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[tab=Kapitel 7 Teil 3]
Als ob mein gesamtes Leben davon abhing - was eigentlich auch der Fall war- rammte ich meine kleinen spitzen Zähne in den dürren Finger des Mädchens. Mein Körper reagierte dabei unabhängig von meinem Verstand, welcher erst, nachdem ein erstickter Schmerzschrei an meine Ohren drang, aufholte. Erst dann kapierte ich überhaupt, was mit mir passiert war.
Wie ... was … was tue ich da gerade? Ich hab ihr eben in den Finger gebissen?! Das … ich meine ... aber …
Völlig verblüfft ließ ich das Mädchen ohne jegliche Gegenwehr meinerseits ihren Zeigefinger aus meinem Gebiss herauszerren. Alles was zurückblieb, war ein bitterer und metallischer Geschmack auf meiner rauen Zunge. Im selben Moment machte sowohl ich und als auch mein unerwünschtes Gegenüber einen hastigen Satz voneinander weg, ich zurück in Richtung Fenster und sie, das Gesicht von Furchen durchzogen, ein Stück von der Bettkante entfernt.
„Fass ... Fass mich nicht an ...“, stieß ich beim Zurückweichen aus meinem Mund und versuchte den bitteren Geschmack aus meinem Mund zu bekommen, indem ich auf das weiße Laken spuckte. Gleichzeitig vergrub ich meine ausgefahrenen Krallen fest in die Decke; der dünne Stoff riss auf, doch das hinderte mich nicht daran, immer krampfhafter na ihm festzukrallen, so, als versuchte ich irgendwo Halt zu finden. Vielleicht wäre es logischer gewesen, wenn ich schleunigst vom Bett gesprungen und mich unter dem Lattenrost verkrochen hätte, nur um wenigstens ein bisschen Zeit zu schinden, doch dazu ich war momentan noch zu perplex; gleichzeitig nahm mir die Aussichtlosigkeit dieser Situation alle Zuversicht. Es hatte ja ohnehin keinerlei Sinn, ich war in diesem Zimmer eingesperrt, kein Weg führte aus dieser Falle heraus, was brachte es mir groß, wenn ich mich unter dem Bett oder hinter dem Kasten versteckte? Egal wo ich mich auch verschanzen würde, solange ich zwischen diesem Fenster und der Türe einschlossen war, gab es keinen sicheren Ort für mich.
So verharrte ich zitternd auf der Stelle und beobachtete schwer atmend das vor mir stehende Mädchen, wie sie mit leicht verzerrter Miene ihren rechten Zeigerfinger fest umklammert hielt und nuschelnd einige unverständliche Worte von sich gab. Doch ansonsten bewegte sie sich nicht, sie schien zu warten, doch auf was wusste ich nicht. Eigentlich wollte ich es gar nicht wissen, denn was auch immer auf mich zukommen würde, es war bestimmt nichts Gutes. Nicht nochmal wollte ich mir diese ... diese Ängste und sonstigen Gefühle durch den Kopf gehen lassen, wie vor gar nicht allzu langer Zeit bei meiner Jagt durch die verregneten Gassen. Denn sollten diese Erinnerungen und Emotionen abermals mein Hirn zumüllen, wäre weiteres logisches Denken unmöglich für mich. Aber obwohl ich versuchte diese Gedanken zu verdrängen, konnte ich es trotzdem bereits auf mich zukommen sehen: Die rot, weiße Kapsel, wie sie auf mich gerichtet und wie ich kurz danach in ihrem Inneren eingesperrt werden würde. Und dieses Mal würde ich nicht durch einen glücklichen Zufall entkommen, denn kein Weg führte mehr hier heraus … oder?
So starrte ich noch einige Augenblicke, die in meiner Gedankenwelt genauso gut Stunden oder Tage hätten sein können, nervös schnaufend das fremde Mädchen an. Ihr Gesicht und Züge schienen - oberflächlich betrachtet - die einer etwa 18 Jährigen zu sein; möglicherweise wirkte sie auch lediglich äußerlich so reif und war in Wirklichkeit viel jünger, so genau konnte ich es nicht bestimmen. War nicht unüblich, dass ein Mädchen viel älter wirkte als sie wirklich war, was nicht selten ein entscheidender Vorteil bei einer Bar und in einem Club war. Ihr etwas kürzeres, schwarzes Haar verdeckt teilweise ihre kastanienbraunen Augen und stand zudem leicht ungekämmt in alle Richtungen. Am Haaransatz konnte ich außerdem erkennen, dass schwarz wohl nicht ihre natürliche Haarfarbe war, denn dort zeigten sich bereits leicht die Ansätze ihrer wahren Färbung, brünett. Das Piercing an ihrer Unterlippe war mir bereits zu Beginn aufgefallen, doch dies war nicht das Einzige, welches sie sich hat stechen lassen. Auch auf ihrem rechten Nasenflügel steckte eine glänzende kleine Perle; Ihre Ohren, die unter ihren Haaren herausragten, waren außerdem nicht nur mit einem einzelnen Ring durchbohrt, sondern gleich von mehreren. All diese Merkmale stachen mir in diesen wenigen Augenblicken ins Auge, mehr Aufmerksamkeit auf ihr Äußeres schenkte ich ihr nicht. Immerhin konnte ich es mir nicht leisten darauf zu achten, was für Schuhe sie trug ...
Als das unbekannte Mädchen leise stöhnend die feste Umklammerung ihrer linken Hand löste, bemerkte ich sofort einen rötlichen Schimmer auf ihrer Haut. Blut. Die Wunde, die sich waagrecht über ihren Zeigefinger zog, hätte genauso gut auch von einem gezackten Küchenmesser stammen können, mit dem sie sich ausversehen beim Karotten schneiden verletzt hatte. Ich selbst hätte es wahrscheinlich nicht geglaubt, dass ich ihr dieser Verletzung zugefügt hatte, hätte ich nicht selbst nur zu gut mitbekommen, wie ich ihr meine Zähne in die Haut gerammt hatte … Dabei hatte ich doch kaum fest zugebissen. Aber Mitleid oder eine Entschuldigung war das allerletzte, was diese verdammte Fremde von mir erwarten konnte. Geschah ihr ja recht! Diese Trainerin hatte nichts anderes verdient … Ja, sie hatte immerhin versucht mich zu packen und wegzuzerren! Ich musste mich … ich musste mich wehren! Verteidigen …
Mein Blick sprang hinab zu meinen scharfen Klauen, die sich bereits tief durch die weiche Deckenfüllung eingegraben hatten.
