anblick des Dynamax-Pokémons.

    „Du gehst also gleich in die Vollen“, rief Yarro mir gegen den Lärm entgegen. „Nun, ich hoffe, du weißt, dass es nicht lange hält.“

    Musste er unbedingt meine Unsicherheit füttern? Wahrscheinlich schon, er wollte schließlich auch gewinnen. Doch statt mich von ihm verwirren zu lassen, setzte ich auf das Überraschungsmoment. Immerhin hatte Stuart den Kampf bereits offiziell begonnen. „Glöckchen“, rief ich, „fangen wir an! Dyna-Düse!“

    Der Wind, der über mich hinwegfegte, raubte mir fast das Gleichgewicht. Cottini, das von Glöckchens Attacke voll getroffen wurde, konnte sich im Gegensatz zu mir nicht auf den Beinen halten.

    Natürlich wusste ich, dass der Sieg gegen Cottini noch lange nicht das Ende des Kampfes bedeutete. Immerhin hatte Yarro noch sein Ass. Und die Möglichkeit der Dynamaximierung.

    „Denk dran, der Kampf ist noch nicht gewonnen. Wir werden euch mitsamt euren Wurzeln herausreißen!“, versicherte er mir und tat exakt das, was ich erwartet hatte.

    Ich versuchte, mich von dem riesigen Cottomi, das bald darauf vor mir erschien, nicht aus der Ruhe bringen zu lassen, was sich allerdings schnell als Unmöglich herausstellte. Die Dynamaximierung verlieh den Pokémon zwar ungeahnte Stärke, allerdings wurde es ihnen unmöglich, sich in diesem Stadion großartig zu bewegen, was bedeutete, ab jetzt ging es nur noch um rohe Gewalt. Glöckchens Attacken mussten einfach nur stärker sein als die von Yarros Cottomi.

    „Dyna-Angriff!“, schrie Yarro, während ich eine weitere Dyna-Düse befahl.

    Cottomi sprang und übertrug so Energie auf den Boden, um ihn unter Glöckchen aufbrechen zu lassen. Aber mein Noctu war schneller. Mit einem Satz war es in der Luft und schickte einen heftigen Windstoß auf seinen Gegner zu. Es war mir unverständlich, wie Yarro es schaffte, trotz dieser gefühlten oder tatsächlichen Mischung aus Erdbeben und Orkan ungerührt stehen zu bleiben. Aber das machte wohl seine Erfahrung als Arenaleiter.

    Da Glöckchen den Angriff deutlich besser weggesteckt hatte als das Cottomi, wagte mein Herz schon fast zu hoffen. Aber ich wusste, dass seine Dynamaximierung nicht mehr lange halten würde. „Schnell, Glöckchen, beende es!“

    Und tatsächlich nahm er noch einmal seine gesamte Kraft zusammen und traf das gegenüberstehende Pokémon mit voller Wucht.

    Ungläubig beobachtete ich, wie Cottomi immer kleiner wurde und schließlich besiegt hinter Yarro liegen blieb.

    „Cottomi kann nicht mehr weiterkämpfen, damit gewinnt Emilia diesen Arenakampf!“, erklärte Stuart.

    Es war fast so, als würde ich erst wieder zu mir kommen, als ich den Jubel des Publikums hörte. Ich hatte ganz vergessen, dass uns gefühlt die gesamte Region zusah. Hinter mir ertönte ein Schrei. Ich drehte mich um und erblickte den wieder normalgroßen Glöckchen. Ich konnte nicht anders als zu grinsen und meinem Noctu um den Hals zu fallen. Wir hatten tatsächlich gewonnen!

    „So verwelkt unsere ganze Pflanzen-Power … Du bist wirklich ein beeindruckender Arena-Challenger!“ Über den Lärm im Stadion hörte ich Yarro erst, als er direkt hinter mir stand. Immer noch fast dämlich grinsend drehte ich mich zu ihm um.

    „Du hast dich richtig in diesen Kampf reingekniet, und jetzt erntest du die Früchte dafür.“ Yarro setzte eine feierliche Miene auf: „Du hast im Rahmen der Arena-Challenge einen Arenaleiter besiegt. Um diese Leistung zu würdigen, verleihe ich dir hiermit den Pflanzen-Orden!“

    Er gab mit den Orden und verabschiedete mich mit einem Händeschütteln; und einem breiten Grinsen, das meinem Konkurrenz machte. „Viel Erfolg dabei, die anderen sieben Orden zu kriegen! Geh und zeig’s den anderen Arenaleitern!“

    Unschlüssig sah ich ihm nach, dann starrte ich auf das Stückchen Metall in meiner Hand. Dies war der erste Schritt auf meinem Weg zurück in die Freiheit. Es war das schönste, was ich je gesehen hatte.

    Irgendwann rief ich Glöckchen in seinen Pokéball zurück und ließ mich von Stuart aus dem Stadion führen. Für den Sieg in der Arena erhielt ich am Souvenirshop außerdem die TM für Zauberblatt. Aber all das bekam ich kaum mit, denn zum ersten Mal seit ich Cosma in unserem Wohnzimmer begegnet war, hatte ich das Gefühl, es wirklich schaffen zu können. Ich wusste, der Weg würde noch immer schwierig und meine Gegner immer stärker werden, aber mein Selbstvertrauen, das endlich wieder aus seinem Schlaf erwacht war, gab mir das Gefühl, zusammen mit meinen Pokémon alles überstehen zu können.


