Depression Quest

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  • Ich hatte von diesem Spiel schon öfter gehört, leider immer nur in Zusammenhang mit der Gamergate-Hasskampagne, deren Opfer Zoë Quinn, dier das Spiel entwickelt und zusammen mit Patrick Lindsay geschrieben hat, geworden ist. Nun dachte ich mir aber, dass ich es mir einfach mal ansehen könnte, zumal es gratis ist und sich ja auch mit einem Thema auseinandersetzt, mit dem ich mich (notgedrungen) seit einiger Zeit beschäftigen muss. Und nachdem ich es mir angeschaut hatte, war ich ein bisschen in Reviewlaune.


    Depression Quest ist, um es direkt zu sagen, kein skillbasiertes, sondern komplett auf Story fokussiertes Spiel (wer daran nicht interessiert ist, kann jetzt direkt wieder wegklicken). Spieler*innen schlüpfen in die Rolle einer Person, die zu Beginn des Spiels bereits an einer leichten Depression leidet, die dann schnell schlimmer wird. Der Verlauf dieser Geschichte wird dabei über Text erzählt, es gibt also insgesamt viel zu lesen. Am Ende der einzelnen „Kapitel“ können jeweils Entscheidungen getroffen werden, die die Wahl zwischen verschiedenen Reaktionen auf Alltagssituationen und gelegentlich Optionen zur Suche nach Besserung der Depression der Spielfigur beinhalten. Durch diese Entscheidungen wird beeinflusst, welchen Verlauf die Geschichte nimmt und wie sie schließlich „endet“ (ich setzte das bewusst in Anführungszeichen, dazu später). Manchmal werden Entscheidungsoptionen angezeigt, sind aber durchgestrichen und können nicht angeklickt werden, zum Beispiel, weil der mentale Zustand der Spielerfigur es nicht erlaubt. Zusätzlich werden unter jedem Kapitel auch drei Informationen angegeben: Erstens der genaue Zustand der Depression der Spielfigur, zweitens ob sich die Spielfigur in Therapie befindet und drittens, ob sie Medikamente gegen die Depression nimmt.


    Wie nun schon relativ deutlich sein geworden sein sollte, ist Depression Quest wahrscheinlich eher uninteressant für Leute, die eben in Spielen eher ihre Fähigkeiten auf die Probe stellen möchten. Tatsächlich lässt sich sogar weiter gehen und sagen, dass Depression Quest – auch nach eigener Aussage – nicht einmal wirklich dazu da ist, beim Spielen Spaß zu haben oder unterhalten zu werden. Was abschreckend klingt, ist in diesem Fall nun einmal der Sache geschuldet: Depression Quest nutzt das Medium des Spiels, um die Thematik Depression zu verhandeln und möglicherweise einigen Leuten näherzubringen, gerade denen, die nie darunter gelitten haben, aber Depressionen etwas mehr verstehen möchten. Das Spiel kann solchen Leuten helfen, sich in eine Person mit Depressionen hineinzuversetzen. Ein weiteres Ziel des Spiels ist es, Leuten mit Depression – die aber an das Spiel mit Vorsicht herangehen sollten wegen potenzieller Trigger – das Gefühl geben, nicht allein mit ihren Problemen zu sein. Diesbezüglich würde ich auch sagen, dass das Spiel in der Tat recht authentisch die Symptome einer Depression vermittelt: Die Antriebs- und Motivationslosigkeit, der Verlust von Freude selbst an Tätigkeiten, die einmal Spaß gemacht haben, die Schwierigkeit, alltägliche Aufgaben zu bewältigen, der damit einhergehende Selbsthass, das Gefühl von Wertlosigkeit und die Versagensängste werden ebenso deutlich gemacht wie die Furcht vor sozialem Ausschluss, die mitunter vorhandenen Schwierigkeiten, den Schritt zur Therapie zu machen, sich zur Einnahme von Medikamenten zu überwinden und in Sachen Behandlung der eigenen Depression auch am Ball zu bleiben (und nicht etwa zu früh mit der Behandlung aufzuhören). Depression Quest ist damit durchaus geeignet, einen zumindest ungefähren Eindruck der Kämpfe (mit sich selbst) zu vermitteln, die mit einer Depression einhergehen. Zur gleichen Zeit kann es vielleicht Leuten mit Depression helfen, sich auf ein paar Situationen mental vorzubereiten: Sich einen Therapieplatz zu suchen kann vielleicht leichter fallen, wenn das im Spiel schon einmal „trocken“ eingeübt wurde. Zwar sollte diese Wirkung nicht überschätzt werden, aber was das Spiel hier eben auch ganz gut macht, ist, dass es über die dabei eventuell auftretenden Probleme dennoch informiert. Als ich im Spiel die Therapeutin angerufen habe, wurde eben in der Geschichte geschildert, dass die Spielfigur immer noch an dem Sinn von allem zweifelt, und auch die erste Zeit nach Beginn der Therapie bringt nur langsam Besserung und vorerst noch Unsicherheit. Es kann, so würde ich meinen, in der Realität durchaus helfen, sich darüber bewusst zu sein, dass eben nicht alles schnell besser wird, damit mensch nicht durch unrealistische Erwartungen schnell enttäuscht wird und sich dann nur mehr Vorwürfe macht.