… Was war eigentlich verflucht nochmal mit mir los, wieso spielte ich mich so als Feigling auf? Warum suchte ich überhaupt nach einer Rechtfertigung, mochte vielleicht sein, dass vorhin diese Instinkte für mein Handel verantwortlich waren, aber nun würde ich diesem Punk persönlich nochmal in die Hand beißen, wenn sie mir nochmals zu nahe käme! Ich konnte mich doch hier nicht kampflos ausliefern lassen und aufgeben, wie irgendein rosa Prinzesschen, die nicht in der Lage war, sich ohne einen Märchenhelden zu befreien, oder? Ich hatte in den letzten Stunden bereits mehr als genug den Schwächling gespielt, dass würde sich nun ändern!
Mein Körper hörte mit einem Mal auf zu beben und als ich meinen Kopf wieder empor hob, strahlte dem Mädchen nun zwei ganz andere Augen entgegen: Augen voll von Trotz und Zorn.
Ich hatte mich bereits gegen einen schwarzen Henkersvogel gestellt, welcher sich mit zwei Paar geschärfter Klauen auf mich gestürzt und sturmartige Windböen auf mich gehetzt hatte. Und ob man es glaubt oder nicht, ich hatte überlebt! Wie auch immer … Was hatte da bitte diese schwächliche Teenagerin zu bieten? Zehn Stück Fingernägel? Ein paar stumpfe Backenzähne? Oder vielleicht ein spitzes Nasenpiercing? Nur zu, mit dem kann ich es aufnehmen!
Mit einem Mal viel zuversichtlicher, riss ich meine Krallen von der mittlerweile aufgeschlitzten Bettdecke. Jegliche Befürchtungen und Pessimismus schluckte ich einstweilen die Kehle hinunter und schaffte sie damit aus meinem Kopf ... fürs erste. Denn in Luft lösten sie sich nicht auf, sie wurden lediglich vom dem plötzlich aufkeimenden Mut überdeckt. Ja, Mut und mein Selbsterhaltungstrieb, von Hoffnung wagte ich nicht zu sprechen, denn ich hatte keine. Alles was ich im Augenblick wollte, war es dieser Trainerin ihre kläglichen Fangversuche zur Hölle auf Erden zu machen. Dies musste mir im Moment als Befriedigung reichen.
Angriffslustig, doch trotz allem etwas zögerlich stellte ich mich breitbeinig auf die federnde Matratze und starrte weiterhin diese Trainerin an, die sich gerade ihre blutende Wunde leckte. Der gequälte Ausdruck war jedoch aus ihrem Gesicht verschwunden und auch ihre braunen Augen, die vorhin noch mitleidig auf ihren blutenden Finger gestarrt hatten, betrachten mich schon wieder mit diesem undefinierbaren Blick. Unsere Blicke kreuzten sich abermals, meine bernsteinfarbenen Vulpixaugen mit ihren kastanienbraunen Menschenaugen.
Ihr Blick … er war fast nicht zum Aushalten. Warum? Keine Ahnung verdammt nochmal, ich konnte es mir selbst nicht erklären. Resignierend wollte ich ihren unangenehmen Augen entgehen und wieder auf das Laken herabstarren, doch mein Stolz und meine Sturheit hielten mich schließlich davon ab. Krampfhaft erwiderte ich ihren Blick und setzte ich „zum Gruß“ noch ein bissigen Zähnefletschend drauf. Nur das es nicht freundlich gemeint war. Es war alles andere als nett und willkommen, sondern eine direkte Aufforderung, sich zu verpissen und mindestens einen Kilometer Abstand zu halten!
Doch das Mädchen schien nichts dazugelernt zu haben, denn wieder näherte sie sich vorsichtig dem Bett und hob langsam ihre unverletzte Hand. Misstrauisch beäugte ich jede einzelne ihrer Bewegungen, in der Erwartung, dass sie gleich in ihre Hosentasche greifen würde, um einen Pokéball hervorzuziehen. Ich durfte diesen einen Moment nicht verpassen, ich musste dafür bereit sein. Wieder öffnete die Fremde ihren Mund und formte mit ihren Lippen einige Worte, welche dieses Mal sogar über die großen Ohrmuscheln an mein Trommelfell gelangten.
„Tut mir Leid …“, sagte das Mädchen mit ihrer leicht jungenhaften Stimme und ein Lächeln schlich sich in ihr Gesicht, „Ich wollte dich wirklich nicht verängstigen.“
Hä?
Hatte ich mich gerade verhört? Das war alles? Ich hatte ihren Finger blutig gebissen und das war ihre Reaktion darauf? Skeptisch und gleichzeitig verwirrt hörte ich auf mit meinen Zähnen zu fletschen und lockerte unbewusst leicht meine angespannte Stellung. Doch mein Blick blieb unverändert starr auf der Fremden haften, auch wenn sich nun in meine Augen ein Spur von Unverständnis einschlich.
Das war doch nicht normal, ihr Finger blutete und alles was sie tat, war sich dafür zu entschuldigen, dass sie mich verängstig hatte? Nein, so leicht traute ich der nicht über den Weg, die hatte doch bestimmt irgendetwas vor! Meinen sogenannten „Mitmenschen“ vertraute ich kein bisschen mehr, nicht nachdem ich am eigenen Leib erfahren musste, wie grausam diese mit mir umgingen. Gefühlslos, ohne den kleinsten Funken Rücksicht, nur weil alle blind für das waren, was sie wirklich vor Augen hatten. Außerdem, wer war hier bitte verängstigt, ich für meinen Teil bestimmt nicht! Ich hatte doch keine Angst vor dieser aufgeblasenen Tante da, also bitte! Das war ...
Erschrocken zuckte ich zusammen, als diese Teenagerin wieder langsam ihre riesigen „Pranke“ in Bewegung setzte, abermals direkt auf mich. Alarmiert wechselte ich in eine aggressive Angriffsstellung zurück und bleckte ihr nur noch drohender die weißen Beißer entgegen, mit denen ich jederzeit bereit war, ihr einen Finger abzubeißen.
