Einige Zeit lang schwieg Jan und ließ sich Mias letzte Aussagen durch den Kopf gehen. Sie hatte drei Jahre lang in dem kleinen Dorf Wurzelheim gewohnt und sich erst jetzt auf den Weg gemacht, weil sie es nicht früher geschafft hatte, ihre Eltern dazu zu überreden, ihr die Pokémonreise zu erlauben. Irgendwie sah er da gewisse Parallelen zu den Betreuern des Waisenhauses und zum Kapitän des Frachtschiffs, die ja auch keine Pokémon in ihrer Umgebung haben wollten.
Mia sah kurz auf das blaue Meer hinaus und wandte sich dann wieder zu Jan. Sie bemerkte, dass er ziemlich nachdenklich erschien und zögerte damit, ihn noch etwas zu fragen. Auf einmal wurde sie angesprochen. „Hey, junges Fräulein mit dem Geckarbor. Was ist der Grund für diese Versammlung?“, fragte sie ein großer junger Mann mit kurzen braunen Haaren und blauen Augen. Auf seiner Schulter saß ein Trasla, das die junge Trainerin aufmerksam musterte.
„Hm? Der Grund für diese Versammlung? Na ja, eine Versammlung ist es eigentlich eher weniger. Wir reisen eigentlich alle zusammen.“, erklärte sie und als sie bemerkte, dass das nicht gerade ausführlich wirkte, fügte sie noch hinzu: „Wir sind eine Gruppe junger Trainer, die für Professor Birk und das Klimainstitut nach Infos über das legendäre Pokémon Rayquaza suchen. Als nächstes wollten wir eigentlich nach Faustauhaven, aber Mr. Bracks Bootwurde gestohlen und daher benutzen wir die Wailmer. Es dauert jetzt eben ein bisschen, bis sich alle ein Wailmer gesucht und auf ihm Platzgenommen haben.“
Sie sah den Fremden kurz an und hoffte, dass das jetzt doch nicht zu viel Information aus einmal war.
„Gestohlen?“ Siegfried lies sich dieses Wort durch den Kopf gehen. ‚Wer sollte ein Boot stehlen wollen? Und für welchen Zweck?‘ Sein Körper war leicht angespannt. Er hatte schon Begegnungen mit Kriminellen gehabt. Er kann diese Menschen nicht leiden. Jedes mal, wenn er erfährt, dass etwas gestohlen wurde, staut sich eine Wut ihn ihm auf. Sein Trasla bemerkte seinen kleinen Wutaufbau. Sie drehte ihren Kopf leicht zu Siegfried, wandte sich aber kurz darauf dem Mädchen zu.
Melisa kannte Siegfried. Negative Emotionen waren ihr daher nicht fremd. Und sie wusste, ihr Trainer lässt sich nicht von diesen Emotionen kontrollieren. Sie könnte sich nie von den negativen Gefühlen ihren Trainern fürchten.
Siegfried grübelte weiter in seinen Gedanken: ‚Sollte ich mich der Gruppe anschließen? Ich wäre durchaus in der Lage alleine nach Faustauhafen zu gelangen, aber ... Es besteht das Risiko, dass ich wieder auf die Gruppe stoße. In einer absurden Situation. Keine angenehme Vorstellung. Abgesehen davon besteht eine größere Chance die Diebe zu finden, wenn ich mit ihnen reise.‘ Er entspannte sich. Er schaute zu den anderen Wailmers. Sein Gesichtsausdruck wirkte ernst. Er stellte ihr eine neue Frage, wandte aber nicht den Blick von den Wailmers: „Wie viele Leute dürfen auf ein Wailmer drauf?“
Im ersten Moment erschrak Jan, als der junge Mann fragte, warum das Bootgestohlen worden war. Natürlich wusste der Brillenträger mit der Brandnarbe im Gesicht es nicht mit Sicherheit, aber alles sprach dafür, dass das die gleichen Typen gewesen waren, die für den Einbruch in die Deven Corp verantwortlich waren. Und wenn er das erzählte, konnte er auch gleich auspacken, dass die Gruppe wegen Letzterem verdächtigt wurde und deshalb auf der Flucht war. „Das sollte ich lieber nicht erzählen, sonst bekommt der noch ein falsches Bild von uns“, überlegte sich Jan. Aber dann fragte der Fremde noch, wie viele Leute auf ein Wailmer drauf dürfen.