  • Hallo,


    endlich ist er da! Deine Meinung über die zu wenig beschriebene Wolly-Herde teile ich etwas, da hier viele Möglichkeiten zur kreativen Darstellung vorhanden gewesen wären. Nachdem es in den Arenen vorwiegend um die Kämpfe geht, ist das aber verschmerzbar.

    Jedenfalls: Den Kampf mochte ich. Dass du sofort mit Dynamax startest, war im Rahmen einer Nuzlocke gut, um keine Risiken einzugehen. Mit einem entwickelten Flug-Pokémon in die erste Arena zu gehen, machte da ebenfalls Sinn. Zudem denke ich, dass dieser überwältigende Sieg perfekt für Emilia ist, um nach den bisherigen Erlebnissen positiv nach vorne schauen zu können.


    Wir lesen uns!

  • Kapitel 20


    Meine Hochstimmung hielt an, als ich, inzwischen ziemlich erschöpft, das Pokémon-Center betrat. Allerdings hatte ich es geschafft, nicht mehr so dämlich zu grinsen.

    Kaum war ich durch die Tür getreten, sprang Hop auf der anderen Seite des Raumes von einem Sessel auf und kam auf mich zugerannt. „Milli, wo warst du denn? Ich muss dir etwas zeigen!“ Stolz präsentierte mir Hop seinen ersten Orden. „Tja, wenn es um Wolly geht, bin ich eben unschlagbar! Und keine Angst, du packst das bestimmt, du bist ja meine Rivalin!“

    „Nun ja …“, erwiderte ich und hielt meinerseits den Orden hoch. Ich hatte es noch nicht geschafft, ihn in meine Box zu packen.

    Hops Augen wurden so groß, dass ich fast Angst bekam, sie würden ihm aus den Höhlen purzeln. „Du hast gegen Yarro gekämpft? Wann? Und warum hast du mir nicht Bescheid gesagt? Ich hätte mir doch auf jeden Fall den Lifestream angeguckt!“

    „Ich war wohl etwas zu aufgeregt, um daran zu denken, tut mir leid.“

    „Ach Quatsch!“ Hop machte eine wegwerfende Handbewegung. „So wie ich dich kenne, hast du ihn nach allen Regeln der Kunst fertig gemacht.“

    „Oh, sie war großartig!“ Überrascht drehte ich den Kopf und sah Sania auf uns zukommen.

    „Du hast es gesehen?“, fragte ich.

    „Ich hab doch gesagt, ich wollte noch mit Yarro reden. Das hat sich als erstaunlich schwierig herausgestellt, aber so habe ich zumindest noch das Ende deines Kampfes mitbekommen. Fühlt sich ziemlich gut an, seinen ersten Arena-Kampf zu gewinnen, nicht wahr?“

    „Oh ja“, antwortete ich und auch Hop nickte begeistert.

    „Ich hab meinen Kampf auch gewonnen!“, betonte er dann und holte noch einmal seinen Orden hervor, um ihn Sania zu zeigen.

    „Da kann ich mich wohl glücklich schätzen, zwei zukünftige Teilnehmer des Liga-Turniers persönlich zu kennen“, lachte Sania.

    „Und den zukünftigen Champ!“, ergänzte Hop.

    „Natürlich. Ich bin aber eigentlich hier, um euch zu sagen, dass der Bürgermeister mir die Untersuchung der Geoglyphe erlaubt hat. Und da ihr mir so gut geholfen habt, wollte ich fragen, ob ihr mitkommen möchtet“, berichtete Sania.

    „Sorry, aber die Legende von Hop geht anderswo weiter“, lehnte Hop ab, bevor ich auch nur darüber nachdenken konnte, etwas zu sagen. „Ich muss so schnell wie möglich weiter nach Keelton zur zweiten Arena!“

    Erwartungsvoll sah Sania nun mich an und etwas lag in ihrem Blick, das sich wohl am besten als spitzbübisch bezeichnen ließe. Erst jetzt fiel mir auf, dass Hop ihr bisher auch eher weniger geholfen hatte. „Klar, warum nicht?“, nickte ich schließlich.

    „Klasse, ich hol dich morgen früh ab. Wir treffen uns gleich nach Sonnenaufgang mit Yarro und dem Bürgermeister. Also bis dann! Und herzlichen Glückwunsch euch beiden!“ Mit einem Winken drehte sie sich um und verließ das Pokémon-Center.

    „Also dann, Milli“, Hop sah mich mit großen Augen an, „einen haben wir, sieben fehlen noch. Und dann stehen wir uns im Liga-Turnier gegenüber!“

    Langsam ebbte meine Hochstimmung ab und Hops Worte holten mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Es war noch lange nicht dabei.

    „Ich werde gewinnen“, sagte ich mehr zu mir selbst. Aber Hop hatte es natürlich trotzdem gehört.