„Halte … einfach … deine Fresse“, zischte ich, innerlich im Zweispalt darüber, ob ich vorsichtig zurückweichen oder doch provozierend auf die Trainerin zu springen sollte, „Erzähl deinen Dreck jemand anderem … Hau einfach ab!“
Ich musste jeden Moment mit dem Schlimmsten rechnen, von den Techniken und Tricks, mit denen Trainer Pokémon einfingen, hatte ich zwar nicht den leisesten Schimmer, aber sonderlich scharf darauf diese an mir selbst zu testen, war ich nicht. In diesem Zimmer roch es förmlich nach einer Falle!
„Hab keine Angst, ich tu dir nichts“, kam es abermals von der Teenagerin, die sich weiter behutsam über das Bett lehnte und ihre linke Hand in meine Richtung streckte.
Ich hab keine Angst vor dir, verdammt nochmal, werde ja nicht überheblich! Zieh einfach deine stinkende Flosse von mir weg, sonst liegst du gleich heulend auf dem Boden, das schwör ich dir!
Zornig knurrte ich und beugte mich allmählich nach vorne, während ich ihr noch einige weitere Beschimpfungen an den Kopf warf. Ihre Bewegungen schienen tatsächlich langsamer zu werden, als ob sie spürte, was meine beleidigenden Laute bedeuteten. Doch sie hielt nicht komplett inne, sondern steuerte ihre Hand weiter unaufhaltsam auf meinen Kopf zu. Ein schwerer Fehler!
Brüllend stieß ich mich mit aller Kraft nach oben und schlug blindlings mit meiner rechten Klauen nach den mir entgegengestreckten Fingern. Blitzschnell schnellten meine Krallen durch die Luft, bereit diesem Punk die Haut aufzuschlitzen, das Mädchen jedoch hatte allem Anschein seit meinem letzten Attentat dazugelernt. Ruckartig riss sie ihren Arm gerade rechtzeitig von mir weg; meine Pfote verfehlte ihre Hand nur um haaresbreite, sodass ich stattdessen nutzlos ins Nichts schlug. Unbarmherzig erinnerte mich im selben Augenblick die Schwerkraft wieder daran, wo genau unten und oben war und zog mich hinunter Richtung Erdboden. Wäre da nicht die Matratze gewesen, die meinen Sturz wie ein großes Trampolin abfederte, ich hätte mir bereits den nächsten blauen Fleck für heute zugezogen. Unelegant plumpste ich seitlich auf den weichen Untergrund und hinterließ auf der Decke drei weitere Risse, um, kaum eine Sekunde zurück auf dem mehr oder weniger festen Boden, herum zu rollen und rasch wieder aufzuspringen. Dieses verdammte Mädchen könnte immerhin diesen kurzen Moment meiner Wehrlosigkeit ausnutzen, um mir so einen Pokéball in den Rücken zu schleudern, was mein Ende bedeutet hätte. Schnaufend stand ich wieder wackelig auf meinen Beinen und blickte abermals das Mädchen an, welches sich einen großen Schritt von mir entfernt hatte. Mein Brustkorb senkte und hob sich eifrig, während ich schwer nach Atem rang.
„Du hast …“ stieß ich einige Worte hervor, welche aber wahrscheinlich von meinem röchelnden Schnaufen verschluckt wurden, „… nur … Glück gehabt … Nächstes Mal … treffe ich …“
Das – meiner Überzeugung nach – verunsicherte Mädchen stand noch immer reglos da und hielt ihre verletzte Hand schützend vor ihrem Arm, den ich verfehlt hatte. Dabei schmierte sie ausversehen etwas von ihrem Blut den Ärmel ihrer grauen Kapuzenweste, die eher zu einem pubertierenden Jungen passte, als zu einem Mädchen, das halbwegs über etwas Modebewusstsein verfügte. Doch weder der erste, noch der zweite Punkt schien sie auch nur ansatzweise zu stören, ihre Augen waren weiterhin auf mich gerichtet, doch diese Aura der absoluten Ruhe war aus ihnen verschwunden. Doch trotz allem musste ich ihr ein winzig kleines bisschen von Respekt zollen: Hätte mich jemand derartig attackiert, ich hätte ganz anders reagiert. Also entweder war diese Idiotin wirklich die Ruhe in Person oder lediglich sehr leicht zu verängstigen. Im Grunde war es mir ja egal, es lief doch auf dasselbe hinaus: Wenn sie mir noch einmal zu nahe kam, würde sie nicht mehr so ruhig bleiben, dass konnte ich versprechen.
Paradoxerweise machte ich einen Schritt auf sie zu, obwohl ich sie eigentlich weit weg von mir haben wollte. Ich tat dies aus Vorsichtsmaßnahme, damit ich im Notfall noch in Reichweite war, um sie zu attackieren ... was aber reichlich sinnlos war, denn selbst von der Bettkante aus, hätte ich sie nicht mehr erreichen können.
„Verstehe ...“, unterbrach mich das Mädchen mit ihrem Gemurmel das kurze Schweigen und hielt ihren Ärmel nur noch fester umklammert. Es war so, als hätte sie gerade tatsächlich auf meine Drohung geantwortet, jedoch zeigte sie mir ihr wieder aufblitzendes Lächeln, dass sie keinen blassen Schimmer davon hatte, was ich ihr da gerade gesagt hatte. Ohne ein weiteres Wort zu verschwenden, drehte sie mir plötzlich den Rücken zu und ging gemächlich auf die verschlossene Zimmertür zu. Anfangs blickte ich ihr leicht perplex nach.
Was sollte das wieder werden, die wollte doch jetzt nicht einfach so verschwinden, oder? Moment, wenn schon, dann … das wäre doch meine Chance!
Reflexartig hopste ich weiter auf die Bettkannte zu, doch hielt sogleich inne, als die Teenager vor dem weißen Plastiksack innehielt. Verständnislos beobachtete ich sie, wie sie sich nach vorne beugte und anfing, in dem Inhalt der raschelnden Tasche zu kramen, als ob sie etwas suc ...
Schlagartig wich alle Farbe aus meinem Gesicht, als mir klar wurde, was sie sich gerade aus ihrem Plastiksack fischen wollte. Ein Pokéball! Darum hatte bisher noch keinen Pokéball geworfen, sie hatte noch keinen bei sich! Verdammt, verdammt … Wieso stehe ich noch so planlos in der Gegend herum, ich muss sofort etwas unternehmen und sie aufhalten! Verunsichert und entsetzt zu gleich, sprang ich endgültig auf das Ende der Matratze zu und rutschte völlig überstürzt die Bettkannte hinab, um keine Sekunde später auf dem hölzernen Fußboden zu landen. Elegant konnte man auch diese Landung nicht nennen, doch sie war zweckmäßig und mehr oder weniger schmerzfrei. Doch an dieser Stelle kam ich ein weiteres Mal zum Stillstand, denn das Rascheln, welches gerade noch warnend in meinen Ohrmuscheln gedröhnt hatte, hörte abrupt auf. Das Mädchen hatte gefunden, was sie suchte.