„Na ja, die Frage ist eher, wie viel wir ihnen zumuten wollen und wie viele die bereit sind, mitzunehmen. Die Wailmer sind nämlich frei lebende Pokémon und gehören zu niemandem.“ Er schwieg einen Moment und betrachtete den jungen Mann.
Aber auch das Wailmer sah ihn sich interessiert an. „Wailmer?“, fragte es schließlich.
Bevor Jan sich lange fragen konnte, was das große Wasserpokémon gefragt hatte, wandte sich der kleine Pinguin an Jan und sagte: „Plinfa pli. Plinfa, plinfa pli?“
„Hättest du denn was dagegen?“, fragte der Mentalist zurück.
„Pli...“
„Na siehst du.“, meinte Jan und wandte sich danach an den Fremden: „Das Wailmer hat wohl gefragt, ob du mitkommen willst. Aber mein Plinfa meint, dass da alle anwesenden Pokémon mitreden sollten.“
Mia überlegte kurz, ob sie Toxic aus seinem Ball herausholen sollte, entschied sich aber erst einmal dagegen, da sie vermutete, dass es gerade schlief und sie es nicht wecken wollte. Also sah sie fragend zu Leafy. „Was meinst du?“ Das grüne Pflanzenpokemon musterte den Fremden kurz und nickte dann. „Geck“, sagte es dann gleichgültig und Mia lächelte. „Also Leafy und ich wären soweit einverstanden.“, meinte sie und blickte dann zu Jans Taubsi und Feurigel, dich sich noch nicht geäußert hatten.
Siegfried war erstaunt. Der Brillenträger war offensichtlich in der Lage, ohne fremde Hilfe die Sprache der Pokémon zu verstehen. Wie sonst sollte der Junge wissen, was das Wailmer gesagt hatte. Siegfried konnte zwar durch die übermittelten Gefühle der Pokémon ausmachen was sie andeuten wollen, aber um zu verstehen was sie sagen, brauchte er die Hilfe seines Traslas. Der junge Mann hatte das Interesse seines Gegenübers geweckt.
Siegfried wandte sich wieder zu den beiden: „Ich hätte nichts dagegen mitzukommen. Aber“ Er deutete auf deren Wailmer: „ist das in Ordnung für das Wailmer? Ich mein, drei Personen sind bestimmt nicht seine Obergrenze, aber es ist besser, wenn alle Beteiligten einverstanden sind.“
Das Wailmer betrachtete den jungen Mann und das auf seiner Schulter sitzende Pokémon noch etwas und sagte dann: „Wailmer.“
Jan bekam zwar mit, dass das Wailmer dem Fremden gegenüber eine freundlich gestimmte Antwort gab, aber weil keiner seiner kleinen Freunde die Antwort wiederholte, konnte er nur raten, ob das jetzt schon eine Zustimmung war oder nicht. Auch wenn er nicht damit rechnete, dass die beiden anderen Trainer das große Wasserpokémon besser verstehen konnten als er, wartete er erst einmal ab, ob einer von ihnen irgendwie auf die Aussage einging.
Siegfried bemerkte eine gewisse Zuneigung des Wailmers, bzw. dessen Freundlichkeit. Er fühlte auch die Erleichterung seiner kleinen Partnerin. Das Wailmer war wohl damit einverstanden den jungen Trainer mitzunehmen. Dennoch ist ihm etwas aufgefallen.
Der Junge mit der Brandnarbe hatte nicht sofort gesagt, dass das Wailmer einverstanden war. Doch wieso? Wollte er sein Verhalten prüfen oder gab es einen anderen Grund? Vorhin wusste er doch was das mopsige Wasserpokemon von sich gab nachdem das Plinfa mit ihm geredet hatte. ‚Das Plinfa?‘, schoss Siegfried durch den Kopf. War es möglich, dass er nur seine eigenen Pokémon verstehen konnte? Falls dies stimmen sollte, hatte Siegfried zu viel vom Jungen erwartet. Nichtsdestotrotz würde das Interesse weiterhin bestehen, da das Verstehen der Pokemonsprache eine seltene Gabe ist.
Als Jan bemerkte, dass weder Mia noch der Fremde auf die letzte Bemerkung des Wailmer antworteten, wandte er sich an Plinfa und Feurigel: „Darf ich fragen, was das Wailmer gesagt hat?“
„Plinfa. Plinfa pli.“
„Ach so.“ Der Mentalist mit der Brandnarbe im Gesicht wandte sich nun an Taubsi und Feuriel: „Und was ist mit euch? Seid ihr auch einverstanden, wenn er mit kommt?“
„Taub. Taubsi taub?“, antwortete das Flugpokémon.
