Mit was auch immer der kriegerische Löwenmann gerechnet hatte, mit der plötzlichen Verwandlung von Declan und das ohne einen Myoskristall, ganz sicher nicht. Und auch andere der Lumari die bei dem Sturm auf die Jolly Roger geholfen hatten, klappte im wahrsten Sinne des Wortes die Kinnlade auf und Getuschel wurde unter ihnen laut.
Das andere Mädchen entpuppte sich als junger Mann, was Toni aber nur an der eindeutig männlichen Stimme erkannte. Gut zu wissen, sie wollte ihn nicht wütend machen, wie es dem Löwen und anderen bei dem anderen feminin aussehenden Jungen passiert war. Ihr war das Geschlecht ihres Gegenübers ohnehin relativ egal, da sie sowohl mit Weiblein als auch Männlein noch immer nicht wirklich Erfahrung hatte, wie man damit umging. Ihre neue Bekanntschaft jedenfalls willigte ein zu helfen und ließ sich von ihr zu Logan mitziehen.
„Es scheint, als hätte Lednar hier Probleme mit seinen Beinen, er kann sich selbst nicht im stehen halten. darum hab ich dich um Hilfe gebeten. Ich allein bekomm ihn nicht gestützt“, erklärte die Braunhaarige dem anderen.
Gemeinsam nahmen sie den jungen Mann in die Mitte und zogen ihn in eine aufrechte Position.
Die Braunhaarige lauschte dem Löwen anfangs, als er erklärte, wie sie mit Hilfe von Kristallen ihre neuen Avatare herstellen können sollten.
„… Wer ihr wirklich seid oder der ihr immer sein wolltet"
Die Worte des Löwen hallten in ihrem Kopf nach. Wer sie war, wer sie wirklich war? Das hätte sie auch gerne gewusst, aktuell suchte Toni ja noch danach. Eher mechanisch trat sie auf seine Bitte von Logan zurück, ohne ihn wirklich zu hören, war sie doch bereits in ihren Gedanken gefangen. Vor ihrem inneren Auge rief sie sich das Bild in Erinnerung, wie sie noch vor einem Jahr ausgesehen hatte. Die perfekte und hübsche Puppe ihrer Eltern. Aber wenn sie ehrlich war, war sie nicht mehr als eine graue Maus gewesen und kaum lebendig gewesen. Und verglich das Bild mit ihrem jetzigen Aussehen. Eine leicht aus der Form geratene junge Frau, deren Haar unsauber mit einer Küchenschere zurückgestutzt worden war und die wenig auf ihr Äußeres gab. Aber, wenn sie ehrlich war, war dieses Erscheinungsbild reine Rebellion gegen all das, was ihren Eltern an ihr wichtig gewesen war.
Beides war sie nicht! Das erkannte sie nun. Und sie brauchte beides nicht mehr. Der Lumarier hatte es gesagt, sie waren in einer fremden Welt voller Zauber und Magie – dass es kein Spiel sein sollte, änderte für Toni rein gar nichts. Ihre Eltern konnten ihr hier nicht mehr folgen. Nun konnte sie herausfinden, wer sie war und beginnen zu leben.
Und so ließ sie los. Sie brauchte die Gestalt der Menschenwelt nicht mehr, fegte entschieden alle Gedanken an das, was einst für sie der Blick in den Spiegel gezeigt hatte, zur Seite und lies es gehen. Sie war frei!
Nun gefangen in ihren inneren Monolog, bemerkte sie natürlich nicht, wie in diesem Augenblick ihr Körper in eine Wolke goldenen Staub zerbarst, der wie Sonnenwinde einen Moment um eine schwebende Lichtkugel hing, ehe er von dieser aufgesogen wurde. Wie Declan und Logan kurz zuvor, hatte auch sie die Verwandlung ganz ohne Kristall und so anders wie die anderen, begonnen.