Ich hatte das Gefühl, dass mein Körper gleich in zwei Teile zerreißen würde, einer, der weiter dickköpfig und verzweifelt auf die Trainerin stürmen wollte, um sie aufzuhalten und jener, der panisch das Weite suchen wollte. Auf wen sollte ich verdammt nochmal hören? Hin und her gerissen schwenkte mein Schädel in beide möglichen Richtungen, doch erst als sich das Mädchen langsam erhob, etwas mit ihrer unverletzten Hand umklammernd, das sich aber noch meinen Augen entzog, ergab ich mich dem Willen meiner zweiten Seite. Wie ein in die Enge getriebenes Rattfratz, wich ich vor dem „Mauzi“ zurück, die Rollen wurden wieder vertauscht. Rückwärtsgehend geriet ich jedoch ins Stolpern und plumpste ungeschickt mit meinem Hintern auf diese Vulpixschweife. Doch als ob nichts passiert wäre, rutschte ich unbeirrt auf den sechs Schweifen sitzend über den Fußboden, denn eine Verzögerung konnte ich mir wirklich nicht mehr leisten. Mit einem kräftigen Stoß beförderte ich mich genau rechtzeitig unter den Schatten des Bettes, als sich das Mädchen umdrehte und auf mich zu marschieren wollte. Mein Hinterkopf knallte zuvor noch dumpf gegen die Bettkante, sodass ich mich doch noch zurück auf den Boden werfen musste, um überhaupt vollständig in den Spalt zwischen Bettkante und Boden zu passen, aber letztendlich hatte ich es geschafft. Ich saß nun leicht im Dunkeln, nur das Licht, welches durch den Spalt hindurch leuchtete, sorgte dafür, dass ich dennoch genügend sehen … und gesehen werden konnte. Der Staub, der sich wahrscheinlich bereits seit der Existenz dieses Hauses unter dem Lattenrost gesammelt hatte, wirbelte durch die Luft, kitzelte meine Nase und kratzte mit jedem meiner Atemzüge in meinem Rachen. Ich wagte es jedoch nicht nur einen leisesten Laut, ganz zu schweigen ein Niesen von mir zu geben, obwohl die Trainerin bereits bestimmt wusste, wo ich mich gerade verkrochen hatte. Auch wenn sie meine plumpe Flucht nicht bemerkt haben sollte, solange sie mindestens einen winzigen Teelöffel Grips im Schädel verfügte, würde sie sofort erahnen, wo ich mich versteckt hielt. Trotzdem presste ich meinen Mund gegen mein bebendes Vorderbein, während ich die zwei weißen Turnschuhe fixierte, die sich zögerlich in Bewegung setzten. Erst erhob sich der linke Schuh und setze ein Stück weiter auf dem Boden auf, dann folgte der rechte Schuh, wieder der linke, der Rechte der linke … Und jedes Mal kamen sie mir einen Schritt näher und näher.
„Grab dich doch einfach ein und bleib von mir weg!“, entwich eine Verwünschung aus meiner Kehle, jedoch wurde diese von dem Fell erstickt, das ich weiterhin gegen mein Maul drückte.
„Ich … hab keine Angst vor dir!“
Nein, ich fürchtete mich nicht vor ihr, bestimmt nicht ... Ich meine, sich vor diesem beschränkten Mädchen zu fürchten wäre eine absolute Peinlichkeit. Ich konnte mich gut genug gegen sie zur Wehr setzen aber … ich … ich wollte einfach … Verdammt nochmal, mit einem Pokéball war das eine ganz andere Situation! Das war so, als würde man zwei Menschen gegenüber stellen, den einen nackt und den andere bis an die Zähne bewaffnet und ließ sie gegeneinander kämpfen. Genauso sah meine momentane Situation aus, nur das ich zwar ein paar Krallen besaß, die Trainerin dafür eine Kapsel bei sich hatte, die meinen Willen sofort brechen könnte. Ob ich dieses Mal abermals so unverschämt viel Glück hatte wie am Vortag, wagte ich mächtig zu bezweifeln. Ich hatte also keine Angst vor diesem dämlichen Mädchen ... Ich hatte nur gewaltige Panik vor ihrer verfluchten Waffe! Dazwischen war ein großer Unterschied …
Verunsichert kroch ich noch ein Stück durch den Schmutz und Dreck, weiter ans Ende dieser Sackgasse, in die ich mich gebracht hatte. Das Paar Turnschuhe war in der Zwischenzeit direkt vor dem Bett zum Stehen gekommen. Die Vorderkappe der kleinen Schuhe ragte unter der Bettkante hindurch und verharrte reglos an dieser Stelle. Lange wagte ich nicht mein Maul zu öffnen und nach Luft zu schnappen, ich starrte einfach unentwegt auf diese zwei weißen Schuhe.
Jetzt war es so weit ... Ich saß total in der Falle. Verdammt nochmal, wie ich mein Leben hasse! Wie ich das hier alles hasse!!! Ich will keine verdammte Sklavin werden, ich will nicht nochmal diesen grausamen Sog an meinen Körper fühlen, diese unbarmherzige Kraft, die mich ins Nichts ziehen versucht. Ich hab genug davon!
Draußen glaubte ich ein Rascheln zu hören, kurz bevor es plötzlich soweit war: Die Hand dieser Teenagerin tauchte direkt vor dem Spalt auf. Augenblicklich presste ich mich panisch gegen die Wand als ich die Faust erblickte, die etwas Rötliches umklammert hielt … doch es war kein Pokéball. Es war nicht mal annähernd rund. Eigentlich war es nichts mit dem ich gerechnet hatte. Es war ein ganzes, halb in Verpackungspapier eingewickeltes Stück Speck.
