Auch wenn Homeschooling nicht ideal ist, so ist es besser als kein Unterricht.
Vergisst aber auch eine grundlegende Sache: Homeschooling ist nur für die privilegierteren Kinder möglich. Wer sich sein Zimmer mit Geschwistern teilen muss, kleine Kinder in einem zu kleinen Haus hat, wodurch es keinen ruhigen Lernraum geben kann oder auch einfach in einer Familie lebt, die sich ein oder zwei Computer für die gesamte Familie teilen (müssen), sind beim Homeschooling extrem benachteiligt. Alles auf Homeschooling umzukrempeln schadet denjenigen, die eigentlich am ehesten Hilfe benötigen und fördert nur diejenigen, die eine Förderung in der Regel am wenigsten nötig haben.
Eben das. Wie andre bereits sagt, ist Homeschooling nur für bereits priviligierte Kinder von Vorteil und sorgt dafür, dass sie ihre Vorsprünge anderen gegenüber bloß weiter ausbauen.
Und von den technischen Faktoren abgesehen, ist Homeschooling extrem unpersönlich und es tun sich schon Student*innen schwer damit mitzukommen, wenn sie nicht persönlich anwesend sind und mithören/schreiben und den Prof wirklich persönlich sehen. Dann erst Schüler*innen. Da ist zwar in der Regel der Stoff leichter, aber gerade Kinder und Teenager in der Mittelschulstufe brauchen einfach auch mehr persönliche Ansprache.
So hallo erstmal...
Oh Homeschooling während der Coronazeit – das ist mal ein Thema, das mich selbst total bewegt. Und zwar richtig.
Mein Kind ist 13 Jahre alt und hat quasi das letzte Halbjahr des letzten Schuljahrs mit Homeschooling verbracht. „Damals“ war sie siebte Klasse (was bei uns die letzte Klasse in der Unterstufe ist) und jetzt ist sie nach der Coronaauszeit in der achten Klasse (erste Klasse Mittelstufe).
Meiner Meinung nach hat sie regelmäßig und vollkommen ausreichend alle Aufgaben bearbeitet, die sie während dem lockdown per Home Schooling gestellt bekam. Sie hat ein eigenes Zimmer und einen Laptop + sind alle Programme vorhanden, welche die Schule empfohlen hat. (Das waren eine Menge und das war gar nicht so billig. Nur btw). Was ihr fehlt ist ein eigener Drucker.
Über die Homeschooling-Zeit selbst möchte ich jetzt gar nicht reden. Es gab (wie ihre Englischlehrerin) Lehrer die sehr bemüht waren und regelmäßig Videokonferenzen einberiefen und andere (wie in etwa ihr Physiklehrer) der einfach in einer Mail irgendeinen Link schickte, mit dem man auf eine Seite kam, deren Inhalt ich selbst als Erwachsene nicht verstanden habe. Alles in Einem kann man sagen, dass uns das Homeschooling sehr viele Nerven kostete und ich ihr tatsächlich ein paar Referate geschrieben habe bzw Hausaufgaben gemacht habe, weil es teils zeitlich nicht anders zu stemmen war. (Mal gab es ein paar Tage nichts Neues, ein anderes Mal kamen fünf neue Aufgabe mit Abgabetermin „am besten sofort“)
Ach und was vielleicht auch noch wichtig ist: Ich selbst habe Fachabitur – nur damit man sich die Gegebenheiten etwas besser vorstellen kann.
Okay, im September ging bei uns das neue Schuljahr mit Präsenzunterricht los. In der Klasse meiner Tochter überlegt bereits jetzt 1/3 der Schüler das Gymnasium zum Halbjahreszeugnis im Februar zu verlassen, weil die Lücken, die durch das Homeschooling entstanden sind, kaum mehr zu schließen sind.
Es hieß anfangs, es gibt eine Wiederholzeit, um verpassten Stoff aufzuarbeiten, doch von dem hat keiner der Schüler etwas mitbekommen.
Wir fangen bei einer Sache an, die mich wirklich die Stirn runzeln lässt. Mein Kind hat Englisch, Latein und Französisch belegt. Englisch und Französisch liefen eigentlich immer einwandfrei, in Latein hatte sie ein Jahr einen groben Durchhänger, sich jetzt aber irgendwie gefangen. So, jetzt schreiben sie also eine Englischschulaufgabe und wenn ich etwas weiß ist, dass bei meiner Tochter Vokabeln bei egal welcher Sprache immer sitzen (und dass ich sie regelmäßig abfrage, so dass ich weiß, was sie kann xD).
Was jetzt folgt ist kein Witz: Sie bekommen also ihre Englischschulaufgabe raus und meinem Kind fehlen zum ersten Mal seit ever Vokabeln. Erst dachte ich mir, sie hat schlampig gelernt, schau mir die Aufgaben an und stelle fest „Nein, diese Vokabeln stecken nicht in unserer Vokabellern-Datei. Das bedeutet, sie waren niemals Hausaufgabe, denn sonst hätten sie oder ich sie aufgeschrieben und in den Karteikasten gesteckt. Die Verwunderung war also groß (es ist wirklich kein Witz) und auf Nachfragen erfuhren wir Eltern, dass die Einheiten, bei denen die Vokabeln dabei gewesen wären, nicht in der Wiederholzeit durchgenommen wurden. Tja, das kann man nachlernen, denken sich jetzt sicher einige. Nein, das ist leider nicht möglich, denn die alten Bücher (die von letztem Jahr) sind ja jetzt in der neuen siebten Klasse in Gebrauch und nicht abkömmlich. Alle Kinder an der Schule sind bei einer App, in der man am Jahresanfang einen Code eingibt und dort alle Schulbücher für dieses Jahr abrufen kann. Für das letzte Schuljahr leider nicht.
