Leider meldete sich niemand auf Marikas Anfrage. Es wäre auch zu schön gewesen. Emma allerdings reagierte auf ihre Frage richtiggehend erschrocken und verließ kurz darauf auch schon beinahe panisch die Kantine. Die Streunerin seufzte, eigentlich hatte sie schon viel früher mit solch einer Reaktion von irgendjemand gerechnet.
„Also niemand?“, schlussfolgerte sie und blickte zu Leira hinüber, „Dann treffen wir uns, wie du vorgeschlagen hast, gleich am Bus?“
Damit war die Sache für sie erledigt und sie erhob sich, um ihre Müslischüssel wegzubringen und danach den Speisesaal zu verlassen. Die Idee, vor einer potentiell langen Busfahrt noch einmal die Toilette aufzusuchen, erschien ihr gar nicht so verkehrt. Sie wollte jedenfalls nicht diejenige sein, die peinlich berührt um einen Zwischenstopp bitten musste.
Umso überraschter war sie, als sie den nächsten Waschraum betrat und dort ausgerechnet Emma zitternd auf dem Boden vor einem Waschbecken kauerte. Etwas perplex blieb die Streunerin stehen und blickte sich um, ob zufällig noch jemand anderes da war. Sie selbst sah sich als denkbar schlechteste Wahl, um sich hier einzumischen. Doch sie hatte kein Glück, scheinbar waren sie und das Mädchen aktuell allein in der Damentoilette. Also räusperte sie sich leise, um auf sich aufmerksam zu machen und ließ sich etwas entfernt von der anderen in die Hocke sinken.
„Hey, sry wegen vorhin. Ich wollte dir keine Angst machen“, meinte sie und versuchte dabei ausnahmsweise nicht allzu grimmig oder gereizt zu klingen, „Du hast wegen mir Panik bekommen, oder? Hör zu, niemand zwingt dich, mit uns auf diese Mission zu kommen und ich kann verstehen, wenn du ein Problem damit hast, mit einer Bestie in einem begrenzten Raum wie dieser Bus eingepfercht zu sein. Im Gegensatz zu hier, kann man da niemanden aus dem Weg gehen.“ Sie seufzte, allerdings ließ sie beim Reden die andere nicht aus den Augen. „Weißt du, ich habe für mich entschieden, dass ich zumindest versuchen werde, alle sicher zurück zu bringen. Jemand mit meinem Hintergrund erlebt es nicht oft, dass andere Freundschaft anzubieten und es mit einem zu versuchen. Und nur deshalb habe ich gefragt, ob es jemanden mit entsprechenden Kräften gibt. Ich könnte es auch nicht mit mir vereinbaren, wenn von den anderen jemand zu Schaden kommen würde und ich es hätte verhindern können.“ Sie lehnte sich lässig gegen die Wand hinter sich und wandte das erste Mal seit der Begegnung ihren Raubtierblick ab, um die Decke zu betrachten. „Ich wollte mich übrigens noch bei dir bedanken“, meinte sie und blickte Emma wieder an. Um ihre Lippen zuckte kurz ein leichtes Lächeln, doch es lag keine Freude sondern eine gewisse Bitterkeit darin und ihre Augen blieben wachsam. „Als ich mich in dieses Ding verwandelt hab, hast du viele der anderen überzeugt nicht auf mich loszugehen und dass ich immer noch ich wäre. Und im Gegensatz zu anderen klangst du nicht, als würdest du das annehmen. Du warst dir so sicher, als hättest du für dich schon den Beweis dafür gesehen, auch, wenn du mir bei Gelegenheit irgendwann erklären musst, warum ich ‚schreckliche Paukenschläge‘ ausgesondert haben soll.“
Sie ließ der anderen einen Moment zum Reagieren und ihre Aussage verdauen. Ob das andere Mädchen sich bewusst war, dass sie an diesem Abend alles um sie herum wahrgenommen hatte, wusste die Streunerin nicht.