Überrumpelt starrte ich dieses wunderbare Fleisch an, das nur wenige Mauzisprünge von mir entfernt auf dem Holzboden herumlag. Auch wenn ich meinen Augen anfangs nicht glauben wollte, bestätigte mir schnell der intensive und salzige Geruch - der meine empfindliche Nase zärtlich zu streicheln schien - meinem Gehirn, dass dort tatsächlich etwas zu essen lag, dass nicht verfault, vergammelt oder in der Kanalisation gelandet war. Für mich war es mehr als das, im Moment entsprach dieses Stück Fleisch für mich einem Festmahl, serviert auf einem goldenen Teller! Wie auf Kommando begann mein völlig außeracht gelassener Magen wie ein grimmiges Ursaring grollende Laute von sich zu geben und erinnerte mich damit daran, wie hungrig ich in Wahrheit wieder war. Alles was ich am Vortag zwischen meine Zähne bekommen hatte, war diese stinkende Keule, die mich nicht langfristig gesättigt hatte. Aber in der ganzen Aufregung hatte ich meinen leeren Magen und meine trockene Kehle vergessen; nun wo mir aber Essen quasi auf dem Präsentierteller vorgesetzt wurde, konnte ich dieses Bedürfnis nicht mehr ignorieren. In Fakt konnte ich diesen Vulpixkörper kaum noch unter Kontrolle halten, denn durch den herzhaften Duft stimuliert, fühlte ich das Bedürfnis, sofort aufzuspringen und mich auf das Festmahl vor meinen Augen zu stürzen. Je mehr mein Körper zurück auf die vier Pfoten springen und freudig jauchzend auf das Fleisch zu rennen wollte, umso mehr Willenskraft forderte es mich diesen inneren Zwängen zu widersetzten. Mein Körper machte bereits ein paar kleine Schritte in Richtung Bettkannte, doch ich konnte ihn noch davon zurückhalten, sich blindlings loszumachen.
Das war doch alles einfach zu schön um wahr zu sein … Genau deswegen konnte es nicht wirklich sein! Der Speck ist eine Lüge! So eindeutig wie ich dieses Festmahl … was für ein herrlicher Duft … ähm, ich meine, so eindeutig ich dieses Fleisch riechen konnte, so eindeutig stank es hier nach Steak … Hinterhalt, nicht Steak natürlich! Wahrscheinlich hatte sie den Pokéball ganz einfach in der anderen Hand versteckt und wartete darauf, dass ich mir diese Beute schnappte, um anschließend ihr Essen zu wer … Arg verdammt, ich krieg diese Sehnsucht nach Essen nicht aus meinem Schädel!
Sehnsüchtig wischte ich mir den Speichel aus den Mundwinkeln, der wieder unkontrolliert zu Boden tropfte.
Verdammt, ich durfte mich nicht davon hinreißen lassen. Das war ja so, als würde ich einem Gengar für etwas Brot meine Suppe … Verdammt, nicht Suppe … meine Seele verkaufen, wenn nicht sogar schlimmer! Nicht das ich an Geisterpokemon glaube ...
Unruhig drängte ich meinen zitternden Vulpixleib wieder zu Boden, der stur versuchte aufzuspringen. Die sechs Schweife wedelten unaufhörlich wie ein Staubwedel über den finsteren Boden und der herrliche Duft des geräucherten Specks wollte meine Nase nicht mehr verlassen, sondern schien mich stattdessen wie ein Seil näher zu ziehen. Wie sehr ich mir in diesem Moment gewünscht hätte, dass ich allein von dem Geruch satt werden könnte, doch das Gegenteil war der Fall. Je länger ich diesem himmlischen Duft ausgesetzt war, umso mehr wuchs in mir der Wunsch, alles hinter mich zu lassen und meine Seele zu verschenken, nur damit ich endlich dieses Aroma auch auf meiner Zunge schmecken konnte.
Das Mädchen schien in der Zwischenzeit müde vom Stehen geworden zu sein, denn sie entfernte sich einen Schritt vom Bett, um gleichdarauf sich mit abgewinkelten Beinen zu Boden zu setzt, ihre Hände in den Hosentaschen verborgen. Ha, wusste ich es doch, das war der Beweis! Sie versteckte etwas … nämlich diesen blöden Pokéball, das war doch eindeutig! Darauf würde ich nicht hereinfallen …
„Du musst hungrig sein“, hörte ich wieder ihre Stimme dumpf durch den Spalt hindurch, „Iss ruhig“
Iss ruhig? Iss RUHIG?! Wie verdammt nochmal sollte ich ruhig bleiben, dies war die reinste Folter, verfluchte sadistische Vollidiotin!
Mittlerweile sabberte ich wieder wie ein Wasserfall, machte mir jedoch nicht mehr die Mühe, mir den Speichel aus dem Fell zu wischen. Meine Glieder zuckten unruhig und mein Magen drohte mir damit jeden Augenblick zu implodieren, wenn er nicht sofort mit diesem Stück Speck gefüllt werden würde. Das war fast dieselbe Folter wie am Vortag.
„Du musst wirklich keine Angst haben“, kam es wieder aus ihrem Munde, doch die Worte drangen kaum noch zu mein Bewusstsein durch; momentan schwirrten alle möglichen Fantasien und Vorstellungen in meinem Kopf herum, die sich alle nur um eines drehten: Essen, Essen und nochmals Essen.
„Ich kann verstehen, dass du dich fürchtest …“
Meine Schweife wedelten nicht mehr, sie rotierten bereits wie die Quirle eines Mixers, mit dem man gerade Kuchenteig rührte. Meine Pfoten trommelten unterdessen unruhig auf das Holz.
„Aber ich will dir wirklich nichts tun …“
Langsam ließ in mir jeglicher Wiederstand nach. Mein Körper stemmte sich gegen meinen vergeblichen Bemühungen und erhob sich Zentimeter für Zentimeter vom staubigen Untergrund.
„Es tut mir leid … „
Es reicht, das Maß ist voll! Von einem Augenblick zum anderen war mein Wille gebrochen und in etwa tausende von Scherben zuschmettert. Ich hörte auf mich gegen meinen Hunger zu wehren und ergab mich diesem ohne weiteren Wiederstand. Sofort entglitt mir jegliche Kontrolle über meinen eigenen Leib, der meinen Magen zu seinem neuen Hirn erklärte. Völlig eigenständig schien mein Körper aufzuspringen und hechelnd auf den Spalt, auf das Licht, auf mein Essen zu zustürmen. Nun war es mir mehr als schnuppe, was die Konsequenzen sein würden. Ebenso Wurst war es mir, dass ich mir mit jedem Schritt mit meiner Schädeldecke gegen den Lattenrost über mir knallte, mein einziges Interesse galt es endlich etwas zwischen meine Zähne bekommen!