    „Na dann zieh dich warm an! Wir sehen uns in Keelton!“


    Ich fühlte mich seltsam einsam, als ich am nächsten Morgen erwachte und es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, woran es lag. Nach dem langen Tag war ich abends einfach nur noch ins Bett gefallen und hatte alle meine Pokémon in ihren Bällen gelassen. Ein Blick auf die Uhr verriet mir allerdings, dass ich bis zu meinem heutigen Treffen mit Sania dafür auch keine Zeit mehr haben würde und verschob die Aussprache mit meinen Begleitern auf später, wenn ich auf dem Weg nach Keelton sein würde.

    Sania wirkte bereits etwas ungeduldig, als ich im Eingangsbereich des Pokémon-Centers auftauchte. „Tut mir leid. Ich bin schon wieder spät …“, sagte ich, doch sie winkte ab.

    „Halb so wild, aber jetzt sollten wir uns beeilen.“

    Der Bürgermeister von Turffield war ein kleiner Mann mit bereits ergrautem Haar. Neben dem muskulösen Yarro schien er beinahe zu verschwinden. Allerdings war er sehr direkt mit seinen Forderungen: Die Geoglyphe darf nicht betreten werden, nur das Gras um sie herum, keine Beschmutzung oder anderweitige Änderung in ihrem Aussehen und wir sollten bloß weg sein, bevor der erste große Touristenansturm kam. Uns blieb also nicht viel Zeit.

    Sania machte sich sofort daran, den Hügel zu erklimmen. Der Bürgermeister, Yarro und ich folgten ihr. Ich wusste nicht genau, wonach wir suchten, aber wie Sania auch hielt ich den Blick auf den Boden gerichtet. Und wenn es nur dafür gut war, dass ich auf keinen Fall das Gras verlassen wollte. Ich brauchte nicht unbedingt Probleme mit mehr als einem mächtigen Mann.

    Bald schon hatten wir den Rand des Waldes erreicht und umrundeten den Kopf der riesenhaften Aliendarstellung, in der Sania ein dynamaximiertes Pokémon erkennen wollte. Von Nahem sah es für mich noch viel weniger wie eines der Wesen aus, die ich von klein auf kannte. Aber unser Ziel war ja der geheimnisvolle Wirbel, der möglicherweise eine Verbildlichung der „Finstren Nacht“ sein könnte.

    „Ha!“, machte Sania, als sie sich ihm näherte. „Emilia, sieh dir das an!“

    Neugierig trat ich neben sie und auch die beiden Männer kamen heran, um sich die neue Entdeckung anzusehen. Überrascht betrachtete ich das Muster, das sich von hier aus erkennen ließ, aber …

    „Was ist das?“, sprach Yarro meinen Gedanken aus.

    „Ich habe keine Ahnung“, entgegnete Sania und blickte zum Bürgermeister, der abwehrend die Hände hob.

    „Sehen Sie mich nicht an. Ich sorge nur dafür, dass unsere Touristenattraktion immer in bester Form bleibt. Warum ausgerechnet diese Form geschaffen wurde, kann ich nicht sagen.“

    „Dann ist das wohl eine weitere Sache, die ich herausfinden muss“, seufzte Sania. „Aber vielleicht hilft uns dieses Puzzlestück später irgendwann weiter.“

    Noch einmal mustere ich die seltsame Struktur. Im äußeren Kreis sieht sie aus wie eine Kette von Dreiecken, im Inneren der Spirale tauchen die Dreiecke immer in einem gewissen Abstand zueinander auf. „Wer auch immer das gemacht hat, hat den Wirbel damals wohl gut sehen können“, überlegte ich.

    „Wichtig kann es ihm aber nicht gewesen sein“, meinte Yarro daraufhin. „Sonst hätte er das doch sicher so gemacht, dass man es auch wirklich sehen könnte.“

    „Vielleicht konnte er einfach die anderen, die mitgearbeitet haben, nicht davon überzeugen.“

    Sania sah mich kritisch an. „Wir haben also eine mögliche Struktur der ‚Finstren Nacht‘, die vielleicht von irgendjemandem gesehen wurde, wenn dann aber nicht von allen und die vielleicht auch nur eine seltsame Zierde ist? Forschung ist ganz schön kompliziert.“

    Der Bürgermeister schien sich letztlich doch herzlich wenig für die alten Legenden zu interessieren, denn er sagte nur: „Wenn das alles ist, was Sie sehen wollten, würde ich Sie jetzt bitten, den Hügel wieder freizugeben.“

    „Aber natürlich“, versicherte Sania und so machten wir uns auf den Weg zurück in die Stadt, wieder einmal um das riesige Wesen herum.

    „Das hat keine Muster“, sagte ich irgendwann zu Sania, die ich dadurch offenbar aus ihren Gedanken aufschreckte.

    „Was?“

    „Das Wesen hier, das vielleicht ein Pokémon darstellen soll. Da sind keine Extramuster eingefügt“, erklärte ich ihr, was mir aufgefallen war.

    „Du hast recht“, stimmte Sania mir zu. „Aber auch das könnte viele Gründe haben …“

    Wieder verfielen wir in Schweigen, bis wir wieder die Hauptstraße von Turffield verließen und der Bürgermeister sich verabschiedete. Ich hatte das Gefühl, er war froh, uns so schnell wie möglich wieder loszuwerden.

