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Inspiriert von dem Lied “Sie sieht es nicht”, Luxuslärm.
Gewidmet an Jana.
Ohne dich hätte ich niemals gelernt, zusehen.
Ein Black Butler One-Shot
„Komm schon, Eric! Nun komm schon!“
Lachend rief sie immer wieder meinen Namen, jedes Mal mit beinah kippender Stimme. Die pure Freude vibrierte, ließ die Grashalme um uns sich bewegen wie bei einer Brise. Ich sah es direkt vor meinen Augen, wie sie sich dem Lachen anschlossen. Es erschien wie mir wie ein Wunder. Klein vielleicht und für viele unbedeutend, doch für mich war es... alles.
Und so viel mehr.
Lachend rannte sie voraus, das schwarze Haar wie einen Schleier hinterher ziehend. Sie war barfuß, obwohl ich ihr geraten hatte, wenigstens Sandalen anzuziehen. Doch hatte sie dies mit einem Lächeln abgetan. Wie so häufig, wenn ich versuchte, in ihre Dinge hineinzureden. Niemand hatte einen größeren Dickkopf als dieses Mädchen. Aber gerade das war einer der Gründe. Ein Grund für meine Bewunderung.
Als ich ihr nachlief, spürte ich, wie der Wind in mein Gesicht fuhr. Es war ein Genuss, sanft und zeitgleich so wild. Wie sich das Element in meinen Haaren vergrub, wie eine Hand in einem leidenschaftlichen Liebesspiel; die beißende Kälte, die mich neckend in die Wangen kniff; wie die Stärke mich fast von den Füßen riss, gleich einer stürmischen Umarmung. Und über mir die scheinende Sonne.
„Warte, Katherine!“, rief ich ihr zu. Zwar hätte ich ewig so weiterlaufen können – doch ich wusste nicht, inwieweit es bei ihr möglich war. Ich machte mir Sorgen.
Doch die hätte ich mir sparen können. Als ich endlich bei ihr angelangt war, strahlte ihr Gesicht mit der Sonne um die Wette. Mir verschlug es fast den Atem. Sie war wunderschön. Obwohl die Augen zu jeder Zeit in dieselbe Richtung blickten, waren sie weit geöffnet. An manchen Tagen konnte ich kaum glauben, dass sie mich nicht sehen konnte. Dann blickten die grauen Irden, die die Farbe eines Gewitterhimmels hatten, mich so durchdringend an, dass ich vergaß, dass sie mich nicht wahrnehmen konnte. Nicht auf diese Weise wie ich sie.
Mit Leichtigkeit ergriff sie meine Hand und zog mich neben sich. Obwohl so klein und schmal wie ein Blatt im Wind, hatte sie die Kraft, mich in ihre Gewalt zu bringen. „Worüber denkst du nach?“ Offen heraus. Und ohne das leiseste Zögern.
Es ließ mich schlucken. „Ich denke daran, dass ich ohne dich nicht hier wäre.“
Denn dann hätte ich mich in meinem Zimmer verschanzt, die Vorhänge zugezogen und die Außenwelt abgeschirmt. Niemand hätte das Zimmer, meine Festung, betreten oder gar einreißen können.
Doch sie hatte keine Angst. Vor nichts. Weder vor Festungen, noch vor der Dunkelheit. Nicht vor dem Tod oder vor dem Schmerz.
Sie hatte keine Angst vor der Einsamkeit.
Ich spürte, wie sie vorsichtig meine Hand drückte. Ganz leicht, doch es reichte, um zu wissen, dass sie da war. Und dies gab mir Sicherheit. Das Gefühl, nicht mehr allein zu sein. Niemals mehr.
Plötzlich ertönte über unseren Köpfen ein Grollen. Erstaunt blickte ich nach oben. Ein Tropfen fiel auf meine Wange. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie sich der Himmel innerhalb von Sekunden grau zugezogen hatte. Und nun standen wir mitten im Regen.
Mit lautem Klatschen fiel er gen Boden und bedeckte uns. Es war ein Sommergewitter.
„Komm, wir stellen uns unter!“, schlug ich dem Mädchen vor. Doch sie ignorierte mich. Stattdessen zog sie mich regelrecht weiter, mitten hinein in das Zentrum des Regens. Er ging mit solcher Wucht auf uns nieder, dass es beinah unangenehm war. Ich war schnell durchnässt. „Caro! Du wirst krank!“
Aber ihr schien es gleichgültig zu sein. Immer weiter zog sie mich, ohne ein einziges Mal Halt zumachen oder zu zögern. Ich konnte sie wegen dem starken Regenguss kaum noch erkennen; hätte sie meine Hand losgelassen, ich hätte sie wohl nie wiedergefunden. Ängstlich hielt ich sie fest. Der Regen machte mir keine Angst. Ihre Zielstrebigkeit, die sie weitergehen ließ, machte mir Angst. Denn was sollte ich tun, um sie zum Stehenbleiben zu bekommen?