Spielend überwand ich die geringe Distanz, die mich und den Speck trennte, um sofort fauchend meine Zähne in das Fleisch zu schlagen. Überstürzt riss ich ein übertrieben großes Stück, welches nicht einmal vollständig in mein Maul passte, mit meinen Beißern ab; umso erstaunlicher war es, dass ich diesen gewaltigen Happen ohne lang zu kauen meinen Rachen hinunter würgte, dieses Mal nicht aus Abscheu, sondern aus purer Gier. Einer zarter und salziger Geschmack breitete sich auf meiner Zunge aus, so genüsslich und wundervoll, am liebsten hätte ich Stunden damit verbracht, nur da zu stehen und dieses so sehr erwartete Aroma förmlich auf meiner Zunge zergehen zu lassen, doch stattdessen riss ich ohne lang zu fackeln ein weiteres Stück von meinem Festmahl herunter.
Wäre jedoch mein jetziges und altes Ego zwei verschiedene Personen gewesen, hätte mein menschliches Ich diesem „Vulpix-Ich“ völlig angewidert zugesehen, wie es über dem Stück Fleisch gebeugt, Bissen für Bissen verschlang. Wie eine wilde Bestie, die man in verschiedenen Dokumentationen anglotzen konnte. Sie hätte mich abwertend betrachtet und mir alle möglichen Beleidigungen und Worte an den Kopf geworfen, ganz vorne dabei: „Wie kannst du so verdammt tief sinken“. Auch wenn ich jetzt gern gesagt hätte, dass mir dieser Gedankengang egal war ... ich konnte es leider nicht, ansonsten hätte ich mich selbst belügen müssen. Immerhin waren diese zwei „Ich“ nicht zwei verschiedene Lebewesen, sondern eine einzige Person und deswegen musste meine noch menschliche Seite fluchend miterleben, wie ich weiter instinktgetrieben das Fleisch regelrecht zerfetzte. Denn im Moment bestimmte mein Magen all meine Bewegungen und Taten, dessen Ziel es war so schnell wie möglich gefüttert zu werden, bevor es zu spät dafür wurde. Gleichzeitig erwartete ich nämlich mit jedem Bissen, dass ich in einen grellen Lichtblitz eingehüllt und wie ein Staubkorn in eine rot, weiße Kapsel eingesaugt wurde.
Unersättlich schlang ich das Fleisch den Hals hinunter und erwartete weiter das Eintreffen meiner Befürchtungen. Nichts passierte.
Noch ein weiterer Happen wanderte in mein Maul und verschwand kurz darauf in meinem Magen.
Es passierte weiterhin nichts. Kein Pokéball, kein Sog, kein gar nichts. Nur ich und meine wundervolle Mahlzeit …
„Da ist ja jemand wirklich hungrig“, hörte ich in der Nähe die lachende Stimme des Mädchens.
… und meine Todfeindin. Diese saß noch immer neben mir auf dem Boden, die leeren Hände nun um ihre Knie geschlungen. Einen kurzen Moment blockte ein Fluchtinstinkt meinen Appetite, doch dieser gewann schnell wieder an Kontrolle zurück, als ich weiterhin kein Anzeichen eines roten Pokéball entdeckte ... und es schien im Moment nicht danach, dass noch einer demnächst folgen würde. Dennoch packte ich das Verpackungspapier, auf welchem der schmackhafte Fleischklumpen lag, mit meinem Zähen und zerrte es rasch unters Bett, wo ich mehr oder weniger außerhalb der Schusslinie ungestört weiter wie über mein Essen herfallen konnte. Den Großteil meiner Mahlzeit hatte ich bereits in dieser kurzen Zeit gierig vertilgt, doch mein Hunger war noch immer nicht völlig gestillt.
„Ich … ich hab dich mitten in der Nacht auf einer Straße entdeckt. Du hast dich nicht bewegt …“, begann das Mädchen einige Augenblicke später, völlig aus dem Kontext gerissen, zu reden. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie der Schatten ihres Kopfes durch den Bettspalt fiel, der plötzlich direkt vor dem Spalt auftauchte. Leicht alarmiert hielt ich mit vollem Mund inne und richtete abermals meinen Blick auf sie, die sich gerade bäuchlings zu Boden legte und ihr Kinn auf ihre Unterarme stützte. Den verletzten Finger hatte sie mittlerweile in ein weißes Taschentuch gewickelt, durch welches ihr Blut jedoch teilweise hindurch schimmerte. Wieder betrachte sie mich mit diesem ruhigen und interessierten Blick, als wäre ich so ein Vieh, dass man hinter Gittern in einem Zoo bestaunen konnte. Meinetwegen hätte sie mich auch mit großen Fukanoaugen anflehen können, ich konnte ihren verfluchten Blick einfach nicht ausstehen, er machte mich krank! Argwöhnisch packte ich den letzten Rest meiner Mahlzeit und versuchte damit noch weiter in denen finsteren Schatten zu verschwinden, weg von diesen nervigen Augen. Diese Teenagerin mochte zwar den Moment der Stunde noch nicht dazu genutzt haben, mich in eine winzige Kapsel zu sperren, doch das bedeutete noch lange nicht, dass ich ihr deshalb im Geringsten vertraute. Dieses Mädchen war mir überhaupt ein großes Mysterium und genauso etwas konnte ich ganz und gar nicht ab!
„Ich hatte keine Ahnung wo das nächste Pokemoncenter war, also hab ich dich sofort hier her gebracht.“
Ich fraß einfach weiter.
Soll sie doch einfach weiter reden und ihr Herz ausschütten, wenn sie das glücklich machte, nur zu, mir war es egal. Immerhin war ich ja nur ein stink normales Pokémon ... Warum sollte ich mich also um so etwas kümmern, pah.
Doch ganz konnte ich ihre Worte nicht ignorieren, denn es gab paar Dinge, die ich in meinem Kopf einfach nicht erklären konnte.