„Um ehrlich zu sein hast du mir damit wahrscheinlich die Haut gerettet. Ich gehe davon aus, dass du es ohnehin bereits weißt, aber ich hätte an diesem Abend, selbst, wenn ich es gewollt hätte, keinen der anderen von mir aus verletzen können. Ich hätte ja nicht mal mehr die Kraft gehabt aufzustehen. Und nein, das ist nicht übertrieben. Meine Verwandlung begann auf diesem Gelände und dieser Grund greift aktiv an, was er für den Feind hält, wie wir inzwischen wissen. Außerdem… die kraft eines Erleuchteten und einer der Bestien sind wie natürliche Todfeinde, wechsle ich von einer Gestalt in die andere, gehen diese beiden feindlichen Kräfte in mir aufeinander los. Ich habe bei jeder Verwandlung irgendwo Angst, dass ich mich selbst dabei umbringe.“
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Der Ernst der Lage war offensichtlich allen klar, denn nur wenige Minuten, nachdem sich die morgendliche Besprechung aufgelöst hatte, fanden sich einige Jugendliche auf dem Hof des Heims ein, wo Bruno bereits den zitronengelben, privaten Reisebus des Heims aus der Garage gefahren hatte.
Es war seltsam für Marika dieses Gefährt wieder zu besteigen. Vor weniger als einer Woche hatte der Bus sie und einige andere, darunter Leira und Emma, erst gebracht, doch es fühlte sich an, als würde dies schon Jahre zurückliegen. So viel war geschehen, so viel hatte sich verändert. Doch wo sie stand und wie ihre Ansicht zu diesem Ort und seiner schwer zu durchschauenden Leiterin war, hatte sie immer noch nicht ganz erfassen können.
Simon war bei ihnen, ein kleiner Junge mit dem gleichen goldbraunen Haar und denselben haselnussbraunen Augen, wie Alicia und der Jüngste der hier lebenden Erleuchteten, der über eine unfassbar große Reichweite im Aufspüren anderer wie sie, verfügte. Ebenso einer der beiden Körper von Marlee, der – wie Marika fand – wohl unheimlichsten aller Erleuchteten, besaß sie doch gleich zwei vollkommen identische Körper. Ob dies hier aber nun Mara oder Lea war, könnte die Streunerin nicht sagen – letztendlich war es auch egal. Marlees Zwillingskörper waren recht klein gewachsen und trugen das Haar zu zwei braunen Rattenschwänzen geteilt, das auffälligste an ihnen waren aber ohne Frage die blutroten Augen.
Wie immer wirkte das Mädchen desinteressiert und abwesend.
Die Türen des Buses öffneten sich und ließen die Jugendlichen ein. Wie bei ihrer letzten Fahrt, wollte die Streunerin einen Platz in der mittleren Region anpeilen, doch Bruno hielt sie direkt beim Betreten des Gefährtes auf. Kaltes Metall berührte ihre Haut, als der Schrank von einem Mann ihr missmutig die vertraute Waffe in die Hand drückte. „Nur dass wir uns verstehen Fräulein, das ist eine edle Dame, die mit Respekt behandelt werden will und kein besserer Knüppel!“, schärfte er ihr alles andere als Begeistert ein. Offensichtlich hatte Bruno weniger mit der Tatsache ein Problem, dass jemand wie sie mit einer Desert Eagel herum lief, als damit, dass sie seiner Meinung nach die Waffe nicht pfleglich genug behandelte. Die Blonde schenkte es sich aber, ihn darauf hinzuweisen, dass für sie ein Schießeisen nur den Nutzen hatte, ihr Leben zu beschützen. Damit hätte sie sich wohl keinen Gefallen getan. So nickte sie wortlos und schob sich an dem Busfahrer vorbei. Wie sie es geplant hatte, ließ sie sich auf einem Fenstersitz relativ in der Mitte nieder und blickte auf den Hof. Sie glaubte nicht daran, dass sie auf dieser Fahrt einen Nebensitzer haben würde und hatte sich auch mit niemanden abgesprochen.