Das Feuerpokémon hingegen verließ den Kopf des Wailmers, setzte sich auf Jans Schoß und schmiegte sich an seinen Trainer. Erst als es so die schützende Nähe seines Trainers erreicht hatte, murmelte es: „Feurigel.“
Jan musste schmunzeln, als er das sah. Irgendwie kannte er seine Pokémon schon so gut, dass er die Reaktionen auch fast hätte voraussagen können. „Das Wailmer ist einverstanden, dass du mit kommst. Mein Taubsi geht sowieso immer gerne auf neue Pokémon zu, und der dieser kleine Kerl hier“ (während er das sagte, streichelte er beruhigend das auf seinem Schoß sitzende Pokémon) „ist etwas kontaktscheu, hat aber sonst auch nichts einzuwenden.“
Siegfrieds Vermutung hatte sich bestätigt. Dieser Junge konnte nur seine eigenen Pokemon verstehen. Und dennoch blieb sein Interesse an ihm bestehen. Wie kam es, dass er seine Pokemon verstehen konnte? Wann ist es passiert? Wann hat er es bemerkt? Siegfried war wild darauf die Antworten zu wissen.
Bevor sich wieder eine Stille verbreitete, antwortete er: „Gut zu wissen. Ich möchte nämlich nicht, dass ich das Pokemon zu etwas zwinge.“ Mit einem Hops sprang Siegfried aufs Wailmer und landete sanft darauf. Die drei Passagiere mussten sich jetzt ihren Platz gut einteilen, wobei sich Siegfrieds Platz Richtung Kopf des Wailmers befand. Er ging anschließend in den Schneidersitz und stellte sich vor: „Da wir nun eine Zeitlang Partner sind, stelle ich mich besser vor. Mein Name ist Siegfried und wie ihr euch sicher denken könnt bin ich PokemonTrainer.“ Er hob seine linke Hand und hielt sie vor seinem Trasla: „Das hier ist Melisa, meine Partnerin.“ Sie hob ihre Hand zur Begrüßung. „Tra.“
Mia nickte Siegfried und seinem Trasla zu. „Freut mich euch kennenzulernen.“, antwortete sie. Nun hatte die Gruppe also ein weiteres Mitglied. „Ich bin Mia und das hier ist mein Pokémonpartner Leafy. Ich bin auch eine Pokémontrainerin, wenn auch noch nicht sehr lange.“, stellte das Mädchen sich und ihr Pokémon vor.
Sie deutete erst auf das Geckarbor, welches auf ihrem Schoß lag und streckte dann Siegfried ihre Hand hin.
Siegfried umklammerte Mias Hand und führte mit ihr den Handschlag durch. „Die Freude ist ganz meinerseits.“ Sein Gesichtsausdruck zeigte jedoch keine Spur von Freude. Es war nicht so, dass er dies nicht verspürte. Nein, er zeigte seine Gefühle einfach nicht vor anderen Menschen. Zumindest waren es kaum welche. Seine Partnerin Melisa betrachtete aufmerksam das Graspokémon.
„Ich heiße Jan“, fügte der blonde Brillenträger mit der Brandnarbe hinzu, „und je nachdem, ab wann ich anfange zu zählen, bin ich entweder seit acht Jahren oder erst seit ein paar Wochen ein Pokémontrainer.“ Nach etwas Zögern fügte er noch hinzu: „Ach ja, Plinfa, Feurigel und Taubsi haben bis jetzt noch keine Spitznamen, das hat sich einfach noch nicht ergeben.“
Nachdem Siegfried Mias Hand losließ, stellte sich das andere Mitglied vor. Sein Name war wohl Jan. Und scheinbar war er sich unsicher ab wann er ein Trainer geworden ist. Der braunhaarige Junge fragte nach: „Warte, wie meinst du das: ‚Acht Jahre oder eine Woche‘? Hattest du damals schon ein Pokémon erhalten, wolltest dich selbst aber nicht als Trainerbezeichnen, oder wie soll ich das verstehen?“
OT: Hier ist der erste Teil von Jans ( Feuerdrache), Mias ( Glaziola13) und Siegfrieds ( Siegfried Wilder) Interaktion. Viel Spaß. :)