Langsam öffneten sich die geschlossenen Augenhöhlen Aurayas. Doch sie blickte nicht mehr in ihr Zimmer, nein, sie befand sich woanders. Eine in schwarz getauchte Welt erstreckte sich vor ihr.
„Ein Traum?“, fragte sie sich und stand auf. Plötzlich wackelte die Erde unter ihr. Erschrocken blickte sie hinunter und erkannte, dass sie gar keinen festen Boden unter ihren Füßen hatte. Es war eine schwebende steinerne Plattform, die bei jeder ihrer ach so kleinen Bewegung einwenig nach links oder recht schwankte. Sie schluckte.
„Dieser Traum gefällt mir gar nicht.“, murmelte sie und versuchte, während sie ihre Umgebung untersuchte, sich möglichst wenig zu bewegen. Um ihre Plattform waren mehrere fliegende Steinplattformen angelegt, die allesamt zu einem Punkt führten, von dem der einzige Lichteinstrahl kam. Es war ein unheimlich schönes Licht, wie Auraya fand. Es tauchte die nicht endende Schwärze in einen rötlich-weißen Glanz, der auch gleichzeitig zeigte, wo sich die einzelnen schwebenden Steine aufhielten.
„Um aus diesem Traum zu entkommen, muss ich wohlmöglich zum Licht.“, reflektierte die junge Viera und bewegte sich langsam zum Ende des unsicheren Fundaments. Der Abstand zum nächsten Plateau war nicht sehr weit, aber hatte dennoch eine Reichweite, die Auraya zum wegschauen zwang. Springen war noch nie ihre Spezialität gewesen. „Aber ich muss es tun.“, sprach sie sich mutig zu und ging einige Schritte zurück. Die Plattform schwankte dabei nicht zu wenig, doch irgendwie konnte die Weißmagierin die Balance halten, nahm einen kurzen Anlauf und sprang auf die nächste Plattform. Vom Aufprall des Körpers angeregt, schwebte die nun von Auraya erreichte Plattform in Richtung Licht. „Sieht so aus, als ob diese mich direkt zum Licht führt.“, freute sie sich, doch wurde augenblicklich enttäuscht. Der Schwung, der durch ihren Sprung eingeleitet wurde, reichte nicht aus. Langsam neigte sich die Steinplatte zurück und es sah ganz danach aus, als ob sie wieder zurück schwang. Hastig blickte die Rave-Viera in der Umgebung herum, um eine geeignete Platte zu finden. Schnell war eine gefunden und sie nahm erneuten Anlauf und sprang auf eine etwas weiter rechts liegende Tafel. Diese reagierte ähnlich wie die vorige und schwank zum Licht zu.
Das Licht war nun groß und Auraya erkannte, dass es von einer Straßenlampe oder ähnliches kam, welche auf einem Festland ähnlichen Grund lag. Als auch die letzte steinerne Plattform drohte zurückzuschwanken, nahm Auraya entschlossen einen letzten Anlauf und sprang auf das Festland. Erleichtert landete sie neben der rot leuchtenden Laterne und blickte zurück. Die Steinplattformen waren verschwunden. Sie schluckte erneut, drehte sich dann aber zielgerichtet nach vorne.
„Anscheinend gibt es keinen Weg zurück.“, sagte sie feststellend und ging nun langsam in das Innere dieser etwas größer ausfallenden Insel. Im Gegensatz zum vorigen Szenario war dies schon viel angenehmer, wenn auch trotzdem einwenig unheimlich. Überall ragten grüne Riesenpflanzen, deren Blüten von bläulichen Tönen ins Violett eintraten und schließlich einige gänzlich rot waren. Einige blaue Mikrokörperchen flogen in der Luft umher, die Auraya an Glühwürmchen erinnerten. Das Gras, das sich unter ihren nackten Füßen befand, war ungewöhnlich weich und strahlte nahezu. Es erinnerte Auraya an eine Moosart in ihrer Heimat; doch warum träumte sie? Was wollte ihr der Traum sagen?
„Endlich bist du gekommen, Auraya…“, wisperte eine Stimme, die einem Luftzug glich. Auraya blieb starr stehen.
„W…Wer ist da?“, fragte sie und bemerkte, wie ihre Stimme zittrig wurde. Erneut durchfuhr ein sanfter Wind das Flachland, auf dem sich die junge Weißmagierin befand. „Ein Freund.“, antwortete die Stimme, dieses Mal etwas lauter und durchdringender. Die Weißmagerin blickte wild umher. Was, wenn sie in ihren eigenen Träumen angegriffen und gar getötet werden konnte? Elune hatte mal etwas Ähnliches erwähnt…aber hatte dies nicht eher zur Angstmache gedient?
„Keine Sorge…Ich werde dich nicht töten. Dafür ist meine Natur zu Heilig.“, führte die Stimme fort. Ein Schauer fuhr Auraya über den Rücken.
„Am besten du siehst selbst, was ich oder wer ich bin.“, fügte sie hinzu. Es folgte eine sturmgleiche Böe. Plötzlich ragte ein Schatten über Aurayas Standort. Bestürzt riss Auraya die Augen auf. Über ihr flog ein Pferd von göttlicher Schönheit; sein Fell war in einem schönen Lila-Ton gefärbt wohingegen sein Kopf und Rücken, sowie sein Schwanz golden waren. Auch war dieses Wesen größer als andere seiner Rasse. Elegant landete es einige Meter vor der erregten Viera, schnaubte und wandte sich zu ihr.