Ein Ort, wie in ihren Träumen, wo ihr niemand hin folgen konnte, um sie wieder zu einem seelenlosen Objekt zu machen. Toni hatte zuvor nie registriert, wie stark der Wunsch nach Freiheit in ihr gewütet hatte. Doch nun, wo sie dies erreicht hatte, fiel eine bleierne Last von ihr ab und wilde, ungezügelte Freude schlug über ihr wie Wellen zusammen. Nichts würde sie mehr halten, sie würde gehen, wohin sie wollte, selbst wenn kein Weg dorthin existieren würde. Losgelöst, wild und frei. Diese Welt konnte doch nur wundervoll werden, erinnerte sie bis jetzt doch an die Welten der Spiele, die sie lieben gelernt hatte. Welten in denen es Elben oder ähnliche Völker gab. Es war ihr dabei bei ihren Avataren nie um die Rasse an sich gegangen, sie stand einfach auf diese spitzen Ohren. Ob es möglich wäre wenn sie selbst sich Spitzohren wünschen würde?
Was für ein Gefühl es wohl war, sich wirklich mit gezückter Waffe auf einen Feind zu stürzen und nicht nur eine Figur mit Hilfe der Tastatur zu bewegen? Brennend heiße Vorfreude walle in ihr auf. Dieses neue Leben versprach Abenteuer, Spannung und alles, was die Realität ihr nie hatte bieten können. Diese Leidenschaft kannte sie nur von jenen Stunden, als sich ihr die neuen Welten der OnlineRPG eröffnet hatten, zuvor hatte sie nie etwas verspürt, das sie sich so lebendig hatte fühlen lassen. Müsste sie es in Worte oder Bilder fassen, hätte sie dieses berauschende Gefühl wohl mit tiefrot glühendem, flüssigem Feuer umschrieben, dass bei jedem Herzschlag durch ihren Körper strömte.
Der Gedanke an ihre Eltern durchzuckte sie und drohte ihre neuentdeckte Freiheit mit Ketten zu beschweren. Doch sie erkannte in sich, dass nun, da ihre Eltern außer Reichweite waren, der Gedanke an sie, ihre Wünsche und Ketten, ihren Schrecken verloren hatten. Und was sie erlebt hatte, hatte sie stärker werden lassen, nicht wahr? … Die Ketten der Vergangenheit sollten nun ihre neugewonnene Freiheit beschützen – ja, diese Vorstellung gefiel ihr. Apropos Schutz, Rüstungen brauchte ein Krieger! Würde sie in dieser Welt überhaupt ein Kämpfer werden? Sicher, sie könnte ja alles sein, was sie sich vorstellen konnte, hatte der Löwenmann gesagt. Sie wollte sein, wie die starken, schönen Frauen, die sie bisher durch fantastische Welten gesteuert hatte.
Die Lichtkugel senkte sich gen Boden und begann in sich zusammenzuschrumpfen, wodurch sie nach und nach eine schlanke, hochgewachsene Gestalt enthüllte. Mit Toni jedoch hatte diese Person jedoch optisch nicht mehr viel gemein, um genau zu sein, gar nichts.
Die Frau trug eine sehr kuriose Mischung aus knapper Bikinirüstung, wie man sie aus Fantasy RPGs oft kennt und realer Plattenrüstung, zu welcher unter anderem ein kompletter, mittelalterlich anmutender Panzerarm an einem Rüstkragen, sowie hochgeschlossene Metallstiefel mit Absatz gehörten. Die Rüstung selbst war in gold und rose-gold gehalten und erstreckte sich in massiven Platten auch über die beiden großen, flammenfarbenen Engelsschwingen, die ihrem Rücken entsprangen. Eine Kaskade aus wallemden, zinnoberrotem Haar fiel ihr zu einem voluminösen Pferdeschwanz zusammengebunden, über den Rücken bis über die Hüften.
Beinahe automatisch öffnete sie Augen, sobald das Licht verloschen war, blinzelte kurz und hob dann die Hand. „Ich bin dann auch soweit……woha!“ Sie stoppte mitten im Satz und starrte auf ihre Hand, ehe sie die zweite auch betrachtete und anschließend begann, ihre eigene Vorderseite in Augenschein zu nehmen. Mit den Händen tastete sie ihr Gesicht ab und ihre Augen leuchteten vor Begeisterung, als ihre Finger die neue Form ihrer nun spitz zulaufenden Ohren ertasteten.
Eine Bewegung aus den Augenwinkeln brachte sie dazu, den Blick über ihre Schulter zu werfen und ein überraschtes „Oh wie toll!“ entwich ihr. Mit der Linken berührte sie vorsichtig die Schwungfeder ihrer Schwingen, als befürchtete sie, diese könnten bei winzigsten Berührung zerbrechen. „Wow! Jetzt bin ich wirklich Aleya!“, hauchte sie und bewegte ganz langsam und zaghaft die Flügel, bis diese vollständig entfaltet waren.