    „Ich sollte auch mal wieder zur Arena zurück“, meinte Yarro nun. „Wenn die Wolly nicht schon wieder ausgebüxt sind, werde ich sicher gleich die nächsten Herausforderer empfangen können. Der Anfang der Challenge ist immer sehr anstrengend. Also danke für die nette Abwechslung!“

    „Ja, danke“, sagte Sania abwesend.

    „Auf Wiedersehen.“ Ich winkte Yarro zu, während er ging. Dann wandte ich mich Sania zu: „Was ist los?“

    „Was?“ Sania blinzelte mich an, als hätte sie gar nicht mitbekommen, was die letzten paar Minuten vor sich gegangen ist.

    „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Diverse Horrorszenarien, in denen Cosma auch etwas gegen Sania in der Hand, vielleicht sogar Professor Magnolica in seiner Gewalt hatte, schwirrten vor meinem inneren Auge herum. Aber als Sania mich schließlich ansah, wirkte ihr Lächeln aufrichtig und ich erkannte keine Sorge in ihrem Blick; nur Verwirrung.

    „Ach ja, ja, alles klar“, versicherte sie mir dann. „Ich hab nur das Gefühl, als gäbe es immer neue Fragen, aber keine Antworten. Wer weiß, ob ich überhaupt fürs Forschen gemacht bin …“ Sie sagte es mit einem Lachen, aber ich spürte ihre Unsicherheit.

    „Ich denke, so ist das immer, wenn man anfängt. Du musst einfach dran bleiben. Und wenn etwas sein sollte, dann kannst du immer mir reden.“ Bei den letzten Worten legte ich eine Nachdrücklichkeit in meine Stimme, die vielleicht etwas komisch wirken könnte. Aber für den Fall, dass irgendeine meiner schlimmsten Befürchtungen doch wahr wären, wollte ich ihr zu verstehen geben, dass ich genau wusste was hier los war.

    „Du klingst viel zu weise für dein Alter.“ Dieses Mal klang Sanias Lachen echt und ich entspannte mich ein wenig. Cosma konnte ja auch nicht überall seine Finger im Spiel haben. „Aber danke“, fügte Sania dann noch hinzu. „Und für dich geht es jetzt weiter nach Keelton, oder? Die Arenaleiterin Kate ist eine alte Freundin von mir. Vielleicht komme ich da demnächst auch noch vorbei.“

    „Na, ich werde da sein“, sagte ich so locker wie möglich, auch wenn ich eigentlich noch nicht an meinen nächsten Arenakampf denken wollte. „Wir sehen uns!“


  • Hallo,


    es ist immer wieder eine Freude, Szenen zu sehen, die es so nicht in den Spielen gab. Wie du sagst, lädt Sania dazu ein, sich mehr mit ihr und ihren Forschungen zu befassen. Die Finstre Nacht ist ein Phänomen, über das vermutlich sehr viel spekuliert werden kann und der Aufenthalt bei der Geoglyphe hat schließlich nicht nur dafür gesorgt, dass einige spätere Erkenntnisse nachvollziehbarer sind. Ich empfinde es zumindest als gut, dass Emilia auf dem Weg durch die Region Freundschaften knüpft und dadurch eine hohe Moral bestehen bleibt. Daher bin ich nun gespannt auf Keelton.


    Wir lesen uns!

  • Kapitel 21


    Ich verließ Turffield über eine kleine Brücke in Richtung Osten. Natürlich wurden meine Brillengläser sofort wieder dunkel, allerdings sprang mich dieses Mal kein Pokémon an.

    „Hey“, rief eine Stimme und automatisch stoppte ich. Ich hatte keine Ahnung, wo oder wer die Person war, die mich gerade ansprach. „Jetzt ist es perfekt für ein Interview mit einem waschechten Arena-Challenger. Und was würde sich besser dafür eignen als ein Pokémon-Kampf?!“

    Erschrocken blickte ich in die Richtung, aus der die Stimme kam. Meine Brillengläser wurden wieder durchsichtig und ich sah direkt in eine Kamera.

    „Ein gutes Team aus Trainer und Pokémon strahlt regelrecht vor der Kamera“, behauptete der Typ, der das Gerät trug und ehe ich mich versah, hatten er und seine Kollegin, die offenbar die Reporterin war, die mich zuerst angesprochen hatte, ihre Pokémon aus den Bällen gelassen. Und nun konnte ich natürlich nicht nicht kämpfen, um nicht seltsam zu erscheinen.

    Goldi machte kurzen Prozess mit dem Klikk des Kameramannes. Doch leider konnte ich Schnee nicht Dampfwalze einsetzen lassen, was dem gegnerischen Eguana sehr geschadet hätte, weil ich unter keinen Umständen mein Skunkapuh in Gefahr bringen wollte. Aber im Endeffekt hatte das gegnerische Pokémon trotzdem keine Chance und erleichtert beendete ich den Kampf.