Während die Jugendlich noch einstiegen, war ihr nicht menschlicher Gastlehrer aus dem Wohnhaus der Angestellten gekommen und beobachtete nun sichtlich interessiert das Treiben am Fahrzeug. Der Sänger hob eine Hand und jene der Reisetruppe, die gerade, wie Marika aus dem Fenster sahen, konnten beobachten, wie die Haut an seinem Handrücken dunkel und hart wunde und sich die Fingernägel in gut zehn Zentimeter lange Krallen umformten. Grinsend musterte er selbst seine anverwandelte Pranke, ehe er den Kids mit der Klaue zuwinkte.
Die Streunerin schüttelte den Kopf, dieser Typ war wirklich unglaublich. „Angeber!“, murrte sie nur leise mehr zu sich selbst. Nun schien er aufzuschrecken und ließ die Panke hinter seinen Rücken gleiten, wohl um die Anzeichen der Verwandlung zu tilgen. Die Streunerin folgte seinem Blick und bemerkte eine junge Frau aus dem Küchenpersonal, die mit einem großen Picknickkorb zum Bus gerannt kam, der bereits schon Anstalten gemacht hatte, abzufahren. Dass sie dabei verdächtig oft zu Jimmy blickte und beinahe in das Fahrzeug gerannt wäre, machten deutlich, was ihre eigentliche Absicht war. So drückte sie Bruno nur flüchtig den Korb in die Hände, als dieser für sie noch einmal die Vordertüre öffnete und wandte sich daraufhin sofort ab, um winkend zu dem Sänger zu eilen.
Langsam rollte das Gefährt vom Hof und bog auf die Straße ab. Simon, der ganz vorn saß, gab Bruno Angaben zur Richtung. Auf unerklärliche Weise schien der Kleine ganz genau zu wissen, wo er hinwollte, auch, wenn er eher die Himmelsrichtung als die zu nutzenden Straßen nennen konnte. So, wie Marika es verstanden hatte, würden sie als erstes zum nächsten Highway und dann nach Norden fahren. Wohin genau aber die Reise ging, wusste wohl keiner von ihnen.
Aufgrund der abgeschiedenen Lage der Morgan-Fox-Anstalt mussten sie aber zuerst knapp eine Stunde durch kleinere Ortschaften gurken.
Etwa eine halbe Stunde später wies Simon Bruno an, nach rechts abzubiegen, worauf ihm der Fahrer antwortete, dass dies nicht der direkte Weg sei, doch Alicias Sohn zeigte sich als absolut uneinsichtig. So folgte der Fahrer seinen Anweisungen und ihre Reise fand ihren Weg durch mehrere kleinere Ortschaften. Schließlich verlangte Alicias Sohn rechts an den Fahrbahnrand zu steuern und zu halten. Der Schrank von einem Mann kannte dieses Verhalten aber wohl doch, denn er leistete keinerlei Widerstand, grummelte nur etwas von „wieder dieser seltsame Radar“.
Am Straßenrand standen Gestalten, die beinahe so aussahen, als würden sie auf genau diesen Bus warten… Vielleicht waren sie aber auch nur rein zufällig hier, soweit es den bei dem Treffen unter Erleuchteten Zufälle geben konnte.
OT: So, damit ist die Gruppe unterwegs. Nun können die Neuen einsteigen und selbstverständlich könnt ihr die Fahrt auch noch nachträglich bis zur Aufnahme der neuen bespielen. Ich habe nicht beschrieben, wer sich neben meine Streunerin setzt, ich hoffe aber sie bleibt nicht allein oder es setzt sich spätestens bei den Neuen jemand zum Reden neben sie ^^. Denkt daran, der Bus ist ncoh der vom Spielstart, hat insgesamt 32 Sitze ohne den des Fahrers und diese rechts und links des Mittelganges in Paaren angeordnet, es sind also 8 „Sitzreihen“
An unsere drei Neueinsteiger: Wenn eure Charas sich vor dem Betreten des Busses nicht treffen, hält der eben mehrfach, ist kein Thema^^.
@Shiralya ich hoffe es ist ok für dich, das Marika jetzt doch Emma holen gekommen ist. Wenn du magst können wir das Gespräch im Waschraum/Rückweg zum Bus auch noch weiter bespielen, schreib mich einfach an.