Flora sah, wie ein junger Mann, der eine Brandnarbe im Gesicht trug, das Gebäude betrat. Er sah zu alt aus für so einen Treffpunkt, normalerweise trainierten doch hier eher Kinder... Er blickte sich um und kam dann auf sie zu. „Entschuldigung, weißt du, ob es möglich ist, auch in meinem Alter noch hier zu trainieren?“
Sie schüttelte den Kopf und entgegnete: „Sorry, keine Ahnung, ich bin hier auch zum ersten Mal.“
„Schade“, murmelte er und fügte dann mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen noch hinzu: „Dann muss ich wohl jemand Anderes fragen.“ Er sah sich noch einmal um. „Wer sieht denn hier so aus, als ob er zum verantwortlichen Personal gehört?“, überlegte er. Nicht weit von ihm und dem Mädchen entfernt sah er einen Mann, der so aussah, als ob er entweder ein Lehrer der Schule oder der Vater irgend eines Schülers wäre. „Na ja, auf jeden Fall wird der wissen, wen ich fragen kann“, murmelte er, ging ein paar Schritte auf den Mann zu und sprach diesen an: „Entschuldigen Sie bitte, aber können Sie mir sagen, ob jeder Anfänger am Unterricht teilnehmen kann? Oder gibt es da eine Altersbegrenzung?“
„Soweit ich weiß, kann jeder hier an Trainingskämpfen teilnehmen und sich Tipps abholen“, antwortete der Angesprochene. „Aber regulär am Unterricht teilnehmen?“ Er Man zögerte einen Moment, musterte den 22 Jahre alten Mentalisten mit der Brandnarbe im Gesicht und fügte dann noch hinzu: „Ich denke, das sollten Sie sich noch einmal gründlich überlegen. Die Ausbildung hier dauert im Normalfall mehrere Jahre, und falls Sie vor haben, das als Grundlage für einen Beruf zu nehmen, müssen Sie danach noch eine ganze Reihe von Erfahrungen sammeln, bevor Sie Ihr erstes Geld verdienen können. Wenn Sie wirklich noch ein Anfänger sind, sollten Sie sich einen anderen Beruf aussuchen.“ Der Mann wandte sich ab und ging dann zu einem kleinen Mädchen, welches in der Nähe stand und wohl gerade mit seinem Trainingskampf fertig geworden war. „Komm, Lisa, wir gehen jetzt nach Hause“, sagte er, und daraufhin verließen die beiden das Gelände der Trainerschule.
„Ich soll einen Beruf erlernen und anfangen zu arbeiten“, murmelte der Mentalist mit der Brandnarbe im Gesicht, während er den beiden nach blickte. „Das habe ich doch schon gemacht! Oder war die Zeit auf dem Frachtschiff etwa für gar nichts gut?“
„Plinfa, Plinfa pli!“, riss ihn eines seiner Pokémon aus seinen Gedanken.
„Du hast recht, Plinfa. Ein Trainingskampf ist genau das, weswegen wir hier sind.“ Er blickte sich einmal kurz um und wandte sich dann an das Mädchen, mit dem er sich schon zuvor kurz unterhalten hatte: „Hast du vielleicht Lust, in einem Trainingskampf gegen eines meiner Pokémon anzutreten?“
Hm. Das war eine gute Frage. Eigentlich würde sie nicht so gerne gegen fremde Leute antreten. Immerhin konnte jederzeit etwas Schlimmes passieren... Aber daran würde sie sich gewöhnen müssen, wenn sie Trainerin werden wollte.
„Also gut“, antwortete sie nickend. „Ich habe allerdings nur zwei Pokémon, von denen auch nur eins richtig kämpfen kann... Also, ein eins-gegen-eins-Kampf wäre mir recht.“
Irgendwie erweckte diese Antwort auf Jan den Eindruck, als ob das Mädchen das eigentlich nicht wirklich vorgehabt hatte und dem Kampf nur zustimmte, um sich irgendwie aus der Affäre ziehen zu können. „Wenn du nicht willst, kann ich sicher auch jemand Anderes fragen“, fragte er deshalb noch einmal nach - und wurde sofort von Feurigel angestubst. „Was hast du denn?“, fragte der Mentalist einmal nach.
Aber statt dem Feuerpokémon antwortete der kleine Pinguin: „Plinfa, plinfa pli!“
Für den Mentalisten war klar, was seine Pokémon ihm damit sagen wollten: Beide Trainer hatten dem Kampf zugestimmt, also sollten sie diesen gefälligst auch austragen.
„Nein, ist schon in Ordnung.“ Flora war zwar nicht ganz wohl bei der Sache, aber gesagt war gesagt und jetzt zu kneifen galt nicht! „Ähm, draußen ist ja ein Garten, hier drinnen können wir schlecht kämpfen. Also würde ich sagen, draußen?“
Der junge Mann nickte. „Ja, das wäre wohl am besten.“
Ihr erster Kampf als offizielle Trainerin! Der Wahnsinn! Die Zeit verging so schnell... Dann allerdings erinnerte sich Flora daran, dass sie ja erst seit gestern unterwegs gewesen war, und drosselte ihre Freude. Das war dann doch eher normal. Vor ihrem inneren Auge sah sie Jena vor sich, die sie an ihrem Bein zog.