    Die Reporterin war dennoch äußert zufrieden mit den Geschehnissen. „Was für ein Potenzial!“, schwärmte sie und bestürmte mich mit Fragen zu meiner bisherigen Erfahrung.

    Ich gab mir Mühe, die langweiligsten Antworten überhaupt zu geben. Ja, natürlich war diese Reise aufregend. Es ist eine tolle Erfahrung, so vielen Menschen zu begegnen. Klar freue ich mich über meinen ersten Orden. Besser niemand beachtete mich genug, um misstrauisch zu werden.

    „Ich sollte jetzt aber wirklich weiter“, versuchte ich sie schließlich zum wiederholten Mal abzuwimmeln, als sie mir endlich zuhörte.

    „Oh, aber natürlich. Die nächste Arena ruft schon“, flötete sie. „Ich wünsche dir noch viel Erfolg.“

    „Vielen Dank“, sagte ich und wandte mich erleichtert zum Gehen. Jetzt musste ich nur noch ein Pokémon fangen, bevor ich wieder durchatmen konnte.

    Wer auch immer die Kontrolle über meine Brille besaß, ließ mich tatsächlich ein paar Meter gehen, bevor er mir wieder die Sicht nahm. Vermutlich um den Schein gegenüber dem Fernsehteam zu wahren.

    Es dauerte schließlich nicht lange, bis ich in ein Velursi hereinrannte. Ich schickte Perle in den Kampf und versuchte, es ein wenig zu schwächen, ehe ich einen Ball warf. Aber das Velursi hatte andere Pläne. Kaum hatte Perle seine Attacke beendet, stürmte es los und traf das Phlegleon frontal mit einem harten Gegenstoß. Mein geliebter Starter schwankte, hielt sich aber auf den Beinen. Dieser Fang würde mir einiges abverlangen.

    Mit klopfendem Herzen rief ich Perle zurück und schickte stattdessen Schnee in den Kampf. Ich wusste, dass sie eine gute Verteidigung hatte und hoffte, dass mir das nun helfen würde. Allerdings schien es meinem Pampuli gar nicht gefallen zu haben, dass Perle so schwer getroffen worden war. Mit zwei schnellen Kicken besiegte sie das Velursi, statt mir eine Chance zum Fangen zu geben.

    Wenigstens blieb ihm die Grausamkeit von Cosmas Pokébällen erspart. Und ich musste einfach mit den Pokémon gewinnen, die ich schon hatte … leichter gesagt als getan.


    Ich ließ mir Zeit mit dem Vorankommen. Der Weg führte immer wieder sanfte Hügel hinauf und hinunter und ich genoss die Abgeschiedenheit. Wieder merkte ich, wie viel einfacher meine Aufgabe doch war, wenn ich nicht gleichzeitig Menschen, die mir etwas bedeuteten, belügen musste.

    Trotz der unschönen Kämpfe nach dem Verlassen der Stadt, nutzte ich den Vormittag zum Trainieren. Am meisten konzentrierte ich mich auf Himbeere, weil sie noch ein paar Level zurücklag. Aber auch meine anderen Pokémon erhielten immer wieder neue Erfahrung, sodass Glöckchen sogar Sondersensor erlernte.

    Gegen Mittag gönnte ich uns eine Pause; ich selbst war immerhin schon seit Sonnenaufgang auf den Beinen. An einem kleinen See, der sich an einen Hang schmiegte, stellte ich meinen Campingkocher auf und ließ meine Pokémon aus ihren Bällen. Ich hatte ihnen während des Trainings bereits einzeln zu verstehen gegeben, dass der erste Arenakampf gut ausgegangen war, aber sie alle hier beisammen zu haben, war noch etwas anderes.

    Perle – wie auch Glöckchen, der in meiner Nähe blieb – nickte mir zu, ehe er es sich neben Schnee am Rande unseres Lagers gemütlich machte. Natürlich war es für mich manchmal etwas schwer, nicht mehr das verschmuste Memmeon an meiner Seite zu haben, aber Perles ruhige und überlegte Art war eine große Erleichterung. Perle war der einzige, der Cosma selbst kennengelernt hatte. Er wusste, was auf dem Spiel stand. Das hatte uns beide geprägt. Und ich konnte mich immer darauf verlassen, dass er das Team zusammenhielt. So wie er beispielsweise Schnee jetzt Gesellschaft leistete. Ich sah dem Pampuli deutlich an, wie es sich entspannte. Ich bezweifelte, dass Schnee sich jemals beschweren würde, aber auch für sie war es nicht einfach.

    Schmetterling und Goldi sahen mich erwartungsvoll an.

    „Alles in Ordnung“, beruhigte ich meine Pokémon. „Wir haben es geschafft. Wir haben den ersten Orden. Und den Rest werden wir auch schaffen. Aber jetzt sollten wir uns einfach entspannen.“

    Amüsiert beobachtete ich, wie Schmetterling diese Aussage interpretierte. Mit erhobenem Balken lief er auf Himbeere zu und schon kurz darauf entbrannte ein freundschaftliches Kräftemessen zwischen den beiden. Zumindest hoffte ich, dass es freundschaftlich war, immerhin hatten die beiden bisher noch nicht sehr viel Zeit miteinander verbracht.