Länger konnte die nun Rothaarige aber nicht still halten, weswegen sie mit einem aufgeregten Satz in die Luft und einem spitzen Schrei ihrer Begeisterung Luft machte. Dummerweise vergaß sie aber dabei, dass sie sich noch nicht an ihre neuen Körperteile gewöhnt hatte und schlug versehentlich unkontrolliert mit den Flügeln. Dass diese nicht nur riesig, sondern auch stark waren, ging ihr erst auf als sie mit dieser Aktion etwas oder besser jemanden hinter sich von den Füßen fegte.
„Ups, tut mir sehr leid, ich hab noch Koordinationsprobleme", beteuerte sie sofort und wandte sich zu ihrem Opfer um, wobei sie nun aber vorsorglich ihre Flügel eng an den Rücken legte. Die Tatsache, dass sie noch gar keinen Myoskristall bekommen hatte, hatte sie völlig vergessen.
„So, bevor wir NOCH eine weitere Überraschung erleben, gibt es unter euch NOCH jemanden, der durch die Nebelpforte gestolpert ist oder sie eigenständig durchschritten hat?“ erkundigte sich Anatur, sichtlich um Fassung bemüht.
„Entschuldigung, aber wie sollen wir sonst durch dieses Tor gekommen sein, außer Tür auf und durch?“, wunderte sich der Flammenengel und legte damit offen, dass sie ihm in diesem Punkt gar nicht zugehört hatte. Prompt erntete sie auch dafür ein Stöhnen von ein paar der umstehenden Lumari und der Löwenmann vergrub für einen Moment das Gesicht in den Pranken, ehe er seine Fassung wiedergewonnen hatte. „Nun die meisten von euch wurden von einer Hand, Pranke, etc. gepackt und durch die Nebelpforte gezogen – zumindest sollte es so sein…“ Er blickte sich noch einmal wartend um, ob sich noch jemand zu dieser Gruppe bekannte.
„Hört zu, was ich euch sagen muss, ist wichtig. Ihr, die ihr durch eure eigene Entscheidung in unsere Welt gekommen seid, werdet nie mehr in eure Welt zurückkehren können, im Gegensatz zu euren Kameraden hier“, begann Anatur zu erklären, „Denn in dem Augenblick, als ihr die Nebelpforte aus eigener Kraft durchschritten habt, habt ihr euren wirklichen Körper zurück gelassen. Nur eure Seele jedoch nicht euer Körper kamen in diese Welt. Das, was ihr hier getragen habt war nicht mehr als eine Erinnerung an euch selbst, wie ihr früher wart. Mit dem Erschaffen eures Traumkörpers habt ihr diese Erinnerung unwiderruflich aufgegeben. Ihr seid ab jetzt Teil unserer Welt, und doch seid ihr anders. Wir nennen das, was ihr seid Traumgeister. Eure Kräfte sind der Kampf – was euch von allen anderen Wesen der Traumlande unterscheidet. Was eure Primärfähigkeit ist, müsst ihr herausfinden, doch so, wie die Traumwandler ihren Schatten als Sekundärfähigkeit haben, so ist euch die Macht gegeben, eure Seele zu einer Waffe zu formen und diese zu euch zu rufen.