„Okay, dann, äh, wollen wir?“
Flora und der Trainer, von dem sie immer noch nicht den Namen wusste - sie musste ihn mal fragen! - standen sich gegenüber, als sie einen Pokéball schleuderte, aus dem fröhlich bellend ihr Fiffyen Jena hervorbrach. „Bereit?“ Jena kläffte motiviert.
Das Mädchen wollte also mit einem Hundepokémon kämpfen. „Aber wen nehme ich?“, murmelte Jan. Soweit er sich erinnerte, hatte seine Kollegin vom Frachtschiff ihm empfohlen, ein Pokémon zu nehmen, welches dem gegnerischen Pokémon gegenüber einen Typenvorteil hätte. „Natürlich gibt es auch andere Kriterien, und erfahrene Trainer können sich auch bewusst für ein vermeintlich schwächeres Pokémon entscheiden, aber für einen Anfänger ist die Betrachtung des Typs oft die hilfreichste Herangehensweise.“ Das Problem daran war allerdings, dass seine Kollegin ihm nur theoretische Kenntnisse beigebracht hatte und er noch keine praktischen Erfahrungen eingesammelt hatte. Den gegnerischen Hund konnte er zumindest mit keiner Pokémonart in Verbindung bringen, die sie damals besprochen hatten - und dessen Typ kannte er erst recht nicht. Vielleicht sollte er den Trainingskampf mit dem Pokémon machen, mit dem er auch vor hatte, nachher in der Arena anzutreten? „Felizia soll eine Gesteinspokémonarenaleiterin sein“, überlegte er. Soweit er sich erinnerte, waren Gesteinspokémon unter Anderem gegen Wasserattacken empfindlich. „Plinfa, willst du antreten?“, wandte er sich an sein Wasserpokémon. „Pli!“, antwortete das angesprochene Pokémon und trat auf die Kampffläche. Jan wandte sich nun an seine Trainingspartnerin: „Ich denke, wir wären dann auch soweit.“
„Also gut, dann wollen wir mal. Wir können gar nicht verlieren! Fang an mit Biss, Jena!"
„Weich aus, Plinfa“, rief Jan. Während der erste Angriff des Fiffyens also ins Leere lief, fügte er noch hinzu: „Und dann geh mit Schnabel in die Offensive!“
Damit hatte sie nicht gerechnet. Die Attacke traf Jena an der Seite, bevor sie noch etwas tun konnte. Das Fiffyen stöhnte auf und kippte um, rappelte sich jedoch wieder auf. „Dann, äh... Tackle?“
Irgendwie schien das Mädchen wirklich nicht viel Erfahrung zu haben, wenn sie schon nach den ersten Angriffen so verunsichert war. Aber Jan hatte ja selbst auch nicht viele Erfahrungen. „Wehr’ die Attacke mit Blubber ab!“, rief er - aber leider etwas zu spät. Bevor Plinfa die Attacke starten konnte, war es bereits von dem Hundepokémon getroffen worden. Es rappelte sich nun auch auf und setzte - auch wenn Jan es nicht dazu aufgefordert hatte, nun von selbst die Blubber-Attacke ein.
Diesmal gelang es Jena, aus dem Weg zu springen, sie landete jedoch auf der vorher getroffenen Seite.
Als Jan das sah, rief er seinem Wasserpokémon kurz entschlossen zu: „Greif noch einmal an!“ Erneut setzte es die Blubberattacke ein.
Jena wimmerte, richtete sich aber wieder auf und machte einen Satz zur Seite, worauf die Blasen es knapp verfehlten. „Tackle!“, rief Flora, woraufhin Jena nach vorne stürmte und das Plinfa zu rammen versuchte.
„Wehr die Attacke mit Blubber ab, und dann sofort Schnabel!“, rief Jan. Plinfa schickte dem heran stürmenden Fiffyen also eine Reihe von Blasen entgegen und setzte danach auch nächster Nähe zu einer Schnabelattacke an.
„Äh, was mach ich denn jetzt?“, stammelte Flora. „Biss?“ Jena verdrehte die Augen und schnappte nach dem heranrasenden Plinfa, jedoch nicht schnell genug. Sie wurde getroffen und taumelte ein Stück zurück.
„Das läuft ja gar nicht mal schlecht für den ersten Kampf“, überlegte sich Jan, während er das beobachtete. „Vielleicht sollte ich als nächstes eine Statusattacke versuchen?“ „Setz Heuler ein!“
Heuler? Flora war die Wirkung dieser Attacke entfallen. Sie machte sich nicht viel aus Statusattacken. Naja, so schlimm konnte es ja nicht sein. Das Plinfa stieß einen ohrenbetäubenden Schrei aus. „Biss!“, rief sie und Jena stürmte vor.
Plinfa wurde von der Bissattacke voll getroffen, aber die Wirkung war geringer, als sie ohne die Heuler-Attacke ausgefallen wäre. „War das jetzt richtig so oder war das ein Fehler?“, überlegte Jan - und gab Flora durch sein Zögern die Möglichkeit, noch einmal nachzusetzen.