    Als ich mir sicher war, dass die beiden sich nicht gegenseitig verletzen würden, wandte ich mich dem großen Topf zu, um für uns ein Mittagessen zuzubereiten. Auch Goldi hatte kurze Zeit später genug von den Wettkämpfen und rollte sich in der Nähe des Feuers zusammen. Merkur hätte sich bestimmt gerne dazugelegt. Wie gerne hätte ich alle meine Pokémon beisammen, aber Regeln der Liga erlaubte jedem Trainer nur sechs Pokémon dabeizuhaben. Ob Cosma da auch seine Finger im Spiel hatte?

    Ich schüttelte den Kopf über meine Gedanken. Diese Regelung bestand schon ewig, vielleicht um junge Trainer nicht zu überfordern oder eine faire Grundlage für die Arena-Challenge zu schaffen. Nicht alles lief auf diesen Sadisten zurück.

    Während ich kochte, kamen ein paar wilde Picochilla in mein Camp. Sie wirkten friedlich und ich warf ihnen gelegentlich ein paar Beerenstückchen zu. Zumindest so lange, bis Himbeere sich dazu entschied, sie zu verscheuchen. Hinterher sah sie mich mit einem so stolzen Gesichtsausdruck an, dass es mir das Herz brach. In ihren Augen hatte sie eine Bedrohung beseitigt. Ich war mir nicht sicher, ob sie immer schon so gewesen war oder ob sie nur einen Schutzinstinkt gegenüber ihrem Team entwickelt hatte, das so anfällig für äußere Einflusse war. „Es war nicht nötig“, sagte ich zu ihr. „Aber danke.“

    Kurz huschte Verwirrung über ihr Gesicht, dann nickte sie nur und wandte sich anschließend wieder ihrem Training mit Schmetterling zu.

    Ich ließ mir Zeit, während ich das fertige Curry in die Schalen für meine Pokémon füllte, und fragte mich, wie anders mein Team aussähe, wäre mir Cosma nie begegnet. Wie gerne hätte ich mich mit diesen Picochilla angefreundet. Warum auch nicht? Aber ich hatte tolle Partner. Partner, die alles für mich gaben. Also würde ich genauso alles für sie geben.


  • Hallo,


    endlich geht es weiter und ich finde es gut, dass du hier nun auch das Problem aufgezeigt hast, falls die Route nicht mit einem wilden Pokémon startet. So geht Emilia nicht komplett blind auf die Gegner los. Schade jedenfalls um Velursi und hinterher auch Psiau. Aber die nächste Gelegenheit zum Fang wird sicher noch kommen.

    Das gemeinsame Camping ist wunderbar. Vor allem die Anmerkung, dass Schmetterling die entspannte Zeit zum Training nutzt, war witzig und unerwartet, ebenso wie Himbeere stolz die wilden Pokémon verscheucht hat. Es gibt den Pokémon viel Charakter und das mag ich sehr.


    Wir lesen uns!

  • Kapitel 22


    Der Rest des Tages verging wie im Flug und ich hatte nicht einmal den Rand der nördlichen Naturzonenbrücke erreicht, als es zu dämmern begann. An diesem Tag würde ich es also auf keinen Fall mehr bis nach Keelton schaffen. Stattdessen beschloss ich, mich nach einem geeigneten Platz für mein Zelt umzusehen, um es nicht in völliger Dunkelheit aufbauen zu müssen.

    Ich kam gerade über einen kleinen Hügel, als ich ein einsames Haus erblickte, das in der Mitte der Route stand. Mich überkam eine Neugierde, die ich mir in den letzten Wochen kaum hatte leisten können, und so näherte ich mich dem Gebäude. Es dauerte nur ein paar Schritte, bis ich das beleuchtete Logo mit den großen, rot-weißen Pokémon-Eiern über dem Eingang erkannte. Ein Hort.

    Blinzelnd blieb ich stehen. Wenn ich Glück hatte, würde ich dort eine Unterkunft finden. Wenn nicht, würde ich zwar tatsächlich in der Dunkelheit mit dem Zelt kämpfen müssen, aber es erschien mir die sinnvollste Vorgehensweise.

    Mit seiner weißen Steinfassade und dem grünen Spitzdach wirkte der Pokémon-Hort sehr einladend. In seinem umzäunten Gartenbereich konnte ich sogar einige Pokémon erkennen, die vor sich hin dösten. Dennoch atmete ich einmal tief durch, ehe ich durch die hölzerne Eingangstür trat.

    Das Innere des Hauses erschien nicht weniger gemütlich, was sicherlich nicht zuletzt an den hölzernen Fachwerk-Elementen lag. Direkt gegenüber dem Eingang befand sich ein runder Tresen, hinter dem ein blondes Mädchen mit einer älteren Dame sprach.

    Da sie mich noch nicht bemerkt hatten, trat ich vorsichtig näher und begrüßte sie freundlich.

    „Oh!“ Überrascht drehte sich das Mädchen zu mir um. Es konnte nicht viel älter sein als ich. „Möchtest du noch Pokémon zur Pflege abgeben?“, fragte es professionell.