Sie schien meine Gefühle zu spüren. Denn auf einmal blieb sie stehen, so plötzlich, dass ich fast gegen sie gerannt wäre. Bevor ich noch etwas sagen konnte, drehte sie sich zu mir um. Sie schmiegte sich sachte an mich. Ihre Wärme ließ mich erzittern, tief und langanhaltend. Dann schlang ich meine Arme um sie.
Eine ganze Weile standen wir so da, während der Regen auf uns herniederging. Unsere Herzen schwiegen im Takt, unser Atmen war synchron. Ich genoss diese Nähe.
„Hab keine Angst“, flüsterte sie über den Regen. „Hab keine Angst.“
Ich widersprach ihr nicht. Niemand kannte mich besser als dieses Mädchen, nicht einmal ich selbst. Nur sie allein kannte die Geister der Vergangenheit, die in mir wüteten. Und nur sie allein konnte sie besänftigen.
Eine kleine Hand strich mir über das Gesicht. Bestimmend legte sie sich auf meine Augen, die plötzlich nur noch Dunkelheit sahen. Ich zucke zurück.
Doch sie folgte mir. Erneut legten sich ihre Finger über meine Augen. „Vertrau mir, Eric. Du kannst sehen, auch ohne sie.“ Ich wollte nicht, wollte die Kontrolle nicht abgeben. Es war schließlich das Einzige, was mir noch geblieben war. Wenn ich sie aufgab, blieb mir nichts.
„Nein“, murmelte ich. Jetzt zitterte ich nicht aufgrund von Erregung, sondern wegen der Angst. „Nein, bitte... ich... Alan...“
„Alan ist nicht hier, er ist weit fort. Bitte, hab keine Angst. Ich bin hier.“
Ich bin hier. Diese Worte beruhigten mich soweit, dass ich wieder klar denken konnte. Und als sie ihre Hände wieder um meine Hüften schlang, beruhigte sich mein Herz. Langsam, tief einatmend, schloss ich meine Augenlider.
Zuerst zucke ich erschrocken zurück. Die Eindringlichkeit des Schwarz war erschreckend. Wie gelähmt konnte ich nur verharren.
Bis sie dann begann, meine Hand sachte zu küssen. Ich stieß ein Keuchen aus. Ihre Lippen waren weich wie ein Kissen und gleichzeitig so unnachgiebig wie ein Stein. Mit Leichtigkeit durchdrangen sie meine mühsam aufgebaute Fassade, umgingen spielend meine Angst und verwandelten sie in Sehnsucht. Sie wanderte über meine Handinnenfläche, hinauf zu meinen Fingern und von dort aus weiter zu meinem Handrücken. Als sie bei meinem Handgelenk angekommen war, konnte ich nur noch ihren Namen murmeln.
„Katherine...“, ich spürte etwas leicht an meiner Haut knabbern. Ich schrie kurz auf, als ich merkte, dass es ihre Zähne waren. Bestimmend zog sie sie über meine empfindliche Stelle.
Ich wollte meine Augen aufreißen, doch ihre Hand legte sich auf meinen Mund. Ihr Atem an meinem Ohr ließ mich erschaudern. „Wenn du die Augen öffnest, höre ich auf.“
Nein, niemals sollte sie damit aufhören. Dafür war es zu schön, zu betörend. Gehorsam verharrte ich. Obwohl ich unsicher war, wie viel ich noch ertragen konnte, bis ich unaufhörlich ihren Namen schreien würde. Bis ich die Kontrolle verlor.
Zum zweiten Mal in meinem bisherigen Leben.
Sie nahm ihre Küsse wieder auf. Zeitgleich drückte sie mit der anderen Hand leicht gegen meine Brust. Umgehend ließ ich mich zu Boden sinken, setzte mich auf das nasse Gras. Obwohl meine Kleidung feucht wurde, spürte ich nichts anderes als sie. Ich hörte ihren Atem, der langsam schneller wurde und fühlte ihre Körperwärme. Die Regentropfen waren mir gleichgültig, auch, wenn ich mir eine Lungenentzündung holen würde.
Es raschelte leise, kaum hörbar neben mir. Sie hatte sich neben mich gesetzt. Und dann waren ihre Lippen auf den meinen. Dieses Gefühl kannte ich. Wie oft ich sie geküsst hatte, wusste ich nicht zu sagen. Unzählige Male. Der Druck war mir wohlvertraut, der Geschmack in meinem Mund ebenfalls. Aber alles war intensiver als die vorherigen Male.
Als wir uns nach einer Ewigkeit voneinander lösten, weigerte ich mich, meine Augen zu öffnen.
Denn in diesem Moment war die Ewigkeit unbedeutend.
Ihre letzten Worte, die sie zu mir sagte, bevor wir wieder nach Hause gingen, würde ich nie vergessen.
„Ich sehe dich, Eric.“
Und als sie mich fragte, welche Augenfarbe ich hätte und ich „Grün“ antwortete, lächelte sie.