Sie hatte mich also auf der Straße gefunden … könnte mir dann bitte jemand erklären, wie ich den Sturz von dem Dach jenes Hauses überleben konnte? Ich hätte doch wie eine Wassermelone auf dem Asphalt zerschellen müssen, oder nicht? Aber wenn ich mich selbst betrachtete … zerquetschtes Gemüse oder Obst sah anders aus. Alles was ich abbekommen hatte, waren ein paar kleinere Verletzungen, die ich im Augenblick kaum wahrnahm. Und überhaupt, wieso hatte mich dieses Mädchen mitgenommen, wenn sie mich scheinbar nicht versklaven wollte? Sah sie sich selbst als eine Art Wanderschwester, die sich um verletzte und streunende Pokémon kümmerte? Na klar doch, genau so sah sie auch aus: geschmacklosen Kleidung und dazu die ganzen Piecings … Sie war möglicherweise noch gar nicht volljährig, verdammt nochmal!
„Oh, ich hab mich noch gar nicht vorgestellt“, erinnerte sich plötzlich das Mädchen und legte ihren großen Kopf schräg die Arme, „Ich bin übrigens Nana.“
Sie lachte kurz.
„Redest du immer wie eine Geistesgestörte mit irgendwelchen Viechern, die dir nicht antworten können“, maulte ich zurück, im Klaren darüber, dass ich von ihr keine Antwort erhalten würde. Nana … Toll, jetzt kannte ich das Böse beim Namen, das half mir wirklich sehr im Moment. Sie sollte mir lieber sagen, was sie vorhatte, damit ich mich entscheiden konnte, ob ich ihr sofort die Augen ausstechen sollte. Am besten sollte sie mir gleich freiwillig die Türe aufhalten, damit ich verschwinden konnte …
Ich blickte hinab auf den bescheidenen Rest meiner Mahlzeit, der noch vor meinen Pfoten lag.
Wobei, jetzt wo mein Verstand allmählich wieder klarer wurde … Was sollte ich überhaupt anschließend tun, wenn ich, gegen den Willen dieser Nana oder nicht, aus dieser Türe ins Freie trat? Ich wäre wieder ganz auf null, ohne einen Unterschlupf, ohne etwas zu Essen und es würde wahrscheinlich nicht lang dauern, bis diese Kramurx meine elenden Überreste von der Straße kratzen könnten. Hätte ich wenigstens ein genaues Ziel auf das ich zusteuern könnte, doch die einzige Richtlinie die ich hatte, hieß: „Wieder ein Mensch werden, egal wie.“
Mit einem kurzen Biss wanderte der letzte Happen in mein Maul. Während ich diesen nun viel andächtiger kaute, blickte ich das liegende Mädchen an, die gerade etwas wie „Schön das es dir besser geht“ und ähnliches Blabla von sich gab.
Was zerbrach ich mir überhaupt groß den Kopf, ich saß ohnehin noch in diesem Zimmer fest und solange mir dieses Mädchen nicht demnächst die Türe öffnete, würde ich sowieso nicht hier rauskommen. Das wäre sozusagen das Problem meines zukünftigen Ichs, ich selbst hatte ja im Moment genug anderes Zeug mit dem ich mich herumschlagen musste … Hust, hust!
Hustend beugte ich mich hastig nach vorne und unterbrach fürs erste meinen schier endlosen Gedankengang. Mein Hals begann plötzlich furchtbar zu kratzen an und machte mir endgültig wieder klar: Der Mensch lebt nicht vom Fleisch alleine. Der salzige Speck hatte mich zwar beinah gesättigt, aber dafür war ich nun noch durstiger als ich es im Vorhinein bereits gewesen war. Wein, Cola, Kaffee … ja sogar Wasser, wenn es sein musste, ich brauchte irgendetwas das ich mir die Gurgel runter schütten konnte.
„Alles in Ordnung?“, hörte ich wieder die Stimme des Mädchens, die einen leicht besorgten Ton annahm.
„Hör einfach auch zu fragen verdammt … Du kannst mich sowieso nicht verstehen!“, bellte ich zurück, unterbrochen von kleineren Hustanfällen. Natürlich, jetzt kommt sie auch noch mit dieser Mitleids-Tour daher, die hat doch keine Ahnung! Ihr verdammtes Mitgefühl konnte sie sich behalten, so was konnte ich nicht ausstehen …
Die Teenagerin schien langsam ihren Arm heben zu wollen, senkte diesen jedoch nach kurzen Zögern wieder zu Boden, als sie von mir ein bissiges „Lass deine Finger von mir“ vernahm. Mittlerweile schien sie wenigstens halbwegs verstanden zu haben, dass ich mich nicht von einem übergroßen Menschen anfassen ließ, wenigstens ein kleiner Fortschritt; löste aber nicht mein momentanes Problem.
Nana schien wieder etwas sagen zu wollen, doch da schnitt ihr eine leise Melodie ins Wort, die plötzlich leise durch das Zimmer trällerte. Erschrocken zuckte das Mädchen zusammen und wandte ihre Augen ruckartig von mir ab, ich hingegen blieb weitgehend ruhig auf meinem Platz, während ich versuchte mit Speichel meinem kratzendem Hals entgegen zu wirken.
„We've been together a long, long time …”, drang die dumpfe Stimme eines Sängers an mein Ohr, der zu dem Gitarre Geplänkel dazu sang. Die Teenagerin setzte sich eifrig wieder und durchsuchte hastig ihre Hosentaschen, jedoch checkte sie schnell, dass diese Melodie nicht aus ihren Taschen stammte.
„But nothing's changed, has it? Even the mood ...“
Nicht wirklich elegant stand sie schließlich wieder vom Boden auf und eilte auf den weißen Plastiksack zu, um dessen Inhalt wenig später ohne Rücksicht auf dem Boden verstreute. Ein paar Flaschen und eine Rolle Klopapier rollten über den Boden, verpackte Lebensmittel wurden achtlos zu Boden geworfen ... Stumm verfolgte ich dieses Spektakel, nicht ganz sicher was ich nun tun sollte. Sollte ich weiter hier unten bleiben oder irgendeinen Fluchtplan in die Tat umsetzen? Verächtlich verzog ich die Miene, als ich die Fremde weiter dabei beobachte, wie sie ihre scheinbaren Einkäufe durchwühlte. Ja sicher, ein Fluchtplan ... als ob ich irgendeinen Plan hätte.