    „Ähm, nein, tatsächlich wollte ich fragen, ob ihr hier auch Zimmer für die Nacht vermietet …“

    Unsicher blickte ich zwischen dem Mädchen und der Dame hin und her, ehe mir letztere ein einnehmendes Lächeln schenkte: „Aber natürlich!“

    Erleichtert atmete ich auf und schalt mich im nächsten Moment innerlich, dass ich meine Gefühle nicht besser im Griff hatte. Nun, zumindest war dies eine ungefährliche Situation.

    „Nur für eine Nacht?“, fragte die Frau noch einmal nach.

    „Ja, genau.“

    „Ach, natürlich, du gehörst zu den Arena-Challengern!“, stellte das Mädchen erfreut fest. „Ich glaube, ich hab dich sogar bei der Eröffnungszeremonie gesehen! Die Übertragung verpasse ich nie! Schade, dass dieses Jahr bisher so wenige bei uns halt gemacht haben, aber –“

    „Theresa!“, unterbrach die ältere Dame sanft den Redefluss des Mädchens.

    „Oh, Entschuldigung“, sagte Theresa kleinlaut an mich gerichtet. „Manchmal lasse ich mich ein wenig mitreißen. Ich liebe es einfach, die Challenge zu verfolgen, auch wenn ich selbst viel lieber hier mit den Pokémon arbeite und …“ Ein Blick der anderen ließ sie verstummen, ehe sie fortfuhr: „Und ich sollte dir jetzt vielleicht dein Zimmer zeigen.“

    Sie führte mich hinter dem Tresen eine enge Treppe hinauf und ich folgte. In Gedanken meldete sich meine Paranoia, aber alles sagte mir, dass ich den beiden vertrauen konnte.

    „Oh Mann, wie unhöflich“, wandte sich meine Begleiterin wieder mir zu. „Wie heißt du eigentlich? Ich bin Theresa.“

    „Emilia“, antwortete ich mit einem Lächeln.

    „Emilia … werde ich mir merken. Und dann verfolge ich alle deine Kämpfe! Du hast jetzt einen neuen Fan!“, verkündete sie.

    Oben im Flur öffnete sie eine der hölzernen Türen und präsentierte ein winziges Zimmer. Obwohl es neben Bett und Schrank kaum mehr Platz bot, wirkte es gemütlich statt einengend, was sicher nicht zuletzt an den freundlichen Farben lag.

    „Das Bad ist den Flur runter“, erklärte Theresa nun. „Und du kannst morgen früh gerne mit uns Frühstücken. Aber wir stehen schon sehr früh auf, um uns um die Pokémon zu kümmern. Apropos: Du hast das beste Zimmer.“ Sie zwinkerte mir zu und deute zum Fenster. „Es hat nämlich den besten Blick auf den Garten.“


    Überraschenderweise war es nicht Himbeere, sondern Goldi, die am nächsten Morgen als erstes erwachte. Vermutlich hatte sie die Geschäftigkeit im Hort mitbekommen, denn kurz nachdem sie mich mit ihren morgendlichen Dehnübungen weckte, hörte auch ich, dass Theresa und die Leiterin der Pension – Theresas Großmutter, wie ich am Tag zuvor noch erfahren hatte – bereits auf den Beinen waren.

    Lächelnd ließ ich meinen Blick über meine zumeist noch schlafenden Pokémon gleiten. Obwohl in diesem Zimmer kaum Platz war, hatten alle darauf bestanden, außerhalb ihrer Bälle zu schlafen. Himbeere und Goldi sogar in meinem Bett. Und so gerne ich Perle ebenfalls direkt neben mir gewusst hätte, hatte er es sich doch auf dem Boden neben Schnee und Schmetterling bequem gemacht. Glöckchen saß auf der Fensterbank vor dem geöffneten Fenster und als würde er meinen Blick spüren, öffnete er die Augen und sah mich direkt an. Ich lächelte ihm zu und begann, Goldi zu kraulen.

    Obwohl die Sonne erst langsam zwischen den Bäumen hinter dem Hort hervor blitzte, fühlte ich mich erstaunlich gut ausgeruht. Der größtenteils entspannte Tag hatte mir einen ebenso ruhigen Schlaf beschert. Und trotz der Angst, die der Gedanke an unseren nächsten Arenakampf noch immer in mir auslöste, konnte ich nicht anders, als dem Tag positiv entgegenzublicken. Ich musste alle Lichtblicke nehmen, die ich bekommen konnte. Und dieser Morgen umgeben von meinen Pokémon war definitiv einer davon.

    Nach Theresas Ankündigung vom Vorabend war ich überrascht, die Hortleiterin in der offenen Küche zu sehen, als ich kurze Zeit später die Treppe hinunterkam. Als sie mich entdeckte, schenkte sie mir ein freundliches Lächeln. „Auch eine Frühaufsteherin, wie mir scheint?“

    Ich zuckte undefiniert mit den Schultern. „Ist auf der Reise halt sinnvoll“, antwortete ich und nahm kurz darauf dankend die Tasse Tee entgegen, die sie mir reichte.