Ihr seid mächtige Wesen – fürwahr. Doch es ist eine Macht für einen hohen Preis. Und ihr sollt wissen, dass ihr ein gewaltiges, wie auch schwieriges Erbe antretet. Denn dereinst waren die Traumgeister die Wächter und Bewahrer unserer Welt. Sie hielten Traum und Albtraum im Gleichgewicht und beschützten die Träume jener eurer Welt. Die Nachtmahre haben sie jedoch alle vernichtet, keiner blieb übrig. Und mit dem Fall der Traumgeister begann der Krieg mit den Mahren um die Vorherrschaft der Traumlande, welcher nun seit zwei Jahrhunderten wütet. Ich kann euch nicht sagen, welches Schicksal euch erwartet, aber wir werden euch mit euren Freunden zusammen zu den Ältesten bringen.“
„Mit anderen Worten, wir werden und/oder können diese Welt nicht mehr verlassen, sollen zu Beschützern werden?“, fasste die Rothaarige zusammen, „Für mich kein Problem, ich wollte eh nicht in naher Zukunft zurück. Aber hab ich das richtig verstanden, dass Traumgeister wie ich keinen dieser Kristalle zur Avatarerstellung brauchen? Darf ich dann den, den ich eigentlich bekommen hätte sollen an den Großen da weitergeben?“ Sie deutete auf Zzavor in seiner Kiste. „Selbstverständlich würde ich mit dem Übergeben warten, bis wir das Schiff verlassen, da er ja auf dem Schiff Randale läuft.“
Der Löwe stimmte zu und begann an jeden, der noch keinen Kristall hatte und noch nicht seine menschliche Form geändert hatte, einen auszuteilen und gab auch der Geflügelten einen. Welche sich zu der Kroco-Kiste umwandte und dem Dino strahlend den Kristall aus der Entfernung zeigte.
Selbst das Getuschel unter den Traumwesen, welches nach Declans und Logans Verwandlungen aufgebrandet war, verstummte nur einen Augenblick später und auch der Löwenmann hielt inne, als eine Stimme verkündete: „Land in Sicht!“ Die Blicke der Kaperer wandten sich Richtung Bug, wo tatsächlich vor einer ersten Ahnung eines neuen Morgens sich eine schmale, kaum wahrnehmbare, dunkle Linie erahnen ließ.
„Gut wir erreichen bald Fengard. Traumwandler, bitte achtet auf eure Schatten und nehmt euren Traumkörper an. Es wäre für uns alle unschön, würdet ihr direkt an eurem ersten Morgen schwinden“, bat Anatur eindringlich, „Wenn ihr weitere Fragen habt, zum Beispiel über unser Ziel Fengard oder eine der anderen Inseln unserer Welt, sowie deren Bewohner, fragt ruhig. Ich werde euch antworten, so gut ich vermag.“
„Mir stellt sich noch eine Frage", meldete sich das Holzhörnchen zu Wort, „Was gedenkt ihr bezüglich mir zu tun? Immerhin habt ihr dieses Schiff gekapert. Ich denke aber, ich kann euch ein Angebot machen – ein sehr gutes sogar.“ Mit diesen Worten öffnete es eine hölzerne Pfote und offenbarte ein zart gearbeitetes Silberamulett an einer feingliedrigen Silberkette. Ein zartrosaner, halb durchscheinender Stein, ähnlich einem Rosenquarz, war in den filigranen Anhänger eingesetzt. Aus dem Inneren des Steins leuchtete, ein Zeichen, welches drei Kringel in einer Reihe über drei Sternen zeigte. Die beiden äußeren Kringel besaßen dabei einen langen Schweif und zeigten voneinander weg, während der innere Kringel ebenfalls nach links blickte.
„Lebenshauch? Das ist selten. Wie sieht das Angebot aus?“, staunte der Löwe.
„Nicht viel, nur das ihr die Verantwortung übernehmt. Selbst das beste Schiff der Traumlande kann nicht völlig ohne Crew auskommen“, gab das hölzerne Wesen zur Antwort.
OT: so dann beenden wir mal unsren Prolog. Ich wollte eigentlich warten, bis alle Ihr TraumIch haben. Ich werd dann relativ zügig weitermachen, damit wir alle wieder spielen können.
Die Spieler, die nicht die Verwandlung ihres menschlichen Charas beschreiben, machen später einfach mit dem Char in Traumgestalt weiter, als hätten sie die Szene geschrieben.
Lebenshauch-Amulett: ich hab es von Beginn an angekündigt und mache nun ernst. Dieses Amulett ist eines jener magischen Items, welches dem Träger eine weitere, permanente Fähigkeit gewährt. In diesem Fall ist es die Fähigkeit ehemalige Menschen komplett heilen zu können. Amulette, sofern sie erspielt werden, sind zwar einem Char zugeordnet, aber zählen als Gruppeninventar und gehen nicht mit Ausstieg des Nutzers verloren. Die Charas, die bereits in der Traumwelt lebten, können alle darüber Bescheid wissen.
Anatur spielt jetzt den InformationsNPC fragt ihn ruhig. OT könnt ihr die Infos zu den Inseln natürlich im Infotopic einsehen und nachschlagen.