„How would it be if you ... Bieb!“
... War es denn so schwer, dieses Lied einfach zum Verstummen zu bringen? Wieso hatte sie überhaupt ausgerechnet diese Melodie als Klingelton, ich meine, das Lied war bereits seit Jahren derartig ausgelutscht und verbraucht. Immerhin war es vor paar Jahren wirklich überall, im Radio, im Netz und sogar im Fernsehen ... Seltsam, an dieses Lied konnte ich mich erinnern, aber von meinem persönlichem Leben ...
„… now we ... Bieb!“
Endlich hatte das Mädchen die Quelle der Melodie gefunden – was natürlich ihr Handy war – und würgte den Sänger abrupt ab. Sie richtete sich wieder auf, sodass ich aus meinem Blickwinkel wieder lediglich ihre weißen Schuhe erkennen konnte. Was sie gerade genau machte blieb mir verborgen. Sie schien keinen Anruf entgegenzunehmen und blieb stattdessen einfach vor dem mehr oder weniger leeren Plastiksack stehen wie angewurzelt.
Vielleicht hatte sie ja nur eine SMS bekommen oder dieses Lied war lediglich ihre Weckermelodie ... wie sollte ich das bitte wissen. Selbst wenn ich meinen Kopf schräg zu Boden legte, würde ich nicht mehr als ihre blauen Jeans erspähen können. Natürlich, ich könnte einfach vor das Bett kriechen und nachschauen, doch im Moment blieb ich lieber in den Schatten ... jedenfalls noch. Mein Kampfgeist hatte sich zusammen mit meinem Hunger verabschiedete, wer weiß, ansonsten hätte ich vielleicht tatsächlich versucht ihr wörtlich in den Rücken zu fallen. Aber jetzt ...
Unerwartet setzte sich die Teenagerin doch wieder in Bewegung, eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass sie noch eine Stunde so verharren würde. Nicht nur dass, sie schien es auf einmal sehr eilig zu haben. Hastig rannte sie erst nach links, hielt jedoch sofort inne und stürmte dann in die andere Richtung wo sie irgendetwas vom Boden aufklaubte, um anschließend durch die zweite Zimmertüre zu treten, die bisher zu gewesen war. Alles was ich dann hörte, war ein Zischen und Rauschen und bevor ich mich überhaupt wundern konnte, was diese seltsame Fremde überhaupt tat, stand sie schon wieder vor dem Bett und stellte abermals etwas zu Boden. Dieses Mal zuckte ich weder verschreckt zurück, noch machte ich Anstalten ihr die Hand zu zerkratzen, sondern sah nur leicht perplex dabei zu, wie sie eine Plastikschüssel vor dem Spalt absetzte.
Bevor ich überhaupt ganz kapierte, was das Ganze soll, hallte schon wieder das dumpfe Aufstampfen ihrer Schuhe in meinen Ohren, gefolgt von einem bekannten Klirren. Verwirrt blickte ich von der blauen Schüssel auf und entdeckte die weißen Turnschuhe, die direkt vor der Ausgangstüre zum Halt gekommen war. „Tut mir leid, ich muss schnell weg … Ich komme bald wieder zurück“, hörte ich wieder das Mädchen, dieses Mal lag jedoch einen undefinierbaren Ton in ihrer Stimme. Es war fast so, als wäre sie wegen etwas … besorgt.
Das Scheppern der Schlüssels wurde lauter … dann knackste es und die Türe schwang auf, der Ausgang in die Freiheit war offen.
In dem Moment hätte ich los laufen sollen. Ich hätte unter ihren Beinen hindurch hinaus ins Freie schlüpfen und dieses Mädchen und ihr Zimmer hinter mir lassen müssen.
Warum ... Warum saß ich dann noch immer in diesem Zimmer und schaute der Tür zu, wie sie mit einem dumpfen Knall wieder ins Schloss fiel? Ich hatte diese ein Chance einfach an mir vorbeigehen lassen …
Es wurde für einen Augenblick völlig still in dem Zimmer, keine Fußschritte, kein Schlüsselklirren, kein gar nichts. Doch dann erfüllte ein wütendes Geschrei das gesamte Zimmer, während ich mich darüber verfluchte, dass ich meine einzige Fluchtmöglichkeit vergeudet hatte …
[tab=Wort zum Donnerstag]
Hab ich schon mal erwähnt, dass ich eher ein Typ der langsamen Sorte bin? Wenn nicht, dann sollte es nach dieser circa 3 Monat langen Verspätung wieder deutlich geworden sein.^^" Tut mir wirklich leid, diese Unregelmäßigkeit ist nicht gerade der Idealzustand, ich weiß.
Leider bezweifle ich, dass sich in den nächsten Monaten etwas an diesem Schneckentempo ändern wird, immerhin steht im Mai meine Matura(Abitur) an, also bin ich nicht sicher, wie viel Zeit ich da fürs Schreiben aufbringen kann. Wäre aber auch verlogen, wenn ich diesen Zustand rein auf die Schule schieben würde, es liegt leider auch etwas an meiner stark schwankenden Motivation, die ich leider nicht auf Kommando rufen kann. Na ja, ich hoffe aber trotzdem, dass ich in Zukunft wieder viel regelmäßig einen neuen Part online stellen kann, es gibt so viele Kapitel, die ich kaum abwarten kann zu schreiben^^ Und wer weiß, vielleicht kommen in nächster Zeit doch wieder etwas mehr Parts, manchmal schaffe ich es mir besonder dann Zeit zu verschaffen, wenn ich eigentlich keine habe ...
Und wieder einen besonderen Dank an Vitali fürs Betalesen des Textes!
Jens: Tut mir leid, dass ich dich jetzt noch länger hab warten lassen(siehe für weitere Ausreden im oberen Absatz). Dieser Part ist dafür wieder etwas länger geworden und schließt auch Kapitel 6 entgütig ab, ich hoffe das ist wenigstens eine kleine Entschädigung.
Du hast recht, eigentlich wäre es besser gewesen, wenn ich ihr Alter bereits eher am Anfang des Kapitels erwähnt hätte. Manchmal bin ich einfach auf etwas zu sehr fixiert, sodass ich vergesse, was ich weiß und was der Leser nicht. Hoppala, wie hab ich diese Anmerkung vergessen können ... das ist mir ein bisschen peinlich^^"
Musst mir - wenn es soweit ist - unbedingt verraten, ob du mit deinen Vermutungen über den weiteren Verlauf, richtig gelegen bist, oder nicht.
Auf jeden Fall, freut mich sehr, dass dir der eine Part trotz allem gefallen hat, auch wenn er etwas kürzer war.
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