„Ich sehe, dass du noch immer Angst hast.“, sagte es und schüttelte den Kopf ungläubig. Dabei schien es einen Seufzer von sich zu geben.
„Nun. Am besten ich stelle mich vor. Mein Name ist Kirin und ich bin eine Esper. Du hast sicher von mir und anderen Espern gehört, oder?“
Auraya schüttelte den Kopf und begutachtete das Wesen, das sich als sogenannte Esper vorgestellt hatte, fasziniert.
„Du hast nie von den Espern gehört? Als Viera?“, fragte Kirin skeptisch.
„N-nein…ich habe nie von ihnen gehört.“, antwortete Auraya mit bebender Stimme, das einem Piepsen glich. Verärgert schnaubte das ungewöhnliche Pferd und ging einige Seite nach links.
„Scheinbar hat dich jemand ganz gut vor dem Wissen ferngehalten.“, stellte er fest und wandte sich nach einigen nachdenklich wirkenden Schritten wieder der Viera.
„Es ist schade, dass du kein Vorwissen hast. Aber dafür bin ich nicht hier. Ich möchte dich warnen, Auraya. Der Pfad der vor dir liegt, ist ein gefährlicher, den du nur mit Hilfe bewältigen wirst.“
„Aber ich habe meinen Clan!“, schrie sie und erkannte, dass ihre Angst wie weggeblasen schien. „Ja. Doch der Clan ist nicht genug. Du brauchst Hilfe von einer für euch Sterbliche unzugängliche Ebene. Und damit meine ich nicht Totemas! Ich meine uns, die Esper!“
Plötzlich durchfuhr ein schriller Schrei den Wald, in dem sich Kirin und Auraya befanden. Kirin schien aufgeregt zu sein und blickte Auraya nun direkt in die Augen.
„Ich kann die Verbindung nicht mehr aufrechterhalten! Aber du wirst dich erinnern! Denke über uns, die Esper, nach! Es ist…“
Mit einem Schlag waren Aurayas Augen geöffnet. Müde rieb sie sich die Augen und blickte umher. Sie befand sich wieder in der Wirklichkeit.
"Guten Morgen, Auraya. Hast du gut geschlafen? Die anderen haben wahrscheinlich bereits gefrühstückt, immerhin ist es kurz vor Mittag. Deswegen habe ich für dich etwas von meinen Essen aufgehoben." Es war Isaacs Stimme. Errötet blickte sie von ihm weg und erkannte, das sie noch immer auf dem Bett, auf dem er ursprünglich geschlafen hatte, lag. Schnell stand sie auf, richtete ihre Kutte und bedankte sich mit einem Kopfnicken bei Isaac und setzte sich an die Bettkante. Eigentlich hatte die Viera keinen Hunger, oder bemerkte zumindest keinen. Zuviel war in ihrem Kopf, sie fühlte sich durchgewühlt und unwissend. Was hatte Kirin ihr am Ende sagen wollen?
„Ich muss später, wenn sich der Augenblick ergibt, in Elunes Bücherregal sehen. Vielleicht finde ich etwas über Kirin…und die Esper.“, dachte sie. „Oder ich frage Isaac.“ Und gerade, als sie dabei war ihn zu fragen, beließ sie es. Träume sollte man nicht immer preisgeben, insbesondere nicht denjenigen, die man erst seit kurzem kennt. „Doch er wirkt doch vertrauensvoll.“, sprach sie sich selbst in Gedanken zu. „Trotzdem.“
Auraya war froh, dass Isaac nicht sprach, als sie nebeneinander saßen und sie ihr Frühstück beendete. Obwohl sie gerade einen sehr intensiven Traum erlebt hatte, fühlte sich Auraya in Isaacs Nähe unheimlich wohl und vergaß für einen Augenblick, worüber sie sich Gedanken zu machen hatte. Als sie schließlich den Mut gefasst hatte, fragte sie ihn: „Sind die anderen schon wach?“
„Ja. Und Christian scheint ungeduldig zu werden…trotzdem kann ich noch immer nicht glauben, dass er mich auf dein Zimmer geschickt hat.“
„Das war Christian?“, fragte sie argwöhnisch.
„Ja. Scheinbar findet er solche Späße unheimlich witzig…und du anscheinend auch!“, sagte er, als er sie kichernd mit einer Hand vor dem Mund erwischte. Sie schüttelte den Kopf abwehrend.
„Tut mir Leid. Es ist tatsächlich etwas…aufheiternd.“ Mist. Hoffentlich hatte sie sich damit nicht verraten. Isaac blickte sie mit fragenden Augen an.
„Ist etwas los?“, fragte er schließlich nach und Auraya schluckte. Sollte sie ihm die Wahrheit sagen oder nicht?
„Nein, es ist nichts!“, antwortete sie ihm mit einem Lächeln und klopfte ihm auf die Schulter. Dann griff sie nach seiner rechten Hand, riss ihn vom Bett hinauf und zerrte ihn zur Tür.
„Komm! Wir wollen Christian doch nicht warten lassen!“
OT: So, schon einmal einige Andeutungen, in welchen Job Auraya später gehen wird. :P