    „Ich bewundere euch junge Leute. Die Arena-Challenge ist lang und anstrengend und nur wenige schaffen es bis zum Champ-Cup und dennoch seid ihr immer mit einer solchen Begeisterung bei der Sache.“ Ihr Blick schweifte in die Ferne und ich suchte nach einer Drohung ihrer Worte, wie ich sie schon so oft in Bezug auf die Challenge gehört hatte. Doch ich fand keine. „Vermutlich ist das Reisen auch gut, um sich selbst zu finden. Aber ich wusste halt schon immer, dass ich diesen Hort übernehmen wollte.“ Dann lachte sie. Ich lächelte auch, um den Kloß zu vertreiben, der sich bei ihren Worten in meinem Hals gebildet hatte. Wenn es doch nur so einfach wäre …

    Zu meinem Glück ging im nächsten Moment die Hintertür auf und Theresa stand mit einem Toxel im Arm darin. „Oh, wie schön, du bist wach!“, rief sie mir fröhlich entgegen. „Hier! Das ist für dich!“

    Ich blinzelte überrascht, als sie mir das Toxel geradewegs ins Gesicht hielt. Das kleine war hingegen noch überforderter als ich und begann zu schreien.

    „Nein, nein, nicht weinen. Das ist doch deine neue Trainerin“, versuchte Theresa das Toxel zu beruhigen.

    „Bitte was?“, mischte ich mich jetzt ein.

    „Oh, ähm, klar, also ich hab ein Ei gefunden und daraus ist dieses Toxel geschlüpft und ich dachte, du könntest es doch sicher gut mitnehmen und trainieren.“

    „Das kann ich nicht annehmen“, hielt ich dagegen, denn dieses Baby würde sicher nicht Cosmas Standards standhalten. Weder bezüglich des Balls, den Theresa soeben aus ihrer Tasche zauberte, noch bezüglich des Drucks, der auf mir und meinen Pokémon lastete.

    „Blödsinn, natürlich kannst du“, entgegnete Theresa und streckte mir dieses Mal nur den dunklen Luxusball anstelle des gesamten Pokémons entgegen. „Es ist ein schockierend putziges Pokémon, nicht wahr?“

    „Ähm, ja schon, aber“, ich suchte verzweifelt nach Gründen, dieses winzige Ding nicht in meinen Albtraum mit reinzuziehen, „wenn du es gefunden hast, gehört es vielleicht jemand anderem.“

    „Ach, wir finden häufiger Eier und die meisten behalten wir hier, bis jemand die Pokémon adoptiert“, wiegelte Theresa ab.

    „Trotzdem …“

    „Theresa, lass unseren Gast doch erst einmal frühstücken“, mischte sich nun die Hortleiterin ein.

    „Oh, ja natürlich“, meinte Theresa dann, setzte das Toxel ab und kam zu uns.

    „Ich denke, du solltest das Toxel erst einmal selbst behalten“, versuchte ich noch einmal abzulehnen. „Ich habe gerade wirklich genügend andere Pokémon, auf die ich mich konzentrieren muss. Ich will nicht, dass irgendjemand zu kurz kommt.“

    „Schade. Es wäre cool gewesen, ein Pokémon anfeuern zu können, dass von hier aus dem Hort kommt.“

    Theresa sah so enttäuscht aus, dass ich fast nachgegeben hätte. Aber es war für alle Beteiligten besser, wenn das Toxel nicht mit mir käme. Auch wenn ich seinen Elektro-Typ für die nächste Arena echt gut hätte gebrauchen können. Unauffällig seufzte ich in meinen Tee. Ich hasste es, auf wie viele verschiedene Arten mir Cosma das Leben doch schwer machen konnte.


    Nach dem Frühstück hatte Theresa sich wieder gefangen und auch selbst eingesehen, dass es Toxel wohl im Hort am besten haben würde. „Aber es gehört dir“, beteuerte sie noch einmal, als wir schon vor der Tür des Horts standen. „Also musst du versprechen, es irgendwann abzuholen.“ Sie zwinkerte mir zu. „Dann hast du einen Grund, wiederzukommen, wenn du erst mal Champ bist.“

    Das Lächeln gefror auf meinen Lippen und ein Schauer durchlief mich. So weit hatte ich noch nie gedacht. Was würde passieren, wenn ich es tatsächlich schaffte, Delion zu besiegen? Würde ich frei sein, und zurückkommen können? Oder …

    „Ich verspreche, ich werde daran denken.“ Das war alles, was ich versprechen konnte. Auch wenn ich mir so sehr wünschte, tatsächlich wiederkommen zu können.

    Ehe ich mich versah, hatte mich Theresa in eine Umarmung zum Abschied gezogen. „Ich freue mich schon darauf!“, verkündete sie und ließ mich wieder los. „Und ich werde dein größter Fan werden, versprochen!“

    „Danke“, erwiderte ich etwas überfordert. Ich bewunderte ihre Offenheit. War ich nicht früher auch so gewesen? Wenn auch etwas weniger extrem. Ich ignorierte den Gedanken und wandte mich zum Gehen. „Auf Wiedersehen.“

    „Wir sehen uns!“, rief Theresa mir hinterher. „Und viel Glück!“

    Ich schenkte ihr noch ein letztes Lächeln. Viel Glück konnte ich gut gebrauchen.