Lediglich ihr Lateinlehrer war fähig, die fehlenden Vokabeln aus dem alten Buch zu kopieren – für Französisch und Englisch musste ich letzten Endes die Schulbücher per Amazon nachkaufen, damit sie die Vokabeln aus den Units nachlernen kann, die jetzt vorausgesetzt werden, aber nie Thema waren.
Hierzu noch einmal: Es wurde mehrmals ausdrücklich gesagt, es gibt eine Wiederholzeit, so dass den Kindern der Stoff nicht fehlt, der zu kurz kam.
Das ist aber eher ein kleines Problem. Wie Geschichte – dort gab es letzte Woche eine Arbeit über Napoleon, ohne die Französische Revolution durchgenommen zu haben. Zum Glück bin ich relativ geschichtsinteressiert, so dass wir das schnell daheim abhandeln konnten. Aber ich sag mal so: Einen richtigen Sinn ergibt das ja nicht. X)
Jetzt kommen wir aber zu anderen Dingen, wie Mathe und Physik. Und ich sage ganz ehrlich, Mathe seh ich an und weiß, dass ich das selbst irgendwann einmal gelernt habe, mehr aber auch nicht. Bei Physik muss ich mich selbst immer erst einlesen, damit die Erinnerungen wiederkommen.
Ohne das TBK wäre mein Kind in diesen beiden Fächern wohl direkt durchgefallen. Da ich in Mathe und Physik nicht fit bin (und ihr Papa sich leider nicht so für den Unterrichtsstoff interessiert) hätte mein Kind keine Chance gehabt, dort auch nur eine annehmbare Leistung zu erbringen, hätte nicht jemand aus dem TBK seine letzten Wochenenden darin investiert mit meinem Kind den Stoff, den sie nie gehabt hat, zu wiederholen.
Es ist wirklich als würde in jedem Fach (sogar in Musik!! Mein Kind nimmt Gitarrenstunden und die letzten beiden Doppelstunden sind für Musiktheorie der Schule draufgegagen) eine ganze Ecke fehlen. Und da ich die Hefteinträge und die Unterlagen meiner Tochter ehrlich kenne, weiß ich, dass es nicht „ihre Schuld“ ist, dass so viel fehlt. Es wurde einfach nicht einmal zum Lernen aufgegeben, so dass man sich keine Hilfe suchen kann, wenn man merkt, dass man daheim die Leistung nicht bringt, die nötig wäre.
Die letzten Wochen waren teils richtiger Terror, in denen meine Tochter noch weit nach Schlafenszeit im Bett lag, um Stoff nachzuholen, um den wir uns die gesamten Sommerferien über hätten kümmern können, wenn man das rechtzeitig kommuniziert hätte.
Dazu kommt, dass die Lehrer aktuell ungewöhnlich streng bewerten. Das ist mir schon in mehreren Exen und Schulaufgaben aufgefallen. In Fremdsprachen gelten plötzlich keine Vokabeln mit derselben Bedeutung mehr, wenn sie nicht direkt so in der Unit standen, es werden übertrieben viele Fangfragen gestellt und selbst auf zugegeben etwas schwammige Antworten, die vom Kern her richtig sind, geben automatisch null Punkte. Alle Lehrer beklagen sich, dass die Notenschnitte in diesem Halbjahr übertrieben schlecht sind, fast so als müssten sie beweisen, dass sie nicht durch Homeschooling ersetzt werden können. – Ganz ehrlich: Ich denke es ist jedem Schüler und jedem Elternteil nach dem Lock down klar, dass ein guter Lehrer unverzichtbar ist.
Meine Tochter besucht ein recht angesehenes Gymnasium in unserer Umgebung und eigentlich stimme ich häufig mit der „Lehrerseite“ überein, selbst wenn mein Kind noch so viele Dinge unfair findet. Denn dass das Leben nicht fair ist, ist nunmal leider eine Tatsache. Was aber zZ läuft ist echt nicht tragbar.
Wie gesagt ⅓ der Kinder aus der Klasse meiner Tochter überlegt ernsthaft das Gymnasium zu verlassen und obwohl meine sich im Vergleich gut schlägt, ist mir selbst auch schon der Gedanke gekommen, weil mittlerweile ein Lernpensum erreicht wurde, das Freizeit beinahe völlig ausschließt und ein Stresslevel auf die Kinder ausübt, das nicht mehr feierlich ist. Wenn ein Kind nachts im Bett noch bis 23 Uhr mit der aktuellen englischen Lektüre wachliegt, weil es bei größten Bemühungen nicht möglich war, das am Tag zu erledigen, da an dem Nachmittag ein Kieferorthopäden-Termin anstand, muss man sich leider überlegen, ob es das wert ist.
Mir tun all die Kinder leid, bei denen kein TBK-Mitglied noch einmal Mathematik mit ihnen durchgeht und sich kein Gitarrenlehrer durch die Musiktheorie arbeitet. Ich bin tatsächlich der Meinung, dass ganz abgesehen davon, wie leistungsbereit ein Kind ist, alleine die Eltern – teils durch ihre Abreitszeiten, teils durch den eigenen Wissensstand – gar nicht fähig sind das Homeschooling, wie es in vielen Schulen während dem Lock Down praktiziert wurde, zu kompensieren. Ja, das waren jetzt meine fünf Cent dazu. Denn tatsächlich ist das Homeschooling etwas, das unseren Alltag in den Nachwehen extrem belastet.