Okay, das war jetzt seltsam. Schien wohl doch die Wirkung von Heuler zu sein, Attacken abzuschwächen. „Also gut, dann eben noch mal!“, dachte Flora und befahl ihrem Pokémon, Tackle einzusetzen.
Dieses Mal war Jan bereit. Weil das Abwehren vorhin so gut funktioniert hatte, rief er: „Wehr das noch einmal mit Blubber ab, und dann wieder Schnabel!“
Auch Flora hatte gelernt: „Schlag einen Haken zur Seite und greif es dann von der Seite an!“
„Weich nach rechts aus und dann Blubber“, rief Jan seinem Wasserpokemon zu.
Die Blasen schossen aus dem Schnabel des Plinfa hervor und das bereits verletzte Fiffyen zitterte. „Weich aus, Jena!, rief Flora verzweifelt. Mit letzter Kraft versuchte es, fort zu springen, aber zu spät: Die Attacke traf es auf der Seite und ließ es schließlich zu Boden gehen. „Oh nein“, murmelte Flora, „das ist gar nicht gut. Versuch, aufzustehen!“ Mit letzter Kraft zog sich das Fiffyen hoch. "Biss!"
„Habe ich etwa schon gewonnen?“, fragte sich Jan, während er beobachtete, wie das gegnerische Pokémon schon am Boden lag. Ein erfahrener Trainer hätte sein Pokémon wahrscheinlich sofort nachsetzen lassen, aber Jan zögerte noch und gab dem Fiffyen dadurch die Möglichkeit, wieder in den Kampf zurück zu kommen. Nachdem das Mädchen ihrem Pokémon den Befehl zur Biss-Attacke gegeben hatte, rief er zwar noch: „Weich aus!“, aber es war bereits zu spät. Plinfa wurde von der Attacke voll getroffen.
„Yes!“, rief Flora euphorisch, bemerkte jedoch auch, wie sehr Jena schon keuchte. Sie würde nicht mehr lange machen. Jetzt musste eine starke Attacke her! „Los, beende das mit Tackle!“, rief sie.
Dieses Mal hatte Jan mit einer Attacke gerechnet. Um sein Pokémon zu unterstützen rief er: „Weich nach links aus und dann Heuler!“
Der laute Ton schmerzte Flora in den Ohren. Als Jena das Plinfa traf, prallte sie wieder ab, ohne wirklichen Schaden angerichtet zu haben. Taumelnd fiel sie auf den Boden. Ihre Attacken waren definitiv noch zu schwach!
Es dauerte etwas, aber dann rappelten sich beide Pokémon wieder auf. „Jetzt bloß nicht zu lange warten“, ermahnte sich Jan. Auch wenn er Plinfa gerne etwas mehr Zeit zum verschnaufen gegeben hatte, wollte er der nächsten Attacke durch das Fiffyen zuvorkommen, und deshalb rief er: „Setz noch einmal Schnabel ein!“
„Ausweichen!“, brüllte Flora, aber es war zu spät. Das Plinfa traf ihr Pokémon und wimmernd ging Jena erneut zu Boden. „Jena?“, fragte Flora zögernd, als sich das Fiffyen nicht mehr regte. Da knurrte Jena leise auf und schloss die Augen. „Jena!“
Da das Fiffyen nicht mehr weiter kämpfen konnte, stand Plinfa damit als Sieger fest. Aber auch das Wasserpokémon hatte viel einstecken müssen, und so geschwächt, wie es jetzt nach dem Kampf war, war an einen Arenakampf erst einmal nicht zu denken. „Was hältst du davon, wenn wir jetzt erst einmal zum Pokemoncenter gehen und unsere kleinen Freunde einmal durchchecken lassen?“, wandte sich Jan deshalb an seine Trainingspartnerin. Andererseits war er sich gar nicht so sicher, ob das wirklich nötig war. Vielleicht würde es auch ausreichen, wenn Plinfa sich einfach nur etwas ausruhen würde.
Niedergeschlagen nickte Flora. „Ja, wäre wohl das Beste.“ Sie rief Jena zurück in den Pokéball. Eigentlich hatte sie gar keine Lust mehr auf gar nichts. Ihren ersten Kampf gleich verloren. Sie konnte die Enttäuschung ihres Pokémon durch den Ball spüren.
Jan hingegen rief sein Wasserpokémon nicht in den Pokeball. Seit er das Frachtschiff verlassen hatte, hatte er sich wieder daran gewöhnt, dass seine Pokémon immer frei herum liefen, und Plinfa sah zwar total erschöpft aus, aber wohl nicht so stark verletzt, dass es den Weg zum Pokémoncenter nicht durchhalten würde. Also hob er den kleinen Pinguin auf seinen Arm und sagte dann: „Kommt, Taubsi und Feurigel.“
Gemeinsam machten sich die zwei Trainer damit also auf den Weg zum Pokémoncenter.
Off Topic:
In Zusammenarbeit mit Reshira (ehemals Blutrose) entstanden.