    Bezüglich der Authentizität gibt es dann noch zwei Elemente im Spiel, die ich sehr mag: Das eine besteht eben darin, dass bestimmte Optionen zwar angezeigt werden, aber nicht ausgewählt werden können. Während das als Konzept natürlich nichts Neues in Spielen ist (Dialog- oder Entscheidungsoptionen in anderen, auch mehr skillbasierten Spielen sind ja mitunter nicht alle direkt verfügbar und müssen erst irgendwie freigeschaltet werden), verdeutlicht dieser Aspekt in Depression Quest einen wichtigen Punkt in Hinblick auf Depressionserfahrungen: Dass nämlich etwa an einem sehr schlechten Tag die Option „Setz ein Lächeln auf, geh zur Arbeit und sei einfach fröhlich“ ab einem bestimmten Punkt eben keine reale Option mehr ist. Das Blockieren solcher Entscheidungsmöglichkeiten repräsentiert, wie eine Depression die eigenen Möglichkeiten beschneiden, zu sozialem Rückzug und zu Isolation führen kann, wenn die Spielfigur etwa keine Kraft mehr hat, eine Party zu besuchen. Tatsächlich ist es so, dass es zu Beginn des Spiels gar nicht möglich ist, etwas gegen die eigene Depression zu unternehmen, da sich erst im Laufe der Geschichte die Möglichkeit der Therapie ergibt. Direkt vom ersten Kapitel an aber sind bestimmte Optionen nicht verfügbar, die das Spiel theoretisch in eine „fröhlichere“ Richtung lenken könnten, weil die Spielfigur bereits zu depressiv ist. Es besteht also quasi erst einmal eine Art „Zwang“, in die Depressionsspirale einzusteigen, was einerseits aus spieltechnischen Gründen verhindert, dass ein „einfacher Ausweg“ bzw. eine „Abkürzung“ im Spiel genommen und die Depression somit gar nicht erfahren wird, andererseits aber auch auf einer kritischen Ebene eben mit der Fehlkonzeption aufräumt, dass durch härteres Arbeiten oder eine positive Einstellung allein sich eine Depression besiegen ließe. Indem das Spiel die „fröhlichen“ Optionen grundsätzlich zeigt, sie aber nicht als wählbar angibt, zeichnet sie ein akkurates Bild der Realität, in der diese Optionen eben auch nur theoretisch möglich sind, praktisch aber aufgrund des mentalen Zustands nicht ausgeführt werden können.


    Das zweite Element, das ich mag, ist die Tatsache, dass es eigentlich kein wirkliches „Ende“ gibt, zumindest gab es das nicht für mich, als ich das Spiel durchgespielt habe. Ich denke, dass ich insgesamt die Entscheidungen getroffen habe, die eine schnelle Besserung der Depression begünstigen: Ich habe schnell eine Therapeutin angerufen, mich auf eine medikamentöse Begleitung der Therapie eingelassen und weder die Therapie noch die Medikation vorzeitig beendet. Dennoch war das Ende eben nicht „Du bist jetzt geheilt“, sondern gab mehr an, dass eine Besserung eingetreten ist und wahrscheinlich optimistisch in die Zukunft geblickt werden kann, die Depression aber noch nicht ausgestanden ist und es vielleicht auch nie ganz sein wird. Ich mag diesen Aspekt, weil es nun einmal in der Tat nicht so ist, dass sich bei einer Depresssion immer ein klares Ende formulieren lässt, und für viele Menschen läuft es eher darauf hinaus, Wege zu finden, mit der Depression zu leben und zu wissen, was zu tun ist, wenn sie mit Härte zuschlägt. Und selbst wenn sich ein tatsächliches Ende der Depression ergibt, dann passiert das eben deutlich langsamer als in der Zeitspanne, die im Spiel dargestellt wird. Erneut: Mit der Erwartung, schnell und komplett geheilt zu werden, an die Behandlung einer Depression heranzugehen, läuft in den meisten Fällen auf Enttäuschung dieser Erwartung und damit möglicherweise auf eine Verschlimmerung der eigenen Situation hinaus. Dass das Spiel diesen Erwartungen vorbeugt, finde ich also auch hier wieder sehr positiv.


    Natürlich muss aber auch gesagt werden, dass das Spiel nicht alle möglichen Depressionserfahrungen darstellen kann. Laut eigener Aussage orientiert es sich an den Erfahrungen der Spielentwickler*innen und ihren Bekannten und erhebt eben keinen Anspruch darauf, die „einzig richtige“ Depressionserfahrung darzustellen. Entsprechend sollte beim Spielen immer im Hinterkopf behalten werden, dass die Realität mitunter besser, aber eigentlich sogar noch schlimmer werden kann. Um ein Beispiel aus meiner persönlichen Erfahrung zu geben: Im Spiel war es so, dass ich von einer Freundin die Nummer einer Therapeutin bekam und dann nach kurzem Zögern da anrufen und direkt einen Termin bekommen konnte. In der Realität war es so, dass ich mir selbst die Nummern von Therapeut*innen im näheren Umkreis raussuchen musste. Anschließend musste ich sie natürlich jeweils anrufen und fragen, ob Therapieplätze frei sind, und ob ich, falls ja, zu einem Erstgespräch vorbeikommen könnte. Die Antwort war dann eben oft, dass momentan nichts frei ist, gelegentlich begleitet von der Aussage, dass ich eben auf die Warteliste gesetzt werden könnte. Diese wiederholten Ablehnungen können natürlich entmutigend sein, und es ist eben auch mental sehr zehrend, diese Telefongespräche zu tätigen, zumal Termine oft nur während der Telefonsprechstunden vermittelt werden können, die ich mir dann halt auch alle notieren und zeitlich freihalten musste. Im Spiel gab es dagegen eine Sekretärin, die die Termine ausgemacht hat und die Sache war somit nach Überwindung zum ersten Telefonat schnell erledigt. Aber eine Sekretärin können sich Therapeut*innen in der Realität gerade oft nicht leisten (also, zumindest hier nicht, weiß nicht, wie es in den USA ist). Damit will ich natürlich nicht sagen, dass es immer so sein muss und insbesondere sollte diese meine Erfahrung niemanden davon abhalten, wirklich Hilfe zu suchen, wenn es notwendig ist (tut das auf jeden Fall!). Ich möchte eben nur ein Beispiel geben, warum Depression Quest, auch wenn es meiner Ansicht nach ein authentisches Bild von Depressionen zeichnet und somit Depressionen mehr Aufmerksamkeit im positiven Sinne verschaffen kann, nicht als repräsentativ für alle möglichen Depressionserfahrungen gesehen werden sollte.


    Nichtsdestoweniger ist mein Fazit, dass ich das Spiel sehr mochte, obwohl oder gerade weil das Spielen nicht wirklich Spaß gemacht hat. Zwar war das Spielen für mich durchaus mental ein wenig anstrengend, aber zugleich habe ich mich durch das Spiel sehr viel mehr verstanden gefühlt als durch manche Personen im Real Life. Insofern, wenn ihr euch vielleicht einen zumindest groben Eindruck von einem Leben mit Depressionen verschaffen wollt, dann ist dieses Spiel sicherlich eine gute Option (und gratis). Nur seid natürlich vorsichtig, denn das Thema kann durchaus belastend sein – und ich selbst habe mich ehrlich gesagt nicht getraut, die Optionen zu nehmen, die am Ende die Depression eher befördern könnten, weil ich glaube, dass ich die Story dann vielleicht nicht mehr so gut ausgehalten hätte.


    Insofern: Habt keinen Spaß und seid vorsichtig.